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Amberland - Peter M.

Peter M. bolobolo, subcoma bei detopia 

 

 

Peter M. ist einer der eifrigsten Utopie-Produzenten der letzten Jahrzehnte. In <Weltgeist Superstar> (1980) entwirft er eine komplett neue Sprache und Zeitrechnung und führt seine LeserInnen mittels einer Slapstick-Science Fiction — in der P.M. und Karl Marx in einem Raumschiff die Galaxis durchqueren, wo sie u. a. Gandalf, Bilbo Beutlin, Felix Guattari, Toni Negri und Mao Tse-tung treffen — in eine utopische Welt namens Tara

Peter M. betont gleich zu Beginn, in einem dem eigentlichen Text vorangestellten Interview, dass Tara nicht mehr sei, als eine Art aufgeklärter Sozialismus: "Statt die Arbeit abzuschaffen, wie das einige unverbesserliche Hitzköpfe wollen, reduziert man sie eben auf zwei Stunden am Tag. Tara ist also die Antwort auf die beklommene Frage des verschüchterten Bürgers: wer wird nach der Revolution die Straßen wischen?" Kurz: "Tara stellt und löst das Problem unseres Verhältnisses zur Scheiße."

Den Tarani ist die Geldwirtschaft völlig fremd, sie haben in ihrer Sprache nicht einmal ein Wort dafür. Stattdessen verwenden sie viel Zeit darauf, sich gegenseitig zu besuchen, bilden neue Hausgemeinschaften und experimentieren mit Liebesspielen aller Art. Hinter alledem steckt ein gigantisches Matriarchat, das es der Gesellschaft ermöglicht, in größtmöglicher Faulheit zu leben. Die Männer Taras werden als "Muttersöhne" betrachtet, "weich gepanzerte, freundliche Liebhaber, die schwimmen gelernt haben". Letztlich gebe es nur eine Macht: die der Gebärmutter. "Die Macht der Männer war immer eine solche der Verlassenheit, des Verlustes, des Zurückwollens. Eine ewige unbefriedigende, sinnlose, zerstörerische Macht. Unsere Macht ist Ruhe, Genießen, Lüsternheit, Leben."

Es ist das erklärte Ziel von P.M., eine Form von "Matri-an-archat" zu entwickeln, denn die einzige Definition einer "wahren" proletarischen Revolution besteht seiner Ansicht nach allein in der (Wieder-)Einführung des Mutter-Rechts. Drum zieht P.M. häufig die weibliche Form vor, indem er die männliche Schreibweise in seinen Texten tilgt (jede/r ist z. B. eine Langschläferin oder eine Köchin). "Matri-an-archat" bedeutet die Verwirklichung kommunistischer Großhaushalte, die es möglich machen, der patriarchalen Logik und Ökonomie zu entkommen. Dieser Kommunismus will kein System sein, sondern ein vielfältiges Spektrum von sozialen und kulturellen Möglichkeiten: "Es ist die ‘wilde Form’, auf die sich die Proletarierinnen aller Länder insgeheim schon lange geeinigt haben. Mit einem solchen Programm wären Marx / Engels für all ihre verbrecherischen Epigonen unbrauchbar gewesen."

Die von P.M ersehnten, selbstverwalteten und auf Selbstversorgung gegründeten Großhaushalte werden in seinen späteren Werken bolo, burlik oder schlicht ein "neues Nest" genannt. Die bolo-Gruppen bestehen aus etwa 500 Personen (ibus), wodurch die größtmögliche Ausformung subkultureller Gemeinschaft gewährleistet werden soll (z. B. religiöse Gruppen, ethnische Minderheiten oder Berufsgemeinschaften). P.M. trägt eine ganze Liste möglicher bolos zusammen, die sich in einer größeren Stadt befinden könnten: HighTech-bolo, Krischna-bolo, Disco-bolo, Mix-bolo, Hasch-bolo, Dia-bolo, Sado-bolo, Öko-bolo, Bier-bolo, Metro-bolo, Biblio-bolo, Les-bolo, Anti-bolo, Bi-bolo, Hyper-bolo, Basket-bolo, Ikaro-bolo, Waldmeister-bolo usw. usf. 

 

Indem er der Differenz Raum gibt, wundert es nicht, dass P.M. traditionellen Politikkonzepten, die auf den Kategorien Wachstum, Einigkeit oder gar Einheit beruhen, skeptisch gegenüber steht. Auch die Hoffnung, ein vereintes Europa könne ein "Gegengift" darstellen, das zur Überwindung von Nationalismus und Nationalstaaten diene, betrachtet er als Propaganda des Kapitals — "Europa-Geschwätz", das sich als Utopie legitimieren möchte. Als Beispiel für den Vereinigungswahn nennt er die "Wiedervereinigung" Deutschlands, wo die rassistische Gewalt nach der "Wende" erschreckend zugenommen hat. "Europa und der Rest der Welt waren und sind keine ‘Utopien’, sondern Selbstverständlichkeiten. Das Problem ist nicht das lästige Geldwechseln an den Grenzen — es geht darum, Netze von Gastfreundschaft zu pflegen oder aufzubauen, so dass Geld keine große Rolle mehr spielt. All das hat immer die Grenzen von Europa gesprengt und kann nun mit dem Ende der Blöcke noch ungehinderter wachsen (von London bis Tokyo und von New York bis Kalkutta)."

In Olten — alles aussteigen! (1991), seinen "Ideen für eine Welt ohne Schweiz", führt P.M. den arbeitsfreien Mittwoch ein. Da die Leute ihre Spezialsierungen überwinden sollen, ist Zeit gefragt. "Am Mittwoch sagen wir: Halt! Wir melden uns krank, sagen Termine ab, denken nach, schauen uns um. Der Mittwoch ist ein Tag der Ruhe, der bewussten Langsamkeit, der Verweigerung der ständigen Mobilisierung." Von Buckminster Fuller hat P.M. die Metapher vom "Raumschiff Erde" übernommen. Somit ist der arbeitsfreie Mittwoch als Teil eines "planetaren Subversions-Menüs" zu verstehen, das P.M. bereits in bolo’bolo skizziert hat. Arbeitsverweigerung, Sabotage, Missmanagement, Plünderungen, Gebärstreik oder Brandstiftung können helfen, das Raumschiff vor der Selbstzerstörung zu bewahren, d. h. die "Planetare Arbeits-Maschine" (PAM) lahm zu legen und der Wirtschaft im klassischen Sinne ein Ende zu setzen.

Wie die nachhaltige Versorgung für das Leben nach der "Wirtschaft" aussehen könnte, wird in P.M.s "hilfreichem Haushaltsbuch" Subcoma (2000) diskutiert. Dieses Werk unterscheidet sich von Weltgeist Superstar oder Olten — alles aussteigen! insofern, als P.M. hier umfassend darlegt, was wir nicht wollen und dabei Stück für Stück die Ideologie der "New Economy" auseinander nimmt. Des weiteren führt er eine ausführliche Ethik-Diskussion (Ethos = Verhalten), die er von Moral grundsätzlich unterschieden wissen will: "Wichtig ist, dass die von der Arbeitsmaschine vorgegebenen Denkschemata durchbrochen und eine ganz andere Welt zuerst denkbar, dann realisierbar gemacht wird."

Eine ganz andere Welt hat P.M. auf seiner Reise nach Isckar, auch Amberland genannt, entdeckt. Allerdings müssen Amberland-Touristen vorsichtig sein: dort gibt es keine Polizei, kein Rechtswesen und keine Behörde, die Reisende vor Übergriffen schützen könnte. Als "Amber" wird zum einen die fettige Darmausscheidung des Pottwals bezeichnet, die als Duftstoff verwendet wird. Zum anderen ist es das englische Wort für Bernstein. Kein Wunder also, dass der Handel mit versteinertem Baumharz die Insel bereits vor langer, langer Zeit bekannt gemacht hat. 

Wo der Name Amberland tatsächlich seinen Ursprung hat, bleibt dennoch ungeklärt. Die Mythologie auf Isckar erzählt von einer Urmutter (amba), der schwarzen Bärin. Etymologischen Erklärungen zufolge verdankt Amberland seinen Namen allerdings der Kombination aus Biene (am) und Bärin (ber), folglich ließe sich Amberland mit "Bienen-Bärinnen-Land" übersetzen. Beide, Biene und Bärin, gelten als alte Fruchtbarkeitssymbole. Und so schließt sich der Kreis dann wieder, denn der Mythos besagt, die frühen SonnenanbeterInnen auf Isckar hätten sich von Bienenhonig und Bärenmilch ernährt.

P.M. hat in Amberland bolo-mäßige Strukturen ausfindig gemacht: burlik genannte, knapp 400 Menschen umfassende Stadtquartiere und Dörfer. Die Leute gelten allgemein als nett, aber völlig unzurechnungsfähig. So definieren sich die AmberländerInnen beispielsweise nicht über den Beruf, wie es die Touristen gerne tun. Wie P.M. sagt, kann der Kellner von heute der Gast von morgen sein. Es gibt keine "festgelegten Identitäten", die AmberländerInnen bewegen sich von "Rolle zu Rolle", ohne existenzbedrohende Konsequenzen fürchten zu müssen. 

"Wer Amberland bereist, braucht fast kein Geld, aber viel Zeit und Geduld. Amberland sollte ambulatorisch, in gemächlichem Schritt spazierend bereist werden. Hektik und Zeitnot sind hier ganz fehl am Platz." Die Reise lohnt allemal, denn auf Isckar werden in den Waldgebieten des Lugdan/Larskura von kuriosen Geheimgesellschaften Honigbier gebraut und in mittelalterlichen Riten gewaltige Trinkgelage zelebriert. Wem das zuviel Kopfweh bereitet, kann im Süden des Landes die eine oder andere Wasserpfeife rauchen. Die Gegend ist bekannt für ihren ausgezeichneten Hanfanbau. In Amberland sind sämtliche Drogen kostenlos und für jeden frei zugänglich.  

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