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4.  Wird der ökologische Notstand unausweichlich?

Ferst-2002

 

193-195

Der industrielle Wohlstand im Zeichen von Wachstum und Fortschritt ist unser Götze geworden, eine Religion, die sich der Marxschen Inter­pretation zuordnen ließe: "Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes."

Der größte Teil der Gesellschaft ist völlig in eine Existenzweise des Habens verwoben. In dieser Situation sind oftmals die inneren Werte des Menschen zurück­gedrängt. Häufig werden sie Statusinteressen, Eitelkeiten und anderen "Wichtigkeiten" geopfert.  

Dieser Kulturkanon bricht nur in gesellschaftlichen Randgruppen bzw. Nischen auf. Die Risse zwischen den Fronten klaffen nicht selten in ein und demselben Menschen.

Schon die Preisgabe der privilegiertesten Konsumgewohnheiten wird psychische Destruktivkräfte in der Bevölkerung entfachen. Je mehr an üblichem Komfort aufgegeben werden muß, desto schärfer treten diese hervor. Die Qualität der produzierten Gebrauchswerte in bezug auf eine effektive Lebens- und Arbeits­gestaltung wird zu einem wesentlichen Kriterium, um politische Schübe in Richtung Diktatur zu vermeiden. 

Es mag durchaus eine gesell­schaft­liche Atmosphäre geschaffen werden können, in welcher der Abbau der westlichen Privilegien von vielen Bürgerinnen und Bürgern befürwortet wird, dieser Kredit kann aber sehr schnell aufgebraucht sein. So schreibt Herbert Gruhl in seinem letzten Buch Himmelfahrt ins Nichts: Der geplünderte Planet vor dem Ende

"Auf welche Weise eine ökologische Überlebenspolitik auch immer versucht würde, die Folgen wären: verminderte Einkommen, teurere Waren, größere Arbeitslosigkeit. Eine solche Entwicklung könnten nur lebensmüde Politiker riskieren. Denn schon nach wenigen Monaten würden sie mittels der Dolchstoßlegende hinweggefegt werden. Allein ihnen würde man die ganze Schuld dafür aufbürden, daß es nicht mehr so fröhlich weitergehe wie vorher." 

Wenn Gruhl sagt, die Menschen werden ihren privilegierten Wohlstand nicht aufgeben und von daher sei der Titanic-Kurs unvermeidlich, dann muß man und frau sich darüber im klaren sein, die Chancen, daß Gruhl recht behält, sind überwältigend groß.

Die bittere Tragik eines neuartigen Totalitarismus zeichnet sich längst in den Gang der Geschichte ein. Dennoch, denke ich, darf das Prinzip Hoffnung nicht aufgegeben werden, denn wer resigniert, der hat schon verloren. 

Etwa die Arbeitslosigkeit kann bei veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sehr weitgehend abgebaut werden. Müssen wir uns 1,9 Milliarden Überstunden in Deutschland im Jahr 2000 leisten? In einem ersten Schritt hätte die Vier-Tage-Arbeitswoche längst eingeführt werden können, dazu gehört gewiß auch die Veränderung steuerlicher Anreize, der Rentenbezüge usw.

Größere Arbeitslosigkeit wäre bei intelligenter Ordnungspolitik und einem sehr weitreichenden ökologischen Steuer- und Subventionsumbau auch in Verhältnissen, die auf einen Abbau von Industriestruktur orientieren, keine zwingende Folge. Natürlich kann man die Einkünfte nicht an eine, wenn auch gegenüber den Profiten nachholende Wachstumsspirale anbinden. 

Zugleich ist es sinnlos, zu bestreiten, die Chancen für eine alternative Kultur tendieren immer mehr gegen Null. Jedenfalls solange den Volks­mehrheiten unser selbst­mörderisches Programm in Form der Wohlstands­falle unerkannt bleibt der jetzige gesellschaftliche Weg in dieser oder jener Variation als allein selig machende Richtung angenommen wird. Gewiß, ein Stück weit, sorgen dafür auch die einmal etablierten Verhältnisse. 

Kulturpessimismus hilft uns natürlich auch nicht weiter.

Da der schrittweise Abgang der menschlichen Gattung die wahrscheinlichste Option ist, mit der wir rechnen müssen, scheint es immer unumgänglicher, sich auch mit konsequenter Notstandspolitik zu befassen. Sie resultiert aus dem totalen Versagen der heutigen Generation für vorsorgende Weichen­stellungen.

Die allmähliche Kapitulation vor den anthropogen veränderten Naturgewalten verlangt - so makaber es klingt - letztlich hohe Kunst in der Politik. 

 

Gerade letztere Fragestellung zeigt sich janusköpfigVermutlich erweist sich ein schnelleres Ende der Menschheit — ohne Gnade — als "humanere" Ausrottung als eine ewige Verzögerung in Siechtum und Elend hinein. So gerät noch die wohlmeinende rettende Absicht — wenn sie nicht die geballte Konsequenz, wenn sie nicht der große Wurf ist — zur Pflasterstraße durch die Hölle.

Erreicht der Verfallsprozeß der menschlichen Zivilisation das kritische Stadium, so votiert die geordnete Ökodiktatur als scheinbare Alternative zu Chaos und politischem Mafiatum.

Insbesondere wenn die Bevölkerung die Laster der Wohlstands­gesellschaft nicht lassen kann, sich gegen die anstehenden Reformen sperrt, das regierende politische Establishment zum handlungs­unfähigen Relikt wird, kann die "gute Diktatur" zum einzig möglichen Ausweg oder — besser: — Irrweg werden. 

Egal unter welchen politischen Farben die neuen Regenten antreten würden, sie hätten gar keine andere Wahl als den diktatorischen Anlauf, wollten sie nicht von vornherein scheitern. Das Parlament würde in milden Diktatur-Varianten sicher weiterbestehen, es hätte aber die Auflagen der Regenten zu respektieren und damit stark eingeschränkten Spielraum. Die nötigen Umbauten sind dann allerdings auch in letzter Instanz mit polizeistaatlichen Methoden verbunden. 

Dirk C. Fleck weist in seinem Roman Die Öko-Diktatur sehr prägnant darauf hin, daß sich so eine diktatorische Regentschaft, selbst wenn sie die verfahrene Situation so gut wie möglich regulieren will, in unzählige Widersprüche verstrickt und immer mehr Opfer der eigenen Kreisläufe wird.

Reform­aufbrüche aus dem eigenen elitären Klüngel scheitern oder versacken nach ersten Veränderungen. Erst äußere revolutionäre Bewegungen vermögen diese Konstellation aufzubrechen. Das Ergebnis ist aber wiederum ein politisches Fiasko, wenn nicht aufgeklärte Kräfte das Zepter in der Hand halten. 

So wird also jeder Weg zur Sackgasse, wenn nicht Bevölkerungsmehrheiten im ökologischen Notstand selbstloses Profil zeigen. Nur dieses vermag dem diktatorischen Zügel Einhalt gebieten. 

Die seelischen Tiefenkräfte, die in der Gesellschaft und an den Knotenpunkten der Macht wirken, entscheiden darüber, wie liberal die Politik ausfällt. 

Wir müßten alles dafür tun, daß auch im ökologischen Notstand das diktatorische Moment als Selbstläufer nicht zum Start kommt. 

Um es für Wortverdreher und andere Aufpasser/innen — von denen es mehr als genug gibt und wo dann immer einer vom anderen unhinterfragt abschreibt — unmißverständlich zu wiederholen: Ich bin entschiedener Gegner ökodiktatorischen Regiments.

Selbstverständlich können beim Notstand auch Situationen zutage treten, in denen die Konstellationen und Perspektiven von den eben benannten Reaktions­typen abweichen.

Der ökologische Notstand wird sich in der Klimakatastrophe anders äußern als bei einem Großunfall (GAU) durch gentechnische Kokeleien oder einen globalen Atomkrieg.

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detopia:  

  Dirk Fleck Ökodiktatur    Herbert Gruhl Himmelfahrt    Bloch Prinzip Hoffnung      wikipedia  Dolchstoßlegende 

detopia zu:  "Dennoch, denke ich, darf das Prinzip Hoffnung nicht aufgegeben werden, denn wer resigniert, der hat schon verloren."

Man braucht eine neue psychische Einstellung. Vielleicht ein "Partisanenbewusstsein"? (Ein Wort aus Bahro-LdR) Ein Bewusstsein, welches uns die Vorteile der Normalbürger verschafft. Wir brauchen diese innere Ruhe.

Die 20jährige Beschäftigung mit der "Weltrettung" kann einen in die Sackgasse führen, wenn man sich das Material erst zusammensuchen muss. Andererseits war es auch so, dass wichtige Materialien erst im letzten Jahrzehnt entstanden, also die Dinge noch im Fluss waren. Damit will ich sagen: Man braucht so ein "Partisanenbewusstsein", dass man "überwintert", bis "sich die Zeiten bessern". Mindestens das. Wer natürlich genug Kraft hat (und finanzielle Absicherung durch Oma ihr Häuschen), der kann natürlich 'voll im Hier und Jetzt' Ökopolitik machen. 

Eigentlich muss man resignieren, also fatalistisch werden, also schicksalsergeben, weil das der einzig-normale seelische Ausweg ist. "Sonst geht man kaputt" (Volksmund). Dann aber - aus dieser Haltung - würde man die (Ökopax-) Chance nicht ergreifen können. Das wäre falsch! Ergo muss man irgendwie "auf Sparflamme köcheln", um "zur Stunde Null" noch "zu brennen". Das nenne ich das Ökopartisanenbewusstsein im Stadtwald. 

Auf der anderen Seite: Wenn etwas wirklich verloren ist, warum dann sein eigenes und einziges Leben dem noch hinterherwerfen? Zumal man zusätzlich noch aushalten muss, das die Leute um einen herum, sich nicht viel kümmern oder sorgen. Also steht die Frage, ob es ein Partisanenbewusstsein gibt, welches mich im täglichen Leben nicht behindert

Die Psyche des Menschen neigt ja bei Konflikten zu: "Schluss, Aus, Punkt, Kein Wort mehr, ich will nicht mehr daran denken, usw." - Ein "Partisanenbewusstsein" wurde vom Schöpfer nicht vorgesehen. Ausgrenzung kann der Mensch fast gar nicht ertragen. - Nochmal: Für mich stimmt das nicht mehr, wenn um mich herum das Ökothema tabu ist. Es ist nicht mehr auszuhalten. Zusätzlich sagt die Logik: Selbst wenn es mal 'losgeht' (mit der Weltrettung bzw. der Rettung der Planetarier oder Erdianer), dann fangen die (wissensmäßig) von Null an.

Manche Leute glauben noch an die ökosoziale Rettung. Manche Leute glauben an die Chance dazu. Rudolf Bahro wird uns immer ein Vorbild bleiben. ("Niemand kann wissen, wie es im Keller des gesellschaftlich Unbewussten arbeitet."; LdR) 

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Marko Ferst - Wege zur ökologischen Zeitenwende