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   2.4  Kommune wagen, Versuch der Selbstveränderung  

 

 

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In der 'Alternative' hatte Bahro, anknüpfend an die Analysen von Karl Marx zur Pariser Commune von 1871, seine Vision eines kommunal-genossen­schaft­lichen Lebens in einem kulturrevolutionär umgewälzten Sozialismus entwickelt. Bereits im <Manifest der Kommunistischen Partei> hieß es: »An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassen­gegen­sätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.« (Marx,Engels,4,424)

Davon war in den Gesellschaften des »Realsozialismus« nicht einmal ein Hauch zu spüren — sieht man von Ansätzen einer Arbeiterräte-Bewegung in Polen und Ungarn 1956 sowie von neuen Organisationsformen während des »Prager Frühlings« 1968 ab. Den Experimenten, die emanzipa­torische Elemente des Sozialismus beim Wort nehmen wollten, wurde bekanntlich durch sowjetische Intervention jedes Mal der Boden entzogen. Bahros große Hoffnung bestand nun darin, der Marxsche Assoziationsgedanke könne trotz solcher traumatischen Erfahrungen neue Aktualität gewinnen.

Nach Bahro lassen sich in der Organisationsform der Kommune...

»...alle Seiten des Reproduktionsprozesses auf das Ziel der reichen Individualität hin integrieren und die entsprechenden Interessen sowohl nach innen als auch nach außen vermitteln und durchsetzen. Man mag sich vorstellen, wie sich eine Bevölkerung, gestützt auf von ihr eingesetzte Organe, in die verschiedenen Tätigkeiten von der Planung und Statistik bis zur Raumpflege und Abfallbeseitigung [...] teilt, während die allgemeinen Künste und Wissenschaften ebenso jedermanns Beschäftigungen sind wie der mehr als bisher in Schönes Spiel übergehende Austausch der Geschlechter, der Generationen, überhaupt der individuelle oder gruppenweise Genuß der verschiedensten Partnerschaften.«  (Alternative, 528

Die »Gliederung der Bevölkerung in Wohngemeinschaften« werde »eines der wichtigsten Anliegen kulturrevolutionärer Praxis sein«. Vieles spreche nämlich dafür, »daß das Aufgehen der jetzigen Kleinfamilie in größeren, keinesfalls aber staatlich zu organisierenden Verbänden« den entscheidenden »Schlüssel zu den nächsten wesentlichen Fortschritten« darstelle: zur »Befreiung der Frau und der Befreiung der Kinder, genauer gesagt der Sicherung der psychosozialen Bedingungen für einen Erziehungsprozeß, der keine Entwicklungsschranken setzt« (ebd., 531). 

Die »Kleinfamilie« sei seit den zwanziger Jahren »als <psychologische Strukturfabrik> der Gesellschaft, als der Ort erkannt, an dem die Herrschafts­verhältnisse psychisch reproduziert werden« (ebd., 534). Bahro greift hier die Thesen des linken Flügels der psychoanalytischen Bewegung — beispiels­weise von Wilhelm Reich — und der frühen »Kritischen Theorie« auf.

Eine Verbindungslinie bestand zu Erich Fromm. So heißt es in einem noch kurz vor der Verhaftung im August 1977 geschriebenen Brief an den Psycho­analytiker: »Leider ist die <Anatomie der menschlichen Destruktivität> das erste Buch von Ihnen, das ich in die Hand bekomme. Wie viele Ihrer Gedanken mich zuvor indirekt erreicht haben — wer wollte das rekonstruieren. Auf jeden Fall scheint mir, daß ich in meinem ökonomisch-philosoph­ischen Manuskript die Probleme in einer der Ihren höchst verwandten Weise gesehen habe.«5) (Weg, 75)

Jahre später wird er an seine »alte Liebe für Erich Fromm« erinnern: Dieser sei weder dogmatisch marxistisch noch dogmatisch freudianisch geblieben, sondern habe sich dafür eingesetzt, »zwischen dem Weg der Weltveränderung außen und dem Weg der Weltveränderung innen [...] den Zusammenhang herzustellen« (Transkript der Vorlesung <Erich Fromm: Vom Haben zum Sein>, 27.4.1992,3).

 

Kommunitäre Zusammenschlüsse besitzen eine lange Geschichte:

Diese reicht (wenn wir uns hier auf den westlichen Kontext beschränken) von den Ordensgemeinschaften des frühen Mittelalters über die mittelalterliche Dorfgemeinschaft, die Communities von Handwerkern im Neuengland des frühen 19. Jahrhunderts bis hin zu ganz unterschiedlichen Versuchen der Gemeinschafts­bildung im 20. Jahrhundert. 

Doch das ist eine Geschichte mit vielen Brüchen. Der wichtigste und schmerzlichste war jener beim Übergang zur Neuzeit: Die Niederlage der Bauern in der Revolution von 1525 bedeutete auch den Niedergang der Kommune als einer Gegenkraft zur feudalen Vergesell­schaftungsform. Von da an »führt die Kommune als politisches Organisations­prinzip eine schwer faßbare Existenz im Untergrund und an den Rändern der Gesellschaft«, schreibt der Soziologe Karl-Ludwig Schibel in einer Untersuchung über die Sozialgeschichte der Kommune (Schibel 1985, 11).

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Nicht zufällig werde der Ruf »Kommune wagen« erneut erhoben, stellte der Autor Mitte der 80er Jahre fest: »Es ist schwer zu sehen, wie anders wir aus einer hoch zentralisierten, durchhierarchisierten Industriegesellschaft in eine ökologische Gesellschaft gelangen können.« (Ebd., 16) Zu dieser Zeit war das offenbar kein exotischer oder bloß sektiererischer Gedanke. 

 

Ende der 60er Jahre hatte das Bedürfnis nach einer <Revolutionierung des bürgerlichen Individuums> — so der Titel eines Szene-Bestsellers der Westberliner »Kommune 2« — breite Kreise erfaßt. Die neue Jugendbewegung, die dem Kommunegedanken in den 70er Jahren Auftrieb gab, erfahre so etwas wie gesell­schaftliche Achtung, weil sie »an geheime Fluchtwünsche des Normalbürgers« rühre »nach dem Freien, Grünen, Reinen«, formulierte der Journalist Peter Brügge im <Spiegel> (Nr. 33, 9.8.1971).

Die GRÜNEN griffen gleich nach ihrer Gründung das Thema <Alternative Lebens- und Arbeitsformen> auf. So heißt es im <Wahlprogramm '80 für Nordrhein-Westfalen>: Die Aufgabe »möglichst herrschaftsfreier Gemeinwesen« werde darin bestehen, Modelle einer sozialen Erneuerung zu sein und »als Bürgerinitiativen neuen Typs das im Allgemeininteresse Notwendige als machbar vorzuleben« (zitiert nach Bundesarbeits­gemeinschaft 1984, 106). 

Im Sindelfinger Programm <Gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau. Sinnvoll arbeiten — solidarisch leben> vom Januar 1983 wird der »Aufbau ganzheitlicher Gemeinschaftsprojekte« unterstützt. Solche »Großgemeinschaften« sollen »zu Keimzellen einer neuen sozial und ökologisch verant­wortlichen Gesellschaft werden« (zitiert nach ebd., 108).

Zur Vorbereitung der Offenen Bundesdelegiertenkonferenz am 4./5. Juni 1983 in Hannover, die der programmatischen Orientierung der grünen Partei nach der Bundestags­wahl dienen sollte, ließ Rudolf Bahro seine Thesen mit dem Titel <Kommune wagen> verteilen. Sie lösten in der Arbeitsgruppe <Alternativ- und Kommunebewegung> eine Auseinander­setzung um die Frage aus, »ob religiöse Momente für das Entstehen einer kommunitären Massenbewegung notwendig seien« (ebd., 109). 

Bahro postulierte in seinen Thesen:

Wenn es um die Fundamente einer neuen Kultur gehe, müsse man auf eine historische Erfahrung zurückgreifen, »die die Moderne — erst recht, wo sie sich links versteht — systematisch verdrängt hat« (Pfeiler, 203): die Erfahrung der Ordensgemeinschaften, die der aus dem Zusammenbruch der Antike hervor­gehenden abendländischen Kultur nicht nur wesentliche wirtschaftliche Impulse vermittelten, sondern auch eine neue Ordnung verbürgten.

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Der geistige Impuls aus den Klöstern — insbesondere jenen der Benediktiner — kam zustande, »indem sich Menschen darauf einließen, mit <Gott> als Inbegriff für unser transpersonales, letztlich dem Universum entstammendes Gattungswesen so intensiv zu kommunizieren, daß sie unter dem Schutt und den Panzerungen ihrer Sozialisation das eigene wahre Selbst wiederfanden — die Energiequelle ihrer charismatischen Wirkungen«.

Bahros Thesen gipfelten in der Forderung: »Wir brauchen ein neues Benediktinertum.« Dieses unterscheide sich allerdings in zwei Punkten ganz wesentlich vom alten, »die beide den Bruch mit den Grundlagen des Patriarchats betreffen«: Die neue »spirituelle Kultur wird nicht an die repressive monotheistische Gottesvorstellung anknüpfen, die dem orientalischen Despotismus entstammt und auf hierarchische Kirche hin angelegt ist«. 

Und die darauf fußende soziale Organisation »wird nicht an die Geschlechtertrennung und Sexualunterdrückung anknüpfen, die dem nahöstlichen wie dem hellenischen Ursprung des Christentums entsprach«. Dies bedeutete für Bahro nicht, das jüdisch-christliche Erbe in Bausch und Bogen verwerfen zu wollen — denn »glücklicherweise« habe »in der tiefsten Schicht des von ihm überlieferten Bildes Christus selber« das damals herrschende System aufgebrochen.

Jetzt komme es nur auf eines an: »Daß sich Initiator(inn)en finden, die ihren persönlichen Entschluß fassen, mit der Vorbereitung ihrer selbst und eines Projekts beginnen und einen Kreis von Mitstrebenden um sich sammeln.« (Ebd., 204) 

Ein erster Schritt dahin sollte die »Kommune-Begegnung« vom 21. bis 24. Juni 1984 auf Burg Stettenfels bei Heilbronn sein. Die Idee, das Treffen dort stattfinden zu lassen, stammte von Ursula Beneke, die mit der Besitzerin der Burg befreundet war. Eine bunte Schar kam an diesem für einen solchen Anlaß prädestinierten Ort zusammen: Männer und Frauen, die bereits in Kommunen und ähnlichen Gemeinschaften lebten; solche, die sich das wohl ernsthaft überlegten und auf der Suche nach einem ihnen entsprechenden Vorhaben waren; nicht zu vergessen die neugierigen Zaungäste (zu denen ich mich zählte).

Auf der Burg herrschte Wandervogel-Stimmung: Musik, Tänze, Sonnwendfeier. Der ganz in Weiß gekleidete Rainer Langhans mit seinem »Harem« erinnerte an die Kommunen der Achtundsechziger. Mit »Harem« bezeichnete Langhans nur halb ironisch den Kreis der drei Frauen um sich, mit denen er auch noch ein Jahrzehnt später verbunden war.

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(Später veröffentlichte Langhans ein ziemlich irritierendes Buch über seine Frauen-Erfahrungen: <Theoria diffusa aus Gesprächen mit drei Frauen. Infektionen zu Schattenarbeit im Reich des Lichthelden>. Aus anderer Perspektive beschrieb eine der »Haremsdamen«, die Filmemacherin Jutta Winkelmann, ihre Erfahrungen mit der Gruppe.)

Neben Langhans gab es auf der Burg noch ein paar andere Leute mit »Guru-Flair«, wie sich Michaela von Freyhold erinnert, die an den Vorbereitungen zur Kommune-Begegnung maßgeblich beteiligt war. »Sie konkurrierten dort darum, wer den größten Eindruck auf eine potentielle Anhängerschaft machen könnte. Rudi beteiligte sich auch an dem Wettkampf.« Allerdings habe man sich Bahro von seiner ganzen Persönlichkeit her kaum als charismatischen Meister vorstellen können. »Rudi hätte wohl gerne einer sein wollen — er war aber überhaupt nicht der Typ dazu.«

 

Eine Gruppe, die in den 80er Jahren auf keiner grünen Versammlung fehlen durfte, war selbstverständlich auch vertreten: die Nürnberger »Indianer­kommune«. Sie kämpfte für »das Recht auf Ausziehen von zu Hause ab ca. 12 Jahren, die Abschaffung der Schulpflicht« und vor allem für »das Recht für Kinder und Jugendliche, über ihren eigenen Körper selbst zu bestimmen«, wie es in einem Flugblatt hieß. Anführer war ein junger, psychisch schwer gestörter Mann, der von zu Hause oder aus Heimen entwichene Kinder und Jugendliche um sich sammelte. 

Zwischen ihm (er wurde »Uli« genannt) und Rudolf Bahro kam es zu einer Begegnung der für mich merkwürdigsten Art. Während eines Plenums ging Uli plötzlich auf Bahro zu und spuckte ihm ins Gesicht. Ursula Beneke, die diese Szene auch erlebte, war so betroffen von dem Vorfall, daß sie sich am nächsten Tag mit einem sehr emotionalen Beitrag zu Wort meldete. Diese Betroffenheit ist auch noch fast zwei Jahrzehnte später zu spüren, als ich sie in ihrer kleinen Parterrewohnung in Stuttgart besuche. 

Nach unserem ersten Telefongespräch hatte sie in ihren alten Notizen gekramt und tatsächlich noch die beiden Blätter gefunden, auf denen sie ihre Gedanken damals skizzierte: Wer Bahro beschimpfe, der meine auch sie 

»und all die Namenlosen, die für einen menschlichen Sozialismus eingetreten sind und das immer noch tun, die deshalb in der DDR nicht leben dürfen und in der BRD wahrscheinlich nicht leben können — in einem Land, das Menschen dazu bringt, daß sie auf Entgegenkommen nur mit Terror zu antworten vermögen. Die also nicht in einem Land leben können, in dem Freiheit so verstanden wird, daß Menschlichkeit und Solidarität auf der Strecke bleiben und Würde kein Wert mehr ist.«

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Viele dieser »Alternativen«, die sich auf Burg Stettenfels trafen, seien ihr als »hochnäsige Besserwisser« vorgekommen, die glaubten, den Stein der Weisen für sich gepachtet zu haben. »Der Dogmatismus, der da versammelt war, hat mich einfach umgehauen.«  

Sie hatte in der DDR an der Deformierung des sozialistischen Gedankens gelitten, doch die dort erlebte Solidarität stand ihr immer noch weit näher als die westliche Ego-Kultur, die sie selbst bei Linken und GRÜNEN erlebte. 

Persönlich hatten sich die Wege von Ursula Beneke und Rudolf Bahro schon früher getrennt — doch erst auf Stettenfels habe sie erkannt, daß ein Weg in Richtung Kommune nicht der ihre sein konnte.

Bahro sprach in seinem Vortrag über <Spirituelle Gemeinschaft als soziale Intervention> zunächst einmal von sich selbst: Ihn habe die Erfahrung der Internats­schule in der frühen DDR zutiefst geprägt, die noch vom Geist des Pädagogen Anton Semjonowitsch Makarenko durchdrungen gewesen sei. Dieser organisierte in der jungen Sowjetunion entwurzelte und verwahrloste Jugendliche in Kommunen, indem er »liebend an das Beste und Größte in ihnen« appellierte. 

Bahro las wie viele andere seiner Generation dessen berühmtes Buch <Der Weg ins Leben> und mußte dann »mühsam lernen, daß alles ganz anders ist, daß wir dabei waren, eine riesenwüchsige Staatskommune aufzuziehen, die aufgebrochen werden muß, wenn eine Gesellschaft nach Maß und Würde des Menschen daraus werden soll«. 

Diese Erinnerung an die Ideale seiner Jugend steht in nächster Nähe zu einem Thema, das Rudolf Bahro lebenslang beschäftigt hat und das er hier in aller Öffentlichkeit aussprach: seine Beziehung zu Frauen. Mich berührte damals auf Burg Stettenfels, von ihm zu hören, trotz einer Ehe und einer zweiten eheähnlichen Beziehung (er meinte die Verbindung mit Ursula Beneke) liege die »eigentliche Liebesbeziehung [...] als unerfüllte Aufgabe« (Gemeinschaft, 36) noch vor ihm. Wer wagt es schon, in der Rolle des Redners sein Innerstes so zu enthüllen, ohne Angst haben zu müssen, sich lächerlich zu machen? 

Auf die Frage, wie diese Passage von Bahros Rede auf sie gewirkt habe, erklärt Ursula Beneke heute: »Das war halt Rudolfs Sicht. Darüber habe ich mich nicht aufgeregt.«

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In seinem Vortrag entwickelte Bahro folgenden Gedanken: Der Übergang von einer »selbstmörderischen« zu einer »lebensgemäßen« sozialen Praxis könne nur »durch eine Umgestaltung des Bewußtseins gewonnen werden«. Dies bedeute im ersten Schritt: »Entidentifizierung großen Stils von allen Rollen, die wir im bisherigen Rahmen spielen und zu spielen gezwungen sind, solange wir keinen generellen Bruch riskieren.« 

Mit der »Bereitschaft, unser bürgerliches Individuum zur Disposition zu stellen«, gehen wir »auf ein Nichts zu, und ich kann nicht sehen, wie wir diese Herausforderung bestehen wollen, wenn wir uns nicht auf einen Halt beziehen, der jenseits aller Versicherungen besteht, die uns Gesellschaft geben kann«. Das heißt, wir haben es »wieder nötig, danach zu fragen, was Gott ist«: nicht den in den Kirchen »verloren« gegangenen, sondern »<Gott in uns>« (ebd., 37) — die alte Parole der Mystiker und Mystikerinnen.

Weil der Verstand in der menschlichen Evolution zu einem »Machtinstrument« verkommen sei, müsse man jetzt »riskieren, auf den biologischen Kern, auf die psychophysischen Elementarkräfte der menschlichen Natur zu bauen«. Dies bedeute nicht, die Ratio zu verwerfen, »sondern es soll ihre Abspaltung von der Natur, einschließlich unserer eigenen überwunden werden, damit der Verstand auch funktionell wieder wird, was er genetisch ist: ein Teil der Natur, ihr allerdings besonders avanciertes Organ« (ebd., 38). 

Die jetzt notwendige Revolution beginne mit einer Praxis des »inneren Handelns«. Bahro nahm Bezug auf ein Buch des Indologen und Yoga-Lehrers Rahimo Taube (<Die Lotosblüte bekommt Stacheln>) über innere Erfahrung und Gesellschaft. Inneres Handeln setze »die Selbstveränderung an die erste Stelle, wobei diese durchaus in einer unserem gewohnten Praxisbegriff analogen Weise verstanden wird, mit der Orientierung auf Praktizieren«. 

Es gehe um »Übungen, die uns verlorene Kommunikationsmöglichkeiten wiedergeben und neue dazugewinnen lassen. Man könnte von einer <material­istischen Spiritualität> sprechen, nicht zuletzt deshalb, weil sie unbedingt körperorientiert, körperbejahend, körperfreundlich statt körper­flüchtig wird sein müssen.«

Um die Zeit und den Raum inneren Handelns herum solle versucht werden, kommunitäre Gemeinschaften aufzubauen. Die Aufgabe von Kommune sei heute, Bedingungen für die »<Wiederherstellung göttlichen Geführtseins> zu schaffen, pars pro toto zunächst« (ebd., 39) — also zuerst im Kleinen, aber mit Blick auf die »Notwendigkeit einer Gesamtalternative«. (ebd., 40) An dieser Stelle so scheint es mir überschreitet Rudolf Bahro den bisherigen Horizont seiner politischen Vorstellungen.

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Er war in die Bundesrepublik gekommen und wollte eine bedeutende Rolle in der Politik spielen. Die GRÜNEN stellten das in seinen Augen am besten geeignete Instrument dar, um das Projekt einer Alternative zum Industriesystem im Bewußtsein vieler Menschen zu verankern. Seine Vorstellungen, wie das bewerkstelligt werden könnte, unterschieden sich zunächst noch nicht grundlegend von der Art und Weise, wie gewöhnlich Politik betrieben wird. 

Indem er — zumindest in seinem theoretischen Anspruch — die Selbstveränderung an die erste Stelle setzte, ging Bahro gedanklich über das hinaus, was eine Partei in der Regel leisten kann.

In der Gründungsphase und auch noch danach gab es bei den GRÜNEN durchaus Vorstellungen, sich nicht als Partei im normalen Sinn zu begreifen und eine vom üblichen Politikgeschäft abweichende Praxis zu entwickeln. Davon zeugt beispielsweise der von Petra Kelly verwendete Begriff der <Anti-Parteien-Partei>

Doch mit dem, was auch bei den GRÜNEN zunehmend den Alltag prägen sollte — der parlamentarischen Interessenvertretung —, ließ sich ein solcher Anspruch immer weniger einlösen. Mit seiner Rede auf Burg Stettenfels machte Bahro publik, daß er im Begriff war, neues Terrain zu begehen und den gesetzten Rahmen des Politischen zu sprengen.

Tags darauf hielt Helga Grubitsch ein Referat im Plenum und äußerte ihre Bedenken gegenüber Vorstellungen einer »unverfälschten Natur in uns«. Die Redaktion der Zeitschrift <Kommune> merkte nach diesem Treffen fragend an: »Wenn Religion (im weitesten Sinn) conditio sine qua non, also eine Bedingung ist, ohne die die Kommuneidee nicht verwirklicht werden kann, entsteht dann nicht die Gefahr, daß die <instrumentelle Vernunft> nur durch eine <instrumentelle Religion> abgelöst wird?« Und sie warnt davor, »nach dem Parteisektierertum in Kommunesektierertum zu verfallen« (ebd., 35).

Die von der <Kommune> anvisierte öffentliche Diskussion der verschiedensten Ansätze von Kommune-Bewegung, ihrer Praxis und Erprobung, fand in der Folge kaum noch statt. Die entsprechende Bundesarbeitsgemeinschaft der GRÜNEN existierte noch einige Zeit weiter und versuchte zu einer besseren Vernetzung solcher Gemeinschaften — beispielsweise hinsichtlich der Vermarktung ihrer Produkte — beizutragen. 

In <grün 2002>, dem im März 2002 verabschiedeten neuen Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen, fehlt jeglicher Hinweis auf neue Gemein­schafts­formen als Grundlage einer erneuerten Gesellschaft.

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Doch zurück zu den 80ern: 

Innerhalb des Kreises, der die Kommune-Begegnung organisierte, war es schon vor der Tagung auf Burg Stettenfels zum Disput darüber gekommen, ob im Konzept ganzheitlicher Großgemeinschaften, die das Sindelfinger Programm der GRÜNEN postulierte, nicht eine Verführung liege, den bisherigen »männlich-expansiven Weg fortzusetzen«. Dieser Einwand kam von Dorothea Mezger, die heute als Beraterin für Fragen der Entwicklungs­zusammenarbeit tätig ist. In einem Brief schrieb sie an Rudolf Bahro, »ob es nicht wichtiger wäre, statt eine neue Gesellschaft zu entwerfen, die bestehende zu heilen« — durch eine Praxis, die sich innerhalb der vorhandenen Verhältnisse von deren Normalität emanzipiert. 

In seinem Papier <Wozu Kommune?> warf Bahro diese und andere Fragen aus den vorbereitenden Gesprächen auf. Kritische Einwände kamen vor allem von Frauen: Wenn es um den Abbau patriarchaler Strukturen — auch im spirituellen Bereich — gehe, dürften sich dann Männer »jetzt überhaupt an die Spitze von Kommune stellen, wie berufen sie sich auch fühlen mögen? Nachdem ich diese Fragen für mich zuließ, meinte Elisabeth Otremba in der Vorbereitungs­gruppe zu mir, dann müßte ich mich jetzt also verweigern.«

Bahros Antwort blieb offen. »Sicher ist mir, wir müssen die Warnung vor der Flucht in die Aktivität (damit wir nur ja der Konfrontation mit uns selbst entgehen) aufnehmen. Werfen wir uns nicht aufs Großprojekte­schmieden als ersten Schritt! Beginnen wir vor allem nicht außen, sondern innen, mit der Gestaltung einer gemeinsamen spirituellen Praxis.« 

Und wieder die messianische Hoffnung: »Die Ansammlung spiritueller Kraft, die Assoziation von Menschen, die ein gemeinsames Energiefeld schaffen, das der alten Welt einen neuen Pol der Anziehung gegenüberstellt, wird zu einem bestimmten, nicht vorhersehbaren Zeitpunkt eine Schwellengröße überschreiten.« 

Gelinge es, solch eine »kritische Masse« zu akkumulieren, werde diese unter Umständen »transformatorischen Einfluß auf die Gesamtgesellschaft« gewinnen. Dies könne um so schneller eintreten, »als die Flammenschrift der exterministischen Nachrichten in immer größerer Dichte über die Wände läuft«. (Kommune, 45).

Es ist auffällig, daß sich Bahro in seinen Äußerungen und Veröffentlichungen jener Jahre — und auch später noch — kaum mit den Fragen und Problemen einer alternativen Wirtschaftsweise befaßte, wie sie damals verhandelt wurden. 

Bernd Vatter, einem seiner Kritiker, hielt er in der <Kommune> entgegen: Die »wirkliche Schranke« für die Kommune-Idee liege nicht im Ökonomischen, sondern »in der Macht der Gewohnheiten und Bequemlichkeiten, Blockierungen und Ängste« (wieder abgedruckt in <Pfeiler>, 235). 

Bahro wußte auch um seine eigenen Nöte: »Seit ich mich nun entschieden habe, direkt auf diese kommunitäre Perspektive zuzugehen, also selbst etwas anzufangen, Leute zu suchen, die so etwas mit mir zusammen machen wollen, seitdem ist mir natürlich noch viel klarer geworden, was mir dazu alles fehlt. Das Unerlöste und Unerledigte der eigenen Biographie holt einen viel stärker ein, wenn es an den Ursprung geht.« 

Am Rednerpult sei nicht so wichtig, »was alles an persönlicher Unzulänglichkeit, etwa an persönlichen Machtansprüchen, nicht bewältigt worden ist; aber wenn man sich in die Mitte so einer Gemeinschaft stellt und dann vielleicht noch überproportionalen Einfluß ausübt, kann die kleinste Schlacke, die man sich nicht ausgetrieben hat, oder die man sich nicht zumindest völlig bewußt gemacht hat und die für das Kollektiv nicht offen daliegt, das Ganze verderben« (<Gemeinschaft>, 36). 

Bahro hatte Angst, Erwartungen auf sich zu ziehen, die er nicht würde erfüllen können. So heißt es in einem an mich gerichteten Brief vom 16.01.1984: »Je konkreter, desto unsicherer bin ich selbst. Wie weit gleicht man dem guten Geist, den man rufen möchte?«

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Von Kurt Seifert  #  www.detopia.de  #  bahrostart     ^^^^