Wolfgang EnglerProfessor für Kultursoziologe in Berlin
2005
Bürger, ohne Arbeit
Lüge
als Prinzip. |
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wikipe Autor dnb.Nummer (45) detopia E.htm |
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Audio 2005 (25') Audio 2009 (06') Audio 2014 (20')
Der Soziologe Wolfgang Engler Ein Soziologe als Rektor einer Schauspielschule Wolfgang Engler, Jahrgang 1952, ist studierter Philosoph und habilitierter Soziologe. Er publizierte in verschiedenen Zeitungen Beiträge über unterschiedliche Lebensformen in Ost und West. Außerdem verfasste er kritische Analysen über den Zeitgeist der Moderne, über Demokratie sowie über Politik und Öffentlichkeit in industriellen Massengesellschaften. 1999 veröffentlichte Engler eine Gesellschafts- und Kulturgeschichte Ostdeutschland von 1945 bis 1990 unter dem Titel "Die Ostdeutschen - Kunde von einem verlorenen Land". Dafür ehrte ihn noch im selben Jahr die Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Preis "Das politische Buch". Schon ein Jahr später nahm er von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie den "Preis für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie" entgegen. Seit 2005 ist Engler Rektor der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin. Dort unterrichtet er schon seit 1981 unter anderem Kultursoziologie. Im Herbst 2009 trat Engler eine Gastprofessur an der Universität St. Gallen an. zu 2009 (Lüge...) Klappentext: Was der Kapitalismus aus uns macht Aufrichtigkeit ist ein Schlüsselbegriff zum Verständnis der bürgerlichen Kultur. Durch Aufrichtigkeit und ihre Inszenierungen schuf sich das Bürgertum eine Vertrauensbasis in einer feindlichen Umwelt. Aufrichtigkeit war die Zauberformel für den Umgang unter freien und gleichen Menschen. Das reife Bürgertum entsorgte diese Utopie, setzte auf die unsichtbare Hand, auf Recht und Verträge. Eigennutz und Selbstinteresse, derart gezügelt, schienen hinreichende Garanten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der jüngste Crash des globalen Kapitalismus widerlegt diese Doktrin ultimativ. Gerade moderne Gesellschaften leben von dem Vertrauen, das normale Menschen in die Redlichkeit der maßgeblichen Akteure setzen. Das Fazit von Englers brillanter Analyse der tiefgreifenden Wandlungen der bürgerlichen Lebenskultur: Nur wenn der Kapitalismus an sein sozialmoralisches Erbe anknüpft, bleibt er politisch mehrheitsfähig. Der aufrichtige Kapitalismus Von Ulrich Gellermann (2009) rationalgalerie.de Der Untertitel von Wolfgang Englers jüngster Arbeit "Aufrichtigkeit im Kapitalismus" scheint die Zielrichtung seines Buches "Lüge als Prinzip" anzugeben: Aufrichtigkeit, so unterstellt das Spannungsverhältnis zwischen Titel und Untertitel, könne und solle im Kapitalismus eine bedeutende Rolle spielen. Der Umschlagtext des Buches, sicher nicht ohne Wollen und Wissen des Autors formuliert, verkündet eine "brillante Analyse" die in einem programmatischen Satz gipfelt: "Nur wenn der Kapitalismus an sein sozialmoralisches Erbe anknüpft, bleibt er politisch mehrheitsfähig." Solch eine gewichtige Aussage wirft Frage um Frage auf: Hat der Kapitalismus ein sozialmoralisches Erbe? Worin bestünde es? Warum muss er politisch mehrheitsfähig sein und wer wünscht das? Die letzte Frage lässt sich wahrscheinlich mit dem Namen des Autors beantworten: Wolfgang Engler, Soziologe und Rektor der Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin, wünscht sich wohl Aufrichtigkeit im Kapitalismus zur Errettung desselben. Fast seit Beginn der Finanzkrise, die sich zur veritablen Wirtschaftskrise ausgewachsen hat, sind der Wünsche nach Aufrichtigkeit viele: Das hätten sie doch draufschreiben sollen, die Lehmann und andere Brüder, dass in ihren Derivaten nur heiße Luft enthalten war. Mehr Ehrlichkeit wird angemahnt, es sei die Gier dieser oder jener Bänker, die zur allgemeinen Finanzlüge geführt habe und wenn man jetzt zurückkehre zu alten Kaufmannstugenden dann sei die Welt gerettet. Zu diesen Wünschenden und Mahnern gehört nun auch Engler: "Der stumme Zwang des Wettbewerbs", schreibt der Soziologe den Kapitalisten ins Stammbuch, "realisiert die Forderung der Aufrichtigkeit in der Sphäre der Wirtschaft". Immer wenn die Worte zu stark klingeln, wenn sie sphärisch werden, weiß der Schreiber nicht so genau wo die Glocken hängen und wer an ihnen zieht. Einen "allerneuesten" Kapitalismus will Engler festgestellt haben, der mit seinen Finanzprodukten die Lüge zum Prinzip erhoben habe, anders als der alte, in der materiellen Produktion verortete Kapitalist, der durch die Konkurrenz zur Ehrlichkeit gezwungen gewesen sei. In der schönen Welt der Produktwerbung gibt es den Begriff des "Blindtestes". Da werden zum Beispiel braune Brausen wie Coca-Cola, Pepsi-Cola oder Afri-Cola in gleiche, unmarkierte Gläser gegossen und von den Testpersonen gefordert, sie mögen bitte die jeweilige Cola herausschmecken. Die Trefferquote liegt nie über einem Drittel, ist also völlig zufällig. Erst wenn das jeweilige Getränk (Waschmittel, Auto, Textil, etc.) mit millionenschweren Werbekampagnen aufgeladen worden ist, wird das Zeugs scheinbar unterscheidbar. Schmeckt der teure, durch hartnäckiges Marketing veredelte Strom von E.ON besser als der preiswerte aus den letzten kommunalen Stadtwerken? Fährt das Auto mit Sprit von Aral weiter als mit dem von der freien Tankstelle? Soweit zur Lüge und zur Konkurrenz im "alten" Kapitalismus. Erst mit den neuen Unternehmer, die Engler "ortlos, bindungslos" nennt, habe die "Lust am Raten, Wetten, Spekulieren" begonnen. Der Ort hieß Stuttgart, von dem aus Daimler seine wilde Spekulation auf eine "Welt AG" begonnen hatte, auch die Porsche-Hasardeure oder die Schaeffler-Conti-Übernehmer sind heimisch. Ihre Bindung allerdings ist die an den Profit, da sind sie den vorgeblich neuen Kapitalisten zwillingsgleich. "Plane mit! Entscheide mit! Regiere mit! - Diese ideologische Leerformel aus staatssozialistischen Tagen gewann in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft des Westens einige Plausibilität" will uns Engler glauben machen, so als ob die Kollegen in den Call Centern vom Unsinn, den sie den jeweiligen Kunden erzählen, überzeugt wären, als wäre es nicht die pure Angst vor der Entlassung, die sie in die tägliche Lüge treibt. Hier, in der Existenzunsicherheit liegt das wesentliche Bindemittel des Arbeitnehmers an "seinen" Betrieb. Aber um die ziemliche Ehrlichkeit des guten, alten Kapitalismus aus dem Nichts heraus zu meißeln, gönnt der Autor sich und seinem Leser einen Ausflug in den vergangenen Sozialismus: Der habe die organisierte Verantwortungslosigkeit hergestellt, dort habe das Primat der Politik zu einer ungesunden Mischung von Despotie und Anarchie geführt. Selbst wenn man diesen sehr kurzen Lehrgang zur Geschichte des Sozialismus unterschreiben würde: Was sagt uns das zur Lüge oder Aufrichtigkeit im Kapitalismus? Nichts. Es ist eine seltsam dekonzentrierte Beweisführung, die Engler präsentiert und zu der für ihn auch "La Révolte des Mannequins" gehört, eine Inszenierung in den Schaufenstern des Berliner KdW, in der mit dem "Aufstand der Schaufensterpuppen" dem Autor "der subversive Gestus des Straßentheaters" erscheint. Dass die Geschäftsführung des KdW die Aktion als prima Marketing begriff, dass der Gründer der Theatergruppe in seiner Darstellung keine Philosophie sehen mag sondern nur "die Liebe zu den Menschen. Die Liebe zum Publikum", das alles irritiert Engler nicht. Wahrscheinlich führt dieser Mangel an Irritationsbereitschaft, diese Unlust an den Fragen zur eigenen These, zu einer Bildergalerie im Buch, in der neben Walter Ulbricht auch Andrea Ypsilanti abgebildet ist: Seht her, sagen uns die Fotos der beiden, auch mit Gesten lässt sich lügen, das hätten wir natürlich vor Englers Buch nie und nimmer gewusst. Der Leser wird, wenn er durchhält, noch Exkurse zur höfischen Konversation finden, eine durchaus gebildete "Verteidigung der bürgerlichen Gesellschaft" und den Umschlag "von Aufrichtigkeit in Authentizität", jene "Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber", die den Autor zur Kassiererin im Supermarkt führt, die natürlich nicht authentisch, das meint selbstverwirklichend, arbeitet und deshalb "die Entkoppelung von Einkommen und Erwerbsarbeit" braucht. So viele Umwege um zum eigentlichen Engler zu kommen, der schon länger die Befreiung des Menschen von der Arbeit durch das bedingungslose Grundeinkommen propagiert. Irgendwo auf diesem Weg ist ihm das sozialmoralische Erbe des Kapitalismus ebenso abhanden gekommen wie der Kampf um dessen politische Mehrheitsfähigkeit. Aufrichtig gesagt: Der Hochschullehrer Engler, würde er seine Arbeit beurteilen wie er Arbeiten seiner Studenten beurteilt, müsste zu einer eindeutigen Bewertung kommen: Thema verfehlt. MDR FIGARO # 2010 # 55 min # Das Buch "Lüge als Prinzip" erschien 2009 im Aufbau-Verlag. "Lüge als Prinzip" Der Soziologe Wolfgang Engler analysiert in seinem Werk "Lüge als Prinzip - Aufrichtigkeit und Kapitalismus" die tiefgreifenden Wandlungen der bürgerlichen Lebenskultur von der Aufklärung bis heute. Wolfgang Engler betrachtet in seinem Buch "Lüge als Prinzip - Aufrichtigkeit und Kapitalismus" die gesellschaftlichen Veränderungen seit der Aufklärung, die durch die wechselnde Akzeptanz und Dominanz bürgerlicher Tugenden entstanden. Dabei stellt er die moralischen Grundlagen des Kapitalismus in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Nur ein Kapitalismus mit sozialethischer Basis hat in seinen Augen die Chance, auf breite gesellschaftliche Akzeptanz zu bauen. Auch die Aufrichtigkeit spielt eine zentrale Rolle in dieser Akzeptanz. Aufrichtigkeit als Utopie Aufrichtigkeit ist für Engler ein Schlüsselbegriff zum Verständnis der bürgerlichen Kultur. Aufrichtigkeit hatte dem Bürgertum einst in einer feindlichen Umwelt zu einer Vertrauensbasis verholfen. Aufrichtigkeit sei die Zauberformel für den Umgang unter freien und gleichen Menschen gewesen. Das reife Bürgertum habe diese Utopie entsorgt und auf die unsichtbare Hand, auf Recht und Verträge gesetzt. Eigennutz und Selbstinteresse, derart gezügelt, schienen lange Zeit hinreichende Garanten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sein. Der jüngste Crash des globalen Kapitalismus widerlege diese Doktrin ultimativ. Gerade moderne Gesellschaften lebten von dem Vertrauen, das normale Menschen in die Redlichkeit der maßgeblichen Akteure setzen. Das Fazit von Englers kulturgeschichtliche Studie: Der Kampf um Existenz und Anerkennung darf den sozialen Zusammenhalt der Bürger nicht gefährden. Nur wenn der Kapitalismus an sein sozialmoralisches Erbe anknüpft, bleibt er politisch mehrheitsfähig. # |
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Inhalt von 2009 (Lüge...) Inhalt.pdf
In der Wahrheitsfalle. Statt eines Vorworts (9)
Aufrichtigkeit
als Gebot der Gegenwart 1. Ehrliches Geschäftsgebaren 30 2. Die Lüge aus Prinzip 35 3. Die Lüge als Passion 39 4. Grenzen des Systemvertrauens 47 5. Aus dem Rahmen 52 6. Regeln, Normen und die ausstehende Antwort auf die Frage nach dem Wozu 54 Das Theater der Aufrichtigkeit. Hommage an Michel Foucault Philosophisches Geleit: Gorgias 61 Zeigen und Schweigen 63 1. Verhexter Verstand oder der »Missbrauch der Worte« 63 2. Der Schulmeister im »freien Hörsaal der Natur«: sprachlos 67
3.
Der Bündelungseffekt der höfischen Konversation (73)
1.
Versteckspiele 77 2.
Boten, Vermittler 82 3.
Die Schule der Aufrichtigkeit 85 4.
Alltag der Utopie 90
1.
Der bedürftige Mensch 94 2.
Der empfindsame Mensch 100 3.
Politik im vorpolitischen Raum 105 4.
Ein Geflecht aus Diskursen 110 1. Anmut der Armut 114 2. Symmetrie der Willen 115 3. Verteidigung der bürgerlichen Gesellschaft 120 4. Eine Erfindung des achtzehnten Jahrhunderts? 123 Aufrichtigkeit im Umbruch 129
1.
Die große Inventur 129 2. Funktionalität und Effizienz 133 3.
Vorläufige Abdankung 145 Anhang 173 Verwendete Literatur 173 Anmerkungen 185 Bildnachweis 214 |
Leserberichte zu 2009:
Eine kulturgeschichtliche Studie mit großer moralischer und ethischer Sprengkraft 2009 Von Winfried Stanzick aus Ober-Ramstadt, Hessen
Wolfgang Engler ist ein Intellektueller der alten Schule. Auch in seinem neuen Buch "Lüge als Prinzip" stellt er das auf mehr als zweihundert Seiten unter Beweis.
Wie er in seinem Vorwort für diese exzellente kulturgeschichtliche Studie mitteilt, hat ihn das Thema der Aufrichtigkeit als einer Tugend, die für das Zusammenleben der Menschen unverzichtbar ist, seit über zwanzig Jahren beschäftigt. Nun hat er sich angesichts der größten Krise, vor die sich unser Wirtschaftssystem seit einiger Zeit gestellt sieht, daran gemacht, die lange Geschichte der Auflösung der Aufrichtigkeit in die Lüge, eine System gewordene und in die Seelen der Menschen eingewohnte Lüge zu beschreiben.
Es ist eine lange Geschichte der Zerstörung des Vertrauens in andere durch den langsamen Siegeszug des Egoismus. Dieser abstrakt gewordenen Kapitalismus macht es einzelnen Menschen geradezu unmöglich, zwischen Gut und Böse, zwischen dem Wohl und dem Wehe für sich selbst und erst recht für andere zu entscheiden.
Wenn sich unsere Gesellschaft nicht erinnert an ihr sozialmoralisches Erbe, wird sie keine Zukunft haben. Gerade in der Krise, wo der nächste Crash nur eine Frage der Zeit ist, ist die sozialphilosophische Frage nach Vertrauen und Aufrichtigkeit wichtiger denn je. In einer Zeit, in der Vertrauen und Aufrichtigkeit zusammen mit anderen alten Werten als "Sekundärtugenden" diffamiert und ihrer einstigen gesellschaftlichen Bindekraft beraubt wurden, tut es gut, so ein Buch zu lesen. Ich wünsche ihm eine große öffentliche Resonanz. (2 Anmerk)
zu Die Tageszeitung, 08.12.2009
Wolfgang Englers Buch "Lüge als Prinzip" scheint Rezensent Kai Schlieter ganz passabel. Den Titel hält er allerdings für irreführend, für ein Versprechen, das der Autor nicht einlöst. Vom Kapitalismus und prinzipiellen Lügen nämlich ist seines Erachtens kaum die Rede. Vielmehr sieht er den ostdeutschen Autor, den er als "soziologischen Literaten" würdigt, vor allem mit dem Phänomen der Aufrichtigkeit befasst und dabei Themen wie den Markt, die Sprache, Umgangsformen, Erziehung, Wissenschaft, Arbeit, Kultur umkreisend. Englers Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Aufrichtigkeit findet er eher "literarisch als streng wissenschaftlich", allerdings: "mal glänzend, mal farblos". Letztlich wirkt das Buch auf ihn "unvollkommen", aber zugleich "sehr aufrichtig".
zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.07.2009
Andreas Platthaus schätzt Wolfgang Englers Buch über die Tugend der Aufrichtigkeit wie auch den Autor selbst, einen der wenigen Soziologen, die schon in der DDR lehrten und sich auch nach 1989 behaupten konnten. Der etwas reißerische Titel "Lüge als Prinzip" führt seines Erachtens ein wenig in die Irre. Vielmehr sieht er in dem Buch eine überzeugende historische Rekonstruktion des Begriffs und des Verständnisses der Aufrichtigkeit seit der frühen Neuzeit. Die Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation fällt dabei seines Erachtens eher kurz aus. Er betont, dass Engler nicht nur als präziser Analytiker gilt, sondern geradezu als "soziologische Stimme des Ostens". Im Blick auf eine aktuelle Standortbestimmung der Ex-DDR scheint ihm vorliegendes Buch allerdings zurückhaltend. Dennoch findet er in einigen instruktiven Details dann doch noch einen Kommentar auf das vereinte Deutschland - für ihn die im Vergleich zu den Ausführungen zum abstrakten Kapitalismus "interessanteren Passagen".
zu Frankfurter Rundschau, 29.07.2009
Eine "soziologische Rekonstruktion" der Aufrichtigkeit erblickt Harry Nutt in Wolfgang Englers Buch "Lüge als Prinzip", das, anders sein Untertitel "Aufrichtigkeit im Kapitalismus" vielleicht nahe legt, kein Buch zur Finanzkrise sein will. Er attestiert dem Soziologen, den theologischen Kern der Aufrichtigkeit freizulegen und ihren entlarvenden Impuls in den bürgerlichen Revolutionen darzulegen. Interessant scheint ihm Englers Auseinandersetzung mit den Ungereimtheiten der Forderung nach Aufrichtigkeit und Authentizität. Er hebt zudem hervor, dass der Autor vor einer programmatischen Wiederbelebung des Begriffs zurückschrecke.
zu Neue Zürcher Zeitung, 25.07.2009
Joachim Güntner schätzt Wolfgang Englers soziologische Studie über Lüge und Aufrichtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft. In ihrem Mittelpunkt sieht er den gesellschaftlichen Stellenwert, der der Aufrichtigkeit vom Barock bis heute beigemessen wird. Auch wenn der Autor hin und wieder gegen Finanzhaie und die Exzesse des Neoliberalismus polemisiert, moralisiert er nach Ansicht Günters nicht. Die Kritik an den funktionalen Deutungen von Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftlern am Fehlverhalten von Wirtschaftsakteuren scheint ihm berechtigt. Günter bemängelt, dass Engler die Problematik der Aufrichtigkeit im Kapitalismus eher im Vorübergehen behandelt. Besonders interessant findet er den Blick des Autors zurück auf die Zeit vor der Französischen Revolution.
zu Die Zeit, 09.07.2009
Ausgesprochen originell und inspirierend findet Rezensent Adam Soboczynski dieses Buch mit seinen gelegentlich halsbrecherisch weitgespannten geistesgeschichtlichen Bögen. Denn Wolfgang Engler eile in dieser Geschichte der Aufrichtigkeit unterhaltsam durch die sprach- und moralskeptischen Positionen von der Antike bis heute. Dabei sei er aller Skepsis gegenüber von einem "großen und traurigen Trotzdem" beseelt, ohne hinter deren Erkentnisse zurückzufallen. Dabei dachte der Rezensent, wie er zugibt, angesichts dieses Versuchs, inmitten der Krise für die alte Aufrichtigkeit zu optieren, erst einmal "wie naiv, rührend, wie realitätsblind und moralinsauer". Dann aber beeindruckt ihn dieser "ungemein inspirierende Essay" sehr, dessen Stil er zu seiner Freude oft ins Aphoristische, Paradoxe, Nichtfestgelegte kippen sieht. "Hier spricht ein Traditionalist als Avantgarde," seufzt er schließlich beglückt über diesen "feinkomponierten Vorschlag", sich des Erbes wiederzubesinnen.
Wolfgang Engler