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Anmerkungen zu Teil 3 (Conditio humana) Kapitel 5 (Freiheit) Seite 286 bis 367
Nr. 127 bis 191
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127) Arthur Schopenhauer <Preisschrift über die Freiheit des Willens>: Zu diesem Zitat noch eine Randbemerkung: Schopenhauers Beispiel erinnert mich an die immer wieder vorkommenden Fälle, in denen Menschen, in der Regel arbeitstätige Familienväter, eines Tages "ohne jedes erkennbare Motiv" verschwinden, etwa "eben mal zum Zigarettenholen aus dem Haus" gehen, um spurlos und ohne Nachricht zu geben nicht wiederzukehren.
Vielleicht ist dieses oft als unerklärlich bezeichnete spontane Verschwinden in manchen Fällen auf die von Schopenhauer so unnachahmlich beschriebene Konstellation von Umständen zurückzuführen. Vielleicht also folgt der eine oder andere dieser Menschen mit seinem unerklärlich wirkenden Verhalten dem unbewußten Bedürfnis, sich unter dem Eindruck täglichen Gleichmaßes durch die jeder vernünftigen Voraussagbarkeit widersprechende Entscheidung, "zum Tor hinauszulaufen in die weite Welt und nie wiederzukommen", seiner "Willensfreiheit" zu vergewissern?
128) Ich habe über dieses Vorkommnis und das dahinterstehende Zwillingsforschungs-Projekt schon einmal in ausführlicherer Form berichtet: "Die Marionetten der Gene?", GEO, Nr. 5 (1983), S. 38. Wegen der fundamentalen Wichtigkeit dieser Untersuchungsreihe und ihrer auch mir zunächst unglaublich erscheinenden Resultate bin ich zweimal selbst in Minneapolis gewesen. Ich habe dort tagelang mit Thomas Bouchard und seinem wichtigsten Mitarbeiter David Lykken diskutiert und mich von der Seriosität der mit allen zu fordernden Kontrollen durchgeführten Untersuchung ebenso überzeugen können wie von der persönlichen Integrität der beiden genannten Wissenschaftler.
Ich habe fast eine Woche lang Videoaufnahmen durchgesehen, auf denen die Untersuchungen und psychologischen Befragungen der bisher untersuchten Zwillingspaare dokumentiert sind. Und ich habe danach die sechs Mitglieder von drei untersuchten Zwillingspaaren in ihren Heimatorten einzeln besucht, um unter anderem biographische Angaben, die ich den Protokollen in Minneapolis entnommen hätte, an Ort und Stelle anhand alter Familienalben, von Schulzeugnissen und Militärdiplomen nachprüfen zu können.
Ich verbürge mich angesichts der Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, für die im Text von mir wiedergegebenen Sachverhalte.
Eine Schlußbemerkung für die, die sich über die Ausführlichkeit wundern, mit der ich hier die Glaubhaftigkeit meines Berichts unterstreiche: Es ist eine überraschende Erfahrung, wie heftig man von gewisser Seite angegriffen und der Nachlässigkeit des Recherchierens verdächtigt wird, wenn das, wovon man berichtet, mit bestimmten weltanschaulichen Wertvorstellungen kollidiert. Bei dieser Gelegenheit bestätigt es sich, daß der Mensch bis zum äußersten bereit ist, die Realität vorgelegter Fakten zu bestreiten, bevor er sich dazu entschließt, vorgefaßte Meinungen zu korrigieren.
129) Ich beeile mich hinzuzufügen, daß es in der Vergangenheit schon einige Male vergleichbare Untersuchungen gegeben hat, u. a. in Dänemark und auch in Deutschland. (Daß ich das in meinem ersten Bericht über das Minneapolis-Projekt [s. Anm. 128] unerwähnt ließ, hat mir von gewisser Seite heftige Vorwürfe eingetragen.) Es ist jedoch unbestreitbar, daß das von Th. Bouchard geleitete Vorhaben an Umfang (Zahl der untersuchten Paare) und Gründlichkeit alle diese Untersuchungen weit übertrifft. Außerdem hat es den unschätzbaren Vorzug, daß man sich bei ihm im Gegensatz zu den früheren Untersuchungen durch eigenen Augenschein ein Urteil über die Art seiner Durchführung und das Zustandekommen seiner Ergebnisse bilden kann.
130) "Ich war so fest von der alles entscheidenden Wirksamkeit gesellschaftlicher Einflüsse überzeugt, daß ich 1968 in Berkeley (auf dem Höhepunkt der dortigen Studentenunruhen) buchstäblich auf die Barrikaden gegangen bin, um sie zu verändern", erzählte mir Tom Bouchard, als wir uns ein wenig näher kennengelernt hatten. Er mußte sogar für einige Zeit ins Gefängnis. (Ob er danach wohl auch bei uns in der Bundesrepublik noch Aussicht auf die Leitung eines staatlichen Universitäts-Instituts gehabt hätte?)
131) Wer sich für weitere Einzelheiten des Minneapolis-Projekts interessiert, sei nochmals auf meinen Bericht in GEO verwiesen (s. Anm. 128) sowie auf die Publikation von David T. Lykken und Thomas J. Bouchard, "Genetische Aspekte menschlicher Individualität", Mannheimer Forum 1983/84, S. 79. Kritisch hat zu demselben Projekt Stellung genommen: Friedrich Vogel, "Wir sind nicht die Sklaven unserer Gene", Mannheimer Forum 1984/85, S. 61. — Eine gründliche allgemeine Einführung in die "Anlage-Umwelt-Problematik" gibt das Buch von Friedrich Vogel u. Peter Propping, "Ist unser Schicksal angeboren?", Berlin 1981.
Für Laien empfehlenswert ist das leichter lesbare, mit großer Sorgfalt recherchierte und geschriebene Buch von Dieter E. Zimmer, "Der Mythos der Gleichheit", München 1980 (das seinem Verfasser, wie bei diesem Thema offenbar unvermeidlich, heftige — wenig qualifizierte — Attacken einbrachte, siehe z. B. Lothar Baier, "Ein Traumtänzer als Wissenschaftsjournalist", Frankfurter Rundschau vom 1. November 1980, S. IV).
132) Schon eine so hochgradig vereinfachte Darstellung dieses von der heutigen Wissenschaft noch keineswegs vollständig durchschauten Sachverhalts müßte eigentlich genügen, um erkennen zu lassen, wie unerreichbar fern heute noch die Möglichkeit liegt, etwa bestimmte menschliche Eigenschaften durch "Gen-Manipulation" gezielt zu verändern. Die Sorge davor ist auf absehbare (aller Voraussicht nach in Jahrhunderten zu denkende) Zeiträume, wenn nicht für immer, unbegründet. Dem widerspricht nicht die Tatsache, daß es heute schon möglich ist, Methoden theoretisch zu beschreiben, mit denen es in absehbarer Zeit gelingen könnte, bestimmte als Erbkrankheit auftretende Stoffwechselstörungen durch Eingriffe in das menschliche Genom zu beseitigen. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten bestehen nicht etwa nur graduelle, sondern grundsätzliche Schwierigkeitsunterschiede.
133) Das konkrete Beispiel ist dem Bericht von Dieter E. Zimmer, "Doppelmensch: Ein Experiment der Natur", Zeitmagazin vom 15. Januar 1982, S. 14, entnommen, der ebenfalls das Forschungsprojekt in Minneapolis zum Gegenstand hat. Lykken und Bouchard haben sich nur hinsichtlich einer anderen Gruppe von "kuriosen" Übereinstimmungen sehr vorsichtig zur Frage einer möglichen Erklärung geäußert: "Ein Zwillingspaar stellte fest, ... daß beide dieselbe Zahnpasta-Marke, dasselbe Rasier- und dasselbe Haarwasser benutzten und daß sie auch die gleiche Zigarettenmarke rauchten. Unmittelbar nach ihrem ersten Treffen schickten sie einander Geburtstagspakete, die sich in der Post kreuzten: Beide hatten, wie sich herausstellte, in verschiedenen Städten und ohne es zu wissen, für den anderen dasselbe ausgesucht. Wir halten das nicht für die Folge von Telepathie, und wir nehmen auch nicht an, daß es Gen-Orte gibt, bei denen ein Allel [= eine bestimmte Gen-Variante] den Menschen dazu veranlaßt, Vademecum-Zahnpasta zu verwenden, und ein anderes ihn dazu bringt, eine andere Marke zu wählen. Wir vermuten vielmehr, daß in demselben kulturellen Umfeld aufgewachsene eineiige Zwillinge ähnliche Geschmäcker und Interessen entwickeln." (Quelle: s. Anm. 131/2, S. 107/8)
134) Zu diesem nächstliegenden Einwand noch einmal Lykken und Bouchard (131/2, S. 107):
"Wären solche Beobachtungen an zusammen aufgewachsenen Zwillingen gemacht worden, hätte man sie sogleich auf die gemeinsame Umgebung, die wechselseitige Beeinflussung und dergleichen zurückgeführt. Bei getrennt voneinander aufgewachsenen Zwillingen jedoch müssen wir nach einer anderen Erklärung suchen. Selbstverständlich könnten alle diese Ähnlichkeiten auf bloßen Zufällen beruhen, doch sind sie bei EZG [= <Eineiige Zwillinge, Getrennt aufgewachsen>] so zahlreich und demgegenüber in den Berichten der ZZG [= ›Zweieiige Zwillinge, Getrennt aufgewachsen‹] so selten, daß wir nicht umhin können, sie für mehr zu halten als für zufällige Übereinstimmungen, die auch willkürlich herausgegriffene Menschen in ihren Lebensläufen entdecken könnten, wenn sie danach suchten."
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135) Karl R. Popper, "Von den Quellen unseres Wissens und unserer Unwissenheit", Mannheimer Forum 1975/76, S. 9 (Zitat S.50)
136) Peter Sloterdijk, "Kritik der zynischen Vernunft", Frankfurt/M. 1983, Bd. 1, S.118
137) Die Geschichte des Erkenntnisproblems wird in jeder philosophischen Einführung zusammenhängend dargestellt. Ich empfehle Interessenten insbesondere die Broschüre von Gerhard Vollmer, "Evolutionäre Erkenntnistheorie", Stuttgart 1975, weil sie in kurzer, auch für den Laien gut lesbarer Form nicht nur den "klassischen" Teil der Geschichte des Problems behandelt, sondern auch seine neueste, in gewisser Hinsicht als revolutionär zu bezeichnende Wende zur "evolutionären" Interpretation. — Ich selbst habe die wichtigsten Einzelheiten in meinem letzten Buch "Wir sind nicht nur von dieser Welt", Hamburg 1981, zusammengefaßt (S. 153 ff., "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?").
138) Konrad Lorenz, "Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens", München 1973,S.15
139) Erich v. Holst, "Zur Psycho-Physiologie des Hühnerstammhirns", in: J. D. Achelis u. H. v. Ditfurth (Hrsg.), "Befinden und Verhalten", Stuttgart 1961, S. 55
140) In der Philosophie wenigstens gibt es nachweislichen Fortschritt. Ein Beispiel, das sich an dieser Stelle anbietet: Noch Schopenhauer hielt Aussagen, die auf "Urteile a priori" zurückgehen, für objektiv unbestreitbar. So schreibt er etwa in den "Erläuterungen zur Kantischen Philosophie" (Parerga und Paralipomena, I/1, Zürich 1977, S. 118):
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"Die Zeit kann keinen Anfang haben, und keine Ursache kann die erste sein. Beides ist a priori gewiß, also unbestreitbar." Wir würden heute vorsichtig hinzufügen: "... innerhalb des Rahmens der uns angeborenen logischen Strukturen." Der Zusatz hat nicht bloß abstrakten Charakter. Er räumt unter anderem die Möglichkeit ein, daß die Aussage im Kontext der objektiven Realität falsch sein könne, was wiederum die Möglichkeit eröffnet, etwa (wie tatsächlich geschehen) astrophysikalische, kosmologische Hypothesen zu entwickeln, die der durch die Aussage formulierten Bedingung nicht gehorchen.
141) In meinem letzten Buch (s. Anm. 137) habe ich auf den Seiten 168 bis 170 eine astronomische Beobachtung ausführlich geschildert, die ein besonders anschauliches Beispiel für einen empirischen Beleg des Phänomens der "Konstanz der Lichtgeschwindigkeit" und seiner realen Konsequenzen darstellt.
142) Den Kritikern, die sich, wie vorhersehbar, abermals an diesen unleugbar anthropomorphen Formulierungen stoßen werden, die scheinbar auf eine Personalisierung der Evolution hinauslaufen, möchte ich, wie schon bei früheren Gelegenheiten, folgendes zu bedenken geben: Unsere Sprache ist aus der Perspektive handelnder und leidender Personen entwickelt worden. Sie weist als Folge davon eine Struktur auf, bei der die Verwendung anthropomorpher Formulierungen die Beschreibung auch apersonaler Prozesse erheblich vereinfacht.
Andersherum: Wenn ich das, was im Text mit nur zwei Sätzen gesagt wurde, unter Berücksichtigung der korrekten Wiedergabe auch der — in dem betreffenden Zusammenhang grundsätzlich nicht wichtigen — ursächlichen objektiven Faktoren formuliert hätte, wären dazu mehrere Seiten notwendig gewesen, eine unnötige Erschwerung des Verständnisses dessen, worauf es im Augenblick wesentlich ankam.
Die Methode ist legitim. Mein Kronzeuge dafür ist Immanuel Kant: "Daher spricht man ... ganz recht von der Weisheit, der Sparsamkeit, der Vorsorge, der Wohltätigkeit der Natur, ohne dadurch aus ihr ein verständiges Wesen zu machen." (Kritik der Urteilskraft, § 68)
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143) H. v. Ditfurth, "Das zweckentfremdete Gehirn", Naturwissenschaft und Medizin (n+m) Nr. 8 (1965), S. 2 (Nachdruck in: "Zusammenhänge", Hamburg 1974, S. 22). — Ausführlich in: H. v. Ditfurth, "Der Geist fiel nicht vom Himmel", Hamburg 1976. — Ursachen, Ausmaß und Konsequenzen der aus dieser Besonderheit ihrer evolutionären Vorgeschichte erwachsenen Eigentümlichkeiten unseres Erkenntnisvermögens hat meines Wissens als erster Rupert Riedl systematisch untersucht ("Biologie der Erkenntnis", Berlin 1980). — Aber so neu das alles sein mag, die Erfahrung, daß alles in der Vergangenheit schon einmal gedacht wurde, gilt nachweislich auch hier. Zu meinem nicht geringen Erstaunen fand ich bei Descartes den folgenden Satz: "Es genügt, wenn wir beachten, daß die sinnlichen Wahrnehmungen nur [der] Verbindung des menschlichen Körpers mit der Seele zukommen und uns in der Regel sagen, wiefern äußere Körper derselben nützen oder schaden könnten, aber nur bisweilen und zufällig uns darüber belehren, was sie an sich selbst sind." (Rene Descartes, "Principia Philosophiae" (1644), deutsch: Werke, 2. Abteilung, Leipzig 1882, S. 44 [zit. nach: Shmuel Sambursky, "Der Weg der Physik", Ausgewählte Texte, Zürich 1975, S. 319])
144) Hans Mohr, "Biologische Grenzen des Menschen", Zeitwende, 56. Jahrg., Heft 1 (Januar 1985), S. 1
145) Rupert Riedl, von dem diese treffende Formulierung stammt, belegt das in seinem schon zititerten Buch (s. Anm. 143) an einer Fülle von Beispielen.
146) Dietrich Dörner u. Franz Reither, "Über das Problemlösen in sehr komplexen Realitätsbereichen", Zs. f. experimentelle u. angew. Psychologie XXV, 4 (1978), S. 527
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147) Vgl. Seite 154, auf welcher der Unterschied zwischen arithmetischen und geometrischen Vermehrungsreihen erläutert und mit Beispielen veranschaulicht wurde. Zu dem dort verwendeten "Seerosen-Beispiel" hier noch eine ebenso erheiternde wie aufschlußreiche Ergänzung.
Es belegt die charakteristische Schwierigkeit, sich geometrische (exponentielle) Reihen vorstellen zu können, drastisch, daß ich an dieser Stelle, an der ich den Unterschied ausdrücklich erklären wollte, bei meiner Erklärung selbst prompt in die (angeborene) Falle gelaufen bin. Ich muß hier nämlich das Geständnis ablegen, daß mir erst durch zwei Zuschriften — auch aufschlußreich: mehr Zuhörer bzw. Leser dieses von mir schon früher benutzten Vergleichs haben es nicht bemerkt — die Augen dafür geöffnet worden sind, in welchem Maße das "Seerosen-Beispiel" den Rahmen alles realistisch Denkbaren sprengt. Nach 100 Verdoppelungsschritten würden die Seerosen nämlich eine Seeoberfläche bedecken, die 1014 (das ist eine 1 mit 14 Nullen!) mal größer wäre als die gesamte Erdoberfläche, und — bei einem angenommenen Gewicht von einigen Gramm pro Einzelblüte — ein Gesamtgewicht haben, das größer wäre als das von 100 Erdkugeln.
148) Wichtigster Mitbegründer und dominierender Spiritus rector dieser Richtung war der in Baltimore lehrende Psychologe John B. Watson. Die ideologische Bedeutsamkeit dieser (extremen und einseitigen) psychologischen Schule zeigt sich besonders deutlich in dem Werk eines ihrer moderneren Vertreter: Burrhus F. Skinner, "Jenseits von Freiheit und Würde", Hamburg 1973.
149) Einige der Argumente kamen bei der Schilderung des von Th. Bouchard in Minneapolis geleiteten Zwillingsforschungs-Projekts schon zur Sprache (s. das Kapitel "Erfahrungen mit dem Doppelgänger", ab S. 289). Eine sehr gute Übersicht gibt Gerhard Medicus, "Evolutionäre Psychologie", in: J. A. Ott u. a. (Hrsg.), "Evolution, Ordnung und Erkenntnis", Berlin 1985. Dort auch eine Fülle weiterführender Literatur.
150) C. F. v. Weizsäcker, "Der Garten des Menschlichen", Frankfurt/M. 1980, S. 209
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151) Die vielfältigen Symptome dieses Umstands werden seit langem diskutiert. Zu ihnen gehört das zu Recht als bedrohlich empfundene Faktum, daß die heutige Gesellschaft zivilisatorische Systeme eines Komplexitätsgrades hervorzubringen begonnen hat, der das analytische Vermögen der uns angeborenen Denkstrukturen hoffnungslos übersteigt. Das beginnt allein schon mit der Größe der Systeme, die wir politisch planend zu beherrschen hätten. "Die Welt wird bereits aus numerischen Gründen immer unregierbarer", schreibt Hans Mohr, der deshalb eine "Regionalisierung" empfohlen hat, den "Rückzug auf überschaubare Dimensionen", deren Größenordnung dem Fassungsvermögen unserer an pleistozäne Verhältnisse angepaßten Ausstattung entspricht ("Wandlung von Verantwortung und Werten in unserer Zeit", Berichte der Deutschen UNESCO-Kommission, München 1982).
Ähnlich hat sich der Politologe Iring Fetscher geäußert: "An die Stelle der Utopie der einheitlichen Weltzivilisation ... sollte eine Welt der Vielfalt treten ... Vielleicht sind die regionalistischen Bewegungen — wie die der Bretonen, Basken, Flamen, Katalanen, Schotten usw. — Anzeichen dafür, daß das Bedürfnis der Menschen in industrialisierten Ländern nach erfahrbaren und erlebbaren kulturellen Gemeinschaften wächst." ("Politische Kultur und sozialer Wandel", in: Grete Klingenstein [Hrsg.], "Krise des Fortschritts", Wien 1984)
Man wird dem zustimmen, ist damit aber die Frage noch nicht los, wie sich auf diesem Wege die Vermehrung der zumindest psychologisch empfundenen Grenzen und mit ihnen die zunehmenden Anlässe zur Auslösung gruppenspezifischer Aggressionen wohl verhindern ließen.
152) Diesem Zusammenhang entspricht eine erstaunlich exakte Parallele zwischen dem Ablauf der Humanevolution, die dem Menschen Anlagen anzüchtete, mit denen er in der von ihm selbst veränderten Welt "fehlangepaßt" erscheint, und bestimmten Besonderheiten in der Karriere eines Berufspolitikers. Auch bei diesem könnte man zu der Feststellung kommen, daß die Eigenschaften, die er haben muß, um die harte Auslese seiner Laufbahn erfolgreich zu überstehen, sich in dem Augenblick als Fehlanpassung auswirken, in dem er auf dem von ihm angestrebten Gipfel der Machtausübung angelangt ist.
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Auch in diesem Falle ist es in der Regel nicht so, daß der einzelne Politiker diese Eigenschaften etwa während seiner Laufbahn erwirbt. Auch die biologische Evolution ändert ja nicht ein einziges individuelles Lebewesen. Die sie steuernden Selektionsfaktoren "wählen" vielmehr bekanntlich unter den vorhandenen Varianten nach dem Gesichtspunkt der Überlebenstüchtigkeit (gemessen am Vermehrungserfolg) aus. Analog im Falle der politischen Karriere. Von einem Politiker erwarten seine Anhänger (einschließlich der Wähler) Standfestigkeit, Durchsetzungsvermögen, "Prinzipientreue" und Widerstandskraft gegenüber jeglicher Opposition sowie, unter anderem, die Fähigkeit, die eigene Position allen denkbaren Einwänden gegenüber unbeirrbar und überzeugend verteidigen zu können. Wer die dazu notwendige Konstitution und "Härte" nicht aufbringt, wird "ausgelesen": von den Parteigremien nicht mehr aufgestellt, vom Wähler nicht gewählt.
Wenn ein solcher Mann den nach diesen und vergleichbaren Gesichtspunkten wertenden Selektionsprozeß seiner Karriere aufgrund entsprechender Anlagen jedoch erfolgreich überstanden hat, ist er, objektiv betrachtet, in gewissem Sinne fehl am Platze. Denn die Aufgaben, denen er sich, am Ziel angekommen, gegenübersieht, erfordern jetzt eigentlich die Bereitschaft zum Zuhören, zur Abwägung (und nicht "Abschmetterung") den eigenen Standpunkt in Frage stellender Gegenargumente, Lernfähigkeit (einschließlich der Fähigkeit und Bereitschaft, den eigenen Standpunkt gegebenenfalls zu korrigieren) und eine hinreichende Sensibilität allen "in der Luft liegenden" Veränderungen gegenüber. Alle derartigen Eigenschaften aber werden durch die typische Politikerkarriere konsequent (negativ) ausgelesen: Die Eigenschaften, die ein Politiker haben muß, um Karriere zu machen, haben mit den Eigenschaften, die er braucht, um als Inhaber der politischen Macht nutzbringend tätig werden zu können, zu unser aller Schaden offensichtlich herzlich wenig zu tun.
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153) A. Schopenhauer, "Welt und Mensch", Stuttgart 1966, S. 162
154) Ulrich Horstmann, "Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht", Wien 1983
155) Bei Schopenhauer fand ich den dieser Aussage "seelenverwandten" Satz:
"Wenn man ... die Summe von Noth, Schmerz und Leiden jeder Art sich vorstellt, welche die Sonne in ihrem Laufe bescheint; so wird man einräumen, daß es viel besser wäre, wenn sie auf der Erde so wenig, wie auf dem Monde, hätte das Phänomen des Lebens hervorrufen können, sondern, wie auf diesem, so auch auf jener die Oberfläche sich noch im krystallinischen Zustande befände."
(§156 der "Nachträge zur Lehre vom Leiden der Welt", in: Parerga und Paralipomena II/l, Zürich 1977, S. 325)156) Eine ironische und traurige Randbemerkung:
Horstmanns Verzweiflungsausbruch läßt sich freilich auch ganz anders deuten. Ein besonders groteskes Beispiel dafür lieferte eine Rezension seines Buchs, die am 17.03.1984 vom Südwestfunk ausgestrahlt wurde (der Name der Rezensentin sei hier rücksichtsvoll verschwiegen) und in der die Ansicht vertreten wurde, daß es sich um ein Stück skrupelloser "Vernichtungspropaganda" handele, verfaßt in einem Geiste, den der Autor offensichtlich "mit den Herren im Pentagon, mit gewissen Volksvertretern und den Rüstungsfabrikanten" teile, denen er in seiner Schrift "eine moralische Rechtfertigung zu konstruieren" trachte.
Man könnte über solches Ausmaß vernagelter Blödigkeit lachen, wenn der Fall nicht als Beispiel einer derer unserer Schwächen gelten müßte, an denen wir zugrunde gehen werden. Denn es braucht ja wohl kaum näher begründet zu werden, warum jemand, der sich seinen Kopf so hoffnungslos einseitig hat einnebeln lassen, im eigenen Lager mit spiegelbildlich getreuer Identität eben jene alle Friedensmöglichkeiten sabotierende Rolle spielt, die er in dem von ihm als "gegnerisch" angesehenen anderen Lager mit dem Vergrößerungsglas fixiert und voll Entrüstung anprangert. Aber es ist eben, all ihrer Paradoxie zum Trotze, eine in manchen Kreisen grassierende Meinung, daß die möglichst holzschnittartige Herausarbeitung von Feindbildern der Friedenssicherung dienlich sei.
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157) Leonard Hayflick, "Human Cells and Aging", Scientific American, März 1968, S. 32. — Zur Vermeidung von Rückfragen gleich noch folgender Zusatz: Selbstverständlich konnte der amerikanische Mikrobiologe nicht etwa sämtliche aus diesen 50 Teilungsschritten hervorgehenden Zellen konservieren. Hier kommt wieder der uns unvorstellbare exponentielle Charakter aufeinanderfolgender Verdoppelungsschritte ins Spiel: Nach 50maliger Teilung einer einzigen Ausgangszelle würde die insgesamt resultierende Zellmasse ein Gewicht von etwa 20 Millionen Tonnen aufweisen. Eine weitere, hierhergehörende Überlegung: Wir selbst bestehen aus rund 10h13 Zellen (= 10 Billionen Zellen), die das Resultat der "nur" rund 40maligen Teilung einer einzigen befruchteten Eizelle sind. (Eine Galaxie enthält demgegenüber nur rund 10h11 = 100 Milliarden Fixsterne.)
Wenn die Eizelle, die unseren Ursprung darstellt, sich 110mal geteilt hätte — eine absolut irreale Vorstellung —, würden wir so viel wiegen wie die ganze Erdkugel (und nach 200maliger Teilung dieser Zelle würde unser Körper den gesamten Raum des uns sichtbaren Universums ausfüllen). Man ersieht daraus — wenn man bedenkt, daß das für jede sich teilende Zelle gilt, also selbstverständlich auch für die Myriaden auf der Erde existierenden einzelligen Mikroorganismen (Amöben, Bakterien etc.) —, daß das Phänomen des "Todes" (Zell-Todes) allein schon aus räumlichen Gründen eine zwingende Notwendigkeit darstellt. — Erwähnt sei schließlich, daß der französische Chirurg und Nobelpreisträger Alexis Carrel in den 30er Jahren weltweit mit der Behauptung Aufsehen erregte, es sei ihm gelungen, isoliert in Zellkulturen fortgezüchtete Herzmuskelzellen von Hühner-Embryonen zeitlich unbegrenzt ("ewig") am Leben zu erhalten ("Der Mensch, das unbekannte Wesen", Berlin 1936). Man weiß heute, daß Carrel sich geirrt hat. (Bei der von ihm angewendeten Kulturtechnik läßt es sich nicht vermeiden, daß die Nährlösung bei jeder notwendigen Erneuerung mit frischen Embryonalzellen angereichert wird.)
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In Wirklichkeit gibt es unter allen Zellarten eines metazoischen ("vielzelligen") Organismus nur eine einzige bezeichnende Ausnahme, die "unsterblich" ist, und diese bringt den Organismus, in dem sie auftaucht, um: Es ist die krebsig entartete Zelle. Nur ihre Teilungsfähigkeit ist offenbar unbegrenzt. "Unsterblichkeit" auf zellulärer Ebene ist folglich mit der Lebensfähigkeit eines Vielzeller-Organismus unvereinbar — womit zugleich gesagt ist, daß dessen Lebensfähigkeit aus eben diesem Grunde auch nur von vorübergehender Natur sein kann.
158) Der mit dem Tod abschließende Alterungsprozeß des Menschen stellt nach unserem heutigen Wissen ein "multifaktorielles" Geschehen dar. Zahlreiche Faktoren tragen zu ihm bei: die Ansammlung nicht mehr abbaubarer Stoffwechselprodukte im Zell-Leib ("Alterspigment"), eine nachlassende Leistungsfähigkeit des Immunsystems (Infektabwehr), Kalk- und Lipoproteinablagerungen in den Gefäßen (Arteriosklerose), Zunahme des Bindegewebsanteils auf Kosten der funktionstragenden Zellen sowie die Konsequenzen thermodynamischer Naturgesetzlichkeit: Es ist grundsätzlich unmöglich, daß die mit jeder Zellteilung einhergehende Verdoppelung auch des Erbmoleküls DNS in jedem Falle fehlerlos erfolgt. Obwohl es eigene Reparatur-Gene gibt, die derartige Kopierfehler beheben können, sammeln sich im Laufe des Lebens daher fehlerhafte DNS-Abschnitte (Mutationen) in der Zelle an und beeinträchtigen zunehmend ihre Lebensfähigkeit.
Alle diese — und noch einige weitere — Faktoren machen die Unsterblichkeit eines lebenden Organismus von vornherein und grundsätzlich unmöglich. Es ist bedenkenswert, daß die Natur sich mit dieser Tatsache nicht zufrieden gab und zusätzlich das komplizierte zeitliche Programm einer aktiven Begrenzung der Lebensdauer in einem jeweils speziescharakteristischen Rahmen entwickelte. — Wer sich für den Stand der wissenschaftlichen Alterungstheorien interessiert, sei auf das Buch von Dieter Platt, "Biologie des Alterns", Stuttgart 1976, verwiesen.
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159) Tod bedeutet auch "das Freigeben der Zukunft der anderen, die man verstellt, solange man den eigenen Raum der Geschichte durch sich selbst mit besetzt hält". (Karl Rahner, "Christlicher Humanismus", in: Schriften zur Theologie, Bd. 8, Köln 1967, S. 253)
160) Dazu nochmals Schopenhauer: "Für uns ist und bleibt der Tod ein Negatives, — das Aufhören des Lebens; allein er muß auch eine positive Seite haben, die jedoch uns verdeckt bleibt, weil unser Intellekt durchaus unfähig ist, sie zu fassen. Daher erkennen wir wohl, was wir durch den Tod verlieren, aber nicht, was wir durch ihn gewinnen." (S. Anm. 155, S. 302, Fußnote) Ich beziehe mich hier ganz bewußt und mit besonderem Vertrauen gerade auf diesen Philosophen, weil die ihm von allen Seiten attestierte Tendenz zu schonungsloser Skepsis und äußerstem Pessimismus die Gewähr bietet, daß dem bei der Erörterung speziell dieses Themas ständig lauernden Wunschdenken möglichst wenig Chancen bleiben.
161) Günther Anders, "Die Antiquiertheit des Menschen", Bd. 1, München ''1983, S. 58/59 — Anders deutet an dieser Stelle die Möglichkeit an, daß wir vielleicht "zu sterblich" seien, um das Nichtsterben auch nur "meinen" zu können. Es nimmt wunder, daß dieser Autor zur Erklärung nicht auf die philosophischen Feststellungen verweist, mit denen die existentielle Bedeutung der Zeitlichkeit unseres Daseins begründet worden ist.
162) Beide Zitate aus: Stefan Graf Bethlen, "Der Tod als Grenzsituation in Existenzphilosophie und Existentialismus", in: "Vom menschlichen Sterben und vom Sinn des Todes", Freiburg 1983, S. 165
163) Hans Kunz: "Die Sterblichkeit als immanentes Konstituens des Menschseins und der ihm einwohnende wirkliche Tod gehören überhaupt nicht in die Dimensionen des Erlebens und Verhaltens, fallen also auch nicht unter die Zuständigkeit der Psychologie und Physiologie ..." ("Zur Anthropologie der Angst", in: H. v. Ditfurth [Hrsg.], "Aspekte der Angst", Stuttgart 1965, S. 44)
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164) 90. Psalm, Vers 12
165) "Hättet ihr Menschen den Tod nicht, ihr würdet mir ohne Unterlaß fluchen, daß ich euch desselben beraubt hätte. Bedacht habe ich ein wenig Bitterkeit hinzugemischt, um zu verhindern, daß ihr, wenn ihr fühltet, wie lieblich sein Genuß ist, demselben zu gierig und zu unbedachtsam nachjagen möchtet. Um euch in diese Mäßigung zu versetzen, weder das Leben zu fliehen, noch vor dem Tode zurückzuscheuen, habe ich beides, das Bittere wie das Süße, das eine durch das andere gemäßigt." (Michel de Montaigne, zit. nach: Iring Fetscher, "Arbeit und Spiel", Stuttgart, S.97/98)
166) Zit. nach Theodor Glaser, "Sterben als die letzte Chance des Lebens", in: s. Anm. 162, S. 154
167) Diese oft gehörte Behauptung wurde erst kürzlich in der zitierten Form expressis verbis von Franz M. Wuketits wiederholt ("Zustand und Bewußtsein. Leben als biophilosophische Synthese", Hamburg 1985, S. 222). Zu diesem Buch, auf das ich mich noch einige Male beziehen werde, vorsorglich gleich folgende Anmerkung: Wuketits unternimmt den lesenswerten und kenntnisreichen Versuch einer philosophisch-biologischen Synopsis des Lebensphänomens als unauflösbarer spirituell-materieller Ganzheit. Insbesondere in dem mich hier interessierenden 5. Kapitel "Gehirn, Psyche und Bewußtsein", in dem die verschiedenen Möglichkeiten der Interpretation des sog. Leib-Seele-Problems kritisch von ihm abgehandelt werden, bekennt er sich als entschiedener Positivist und Monist ("Identist"). Da ich konträrer Auffassung bin, werde ich auf seine Thesen unvermeidlich kritisch und widersprechend eingehen. Dadurch darf nicht der Eindruck entstehen, als beurteilte ich sein anregendes Buch insgesamt ablehnend.
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168) Ich habe die Gründe mehrfach zusammengestellt und kann das hier nicht nochmals in aller Ausführlichkeit wiederholen: "Gedanken zum Leib-Seele-Problem aus naturwissenschaftlicher Sicht", Kulturhist. Vorlesungen der Universität Bern, 1979, S. 171. — "Wie der Geist in die Welt kam", in: "Wir sind nicht nur von dieser Welt", Hamburg 1981, S. 262. Soweit ich von den dort vertretenen Auffassungen inzwischen abweiche (man lernt eben niemals aus), ist das in diesem Buch berücksichtigt.
169) Die nach wie vor beste Übersicht über alle historisch wichtigen und aktuell diskutierten Deutungsmöglichkeiten angesichts des Problems gibt Gerhard Vollmer, "Evolutionäre Erkenntnistheorie und Leib-Seele-Problem", in: "Wie entsteht der Geist?", Herrenalber Texte, Nr. 23, Karlsruhe 1980, S. 11.
170) Zitiert nach: Willy Hochkeppel, "Die Philosophie ist tot — es lebe die Philosophie. Richard Rorty hinter den Spiegeln", Merkur, Heft 4/1983, S. 432
171) So Konrad Lorenz erst kürzlich wieder in lakonischer Kürze. ("Der Abbau des Menschlichen", München 1983, S. 17) Gerhard Vollmer übrigens hat mir bei Gelegenheit vorgehalten, ich hätte in meinen Büchern die gleiche Ansicht vertreten, was es um so unverständlicher mache, wenn ich für einen dualistischen Standpunkt plädierte (s. Anm. 169, S. 38). Nun habe ich allerdings (z. B. in "Der Geist fiel nicht vom Himmel", Hamburg 1976, S. 12 u. 14) geschrieben — und dazu stehe ich nach wie vor —, daß auch unser Geist "aus dieser Entwicklung (der Evolution) hervorgegangen" sein müsse. Ich halte es jedoch nicht für Haarspalterei, wenn ich darauf bestehe, daß das noch immer nicht mit der "identistischen" Auffassung deckungsgleich ist, die annimmt, daß die Evolution psychische Phänomene quasi ex nihilo auf grundsätzlich die gleiche Weise "produziert" habe wie Beine, Leber oder die Voraussetzungen einer lebenerhaltenden Kreislaufregulation. Wer das zitierte Buch zu Ende liest (oder das in Anm. 168 zitierte Kapitel "Wie der Geist in die Welt kam" aus meinem letzten Buch), kann sehr wohl feststellen, in welchem durchaus dualistischen Sinne ich dieses "hervorbringen" verstehe.
Dazu auch noch einiges im vorliegenden Text, wobei ich vorsorglich hinzusetzen möchte, daß ich meine Auffassung bei dieser Gelegenheit nur knapp skizzieren und schon aus Platzgründen nicht gegen jeden Einwand abgesichert darstellen kann (s. S. 355/56).
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172) Hier ist Gelegenheit, auf die brillanteste und ideenreichste Auseinandersetzung mit dem monistischen Epiphänomenalismus hinzuweisen, die in den letzten Jahren erschienen ist: Hans Jonas, "Macht oder Ohnmacht der Subjektivität?. Das Leib-Seele-Problem im Vorfeld des Prinzips Verantwortung", Frankfurt 1981. Auf ganzen 85 Seiten (gefolgt von einem Anhang) rechnet der Autor mit dieser These in einer Weise ab, die das alte Problem insofern definitiv um einen Schritt vorangebracht hat, als man sich von jetzt ab bei seiner Diskussion um diese epiphänomenalistische Variante mit gutem Gewissen nicht mehr zu kümmern braucht.
(Deshalb ist es auch zumindest irreführend — und jedenfalls unverständlich —, wenn F. Wuketits in seinem jüngsten Buch "Zustand und Bewußtsein" [s. Anm.167] Jonas beiläufig als Vertreter "einer philosophisch anspruchsvollen Form des Epiphänomenalismus" vorstellt.)
173) Gerhard Vollmer behilft sich mit der Hypothese, daß Bewußtseinsfunktionen arterhaltende Vorteile böten, wobei er gleichzeitig allerdings einräumen muß, "daß es auch anders ginge" (Anm. 169, S. 36). Auch diese Hilfshypothese aber beseitigt nicht den Einwand, daß die Identitätshypothese letztlich ebenfalls auf eine epiphänomenalistische Deutung psychischer Phänomene hinausläuft, weil alle psychischen Prozesse auch bei diesem Erklärungsmodell einseitig und ausschließlich von körperlichen, naturgesetzlich bestimmten Prozessen abhängen, ohne selbst eine ursächliche Rolle spielen zu können.
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174) Er verstieße aus seiner Sicht gegen das Gesetz, wenn er die Möglichkeit auch nur in Betracht zöge, daß seine "Gedanken" ihrerseits die Macht hätten, ihre eigene Abfolge mitzubestimmen, wenn er etwa annähme, daß aus einem seiner Gedanken der nächste hervorginge, anstatt unbeirrt daran festzuhalten, daß es in Wirklichkeit körperliche, naturgesetzliche Kausalität ist, die ihren Ablauf regiert. Diese Überlegung stellt übrigens einen der zentralen Einwände dar, die Hans Jonas (s. Anm. 172) gegen den monistischen Epiphänomenalismus vorbringt.
175) Auch dieses Problem sieht Gerhard Vollmer ohne Beschönigung. In einem persönlichen Brief beantwortete er meine Frage, wie er sich das Zustandekommen einer als "spontan" erlebten Entscheidung aus monistischer Sicht vorstelle, durch den Hinweis auf die mögliche Existenz eines biologischen Zufallsgenerators: "Gehirnprozesse könnten ... durch Verstärkung quantenhafter Zufallsprozesse teilweise Zufallscharakter haben. Spontaneität wäre dann z.B. zu erklären als Output eines Zufallsgenerators mit einer scharf und schnell auswählenden Bewertungsprozedur."
Das ist konsequent monistisch gedacht und unangreifbar. Anzumerken ist allerdings auch hier wieder die unübersehbar "epiphänomenalistische" Abwertung des psychischen Aspekts.
176) Zitiert nach: Otto Creutzfeldt, "Philosophische Probleme der Neurophysiologie", in: <Rückblick in die Zukunft>, Berlin 1981, S. 274. Wie das Zitat schon vermuten läßt, neigt dieser Autor — und zwar aufgrund seiner Übersicht über das heute vorliegende neurophysiologische Wissen — bei aller vorsichtig-selbstkritischen Zurückhaltung doch eher zu einer dualistischen Auffassung (obwohl auch er das Problem eines "Bruchs des Kausalitätsprinzips" ausdrücklich anspricht). Trotzdem äußert er abschließend die Ansicht, "daß die Neurophysiologie zu dem Schluß zu kommen scheint, dem Bewußtsein als Erfahrung dessen, was im Gehirn vorgeht, eine unabhängige Seinsqualität zuzuschreiben".
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177) Andererseits werde ich im folgenden nicht die Jonassche Argumentation übernehmen, sondern auf den "Kausalitätseinwand" mit einer anderen Möglichkeit antworten, da ich glaube (ganz ausnahmsweise), einen psychologisch eingängigeren Weg zu seiner Überwindung zu sehen. Die Nachbemerkung allerdings, die Jonas seiner eigenen Erklärung folgen läßt, möchte ich in vollem Umfange auch für meine Vermutung übernehmen:
"Mein Gefühl sagt mir, daß das richtige, wenn es überhaupt je zu haben ist, ganz anders aussehen würde... Worauf es bei meiner Konstruktion ... allein ankommt, ist, daß sie (so glaube ich) in sich sauber ist und ›die Phänomene rettet‹, damit zeigend, daß man diesen auch auf andere Weise gerecht werden kann als durch die Aufopferung eines von ihnen ... Im letzten vindiziert die Macht der Subjektivität sich selbst, indem wir denken, und sollte des Umweges der Hinwegräumung eines künstlich dagegen errichteten Interdikts nicht erst bedürfen." (S. Anm. 172, S. 84/85)
178) Ilya Prigogine, "Vom Sein zum Werden. Zeit und Komplexität in den Naturwissenschaften", München 1979, S. 37: "Wir werden sehen, daß diese Eigenschaft des strengen Determinismus in der klassischen Mechanik aus einer übermäßigen Idealisierung des Begriffs des Anfangszustandes herrührt." Notabene: Diese Feststellung gilt selbst für die klassische Mechanik! S. 38: "Und nun sehen wir, daß selbst die klassische Dynamik statistischer Methoden bedarf, sobald lange Zeiträume betrachtet werden." Prigogine erhielt 1977 den Nobelpreis für seine grundlegenden theoretischen Untersuchungen, mit denen er entscheidend zur Überwindung der Grenze zwischen Physik und Biologie beitrug, indem er nachweisen konnte, daß auch irreversible makrophysikalische Prozesse nicht — wie theoretisch bis dahin anzunehmen — ausschließlich zu "Unordnung", sondern sehr wohl auch zu spontaner Entstehung von Ordnungsstrukturen führen können.
179) Lorenz hat das irgendwo geschrieben, ich beschwöre es, muß die Aussage allerdings aus dem Gedächtnis zitieren, da ich die Stelle nicht wiederfinden kann. Bemerkenswerterweise hat sich auch Albert Einstein in dem gleichen Sinne geäußert:
"Wie ist es möglich, daß die Mathematik, die doch ein von aller Erfahrung unabhängiges Produkt des menschlichen Denkens ist, auf die Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich paßt? ... Hierauf ist nach meiner Ansicht kurz zu antworten: Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit."
("Geometrie und Erfahrung", in: Sitzungsberichte d. Preuß. Akademie d. Wissenschaften, Berlin 1921, 1. Bd., S. 123)
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180) Mir scheint noch immer unverändert zu gelten, was Wilhelm Griesinger, der Nestor der wissenschaftlichen Nervenheilkunde, vor 140 Jahren zu dem Thema schrieb:
"Wüßten wir auch alles, was im Gehirn bei seiner Tätigkeit vorgeht, könnten wir alle chemischen, elektrischen etc. Processe bis in ihr letztes Detail durchschauen — was nützte es? Alle Schwingungen und Vibrationen, alles Electrische und Mechanische ist doch immer noch kein Seelenzustand, kein Vorstellen. Wie es zu diesem werden kann — dies Räthsel wird wohl ungelöst bleiben bis ans Ende der Zeiten und ich glaube, wenn heute ein Engel vom Himmel käme und uns Alles erklärte, unser Verstand wäre gar nicht fähig, es nur zu begreifen!" ("Verhältniss des Gehirns zu den psychischen Acten", in: "Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten", Amsterdam 1964 [faksimilierter Nachdruck von 1845], § 4, S. 6) —
Der "Materialist" Ernst Bloch stellte fest, "daß, auch wenn man in einem Gehirn umhergehen könnte wie in einer Mühle, man nicht darauf käme, daß hier Gedanken erzeugt werden".
(<Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Substanz>, Bd. 7 der Gesamtausgabe, Frankfurt/M. 1972, S. 311/12)
181) Damit dabei nicht sofort wieder neue Mißverständnisse entstehen, muß ich hier die Bedeutung kurz präzisieren, die ich mit dem Wort "Bewußtsein" in diesem Zusammenhang verbinde. Der Begriff ist ja außerordentlich umfassend. Leider wird das in der Diskussion häufig nicht beachtet, was gelegentlich zu heilloser Verwirrung führt. Ein negatives Beispiel liefert in dieser Hinsicht leider Franz Wuketits in seinem letzten Buch (s. Anm. 167).
Als das Bewußtsein kennzeichnende Kriterien führt er (S. 208) zunächst die Fähigkeit zur Selbstreflexion an, ferner die Fähigkeit, "Absichten haben" und "Zwecke setzen zu können", dazu die "Fähigkeit zur Selbstkritik". Damit ist der Bewußtseinsbegriff bereits so ausgeweitet, daß sich innerhalb der Leib-Seele-Diskussion fast jedes Argument mit ihm verträgt. Aber damit nicht genug: Auch die Tatsache, daß der Mensch sich seines Lebens "mehr oder weniger bewußt sein kann" (S. 209), daß er sein Leben mehr oder weniger "bewußt" führen kann, bezieht W. in seine Definition noch ein. Und schließlich spricht er (S. 239) auch noch von der "Evidenz des [bewußten] Erlebens", was heißen solle, "daß man sich sprachlich über Bewußtseinszustände mitteilen kann, daß diese subjektiven Phänomene durchaus intersubjektiv [Hervorhebung im Original] kommunizierbar sind". Daß sie das gerade nicht sind, unterstreicht z. B. Gerhard Vollmer: "Soweit sie für das Leib-Seele-Problem relevant sind, meinen wir mit ›Geist, Seele, Bewußtsein‹ jenen Innenaspekt allen Erlebens, der ausschließlich subjektiv und individuell erlebt wird [Hervorhebung im Original]. Alles Intersubjektive gehört dagegen nicht zu der problematischen Seite des Leib-Seele-Problems." (S. Anm. 169, S. 34)
Diese Feststellungen treffen präzise den entscheidenden Punkt. Erfahrungsgemäß ist es schwer, die Diskussion von Mißverständnissen freizuhalten. Vielleicht hilft eine Anekdote ein bißchen weiter: Ein mir befreundeter (badischer) Kollege pflegt seine Frau gelegentlich scherzhaft mit "Automätle" anzureden, was er mit dem Umstand begründet, daß es ihr trotz angestrengter beiderseitiger Bemühungen nicht gelungen sei, ihm zu beweisen, daß sie (wie er) auch "über ein Bewußtsein" verfüge. Mit dieser — vornehm ausgedrückt: "operationalen" — Definition ist denkbar exakt der Bewußtseinsbegriff kenntlich gemacht, auf den es in der "Leib-Seele-Diskussion" allein ankommt. Alle "Kommunizierbarkeit" hilft der Frau nichts. Daß sie rechnen kann, sich erinnern, in sprachlichen Wendungen ihre eigene Existenz objektivieren und sogar in Zweifel ziehen kann, alles das könnte eben ein Automat auch (oder wird es in Zukunft leisten können), ohne deshalb schon ein "Bewußtsein" in dem hier gemeinten Sinne haben zu müssen.
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Dieses Bewußtsein ist unabhängig von den Inhalten, auf die es sich beziehen kann (und die ihrerseits sehr wohl "intersubjektiv kommunizierbar" sind, was aber eben auch dann gilt, wenn sie ohne Bewußtsein als objektive Leistungen feststellbar sind). — Ich muß hier das Geständnis hinzufügen, daß ich mit früheren Publikationen zu dieser Verwirrung selbst beigetragen habe, indem ich zwischen diesen Leistungen und dem — unter bestimmten Umständen — mit ihnen einhergehenden Bewußtsein nicht eindeutig genug unterschieden habe. (Anm. 168)
182) Ich kann mich hier auf die Auffassung Karl R. Poppers beziehen, daß "die Welt aus mindestens drei ontologisch verschiedenen Teilwelten" besteht. Als erste nennt Popper "die physikalische Welt oder die Welt der physikalischen Zustände; als zweite die Bewußtseinswelt oder die Welt der Bewußtseinszustände; als dritte die Welt der intelligibilia oder der Ideen im objektiven Sinne", in der neben anderem (etwa mathematischen Theorien) auch eine Mozart-Sonate oder eine Bachsche Kantate unabhängig von unserem Wissen um sie oder von ihrer Realisierung in der physikalischen Welt objektiv existiert. ("Zur Theorie des objektiven Geistes", in: "Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf", Hamburg 1973, S. 172 ff.)
183) Zit. nach Gisbert Greshake, "›Monologische‹ oder ›dialogische‹ Unsterblichkeitsbegründung", in: Franz Böckle et al. (Hrsg.), "Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft", Freiburg 1980, Bd. 5, S. 90/91
184) Die Besinnung darauf immunisiert übrigens auch gegen die erstaunliche Naivität, mit der die seit einigen Jahren in Schwung gekommenen Berichte über die Erlebnisse "klinisch toter", dann aber doch noch reanimierter Patienten von vielen — gelegentlich sogar von Geistlichen! — als "Beweise" für ein "Überleben des eigenen Todes" angesehen werden. Wer seine Hoffnungen auf derartig unsinnige Argumente stützt, darf sich nicht wundern, wenn sie sich bei der ersten Begegnung mit rationaler Kritik in Luft auflösen.
Was von diesen Berichten — deren Echtheit mitunter durchaus einzuräumen sein mag — in Wirklichkeit zu halten ist (und wie sich insbesondere die von vielen als "beweisend" angesehenen Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Berichten erklären lassen), ist ärztlicherseits wiederholt gesagt worden. (Ein Beispiel: Sigrid Hunke, "Tod — was ist dein Sinn?", erscheint Ende 1985.) Aber an "natürlichen" Erklärungen sind die meisten Menschen auf diesem Felde erfahrungsgemäß nur wenig interessiert.
185) Dazu drei Anmerkungen:
Daß die von mir hier angesprochene "erkenntnistheoretische Transzendenz" (einer "Welt an sich" im Sinne Kants) nicht identisch ist mit dem von der Theologie gemeinten "Jenseits", daß sie andererseits aber der Vernunft einen Zugang zu diesem Jenseits der Theologen öffnen kann, ist einer der zentralen Gedanken meines letzten Buchs und dort ausführlich begründet ("Wir sind nicht nur von dieser Welt", Hamburg 1981). — Daß die "Beweispflicht" in der alltäglichen Diskussion einseitig dem auferlegt zu werden pflegt, der an die Existenz einer jenseitigen Wirklichkeit glaubt, scheint mir auf eine Art "Versicherungsmentalität" zurückzuführen zu sein: Der Ungläubige sichert sich durch seinen Zweifel vor der möglichen Enttäuschung seiner Hoffnung ab, ohne ein Risiko übernehmen zu müssen. Denn wenn er sich irren sollte, fällt ihm der gleiche Vorteil zu wie dem Gläubigen. Die spiegelbildlich umgekehrte Einstellung drückt sich in der Bereitschaft zur "Wette" (unter Inkaufnahme des vollen Risikos) aus, für die Blaise Pascal bekanntlich plädierte: Zwar sei es keineswegs sicher, daß die Religion Wahrheit sei, "aber wer würde zu sagen wagen, es sei sicher möglich, daß sie es nicht ist?". ("Gedanken", Stuttgart [Reclam] 1978, S. 134) —
Und schließlich:
Auch der seit den Zeiten Ludwig Feuerbachs unermüdlich vorgebrachte "Einwand", aller Jenseitsglaube sei schon deshalb unhaltbar, weil es sich bei ihm offensichtlich um eine Wunschvorstellung handele, berührt weder die Frage seiner Plausibilität noch die der Beweislast. Denn es ist zwar richtig, daß der Wunsch nach einem Jenseits nicht als Argument für die Wahrscheinlichkeit seiner Existenz angesehen werden kann. Logisch unzulässig ist jedoch der Umkehrschluß, daß dieser Wunsch die Wahrscheinlichkeit seiner Existenz verringere. (Einem Naturwissenschaftler liegt eher der umgekehrte Gedanke nahe, da er vergleichbaren Korrespondenzen innerhalb der Biologie fortwährend begegnet: Durst ist für ihn sehr wohl ein "Beweis" für die Existenz von Wasser. Ich verdanke den Hinweis auf diese bedenkenswerte Analogie meinem verstorbenen Freund Gottlieb v. Conta.)
186) "Parerga und Paralipomena" II/1, Zürich 1977, S. 295
187) Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei darauf hingewiesen, daß Schopenhauer den Begriff "Bewußtsein" hier in einem ganz anderen Sinne benutzt, als ich ihn bei der Diskussion des psychophysischen Problems definiert habe (s. Anm. 180). Schopenhauer meint hier, wie aus anderen Teilen des Textes hervorgeht, das individuelle Bewußtsein unter Einschluß des Erlebnisses der eigenen (quasibürgerlichen) Identität.
188) Martin Luther in einer seiner Tischreden (zitiert nach Paul Althaus, <Die Theologie Martin Luthers>, Gütersloh 1962, S. 354.)
Mit "Anfahrt" ist soviel wie Herkunft gemeint: die Zeit vor der Geburt (vgl. S. 330).
Ende, Moral
189) Man wird angesichts des sich aus diesem Blickwinkel ergebenden Unterschiedes zwischen den verglichenen Lebensphasen vielleicht davon reden können, daß die individuelle biographische Entwicklung einhergeht mit dem Aufstieg von einer noch eher animalischen (biologischen Bindungen unterworfenen) zu einer eher geistigen (menschlicher Individualität Raum gebenden) Existenzweise. Möglicherweise läßt sich dazu sogar eine stammesgeschichtliche Entsprechung denken (deren "Rekapitulation" die biographische Entwicklung darstellte): Vielleicht ließe sich der — aller Wahrscheinlichkeit nach keineswegs etwa schon abgeschlossene — "Tier-Mensch-Übergang" treffender als durch die Fähigkeit zur Werkzeugherstellung oder zum Umgang mit dem Feuer mit der Frage nach dem (geologischen) Augenblick erfassen, in dem innerhalb der bis dahin noch als vormenschlich anzusehenden Population erstmals konkrete Individuen (kraft ihrer Individualität) Bedeutung erlangten?
— Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang auch die Hypothese eines namhaften Schweizer Soziologen und Kulturphilosophen, daß die Entwicklung innerhalb fortgeschrittener Gesellschaften auf eine zunehmende "Vereinzelung" ihrer Mitglieder zusteuere (und mit ihr womöglich gar ihrem Ende): "Es ist ohne Zweifel nicht undenkbar ... daß die autistische Gesellschaft, in der ein hohes Maß an Freiheit und Individualität verwirklicht erscheint, den Höhepunkt und zugleich das Ende unserer Geschichte darstellt." (H.-J. Hoffmann-Nowotny, "Auf dem Wege zu einer Gesellschaft von Einzelgängern?", Neue Zürcher Ztg., 7.7. 1984, S. 9)
190) Werner Siemens (damals noch nicht geadelt), "Das naturwissenschaftliche Zeitalter", Tageblatt der 59. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte, Berlin 1886, S. 92. — Wir sollten uns davor hüten — als "Besserwisser post festum" haben wir dazu ohnehin allen Grund —, dem Redner blinden Fortschrittsoptimismus vorzuwerfen. Er gab nur der Auffassung seiner Epoche beredten Ausdruck.
191) Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Insel-Ausgabe, Leipzig o. J., S. 456
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