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 9   Die heillose Welt des Fernsehens - Hoffnung und Hoffnungslosigkeit als Medienbotschaft 

von Dietrich Schwarzkopf   1987

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Man betrachte einmal die Hauptausgabe der abendlichen Nachrichten im Fernsehen unter dem Gesichtspunkt Hoffnung. Das Ergebnis wird nicht sehr ermutigend sein. Natürlich ist in den Nachrichten von Hoffnung die Rede: da wird ein Parteitag von der Hoffnung getragen, die Partei werde die Wahlen gewinnen, und man habe sich dazu nicht den falschen Kandidaten ausgesucht; da wird von der Hoffnung berichtet, ein amerikanisch-sowjetisches Gipfeltreffen werde eine bahnbrechende Vereinbarung über die Raketenabrüstung ergeben; da wird gemeldet, es bestehe noch Hoffnung, nach einer Erdbebenkatastrophe Lebende unter den Trümmern zu finden.

Der Durchschnittszuschauer wird Anknüpfungspunkte für seine persönliche Hoffnung finden, wenn er Anhänger der betreffenden Partei ist, und wenn er dazu neigt, von Gipfeltreffen viel zu erwarten. Die große Mehrzahl der Nachrichten taugt jedoch nicht dazu, Hoffnungen zu wecken oder zu bestärken. Vielmehr wird reichlich Stoff dazu geboten, Hoffnungen nicht entstehen zu lassen, bestehenden Hoffnungen die Grundlage zu entziehen und Hoffnungs­losigkeit zu verbreiten.

Die Welt der Fernsehnachrichten ist eine überwiegend hoffnungslose Welt. Sie scheint zu bestehen aus Terroranschlägen, Entführungen, Unfällen, Naturkatastrophen, Krieg und Bürgerkrieg, Unruhen, Demonstrationen, Skandalen und Verseuchung der Umwelt. Ein gehöriges Maß an Abgestumpftheit muß schon dazu gehören, daß der Zuschauer nicht entsetzt abschaltet. Wenn Zuschauer nach einer halben Stunde nicht mehr wissen, welche Nachrichten die eben gesehene Sendung enthalten hat, so hat das vielleicht gar nichts mit der Qualität der Nachrichten oder mit der Aufmerksamkeit des Zuschauers zu tun, sondern es handelt sich um Verdrängung aus Notwehr.

Die Nachrichtenauswahl beim Hörfunk und bei den Zeitungen ist übrigens prinzipiell nicht anders; beim Fernsehen wirken die Bilder nachhaltiger.

Nun machen Nachrichten ja nur einen kleinen Teil des Fernsehangebots aus. Danach wird der Zuschauer in die heile Welt der Unterhaltung entlassen, die ihn zwar nicht unbedingt hoffen heißt, ihm aber wenigstens nicht zusätzlichen Grund zur Hoffnungslosigkeit bietet, die ihn vielmehr gefällig ablenkt, ihn vergessen läßt, was für ein schreckliches Weltbild die Nachrichten ihm vermittelt haben.

Aber ist denn die Welt der Fernseh-Unterhaltung wirklich heil?

Gerade in den weltweit publikumswirksamsten Sendungen ist sie das überhaupt nicht. Da wimmelt es von Schurken beiderlei Geschlechts, da wird gelogen, betrogen, intrigiert, gemordet - zum hellen Vergnügen des Zuschauers. Das historische Fernsehspiel zeigt ihm, wie ungerecht und grausam die Welt schon immer war, das zeitgenössische hält der Gesellschaft von heute anklagend den Spiegel vor. Kommt ein guter Mensch vor, so scheitert er an dieser Gesellschaft.

Natürlich bietet das Fernsehen nicht nur Unterhaltung außerhalb der Nachrichten. Information und Bildung sind weitere Hauptaufgaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland. Da wir von Amerika fleißig lernen, ist der investigative Journalismus bei uns in Mode. Die informativen Sendungen sind sein ; Hauptentfaltungsfeld. Investigieren führt zum Aufdecken, und aufdecken wird man Böses, Faules, Schlimmes. Daß sich investigativer Journalismus auf einen Sachverhalt bezieht, der geeignet ist, Hoffnungen zu erwecken, ist höchst selten. Durch die bildenden Sendungen erfährt der Zuschauer, daß seine eigene Ausstattung mit Bildung überholt und untauglich ist, und daß er sein Leben lang lernen müßte, um sich auf dem laufenden zu halten. All das regt wenig zur Hoffnung an.

Glaubt man amerikanischen und deutschen Untersuchungen, so sind Menschen, die viel fernsehen, arm dran: Wer viel fernsieht, glaubt sich mehr von Gefahren umgeben als derjenige, der weniger fernsieht; er wird in seinem Verhalten ängstlich, abwehrend.

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Zu den Vielsehern (zweieinhalb Stunden täglich statt der durchschnittlich zwei — in Amerika sind die Zahlen mindestens doppelt so hoch) gehören vor allem Menschen, die mit ihrem Schicksal unzufrieden sind. Man mag fragen, ob sie viel fernsehen, weil sie unzufrieden sind, oder unzufrieden sind, weil sie viel fernsehen. In Wirklichkeit dürfte da eine Gemengelage bestehen. Wer viel fernsieht, um sich von seiner Unzufriedenheit abzulenken, könnte durch das, was er sieht, in seiner Unzufriedenheit weiter gesteigert werden.

Zwischen gesteigertem Fernsehkonsum und Einsamkeit besteht ein enger Zusammenhang. Es sind die Einsamen, die viel fernsehen, die Alleinstehenden, Frauen mehr als Männer, Altere mehr als Jüngere. Häufiges Fernsehen spiegelt wachsende Vereinsamung wider, verursacht sie aber nicht. Doch auch hier besteht eine Gemengelage. Der Einsame, der viel fernsieht, fühlt sich danach noch einsamer. Fernsehen, das ihn von der Einsamkeit ablenken soll, lenkt ihn auch von Versuchen ab, die Einsamkeit anders als durch vermehrtes Fernsehen zu überwinden, nämlich durch Kontakte mit anderen Menschen.

Danach scheint ein nicht unerheblicher Teil des Fernsehpublikums aus Ängstlichen, Unzufriedenen und Einsamen zu bestehen, aus Menschen also, die Hoffnung bitter nötig hätten. Wesentliche Teile des Fernsehprogramms scheinen aber nicht geeignet zu sein, Hoffnung zu vermitteln. Die Vielfernseher werden also immer mehr in Ängstlichkeit, Unzufriedenheit und Einsamkeit hineingetrieben. Eine Elendsspirale scheint sich abzuzeichnen.

Wer der Darstellung bis hierher gefolgt ist, wird sich entsetzt fragen, was da zu tun sei, und wird fordern, daß schnell etwas getan werde, damit sich nicht Depression durch das Fernsehen epidemisch verbreite und Hoffnung auch in der Welt des Fernsehens wieder zu ihrem Recht komme. Verlangt wird nicht selten ein optimistisches, zukunftsfrohes, Hoffnung ausstrahlendes Fernsehen.

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Doch wer dies verlangt, begeht einen weitverbreiteten Fehler, nämlich den, das Fernsehen zugleich für die Ursache von Fehlentwicklungen und für das Mittel zur Behebung der Ursache zu halten. Versagt das Elternhaus mit der Folge, daß sich Kinder angeblich an falschen Vorbildern aus dem Fernsehen orientieren, so muß das Fernsehen eben die richtigen Vorbilder liefern, und schon ist die Welt wieder in Ordnung. Unterläßt es die Schule, den dosierten und kritischen Umgang mit dem Medium Fernsehen zu vermitteln, so muß selbstverständlich das Fernsehen diese Aufgabe übernehmen. Gelingt es den europäischen Institutionen nicht, der Bevölkerung der verschiedenen Länder Europas ein europäisches Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln und spiegelt sich dieser Mangel im Fernsehen wider, dann muß eben das Fernsehen das Europa-Gefühl schaffen. Wird nicht zuletzt deshalb so viel geraucht, weil das Fernsehen in seiner Berichterstattung wie in seinen fiktiven Sendungen zu viele Raucher als falsche Vorbilder vorführt, so muß das Fernsehen die üblen Folgen des Rauchens zeigen.

Wo immer Institutionen versagen, soll das Fernsehen als das angeblich wirksamste Medium den Ausgleich schaffen. Es soll ersatzweise Elternhaus, Schule, Lehrmeister des richtigen Verhaltens und Sinngeber sein - ersatzweise und wiedergutmachungshalber. Denn das Fernsehen, so wird jedenfalls behauptet, ist am Versagen der Institutionen zumindest mitschuldig. Auf diese Weise wird das Fernsehen, wenigstens in der Erwartung, zur Super-Institution. Eine Fülle von Hoffnungen richtet sich auf das Fernsehen, es wird zum zentralen Hoffnungsadressaten. Und nun soll es auch noch zum zentralen Hoffnungsvermittler werden. Ich fürchte, das ist ein Irrweg, der zur Vergötzung des Fernsehens führt und letztlich die Demokratie durch die Telekratie ersetzt.

Wer vom Fernsehen erwartet, daß es Hoffnung verbreitet, die mit anderen Mitteln offenbar nicht mehr oder nicht mehr genügend verbreitet werden kann, der macht das Fernsehen zum Herrscher über die Hoffnung.

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In der Bundesrepublik Deutschland wird eine kräftige Vermehrung der Fernsehprogramme damit begründet, endlich müsse man von einem Zuteilungssystem, das sich aus der Knappheit der technischen Möglichkeiten gerechtfertigt habe, zur opulenten Fülle und Vielfalt eines marktwirtschaftlichen Systems übergehen.

Hoffnung aber, weil sie knapp wird, soll vom Fernsehen zugeteilt werden? Wer zuteilt, verwaltet auch. Das Fernsehen als Hoffnungsverwalter - das ist in der Tat die Kapitulation aller anderen Hoffnungsvermittler. Keine Hoffnung, es sei denn durch das Fernsehen - wahrhaft eine Vision der extremen Hoffnungslosigkeit.

Es gibt Systeme, in denen das Fernsehen der amtliche Hoffnungsvermittler ist. Das kommunistische System gehört dazu. Es ist eines der am stärksten auf Hoffnung angelegten Systeme, denn es wird von der Hoffnung bestimmt, überall auf der Erde könne eine Ordnung geschaffen werden, in der der Mensch den Menschen nicht mehr ausbeutet, die den Bedürfnissen eines jeden gerecht wird, und in der letztlich der Staat überflüssig wird. Die Realität des Kommunismus widerlegt diese Hoffnung täglich. Das Fernsehen in den kommunistischen Ländern jedoch ist gehalten, der Öffentlichkeit die unaufhaltsam fortschreitende Annäherung an die Verwirklichung der Hoffnung einzureden. Es gelingt nicht. Der Erfolg der Vermittlung von Hoffnung durch das Fernsehen muß etwas damit zu tun haben, zu welcher Hoffnung die Alltagserfahrung außerhalb des Fernsehens ermutigt.

Auch in Ländern der Dritten Welt mit ihrem hausgemachten Sozialismus sollen die Medien, voran das Fernsehen, offizielle Hoffnungsvermittler sein. Hoffnung ist, was die Staatspartei und die Regierung als Hoffnung definieren. Partei und Regierung geben vor, auf welche Ziele sich die Hoffnung zu richten habe. Westliche Medien, vor allem Nachrichtenagenturen, mit ihrem Mangel an Orientierung an den staatlichen Hoffnungsvorgaben der Entwicklungsländer sollen da nicht stören dürfen. Eine Weltinformationsordnung wird angestrebt, die sich auf das staatliche Monopol der Hoffnungsvermittlung durch die Medien stützt und es gegen ausländische Einflüsse absichert.

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Zurück zum Fernsehen in der westlichen Welt.

Wer ist denn »das Fernsehen«? Der Ausdruck wird oft benutzt, als sei es eine anonyme, nicht näher definierbare Macht. Dabei besteht »das Fernsehen« aus den Leuten, die es machen, das heißt im wesentlichen den Redakteuren, Autoren und Technikern, und aus denjenigen, die darin zu Wort kommen, das sind hauptsächlich die Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen. Die Redakteure gelten als Wächter des Zugangs. Nach einer in Amerika und hierzulande verbreiteten, wenngleich nicht vorherrschenden Meinung lassen sie nur diejenigen Informationen passieren, die ihrer eigenen sozialen Konditionierung und ihren eigenen politischen und gesellschaftlichen Voreingenommenheiten entsprechen. Ein solches Verhalten wird nicht einmal als verurteilenswerte - und vermeidbare - Manipulation gewertet. Die Redakteure können wegen ihrer Konditionierung angeblich nicht anders. Sie sind gewissermaßen unschuldige Manipulatoren. Und da diese konditionierungsbedingte Manipulation nicht vermeidbar ist, kommen Pluralität und damit eine Annäherung an die Objektivität nur zustande, indem man Journalisten möglichst unterschiedlicher Konditionierung anheuert und ihnen gleichberechtigt die Verwaltung des Zugangs anvertraut.

Nach dieser Auffassung wäre Hoffnungslosigkeit im Fernsehprogramm wesentlich darauf zurückzuführen, daß die Wächter des Zugangs selbst ohne Hoffnung oder zumindest ohne die Fähigkeit zur Hoffnungsvermittlung sind. Hoffnung hielte in das Programm nur dann Einzug, wenn entsprechend hoffnungsorientierte und hoffnungs-vermittlungsfähige Mitarbeiter angestellt würden. Dies würde einen Hoffnungs-Eignungstest und journalistische Grundsätze voraussetzen, die eine Verpflichtung auf die Hoffnung enthielten.

Auf was für eine Hoffnung?

Das ist die zentrale und entscheidende Frage. Es gibt eine spezifisch christliche Hoffnung. In bezug auf sie wird eine Auseinandersetzung geführt, bei der es darum geht, ob sie in einem vom Staate freien, öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm eines sich als christlich verstehenden Staates auch außerhalb der kirchlich-religiösen Programme zur Geltung kommen müsse. Von dieser Hoffnung abgesehen, gibt es eine Fülle der unterschiedlichsten Hoffnungen, private und öffentliche, individuelle und solche von Gruppen und Interessen. Wer als Gruppen- oder Interessenvertreter im Fernsehen zu Worte kommt, wird seine spezielle Gruppen- oder Interessenhoffnung artikulieren. Dazu ist er verpflichtet, und das Fernsehen ist verpflichtet, den Ausdruck dieser Hoffnung zu transportieren. Damit und insoweit entsteht eine vielleicht irritierende Hoffnungsfülle, aber nicht der Eindruck der Abwesenheit von Hoffnung. Das darf man bei der Beurteilung des Fernsehprogramms nicht vergessen. Was die sehr allgemeine Hoffnung angeht, daß alles immer etwas besser oder zumindest nicht schlechter werde und daß wenigstens nicht alles so schlimm sei, wie es nach der Berichterstattung der Medien einschließlich des Fernsehens aussieht, so wird ein jeder Zuschauer die Bestätigung oder Widerlegung durch Alltagserfahrungen außerhalb des Fernsehens erfahren. Im übrigen werden die meisten Hoffnungen der Zuschauer höchst persönlicher Natur und so verschiedenartig sein, daß sie sich der öffentlichen Artikulation durch das Fernsehen entziehen.

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