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Das Ende eines steinigen Weges
Jürgen Fuchs' Lehrer Gerhard Hieke verstarb 67jährig
Seine Biographie ist voller Brüche
von Petra Steps, Freie Presse, 4.4.2004Reichenbach/Zwickau. "Der Tod fragt nicht nach dem Alter." Das ist eine der Lebenserfahrungen von Annemarie Schramm. Wie wahr der Satz ist, musste sie erst kürzlich schmerzhaft feststellen. Im Alter von 67 Jahren verstarb ihr Bruder Gerhard Hieke, bekannt als Lehrer an mehreren Schulen in Reichenbach und Zwickau, vor allem aber durch die ehemalige EOS Reichenbach, denn dort lehrte er, als der bekannte Bürgerrechtler Jürgen Fuchs Schüler war.
Jahrzehntelanges Medikamentenschlucken wegen Asthmas blieb nicht ohne Folgen. Nach einer Beinamputation, bereits auf dem Weg der Genesung, wurden die Angehörigen und viele Freunde und Bekannte von seinem jähen Tod überrascht
Die Biografie von Gerhard Hieke weist mehr Brüche als gerade Linien auf, obwohl er wohl immer einen geraden Weg gehen wollte. Im 1992 erschienenen Buch <Dummgeschult? Ein Schüler und sein Lehrer>, von Jürgen Fuchs und Gerhard Hieke gemeinsam herausgegeben, ist vieles nachzulesen. "In dem Buch stehen Dinge, die wir selbst als Familie nicht wussten", gesteht Annemarie Schramm. Sie kommt dabei nicht so toll weg. Als 13-Jähriger empfand er es als Zumutung, seine kleine Schwester ausfahren zu müssen, wo doch Fußball angesagt war. Ein richtig gutes Geschwisterverhältnis entstand erst nach der Wende, als man sich ehrlich über viele Probleme austauschte. Vorher gingen die Anschauungen der christlich geprägten Schwester und des Lehrer-Bruders oft weit auseinander. Jetzt bedauert sie, dass so wenig Zeit blieb.
1936 in Mylau geboren, Oberschule in Reichenbach. Studium der klassischen Philologie und Germanistik m Leipzig, unter anderen bei Ernst Bloch und Hans Mayer, für ein Jahr vom Studium ausgeschlossen wegen provokatorischer Äußerungen gegen die Hochschulpolitik, Arbeit als Rangierer bei der Bahn, Fortsetzung des Studiums bis 1960, Beginn der Lehrerlaufbahn, Entlassung aus dem Schuldienst, Arbeit auf dem Güterboden des Reichenbacher Bahnhofes, Wiedereinstellung als Lehrer, SED-Mitgliedschaft und Rausschmiss, nach der Wende Stasi-Vorwurf und Suspendierung vom Dienst, Rehabilitierung, seit einem Jahr im Ruhestand - das waren einige Stationen auf Hiekes steinigem Weg.
"Zur Ruhe setzen konnte er sich nie, er war mit Leib und Seele Lehrer", meint Annemarie Schramm. Wäre die Krankheit nicht gewesen, hätte er am Katholischen Gymnasium in Zwickau trotz Ruhestand wieder Latein unterrichtet.
Zur Familie von Jürgen Fuchs brach der Kontakt mit dem Tod des Bürgerrechtlers jäh ab. Mutter und Schwester machten den Lehrer verantwortlich für den Weg des ehemaligen Schülers, der zum frühen Tod führte. "Darunter litt er schwer, denn Jürgen Fuchs war damals schon alt genug und war viel extremer als mein Bruder", meint Annemarie Schramm.
Anfang der 90er lief im MDR ein Film, in dem sich Fuchs, Hieke und Ingeborg Hochmuth über die gemeinsame Reichenbacher Zeit vor der Wende unterhielten. Alle drei sind nun tot.
An der Trauerfeier nahmen neben Hiekes Familie vor allem Freunde, Schüler und ehemalige Kollegen teil. Schon zu Lebzeiten wurde Gerhard Hieke verehrt, auch wenn er keinen Wert auf Ehren legte. "Wie waren wir neidisch auf die Klasse, die den Lehrer Hieke hatte", erinnert sich eine Schülerin der damaligen Reichenbacher EOS noch heute. Sein Haus war ein offenes Haus.