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Vorwort des Herausgebers Eduard Pestel     => Einführung

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Das vielfältige Echo, welches die durch den »Club of Rome« initiierten und durch die Stiftung Volkswagenwerk geförderten Arbeiten von Professor Jay Forrester und seinem Schüler und Mitarbeiter Professor Dennis Meadows am MIT (Massachusetts Institute of Technology) in aller Welt und auch hier in der Bundesrepublik gefunden haben, ermutigte den Herausgeber, das Mitte vorigen Jahres in den Vereinigten Staaten erschienene Buch <World Dynamics> von Professor Forrester auch in deutscher Sprache herauszubringen. 

Fast gleichzeitig erscheint zwar im gleichen Verlag das Buch von D. Meadows <Die Grenzen des Wachstums>, doch ergänzen sich beide Werke in erfreulicher Weise. Forresters Buch macht im Gegensatz zu dem seines Mitarbeiters eingehend mit der Vorgehensweise bei der Erstellung des Weltmodells vertraut. Der Leser begleitet den Autor dabei, wie er aus den einzelnen Regelkreisschleifen das — zunächst verwirrend vermaschte — Gesamtmodell in leicht überschaubarer Darstellung aufbaut. 

Zwar ist Forresters Modell einfacher strukturiert als das, welches die Meadows-Gruppe von 17 jungen Wissenschaftlern im Anschluß an Forresters Pioniertat in anderthalbjähriger Forschungsarbeit erstellte; es stützt sich ferner auf weniger faktisches Datenmaterial. Dennoch liefert Forresters Weltmodell grundsätzlich den gleichen Ausblick auf die Entwicklungstendenzen der nächsten 100 Jahre. 

Darüber hinaus unterscheidet sich Forresters Arbeit dadurch, daß hier mit Hilfe einiger »Lebensqualitäts«-Begriffe eine Reihe von quantitativen Sozial­indikatoren definiert werden, die dem Leser Forresters Bewertung seiner Ergebnisse verdeutlichen und ihn gleichzeitig anregen, gegebenenfalls andere eigene Bewertungs­maßstäbe an die erzielten Aussagen anzulegen. 

Die von Professor Heinz Haber ins Leben gerufene Reihe »Öffentliche Wissenschaft« schien das geeignete Forum zu sein, um die von Forrester entwickelten Weltmodell­vorstellungen und die damit erzielten Ergebnisse einer breiten interessierten deutschen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Hierzu erwies es sich allerdings als notwendig, das Buch von Forrester in gewissem Umfang zu bearbeiten, um einige schwierige Partien des Buches durch eine — zwar wissenschaftlich einwandfreie — einfachere Darstellung zu ersetzen. Am stärksten wurde hiervon das dritte Kapitel von Forresters Buch betroffen, das in den kursiv gesetzten Erläuterungszusätzen neu gefaßt und in den Teil der vorliegenden deutschen Ausgabe hineingearbeitet wurde, der dem zweiten Kapitel von World Dynamics entspricht. Dabei wurden auch die Computerprogramme fortgelassen, die der mathematisch interessierte Leser in der Originalausgabe nachlesen möge. 

Neben kleinen Änderungen wurden von dem Herausgeber noch eine Einführung und ein Nachwort hinzugefügt, um den Leser mit der Entstehung und dem Zweck des Buches sowie — allerdings nur sehr summarisch — mit weitergehenden Arbeiten auf diesem Gebiet vertraut zu machen. 

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Ein Weltmodell statt Flickwerkspolitik   

Einführung von Eduard Pestel  

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Die Ursachen für die tiefgreifende Veränderung der Lebensverhältnisse auf unserem Planeten seit der Jahrhundertwende sind vielfältig: in erster Linie die immer rascher sich vollziehende Bevölkerungszunahme, der weltweite Umsturz alter politischer und sozialer Strukturen und die sich überstürzende technische Entwicklung. 

Alle, die wachen Auges die Gegenwart erleben, sehen, erschreckt und ratlos, ständig neue Probleme vor sich aus der Erde schießen: Hunger und Unterernährung, Verfall der Städte, Verunreinigung der Luft, der Gewässer und der Meere, unkontrollierter Bevölkerungszuwachs, Rauschgiftsucht unter der Jugend, Mitbestimmungsunruhe, technologisches und wirtschaftliches Ungleichgewicht, Polarisierung militärischer Macht und unzählige andere Probleme von ähnlicher Bedeutung. 

Es liegt in der Natur unserer Sprache und damit der Art und Weise unserer Wirklichkeitsbetrachtung, einen Situationsbericht in der Form einer in Kategorien geordneten Aufzählung von Problemen zu erstatten. Diese Eigenart unserer Betrachtungs- und Denkweise verführt uns immer wieder dazu, Schwierigkeiten der oben angedeuteten Art als klar definierte und voneinander abgegrenzte Probleme zu sehen.

Viele Probleme, besonders in den Naturwissenschaften und in der Technik, können tatsächlich so isoliert formuliert werden, daß relevante Lösungen gefunden werden. Die hier allgemein praktizierte Lösungsmethodik muß jedoch versagen, wenn die vorliegenden Probleme gar nicht mehr isolierbar sind, sondern miteinander verflochtenen, voneinander abhängigen Problemgruppen angehören. Denn, wenn wir nur das in seinen Symptomen sichtbare Problem vor Augen haben, so werden wir bald entdecken, daß das, was wir für die Lösung einer bestimmten Problemkategorie halten, häufig genug Probleme einer anderen erzeugt. 

Man wird an die neunköpfige Hydra des Herkules erinnert, der immer gleich zwei neue Köpfe erwuchsen, wenn man ihr einen abschlug. Einige simple Beispiele mögen diese Feststellung belegen: Die Verminderung der Sterberate in den Entwicklungsländern erweist sich als Hauptursache für das allzu rasche Wachstum der Bevölkerung und damit der Vergrößerung des Heeres von ständig am Rande des Hungers lebenden Menschen.

Die »Grüne Revolution«, angebahnt durch die Züchtung hochergiebiger Getreidesorten, weckte die Hoffnung, den Hunger in den Entwicklungsländern beseitigen zu können. Aber schon heute zeigen sich höchst uner­freuliche Nebenwirkungen: Die hohen Investitionskosten für Bewässerungsanlagen, die Aufwendungen für die - übrigens auch die Verschmutzung erheblich fördernde - intensive Anwendung von Düngern und Pflanzen­schutz­mitteln und die zur Feldbearbeitung und schnellen Ernteeinbringung notwendige Mechanisierung haben zur Konzentration auch in der Landwirtschaft der Entwicklungsländer geführt mit dem Ergebnis, daß immer mehr Bauern das Land verlassen und das Elendsproletariat in den großen Städten vermehren. 

Dort wächst das Heer der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten. Die sozialen Spannungen steigen, so daß unkontrollierbare politische Eruptionen unvermeidlich scheinen. Ein hoher Preis für ein paar Jahrzehnte, in denen, wie der Naive glauben könnte, die Bevölkerung wie bisher, ohne verhungern zu müssen, weiterwachsen dürfe — ohne zu ahnen, daß dann noch mehr Menschen schließlich verelenden müssen.

Es ist falsch, die oben angeführten Problemkreise als säuberlich voneinander trennbare Abbilder der Wirklichkeit aufzufassen, sondern man muß sie in ihrer Gesamtheit als ein riesenhaftes Problemsyndrom, das wir als Problematik der Menschheit bezeichnen wollen, betrachten.

Diese zunächst intuitive Erkenntnis führte dazu, daß sich vor vier Jahren auf Initiative des italienischen Wirtschaftlers und Industriellen Aurelio Peccei1) einige Männer im Club of Rome (Gründungsort) zusammen­schlossen, um die systemaren Zusammenhänge dieser Problematik zu untersuchen. Heute umfaßt der Club of Rome etwa 70 Mitglieder aus mehr als 20 Nationen. Die Mitglieder sind Wissenschaftler der verschiedensten Provenienz, zumeist Hochschullehrer und führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Verwaltung. Keiner bekleidet gegenwärtig ein hohes politisches Amt. 

Der Club hat jedoch - zum Teil engen - Kontakt mit führenden Regierungsmitgliedern oder der Regierung nahestehenden Personen in Ottawa, Tokio, Stockholm, Wien, Bern, Buenos Aires, Mexiko, Washington und Moskau. Die Mitglieder des Club of Rome sind davon überzeugt, daß es der Menschheit auf lange Sicht wenig nutzt, wenn man fortfährt - wie es leider den Anschein hat -, sich lediglich mit individuellen Problemgebieten zu beschäftigen, um dann unsere Situation durch entsprechend isolierte Maßnahmen zu verbessern. 

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Wenn man wirklich neue Einsichten gewinnen will, muß man seinen Blick vom Einzelproblem weg auf den totalen Komplex der Problematik wenden, um sie in ihrem systemaren Zusammenhang und ihren Synergien zu erkennen. Man muß sich ein globales System-Modell unserer gegenwärtigen Situation schaffen. Ein solches notwendigerweise grobes Weltmodell sollte uns einen vertieften Einblick in den dynamischen Prozeß vermitteln, in dem sich unsere Problematik entfaltet, und gleichzeitig neue, auf lange Sicht zukunftsträchtige Aktionsrichtungen auf dem Gebiet weltweiter und weltgemeinsamer Politik erschließen, anstelle einer nur Krisen bewirtschaftenden Flickwerkspolitik. Natürlich sind dazu weitere, im einzelnen gründlichere Untersuchungen zur Erstellung weit detaillierterer Modelle notwendig, die aber erst aufgrund der mit dem groben Modell gewonnenen Erfahrungen und neuen Einsichten sinnvoll konstruiert werden können.

Bevor der Club of Rome die erste Phase seines Programms begann, unternahm er eine breit angelegte Suche nach Methoden, die in der Lage sein könnten, die vielen zur Erörterung der Weltsituation notwendigen Disziplinen bei dem Aufbau eines System-Modells zu integrieren. Ende Juni 1970, auf einer Konferenz des Club of Rome in Bern, zu welcher der Schweizer Bundesrat eingeladen hatte, ermutigte der Herausgeber Herrn Professor Jay W. Forrester, ebenfalls ein Mitglied des Club of Rome, noch im Juli am MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Cambridge, USA, ein Symposium2) zur Untersuchung der Möglichkeit abzuhalten, ein Weltmodell mit Hilfe der von ihm entwickelten Methode System Dynamics aufzubauen. 

Forrester ergriff sofort die Initiative, und schon auf dem Rückflug in die Vereinigten Staaten skizzierte er roh ein Flußbild für sein erstes Weltmodell (siehe Seite 118/119), das er dann in den folgenden Wochen zu seinem zweiten Weltmodell (siehe Seite 34) weiterentwickelte. Der Struktur und dem Dateninhalt dieses Weltmodells und insbesondere den damit gewonnenen Ergebnissen ist das vorliegende Buch gewidmet.

Das erörterte Weltmodell ist im wesentlichen für die Beantwortung der Frage aufgestellt: Wo liegen die Grenzen für das Bevölkerungs- und Wirtschafts­wachstum auf dieser endlichen Erde? Hierbei konnte man nur versuchen, sehr allgemeine Verhaltensweisen des Weltsystems in seiner zeitlichen Entfaltung zu begreifen. Denn jede im Modell verwendete Größe konnte bei dieser ersten Untersuchung nur im groben Weltdurchschnitt definiert werden: Das fängt bei der Bevölkerung an, wo lediglich Durchschnittseigenschaften der Weltbevölkerung erfaßt werden konnten, und hört dabei auf, daß bei der Untersuchung des Einflusses der Umweltverschmutzung in diesem Modell nur langlebige, global verteilte Umweltsverunreinigungen wie zum Beispiel Blei, Quecksilber und DDT betrachtet werden. Forrester war sich ferner natürlich auch darüber im klaren, daß Nahrungsmittel, Rohstoffvorräte und Verschmutzung nicht gleichförmig über die Welt verteilt sind. 

Ungleichmäßigkeiten dieser Verteilung sowie soziale und politische Spannungen, die sich aus mangelhaftem Einsatz beziehungsweise Verteilung von Kapital und Arbeit ergeben können, werden aber mit Sicherheit den Einfluß haben, die Optionsmöglichkeiten der Menschheit, mit der sich abzeichnenden, ja bereits vorhandenen Krise fertig zu werden, noch weiter einzuschränken, als dies nach Forresters globalen Modelluntersuchungen den Anschein haben könnte. Das Modell hilft uns ferner, eine Reihe von realistischen erreichbaren Zielen für die globale Gesellschaft zu erkennen. Dabei können wir lernen, welche Opfer die Menschheit zu bringen hat, um zu — im Rahmen der so erkannten Möglichkeiten — ausgewählten Zielen zu gelangen, zum Beispiel zu einem im allgemeinsten Sinne verstandenen ökologischen Gleichgewicht. Forrester stellt uns also ein neues Werkzeug zur Verfügung, welches in seiner weiteren Entwicklung geeignet sein kann, das Wirken unserer komplexen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systeme ebenso wie unsere natürliche Umwelt besser zu begreifen und dementsprechend sinnvoller zu gestalten.

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Eduard Pestel

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Abb. 3:  Das Gesetz des exponentiellen Wachstums,
dargestellt am Beispiel einer Bevölkerung von einer Million Menschen,
die sich in 50 Jahren verdoppelt.

   

Abb. 2: 

Professor Jay W. Forrester vom MIT

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