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Das New Age des Nationalsozialismus war das Dritte Reich

 

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Germanenkulte waren bei großen Teilen der Arbeiterjugendbewegung wie der Naturfreunde- und der Freidenkerbewegung beliebt. Wir finden germanen­tümelnde Elemente in Reden, Texten und Ritualen.574 Sonnwendfeuer wurden in proletarischem Traditionsbewußtsein zu gewaltigen Zeremonien, die Bewegung traf sich in zahlreichen »okkult«-sozialrevolutionären Gruppen unterschiedlichster Art. Gustav Landauer, Erich Mühsam und Gerhart Hauptmann etwa standen dem 1906 gegründeten Deutschen Monistenbund nahe, der einen mystischen, spirituell fundierten Sozialismus mit freier Religiosität und die »wilde Natur« pries. Ursprünglich sozial-revolutionäre, ritualisch-naturmystische Gruppen wie zum Beispiel der Wandervogel gerieten ins Fahrwasser konservativ-nationaler, später nationalsozialistischer Kreise.575)

Durch NSDAP-Parteikader wurde die Jugendbewegung den herrschenden Interessen unterworfen. Pfingsten 1933 feierte die Jugendbewegung ihr letztes »Fest der freien Bünde«. Das Fest endete mit der Selbstauflösung der beteiligten Gruppen. Gegen Ende der Weimarer Republik hatten die Organisationen der großen Jugendverbände mehr als 4 Millionen Mitglieder: Sportjugendverbände ca. 2.000.000, Katholische Jugendverbände ca. 1.000.000, Evangelische Jugendverbände ca. 600.000, Gewerkschaftsjugend ca. 400.000, Sozialistische Arbeiterjugend ca. 90.000 und der Kommunistische Jugendverband ca. 55.000 Mitglieder.

Allein die Organisationen der Bündischen Jugend hatten etwa 70.000 Mitglieder. 1932 kam die Hitlerjugend demgegenüber lediglich auf 40.000 Mitglieder, war also allein den linken Jugendverbänden und der Bündischen Jugend (zusammen mehr als 600.000 Mitglieder)576 - eigentlich - drastisch unterlegen.

Die Hitlerjugend trat das Erbe der Jugendbewegung an, pervertierte und zerstörte es. Spiritualität wurde gleichbedeutend mit Kult: Kult der Jugend, Kult der Arbeit, Kult des Volkes, Führerkult und Kult der Stärke.577) 

Biologischer Landbau verband sich magisch mit der heiligen »Mutter Erde«. Aus der Verbundenheit »mit der Scholle« konnte sich eine Wurzel von »Blut und Boden« entwickeln.


Die Wurzelrassenideologie der Theosophen und der Anthroposophen fügte sich nahtlos in nationalsozialistische Vorstellungen von der Reinhaltung der »arischen Rasse«. Die Angst der Bürgerinnen und Großbürgerinnen vor dem sozialen Abstieg ließ sie gierig Mystisch-Okkultes-Übersinnliches aufsaugen, was half, lästige Klassenkämpfe zu ignorieren, und die Ideologie der Vorherrschaft der eigenen Volksgemeinschaft nährte. Auch heute bilden Angst vor sozialem Abstieg, Sinnleere, Egokult, Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen im Trikont und der Armut in Europa den Nährboden für den wachsenden Einfluß der Esoterik.

 

Esoterische Gruppen aller Schattierungen blühten und halfen, den Boden für den Faschismus zu bereiten. Zu den Mitgliedern des antisemitisch-völkischen Geheimordens Thule-Gesellschaft (1918 gegründet) gehörten beispielsweise NS-Funktionäre wie Alfred Rosenberg, Julius Streicher und Hans Frank, Industrielle, Theodor Morell, der spätere Leibarzt Hitlers, und eine ganze Reihe von Adligen.578 »Thule« nannten die Theosophen und Ariomystiker die vermeintliche geistige Urheimat der Arier, ein versunkener Kontinent, von dem alle »höheren« Kulturen abstammen sollten.

Wie Konrad Lorenz wird heute der Psychologe C. G. Jung in Alternativkreisen unverdientermaßen verehrt. Wie Jungs analytische Psychologie trug Lorenz' Verhaltensforschung zur Unterstützung neuer deutscher Herrschaftsansprüche bei. So wie Konrad Lorenz' Buch Die sieben Todsünden der Menschheit nach dem Faschismus von seinem Schüler, dem Zürcher Psychologieprofessor Norbert Bischof, seiner faschistischen Inhalte bereinigt wurde,579 wurde auch bei C. G. Jung Geschichtsfälschung betrieben. 1939 würdigte Jung Hitler als »Medizinmann, Seher und Prophet«, als »wahrefn] Führer«, der mit magischer Macht ausgestattet sei. Und: Sofern die »Eingebung« des Führers die Eroberung Europas bedeute, stehe eine »extrem interessante Periode« bevor.

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Jungs wissenschaftlicher Beitrag bestand darin, die »Verschiedenheiten der germanischen und jüdischen Psychologie« herauszuarbeiten. Jung ist mit seiner Archetypenlehre, die unter anderem auch Wotan, dem germanischen »Gott der Raserei«, eine besondere Rolle zuschreibt, zum »auserkorenen Liebling« und einem der »Väter« der modernen New-Age-Bewegung geworden, z. B. von Franz Alt. Seine nationalsozialistische Vergangenheit wird geleugnet.

Das Blut, sowohl physisch wie mythisch begriffen, wurde zum Träger des Erbes der Germanen. Ariosophen wie Hans Wilhelm Hammerbacher (Vater der Armanenschaft-Chefin Sigrun Schleipfer) schrieb 1974: »Als im Jahre 1938 der Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich vollzogen wurde, war die Freude der Vorarlberger über die Vereinigung mit dem schwäbischen Nachbarland tief und echt«, denn es handelte sich, so Schleipfer, um die Vereinigung Germanenstämmiger gegen die »minderwertigen« Slowenen. Bis heute ist das Deutschsein im bundesdeutschen Grundgesetz an das »Blut« und nicht an den Wohnort gebunden. Heute kämpfen Neofaschisten auf der Seite Kroatiens gegen Serben und haben sehr ähnliche »Begründungen«: »Jetzt kämpfe ich gegen die verdammten Serben. Wie mein Vater damals in der Wehrmacht«, sagt einer, und ein anderer ergänzt im Sommer 1992: »Die serbische Mörderbande muß beseitigt werden, die Kroaten sind fleißiger als die Serben. Die sind dem Deutschen ähnlicher.«580 Die subtil rassistische Botschaft vieler Medienberichte entfaltete ihre Wirkung.

Hitler, der der Thule-Gesellschaft nahestand, hielt seine erste programmatische Rede »Warum sind wir Antisemiten?« auf einer NSDAP-Versammlung in München am 13. August 1920. Er sprach vom »tief-innerlichen Seelenleben« als Hort menschlicher Schöpferkraft, deren Träger in besonderer Weise »nordische Rassen« seien. Diesen stünden als Kulturzerstörer die »müßiggängerischen Südrassen«, insbesondere die Juden, gegenüber. 

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Während erstere allerorts ihre »befruchtende Kraft« entfalteten, bezweckten letztere durch ihr Wirken den Niedergang der Menschheit, zum Beispiel durch die kapitalistische Wirtschaftsweise. Hitler forderte daher den erbarmungslosen Kampf gegen den »Materialismus und Mammonismus«, was er gleichsetzte mit der »Entfernung der Juden aus unserem Volke [...] Unsere Sorge muß es sein, das Instinktmäßige gegen das Judentum in unserem Volke zu wecken und aufzupeitschen und aufzuwiegeln, so lange bis es zum Entschluß kommt, der Bewegung sich anzuschließen, die bereit ist, die Konsequenzen daraus zu ziehen.«581 

Wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses der frühen NSDAP war der Wille, die Natur durch den Geist zu überwinden und okkult zu beherrschen. Sie glaubten an »Wurzelrassen«, an eine Weltverschwörung, und beschworen eine Endzeitmystik. Das New Age des Nationalsozialismus war das Dritte Reich, das tausend Jahre dauern sollte. Für die Behauptung ihrer angeblichen Höherwertigkeit und für tausendjährige Heilsversprechen unterwarfen sich Menschen der faschistischen Ordnung, meinten, ihr Leben so besser ertragen zu können, und wurden zu Mittäterinnen. Auch heute, im Angesicht des sogenannten Wassermannzeitalters, soll niemand soziale Verantwortung tragen, nicht eingreifen, die herrschende Ordnung nicht stören, Erniedrigung und Naturverseuchung nicht aufhalten und jeden Gedanken an soziale Gleichheit und die Befreiung aller Menschen fallenlassen. Und wieder schwebt da ein Heilsversprechen: zu einer post»arischen« höherwertigen »Wurzelrasse«, einer Elite auf einer höheren Evolutionsstufe zu gehören, den meisten Menschen überlegen. Vermeintlicher Trost für Dumpfheit, Verrat, Unterwerfung und Sinnleere.

 

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Sexy Sadie - Gegenkultur und Esoterik seit 1945

 

Die politische Indianerbewegung, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA entstanden war, als Hopi und Lakota anläßlich der US-Atombombenabwürfe auf Japan ihre eigene Situation auf Uranabbaugebieten in den Reservaten öffentlich machten, verwandelte sich Ende der siebziger Jahre zum Teil in eine apolitische, romantisierende, magisch-kultische Indianerwelle. Daneben entstanden auch politische Indianerinnen-Solidaritätsorganisationen wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) oder die Münchner Big-Mountain-Aktionsgruppe. 

Aber auch in der Gesellschaft für bedrohte Völker scheint es merkwürdige Tendenzen zu geben. In der nationalrevolutionären, rechtsextremistischen Zeitschrift Wir selbst (1/1991) finde ich eine Anzeige der GfbV. Und auf einer streckenweise gemeinsamen Zugfahrt, 1987 oder 1988, verkündete ihr Vorsitzender Tilman Zülch, der schon früh für die Wiedervereinigung eingetreten war, Lenin (!) sei ein ebensolcher Massenmörder gewesen wie Hitler.

Neben der politischen Indianerinnen-Unterstützerszene entstanden die Stadtindianer - wie die Göttinger Mescale-ros.582 Sie stopften Indianer in positiv besetzte Klischees (weibliche Helden gab es nicht). Indianer waren wie Geronimo immer tapfere Krieger. Die Projektion der eigenen Sehnsucht nach dem Fremden, ganz in der Art Karl Mays, machte aus dem kolonialen Klischeebild des »wilden roten Teufels« ein alternatives; es blühen Schamanismus und Indianerkitsch.

»So manche Nacht hatte ich im Schlafsack an verlassenen Stränden zugebracht und einsame Tage der Meditation hoch in den Hügeln, mit Castanedas >Lehren des Don Juan< oder Hermann Hesses >Steppenwolf< als einzigen Begleiter«, trug Fritjof Capra auf einer Lesung vor.583 In manchem Selbsterfahrungsschwulst geht die Wahrheit unter.

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Carlos Castaneda, der Schriftsteller, der eine ganze Generation beeindruckt hat, ist ein erfolgreicher Blender. Seine ethnologische »wissenschaftliche Feldforschung« erwies sich als reine Schreibtischtätigkeit, und seine »historischen« Figuren sind nichts als Phantasiegestalten. Seine indianischen Schamanen haben keine soziale und politische Funktion mehr, und der politische Überlebenskampf und der Widerstand der indianischen Nationen gegen Zwangsumsiedlungen, Tiefflieger, Uranabbau, Wasserkraftwerke, goldschürfende Weiße oder Landraub werden in einer spekulativ-okkulten Traumwelt totgeschwiegen.

Politischer war die karibische Rastafaribewegung ab etwa 1975, sie verband Naturreligion, Christentum und Marihuanakult mit politischen Zielen. Regionale Widerstandsbewegungen im Baskenland (Euzkadi), in der Bretagne, auf Sardinien, Korsika, in Okzitanien, Irland, Wales und Schottland lebten schon früher wieder auf, entdeckten und entwickelten ihre eigene politische und kulturelle Identität durch Geschichtsbewußtsein, Lieder, Sprache, Politik und - zum Teil bewaffnete - Militanz.

Auch diese Bewegungen blieben, etwa ab 1980, nicht von einer unpolitischen, ökologisch-esoterischen Keltenwelle verschont, an die sich rechtsextreme, auch germanische Okkult-Gruppen anschlössen. Seit Anfang der achtziger Jahre boomt das Geschäft mit der naturreligiös-indianisch-keltisch-ger-manisch-esoterisch-ariosophisch-spirituellen Szene, die auch in Teile der feministischen Bewegung hineinwaberte. Wir finden ein spirituell-okkultes Naturverständnis etwa bei Rudolf Bahro und in Teilen der Frauenbewegung in den USA wie in der Bundesrepublik. Das Leben soll sich harmonisch in den Kreislauf der Natur einbetten (»Kreislauf« ist einer der vielen erfolgreichen, nicht hinterfragten Begriffe aus der Esoterik-szene«), und über allem schwebt als Vertreterin der »Mutter Erde« die matriarchalische »Göttin«.

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Wo so viel Irrationalität grassiert, geben irgendwann autoritäre, emanzipationsfeindliche und rechtsextremistische Ideologen den Ton an. Gugenberger und Schweidlenka ziehen in ihrem hervorragenden wissenschaftlichen Grundlagenwerk Mutter Erde, Magie und Politik59* Parallelen zwischen der heutigen Esoterik und der Gegenkultur der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Die Nazis hatten es leicht, Symbole und Zeremonien der Esoterikszene zu vereinnahmen, zu zahlreich waren die Berührungspunkte der faschistischen und der esoterischen Ideologie. Diese bot den NS-Faschisten »bereichernde Kultur- und Kultelemente: mystisch inszenierte Massenversammlungen, Runen-SS-Symbole, Blut-und-Boden-Ideologie. Über das seit etwa 1900 in völkisch-nationalen Kreisen gebräuchliche Hakenkreuz sagte Hitler 1920: »Wir wissen«, daß den »arischen« Menschen, als sie ihre nördliche Heimat verließen und nach Süden zogen, »ein Zeichen gemeinsam blieb: das Zeichen der Sonne [. . .] Es ist das Hakenkreuz dereinst von arischer Kultur gegründeten gemeinen Wesen.«585

Mitte der sechziger Jahre entdeckten Teile der Gegenkultur östliche Spiritualität. Die Beatles fanden im Guru Maharishi Maheshi Yogi ihren Meister, und der wurde weltberühmt. Das beschleunigte die Flucht aus der Politik, von den Straßen und Anti-Vietnam-Demonstrationen in die Aschrams. Irgendwann begriff John Lennon, wem sie da aufgesessen waren: »Als die Nachricht vom Tode Brian Epsteins kam, waren wir geschockt, völlig erschlagen. Wir gingen zum Maharishi und sagten: >Brian ist tot!< Und er antwortete so auf die Art: >Ah, so? Vergiß es, sei glücklich< - wie ein Vollidiot. Lächle, das sagte er - und wir haben es getan. «586 Als die Beatles dann vom Vergewaltigungsversuch des Gurus an Mia Farrow überzeugt waren, nahmen sie Abschied vom Maharishi und seinem »inneren Licht«: Wir »sagten: >Wir hauen ab<. Er fragte erstaunt, warum. Ich sagte: >Wenn du so kosmisch bist, dann weißt du es sowieso. < Und da warf er mir einen Blick zu, der besagte: >Ich bring' dich um, du Hund!< Da wußte ich es, ich

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hatte ihn durchschaut. Ich hab' dann das Lied >Sexy Sadie< geschrieben [.. .] Jetzt wißt Ihr es. Sexy Sadie, was hast Du getan, Du hast jeden zum Trottel gemacht. «587

 

Der Maharishi äußerte später, wer in Armut lebe, sei faul oder nicht intelligent genug. Ein großes Geschäft machte er, als Anfang der achtziger Jahre die ganze Belegschaft von General Motors sein Transzendentale Meditations (TM)-Programm kaufte. TM hat weltweit zwei Millionen Mitglieder, in der Bundesrepublik mehr als 100 000. Der Maharishi wurde so reich, daß er 1984 mit der Unterstützung des Diktators Marcos zwei philippinische Universitäten mit 60000 Studentinnen für TM-Massenexperimente kaufen konnte.

Sekten wie Scientology, Mun oder Universelles Leben sind besonders unter Jugendlichen, an Universitäten aber auch in allen anderen Bereichen der Gesellschaft auf dem Vormarsch, mit ihnen neofaschistische Gruppen wie die Europäische Arbeiterpartei (EAP), der seit längerem Kontakte zum Ku-Klux-Klan nachgesagt werden. Die objektive Aufgabe der Esoterik besteht heute wieder in der Umwandlung und der Anpassung gegenkultureller Bewegungen, die in Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse ausarten könnten, gegen den Kapitalismus und seine Verwertungsnotwendigkeiten. Es geht nicht um Naturbewußtsein, Magie und kosmische Paradigmenwechsel, sondern um Profit, Verblödung, Entpolitisierung, Anpassung und damit letztlich um ganz und gar nicht übersinnliche Herrschaftsstabilisierung.

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Rudolf Bahro und Rainer Langhans:

Der »grüne Adolf« und der »neue Mensch«

 

»Werden Nationalsozialismus nur als politische Bewegung versteht, weiß fast nichts von ihm. Er ist mehr noch als Religion, er ist der Wille zur neuen Menschenschöpfung.« Adolf Hitler 588)

 

Rudolf Bahro, 1935 geboren, schrieb 1977 Die Alternative, saß dafür zwei Jahre im DDR-Knast, kam zu den Grünen und verließ sie 1985 wieder.

In seinem Buch Logik der Rettung (1987) kann er sich die Rettung der Umwelt schon nicht mehr anders als durch eine »Rettungsregierung« — beispielsweise bestehend aus Biedenkopf/Lafontaine/Schily — vorstellen.

Dies ist jedoch nur eine so törichte wie moderate Vorstufe auf dem Weg zur eigentlichen politischen Konstruktion, einer »Weltregierung«, einem »Fürsten der ökologischen Wende«, »ein bißchen <Ökodiktatur> sei angebracht«.

Kritik an seinem »Ruf nach dem starken Mann« konterte Bahro auf einer Veranstaltung: »Ist es nicht wunderbar, wenn ein Land einen starken Mann hat wie Gorbatschow?! Er ist der Fürst, er wird sich durchsetzen.«589)

 

Einige Zeit nach seinem Austritt aus den Grünen schloß sich Bahro der »Lebensgemeinschaft« und »LernWerkstatt« in Niederstadtfeld in der Eifel an. Rund 14 Leute haben »sich zusammengefunden«, um unter dem Motto »Ganzheitliches Leben - ganzheitliche Politik« zu einer »spirituellen Neubegründung der Politik beizutragen«590 - was soll das im einzelnen sein? Wir finden Mozart, Beethoven und New Age, selbstgemachte Naturkosmetik, Tarot-Workshop, indianische Rituale, Vollwertkost, Tai Chi, auch wieder Franz Alt, selbstgefertigter modischer Schmuck, Kreistänze, adventlicher Apfelnachmittag, dazwischen als Minderheitenprogramm einmal einen Vortrag über die Verschuldung Lateinamerikas, Maria Mies als Referentin über Patriarchat und Kapital und

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Bahro selbst über Spiritualität und Politik, zweimal. 1989 finden wir in den Programmen für Januar, Februar und März kein einziges politisches Thema mehr: benediktinische Lebenspraxis und Spiritualität, New Age, Frauensprache -Männersprache (noch das politischste Thema), Mutterrecht am Beispiel von Sumatra, Maria Magdalena - Gefährtin Jesu im Lichte feministischer Theologie, Schwarze und weiße »Magie« in der Pädagogik, Tief-Ökologie, Sexus - Eros - Liebe usw.

Auf dem Programm der grünen Arbeitsgemeinschaft »Spirituelle Wege in Wissenschaft und Politik« in der Lernwerkstatt stand die Beschäftigung mit unterschiedlichen spirituellen Wegen und ihrem Verhältnis zu grüner Politik: dynamische Meditation nach Bhagwan Shree Rajneesh,591 verschiedene Arten Yoga, Sufismus, christlich-spirituelle Transformation, Buddhismus, Ökosophie, Anthroposophie. Einen Anhänger fand Bhagwan auch unter grünen Bundestagsabgeordneten. Wolfgang Daniels progagierte 1988 dessen Buch Die größte Herausforderung: Die goldene Zukunft mit den Worten: »Ich sehe hier eine Chance für großartige Veränderungen [...] Die Sannyasins könnten ein Glied in der Kette der Grünen sein. Sie verkörpern eine Kultur, die unserer Partei abhanden gekommen ist. «592

In einem Interview der Bhagwans Ideologie nahestehenden Zeitschrift Connection sagte Bahro: »Das Wichtigste ist, daß sich die vernetzen, die den Weg >zurück< gehen und auch weisen wollen in die Großen Gleichgewichte, in die Übereim Stimmung der menschlichen Ordnung mit dem Tao des Lebens. Worüber ich nachdenke, ist das <esoterisch>-politische Thema >König und Königin der Welt<, im Grunde gerade die Frage, wie sich Mann und Frau spirituell umfassend genug begreifen und engagieren sollen. Wer sich nicht zur Mitwirkung an der Weltregierung aufschwingt, verdient die Bescherung«.593

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Besonders aktiv in Bahros Lernwerkstatt und in der grünen AG »Spirituelle Wege« ist Volker Buddrus aus Hamburg, der sich positiv auf die Findhorn-Gemeinschaft bezieht, die, wie gesagt, Major Caddy 1962 mit dem Ziel gründete, eine »Führungsrasse« für die Weltregierung zu züchten.

Buddrus schwärmt: »In der Findhorn-Kommune (Schottland) sagen beispielsweise die Foculizer [eine Art Anführer] jeden Morgen, welche Arbeiten anliegen. Dann stehen die Kommunemitglieder im Kreis, fassen sich an, schweigen und spüren, was auf sie zukommt. So übernimmt der eine den Abwasch, der andere beispielsweise die Gartenarbeit. Sie fühlen sich zu ihrer Arbeit hingezogen, und am Ende geht alles auf.«594)

Noch 1987 formulierte Bahro Kritik an der New-Age-Sze-ne: »Meditation, die nicht auf ein anderes Alltagsleben und -handeln hinausläuft, ist eitel«, um gleich anschließend die Verschiebung von »Tiefenkräften« Richtung Moskau festzustellen.595 Er schimpfte eine Zeitlang auf »gesellschaftliche Unverbindlichkeit und Ziellosigkeit, gepaart mit gedanklicher Unscharfe, [.;..'] [als] das eigentliche Gebrechen der spirituellen Szene, des ganzen >New-Age<-Feldes, schlimmer noch als das kommerzielle Absahnen«. Formuliert Bahro damit wirklich nur eine Kritik oder vielleicht einen Ansatz, die unpolitische New-Age-Szene politisch zuzuspitzen - und dies geht nur nach rechts, Richtung Ökofaschismus. 1987 schreibt er: »Kein Gedanke verwerflicher als ein neues anderes 1933? Gerade der aber kann uns retten. Die Ökopax-Bewegung ist die erste deutsche Volksbewegung seit der Nazibewegung. Sie muß Hitler miterlösen«.596

Was macht Bahro heute? Er hat einen Lehrstuhl für soziale Ökologie an der Humboldt-Universität in Berlin und gehört neben Rainer Langhans und anderen inzwischen zu den prominentesten Figuren der ökofaschistischem Gedankengut nahestehenden Esoterikszene. 

Auch Rainer Langhans beteiligte sich an der Lernwerkstatt. Langhans, früher Mitbewohner der Kommune I in Berlin, bezeichnet den Nationalsozialismus als ersten großen Versuch, Materie und Spiritualität zu verschmelzen. 

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»Spiritualität in Deutschland heißt Hitler.« Denn die »Faszination, die ungeheure Vollständigkeit des Lebens in diesem faschistischen Staat bestand ja darin, daß erst mal auch der Tod mit hineingenommen wurde in das Lebenskonzept des Nationalsozialismus«. Was schaden schon Folter und Völkermord dem Zyniker, wenn es »den Ausstieg aus dem Körper gibt«, den »wir studieren müssen«. Wirklich schrecklich am Faschismus ist für Langhans, »daß sich hier ein Volk in einem rauschhaften Amoklauf auf eine Gottsuche gemacht hat, die alles wollte, was nur irgend an Schönem, Lichtem möglich war - und dabei in der tiefsten Hölle landet«.597

Die deutschen Jüdinnen und Juden, die Kommunistinnen und Sozialistinnen, Roma und Sinti, Schwule und andere Verfolgte scheinen für Langhans bis heute nicht Teil dieses Volkes zu sein, denn wo hätten sie sich im Faschismus vergleichsweise »rauschhaft« auf »Gottsuche« begeben? Von Hitler »muß man erst mal seine Vision verstehen und dann seine Fehler sehen [. . .] Wir müssen sozusagen die besseren Faschisten werden«, sagte der Exkommunarde.598 Der Faschismus war für Langhans »nur die pervertierte Version des an sich richtigen Anliegens, einen neuen Menschen zu schaffen«.599 Und: Wir müssen uns »genau anschauen, was er [Hitler] Großes versucht hat«.

Auf die Frage des Interviewers Mathias Bröckers, ob denn die Linke nicht berechtigt handle, wenn sie die Möglichkeit eines Rassismus im Laboratorium am Beispiel der Gentechnologie bekämpfe, beschreibt Langhans seinen Aussichtspunkt: »Wenn du weiter oben auf dem Baum sitzt [. . .] siehst du den größeren Zusammenhang und siehst: Es ist gut.« Vom Baum aus sieht er, wie »diese rassischen Geschichten«, die die Nazis »durch Ausrottungs- und Züchtungstechniken« betrieben haben, »heute mit den feinen Methoden der Gentechnologie« erreicht werden. »Unsere Aufgabe müßte sein, hinter diesen ganzen Schreckensbildern ihren utopischen Gehalt [... .] zu

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erkennen [.■..] noch in den fürchterlichsten Verzerrungen das Schöne zu entdecken [...] Was will die Gentechnologie? Sie will auf der grobstofflichen Ebene einen >neuen Menschen< realisieren, so schön wie irgend möglich.« Sieh' nach innen, laß alles geschehen! Möglich ist, daß es in der Sowjetunion zu »Mord und Totschlag [. . .] kommt«, aber das sei notwendig, »um die trägen Bewußtseine [....] zum Lernen und Handeln zu zwingen. Ich greife nicht ein [. . .] Wir sollten erkennen, daß das Nichtstun das wahre Tun ist. «60° Diese vollkommen asoziale Haltung, diese absolute Amoral und Verantwortungslosigkeit außer für sich selbst bestimmt die Grundeinstellung der meisten Führerinnen und Aktivistinnen der New-Age-Szene.

Studentinnen von Bahro berichten, daß seine Veranstaltungen zweisemestrig sind und daß er im ersten Semester ostdeutsche Studentinnen mit seiner scheinbar linken radikalen Industriekritik fasziniere, die dann in der zweiten Hälfte in abstoßend völkisch-esoterische Positionen umkippe. Wir können das nach vollziehen, wenn wir Bahro lesen. Für ihn ist »die ökologische Krise« das Hauptthema, die ihn »von ihren Tiefenstrukturen her« beschäftigt und die »mit links und rechts nichts zu tun« hat. Er will herausfinden, warum die menschliche, »insbesondere die nördliche weiße Zivilisation zu diesem Charakter der Selbstvernichtung« kommt. Seine Hauptgegnerinnen sind inzwischen Linke: »Es ist nun einmal so, daß das Stammesbewußtsein tiefer als das Klassenbewußtsein!. • ■ J-liegt.« Für Bahro »ist die nationale Frage eine objektive Realität von tieferen Gründen als die Klassenfrage«. Bei den Grünen »sah« Bahro »sehr wohl, daß Baidur Springmanns Erbhofbauernpsychologie was mit den Nazis zu tun hatte. Mich hat das aber im einzelnen nicht so sehr interessiert«. »Die Grünen« waren für Bahro »als Linkspartei [. . .] eine Enttäuschung, weil sie dieses nationale [. . .] völkische Moment nicht bedient [haben]. Eigentlich ruft es in der Volkstiefe nach einem grünen Adolf. Und die Linke hat davor nur

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Angst, anstatt zu begreifen, daß ein grüner Adolf ein völlig anderer Adolf wäre als der bekannte. «6<n Die Linke sei sich über die Notwendigkeit völkisch- autoritärer Strukturen nicht bewußt, weil sie die spirituelle Sicht ablehne und deshalb den deutschen Volksgeist »in sich« nicht realisieren könne. Deutsche Visionen würden sich mit den Positionen des Faschismus vereinen. Denn eigentlich sei die Nazibewegung eine idealistische Bewegung gewesen.602 Von Demokratie hält Bahro wenig. Er will einen neuen »Gottesstaat«,603 ein hierarchisches, autoritäres und diktatorisches Politikmodell. Bahro betrachtet die ökologischen Zerstörungen als Folgen eines »kranken« Geistes und predigt eine »Bewußtseinspolitik«, eine »geistig-seelische Veränderung« Mitteleuropas. Er fordert einen »Umbau der Staatsverfassung«, eine »Rettungsregierung« mit einem »Fürsten der ökologischen Wende« als dem neuen Führer. Auch Bahro sieht den Nationalsozialismus als eine spirituelle Bewegung, seine Gewalttätigkeit als Reaktion auf einen »übermächtigen Materialismus«. Diese spezifisch deutschen seelisch-spirituellen Bedürfnisse müsse die ökologische Wende berücksichtigen. Oft spricht Bahro auch von einer »Göttin«. Abgesehen davon, daß die Besetzung hierarchischer Strukturen - ob klerikal oder weltlich - durch weibliche Figuren ihren autoritären Charakter nicht verändert, konnte ich den Eindruck nie loswerden, daß Bahro mit der »Göttin« nur den Platz f/ei hält für einen anderen Ökodik-tator und vielleicht von sich selbst träumt.

Einige Monate nach Erscheinen der Erstausgabe von »Feuer ' in die Herzen« erreichte mich ein »Offener Brief«604 der Lernwerkstatt Niederstadtfeld, unterzeichnet von zehn Leuten. Die Verfasserin Angelika Koch beschimpft mein >Machwerk<, behauptet, ich hätte falsch zitiert, und unterstellt: Du »hast [..■.] die diffusen Ahnungen der Herren Gugenberger und Schweidlenka übernommen.«605)

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Tatsächlich war »Mutter Erde - Magie und Politik« von Eduard Gugenberger und Roman Schweidlenka eine wichtige Quelle für meine Auseinandersetzung mit Esoterik, New Age und Faschismus — unabhängig von politischen Differenzen, die zwischen meiner antireligiösen Position und der Ansicht der beiden Autoren liegen, es könne eine positive politische Spiritualität geben. Die umfangreiche jahrelange wissenschaftliche Arbeit der beiden österreichischen Historiker als »diffuse Ahnungen« (Koch) zu disqualifizieren, ist eine Frechheit. Schweidlenka: »Eine sorgfältige Lektüre [von »Feuer in die Herzen«; d.A.] vor der polemischen, geistlosen Schaumschlägerei wäre seriös gewesen [. ..] >Machwerk< ist kein Argument gegen das spannende und erfreulich sorgfältig zitierende Buch von Ditfurth«.606)

 

Koch im Brief an mich: »Immerhin, die [Schweidlenka und Gugenberger] waren hier, auch wenn sie die eigentliche kontroverse Diskussion zum Thema >Zwischen Faschismus und Neuer Gesellschaft [. ..] vermieden haben: sie verdrückten sich einfach in den Speiseraum. Sie werden ihre eigenen Gründe gehabt haben, der Diskussion auszuweichen.«

Tatsächlich waren Schweidlenka und Gugenberger im November 1990 als Referenten nach Niederstadtfeld eingeladen worden. Roman Schweidlenka berichtete damals in Aufrisse607: »Rainer Langhans, durch seine umstrittene NS-Inter-pretation hinlänglich bekannt, versuchte sich - wenn er nicht gerade von der >wahren Liebe< seiner drei platonischen Frauen sprach - mit einem Alternativangebot: Die Nazis und vor allem die SS hatten [. . .] eine >hohe Sterbekultun und waren uns armen Zeitgenossen im Bewußtsein der Notwendigkeit des Sterbens< haushoch überlegen. Die SS - nett wie sie war — wollte ihre hochgeistigen Einsichten lediglich weitervermitteln [. . .] Auf meine Langhans-Kritik erklärte mir die Semi-narorganisatorin Angelika Koch: >Wenn Du Langhans kritisierst, bist Du faschismusanfällig. Man muß das doch zulassen.« Schweidlenka schließt seinen Bericht: »faschistische Selbsterfahrung< als neuester Hit der Esoszene möge uns erspart bleiben.«608

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Drei Jahre später, als Reaktion auf Angelika Kochs Unterstellung, Schweidlenka und Gugenberger hätten damals »die eigentliche kontroverse Diskussion [...] vermieden« und »sich einfach in den Speiseraum« verdrückt, schreibt Schweidlenka an Koch: »Diese Verniedlichung der Killertruppe des Dritten Reichs und andere Gedankenkrämpfe aus dem Mund des verblassenden Ex-68ers ist [...] eine (pseudo) >spirituelle Rehabilitierung des Nationalsozialismus«609)

Es sei so unerträglich gewesen, daß er mit anderen Seminarteilnehmerinnen in den Speisesaal geflohen sei und diskutiert habe. Dort sei auch ein »politischer Beobachter« gewesen, der über Subventionen für die Lernwerkstatt zu entscheiden hatte. Da »wurde ich von einer wichtigen Persönlichkeit der Lernwerkstatt wütend zur Rede gestellt: Dem gegenüber hätte ich mein Maul zu halten! [...] Unverständlich ist, daß nach diesen Staub aufwirbelnden SS-Schwärmereien des Herrn Langhans keine Distanzierung der Lernwerkstatt von diesen bräunlichen Unkenrufen erfolgte und das Duo Bahro-Langhans offensichtlich noch einige Male gemeinsam auftrat [....] Der wunde Punkt ist für mich die offensichtliche Solidarität der Lernwerkstatt mit Langhans.«610)

 

Die Kritik an Rudolf Bahro löste auch anderenorts heftige Diskussionen aus. Rudolf Bahro sah sich plötzlich unter Erklärungsdruck. Studentinnen an der Humboldt-Universität, darunter eine neu gegründete »Ökofaschismus-AG«, setzten durch, daß Bahros Positionen endlich zum Thema wurden. Am 22. Juni 1993 schreibt er mir, ich sei daran schuld: »Mich traf das erste Auftrittsverbot an der Humboldt-Universität seit der Wende, und es war Dein Umfeld, von dem diese repressive Maßnahme ausging.«

In Wahrheit wurde nicht Bahros Auftritt verboten, sondern der Vortrag zweier Bahro-Gäste, der ZEGG-Gurus Duhm und Lichtenfels, verhindert, aber dazu später.

Bahro legt seinem Brief ein Paket Manuskripte und zwei Bücher bei, Bahros Rückkehr (1991) und einen knochenreaktionären rassistisch-esoterischen Schinken des Gurus Sri Aurobindo (Zyklus der menschlichen Entwicklung).

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In seinem zehn Seiten langen Brief wirft Bahro mir vor, ich würde ihn »als Anderes« nicht »erfassen«, wenn ich seine Aussagen nicht »als Momente eines letztlich woanders als in der Faschismus-Antifaschismus-Matrix verorteten Ganzen nehmen« würde. Das sei zwar ein Teil »seiner Bezüge, aber ich passe als Insgesamt nicht rein«. Es gelte nicht »Anti« zu sein, sondern die »Energie«, das »verborgene Wahrheitsmoment« im »Stoff der Gegenseite« zu integrieren: »Das gilt gegenüber dem Faschismus, das gilt aber auch mir gegenüber, weil es eben für alle Fälle gilt.« Zum gleichen Thema sagt er an anderer Stelle: »Aber unter meinen Selbstdefinitionen kommt >Antifaschist< nicht vor [.'..] Und diese Art Antifaschismus wie er heute großteils betrieben wird [....] ist eine Art Götzenkult.«611

 

Bahro fühlt sich mißverstanden: »Alle meine Äußerungen zur Machtfrage in der ökologischen Krise kreisen in Wirklichkeit darum, wie die Formierung von Braun und wie ein nur zu wahrscheinliches insgesamt ökodiktatorisches Regime vermieden werden könnte.«612 Nun, es gibt auch Formen vermeintlicher Besorgnis, die die falsche Lösung, etwa eine Öko-diktatur, geradezu herbeibetteln (»Rettungsregierung«). Was würde es zudem meiner politischen Anschauung und der politischen Aufklärung nützen, wenn ich meine grundsätzliche Kritik an ihm auf Falsches stützte? Nichts. Bahro liefert die Argumente gegen sich frei Haus. Wieder habe ich Bahro-Texte gelesen, alte und neue. Von meiner Einschätzung Bahros kann ich nichts zurücknehmen. Offensichtlicher geworden scheint mir, daß er stellenweise wie gespalten argumentiert: manchmal wirklich überzeugt zu sein scheint, mit rechtem Gedankengut nichts zu tun zu haben, um direkt anschließend in ebenjenem ideologischen Kontext zu argumentieren.

 

Wirr sind Bahros Erwiderungen zum »grünen Adolf«: Mal hat er es nicht gesagt, mal sei es ein nicht autorisiertes Interview gewesen (was nicht heißt, daß er es nicht gesagt hat), dann war es nur so: »[...] habe ich irgendwann 1990 bei

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einem Kücheninterview, das für einen innerlinken Diskussionsband gedacht war, gegen den Faschismuspopanz gesprochen, den sie aufblasen, und dabei fallengelassen, ein grüner Adolf wäre sehr was anderes als ein brauner [. . .] Mein Vorschlag war: Erst mal das Volk verstehen, wenn seine Wünsche in diese Richtung gehen, und nicht bloß davor erschrek-ken.«6B

Auch im Brief an mich bekräftigt er, »daß die Gesellschaft Führung braucht in der ökologischen Krise [...] und daß insbesondere auch eine politische Autorität entstehen muß, die stärker als die Herrschaft der Techno- und Scientokratie sowie des Geldes ist. «6M In einem Interview erklärt er: »In der jetzigen Weltsituation wäre echte Autorität wichtig. Jetzt zu sagen, wir machen Basisdemokratie, unter uns Wölfen, ist Schickimicki.«615

In einem Vorlesungsmanuskript von Bahro lese ich: »Ich war und bin der Meinung, daß das Braune nicht (nach Köpfen) >isoliert<, sondern daß die Träger dieser Mentalität über die in ihren Köpfen immer stärker auch vorhandenen grünen Bewußtseinsanteile integriert werden sollten, damit sie sich gar nicht erst extra sammeln.«616

Bahro hat kein Problem mit »Horde, Stamm, Volk, Nation«617: »Wir waren in der DDR nie nationalnihilistisch, hatten keine Schwierigkeit, vom deutschen Volk zu sprechen und ihm auch noch was anderes zuzutrauen als braunes Ressentiment«.618 Seine antinationalen Kritikerinnen sieht er psychisch gestört: »In meinen Augen ist die Abwehrneurose, wo es um Deutschland geht, bloß die Kehrseite des >normalen< Nationalismus. «6M

Für Bahro existiert ein »Nationalcharakter« und »damit also auch eine gewisse Vorhersagbarkeit nationalen Verhaltens«.620 Er geht von einer natürlichen Entwicklung des Menschen bzw. der Gattung aus: Sie verlaufe in vier Stufen über die Horde, den Stamm, das Volk bis schließlich zur Nation.621 »Was sollte falsch daran gewesen sein; nach dem Eigenen der Deutschen,

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nach ihrer Besonderheit, ihrem eigenen Auftrag im Konzert der Völker zu fragen? Daß sich Völker in der Moderne zur bürgerlichen Nation konstituieren, kann man keinem Volke zum Vorwurf machen, offenbar geschieht das einfach«,622 meint Bahro. Besonderheit? Organisch? Natürlich? Genetisch bedingt - oder wie? Daß Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen ist, von sozialen Auseinandersetzungen, hat der Ex-Sozialist vergessen. Daß das »besondere« Deutschnationale völkisch-rassistisch, Nicht-»Arisches« ausmerzend und aggressiver Imperialismus war, dürfte nach Kolonialismus, zwei Weltkriegen und NS-Faschismus nur schwer zu leugnen sein. Der deutsche Nationenbegriff steht damit im Gegensatz zu dem der bürgerlichen Revolution 1789 in Frankreich, der sich lediglich auf die Einwohnerinnen eines Territoriums bezieht. Noch heute wird im Grundgesetz die deutsche Staatsangehörigkeit nach der Abstammung bestimmt. Nationalismus und Rassismus sind bürgerliche Herrschaftsinstrumente einer kapitalistischen Gesellschaft.

Aber Bahro überspringt dreist die patriachal-kapitalistische Herrschaft, um in den Tiefen die Nation zu finden, obwohl er als Ex-Linker wissen müßte, daß Bürgerliche Nationenbildung an das Aufkommen der kapitalistischen Wirtschaftsweise gebunden ist. Er behauptet, »Das nationale Moment« habe »tiefere Wurzeln als der moderne Klassenkampf, der in der zuletzt hinzugekommenen Formation des historischen Prozesses spielt.«623

Und dann wieder ist Nationalismus bei ihm nur ein Neidproblem: »Nationalismus ist in der Regel eigentlich schon die Gegenreaktion von gegenüber den Fortgeschrittenen jeweils zu kurzgekommenen Völkern. «624 Das reicht Bahro aber noch nicht, vielleicht fühlt er die Schwäche seiner Konstruktionen, und so verlegt er die Nation in die Nähe der Religion. Zum Schluß fehlt nur noch die Verlegung in einen rein geistigen Energiestrahl, jeder Materie enthoben, ohne Anfang und Ende. Da wäre mensch, Bahro jeder Erklärung enthoben, die

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Erklärung würde sich endlich selbst erklären. Bahro: »Wenn es stimmt, daß es sich hier um ein anthropologisches Thema handelt, dann hat das Nationale seine Wurzeln auf Ebenen, auf denen es noch gar nicht national zugeht, auch noch nicht religiös in diesem spezifischen Sinne, in dem eine Religion die andere bekämpft.«625 Die »Stammesgeschichte in unseren Seelen« führt uns dann doch tatsächlich zu der Ursprungsenergie:

»In diesem ganzen Bezug geht es jetzt erst einmal um Wahrnehmung, nicht um ein Urteil, auch nicht über die heutigen Rechten und Braunen. Wir müssen wahrnehmen, was für Energie da aufsteigt. Wenn man das Ganze jetzt von unten, aus der anthropologischen Tiefe betrachtet, dann ist eben die eigentliche Frage, wie das mit der Programmierung der menschlichen Energie vom Ursprung her läuft.«626 Mit positiver Energie das Rechte und Braune integrieren, bloß nicht bekämpfen. Also ist der Kampf sinnlos in Bahros Logik, denn nicht hierarchische Strukturen, kapitalistische Produktionsweise stehen gegen Freiheit, schaffen Ausbeutung, Unterdrückung, Hunger, Mord und Naturvernichtung, nein, das Innere des Menschen vielmehr, seine »Ursprungsenergie« ist das Problem. Bahrosche Weltanschauung ist Herrschaftsideologie pur.

Bahro weiß schon gar nicht mehr, ob alle Menschen zu einer Gattung gehören, denn »es gibt die Gattung Mensch so viele Male, wie es Ethnien gibt. Und mir ist gar nicht so klar, ob es Sinn macht, die Gattung davon abgelöst zu denken«.627 Bei den Deutschen ist er sich aber sicher: »In unserem Falle ist das tatsächlich Germanisch-Teutonische mit im Spiele, war und ist immer mit im Spiele, ob nun 1525 oder 1813, ob nun auf 1933 oder auf das Jahr 2000 hin. «628 Das ist rassistisches Denken, weit hinter die Aufklärung zurückfallend. Indem Bahro das Menschsein, das gemeinsame Menschliche in der Differenz bestreitet und von daher die Gleichheit aller Menschen, teilt er die Menschen in »Rassen« auf, auch wenn er

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ersatzweise das Wort »Ethnien« benutzt. Die »Gattung Mensch« aufgeben, den Menschen, egal wo und wie er lebt, wie er aussieht und spricht, heißt allem Ein- und Ausgrenzenden, allen Einteilungen nach »minderwertig« und »höherwertig«, allen Rassismen die Grundlage zu bieten.

Bahro will nicht nur »das Braune« integrieren,629 er verschafft ihm permanent Öffentlichkeit und propagiert es. In seinen Vorlesungen bezieht er sich z.B. positiv auf Sigrid Hunke, eine der wichtigsten Ideologinnen der »Neuen« Rechten und Verfasserin der Grundlagen der rechtsextremen Sekte »Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft« (DUR). Hunke ist eine der Chefideologlnnen der »Neuen« Rechten. Sie promovierte 1942 bei dem SS-»Rassepsychologen« L. F. Clauß, war jahrelang Vize- und Ehrenpräsidentin der nazistischen DUR und ist inzwischen in den faschistischen Intellektuellen-Kreis beim »Thule-Seminar« aufgestiegen, zu dem auch Alain de Benoist, der »Führer« der französischen »Neuen« Rechten gehört.630

In der Berliner Zeitschrift Umbrüche631 findet sich ein Bericht des Studenten Jan aus Bahros Vorlesung: »Ich habe zweimal miterlebt, daß Rudolf Bahro von sich aus über die Vorwürfe gegen ihn zu sprechen begann, so auch am 24. 5. 1993 in seiner Hauptvorlesung. Jedesmal kam er dabei auf Sigrid Hunke zu sprechen. [. . .] Bahro bezieht sich in >Logik der Rettung< auf ihre Bücher und sagt ihr zu ihrer Entlastung ein besonderes >Verständnis für andere Volkscharaktere< nach. In beiden Fällen empfahl er ihr >schönes< Buch >Allahs Sonne über dem Abendland<«.632

Dazu meint Bahro: »Sigrid Hunke, für deren Erwähnung ich gescholten werde, war sicher als junges Mädchen im damaligen Kontext >braun<. Darf ich deswegen ihr Buch >Allah ist ganz anders< nicht loben, mit dem sie genau richtig liegt, was die Araber betrifft?«633

Tatsächlich hat Hunke eine »neu«rech-te Definition von Kultur: sie sieht die >arabische Kultur< als eine >hochwertige<, die befruchtend auf <germanische Völker> einwirken könne. Kultur ist Trägerin der »Wesensart« eines angeblich homogenen »Volkes«.634)

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Bahro lud auch den »Unitarier« Wolfgang Deppert zu einer seiner Vorlesungen ein. Auch die Kritik an diesem Gast bügelt er ab: »Ich hab mich überhaupt nicht dafür interessiert, zu wem der Kontakt hat. Meine Methode ist nicht die der Abgrenzung oder Distanzierung. Deppert hat hier kein einziges Wort geäußert, das in irgendeiner Weise unter >braun< fällt.«635)

Was für ein Argument! Bedeutet dies Christian Worch, Ewald (Bela) Althans oder Franz Schönhuber wären in Bahros Lesungsreihe willkommen, wenn sie sich nur einen Abend verbal zusammenreißen?

 

Eine andere Vorlesung platzte. Aufgrund von studentischer Kritik und Aktionsankündigungen untersagte die Universitätspräsidentin der Humboldt-Universität, Marlis Dürkop, Bahro, am 24. Mai 1993 in seiner Vorlesungsreihe Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels von ZEGG auftreten zu lassen. Die Aufregung war nicht grundlos. Immerhin handelt es sich bei ZEGG um eine sexistisch-esoterische Sekte, die z.B. Frauen, die vergewaltigt wurden, in ZEGG-Texten in abscheulicher Weise unterstellt, sie seien dafür selbst verantwortlich. ZEGG liefert zusätzlich immer wieder Rechtfertigungen für den sexuellen Mißbrauch von Kindern. Unter der Fahne der »sexuellen Freiheit« sammelte ZEGG auch im Sommer 1994636) wieder Kundschaft auf Sommerfestivals.

Bahro lädt sie (fast) alle ein, auch die Anhängerinnen und Propagandistinnen der sozialdarwinistisch-rassistischen, antisemitischen Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells637 wie z.B. Margrit Kennedy; oder den scheinheiligen C.G.-Jung-Epigonen Franz Alt, dem in diesem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet ist, und ähnliche mehr. Alles nur Mißverständnisse?

 

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Die tiefe, ganz tiefe Ökologie des Fritjof Capra

 

»Der reale Humanismus hat in Deutschland keinen gefährlicheren Feind als den Spiritualismus oder den spekulativen Idealismus, der an die Stelle des wirklichen individuellen Menschen >das Selbstbewußtsein! oder den >Geist< setzt und mit dem Evangelisten lehrt: »Der Geist ist es, der da lebendig macht, das Fleisch ist kein Nütze.« Es versteht sich, daß dieser fleischlose Geist nur in seiner Einbildung Geist hat.« Friedrich Engels und Karl Marx638

Voraussetzung für menschliches Bewußtsein ist, daß ein Mensch geboren wird, daß er atmet, ißt und trinkt. Nicht der Gedanke schafft den Körper, sondern der Körper, die Materie, ist Voraussetzung für das Bewußtsein. Spiritualisten wie Capra (Wendezeit) leugnen diese Erkenntnis, wenden sich kosmischen Dimensionen zu und behaupten, ein vom Bewußtsein der Menschen losgelöster, mystischer »kosmischer Geist«639 schaffe die Materie. Und nicht etwa ökonomische Interessen, sondern »falsche Werte«, von »uns allen«, produzieren radioaktive Energie, plündern Rohstoffe, vergiften Wasser und Luft. Wir hätten vor allem eine »Krise der Wahrnehmung«.640 Capra leugnet Herrschaftsstrukturen und somit den Unterschied zwischen denen, die entscheiden, und denjenigen, über die entschieden wird.

Die Weltbank folgt in Capras Logik nicht den Profitinteressen ihrer eigentlichen Auftraggeber, den Banken und transnationalen Konzernen, sondern einem »falschen Geist«. Folgerichtig genügt ihm zur Behebung aller Probleme ein abstrakter Wertewandel. Das macht spiritualistische Ideologien in Managerkreisen so attraktiv. - Einzugreifen in konkrete gesellschaftliche Kämpfe, etwa in Gestalt ökologischer Initiativen gegen großtechnische Anlagen, liegt Capra so fern wie praktische Solidarität mit Streikenden. 

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Ganz abscheulich und »übertrieben« ist die »Rolle von Kampf und Konflikt.«641 Er kritisiert Marx, der historische Entwicklung als einen Prozeß von Konflikten und Klassenkämpfen dargestellt habe. Was Marx zutreffend analysierte, will Wohlstandsbürger Capra mit seiner Kritik ausblenden: die störende gesellschaftliche Realität. Konflikte, predigt Capra, sollen »mehr der Weltanschauung des [chinesischen] I Ging als der marxistischen folgend, [. . .] in Zeiten gesellschaftlichen Wandels möglichst niedrig gehalten werden«. Es sei besser, »sich gewisser Formen von Aktivität zu enthalten [...] die nicht mit dem fortlaufenden kosmischen Prozeß harmonisiert«.642 Aber ohne Kämpfe und Konflikte wie den Widerstand der Anti-AKW-Bewegung gegen die Interessen der Atomindustrie gäbe es heute in der Bundesrepublik fast 70 Atomkraftwerke mehr, ohne Streiks weder den Achtstundentag noch das Frauenwahlrecht.

Statt auf Befreiung und Emanzipation setzt Capra auf Kosmos und Jenseits. Der freie Wille des Menschen (»nur ein spezieller Faden im Gewebe des Lebens«643) gilt ihm nichts. »Wenn ich eins bin mit dem Universum, ist der freie Wille relativ. «644 Freiheit existiert nur als »Freiheit unserer inneren Welt der Begriffe«.645 Capras »Deep Ecology« steht in den USA in erklärter Gegnerschaft zu einer mit der sozialen Lage der Menschen vermittelten »Social Ecology« (bekanntester Vertreter: Murray Bookchin). Wie beurteilen wohl eine Chemiearbeiterin, ein Obdachloser, ein Slumkind des Autors Ideal gesellschaftlichen Wandels: »Es ist also eine natürliche Bewegung, die sich von selbst ergibt. Darum ist die Umgestaltung des Alten auch ganz leicht. Altes wird abgeschafft. Neues wird eingeführt, beides entspricht der Zeit und bringt daher keinen Schaden.«646 Ideologien, die tatsächlich die Harmonie von Unterdrückten mit Unterdrückern verlangen, dienten historisch stets als ideologische Grundlage autoritärer Systeme.

In allen seinen Büchern (auch im Tao der Physik oder Wendezeit im Christentum) wie auch im neuen Wendezeit-Film (wir warten noch auf das Wendezeit-T-Shirt) ist des Gurus

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Schlüssel zu den Köpfen und Brieftaschen seiner Anhängerinnen die Auflistung leichtfüßig erklärter banaler Einsichten: Kritik an Schulmedizin, Wissenschaftsmoral, am Zustand der Natur und dem der »Dritten Welt« usw. Mit der Schere durch Geschichte und Philosophien hüpfend, verklebt Capra Versatzstücke von Buddhismus, Quantenphysik, Christentum, Taoismus usw. mit seiner »neuen« Systemtheorie. Aber die Systemtheorie ist nicht neu. Sie ist eine mathematische Theorie und Grundlage zum Beispiel der Regeltechnik bei Computern. Im Gegensatz zu denjenigen mechanischen Wissenschaften, die das Ganze in Teile zerlegen, geht sie vom Ganzen aus, dessen Teile sie als feste Unterfunktionen betrachtet. »Leben und Geist ['...] [sind] Manifestationen derselben Gruppierung von Systemeigenschaften [. . .] Es gibt höhere Manifestationen des Geistes, in denen unser individueller Geist nur ein Untersystem darstellt.«647 Nichts ist in Capras Systemtheorie wichtiger als der störungsfreie Ablauf aller Teilfunktionen, die Unterordnung zum Zwecke des Systemerhalts. Was ist mechanistischer?

Capra tritt auf wie einer, »der zum ersten Mal auf einen Berg steigt und meint, er hätte soeben den Alpinismus erfunden«, schrieb ein Kritiker.648 Alles, was er als »neu« anbietet, haben schon andere vor ihm geschrieben: der Jesuit Pierre Teilhard de Chardin über Mystik und Wissenschaft, der amerikanische Mathematiker Norbert Wiener, der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn und andere. »So schlägt Capra fremdes geistiges Eigentum mit ein paar eigenen Ansichten locker zu Schaum und backt es bei milder Inspiration zum Souffle. Die nicht eben verwöhnte Esoterikszene löffelt das Gebilde voll Dankbarkeit«, schreibt Jörg Albrecht im ZEITMaga-zin™

Auf den Vorwurf, er habe sein Yin-und-Yang-Weltbild geklaut, reagiert Capra beleidigt, nein, er hat alles selbst erfühlt: »Eines Nachmittags im Spätsommer saß ich am Meer; ich sah, wie die Wellen anrollten und fühlte den Rhyth-

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mus meines Atems, als ich mir plötzlich meiner Umgebung als Teil eines gigantischen kosmischen Tanzes bewußt wurde [. . .] Ich >sah< die Atome der Elemente und die meines Körpers als Teil dieses kosmischen Energietanzes; ich fühlte seinen Rhythmus und >hörte< seinen Klang, und in diesem Augenblick wußte ich, daß dies der Tanz Shivas war, des Gottes der Tänzer, den die Hindus verehren. «65°

Wer so schwebt, hat am Kapitalismus, der solche Träume möglich macht, nicht viel auszusetzen. Capra ist lediglich ein bißchen unzufrieden mit dem »anhaltend schlechten Management unserer Volkswirtschaft«.651 Er leugnet das in dessen Wesen angelegte soziale und ökologische Zerstörungspotential der kapitalistischen Produktionsweise und legt sich nicht' mit den Schuldigen an. Ersatzweise benötigt Capra als Buhmann das mechanistische Weltbild Descartes', auf welches er einprügelt. Nun, selbst die konservativsten Technokraten halten die Natur heute nicht mehr für eine Maschine oder gar ein Uhrwerk. Für den dringenden Nachweis, daß mit Descartes die Ursache fast allen Übels über die Welt hereinbrach, fälscht er die Geschichte Europas vor dem französischen Philosophen und Naturwissenschaftler (gestorben 1650). Da gab es »Glaube an die Heiligkeit der Natur; moralische Verurteilung des Geldverleihens gegen Zinsen; die Forderung nach >gerechten< Preisen; die Überzeugung, daß man dem Streben nach persönlichem Gewinn und dem Horten von Gütern entgegentreten sollte«.652 Vergeblich suchen wir im Capra-Kitsch die imperialistischen Kreuzzüge, den habgierigen Hansehandel, die blutige Eroberung und Ausraubung Amerikas und anderer Weltteile, die ausgebeuteten Bauern und Leibeigenen, Bauernkriege, Antisemitismus und Hexenverbrennungen. Soziale Ignoranz und Geschichtsfälschung kann sich nur leisten, wer von den sozialen Verhältnissen profitiert.

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Wie in allen patriarchalen Gesellschaften wurden und werden auch in der chinesischen Kultur menschliche Eigenschaften geschlechtsspezifisch zerteilt, Emotionalität und Rationalität weiblich und männlich aufgespalten und auf diese Weise deformiert. Capra übernimmt diese biologistische Trennung: Yin, sagt er, ist »weiblich, bewahrend, empfänglich, kooperativ, intuitiv, nach Synthese strebend«, und Yang ist »männlich, fordernd, aggressiv, wettbewerbsorientiert, rational, analytisch«.653 Yin und Yang aber als ideologische Grundlage des chinesischen Patriarchats zu betrachten sei »eine moderne westliche Interpretation«.654 Er begreift nicht, daß schon die geschlechtsspezifische Zuordnung dieser Eigenschaften Ausdruck patriarchalen Denkens ist. Fast tausend Jahre lebten Chinesinnen mit verkrüppelten Füßen in vollständiger Abhängigkeit von Männern in Staat und Familie. Völlige Rechtlosigkeit, Frauenhandel, Mädchen- und Frauenmord waren keine »westliche Interpretation«, sondern grausame Realität für Millionen von Menschen. Capras vermeintlicher Respekt vor anderen Kulturen entpuppt sich als zynische Gleichgültigkeit gegenüber den weiblichen Opfern des chinesischen Patriarchats.

»Der spirituelle Gehalt der ökologischen Weltanschauung findet seinen idealen Ausdruck in der von der Frauenbewegung befürworteten feministischen Spiritualität, was angesichts der naturgegebenen Verwandtschaft zwischen Feminismus und Ökologie, die in der uralten Gleichsetzung von Frau und Natur wurzelt, zu erwarten ist. [. . .] Mit der Wiedergeburt der Vorstellung von einer weiblichen Gottheit schafft die feministische Bewegung auch ein neues Selbstbildnis für die Frauen, zusammen mit neuen Denkformen und einem neuen Wertsystem.«655 Neben der dreisten Vereinnahmung »der« feministischen Bewegung für das hierarchische Vorbild »Göttin« und der Orientierung aller Hoffnungen aufs Jenseits will Capra uns davon abhalten, Verstand und Gefühl zusammenzubringen, denn mit der dogmatisch als linear definierten Rationalität drohe die Übernahme böser, zerstörerischer, angeblich männlicher Werte. Capra ordnet den Frauen die irrationalen Eigenschaften zu. Zum Lohn sind sie die besseren

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Menschen, bewahrend, gebärfähig, erdverbunden, naturgleich. Sie werden für den Übergang des Geistes in den nächsten kosmischen Weltzyklus gebraucht, als Heilerinnen männlicher Unvollständigkeit.

Befreiung? Emanzipation? Capras Frauenbild erinnert an jenes der katholischen Kirche: Maria, solange unbefleckt, auf Platz vier, die anderen Frauen ganz unten, bodennah und erdverbunden. Capras Spiritualismus ist patriarchale Ideologie pur. Nichts liegt ihm ferner als die Emanzipation des weiblichen und des männlichen Menschen von Ausbeutung und Erniedrigung. Seine Ideologie bewirkt, daß alles so bleibt, wie es ist und somit schlimmer wird. Sie ist die passende Heilslehre für Angehörige der wohlhabenden Mittelschichten im reichen, weißen Norden: Damit diese nicht in einer verwirrenden Welt für soziale Gerechtigkeit kämpfen müssen, sondern profitierend und meditierend warten können, bis die Welt »per Geist« gut wird.

Lukas Beckmann, ehemaliger grüner Bundesvorstandssprecher, anthroposophischem Gedankengut wenigstens nahestehend und einer derjenigen, die 1988 mit einem erfundenen Finanzskandal den linken Bundesvorstand der Grünen stürzen halfen, betrieb Politik stets am liebsten »okkult«: undurchsichtig und mit starkem Drall nach rechts. Sein sehnlichstes Ziel seit grünen Gründungszeiten waren nur zwei Dinge: Macht über Menschen, die Beförderung eines elitären Menschenbildes »besonderer Personen« und die Vertreibung der Linken aus den Grünen. Zu seinen engsten Vertrauten gehörten Petra Kelly, Antje Vollmer und Otto Schily, Letzterer selbst Anthroposoph und der festen Überzeugung, einer Elite anzugehören. Beckmann schwärmt für Capra. Auf einer Veranstaltung mit seinem Guru 1988 in Köln sagt er zur Einführung: »Ich hoffe, daß heute abend hier das neue Denken durchbricht.« Mittendrin: »Ich habe geradezu eine Sehnsucht danach, neu zu denken.« Und am Ende: »Ich sehe, daß es keine Alternative zum neuen Denken gibt.«656)

Die Internationale Szene der New-Age-Schickeria traf sich mit FreundInnen 1985 auf einem Kongreß in Amsterdam. Luxushotel und teure Eintrittspreise garantierten, daß nur die richtigen kamen.

Darunter: Robert Muller (Vizesekretär der UNO und ihr New-Age-Philosoph), Rodrigo Carazo Odio (Ex-Regierungschef von Costa Rica, Gründer der UNO-Friedensuniversität), verschiedene Zen-, Yoga-, Tantra-, Tai-Chi-Lehrer, Benediktinermönche, ein Rabbi, der ehemalige Privatsekretär des Dalai-Lama, Fritjof Capra, Marilyn Ferguson, Jakob von Uexküll657) und Monika Griefahn, heute niedersächsische Umweltministerin. Veranstalter war die Organisation Agape (Freiburg).

Der Kongreß war straff auf die Gurus ausgerichtet, autoritär durchorganisiert bis hin zu Prügelszenen, wenn es darum ging, die Interessen etwa politischer IndianerInnen zum Schweigen zu bringen.

Nach dem Kongreß gründete Mitveranstalter Frank Köchling die New-Age-Zeitung Die Neue Zeitung. Die wissenschaftliche Beratung erfolgt durch Fritjof Capra, Rudolf Bahro und Franz Alt. Speziellen Wert legt das Blatt auf die Bedeutung des New Age für den Kapitalismus. Heute ist Die Neue Zeitung mit dem New-Age-Magazin 2000 vereint, das im Mai 1987 für den Witwenverbrenner Julius Evola warb.

 

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