Teil3 -- Feuer 1994 .....  mit Anmerkungen von detopia-2005.

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Der ökologische Wert der Armut

 

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Die ÖDP ist am einflußreichsten im süddeutschen Raum, und sie entfaltet heftige Aktivitäten in der ehemaligen DDR. In Sachsen half sie der Zeitschrift Ökostroika mit Geld und Anzeigen. Die Ökostroika druckte, was als Mißverständnis entschuldigt wurde, nämlich eine Anzeige des Jahresweiserverlages, der auch neofaschistische Texte publiziert. In einem Interview in Ökostroika wurde die Frage aufgeworfen, ob »die Auseinandersetzungen innerhalb der schwarzen Bevölkerungsmehrheit nicht eigentlich eine späte Rechtfertigung für die Apartheidspolitik« seien.

Aus Ökostroika und Bündnis 2000 wurde die Monatszeitschrift Quer, die ab Januar 1992 monatlich in Berlin erschien. Hier schrieben, neben dem Ex-Chefredakteur von Ökostroika auch Leute von der ÖDP, der AL (dem Berliner Landesverband der Grünen), dem Bündnis 90 und dem Neuen Forum521), ein Bündnis, das über die Vereinigung der Grünen mit dem Bündnis 90 auch organisatorische Gestalt annahm.

Müll und Armut spielen im Menschenbild von »Bürgerbewegten« eine besondere Rolle. Möglicherweise haben wir in unserer linken Blindheit bis heute eine wesentliche Seite an der »Marktwirtschaft« übersehen, wie die Bürgerbewegten den Kapitalismus neckisch nennen.

Über den ökologischen Nutzen der Armut klärt uns Quer unter der Überschrift »Ökologisch nützlich — sozial geächtet« in einem ungewöhnlich zynischen Artikel auf.

In Jakarta sammeln jeden Tag 37.000 Menschen auf Müllhalden Papier, Glas, Metall und Holz. »Sie verkaufen es an Händler und erhalten so ein Recyclingsystem, das jährlich mehrere Millionen Tonnen dieser Wertstoffe in die Produktion zurückführt. Ihr wirtschaftlicher Nutzen ist groß für die Stadt.«

Quer bedauert nicht die elende Existenz, sondern die gesellschaftliche Achtung, die die Menschen im Müll erfahren, wo sie arbeiten, um überleben zu können. Den indonesischen SlumbewohnerInnen fehlt nach Ansicht der deutschen Bürgerbewegten der echte Unternehmergeist: Die »Müllsammler« (Frauen kommen in der Sprache nicht vor), heißt es bedauernd, »geben [...] ihr Geld aber zumeist nicht zukunftssichernd aus, sondern unterstützen Angehörige in den Heimatdörfern oder erwerben Konsumgüter.«


Quer preist ein Projekt der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), das »Hilfe zur Selbsthilfe« leiste, Infrastruktur, effektivere Selektierung und Vermarktung des Mülls und Hilfe bei der Erhöhung der »Akzeptanz bei der Bevölkerung und den Behörden [...], um die Müllsammler in die städtische Gesellschaft sozial zu integrieren«. Diese Akzeptanz ist nicht einmal ein Übergangsschritt in eine bessere Zukunft, die Armut wird gebraucht: »Die Eigeninitiative der Müllsammler verringert die sozialen und ökologischen Kosten des Staates erheblich.«522)

Manche Interessen lassen sich widerspruchsfrei vereinen: Während rechte Naturschützerinnen Armut aus ökologischen Gründen nützlich finden, brauchen Konzerne viele billige Menschen für die Produktion.

Auf der Tagesordnung der Konferenz des Bündnis 90 im April 1992 in Berlin stand die geplante Vereinigung mit den Grünen. Eine große Gruppe von ÖDP-Gästen beobachtete interessiert die Versammlung. Vielerorts arbeitete das Bündnis 90 bereits eng mit der ÖDP zusammen. Das Image des Bündnis 90 als tapfere, aufrechte, selbstlos um Demokratie kämpfende politische Gruppe war schon damals ein Mythos. Auf dem Parteitag der Grünen vom 1. bis 3. Mai 1992 in Berlin beschlossen die Grünen die Vereinigung mit dem Bündnis 90 zu einem Projekt, das den »Geist von Bewegung atmet und die Kraft zur politischen Intervention besitzt«. Was für ein Geist?

 

Konrad Weiß, Bundestagsabgeordneter des Bündnis 90, plädierte während des Golfkrieges für Rüstungs­exporte nach Israel. Er setzt sich gegen offene Grenzen und für Kontingente für EinwanderInnen ein. Er forderte die Bundestagspräsidentin auf, den Anti-§218-Antrag seiner damaligen Fraktionskollegin Christina Schenk nicht zuzulassen. Und er war vermutlich nicht unzufrieden über die Brandenburger Landtagsfraktion des Bündnis 90, die die ÖTV-Mitglieder im Frühjahr 1992 zum Abbruch des Streiks und zum Lohnverzicht aufrief.523)

Das Bündnis 90 ist keine besonders soziale Partei — außer es geht um populäre Forderungen für die Ost-Deutschen.

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Wie sieht es beim Naturschutz aus? Durch die Enthaltung der Brandenburger SPD/FDP/Bündnis 90-Regierung scheiterte die Einführung des Tempolimits von 120 Stundenkilometern im Bundesrat.524 Für den Riesenflugplatz »Berlin International«, ausgelegt auf 25 Millionen Passagiere (der Flughafen Tegel fertigt heute sieben Millionen Passagiere ab) bekam Ministerpräsident Stolpe natürlich auch die Zustimmung des Bündnis 90, ökologische Bedenken hin oder her oder gleich ganz vergessen.

Es war nicht vorstellbar, daß die Grünen sich gegen die Vereinigung mit dem Bündnis 90 entscheiden würden. Dieser Vereinigung wurden die wenigen Reste vormals emanzipatorischer Politik zum Opfer gebracht, was dem größeren Teil der grünen Partei kein besonderes Bauchgrimmen verursachte. Ein bißchen Streit gab es noch um das Frauenstatut und die Mindestquotierung. Der Antikapitalismus war schon abgeschafft, Basisdemokratie schon lange. Die klassische Forderung der Grünen nach sofortiger Stillegung aller Atomanlagen wurde in der rosa-grünen Regierungspraxis ausgehebelt. Die Forderung nach offenen Grenzen für alle Flüchtlinge wurde abgelöst von der Kontingentierung von Einwandererinnen. Daniel Cohn-Bendit, der in Frankfurt gelegentlich den öffentlichen »Diskurs« mit der NPD pflegt, fand die im Mai 1992 letztmalig knapp bestätigte grüne Forderung nach offenen Grenzen »gemeingefährlich« und »kindisch-trotzig«.525)

Mit dem Widerstand gegen Rassismus hatte das Bündnis 90, das die »freie Entfaltung wirtschaftlicher Eigeninitiative« von der FDP abgeschrieben hat, nie was am Hut. In einem programmatischen Grundsatzbeschluß vom Mai 1992 526) wird das gescheiterte »größte zentralistische Gesellschaftsexperiment«, der Sozialismus (der keiner war), erwähnt, mit keinem Wort aber die notwendige politische Aufarbeitung des Faschismus oder die Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen und neofaschistischen Gruppen. Wir lesen Vages über »die Weiterentwicklung [...] unserer Ethik« (ausgerechnet unter dem Punkt »Stärkung der Organisationsstruktur«).

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Statt der Solidarität mit den Opfern des Rassismus finden wir eine Anerkennung des »Anderen als Anderen«. Weiß das Bündnis 90, wie dicht es mit dieser Formulierung bei den taktischen Positionen von Rechtsextremistinnen liegt, die statt »Ausländer raus« nun das strikte, unvermischte, abgegrenzte »Nebeneinander« der »Völker« (das in Südafrika zur Apartheid gerann) als Respekt vor anderen »Kulturen« verkaufen?

Ein nicht weiter ausgeführtes »Bewußtsein der eigenen Identität« (als Deutsche ?) und die Absicht des Bündnis 90, sich »von moralischen und spirituellen Werten« leiten zu lassen, sind schon der schärfste Ausdruck seiner gesellschaftlichen Vision neben dem »Blick nach vorn: Teilhabe am Eigentum«. Günter Nooke, damals Mitglied im Landessprecherrat und zugleich Vorsitzender der brandenburgischen Landtagsfraktion des Bündnis 90, erklärte uns 1992, wie er sich von »moralischen und spirituellen Werten« leiten läßt. Unverantwortlich sei der kleine, noch teilweise linke grüne Landesverband in Brandenburg, »absurd und wenig politikfähig« seine Vorstellung von offenen Grenzen, mit der »zwei Milliarden Menschen nach Brandenburg« eingeladen werden.527)

Die Zeitung Junge Freiheit, deren Redaktion sich aus Republikanern, Aktivisten der neofaschistischen Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) und Nationalrevolutionären zusammensetzt, steht als »Plattform für eine Ideologie zur Verfügung, in deren Mittelpunkt >die europäische Zivilisation der Weißen< steht. Ihr biologistisches Weltbild geht davon aus, daß Kultur mit Nation gleichgesetzt wird, daß die in der genetischen Vielfalt wurzelnde Ungleichheit nicht aufhebbar sei.«528)

Der »Ethnopluralismus«, die Formel der Rechtsextremisten und Neofaschisten für die Anerkennung »des Anderen als, Anderen« (Bündnis 90), bedeutet nicht weniger, als daß Kultur mit Nation gleichgesetzt wird, daß die weiße europäische »Rasse« — und darin vor allem das deutsche Volk — unvermischt zu bleiben hat, daß jede »Bastardisierung«, jede Vermischung mit »minderwertigem Menschenmaterial«, mit Gewalt zu unterbinden ist.

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In Junge Freiheit verbreitet der österreichische Journalist Günther Nenning: »Das Nationale war immer ein wichtiger Bestandteil der europäischen Politik. Warum soll es das nicht wieder sein?« Ein »Menschenrecht« sei, »bei sich daheim zu sein, nicht überrollt zu werden, sondern das Seine behaupten zu dürfen«.529)

1993 schrieb Günther Nenning in einer Kolumne in der österreichischen Kronenzeitung von der »Meute der Haider-Hasser«. »Meute«, antwortet Thomas Rothschild in der Frankfurter Rundschau, »nennt man gemeinhin eine Gruppe von Hunden, die einen wehrlosen Hasen jagt.« Nenning bekennt seine »perverse Vorliebe für Jörg, diesen Stachel im welken Fleisch der Dame Koalition.« Rothschild: »Wohin der Stachel zielt, scheint ihm gleichgültig zu sein.«530)

Im Schlepptau des Bündnis 90 könnte die ÖDP mit zahlreichen Vertreterinnen oder vielleicht ganzen Ortsverbänden in die Grünen einzusickern versuchen. Sie trifft zum Teil auf ihre eigenen Leute und auf ein vielerorts gut vorbereitetes Terrain, nicht nur in den Köpfen.

 

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»Juden, Zigeuner, deutsche Ossis und Russen

aller Arten werden uns auf den Straßen begegnen ...«

 

In Hamburg lobte die ÖDP die gute Zusammenarbeit mit der GAL, dem Landesverband der Grünen. Mitten im Wahlkampf 1991 zur Hamburger Bürgerschaftswahl lud die ÖDP ihre Mitglieder für den 28. Mai 1991, also fünf Tage vor der Wahl, »zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung mit Conny Jürgens, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, Wahlkandidatin der Grünen/GAL, zum Thema >Was bedeutet der grüne Neuanfang für die ÖDP?< [...] Sie haben die Gelegenheit, die populäre Kandidatin der Grünen/GAL, die gleichzeitig Vorstandsmitglied des Grünen Forums [einer rechten Abspaltung bzw. Fraktion der GAL] ist, zu den Chancen und Perspektiven, die sich durch den - von der Hamburger ÖDP unterstützten - Zusammenschluß von Grünem Forum und GAL [...] ergeben, zu befragen. Die aktuelle Entwicklung der Grünen im Bundesgebiet, deren realpolitische Wendung von der ÖDP wohlwollend betrachtet wird, spielt dabei sicherlich auch eine Rolle.«531

Einige BesucherInnen berichteten, was die »populäre« grüne Kandidatin, die früher einmal Linke war, der ÖDP zu sagen hatte: »Es geht darum, alle ökologischen Kräfte zu bündeln. Dazu gehört auch die ÖDP.« Und: »Solche Schlagwörter wie Antifaschismus dürfen keine Rolle mehr spielen.«532

Für die GAL Hamburg, den grünen Landesverband, sitzen heute, seit der Bürgerschaftswahl 1991533, mindestens zwei Mitglieder des ÖDP-nahen Grünen Forums in der Hamburger Bürgerschaft, eben jene Conny Jürgens und Martin Schmidt. »In mehreren Bezirken sind ÖDP-Mitglieder Mitglied der Fraktion der Grünen Bezirksversammlungen beziehungsweise ihrer Ausschüsse (Altona, Harburg, Wandsbek). Die Mitarbeit der ÖDP-Mitglieder ist normaler Alltag unserer politischen Arbeit«, schrieb Peter Schwanewilms, Kreisvorstandsmitglied der Grünen Altona im Mai 1992 in einem Leserbrief an die Tageszeitung (taz).534)

Nach der umstrittenen Vereinigung des ÖDP-nahen Grünen Forums mit der GAL Hamburg hatte die taz gejubelt: »Innerhalb weniger Wochen wurde aus einer starr dogmatischen, ja fast reaktionären Fundi-Festung ein normaler grüner Landesverband [...] das ist kein Rechtsruck, sondern neue Vielfalt [. . .] Es ist bewundernswert, wie sie den neu eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende geht.«535)

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Welche »konsequent« menschenverachtende, rassistische und antisemitische Sprache diesen »neuen« Weg begleitet, formulierte der grüne inzwischen wiedergewählte Bürgerschaftsabgeordnete Martin Schmidt, der auch eine Zusammenarbeit mit der CDU nicht ausschließen will,536 schon vor den Wahlen von 1991: »Was soll aus Hamburg werden? [...] Die schönen Tage von Aranjuez sind jetzt vorbei: Hamburg wird nach allen Regeln der ökonomischen und politischen Entwicklung in den nächsten Jahren eine führende Stellung in Mittel- und Osteuropa einnehmen. Hamburg wird auch, als prosperierende Großstadt, ein vorzügliches Ziel für Einwanderer aus dem Osten werden. Juden, Zigeuner, deutsche Ossis und Russen aller Arten werden uns auf den Straßen begegnen. [...] Hamburgmuß die Auswanderung von jungen Menschen in den Ostteil Deutschlands und nach Osteuropa fördern. Ostdeutschland und Osteuropa sind nicht zu reformieren ohne neue Menschen aus dem Westen.«537)

Mit diesen Worten wird die aggressive Ausdehnung des deutschen Lebensraums nach Osten und das Plattwalzen des »minderwertigen«, kulturlosen, östlichen »Menschenmaterials« durch den hochwertigen, westeuropäischen »neuen Menschen« gutgeheißen.

 

Die Grünen in Hamburg sind tatsächlich ein »normaler grüner Landesverband« (Tageszeitung), denn die grüne Normalität hat sich weit nach rechts verschoben. Während Daniel-Cohn-Bendit nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg im Frühjahr 1992 in Frankfurt erst Geheimgespräche mit der NPD führte und dann mit öffentlichen Gesprächen zu ihrer Gesellschaftsfähigkeit beitrug,538) stürzten sich die baden-württembergischen grünen Realos in Koalitionsgespräche mit der CDU.

Diese Gespräche hatten 1992 erst einmal die Funktion, den Gedanken an eine Koalition mit der CDU in den Grünen zu etablieren. Das gelang. Nur ein einziger Redner auf der Bundesversammlung der Grünen im Mai 1992 in Berlin widersprach der Begeisterung über den Bericht aus Baden-Württemberg. Die damalige grüne Frauenministerin Waltraut Schoppe in Niedersachsen, der Landtagsabgeordnete Fritz Hertle in Hessen — viele sind inzwischen für schwarzgrüne Pfründe.

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Während die Grünen von einer unaufmerksamen Öffentlichkeit noch für einen bunten, alternativen Haufen gehalten werden, bestimmen mehr und mehr grüne Bündnisse mit Rechtsextremistinnen und NeofaschistInnen den Parteialltag der Basis.

Für den Kreisvorsitzenden der Grünen im Unterallgäu, Gottfried Schwank, sind »die Klischees der achtziger Jahre«, die »von einer fundamentalistischen Minderheit geprägt« wurden, überholt. Das notwendige politische Gewicht für die Bundestagswahlen 1994 solle durch den Zusammenschluß mit dem Bündnis 90 erreicht werden, im Unterallgäu sei dazu auch ein Zusammengehen »unter einem Dach mit der ÖDP« denkbar. Schon 1990 stimmte eine grüne Stadträtin in Starnberg für den Republikaner Ernst Röhm (den Großneffen von SA-Röhm) als Umweltreferenten. Im Herbst 1991 hielt die grüne Fraktion im Schwabinger Stadtteilparlament in München einen Republikaner für das Amt des Ausländerbeauftragten für geeignet. Im Kreistag von Mühldorf/Inn (Bayern) schlossen die Grünen Ende 1991 eine Listengemeinschaft mit den Republikanern. Nur so könnten, begründeten sie das grün-braune Bündnis, Sitze in einigen Ausschüssen gewonnen werden. Denn »es geht um die konkrete Arbeit«, und außerdem seien die Mühldorfer Republikaner »gemäßigt«, »die sitzen nur drin und sagen nichts«.539 Der Mühldorfer Kreisverband sprach, anstatt ein Ausschlußverfahren einzuleiten, den grünen Kreisrätinnen Birgit Schmidt und Edda Zimmermann das Vertrauen aus. Schon 1989 kungelte in Heilbronn der grüne Stadtrat Wolf Theilacker mit Alfred Degenbach, dem Sprecher der Republikaner, über die Besetzung von Ausschüssen.

 

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Explosives Potential

 

Seit den fünfziger Jahren wird von rechten Ideologinnen gezielt versucht, Ökologie in rechter Interpretation für eine Modernisierung des Faschismus und als ein ideologisches Scharnier der Organisierung der rechtsextremistischen und neofaschistischen Szene zu nutzen. 1958 gründeten ehemalige Mitglieder der NSDAP den Weltbund zum Schutz des Lebens (WSL), der Lebensschutz und Umweltschutz mit Rassismus und völkischer Ideologie verknüpfte. Mitte der siebziger Jahre formulierte die NPD ein »Ökologisches Manifest«. Ende der siebziger Jahre gründete der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl die Grüne Aktion Zukunft (GAZ) und beteiligte sich mit dem neofaschistischem Gedankengut verbundenen Biobauern Baidur Springmann539a am Aufbau der Grünen, verließ aber die Partei 1981 wegen ihrer Linksentwicklung.

Teile der emanzipatorischen Gegenkultur der sechziger und siebziger Jahre, der Studentinnen-, Hippie-, Indianer- und sogenannten Alternativbewegung, entpolitisierten sich und wandten sich okkulten, esoterischen Sekten zu. Eine der einflußreichsten Sekten, die Anthroposophlnnen, bildeten einen starken rechten Flügel aus, der heute enge Verbindungen zur rechtsextremistischen bis neofaschistischen Szene entwickelt hat, aber auch Vertreterinnen seines linken Flügels finden wir als Autorinnen »nationalrevolutionärer« Postillen wie Wir selbst. In den achtziger Jahren gewannen die sogenannten Lebensschützerinnen und ökofaschistische Tendenzen innerhalb der Ökologiebewegung größeren Einfluß. Diese begann, durch die Anpassung der Grünen, teilweise auch durch den Einfluß der SPD und der CDU auf einige Umweltverbände, ihre soziale und antikapitalistische Orientierung aufzugeben.

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Die ökofaschistische Szene und ihre Vorfeldorganisationen sind für Außenstehende kaum durchschaubar. Unpolitische Szenen wurden und werden vereinnahmt. Früher verfeindete rechtsextremistische und neofaschistische Organisationen und Strömungen haben begonnen, sich anzunähern. Man braucht sich, man trifft sich, man schult gemeinsam.

Es ist ein explosives Potential entstanden, nicht von der restlichen Gesellschaft getrennt, sondern mit seinen Wurzeln und ideologischen wie personellen Verästelungen tief in die Gesamtgesellschaft eingebunden. Biologistisches, rassistisches, emanzipationsfeindliches Gift hat sich längst in liberalen und linken Kreisen verbreitet. Wir finden es in der Alltagssprache, in Lehrinhalten und in den Medien. Es ist in den Kreisen der akademischen Mittelschicht sehr beliebt und wird Gegenstand der Werbung. Die Firma Esprit ließ auf Werbetafeln plakatieren: »Wir könnten alle in Harmonie mit der Natur leben, wenn die Überbevölkerung nicht wäre.«

 

Biologie als Schicksal

 

Wer an einer Hamburger Schule ein Referendariat absolvieren wollte, mußte einen rassistischen Text unterschreiben: »Ich erkläre, daß ich deutscher Staatsangehöriger bin und meine Eltern und Großeltern nicht im Ausland geboren sind und auch nicht längere Zeit dort gelebt haben.« Der Text schloß nicht nur Nichtdeutsche aus und Menschen, deren Großeltern lange Auslandserfahrungen gemacht haben, sondern definiert das Deutschsein per Abstammung und Blut, also biologisch und nicht sozial, etwa mit dem Ort des Aufwachsens. Hamburger Eltern konnten zufrieden sein. Ihre Kinder wurden von richtigen Blutsdeutschen unterrichtet, die sich beugen ließen, ein solches Papier zu unterzeichnen. Trotz öffentlicher Kritik wollte die Hamburger Schulbehörde nicht auf den Text verzichten.

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Anderes »würde zu einer nicht hinnehmbaren Vergrößerung des Personenkreises führen«. Rassistische Auslese unter einer sozialdemokratischen Alleinregierung.540

In den Schulen beginnt sich die Auffassung durchzusetzen, daß menschliches Verhalten angeboren und nur begrenzt erlernbar ist: Biologie ist Schicksal. Die Soziobiologie, deren Wurzeln in der Verhaltensforschung Konrad Lorenz', in neueren Erkenntnissen der Physiologie menschlicher Gefühle und Verhaltensweisen und in der sogenannten Populationsgenetik liegen, führt letztlich zu der Konsequenz, daß es sich auch aus ökonomischer Sicht nicht lohnt, an den angeborenen, biologisch determinierten Fähigkeiten eines Menschen weiterzuarbeiten.

Das Menschenbild des Faschismus erfährt seine Wiederauferstehung in modernem, wissenschaftlichem Gewand. Es kriecht in die Soziologie, die Psychologie und in die pädagogische Praxis. Schon werden hier und dort einzelne Familien und Menschen für »nicht therapierbar« erklärt.541 Eine Gesellschaft beginnt sich ihrer sozialen Verantwortung für Krankheit und sogenannte Abweichungen zu entledigen. Auf der anderen Seite haben sogenannte Eliten Konjunktur. Die Konsequenz liegt im Interesse des Staates und des Kapitals. Der Abbau sozialer Hilfen verbilligt auch die Lohnnebenkosten: Der Mensch ist selbst schuld an seinem Elend.

 

Biologistisches Gedankengut fiel auch in den fünfziger Jahren nicht vom Himmel, sondern hat eine — sehr deutsche — Geschichte. Wissenschaftler wie Konrad Lorenz oder sein Schüler Irenäus Eibl-Eibesfeldt lieferten und liefern die pseudowissenschaftliche Grundlage: Praktisch alle Verhaltensweisen des Menschen seien angeboren und genetisch bestimmt. Der Mensch sei unveränderlich aggressiv und egoistisch, er hasse »Fremde« und verteidige sein »Revier«. So sei es ganz natürlich, daß Männer Frauen beherrschen.542 Lorenz' Position war seit 1940 weitgehend unverändert, nur seine Wortwahl paßte er der Zeit an.

Durch das Bevölkerungswachstum komme es zu einer »Verhaustierung« (1940)543), die Menschheit degeneriere, weil »sozial Ausfallbehaftete« (1973)544) nicht mehr selektiert würden. Gegen die angebliche Überbevölkerung setzte Lorenz schon 1940 den »rassischen Gedanken«545) und 1988 seine »gewisse Sympathie für Aids«, wie wir vernommen haben. Das läßt uns ahnen, welche mörderischen Motive hinter der Gleichgültigkeit der europäischen Elite gegenüber der Lage der aidskranken Menschen in Afrika stecken könnten.

Wenn Eibl-Eibesfeldt die Rolle der Frau als Mutter biologisch festschreibt und sie anderenfalls durch »gezielte Propaganda irregeführt« sieht, wenn er eine »Ethnie« für selbstmörderisch hält, die eine zu große »Zuwanderung« erlaubt, dadurch »Land [...] ab[tritt]« und die »eigenen Fortpflanzungsmöglichkeiten zugunsten eines anderen Volkes [...] begrenzt«, wenn sogar die Marktwirtschaft »stammesgeschichtlich« erklärt wird,546 sind irgendwann auch Kapitalismus und Imperialismus genetisch bestimmt, und Ausbeutung ist Schicksal, »Karma«, wie EsoterikerInnen sagen würden.

 

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