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Einleitung

 

 

Endzeit? 

7-17

Es steht nicht gut um uns. Die Hoffnung, daß wir noch einmal - und sei es um Haaresbreite - davonkommen könnten, muß als kühn bezeichnet werden. 

Wer sich die Mühe macht, die überall schon erkennbaren Symp­tome der beginnenden Katastrophe zur Kenntnis zu nehmen, kann sich der Einsicht nicht verschließen, daß die Chancen unseres Geschlechts, die nächsten beiden* Generationen heil zu überstehen, verzweifelt klein sind.

Das eigentümlichste an der Situation ist die Tatsache, daß fast niemand die Gefahr wahrhaben will. 

Wir werden daher, aller Voraussicht nach, als die Generation in die Geschichte eingehen, die sich über den Ernst der Lage hätte im klaren sein müssen, in deren Händen auch die Möglichkeit gelegen hätte, das Blatt noch in letzter Minute zu wenden, und die vor dieser Aufgabe versagt hat. Darum werden unsere Kinder die Zeit­genossen der Katastrophe sein und unsere Enkel uns verfluchen — soweit sie dazu noch alt genug werden.

Ich weiß, daß man bei den meisten immer noch auf Ungläubigkeit stößt, wenn man versucht, sie aufmerk­sam zu machen auf das, was da mit scheinbar schicksal­hafter Unabwend­barkeit auf uns zukommt. Daß man sich den Vorwurf einhandelt, man verbreite Angst und nehme insbesondere der jungen Generation jede Zukunfts­hoffnung. 

Als ob es sinnvoll wäre, die Hoffnung auf etwas zu hegen, das nicht stattfinden wird — jedenfalls gewiß nicht so, wie die Leute es sich immer noch vorstellen. Natürlich ist der Vorwurf der Angstauslösung selbstkritisch zu bedenken. 

Andererseits erinnere ich mich, wenn ich ihn höre, immer einer Antwort, die mir Konrad Lorenz vor fast zwanzig Jahren gab. Wir hatten uns damals einen der Filme angesehen, die Erich von Holst von seinen Hirnreizversuchen bei Hühnern gedreht hatte. Sie dokumentierten die aufsehen­erregende Entdeckung, daß es im Gehirn der Tiere offensichtlich Stellen gibt, von denen aus ganze szenisch ablaufende Verhaltens­repertoires wie gespeicherte Programme durch den Stromreiz abgerufen werden können: Balzszenen, Körper­pflege, Futtersuche, Feindabwehr und andere für die betreffende Art typische Verhaltensweisen.

Dabei kam die Sprache darauf, daß es außerordentlich mühsam war, eine solche Stelle im Gehirn der Tiere zu finden. An den meisten Reizpunkten löste der elektrische Impuls lediglich Angst aus. Ich fragte Lorenz, wie das zu erklären sei. Seine Antwort: Das liege doch eigentlich auf der Hand:

»Angst spielt im Interesse der Überlebenschancen für jeden Organismus eine so herausragende Rolle, daß die meisten Hirnteile eben im Dienst dieser elementaren Schutzfunktion stehen.«  

In der Tat, selbst die Brüder Grimm berichten ja von einem, »der auszog, das Fürchten zu lernen«, in einem Märchen, dessen Moral darin besteht, daß jemandem, der dazu nicht imstande ist, ein typisches menschliches Wesensmerkmal fehlt. Daher halte ich es auch nur für eine der vielen Formen der Verdrängung, wenn einem das Reden über die Gefahr mit dem Einwand abgeschnitten werden soll, man schüre die Angst der Menschen. 

Ich kann nicht finden, daß deren Angst sich heute noch vermehren ließe. Unsere Zeit ist — und das dürfte für alle Zeitalter gegolt­en haben — ohnehin voll von Angst. Zu befürchten ist allerdings, daß wir uns vor den falschen Problemen ängstigen.

Während es niemandem den Schlaf zu rauben scheint, daß die kreative Intelligenz ganzer Heerscharen von Wissen­schaftlern fieberhaft damit beschäftigt ist, ein Arsenal von Ausrottungs­instrumenten zu erweitern und zu perfektionieren, das längst ausreicht, den gesamten Globus von allem Leben buchstäblich zu desinfizieren, klagt so mancher Zeitgenosse über schlechten Schlaf, seit ihm zu Ohren kam, daß wir unseren Lebensstandard in Zukunft möglicherweise werden einschränken müssen. 

Während wir ohne wirkliche Betroffenheit zur Kenntnis nehmen, daß es in Mitteleuropa in zwanzig Jahren wahr­schein­lich keine zusammen­hängenden Waldgebiete mehr geben wird, sorgen wir uns um die Inflations­rate. 

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*detopia-2014:

Audio 2012 dlf  "Es steht nicht gut um uns." Würdigung 2012 dlf

"nur um Haaresbreite" - so im dradio-Audio 2012. In meinem Original, Knaur 1988, steht das <nur> nicht. Der Sprecher wollte vielleicht dramatisieren. Oder es steht tatsächlich woanders so geschrieben. Nach meinem Sprachgefühl liegt die Aussage beider Varianten beieinander.

dradio-Audio irrt auch am Ende: Hier sagt es, dass Ditfurth "daneben lag" in "Prognosen zum Zeithorizont und Atomkrieg." 

* nächsten beiden = zwei Generationen bedeuten heute 60 Jahre. 1985+60=2045. HvD schrieb: "heil überstehen", und das ist noch nicht der Weltuntergang bzw. der Tod des letzten Menschen.

Und die Kriegsgefahr (Atomkriegsgefahr) (zwischen kleineren Mächten bzw Ländern) nimmt - wohl unbestritten - zu. 

Und vergleiche die vielfältigen Enthüllungen über die Gefahr/Risiko im Kalten Krieg für den Heißen Krieg, also zwischen 1945 und 1990 zwischen der USA und der UdSSR, hauptsächlich.

heise.de/tp/news/Atombomben-auf-Ost-Berlin-3055232.html 

General Butler  Atomchef der USA, i.R.

 

 

Bei näherer Betrachtung erweist sich die öffentliche Seelenruhe, die nicht zu stören man uns mahnt, als eine seltsam unwirkliche Bewußtseins­verfassung. Unsere Gesellschaft gleicht einem Menschen, der ahnungslos in einem Minenfeld umherirrt und sich dabei um seine Altersrente Sorgen macht. 

Würde man die Ängste dieses Menschen vergrößern, wenn man ihm die einzige Gefahr vor Augen führte, in der er wirklich schwebt? Und: Wäre man zu dieser Aufklärung nicht selbst dann verpflichtet, wenn das der Fall wäre?

Voraussetzung ist selbstverständlich, daß die Angst, die ihn aufschrecken und intelligent machen soll, sich auf eine reale Gefahr bezieht. Eben dies wird heute von der überwiegenden Mehrheit noch immer in Abrede gestellt. Es wird bezeichnenderweise mit Vehemenz vor allem von den politischen Repräsentanten unserer Gesellschaft bestritten. 

Weil das so ist, bleibt nichts anderes übrig, als im ersten Teil dieses Buchs die Art und das Ausmaß der unser Überleben heute in Frage stellenden Gefahren eingehend zu schildern. Sie sind so realistisch darzustellen und so detailliert zu begründen, daß der Versuchung, vor ihnen die Augen weiterhin geschlossen zu halten, möglichst keine Schlupflöcher bleiben.

Diese Verpflichtung bestände selbst dann, wenn die von legitimer Angst bewirkte Klarsicht lediglich zu der Erkenntnis führen könnte, daß alle Hilfe bereits zu spät kommt, weil sämtliche Auswege schon verlegt sind. Denn wenn wir schon zugrunde gehen müssen, dann sollten wir es, und sei es aus Gründen der Selbst­achtung, wenigstens bei vollem Bewußtsein tun und nicht im Zustand einer von Ausflüchten und illusionärem Wunsch­denken genährten Halbnarkose.

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Von Ausweglosigkeit kann jedoch keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. Die Notausgänge stehen so weit offen wie Scheunentore. Die Wege, die uns sogleich aus aller Gefahr führen würden, sind ohne Schwierig­keiten zu erkennen. Die Maßnahmen zu unserer Rettung liegen so offensichtlich auf der Hand, daß man sie einem Kind erklären kann. Trotzdem sind wir, wenn nicht alles täuscht, verloren. Die Erklärung für diesen paradoxen Umstand beruht auf einer absurd anmutenden Ursache: Wir werden von allen diesen Möglich­keiten zu unserer Rettung schlicht und einfach keinen Gebrauch machen. Die Gründe für diesen seltsamen Sach­verhalt werden eingehend zu erörtern sein.

Niemandem, der den Versuch macht, seine Mitmenschen aus der eigentümlichen Lethargie aufzuschrecken, in der sie die bereits unübersehbaren Vorzeichen unseres Aussterbens zu übersehen entschlossen scheinen, ist der Einwand fremd, »Endzeitgerede« habe es in jeder historischen Epoche gegeben. Und stimmt das etwa nicht? 

Nicht erst Arthur Koestler (1) und auch nicht erst der heute zum Zwecke der Abwiegelung — weil doch auch er sich angeblich geirrt hat — so häufig zitierte Robert Malthus2 haben das unvermeidlich bevorstehende Ende der Menschheit verkündet und mit ihnen unabweislich erscheinenden Gründen »bewiesen«. Waren nicht auch die ersten Christen schon von der Gewißheit des unmittelbar bevor­stehenden, noch zu ihren Lebzeiten zu erwartenden »Jüngsten Tages« erfüllt?

Und haben sie alle sich etwa nicht geirrt? 

»Wer sieht nicht«, so Cyprianus, Bischof von Karthago, in einem um 250 n.Chr. geschriebenen Brief, »daß die Welt bereits auf ihrem Abstieg ist und daß sie nicht mehr die gleichen Kräfte und die gleiche Lebensfülle besitzt wie ehemals.« Die Welt selbst bezeuge durch ihre Dekadenz zur Genüge, daß sie sich ihrem Ende nähere. »Alles eilt von Anbeginn dem Tode zu und spürt die allgemeine Ermattung der Welt.«3)

Dürfen wir heute darüber nicht lächeln, vielleicht sogar ein wenig herablassend, weil wir es doch besser wissen? Ist hier nicht sogar die »ideologische Vorein­genommenheit« mit Händen zu greifen, die den bischöf­lichen Brief­schreiber zu seiner pessimistischen Diagnose verleitete? 

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Sie scheint aus einer anderen Stelle desselben Briefs hervor­zugehen, an der es heißt, daß man angesichts des sichtbaren Niedergangs »nicht der Gewährsleute der Heiligen Schrift« bedürfe, um den Fall zu beweisen. Läßt sich etwa übersehen, daß der fromme Mann seine Untergangs­diagnose mit einer gewissen Befriedigung gestellt hat, weil sie in seinen Augen eine Prophezeiung bestätigte, die er aus der Bibel herauslas? Und lassen sich von da aus nicht Parallelen zur Gegenwart ziehen?

Der historische Einwand ist jedoch nicht so schlagend, wie mancher selbst unter jenen glaubt, die sich durch ihn mundtot machen lassen. »Alles eilt von Anbeginn dem Tode zu« — gibt es über diese Aussage etwas zu lächeln? Können wir die Möglichkeit in Abrede stellen, daß die eschatologische Grund­stimmung, die »Endzeit­stimmung« jener Epoche auf der intuitiven Einsicht in die totale Vergeblichkeit, in die grundsätzlich zu nennende Hoffnungs­losigkeit aller menschlichen Unternehmungen beruht hat? 

Vielleicht war der Keim für unseren Untergang damals wirklich schon gelegt? 

Vielleicht war er für besonders hellsichtige Köpfe damals schon erkennbar? Die Voraussetzungen hätten vorgelegen. Denn die Aussagen der in der Bibel zusammen­gefassten jüdisch-christlichen Überlieferungen enthalten nicht zuletzt ein Wissen über den Menschen, das weit über das hinausreicht, was wissen­schaftliche Psychologie oder Soziologie zu dem Thema jemals wird beitragen können.

Der modernen Theologie ist der Gedanke an die Möglichkeit jedenfalls nicht fremd. Karl Rahner hat noch kurz vor seinem Tode auf sie hingewiesen. Bei der Diskussion des Problems der ungeheuren zeitlichen Ausweitung der menschlichen Vorgeschichte durch die neuere paläontologische Forschung stellte er die Frage, ob diese neu entdeckte, »ungeheuer lange und anonyme Heilsgeschichte« nicht möglicherweise »die eigentliche Heilsgeschichte« sei, »weil die Menschheitsgeschichte nur noch kurz dauert, auch wenn wir noch nicht wissen, wie sie genau enden wird ... so daß, was wir üblicherweise so nennen, in Wirklichkeit der Anfang des Endes ist?«. Rahner läßt die Frage offen, unterstreicht aber, daß diese Deutung möglich sei (und auch theologisch zulässig).4

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Aussterben ist ein langwieriger Prozeß. Bei den Sauriern hat er sich über viele Jahrhunderttausende hingezogen. Deshalb wäre eine Prophezeiung über das bevorstehende Ende der Menschheit nicht schon deshalb falsch, weil ihre Erfüllung ein oder zwei Jahrtausende auf sich warten läßt. 

Erdgeschichtlich und evolutions­biologisch betrachtet — und in diesem Rahmen spielen sich Aussterbevorgänge ab — sind das Augenblicke. 

Wir sollten daher auch bedenken, daß wir uns lächerlich machen könnten, wenn wir über Untergangs­prognosen der Vergangenheit deshalb lächeln, weil die leisen Stimmen einzelner Warner wieder und wieder überschrien wurden von dem triumphierenden Selbstlob fortschrittsgläubiger Generationen.

Jedenfalls — und darüber herrscht Einigkeit unter den Experten — sind wir heute die Zeitgenossen eines globalen »Faunen­schnitts«. Mit diesem Fachausdruck, der ein globales Massenaussterben exzessiven Ausmaßes bezeichnet, ist beiläufig ein weiterer oft zu hörender Einwand abgewiesen. Der Terminus entkräftet den Hinweis auf die Singularität und die damit angeblich prinzipielle Unwahrscheinlichkeit eines endgültigen Aussterbens unserer eigenen Art. Denn derartige Ereignisse hat es — sonst brauchten wir für sie keinen eigenen Begriff — in der Erdgeschichte schon viele Male gegeben. Neu ist allein die Tatsache, daß der jetzige Faunen­schnitt zu unseren Lebzeiten stattfindet.

Der eigene Tod bleibt immer unvorstellbar. Das ist ein psychologisches Gesetz. Objektiv ist der Tod dagegen nicht nur unausbleiblich, er ist die Regel. 

Von allen Spezies, die es in mehr als vier Milliarden Jahren Erdgeschichte auf unserem Planeten gab, sind nach paläontologischer Schätzung mindestens 99,9 Prozent ausgestorben. Keine biologische Art lebt ewig. Das gilt auch für die Spezies, deren Mitglieder sich ohne falsche Bescheidenheit den Namen Homo sapiens verliehen haben. Nur allzuoft vergessen wir über unserem Anspruch, »geistige« Wesen zu sein, daß wir auch immer noch die Mitglieder einer biologischen Art sind und damit den Gesetzen unterworfen, die für alle lebende Kreatur gelten.

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Nicht darüber, ob wir aussterben werden, läßt sich daher sinnvoll streiten. Die Tatsache selbst steht fest. Die Frage, um die es allein gehen kann, ist die, ob es schon so­weit ist. Ob die Spezies »Menschheit« ihre Rolle auf diesem Globus schon jetzt zu Ende gespielt hat. Die Grün­de, die dafür sprechen, daß diese Frage bejaht werden muß, bilden den Inhalt des ersten Teils dieses Buchs.

 

Aber wenn der Faunenschnitt, den unsere Biologen in der Gegenwart registrieren, auch nicht der erste Fall seiner Art ist (und wenn er aus erdgeschichtlicher Perspektive insofern als »normal« gelten kann), so weist er doch Besonderheiten auf, die ihn von allen vergleichbaren Ereignissen der Erdvergangenheit unterscheiden. Die wichtigste von ihnen besteht darin, daß er der einzige ist, über dessen Ursache Klarheit herrscht.

Warum im Präkambrium (vor rund 570 Millionen Jahren) rund ein Drittel aller lebenden Arten von der Erde verschwand, warum das gleiche dann nochmals vor rund 235 Millionen Jahren geschah und welche Ursachen schließlich vor etwa 65 Millionen Jahren zu einer Wiederholung führten, der neben vielen anderen Arten bekanntlich auch die Saurier zum Opfer fielen, das ist bisher trotz aller Forschungs­anstrengungen unbekannt geblieben. Hypothesen gibt es zwar in Hülle und Fülle. Keine von ihnen aber erklärt wirklich befriedigend alles, was in diesem Zusammenhang erklärt werden müßte. 5

In dieser Hinsicht wenigstens gibt es angesichts des Faunenschnitts, dessen Zeitgenossen wir heute sind, keine Unklarheiten. An seiner Ursache besteht nicht der geringste Zweifel: Wir verkörpern sie selbst. Das, auf der Oberfläche unseres Planeten seit etwa hundert Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit ablaufende Massen­aussterben, dessen Tempo schon heute alles in den Schatten stellt, was sich auf der Erde jemals zuvor abspielte, ist nachweislich auf die Aktivitäten unserer eigenen Art zurückzuführen.

Damit ist zugleich gesagt, daß wir es auch in der Hand hätten, dem Ablauf der Dinge Einhalt zu gebieten. Dies sollte eigentlich um so näher liegen, als die Katastrophe, die wir ausgelöst haben, uns selbst mit Sicherheit nicht aussparen wird. 

Aber einer der abstrusesten Aspekte des Geschehens besteht eben darin, daß die Menschheit entschlossen scheint, sich dem Ablauf der Ereignisse wider­standslos zu überlassen, ja, daß sie nicht einmal bereit ist, das Ausmaß der Gefahr überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

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Der Suche nach Erklärungen für dieses paradoxe Phänomen dient der zweite Teil des Buchs. 

Sein Inhalt ist der Versuch einer Antwort auf die Frage nach den Faktoren, die es verständlich machen könnten, daß eine bisher auf diesem Planeten beispiellos erfolgreiche Art keine Anstalten macht, Verhaltensweisen zu ändern, die erkennbar im Begriff sind, ihren Untergang herbei­zuführen. 

Wenn unsere Einsicht schon nicht ausreicht, um uns vor dem selbstverschuldeten Ende zu bewahren, dann soll sie wenigstens dazu dienen, die Gründe zu erkennen, die ihr in diesem existentiellen Falle Grenzen setzen und die unser Versagen vielleicht sogar entschuldigen könnten.

Alles in allem wird die Diagnose also pessimistisch ausfallen. 

Damit aber kann es nicht sein Bewenden haben. Denn noch in einer anderen Hinsicht unter­scheidet sich der jetzige Fall von allem, was es bisher gab. Es verschwindet nicht irgendeine beliebige Art. Erstmals in aller Geschichte droht die Spitze der Entwicklung abzubrechen. Es geht um das Schicksal der ersten und (bisher) einzigen Art, die nicht lediglich biologisch existierte und durch ihre vorübergehende physische Existenz den Fortgang der Evolution sichern half. Auf dem Spiel steht das höchste, das äußerste Resultat aller bisherigen Entwicklung. Das Ergebnis einer vier Milliarden Jahre währenden Anstrengung: eine Art, deren Mitgliedern die eigene Existenz bewußt geworden ist und die des Kosmos, in dem sie sich vorfinden. Deren Mitglieder in dem allerletzten Abschnitt ihrer Geschichte angefangen haben, etwas zu tun, was aller übrigen Kreatur auf der Erde für alle Zeiten versagt bleibt: sich selbst und die Natur nach den Gründen ihrer Existenz zu befragen.

»Einmal — und nur einmal — im Lauf ihrer planetarischen Existenz konnte sich die Erde mit Leben umhüllen. Ebenso fand sich das Leben einmal und nur einmal fähig, die Schwelle zum Ichbewußtsein zu überschreiten. Eine einzige Blütezeit für das Denken wie auch eine einzige Blütezeit für das Leben. Seither bildet der Mensch die höchste Spitze des Baumes. Das dürfen wir nicht vergessen.« So Teilhard de Chardin.

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Aber Teilhard war auch davon überzeugt, daß eben diese Einmaligkeit so etwas wie eine Überlebens­garantie in sich berge. Wenige Zeilen später heißt es bei ihm: »Nie könnte er [der Mensch] also ein vorzeitiges Ende finden oder zum Stillstand kommen oder verfallen, wenn nicht zugleich auch das Universum an seiner Bestimmung scheitern soll!«6

Hier hat der große Mann ohne Frage allzu geozentrisch gefolgert. Die von ihm abgeleitete Überlebensgarantie für die Menschheit ist ein schöner Traum. Die Geschichte des Universums wird nicht stehenbleiben, wenn die Menschheit aus ihr verschwindet. Die kosmische Evolution wird aus den unzählig vielen Ansätzen — die wir neben dem irdischen vorauszusetzen haben — auch in Zukunft immer neue, immer großartigere und wunderbarere Manifestationen des geistigen Prinzips hervorgehen lassen, das sich bei uns selbst in einem ersten Aufleuchten psychischen Selbstbewußtseins gerade zu verkörpern begonnen hatte

Niemand wird das Ausscheiden des Menschen aus der Geschichte auch nur bemerken. Die Zukunft des Kosmos wird auch nicht die Spur einer Erinnerung an uns enthalten. Das Universum also würde gleichgültig bleiben, in gleicher Weise gültig und ohne Trauer über unseren Exitus. 

Für uns selbst als Betroffene sieht die Angelegen­heit freilich anders aus. Auch angesichts des eigenen Endes können wir die Neigung nicht ablegen, nach dem Sinn zu fragen. Müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, daß das definitive Ende unserer Geschichte nachträglich alles als nichtig und sinnlos erweisen könnte, was wir in den vorangegangenen Jahrtausenden hervorgebracht haben? 

Müssen wir mit dieser äußersten Enttäuschung nicht vor allem dann rechnen, wenn sich herausstellen sollte, daß es für dieses Ende keine zwingenden, keine sozusagen naturgesetzlichen Gründe gibt, als deren Opfer wir uns freisprechen dürften? Keine erdenkliche Ursache außer unserem eigenen Versagen?

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Oder gibt es solche Gründe vielleicht doch — jenseits des Horizonts unserer Erkenntnis­fähigkeit und außerhalb der Reichweite unserer verantwortlichen Entscheidungs­freiheit?

Ist unsere vermeintliche Lethargie womöglich Ausdruck der Ergebung in einen Ablauf, den wir tief in unserem Inneren längst als notwendig und unvermeidbar, ja als in einem höheren Sinne sogar wünschens­wert akzeptiert haben?

Die Möglichkeit ist so abwegig nicht. Zum Tod haben wir ohnehin ein widersprüchliches Verhältnis. Er ist, im Unterschied zu Hunger oder Durst, zu Müdigkeit oder Sexualität, das einzige biologische Programm, vor dessen Vollzug wir uns fürchten. 

Hier läßt sich, wie ich im dritten Teil des Buchs zu zeigen versuchen werde, der Hebel ansetzen. 

Von hier aus müssen wir nach einer Antwort auf die bedrängende Frage suchen, wie mit der Gewißheit des bevorstehenden Untergangs ohne Verzweiflung oder Erbitterung fertig zu werden wäre.

Vielleicht also ist unsere Ergebenheit nicht schuldhaft, nicht als bloße Untätigkeit verwertbar. 

Vielleicht ist sie identisch mit der Haltung, die frühere Generationen »Gottergebenheit« genannt und von jeglicher resignierenden Passivität und Schwäche sorgfältig unterschieden haben. 

Wenn unsere Gesell­schaft nur halb so christlich wäre, wie sie es von sich bei jeder Gelegenheit behauptet, hätte sie auf den Gedanken längst kommen müssen. 

Dann bedürfte es keiner Erklärung, warum Martin Luther das Weltende herbeiwünschen konnte: »Komm, lieber jüngster Tag.«7 Das uns befremdlich anmutende Stoßgebet drückt weder Resignation aus noch Weltüberdruß. 

Im Unterschied zu uns Ungläubigen, die wir im »Jüngsten Tag« nur noch die Bedrohung zu sehen vermögen, war Luther und den meisten seiner Zeitgenossen auch der Verheißungs­charakter des eschato­logischen Begriffs noch gegen­wärtig. Uns muß man ihn erst mühsam und geduldig erklären. Wir müssen auch das versuchen. 

Nach der Schilderung der Gefahren und unserer voraussehbaren Verlorenheit ungeachtet aller aufzeigbaren Auswege soll im letzten Teil des Buchs auch der Versuch gemacht werden, eine Haltung rational zu begründen, mit der sich der Anblick des herannahenden Endes ohne Verdrängung und ohne Verzweiflung ertragen läßt. 

Beginnen aber müssen wir mit einer Bestandsaufnahme der Symptome, die den Ernst unserer Lage signalisieren. Den Anfang macht eine Schilderung der Gefahr, die, ungeachtet ihrer absoluten Tödlichkeit, dennoch als die geringste von allen anzusehen ist, da sie als einzige nicht mit völliger Gewißheit einzutreten braucht: die Gefahr unserer Vernichtung durch einen nuklearen Holocaust oder durch eine der anderen wissenschaftlich perfektionierten Ausrottungs­methoden zeit­genöss­ischer »Kriegführung«.

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