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11  Sterbende Erde 

Brandenburg-1999

 

 

283-308

Der Mars starb. Der Lyot-Einschlag scheint ihn getötet zu haben. Wenn das stimmt, hat dieser Einschlag den Mars — indem er bewirkte, daß der Planet aus dem durch Treibhausgase erwärmten Zustand in den heutigen überging — in eine gefrorene leere Hülle verwandelt.

Und darum endete die Erosion des Mars durch flüssiges Wasser nach der späten Hesperianischen Periode. Das Wasser hörte also in der frühen Amazonischen Periode auf zu fließen, nachdem der Lyot-Meteorit eingeschlagen war. Der Mars starb wie die Dinosaurier. Der genaue Zeitpunkt ist schwer zu ermitteln, weil die Unterscheidung der beiden Perioden auf relativen Krater­zählungen beruht und wir die genaue Kraterbildungsrate nicht kennen, so daß keine verläßlichen Werte vorliegen. Wenn sie aber viermal so hoch wäre wie auf dem Mond, dann liegt der Übergang zur Amazonischen Periode eine halbe Milliarde Jahre zurück.

Der Tod des Mars durch einen Asteroideneinschlag fiel zeitlich ungefähr mit einem wichtigen Abschnitt der Erd­geschichte zusammen, nämlich mit der sogenannten präkambrischen Explosion. Während des Prä­kambriums traten mehrzellige Organismen auf und entwickelten sich in rasantem Tempo. Könnten nach dem Einschlag des Lyot-Meteoriten auf dem Mars höher entwickelte mehrzellige Lebewesen mit Meteoriten zur Erde gelangt sein und dort plötzlich neue Lebensformen hervorgebracht haben? Könnte das auf dem Mars ausgelöschte Leben wie Phönix aus der Asche auf der Erde neu aufgeblüht sein? Könnte es sein, daß die Panspermie-Theorie zutraf? Was müßten wir daraus folgern?

Es ist für einen Wissenschaftler nicht leicht, sich auf einen Mann zu berufen, der vor 100 Jahren gewirkt hat, aber es scheint so, als könnten die Vorstellungen von Svante August Arrhenius über die biologischen Vorgänge im Kosmos, die lange Zeit so absurd erschienen, doch stichhaltiger sein, als wir bisher annahmen. Könnte dieser brillante Geist ebenso prophetisch gewesen sein, als er vor fast einem Jahrhundert voraussagte, daß wir durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe einen Treibhauseffekt hervorrufen würden, der das thermische Gleichgewicht auf unserem Planeten verändert?

Mit dieser Prognose war er offensichtlich im Recht, aber niemand hat auf seine Warnungen gehört.

Leider kann man unschwer voraussagen, daß der Treibhauseffekt Krieg und Unruhen in die ohnehin geschundene »Dritte Welt« bringen wird. Die Menschheit ist der instabilste und empfindlichste Teil der Biosphäre, insbesondere ihre wirtschaftlichen und politischen Systeme. Die Länder der »Dritten Welt« liegen vor allem in den Tropen, und dort kommen instabile politische Verhältnisse und die verheerendsten Folgen des Treibhauseffekts zusammen. Umweltbedingte Belastungen gehören zu den Faktoren, die vernünftigem Denken und Handeln am stärksten im Weg stehen. Vielleicht erleben wir heute schon die Auswirkungen des Treibhauseffekts auf die Staaten der tropischen Regionen.

Die wichtigsten nationalen und internationalen Bestrebungen in der »Dritten Welt« müssen dem Frieden gelten. Die Umwelt­belastung wird dazu führen, daß nicht einmal mehr der Schein von Demokratie gewahrt wird oder daß die Staaten auseinanderbrechen. Einer der erschreckendsten Aspekte der Kriege und Bürgerkriege in Afrika zeigt sich darin, daß sie für Außenstehende völlig unbegreiflich sind. Aber nicht nur in der »Dritten Welt« führen klimabedingte Probleme zu anarchischen Verhältnissen. In den Tagen nach den Verwüstungen durch den Wirbelsturm »Andrew« im August 1992 herrschten in großen Teilen von Miami, Florida, fast gesetzlose Zustände, es kam zu Plünderungen und Unruhen. Erst die US-Nationalgarde konnte die Ordnung wiederherstellen. 

In dem Maße, in dem weltweit die Temperaturen ansteigen, nimmt auch die Unvernunft zu. Eine Nation erhebt sich gegen die andere, und zwar nicht etwa aus ideologischer Feindschaft oder wegen der Gier nach verborgenen Ölreserven; worum es geht, ist Wasser und Ackerland. Die Türkei und Syrien standen 1998 kurz vor einem Krieg. Als Vorwand diente der Terrorismus, aber der wirkliche Grund war das Wasser des Euphrat.1

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Somalia war einer der ethnisch homogensten Staaten in Afrika, einem Kontinent, der für seine Stammes­konflikte bekannt ist, und galt daher als stabilster afrikanischer Nationalstaat. Aber Somalia liegt am Rand einer Wüste. Ein Bürgerkrieg brach aus, es folgte eine Trockenperiode, und die Nation stand bald vor dem Untergang. Somalia war zu gut bewaffnet, um befriedet zu werden, und zu chaotisch, um erobert zu werden. Sogar in seinem geschwächten Zustand versuchte Somalia sozusagen noch, die Hand derer zu beißen, die das Land mit Hilfsgütern versorgen wollten. Daher ließ die Welt Somalia gewissermaßen links liegen. Die Menschen in Somalia hungern wieder, aber die Medien und die Nachrichtenagenturen wollen oder können nicht über das Elend berichten. Schiere Hoffnungslosigkeit gibt nichts her für die Rundfunk- und Fernseh­anstalten. So hungert Somalia abseits des Weltgeschehens. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Gibt uns das einen Vorgeschmack auf die Berichterstattung über künftige Katastrophen, die vom Treibhaus­effekt hervorgerufen werden? Werden wir einfach wegsehen?

 

Viele vom Chaos beherrschte Regionen der »Dritten Welt« grenzen an Wüsten oder liegen in der Nähe des Äquators. Wenn sich die Erde erwärmt und die Ressourcen schwinden, wird die Verzweiflung wachsen, und die Unvernunft wird regieren. Streitigkeiten, die früher beigelegt wurden, eskalieren dann vielleicht zu blutigen Auseinandersetzungen. Im südlichen Algerien, wo muslimische Fundamentalisten die Bevölkerung mit Massakern terrorisieren, ist das Klima am Rand der Sahara inzwischen so heiß geworden, daß dieser Land­strich kaum noch bewohnbar ist. In Ruanda, dicht am Äquator gelegen, wo ethnischer Haß zu einem Völker­mord führte, wie ihn die Welt seit der Nazizeit nicht mehr erlebt hat, war eines der Probleme die hohe Bevölkerungsdichte.

Wenn die Temperatur der Erde ansteigt, könnte sich auch das Temperament der Menschen aufheizen, so daß die Überbevölkerung noch unerträglicher wird. Dann würde, wie so oft in der Mensch­heitsgeschichte, der Mordtrieb geweckt und der Kampf um die lebenswichtigen Ressourcen geriete außer Kontrolle.

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Die Abschätzung der tatsächlichen Auswirkungen des Treibhauseffekts ist unter anderem deshalb so schwierig, weil das globale System so komplex ist und ein so großer Teil der Treibhausgase auf biologischem Wege emittiert und absorbiert wird. Wie bereits besprochen, ist ein wichtiger und schwer einzuschätzender Teil der Biosphäre, die das Klima beeinflußt, die Menschheit selbst. Aber auch die übrige Biosphäre schafft Probleme. Weil ein Teil der Klimaveränderung biologisch bedingt ist, kann es zu unerwarteten Wechselwirkungen mit anderen Faktoren kommen. Das kann unliebsame Überraschungen mit sich bringen. Ein Beispiel dafür ist der Zusammenhang zwischen Treibhauseffekt und Ozonloch. An Eiskristallen in der Stratosphäre vollzieht sich die Katalyse der Ozonzersetzung. Häufigere und intensivere Gewitter in den Polargebieten, hervorgerufen durch den Treibhauseffekt, erhöhen den Anteil der Eiskristalle in der Stratosphäre.

Eine andere unliebsame Überraschung ist die kürzlich entdeckte Tatsache, daß die Pflanzen im Regenwald nicht wärmetolerant sind: Wenn es zu heiß wird, sterben sie ab.2 Wer hätte das vorhersagen können?

Inzwischen sieht es so aus, als könnten einige Regenwälder, anstatt das Kohlendioxid aufzunehmen, zu Kohlendioxid­lieferanten werden. Große Teile der Regenwälder werden durch Brandrodung vernichtet, als gelte es, eine lästige und überflüssige Erscheinung aus der Welt zu schaffen. Nach einer Studie aus dem Jahr 1995, in der Zeitschrift Nature veröffentlicht, erwiesen sich — entgegen unserer Erwartung, daß Regenwälder Kohlendioxid aufnehmen — die Tropen zwischen 30 Grad nördlicher und 30 Grad südlicher Breite im Jahr 1992 per saldo als Quelle von ungefähr 1,7 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die in die Atmosphäre gelangten. Die Autoren meinen, daß dieser Wert auf das »Verbrennen von Biomasse zurückzuführen sein könnte«.3

Das bedeutet, daß das Gebiet um den Amazonas, ferner der größte Teil von Äquatorialafrika sowie große Teile von Südostasien und sogar Teile von Südeuropa zu unfruchtbaren Wüsten werden können, wenn die Temperaturen weltweit zu stark steigen. Unterdessen verfolgen Brasilien und Südostasien weiterhin ihre kühnen Träume von der wirtschaftlichen Entwicklung.4)  

Wenn die Entwicklung aber auf dieselbe Weise vorangetrieben wird wie bisher, wird die derzeitige Biomasse der Tropen verrotten oder verbrennen und noch mehr Kohlendioxid freisetzen, und es wird ein immer breiter werdender Wüstengürtel die Erde umspannen.5) 

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Im westbrasilianischen Staat Rondonia entsteht bereits eine Amazonas-Wüste. Soweit das Auge reicht, gibt es dort nur roten, trockenen und rissigen Boden. Der rote Staub erfüllt die Luft, und sogar der Himmel ist rötlich gefärbt. Noch vor zehn Jahren war hier dichter Dschungel. Durch massiven Einschlag und Brandrodung wurde Platz für Ackerland geschaffen. Aber da der Dschungelboden gewöhnlich arm ist an Nährstoffen, taugten die so gewonnenen Flächen nur als Weideland. Sobald es überweidet war, trocknete der Boden aus, und Wüste machte sich breit. Sogar die landlose Bevölkerung, die dieses Weideland dem Regenwald entrissen hatte, zog weiter nach Westen, wo sie dasselbe Werk der Zerstörung nun im Amazonas-Regenwald fortsetzte. Wir schaffen also die Amazonien-Wüste des Mars hier auf der Erde neu. Wenn dieser Wahnsinn überhaupt einen Nutzen hat, dann den, daß die Wüstenbildung am Amazonas vielleicht auch die eingefleischtesten Skeptiker von der Realität des Treibhauseffekts überzeugen wird.

Aber uns erwarten noch mehr unliebsame Überraschungen. Als wir dieses Manuskript abschlossen, berichtete der Online-Nachrichten­dienst von ABC von einer Studie, der zufolge schon eine Erwärmung der arktischen Tundra um nur zwei Grad Celsius die Freisetzung von Kohlendioxid aus dem Boden deutlich steigern und den Treibhauseffekt beschleunigen kann.6) 

 

Das Gaia-Prinzip ist eine der interessantesten und mystischsten Vorstellungen vom Zusammenspiel der Biosysteme unserer Erde. Es könnte definiert werden als die Vorstellung von komplexen Ökosystemen, die ihre eigenen günstigen Lebensbedingungen schaffen und auf negative äußere Einflüsse so einwirken, daß sich deren Folgen für sie auf ein Minimum reduzieren. Ein einfaches Beispiel: Ein Regenwald breitet sich aus, weil seine Vegetation Feuchtigkeit speichert und dadurch wieder Regenwolken anzieht, die über ihm schweben. Dabei wandert die Feuchtigkeit durch die Lebensvorgänge der Pflanzen vom Boden nach oben und gelangt in die Wolken, die sie als Regen wieder abgeben.

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Nach dem Gaia-Prinzip besteht die Antwort der Biosphäre auf eine steigende Kohlendioxidmenge und die dadurch hervorgerufene globale Erwärmung darin, daß der Pflanzenwuchs verstärkt wird, so daß mehr Wärme zum Himmel reflektiert und mehr Kohlendioxid aufgenommen wird. Das Gaia-Prinzip repräsentiert auch die Hoffnung, daß die Biosphäre die negativen Veränderungen, die durch das Zutun der Menschen stattfinden, abschwächen wird. Aber auf dem Mars hat das Gaia-Prinzip versagt. Welche Lebensformen der Mars auch beherbergt haben mag, sie konnten die Kräfte nicht besiegen, die aus ihrem Planeten eine Ödnis gemacht haben. Das Gaia-Prinzip spiegelt im günstigsten Fall die potentielle Fähigkeit der Biosphäre wider, sich von einer Katastrophe zu erholen. Aber diese Fähigkeit hat ihre Grenzen. Wahrscheinlich gibt es so etwas wie das Gaia-Prinzip in den Ökosystemen der Erde, aber Gaia kann weder kluge Vorausschau ersetzen, noch kann sie gegen den rücksichtslosen Raubbau der Menschen auf Dauer ankommen.

 

Das Amazonas-Gebiet produziert ein Viertel des Sauerstoffs der ganzen Erde. Der Regenwald fängt das Sonnenlicht ein und benutzt es in der Photosynthese höchst effizient zur Produktion von Sauerstoff. Wenn Photonen, also Lichtpartikel, das oberste Dach des Regenwaldes durchdrungen haben, müssen sie noch zwei weitere Dächer überwinden, bevor sie am Boden absorbiert oder reflektiert werden können. Wohin sie auch fallen, sie treffen stets auf Grün. Auf Grasflächen können Photonen dagegen reflektiert oder vom Boden absorbiert werden. Daher produzieren Grasflächen bei gleicher Grundfläche weniger Sauerstoff und absorbieren weniger Kohlendioxid. Die Tatsache, daß Kohlendioxid und Sauerstoff sowohl bei der Photosynthese als auch bei der Verbrennung und der Atmung jeweils gegeneinander ausgetauscht werden, führte auch zu der Entdeckung, daß der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre abnimmt.

 

Die weltweite Verminderung des Sauerstoffanteils in der Luft (OID) ist das wohl beunruhigendste und gefährlichste aller globalen Umweltprobleme, denen wir derzeit gegenüberstehen.7) Die Abnahme um ungefähr 50 bis 70 ppm, wie sie seit 1958 geschätzt wird, scheint uns vielleicht gering angesichts der 210.000 ppm, die in der Atmosphäre vorhanden sind. Aber Sauerstoff ist für uns so lebenswichtig, daß wir schon bei der geringsten Abnahme hellhörig werden müssen.

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Der Verminderung des Sauerstoff­bestandes muß Einhalt geboten werden, solange sie noch keine lebensbedrohlichen Ausmaße angenommen hat.

Um das zu erreichen, müssen wir schleunigst auf fossile Brennstoffe verzichten, weite Flächen der Erde wiederaufforsten und unsere Meere wirksamer schützen. Das alles mag einfach klingen, aber es setzt enorme wirtschaftliche Anstrengungen voraus und wird von so manchem wahrscheinlich als bittere Medizin empfunden in einer Zeit, die bedingungslos der freien Marktwirtschaft huldigt.

Sauerstoff ist eines der reaktivsten Gase in der Natur und existiert in der Biosphäre nur wegen der ständig ablaufenden Photosynthese. Im Unterschied zum Kohlendioxid hat er keine geo-chemische Quelle. Er ist ein hochsensibler Indikator für die Gesundheit wie für die Beeinträchtigung der Biosphäre. Das Vorhandensein von Sauerstoff ist die wichtigste Voraussetzung für das Leben auf der Erde, und die Vorräte nehmen ab. Der Sauerstoffbestand wird von zwei Seiten bedroht: zum einen durch das Verbrennen von Fossilien, durch das Sauerstoff verbraucht wird, zum zweiten durch die Zerstörung des Sauerstoff produzierenden pflanzlichen Lebens auf dem Land und im Wasser. Jeder Eingriff, der die Lebensfähigkeit des Algen-Plankton-Komplexes in den Meeren beeinträchtigt, und alles, was zur Wüstenbildung und Entwaldung führt, vermindert die Sauerstoffproduktion.

 

Christy Booker kann ein Lied davon singen, wie lebenswichtig der Sauerstoff ist. Seit ihrer Kindheit war Christy Stammgast in den Ambulanzen der Krankenhäuser, weil sie von schweren Asthmaanfällen heimgesucht wurde, was gewöhnlich mehrmals im Jahr passierte. Heute, als Erwachsene, kann sie uns ihre Erfahrungen schildern. Sie erzählt uns von einem Asthmaanfall im Dezember 1997:

»Es kann zu jeder Tages- und Nachtzeit beginnen. Diesmal fing es morgens um 5 Uhr an. Ich war die Nacht über alle paar Stunden aufgewacht und mußte meinen Inhalator benutzen. Ich mache das inzwischen fast im Schlaf, ohne zu überlegen, wie lange das schon so geht. Wenn es spät in der Nacht ist und ich zu schlafen versuche, überprüfe ich meinen Peak-Flow normalerweise nicht. [Der Peak-Flow ist das Volumen der ausgeatmeten Luft pro Atemzug, ermittelt mit einem Peak-Flow-Meßgerät.8] Ich brauche ihn nicht zu messen.

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Ich merke ja, daß ich kaum atmen kann. Es fühlt sich an, als würde jemand auf meiner Brust sitzen und versuchen, alle Luft aus mir herauszupressen. Ich höre ein zischendes Geräusch, während ich mühsam atme. Ich träume dann meistens, jemand würde versuchen, mich zu erwürgen, bis ich aufwache und feststelle, daß es wieder einmal ernst wird.

Wenn es am Morgen langsam hell wird, versuche ich, mich zu erinnern, wie oft ich in der Nacht aufgewacht bin und den Inhalator benutzt habe. Ich soll ihn möglichst nur alle vier Stunden benutzen. Morgens inhaliere ich als erstes, weil ich mich nicht erinnern kann, wann ich es das letzte Mal getan habe. Ich bin Brillenträgerin und kann in der Nacht beim Aufwachen die Uhr nicht erkennen. Meinen Inhalator finde ich blind.

An diesem Morgen maß ich meinen Peak-Flow, und das Gerät zeigte einen Wert von 150 an. Meine >normalen< Werte liegen zwischen 400 und 500, und der Wert 150 ist gefährlich niedrig.

Ich muß eigentlich in die Klinik, wenn der Wert dermaßen niedrig ist, aber diesmal wartete ich eine halbe Stunde ab, ob ich das Problem mit Inhalieren in den Griff bekommen konnte. Danach war der Peak-Flow aber immer noch nicht höher als 155, also war das Inhalieren kein Erfolg gewesen. Nun wußte ich, daß ich handeln mußte. Ich weckte meinen Mann, und wir überlegten, was wir tun sollten. Wenn ich meinen Arzt anrief, würde er mich sofort ins Krankenhaus schicken, und davor graut mir einfach. (Ob Sie es glauben oder nicht, ich absolviere gerade eine Ausbildung zur Krankenpflegerin.) Sie haben dort meistens Schwierigkeiten, mir die Infusionskanüle anzulegen, was aber für einige der Medikamente nötig ist. Davor fürchte ich mich jedesmal.

Als ich den Arzt anrief, war es 6 Uhr, und mein Peak-Flow-Meßgerät zeigte nur noch 145 an, Tendenz fallend. Ich fühlte mich schwach und zeitweise schwindlig, hatte kaum Kraft zu sprechen, die Telefonnummer zu wählen oder auch nur darüber nachzudenken, was ich sagen sollte. Wenn das passiert, gerate ich immer in Panik. Diesmal fiel meine Brille herunter und ging kaputt. Ich brach in Tränen aus, worauf mir das Atmen noch schwerer fiel, was meine Panik verstärkte. Es fühlt sich an, als würde man überhaupt keine Luft mehr bekommen, man schnappt nach Luft, aber es kommt kein Sauerstoff in die Lunge.

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Ich habe schreckliche Angst, wenn ich darüber nachdenke, was in so einer Situation alles passieren kann. Was ist, wenn ich es nicht bis zum Krankenhaus schaffe? Was ist, wenn ich ohnmächtig werde? Was ist, wenn ich sterbe? Solche Gedanken gehen einem dann durch den Kopf.

Mein Mann fuhr mich ins Krankenhaus. Wir saßen im Wartezimmer, und mein Peak-Flow-Meter zeigte allmählich immer geringere Werte an. Schließlich wurde ich ins Sprechzimmer gerufen. Als der Arzt meinen Zustand erkannte, hatte ich 20 Minuten Wartezeit hinter mir, und mein Gerät zeigte nur noch 135 an. Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, nicht mal dafür reichte meine Kraft. Ich wollte mich nur noch hinlegen. In der Ambulanz wurde ich mit einem anderen Inhalator behandelt, und nach 30 Minuten war der Peak-Flow-Wert auf 175 gestiegen. Das ist immer noch nicht besonders gut, und ich mußte im Abstand von jeweils 15 Minuten noch zweimal inhalieren. Eine halbe Stunde später las ich am Peak-Flow-Meter 250 ab. Also war zumindest eine gewisse Verbesserung erreicht.

Der Notarzt schickte mich nach Hause, ermahnte mich aber, sofort wiederzukommen, wenn sich mein Zustand wieder verschlechtern sollte. Ich fühlte mich ein ganz klein wenig besser, als wir gingen, aber mein Mann bemerkte, daß meine Lippen blau wurden — ein deutliches Zeichen für Sauerstoffmangel. Ich nahm alle Kraft zusammen und schleppte mich bis zu unserem Wagen. Ich fühlte mich so ausgelaugt, als hätte ich bis zur völligen Erschöpfung gearbeitet. Als wir losfuhren, zeigte mein Peak-Flow-Meter 200 an.

Während der rund 20minütigen Fahrt fiel der Wert auf 150, und wir fuhren zur Abwechslung (haha) einmal ins Krankenhaus. Nachdem ich noch einmal inhaliert hatte, wurde es wieder etwas besser (der Wert schwankte jetzt zwischen 200 und 250), aber mir ging es immer noch schlecht. In dieser Nacht fiel der Wert auf 100, was lebensgefährlich ist, und ich geriet in Panik. Ich hatte das Gefühl, gleich sterben zu müssen. Ich war so erschöpft, nachdem ich den ganzen Tag über nur mühsam Luft bekommen hatte, daß ich am liebsten einfach aufgehört hätte zu atmen. Es tat so weh, daß ich einfach nicht mehr wollte. Meine ganze Rückenmuskulatur schmerzte von der ungeheuren Anstrengung.

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Die Ärzte teilten meinem Mann mit, daß sie mir einen Intubator legen wollten. [Der Intubator wird in die Luftröhre eingeführt.] Ich bekam schreckliche Angst. Der Arzt verkürzte den Medikationsrhythmus auf eine Stunde, und mein Herz begann wie wild zu rasen. Es hämmerte so, daß ich es schlagen hören konnte. Von bestimmten Medikamenten wird der Herzschlag wirklich rasend schnell. Dann lag ich einen Tag auf der Intensivstation.

Nachdem ich die Medikamente zwölf Stunden lang genommen hatte, setzte allmählich eine leichte Besserung ein. Die Dosis wurde jetzt alle zwei bis drei Stunden reduziert, und ich wurde zur Überwachung meiner Herzfunktion in die Kardiologie verlegt. Nachdem sich meine Atmung so weit beruhigt hatte, daß ich die Medikamente nur noch alle vier Stunden nehmen mußte, wurde ich wieder verlegt, diesmal auf eine normale Krankenstation.

Fünf Tage später war Weihnachten, und ich wollte nach Hause zu meinem Mann und den Kindern. Der Arzt ließ mich ungern gehen, aber ich erholte mich einigermaßen und mußte nicht noch einmal in die Klinik zurück. Ich war zwei Wochen lang krankgemeldet, und meine Peak-Flow-Werte lagen im ersten Monat nach dem Anfall zwischen 250 und 300. Ich nahm meine Medikamente ein paar Wochen lang in sehr hohen Dosen ein, dann begann ich sie langsam wieder zu reduzieren. Es dauerte noch einen ganzen Monat, bis ich meine >normalen< Dosierungen wieder erreicht hatte. Nach zwei Monaten hatte ich stabile Peak-Flow-Werte um 300, und nach drei Monaten war ich wieder bei 400 angelangt.

Derzeit liegt mein Peak-Flow bei rund 500, aber meine Bronchien sind in keinem guten Zustand, nicht einmal an einem problemlosen Tag. Der Anfall hat bleibende Schäden hinterlassen. Ich kann mich noch nicht anstrengen oder weite Strecken zu Fuß zurücklegen, ohne daß ich ein Gefühl der Enge in der Brust spüre und meinen Inhalator brauche. Und sollte ich mich erkälten, werde ich innerhalb weniger Tage ins Krankenhaus müssen. Ich bin froh, daß ich lebe — meine Familie braucht mich —, aber ich weiß nicht, ob ich je wieder die alte sein werde.«

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Christy Booker überlebte diesen gefährlichen Asthmaanfall. Viele andere haben weniger Glück. Die Zahl der Menschen, die an Asthma sterben, ist dramatisch angestiegen. Von 1980 bis 1993 hat sich bei den Fünf- bis 24jährigen die Asthma-Sterberate fast verdoppelt.9 In den USA ist sie bei der schwarzen Bevölkerung fast dreimal so hoch wie bei der weißen. Am höchsten ist sie bei den Afroamerikanern, die in Städten wohnen.10 Aber dieses Phänomen betrifft nicht nur amerikanische Großstädte. Asthma tritt immer häufiger auf, weltweit sterben immer mehr Menschen daran. Selbst bei optimaler medizinischer Versorgung spielen sich Szenen, wie Christy sie uns dankenswerterweise geschildert hat, täglich tausendfach ab. Oft genug nehmen sie einen tödlichen Ausgang.

 

Die Religion hat ausgedient als Opium fürs Volk, an ihre Stelle sind ökologische Platitüden getreten. Man erzählt den Menschen, daß eine weltweite Temperaturerhöhung um ein paar Grad Celsius nichts weiter zu bedeuten habe, als daß man die Klimaanlage höherdrehen müsse. Man erzählt ihnen auch, daß es nicht sehr schlimm kommen würde, sondern daß die Veränderungen so langsam vonstatten gingen, daß wir unsere Strandhäuser noch rechtzeitig abbauen und landeinwärts neue errichten könnten, wenn der Meeresspiegel ansteigen wird. 

So aber sieht die globale Erwärmung nicht aus, die wir derzeit erleben. Sie zeigt sich in der afrikanischen Sahelzone in einer erbarmungslosen Trockenheit, die Millionen Menschen zwingt, ihre Heimat zu verlassen und in Flüchtlingslagern aufs Überleben zu hoffen. Sie zeigt sich in Wirbelstürmen von einer nie gesehenen, mörderischen Gewalt, die das wirtschaftliche Leben nicht nur Mittelamerikas, sondern in weiten Gebieten der Tropen weltweit zum Erliegen bringen. Und sie zeigt sich in tropischen Krankheiten und Parasiten, die vor der Hitze nach Norden zurückweichen und in Gegenden Epidemien auslösen, wo man sie noch nie zuvor erlebt hat.

 

Eine Grüppchen Menschen stieg umständlich in die Schutzanzüge und setzte die Schutzbrillen auf. Die Anzüge waren gut isoliert, und die Brillen schützten die Augen und waren gegen Beschlagen gesichert, damit die Sicht der Träger nicht behindert wurde.

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Als sie bereit waren, traten sie aus dem Schatten ihrer Fahrzeuge und stapften durch den glühendheißen Sand zu den Kratern, die in der Ferne lagen. Um sie herum erstreckte sich der Sand in bizarren Dünen von einsamer Schönheit bis zum Horizont, darüber nur ewigblauer Himmel.

Die Krater waren groß und überragten die Dünen ein Stück. Die Meteorite, die sie vor Jahrhunderten gegraben hatten, waren mit solcher Wucht auf die Erde geprallt, daß der Sand zu Glas geschmolzen war — wie nach einer oberirdischen Atomexplosion. Die Luft flimmerte über der erhitzten Landschaft, die Temperatur war auf über 50 Grad Celsius gestiegen. So sehr sie sich darauf gefreut hatten, die Krater endlich zu sehen — schließlich waren sie eigens deshalb von weither gekommen —, konnten sie den Anblick doch nicht lange genießen. Die Schutzanzüge funktionierten nicht richtig, und so beeilten sie sich, zu ihren klimatisierten Fahrzeugen zurückzukommen. Einer aus der Gruppe, dem die Hitze und die Erschöpfung zu sehr zugesetzt hatten, fing an, in einem Gemisch aus Englisch und Arabisch unverständliches Zeug vor sich hin zu brabbeln.

 

Diese Szene spielte sich nicht auf einem fernen Planeten ab, sondern auf unserem eigenen. Die geschilderte Landschaft ist die Wüste Rub-al-Khali zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dort wachsen nur die widerstands­fähigsten Pflanzen, es gibt praktisch kein Wasser. Die Luft ist so heiß, daß sogar die Kamele sterben. Es war dort schon immer sengend heiß, aber inzwischen ist es noch schlimmer. Dies ist eines von vielen Gebieten auf diesem Planeten, die wegen der Hitze unbewohnbar sind. Aber es werden immer mehr.

Wir machen aus der Erde allmählich einen marsähnlichen Planeten. Während wir damit beschäftigt waren, unseren Nachbarplaneten zu erforschen, auf ihm Leben suchten und Verwüstung fanden, ließen wir es zu, daß unsere Erde allmählich dem Mars ähnlich wird. Offenbar haben wir immer noch nicht verstanden. Aber in Wahrheit ist es so einfach. Blicken wir in den nächtlichen Himmel und suchen wir den roten Planeten. Der Mars ist ein Anschauungsobjekt erster Güte. Schauen wir ihn uns genau an.

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Der Mars hatte einmal einen Ozean, der größer war als der Pazifik.
Der Mars hatte einmal eine Atmosphäre.
Der Mars hatte einmal Leben.
All das ist aus und vorbei.

 

Das Unglück bricht bei großen Katastrophen geballt über uns herein, aber auch bei schweren Unfällen kommen viele widrige Umstände zusammen. Die Titanic war drei Wochen später als ursprünglich geplant in See gestochen, weil ihr Schwesterschiff, die Olympic, bei einer Kollision beschädigt worden war und ins Trockendock gebracht werden mußte. Der Winter war in jenem Jahr verhältnismäßig mild, und als die Titanic auf ihrer Jungfernfahrt durch den Atlantik pflügte, hatte das Packeis bei Grönland zu tauen begonnen, und Tausende von Eisbergen trieben im Wasser. Die Wachhabenden auf dem Schiff hatten keine Ferngläser, die Nacht war mondlos. Die See war ruhig, so daß keine Schaumkronen den Eisberg verrieten. Der verhängnisvolle Eisberg war kurz zuvor gekippt, so daß nun sein dunkelster Teil aus dem Wasser ragte. Und das Schiff war viel zu schnell. Wir können uns das Szenario einer globalen Katastrophe ganz ähnlich vorstellen.

Wenn wir Menschen eine ähnliche Haltung an den Tag legen wie die Besatzung der Californian, so wie es manche Wissenschaftler gern hätten, wenn wir uns also einreden, das Ozonloch und die globale Erwärmung würden sich in Wohlgefallen auflösen, sofern wir die Statistiken nur richtig auswerten, dann könnte das folgende Szenario zur Realität werden: Die Menschheit macht fröhlich weiter wie bisher, und fossile Brennstoffe dienen wie bisher dem Fortschritt. Anstatt unangenehme oder politisch brisante Entscheidungen zu treffen, beispielsweise in die Erforschung der Kernfusion zu investieren oder rigorose Umweltschutzgesetze zu erlassen, entscheiden sich die Industriestaaten dafür, sich sozusagen durch den Temperaturanstieg durchzuwursteln. Stellen wir uns vor, Amerika und Europa hätten zu viel Furcht vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch, um den Kurs zu korrigieren.

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Das Ozonloch dehnt sich aus, in einem verhängnisvollen Zusammenspiel mit der globalen Erwärmung, die immer mehr katalytisch wirkende Eiskristalle in die Stratosphäre gelangen läßt. Aber diese Vorgänge spielen sich weit weg im hohen Norden und im tiefsten Süden ab, nicht im Herzen der Weltmächte. Der Meeresspiegel steigt an, in den Tropen herrscht brüllende Hitze, aber die Medien haben aufgehört, darüber zu berichten. Der Regenwald am Amazonas wird zur Amazonas-Wüste. Der Sauerstoff­gehalt der Atmosphäre sinkt, aber die Profite derer steigen, die O2 in Flaschen abfüllen.

 

Am Äquator bildet sich eine Hochdruckzone, die Trockenheit über Zentralafrika und Brasilien bringt, der Nil trocknet allmählich aus, und die Monsune bleiben aus. Zu irgendeinem unseligen Zeitpunkt tritt dann plötzlich ein unerwartetes und folgenschweres Ereignis ein — ein Vulkan bricht aus, die Meeresströmungen ändern unvermittelt ihre Richtung, ein Asteroid trifft auf die Erde (wer glaubt, solche absurden Dinge passieren nicht, hat bei der Geschichte vom Leben auf dem Mars nicht aufgepaßt), Pakistan und Indien lösen einen Atomkrieg aus, in den China und Rußland hineingezogen werden. ... Plötzlich beginnt der zuvor allmähliche Anstieg der Temperaturen Amok zu laufen, die Meere heizen sich auf und setzen große Mengen des in der Tiefe gelösten Kohlendioxids in die Atmosphäre frei. Deren Sauerstoffgehalt sinkt rapide, weil sich der Sauerstoff anstelle des entwichenen Kohlendioxids mit dem Wasser der Meere verbindet. Die Zahl der Asthmaerkrankungen schießt sprunghaft in die Höhe. Ein Drittel der Weltbevölkerung hat Angst davor zu atmen. Das aus dem Meer freigesetzte Kohlendioxid kurbelt den Treibhauseffekt an, so daß die Meere noch wärmer werden und noch mehr Kohlendioxid abgeben. In der Hitze sterben die Pflanzen; sie verbrennen in den um sich greifenden Feuern, und wieder bleibt Kohlendioxid zurück. Das Meerwasser verdunstet, und mit dem Wasserdampf verschlimmert sich der Treibhauseffekt. Die Erde befindet sich im Schwitzkasten wie vor Jahrmillionen die Venus. Und die letzten beiden Wissenschaftler, die es auf der Erde noch gibt, werden sich in die Haare geraten, und der eine wird zum anderen sagen: »Ich habe es ja gleich gewußt, das Meer war doch die fehlende Senke!«

Die Erde, wie wir sie kennen, ist dabei zu sterben.

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Nach diesem Ausflug in höhere Temperaturbereiche nach dem Vorbild der Venus wird der Sauerstoff in der Erde verschwinden, die Meere werden verdunsten, und die tote Erde wird ihren Ozongürtel ganz verlieren.

Die Erde ist von der Sonne so weit entfernt, daß sie in absehbarer Zeit keine zweite Venus werden kann. Ihre Atmosphäre geht langsam verloren — wie auch ihr Wasser —, und zwar durch die starke ultraviolette Strahlung, die sämtliche Moleküle zersetzt, nur nicht die des Kohlendioxids. Wenn die Atmosphäre dünner wird, kühlt sich die Erde ab. Für kurze Zeit werden die Temperaturen fast wieder normal sein, aber die ultravioletten Strahlen versengen alles Leben, das wieder Fuß zu fassen sucht. Die Kohlendioxid­konzentration sinkt, bis das Kohlendioxid eine dünne Schicht mit Federwölkchen bildet, in der es zu Staubstürmen kommt. Die Erde wird zu einem zweiten Mars — rot, verwüstet, bewohnt vielleicht von einigen besonders zählebigen Mikroben.

 

In einem Gebiet, das einst Ägypten war, unweit eines breiten, aber ausgetrockneten Flußbetts, ragen eine Handvoll Pyramiden und eine verwitterte Sphinx in den toten Himmel. Irgendwann in ferner Zukunft nimmt die Sonde einer fremden Zivilisation im Vorbeiflug ein Foto auf, aber wenn es die Wissenschaftler sehen, glauben die meisten von ihnen nicht, daß es sich dabei um künstlich geschaffene Gebilde handeln könnte, und sie zeigen höhnisch mit dem Finger auf die wenigen, die anders denken.

Als der Morgen dämmerte, erwachte die Mannschaft auf der Californian und stellte fest, daß in der Ferne irgend etwas los war. Die Männer schalteten das Funkgerät ein und erfuhren, daß das größte Passagier­schiff der Welt einen Eisberg gerammt hatte und in der Nacht gesunken war. Dabei waren 1500 Menschen ums Leben gekommen — nur 20 Seemeilen von der Californian entfernt, auf der alles seinen gewohnten Gang gegangen war.

Damit war das Rätsel der Leuchtraketen gelöst, die man in der Nacht gesehen hatte. Kapitän Lord befahl, Kurs auf die Unglücksstelle zu nehmen, wo die Californian zwei Stunden später eintraf. Aber bereits vier Stunden zuvor war ein großes Passagierschiff dort angelangt und hatte alle Überlebenden an Bord genommen. Die Californian ging längsseits, und Kapitän Lord erbot sich, ein paar der Geretteten zu übernehmen, was der Kapitän des größeren Schiffes jedoch ablehnte. Für die Mannschaft der Californian blieb nichts mehr zu tun, als einige wenige der Toten zu bergen.

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Die sozialen, politischen und ökonomischen Unruhen, die der Treibhauseffekt mit sich bringt, werden nicht in ferner Zukunft auf uns zukommen, sondern sie sind bereits im Gange.

Indonesien steht zur Zeit an erster Stelle unter den Ländern, die von treib-hauseffektbedingten Umweltkatastrophen heimgesucht werden. Sein wirtschaftlicher Zusammenbruch wirkt sich in der ganzen Welt aus. Aber Indonesien steht nicht allein da, es gibt Mitbewerber um den vordersten Platz: China, Nordkorea, Nicaragua, Honduras, Sudan, Sibirien, Brasilien und Haiti, ihnen dicht auf den Fersen Florida und Deutschland. Für alle, die sich eine bildliche Vorstellung von der Untrennbarkeit von Umwelt und Ökonomie machen wollen, bietet Indonesien eine exzellente Fallstudie.

Abgesehen davon, daß es sich die Holländer als Kolonialmacht gutgehen ließen, haben sie seit 1860 auch etwas durchaus Nützliches zuwege gebracht: Die Kolonialverwaltung in Indonesien führte nämlich akribisch Buch über die Wetterverhältnisse im Land. Auf diese Aufzeichnungen konnte Roger Harger, UNESCO-Koordinator für Umweltprogramme in Südostasien, zurückgreifen, als er 1992 die Monatsmittel­werte für die Temperaturen in Indonesien berechnete und feststellte, daß diese bis 1990 um 1,66 Grad Celsius gestiegen waren. Dieser Wert war um einiges höher als der von den Meteorologen festgestellte weltweite Temperaturanstieg von 0,58 Grad Celsius in der Zeit von 1961 bis 1990, und er kann insofern von großer Bedeutung sein.11

Die Zahl mag vielleicht nicht sonderlich beeindruckend klingen, aber dieser Unterschied von weniger als zwei Grad reichte aus, ein Drama in Gang zu setzen, dessen Schlußvorhang noch lange nicht gefallen ist. Schon 1992 litt Indonesien, ein tropisches Land mit 145 Millionen Hektar tropischen Regenwaldes, unter Zeiten langanhaltender Trockenheit. Die niederschlagsarme Zeit mit weniger als 100 Millimetern stieg von durchschnittlich 4,4 auf 5,4 Monate jährlich. 100 Millimeter ist die unterste Grenze der Regenmenge, die zur Aufrechterhaltung des Reisanbaus in dem Inselstaat nötig ist.12) 

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1994 erkannte man einen Zusammenhang zwischen den Dürren in Indonesien und den Veränderungen der globalen Klimastruktur, denn eine wissenschaftliche Studie enthüllte eine steigende Intensität der mit dem El-Nino-Phänomen zusammenhängenden Trockenperioden, vor allem auf der Insel Borneo, wo die Trockenheit insbesondere in den kleinen Bauerndörfern auch große wirtschaftliche Verluste mit sich brachte.13) 

Indonesien erlebte auch in anderer Hinsicht heiße Zeiten. Während der Wahlen im März 1997 regte sich eine immer stärkere oppositionelle Bewegung, die sich auch durch die Drohung einer blutigen Niederschlagung durch das Militär nicht einschüchtern ließ. Die Protestaktionen warfen einen Schatten auf diese Wahl, die Suharto für die sechste Fünfjahresperiode in seinem Amt bestätigte und von diesem als »Fest der Demokratie« bezeichnet wurde.14

Im Sommer 1997 — nach einer langen, klimatisch bedingten Trockenheit — gingen große Teile der indonesischen Wälder in Flammen auf. Bis Ende Juli hatte das Feuer 30 Millionen Kubikmeter Holz auf 2300 Hektar Waldfläche vernichtet. Viele der Brände (nach Meinung des indonesischen Umweltministers 90 Prozent) wurden von großen Forst- und Plantagenunternehmen gelegt oder gingen auf das von der Regierung finanzierte ländliche Umsiedlungsprogramm zurück. Die restlichen zehn Prozent der Brände wurden durch das traditionelle Abholzen und anschließende Abbrennen von Waldflächen im Rahmen der Landgewinnung verursacht. Ein dichter »Nebel«, wie die Rauchschwaden euphemistisch bezeichnet wurden, erhob sich aus den brennenden Wäldern und breitete sich über Sumatra, Borneo und den Nachbarinseln Malaysia und Singapur aus.15

Bis zum Ende der ersten Augustwoche wüteten Schätzungen zufolge über 600 Waldbrände in Indonesien. Auf den Inseln Borneo, Java und Sumatra verbreitete sich so dichter Rauch, daß der Luftverkehr beeinträchtigt wurde und in einem Fall eine Boeing 737 zur Notlandung gezwungen war.16

Während Ende Juli 1997 »nur« etwa 2300 Hektar betroffen waren, brannten Mitte September bereits mehr als 300.000 Hektar. Die Brände waren, angefacht durch die schlimmste Trockenheit, die Indonesien seit 50 Jahren erlebte, außer Kontrolle geraten.

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20 Millionen Indonesier konnten wegen des immer dichter werdenden Rauchs kaum atmen, die Gesundheit der Bevölkerung war ernsthaft bedroht. Führende Politiker stellten zum ersten Mal die Frage, warum die Forstbetriebsunternehmen ungenutztes Holz einfach verbrennen durften, anstatt es einer Verwertung zuzuführen. Der Kahlschlag hatte im Einzugsgebiet der Flüsse ganze Landstriche in fast unfruchtbare Steppen verwandelt, die nun stark erosionsgefährdet waren und zu verschlammen drohten. Es spricht für das Ausmaß der Korruption in diesem Land, in dem Diktatur und rücksichtslos verfolgte Konzern­interessen eine unheilige Allianz bilden, daß von den 48 Millionen Hektar Wald, die durch regierungsamtliche Verordnungen geschützt waren, nur 20 Millionen Hektar übrigblieben.17 

Zu den zahllosen Umweltfrevlern, für die Brandrodung die schnellste und billigste Methode der Landgewinnung war, gehörten Kautschuk- und Palmölproduzenten, Holzindustrie und Kohlenkonzerne. Es ist ein bittere Ironie, daß gerade diejenigen, die ihre wirtschaftliche Expansion durch rücksichtslose Ausbeutung der Natur betreiben, dabei unweigerlich auf lange Sicht auch die Wirtschaft zugrunde richten. Daß aber ausgerechnet solche Unternehmen, die um ihrer Profite willen bereit waren, ihr Land zu verwüsten, von »umweltbewußten« Staaten wie Kanada, Neuseeland und Finnland internationale Finanzhilfen erhielten, ist kaum nachzuvollziehen.18,19,20

Die Trockenheit hielt auch im September 1997 an. Selbst die Versuche von Wetterexperten, durch das »Impfen« von Wolken Regen herbeizuführen, schlugen fehl. 1210 malaysische Feuerwehrleute halfen bei der Brandbekämpfung im Nachbarland. Die immer stärkere Rauchentwicklung wurde für ganz Südostasien zu einem ernsten Problem. Auf den Philippinen wurde ein starker Anstieg der Asthmafälle registriert, auf Sumatra und Borneo litten mehr als 32.000 Menschen unter ernsten Atembeschwerden, Binde­haut­entzündungen häuften sich. Messungen ergaben einen Grad an Luftverschmutzung, der alle Grenzwerte weit überstieg. Auf Borneo wurde der Notstand ausgerufen. Die Bediensteten der US-Botschaft verließen angesichts sich häufender Erkrankungen das Land, zurück blieb eine Restmannschaft, die in wechselnden Schichten den Betrieb aufrechterhielt.

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Die Bevölkerung wurde aufgerufen, Atemschutzmasken zu tragen, doch diese galten als unbrauchbar, weil sie nur zehn Prozent der Schadstoffe zurückhielten. Am 23. September lag in Kuching, der Hauptstadt des malaysischen Teilstaats Sarawak, der amtliche Index für den Schadstoffgehalt der Luft bei 839. Er gibt den Anteil der Luft an Schwefeldioxid, Kohlendioxid, Lachgas, Blei und Schwebepartikeln an. Dabei gilt ein Wert von 201 bis 300 als »sehr gesundheitsschädlich«, und bei Werten zwischen 301 und 500 wird »höchste Alarmstufe« ausgerufen. Als der Nationalpark Mount Rinjani auf der Insel Lombok, von wo aus man bis nach Bali blicken kann, brannte, reisten angesichts des beißenden Smogs die Touristen ab. 234 Menschen kamen ums Leben, als ein Flugzeug an einem von dichtem Rauch verhüllten Berg zerschellte. Zehntausende von Menschen mußten sich mit Haut- und Atemreizungen in ärztliche Behandlung begeben.21 Die Regierung erwog, einige Millionen Einwohner zu evakuieren, aber da man ständig damit rechnete, daß der Monsun einsetzen und die Brände löschen würde, verwarf man diese Pläne wieder.22 Natürlich waren nicht nur die Menschen betroffen. Die Brände zerstörten den Lebensraum etlicher gefährdeter Arten, darunter Orang-Utans und Leoparden. Auch die Tiere litten unter dem Rauch, den sie einatmen mußten.23

 

Das Inferno hatte 1997 in Indonesien fast harmlos begonnen, stürzte das Land aber schnell in eine Katastrophe. Hätten die Investoren gesehen, daß diese Brände die Ressourcen fraßen, denen sie letztlich ihre Profite verdankten, so hätten sie den Rauch möglicherweise eher »gerochen« und nach einem Ausweg gesucht. Doch Investoren haben nur ihre Bilanzen im Auge, und die sahen Ende Oktober 1997 noch vielversprechend aus. Kurz darauf brach die gesamte asiatische Wirtschaft in einem gigantischen Dominoeffekt zusammen. Indonesien war nicht der erste Staat, den die Krise traf (als erstes kollabierte die thailändische Währung), setzte aber als größter und tödlichster Dominostein den Prozeß in Gang, der die Weltwirtschaft ins Wanken brachte.

Bis dahin sah die Wirtschaft Indonesiens genauso gesund aus wie die Regenwälder vor der Trockenheit. Die Löhne stiegen, die Inflationsrate war niedrig, und man erwartete einen Exportzuwachs von 14 Prozent.

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»Es gab keine offensichtlichen Warnsignale für eine derartige Katastrophe, wie sie über Indonesien hereinbrechen sollte — zumindest keine, die wir bemerkten«, erklärte Dennis de Tray vom Büro der Weltbank in Jakarta. Natürlich werden in einem korrupten Staat, der die unternehmerischen Interessen in einem nur am Wettbewerb orientierten Wirtschafts­system über das Wohl der Allgemeinheit stellt, die Flammen der wirtschaftlichen Katastrophe durch bewußt zu optimistische Finanzprognosen noch angeheizt.24

Während also die Regierung untätig zusah, wie die Brände das Land verwüsteten, und die Nachbarstaaten Proteste erhoben, weil die Bevölkerung unter dem Rauch zu leiden hatte, geriet unweigerlich die indonesische Wirtschaft selbst in Brand. Zum ersten Mal seit Jahren begann das Wirtschaftswachstum zu sinken. Das Gespenst der Arbeitslosigkeit erhob sich in einem Land, in dem ohnehin chronische Unterbeschäftigung herrschte. Der Währungskurs fiel um 30 Prozent. Plötzlich wuchsen die Auslands­schulden Indonesiens von 50 Milliarden Dollar, die vorher kein Anlaß zur Sorge schienen, zu einem unbezwingbaren Berg an. Selbst der sichere und bequeme Stuhl des Präsidenten schien auf einmal auf tönernen Füßen zu stehen.25  

Natürlich findet die globale Erwärmung in unserer realen Welt mit ihrer Vielschichtigkeit und ihren Abhängigkeiten statt und nicht in einer Computersimulation, in der politische und ökonomische Realitäten keine Rolle spielen.

Neben dem Währungseinbruch, der anhaltenden Trockenheit und den verheerenden Bränden zeigte die Umweltkatastrophe von Ende Oktober an allmählich noch andere Gesichter: Ernten fielen aus, Menschen starben an Hunger und Krankheiten — in einem Land, in dem noch kurz zuvor der Überfluß regiert hatte. Die Reisernten fielen mit 40 Prozent Verlust gegenüber den normalen Erträgen katastrophal schlecht aus; bei Getreide, Mais, Erdnüssen, Obst und Gemüse sah es nicht viel besser aus.26 Während es überall im Land brannte und die politische Instabilität wuchs, war es angesichts eines repressiven Militärs und infolge der Währungsverluste, der steigenden Preise und der zunehmenden Arbeitslosigkeit klar, daß zu dieser brisanten Mischung nur noch der Mangel an Nahrungsmitteln hinzukommen mußte, um neben der Umweltkatastrophe auch eine wirtschaftliche und politische Explosion auszulösen.

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Die saisonüblichen Regenfälle kamen schließlich im November 1997. Die meisten Brände erloschen. Aber der Monsun brachte Überschwemmungen mit sich, durch die Hunderte von Menschen obdachlos wurden.27 Neben den schweren wirtschaftlichen Schäden, die Trockenheit und Brände verursacht hatten, entstanden für die medizinische Versorgung der betroffenen Bevölkerung und für die Beseitigung von Umweltschäden Kosten von schätzungsweise 1,3 Milliarden Dollar; die Nachbarstaaten Malaysia und Singapur verloren durch Produktionsausfälle und durch das Ausbleiben von Touristen mindestens 360 Millionen Dollar.28) Die wirklichen Kosten dieser Katastrophe wird man allerdings kaum ermitteln können, weil der langfristige Schaden für die Gesundheit der Bevölkerung und die Umwelt gar nicht berechnet werden kann.29)

Das Aufatmen hielt nicht lange an. Schon Ende Februar 1998 hatte die Trockenheit das Land wieder fest im Griff, und Indonesien stand erneut in Flammen. Auf Borneo verbrannten fast 14.000 Hektar Wald. Da Indonesiens Geldreserven verbraucht waren, bat das Land zur Lösung der drängendsten Probleme um internationale Hilfe. Auf Satellitenbildern wurden Hunderte von Bränden gezählt, von denen etliche in schwelendem Torf oder an unterirdischen Kohleflözen von neuem ausbrachen, da sie im Vorjahr (1997) wegen der starken Trockenheit nie richtig zu brennen aufgehört hatten.30

Soldaten bemühten sich, mit Hacken und Schaufeln breite Schneisen anzulegen, um das Feuer einzudämmen. Dorfbewohner versuchten, die Flammen mit Wasser zu löschen, das sie mit Eimern aus Flüssen und Bächen schöpften. Diese führten aber wegen der langanhaltenden Trockenheit der Vormonate nur wenig Wasser. Die Rauchwolken wurden wieder größer und dichter, und es schien erneut ein Sommer der brennenden Wälder bevorzustehen. Im März zählte man bis zu 1000 Brände, viele davon immer noch absichtlich gelegt: von Kleinbauern wie von den großen Plantagen- und Holzunternehmen. Ein giftiges Gemisch aus Habgier, Unwissenheit und globaler Erwärmung trieb die Funken über das Dach des Dschungels von Baum zu Baum und entfachte auf seinem Weg immer neue Brände.

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Wie in den Vereinigten Staaten zur Zeit der Staubstürme in den dreißiger Jahren, als die Bauern unbeirrt den trockenen Boden umpflügten und neue Saaten ausbrachten, ohne sich der Nutzlosigkeit ihres Tuns bewußt zu sein, kann das Leugnen offensichtlicher Tatsachen uns alle dazu bringen, unvernünftig zu handeln. In Indonesien starben nicht nur die Bäume. Durch Trockenheit und Brände verlor der Fluß Mahakam so viel Wasser, daß über 200 der seltenen Süßwasserdelphine gefährdet waren. Gleichzeitig wurde die Population der Orang-Utans drastisch dezimiert, weil mit dem Regenwald ihr Lebensraum schrumpfte.31

Auch die Bevölkerung Indonesiens fühlte sich jetzt bedroht. Die Inflation stieg auf 30 Prozent und höher. Milch wurde unbezahlbar. In einer Autokarosserie­werkstatt streikten die Arbeiter; sie forderten eine Lohnerhöhung von 0,80 auf 1,50 Dollar pro Tag, weil der bisherige Tageslohn nicht einmal mehr das Existenzminimum deckte. Die Firmenleitung schloß daraufhin kurzerhand den Betrieb und entließ alle 40 Arbeiter. Die meisten der 200 Handelsbanken Indonesiens waren nicht mehr zahlungsfähig, und Kredite gab es nicht.32 Chinesische Geschäftsleute wurden zur Zielscheibe gewaltsamer Ausschreitungen. Präsident Suharto lehnte sämtliche Reformvorschläge ab, auch dann noch, als sich der US-Präsident, der frühere Botschafter in Japan, Walter Mondale, sowie der Internationale Währungsfonds (IWF) in die Verhandlungen einschalteten.33 Im Mai befürworteten die USA eine Milliarden-Dollar-Bürgschaft des IWF — obwohl es keine offizielle Reformzusicherung gab und obwohl alles darauf hindeutete, daß Suharto und sein Clan sich auch weiter gegen jeden Versuch wehren würden, die von ihnen kontrollierten Monopole aufzulösen.34

Die Brände loderten weiter. Brunei lag unter den Rauchschwaden der indonesischen und malaysischen Feuer. Planmäßige Flüge wurden gestrichen, Flughäfen wegen zu geringer Sichtweite häufig geschlossen.35 Die Brände griffen jetzt auch auf bisher unberührte Gebiete des Regenwaldes über. Zwischen Januar und Ende März verbrannten über 280.000 Hektar Wald. Die Vereinten Nationen beriefen in Genf eine Dringlichkeits­sitzung ein, um über Maßnahmen gegen die Brände zu beraten. Das Ergebnis war, daß die USA und andere Staaten zehn Millionen Dollar aufbringen sollten, mit denen eine Truppe von 1000 Feuerwehrleuten aufgestellt und ausgerüstet werden sollte.36

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Bis Mai wurden Indonesien, Thailand, Malaysia und Vietnam von Hitzewellen, Trockenheit und Bränden heimgesucht. Auf den Philippinen verließen 200.000 Familien ihre abgelegenen Bergdörfer und zogen in die Städte, um dort um Essen zu betteln. In ganz Südostasien herrschte Mangel an Nahrungsmitteln. Seltene Pflanzenarten starben aus, Tiere verbrannten oder verhungerten. Nach Schätzung von Umweltbehörden war durch Abholzung und Umwandlung in Plantagen­flächen das asiatische Regenwaldgebiet von ursprünglich 15,4 Millionen Quadratkilometern auf nur noch 3,8 Millionen Quadratkilometer geschrumpft. Und das wenige, das noch vorhanden war, drohte in Rauch aufzugehen.37

Im Mai brachen unter den ärmeren Bewohnern Indonesiens Unruhen aus, als die Benzinpreise praktisch über Nacht um 70 Prozent stiegen, weil der Internationale Währungsfonds seine Hilfsgelder strich. Vielerorts kam es zu Plünderungen und Brandstiftungen. Vom 13. bis zum 15. Mai kamen über 500 Menschen in einer Orgie der Gewalt ums Leben. Am 19. Mai forderten über 30.000 demonstrierende Studenten den Rücktritt von Präsident Suharto. Auch der Mittelstand, für den noch Tage zuvor eine Demonstration undenkbar gewesen wäre, zog auf die Straße.38 

Die Proteste führten schließlich am 21. Mai zum Rücktritt des Präsidenten, zu diesem Zeitpunkt seit 32 Jahren im Amt. Er bestimmte seinen Protege, Vizepräsident Bacharuddin Jusuf Habibie, zum Nachfolger. Die chinesische Minderheit, zu der viele Geschäftsleute gehörten, galt bei der muslimischen Mehrheit als »zu reich« und wurde zum Hauptziel der Gewalt. Diejenigen Chinesen, die sich eine Ausreise per Flugzeug nicht leisten konnten, bewaffneten sich irgendwie und versuchten, sich zu verschanzen. Später kam ans Licht, daß es während der Unruhen immer wieder zur Vergewaltigung chinesischer Frauen durch indonesische Soldaten gekommen war.39 

Aber selbst die Chinesen im Land teilten mit ihren armen und nicht selten hungernden Unterdrückern den Haß gegen Suharto und machten ihn wie diese für die wirtschaftliche Misere verantwortlich.40 Während die Unruhen noch in Gang waren, sagte Alan Greenspan, Vorsitzender der US-Notenbank, eine Ausweitung der asiatischen Finanzkrise voraus. In seinen Augen begannen sich die Folgen der asiatischen Währungs- und Börsenkrise gerade erst bemerkbar zu machen.41

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Die indonesische Wirtschaft war am Boden. In den Geschäften gab es außer Reis und Öl nichts mehr zu kaufen. Die Fabriken schlossen, weil die Rohstoff­versorgung zusammenbrach. Die hohen Treibstoffpreise machten Transport und Verteilung von Waren fast unmöglich. Die Preise stiegen weiter, und auch die Reisvorräte wurden knapp. Private Firmen waren mit insgesamt 78 Milliarden Dollar verschuldet, 90 Prozent der an der Börse von Jakarta gehandelten Unternehmen waren zahlungsunfähig. Die Inflationsrate betrug 50 Prozent, eine weitere Steigerung war zu erwarten. Der Währungskurs hatte seine Talfahrt noch nicht beendet, die Arbeitslosigkeit erreichte inzwischen 70 Prozent.42 All das kam zu den Schäden von mindestens 4,4 Milliarden Dollar hinzu, die durch die Brände verursacht worden waren.43

Alan Greenspan hatte recht, als er sagte, daß sich die politischen und ökonomischen Folgen der Krise in Indonesien gerade erst bemerkbar zu machen begannen. Die Ausschreitungen setzten sich mit unverminderter Gewalt fort, sie richteten sich jetzt sowohl gegen christliche als auch gegen chinesische Minderheiten. Eine pluralistische Gesellschaft zerbrach an ihren ethnischen und religiösen Gruppen. Menschen, die ein Jahr zuvor noch einem regulären Broterwerb nachgegangen waren, zogen plündernd durch die Straßen. Das Land versank in Armut und Not. 

La Nina, eine Folgeerscheinung von El Nino, die im Wechsel mit diesem auftritt, drohte das Land während der Monsunzeit zu überschwemmen. Die Korruption kannte keine Grenzen, die Krawalle hörten auch dann nicht auf, als zum Schein ein paar politische Reformen durchgeführt wurden. Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung — im Land herrschte das Chaos.

Ist es nicht erschreckend, was ein Anstieg der Temperaturmittelwerte um eine Winzigkeit von 1,66 Grad Celsius anrichten kann? Die globale Erwärmung findet nicht im Forschungslabor und auch nicht auf dem Computerbildschirm derer statt, die unermüdlich an ihren globalen Klimamodellen arbeiten. Die Lehrbücher über den Treibhauseffekt werden vielleicht an den Universitäten geschrieben, aber real wird er, nicht nur in Indonesien, in Katastrophen wie der, die wir gerade beschrieben haben.

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Sie ist ein Paradebeispiel für menschliche Ignoranz, Inkompetenz und Korruption. Die Folgen haben wir alle zu tragen, den Rauch von Indonesien atmen wir alle ein mit dem Kohlendioxid, das wieder einmal in Massen in die Atmosphäre gelangt ist. Der Faktor Mensch spielt eine wichtige Rolle in dieser Gleichung. 

Die globale Erwärmung, die wir auf der Erde derzeit erleben, wird von uns Menschen verursacht: durch unser Verhalten, durch Unwissenheit, Gier, Anspruchs­denken, Raubbau an der Natur, Übervölkerung, Gedankenlosigkeit, Verdrängung, engstirnige Ideologien, Korruption, Egoismus, Kurzsichtigkeit oder einfach dadurch, daß wir ohne nachzudenken und nur, weil unsere Eltern es auch schon so gemacht haben, Dinge tun, die der Erde Schaden zufügen! 

Das alles kann tödliche Folgen haben, aber den tödlichsten Fehler begehen wir, wenn wir nicht sehen, daß jeder von uns mitverantwortlich ist. Wir berufen uns nur allzu gern darauf, daß es andere sind, die die Probleme verursachen. Vielleicht holzen wir nicht persönlich die Wälder ab oder setzen sie in Brand. Vielleicht sind es auch nicht gerade wir, die zu viele Kinder in die Welt setzen, aber jeder von uns trägt seinen Teil dazu bei, daß der Kohlen­dioxidgehalt der Luft zunimmt, und jeder glaubt meist noch, daß es sein gutes Recht sei, so zu handeln. Wir dürfen die Schuld nicht bei den anderen suchen, denn was passiert, betrifft uns alle. Wir sitzen alle im selben Boot.

Und wenn das Boot untergeht, in dem wir sitzen, spielt es keine Rolle mehr, daß wir nicht persönlich daran schuld sind.

 

Im Sommer 1998 brannten nicht nur die Wälder in Indonesien, doch es waren die verheerendsten aller Brände, die überall in der Welt ihren Tribut fordern. Zeitweise war die Erde mit einem regelrechten Feuergürtel überzogen: In Mittelamerika brannten 5500 Quadratkilometer Wald, während der größten Trockenheit seit 70 Jahren allein in Mexiko 3800 Quadratkilometer. In Brasilien brannten 51.000 Quadrat­kilometer Wald, das sind zwei Drittel der Gesamtfläche Österreichs. Diese Brände haben riesige Vegetationsflächen in Sibirien, Kanada, Kenia, Ruanda, Tansania, Senegal, Kongo und Florida vernichtet. Wissenschaftler räumten ein, daß sich hier mehr abspielte als nur die üblichen saisonbedingten Klima­katastrophen, die El Nino mit sich bringt, und sie äußerten die Befürchtung, »daß etwas Grundsätzliches — und Beängstigendes — geschieht«.44

Dieses »Etwas« ist die globale Erwärmung, die stattfindet, weil die Menschen jahrzehntelang immer mehr Öl, Kohle und auch Vegetation verbrannten, so daß unvorstellbare Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre gelangten. Die Probleme, die in Zukunft unweigerlich auf uns zukommen werden, haben wir uns selbst geschaffen.

Wir wollen es uns, nachdem wir uns in aller Ausführlichkeit die verheerenden Folgen der Brände vor Augen geführt haben, ersparen, auch noch alle Hitzewellen, Überschwemmungen, Wirbelstürme und Dürre­katastrophen aufzuzählen, die unsere Erde 1998 heimsuchten, die mehr als 50.000 Menschenleben kosteten und materielle Schäden von über 89 Milliarden Dollar verursachten, selbst inflationsbereinigt mehr, als in der gesamten Dekade der achtziger Jahre. 1998 wurden — man kann es kaum glauben — über 300 Millionen Menschen, also ungefähr fünf Prozent der Weltbevölkerung, durch Umweltkatastrophen aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben.45

Das Jahrtausend endet mit einem Menetekel: Die Wissenschaftler sprechen von der »erschreckenden Erkenntnis«, daß die Durchschnittstemperaturen 1998 höher als jemals zuvor in 1000 Jahren waren.46 Die 90er Jahre waren wärmer als irgendein anderes Jahrzehnt dieses Jahrtausends.47

Wenn der Mars ein Anschauungsobjekt erster Güte ist, was ist dann die Erde?

Die Erde hat Ozeane so groß wie der Pazifik.
Die Erde hat eine Atmosphäre mit Sauerstoff, den wir atmen.
Sie ist die Wohnstatt aller Lebewesen, die uns je teuer waren.
Sie ist unser, damit wir sie lieben und hegen können, solange wir zusammen leben.
Sie ist das Geschenk, das wir unseren Kindern hinterlassen,
und die einzige Heimat, die wir haben. 
Die Erde stirbt.
Wir müssen sie retten.

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