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Germanen 

 Anmerk   

 

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Während sich dies alles im Süden unseres Kontinents abspielte, befanden sich im Norden die jungen Stämme und Völker der Germanen, die später die Überwinder der Römer und die Führenden der fünften nach­atlant­ischen Epoche werden sollten, noch in einem Zustand, der dem eines Kindes gegenüber dem Erwachsenen glich.

Über die Abstammung der Germanen ist schon mehrfach im Zusammenhang mit den Kelten und Italikern gesprochen worden. Sie dürften, als Volk zur indogermanischen Sprachfamilie gehörend, etwa am Ende der jüngeren Steinzeit aus den Trägern der nach Westen vorstoßenden Megalithkultur, der Trichterbecher- und Schnurkeramik- bzw. Streitaxt-Kultur, hervorgegangen sein, obwohl die sie von den anderen indogermanischen und alteuropäischen Sprachgruppen unterscheidende Lautverschiebung erst in die erste Hälfte des letzten Jahrtausends v.Chr. anzusetzen ist.

Schon seit der jüngeren Steinzeit bewohnten sie Süd-Skandinavien, Dänemark und Schleswig. Im allgemeinen unterscheidet man die Nordgermanen in Skandinavien, die Ostgermanen, die, den Nordgermanen nahestehend, in das Gebiet östlich der Elbe auswanderten, und die Westgermanen an Rhein, Weser, Nordsee und Elbe. Letztere wiederum bildeten drei Kultverbände: die Ingwäonen an der Nordsee, die Istwäonen am Rhein und die Herminonen im Binnenland.123

Drei Stände bestimmten das gesellschaftliche Verhalten der Germanen: der Adel, der seine Abstammung von den Göttern ableitete, die Freien, die die Masse der wehrfähigen Bevölkerung bildeten und alle politischen Rechte besaßen, und die Minderfreien, die sich aus Freigelassenen und Liten zusammensetzten, von denen letztere meist Unterworfene eines oft verwandten Stammes waren. Die Unfreien, das waren zumeist Kriegsgefangene, unfrei Geborene oder durch Zahlungsunfähigkeit unfrei Gewordene. Von der Bronzezeit ab begannen sich die Germanen deutlich von den anderen alteuropäischen Völkern kulturell zu unterscheiden.124)

Aus der nordischen Bronzezeit stammen auch die Felsbilder, die bereits anthropomorphe Götter zeigen. Aufgrund ihres alten hellseherischen Bewußtseins herrschte bei den Germanen die Überzeugung, daß derjenige, der nicht am materiellen Leben hängt, unmittelbar nach dem Tod einer Gottheit ansichtig wird. Man empfand es daher als Strafe, wenn der Mensch nach dem Tod zeitweilig von der Gemeinschaft der Götter ausgeschlossen war, weil er sich zu sehr ins Materielle verstrickt hatte.


Deshalb sagte man von dem Krieger, der auf dem Schlachtfeld starb — der also den ehrenvollen Krieg höher schätzte als das Materielle —, daß ihn die Walküre empfängt; und man betrachtete das als eine Art Einweihung. Wer im Bett starb, starb den Strohtod.125 Die germanischen Völker der vorchristlichen Zeit besaßen im Gegensatz zu den orientalischen Völkern schon ein starkes Ich-Gefühl. Sie bildeten die fünfte Kultur der nachatlantischen Zeit.126

In kriegerische Berührung mit den Römern kamen die Germanen zuerst während der Wanderung der Kimbern, Teutonen und Ambronen in den Jahren 113-102 v.Chr. Nur mit größter Mühe gelang es Marius, sie schließlich zu überwinden. Seit jener Zeit saß den Römern die Angst vor dem furor Teutonicus so sehr in den Knochen, daß noch Cäsar vor dem Aufbruch in die Schlacht gegen Ariovist im Jahr 58 v. Chr. alle seine Überredungskünste aufwenden mußte, um das Heer psychologisch auf den Kampf gegen die Germanen vorzubereiten.

Diese Tatsache bleibt selbst dann bestehen, wenn man in Rechnung stellt, daß Cäsar übertrieb, um seinen späteren Sieg in um so hellerem Licht erscheinen zu lassen. Drei Jahre später überwand er nur durch heimtückischen Bruch des Völkerrechts, nachdem er die Oberhäupter der vorher siegreichen Usipeter und Tenkterer während der Verhandlungen hatte niedermetzeln lassen, die führerlos gewordenen Stämme. Die germanischen Reiter schätzte er besonders als Hilfs-truppen, denen er vor ihrem Einsatz allerdings die besseren römischen Pferde überließ. In seinen <Kommentaren zum Gallischen Krieg> hat er über die germanischen Sitten und Gebräuche geschrieben, wenn darin auch manches mit Vorsicht behandelt werden muß.127

Angst und Schrecken verbreitete in Rom erneut die Nachricht von der Niederlage des Legaten Lollius in Gallien im Jahr 16 v.Chr., bei der sogar der Adler der V. Legion den siegreichen Sugambrern, Usipetern und Tenkterern in die Hand fiel. Kaiser Augustus begann daraufhin persönlich, drei Jahre lang die Eroberung des germanischen Gebietes bis zur Elbe vorzubereiten. Zu den Angriffsvorbereitungen gehörte der Bau von über 50 Kastellen im Rheingebiet mit den Lagern Xanten und Mainz als Hauptbasen. Dorthin wurden fünf Legionen verlegt, rund 30.000 Legionäre. Mit Trossen und Hilfstruppen verdoppelte sich etwa die gesamte Truppenzahl. Nero Claudius Drusus (38-9 v.Chr.), unter dessen Leitung die Vorbereitungen durchgeführt wurden, baute die nötigen Verbindungs­straßen und kanalisierte die Vecht-Ijssel-Linie, um den späteren Zuidersee mit dem Rhein zu verbinden.

In Köln entstand eine römische Flotte, mit der er in die Nordsee vorstoßen wollte. Nachdem er im Jahr 12 v.Chr. mit Hilfe dieser Flotte die Friesen und Chauken zu einem Bündnisvertrag gezwungen hatte, zielten alle seine Vorstöße in den Jahren 12, 11, 10 und 9 v.Chr. auf den Raum, in dem die Externsteine liegen und in dem wir das germanische Zentralheiligtum vermuten dürfen.

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Hoch über diesem Raum, der u.a. die heutigen Städte Detmold und Paderborn umschließt, und hoch über der Erde lag das germanische Asgard, von dem aus gewaltige Impulse ausstrahlten. Dieses Inspirations­zentrum, Asgard genannt, hat später seine Wirksamkeit an den Ort des Heiligen Grals abgegeben. Von dort erhielt der nordische Volkserzengel seine Mission, und von dort erhielten die erhabensten Geister ihre Aufträge, die ihr Wirken nach Nord- und Westeuropa hin ausdehnten.128) Doch der Versuch, dieses Zentralheiligtum zu erobern, scheiterte; die Germanen zwangen Drusus zur Rückkehr. Allgemein bekannt ist das Auftreten der Seherin von übermenschlicher Größe, die Drusus zur Umkehr zwang und ihm den nahen Tod voraussagte.129

Dem Bruder des Drusus, Tiberius, von dem wir schon gehört haben, daß er sich die Einweihung erzwungen hatte, wäre es beinahe gelungen, in den Jahren 8-6 v.Chr. die römische Oberhoheit bis zur Weser auszudehnen. Doch noch einmal mußte er einer Familienangelegenheit wegen nach Italien zurückkehren. Erst im Jahr 4 n.Chr. nahm er seinen Plan wieder auf. Dabei ging er mit der ihm eigenen List und Heimtücke vor. Um sein Ziel zu erreichen, schloß er einen Bündnisvertrag mit den Cheruskern ab und stieß bis in den Raum des heutigen Hildesheim vor. Zur gleichen Zeit oder ein Jahr später errichtete er bei Köln einen Altar, der nach dem Vorbild des gallischen Lugdunum (Lyon) in Verehrung des göttlichen Augustus und der Roma zum neuen germanischen Zentralheiligtum werden sollte. Ein vornehmer Cherusker und Verwandter des Arminius wurde dort der erste Priester. Im Winter 4/5 n.Chr. wagte es Tiberius sogar, im Land der Cherusker, an den Lippequellen, und ganz gegen die Gewohnheiten des römischen Heeres zu überwintern. 

Es darf vermutet werden, daß er im engen Zusammenleben mit dem wichtigen Kultverband der Cherusker Näheres über die germanischen Heiligtümer, die ja Zentrum des Widerstandes waren, erfahren wollte. Eine endgültige Besetzung oder Zerstörung der Heiligtümer hätte, wie es später dann auch geschah, die unter sich verfeindeten germanischen Stämme zum gemeinsamen Abwehrkampf zusammengeführt. Das Verhalten des Tiberius im Jahr 5 n. Chr. verleiht dieser Hypothese weitere Glaubwürdigkeit. Er stieß nämlich mit der Flotte an der Nordseeküste entlang fast bis zum Skagerrak vor, kehrte aber dann, ohne zu landen, um.

Bisher konnte sich niemand dieses rätselhafte Verhalten erklären. Wir sind jedoch der Überzeugung, daß dieser Vorstoß der Suche nach dem wichtigsten Heiligtum der Nordgermanen bei Jelling galt. Als Tiberius dann in die Elbe einfuhr, besiegte er die dort wohnenden Langobarden und Chauken und demonstrierte durch einen Heeres- und Flottenaufmarsch auf und an der Elbe entlang seine Macht. In der Nähe von Lüneburg errichtete er auf dem Kalkberg eine Luna-Säule, wohl zum Zeichen seines Sieges.130

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Gewöhnlich errichteten römische Truppen nach einem Sieg ein einfaches, aus Steinen zusammengesetztes Siegesmal; hier wird eine Säule genannt, von der Reste bis vor kurzem noch in einer nahen Kirche vorhanden waren. Das deutet auf eine Besonderheit hin, und diese Besonderheit kann eigentlich nur darin liegen, daß Tiberius die Säule an der Stelle eines germanischen Heiligtums errichtete, von dem allerdings bisher keinerlei Spuren gefunden worden sind. In der Überzeugung, Germanien unterworfen zu haben, rüstete Tiberius nun zu einem Feldzug gegen die besonders volkreichen Markomannen im Südosten Germaniens. Ein Aufstand in Illyrien und Pannonien hielt ihn von der Ausführung dieses Plans ab. Die vielleicht gefährlichste Bedrohung der Freiheit Germaniens war durch Geschehnisse außerhalb Germaniens abgewendet worden. An die Stelle des Tiberius trat aber nun Quinctilius Varus, der glaubte, Germanien wäre als Provinz bereits fest in der Hand der Römer.

 

Bevor wir zur entscheidenden Tat des Arminius kommen, soll noch einmal betont werden, wie wichtig Heiligtümer für die Wahl eines Schlachtortes waren. Das im Kampf gefällte Gottesurteil wurde dann von den Germanen als unumstößlich hingenommen. Dies hatte sich schon beim Zug der Kimbern und Teutonen gezeigt. Ihren ersten Sieg über ein römisches Heer hatten sie 113 v.Chr. in der Nähe der Hauptstadt des keltischen Noricum Noreia erfochten, das ja zugleich, wie wir gehört haben, religiöses Zentrum war, und dort den Alpenübergang erzwungen.

Die größte Katastrophe aber, die Rom seit Cannae getroffen hatte, bereiteten ihnen die Kimbern und Teutonen im Jahr 106 v.Chr. bei Arausio, dem heutigen Orange. Mit ihnen im Bund standen schon seit einiger Zeit die helvetischen Tiguriner, denen der Raub des Tempelschatzes von Toulouse durch die Römer unter dem Feldherrn Caepio als besonders verabscheuungswürdiges Verbrechen erschienen sein muß. Die Schlacht diente wohl als Sühne für diese Freveltat. Die keltisch-germanischen Stämme zogen danach gemeinsam nach Spanien. Dieser Zug erscheint ganz unsinnig, wenn wir nicht annehmen dürfen, daß sie noch einmal versuchten, die Keltiberer aufzurichten, deren religiöses Zentrum und Hauptstadt Numantia erst bei der Belagerung des Jahres 134/133 v.Chr. durch Scipio und durch die Evocatio ihrer Götter erlegen war. 

Hunger hatte die Eingeschlossenen schließlich zum Kannibalismus gezwungen, wobei die Schwächsten getötet und verzehrt wurden. Am letzten Tag vor der Kapitulation hatten sich die meisten den Tod gegeben, nur wenige lieferten sich dem Sieger aus und wurden als Sklaven verkauft. Scipio ließ Numantia niederbrennen. Nach einem Streifzug, der doch sicher nicht nur der Plünderung gedient haben kann, denn dazu hätte das reiche Südfrankreich bessere Gelegenheiten geboten, teilten sich die Germanen in zwei Heerhaufen.

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Bei Aquae Sextiae, dem heutigen Aix-en-Provence, das allein durch seine Thermalquellen den Charakter einer heiligen Stätte trug, schlug ein römisches Heer unter Marius mit deutlicher zahlenmäßiger Überlegenheit die Teutonen und vernichtete sie.

Die Kimbern waren weiter nach Osten gezogen und über die Po-Ebene in die Raudischen Felder eingedrungen. Bei Vercellae verabredeten sie mit den Römern, ganz ihrer Anschauung von der Schlacht als Gottesurteil entsprechend, ein Schlachtfeld, das sie durch die Aufstellung ihres heiligen Stieres heiligten. Der schlaue Römer Marius übertölpelte sie bei der Wahl der Seiten, indem er sie gegen die Sonne kämpfen ließ. Im Jahr 101 unterlagen die Kimbern und wurden völlig vernichtet.

Auch der Schlacht zwischen Cäsar und Ariovist in der elsässischen Ebene ging eine Verabredung der beiden Heerführer voraus. Zwar berichtet Cäsar nur von politischen Themen, die zwischen ihm und Ariovist behandelt worden wären, aber das Verhalten der Germanen zeigt, daß sie den Kampf nur unter bestimmten Regeln annehmen wollten. Nach einem kurzen, aber verlustreichen Scharmützel zwischen Teilen der beiden Heere befragte Cäsar Gefangene, 

»warum Ariovist eine Entscheidungsschlacht vermeide, und vernahm folgende Ursache: Bei den Germanen sei es Brauch, daß die Weiber durch Lose und Wahrsagungen offenbarten, ob es gut sei zu schlagen oder nicht. Und diese hätten erklärt, die Germanen könnten nach dem Willen des Schicksals nicht siegen, wenn sie vor dem Neumond ein Treffen lieferten.«131

 

Im Licht dieser Auffassungen von Kampf und Krieg gewinnt die Befreiungstat des Arminius im Jahr 9 n.Chr. im Teutoburger Wald noch größere Bedeutung. An heiliger Stelle und vermutlich an dem dem Wotan geweihten Tag, dem heutigen Michaelstag am 29. September — Michael trat, nachdem die Germanen das Christentum angenommen hatten, an die Stelle Wotans —, wurde Varus mit seinen Legionen, insgesamt etwas mehr als 30.000 Mann, vernichtet.

Noch im Sommerlager an der Weser hatte Varus Recht gesprochen, aber nicht germanisches Recht, sondern römisches. Damit hatte er gegen geheiligte Gesetze verstoßen und war zum Rechtsbrecher geworden, zum Neiding. Gegen ihn waren alle Mittel, auch die des Verrates, erlaubt. An anderer Stelle wurde gezeigt, wie alles darauf hindeutet, daß Arminius nicht nur Fürst, sondern auch Eingeweihter und höchster Priester des Wotan an den Externsteinen war. Nach unserer Überzeugung ist er der Siegfried der Nibelungensage.132 Als Priester war er allein befugt, Urteile zu vollziehen, wie dies Tacitus berichtet.133

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Die dreitägige Schlacht mit ihren Überfällen auf das marschierende römische Heer aus den Wäldern heraus, so daß es sich nicht zur Schlacht entfalten konnte, der schließliche Selbstmord des Varus, die Gefangen­nahme oder Niedermetzelung des bis dahin überlebenden Teils des Heeres und die schließliche Opferung der römischen Legaten, Tribunen und Zenturionen im heiligen Hain bei den Externsteinen können keineswegs, wie das in letzter Zeit geschehen ist, als ein unbedeutendes Kolonialgefecht oder eine Meuterei germanischer Hilfstruppen angesehen werden, vielmehr handelte es sich um eine Entscheidungs­schlacht größten Ausmaßes. 

Durch den Sieg des Arminius konnte das esoterische Wissen, das an den Externsteinen gepflegt wurde, für die Zukunft bewahrt werden, ähnlich wie das in Alaise-Alesia für das keltische Wissen geschehen war. Ohne diesen Sieg hätte weder ein deutsches noch ein englisches Volk entstehen können, ohne ihn gäbe es weder eine deutsche noch eine englische Sprache und Kultur, weder einen Shakespeare noch einen Goethe, die nur von ihrem Sprachgeist geleitet in dieser Form für die Gesamtmenschheit wirken konnten. Ohne den Sieg des Arminius hätten die germanischen, besonders die angelsächsischen Völker nicht die Führung in der fünften nachatlantischen Kulturepoche übernehmen können.

Eine europäische Einheitssprache auf romanischer Grundlage würde die Welt beherrschen, und die Vielfalt der europäischen Völker mit ihren Missionen wäre nie zum Tragen gekommen. Nur der michaelische Kampf gegen die Geister der Finsternis, zu dem sich der Einzelmensch in solchen Stunden wie jenen der Schlacht im Teutoburger Wald entscheiden mußte, verhinderte das Versinken der germanischen Völker in der Finsternis des Römertums.

Auch die Vorstöße des Germanicus, die darauf abzielten, die Niederlage des Varus wettzumachen und Germanien doch noch bis zur Elbe zu unterwerfen, galten den den Göttern geweihten Gebieten, wie bereits der Feldzug gegen die Marser mit der Zerstörung ihres Tanfana-Heiligtums im Jahr 14 n.Chr. zeigte. Ein Jahr später drang er in den Raum nördlich Fritzlar vor, wo die Chatten ihr heiliges Gebiet hatten und Bonifatius im Jahr 723 die Donar-Eiche fällen sollte. Es ging ihm darum, diesen mächtigen Stamm und Bündnisgenossen Arminius' auszuschalten.

Tacitus schreibt über sie: »Sie machen die rechten Männer zu Führern und hören dann auch auf sie; sie verstehen im Kampf Reih und Glied einzuhalten, wissen Blößen beim Gegner wahrzunehmen, den richtigen Augenblick zum Angriff abzupassen und den Tag zweckmäßig einzuteilen. Für die Nacht verschanzen sie sich. Sie verlassen sich nicht aufs Glück, sondern setzen ihr Vertrauen in die Tapferkeit. Vor allem aber, was äußerst selten und eigentlich nur bei der römischen Kriegszucht berechtigt ist, sie bauen noch mehr auf ihren Führer als auf ihr Heer. Ihre Hauptstärke liegt bei dem Fußvolk, das übrigens außer den Waffen auch noch Schanzgerät und Verpflegung mit sich führt. Kurz gesagt: die anderen Germanen rücken zur Schlacht aus, die Chatten dagegen ziehen in den Krieg.«134

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Im Jahr 16 holte dann Germanicus zum entscheidenden Schlag gegen Arminius, die Cherusker und ihre Verbündeten aus. Doch das Schlachtfeld bestimmte nicht er, sondern Arminius. Nach Beratungen und Opfern in einem Donarhain griff Arminius die Römer auf der Idisenwiese (Idistaviso) an. Die Schlacht endete unentschieden, mit leichten taktischen Vorteilen für die Römer. Durch ein geschicktes Manöver wußte Arminius den Germanicus nach sich zu ziehen und stellte sich ihm erneut am Angrivarier-Wall. Durch seine vorher erlittenen Verwundungen in seiner Lebenskraft geschwächt, führte Arminius diesen Kampf nicht selbst, sondern überließ die Führung seinem Oheim Inguiomer. Wieder gelang es Germanicus, mit Hilfe seiner Geschütze den Angrivarier-Wall zu durchbrechen, aber seine Verluste waren so schwer, daß er sich zum Rückzug hinter den Rhein entschloß. Augustus befahl daraufhin die Einstellung der römischen Eroberungsversuche.

Wohl war das linke Rheinufer in römischer Hand, doch allzu fest scheint die Stellung der Römer nicht gewesen zu sein, denn in den Jahren 69 und 70 erhoben sich die Bataver unter ihrem Führer Civilis, dessen germanischer Name nicht überliefert ist. Wie Arminius hatte auch er im römischen Heer als Offizier gedient. Die Seele des Aufstandes aber war die Seherin Weleda, die die Germanen aller Stämme zum heiligen Krieg aufrief. Die Betonung liegt dabei wiederum auf dem Wort »heilig«.

Viele Germanenstämme schlossen sich an, sogar Verbündete aus Gallien kamen hinzu. Doch es gelang den Römern nach Beendigung des Bürgerkrieges durch Vespasian, ein starkes Heer aufzubieten, dem die germanischen Verbände schließlich nicht gewachsen waren. Die Rache der Römer war furchtbar. Lediglich Civilis, der Bataverfürst, konnte einen verhältnismäßig günstigen Frieden schließen, weil sich die Römer diesem seetüchtigen Stamm gegenüber im Nachteil befanden. Entsetzlich dagegen war das Schicksal der Weleda. Hatte sie als Leiterin einer Abordnung in Rom noch die endgültigen Friedensverträge ausgehandelt, so befand sie sich einige Jahre später, wir wissen nicht durch welche Umstände, in der Gefangenschaft der Römer.

Im Jahr 1926 fanden Archäologen bei Ausgrabungsarbeiten in einer alten latinischen Stadt südlich von Rom ein tafelartiges Marmorbruchstück. Zwanzig Jahre lang schenkte man ihm keine besondere Beachtung, dann aber gab es eine wissenschaftliche Sensation: Die Inschrift auf dem Marmor berichtet von einer »hochgewachsenen Jungfrau namens Veleda, die verehrt wird bei den Rheinwasser-Trinkern«. Damit kann niemand anders gemeint sein als die einst so gefeierte Brukterin, denn als »hochgewachsene Jungfrau« wurde sie überall geschildert und »Rheinwasser-Trinker« war auch eine gängige Umschreibung für die Germanen. Die weitere Übersetzung machte Schwierigkeiten, weil einige Wörter verstümmelt waren und die fehlenden Buchstaben ergänzt werden mußten. Das führte zu den verschiedensten Rekonstruktionen und Deutungen.

 wikipedia   Arminius    17 v. - 21 n.Chr.

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Zwei der wahrscheinlichsten haben eines gemeinsam: den gesellschaftlichen Abstieg der großen Zauberin. »... damit Du [gemeint ist Kaiser Vespasian] sie nicht beschäftigungslos fütterst, soll sie fegen und die Bronzelampe des Tempels schneuzen«, heißt es in der einen Version; in der anderen wird darauf hingewiesen, daß ihre Weissagekunst nur wirken könne, »wenn das Geld im Kasten klingt«.135

Seherinnen waren in der Frühzeit Jungfrauen, und was mit ihnen geschah, wenn sie in römische Gefangenschaft gerieten, ist nicht schwer zu erraten. Aus fast allen Berichten über frühe germanische Seherinnen geht hervor, daß ihre Seherkraft eng mit der Jungfräulichkeit verknüpft war. Viele Namen solcher Seherinnen sind uns überliefert, und stets geht aus der Überlieferung hervor, daß sie bedeutende Stellungen innehatten. Dies trifft z.B. für die Semnonin Ganna zu, die im Jahr 91 n.Chr. den Fürsten Masios auf dessen Reise zu Verhandlungen nach Rom begleitete. Eine ähnlich hohe Stellung hatte eine Seherin Valuburg im 2. Jahrhundert n.Chr. inne, die als Stabkundige bekannt war. Auch ihr Schicksal war schrecklich, denn sie wurde von Germanien nach Ägypten verschleppt, wo sie als Dienstmagd des römischen Statthalters in Elefantine bei Assuan erwähnt wird und dort einen fürchterlichen Tod gefunden haben soll.

Daß die Stellung der Frau bei den Germanen ganz allgemein eine sehr hohe war, geht aus den Berichten des Tacitus hervor. Nach ihm haben sie so manches schon wankende Heer zum Stehen gebracht und das Glück der Schlacht gewendet. Aufgrund der Sehergabe der Frauen richteten sich die Germanen nach ihren Ratschlägen und Weissagungen. Unter anderem erwähnt Tacitus auch die Weleda und eine Aurinia, die als Seherin lange vor Weleda gelebt haben muß.136

Für das Kriegswesen der Germanen und ihre Vorstellungen vom Krieg sind drei Götter besonders wichtig: Ziu, Donar und Wotan. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß diese Götter geistige Wesenheiten waren, die in atlantischer Zeit ihre Missionen bei den Menschen erfüllten. In diesem Zusammenhang gibt es eine interessante Hypothese, die chronologisch in etwa diese Feststellung bestätigt. So soll der Kult des Tyr-Ziu, der mit dem alten indogermanischen Himmelsgott gleichzusetzen ist, in der Zeit von 12.000 bis 8000 v. Chr., also noch während der letzten Eiszeit und vor dem Untergang der letzten Reste der Atlantis, vorgeherrscht haben, der Thor-Donar-Kult von 8000 bis 4000 v. Chr., während der Wotan-Kult erst kurz vor der Zeitenwende durch die Nordgermanen von den Südgermanen übernommen worden sein soll. Sie nannten ihn den Saxa Got.137

Alle drei Götter sind eng mit der germanischen Kriegsführung verbunden. Ziu wurde geradezu zum Kriegsgott. Donar führte als nordischer Thor mit seinem alles zerschmetternden Steinhammer den Kampf gegen die Riesen und wurde besonders von den Wikingern verehrt, obwohl er ursprünglich wohl ein bäuerlicher Gott war.

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Wotan dagegen, der vor allem von den Südgermanen verehrt wurde, ist der große Schlachtenlenker, der seinem Volk die Kriegskunst lehrt, die Walküren anweist, welche Krieger sie ihm von der Walstatt zu bringen haben, damit sie ihm bei der Götterdämmerung mit ihrer Tapferkeit zur Seite stehen. Unzählige Male griff Odin-Wotan in die Schlacht ein. So z.B. unter dem Namen Bruno als Wagenlenker des Dänenkönigs Harald zu dessen Verderben in der Bravalla-Schlacht.138 In der Schlacht von Brävik mischte sich Wotan unter die Streiter, und zwar wiederum als Wagenführer Bruni.139 Im »Grimnismal« schützte Odin den Geirrödr im Kampf, und in der Wölsungen-Saga gibt er an, wie die Söhne Ionakrs zu töten seien. Weitere Beispiele ähnlicher Art könnten beliebig angeführt werden.

Wie sehr das Kriegsgeschehen in religiösen Vorstellungen verwurzelt war, zeigt das öfter belegte Weihen des Schlachtfeldes und sein Abstecken durch geheiligte Haselruten. Nur wenn die Vorzeichen günstig waren, durfte die Schlacht angenommen werden. Zum Erkunden der Vorzeichen gehörten das Loswerfen, der Brauch, Ruf und Flug der Vögel zu beobachten, aus dem Wiehern und Schnauben der Rosse im heiligen Hain den Willen der Götter zu erkennen, und die Austragung eines Vorkampfes zwischen einem Gefangenen und einem eigenen Krieger.

Ein solcher Zweikampf ist auf der Goldscheibe abgebildet, die in Phezhausen, südlich von Esslingen, gefunden wurde. Sie stellt einen Reiterzweikampf dar. Der Sieger reitet mit erhobenem Speer über den Besiegten hinweg, der zwischen den Vorderhufen des Pferdes am Boden liegt. Doch er kann noch mit der Hand in die Zügel des Pferdes greifen und ihm das Langschwert in den Hals bohren. Hinter dem Reiter ist eine kleine schwebende Gestalt sichtbar, die wohl dessen Fylgja, den germanischen Schutzgeist, darstellt. Ein anderes Beispiel bietet die bereits erwähnte Schlacht im Oberelsaß, wo Ariovist zögerte, den Kampf einzuleiten, weil die heiligen Familienmütter davor gewarnt hatten, die Schlacht vor Neumond zu beginnen. Der Glaube an die Wirkung des Mondes auf das irdische Geschehen ist uralt. Inzwischen ist historisch-statistisch erwiesen, daß der letzte Vollmondtag fast stets auf einen Dienstag fällt. Der Dienstag aber ist dem Kriegsgott Ziu geweiht.140 Aus einem ähnlichen Grund wurden die Ritterschlachten nahezu ausnahmslos bei Vollmond geschlagen, nämlich am Dienstag.141)

Feldzeichen waren den Germanen bekannt. Sie trugen aber nicht wie bei den römischen Manipeln den Charakter von Befehlszeichen, nach deren Stellung im Gefecht bestimmte Bewegungen ausgeführt wurden, sondern glichen den frühen Palladien, die als heilige Zeichen mit in die Schlacht geführt wurden. Das konnten etwa Wotans Schlange und Wolf sein oder Donars Bär und Bock oder Zius Widder.

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Daneben gab es ebenso heilige Wahrzeichen, wie den Speer für Wotan, den Hammer für Donar und das Schwert für Ziu. Diese Symbole wurden in den heiligen Hainen aufbewahrt und unter feierlichen Riten bei Ausbruch eines Krieges hervorgeholt. In der Schlacht feuerten sie die Männer zu höchster Tapferkeit an. Eroberte feindliche Feldzeichen wurden, wie manchmal die Gefangenen, den Göttern geweiht.

Zum Gefecht gliederten sich die germanischen Heere im allgemeinen so, daß das Fußvolk in Keilen geordnet in der Mitte stand und die Reiterei auf den Flügeln. Nur bei römisch geschulten Heerführern finden wir eine Aufstellung nach römischem Muster, was von den Chronisten dann ausdrücklich betont wird. Ein Beispiel dafür ist die Schlacht zwischen Arminius und Marbod im Jahr 17 n.Chr., bei der beide Heere treffenweise aufgestellt wurden. Leider ist über sie zu wenig bekannt, als daß man in Einzelheiten gehen könnte.

In der Schlacht bildete jeder Stamm aus seinen Sippen einen Keil. Diese Schlachtordnung war den Germanen von Wotan selbst gelehrt worden. An der Spitze dieses Keils marschierten die Führer mit ihren Gefolgschaften, die aus besonders tapferen und ausgewählten Kriegern bestanden. Für sie war es eine Schande, ohne ihren Führer aus der Schlacht heimzukehren, lieber wählten sie den Tod. Die Sippen, die dann im Keil folgten, waren in etwa Hundertschaften, wobei das Wort »hundert« nicht allzu genau genommen werden darf. Führer dieser Hundertschaften war der Hunno, eine Art Sippenältester und Dorfbürgermeister. Blutsverwandtschaft hielt diese Sippen ebenso zusammen wie das Bewußtsein, eine gemeinsame Sippenseele zu besitzen, für die der Begriff hugr aus dem Altnordischen überliefert ist. Wie das Wort hamingja die Lebenskraft und das Heil des Einzelnen bezeichnet, so bezeichnet hugr die Lebenskraft und das Heil der Sippe.142

Der so gebildete Keil war ein gewaltiger Gevierthaufen von etwa gleicher Tiefe und Breite, in dem die einzelnen Hundertschaften mit ihrem Hunno an der Spitze rottenweise nebeneinander standen. Der Eindruck, daß diese germanischen Keile oder »Schweinsköpfe« vorne weniger breit gewesen wären als hinten, ergab sich wohl daraus, daß — ähnlich wie bei der griechischen Phalanx, aber in anderer Richtung — die in den vorderen Gliedern stehenden tapfersten Krieger und Führer beim Angriff, der nach den Quellen mit großem Ungestüm vorgetragen wurde, und im Bestreben, an den Feind zu kommen, unbeabsichtigt eine stumpfe Spitze bildeten. Nahmen mehrere Stämme an einer Schlacht teil, so bildete jeder Stamm für sich einen Keil. Zwischen den Keilen der Stämme bestanden Zwischenräume, manchmal vielleicht auch Abstände, wenn das Gelände es erforderte. Die Stärke des Keils lag im ersten gewaltigen Ansturm, mit dem der Durchbruch gelingen mußte.

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War das nicht der Fall und gelang nur ein Einbruch, so löste sich, wie in sehr vielen Schlachten, der Keil in Einzelkämpfer auf, die dann gegen die römischen Kohorten keine Chance mehr hatten. Auf diese Weise ist wohl Tacitus zu dem Urteil gekommen, daß die Germanen eine gewaltige Angriffskraft, aber keine Ausdauer im Kampf besäßen. Einzelkämpfer und einzeln kämpfende Gruppen mußten den geschlossen angreifenden und immer zusammenhaltenden Kohorten unterlegen sein. Rissen dagegen auch die Kohorten auseinander, so wurden sie im zerstreuten Gefecht eine Beute der germanischen Einzelkämpfer, wie das vor allem in der Schlacht im Teutoburger Wald geschehen ist.

Tacitus erwähnt in seiner »Germania« ausdrücklich, daß sich bei einer rangierten Schlacht die Frauen und Kinder hinter den Schlachtreihen aufhielten und mit ihrem Geschrei die Männer zur Tapferkeit anfeuerten. Sie versorgten auch die Verwundeten und brachten ihren Männern Speise und Trank. Bei den wandernden Stämmen hielten sie die Wagenburg besetzt und leisteten von dort aus, selbst wenn die Männer schon geschlagen waren, energischen Widerstand.143

Über die religiösen Bräuche und das Eingreifen der Götter in die Schlacht geben ein paar Beispiele Auskunft. So verabredeten die Chatten und Hermunduren in der Gegend von Neustadt a.d. Saale, vielleicht aber auch bei Soden-Salmünster, im Jahr 65 n.Chr. einen Entscheidungskampf um den Besitz der dortigen Salzquellen. Das Schlachtfeld wurde mit Haselruten abgesteckt und die Feinde Wotan geweiht. Der Kampf endete mit einem Sieg der Hermunduren. Daß diese Salzquellen als heiliger Boden angesehen wurden, braucht wohl nicht betont zu werden.

In der Stammsage der Langobarden, die uns Paulus Diakonus überlieferte, heißt es, die Winniler seien aus ihrer Urheimat gezogen und wären in ihren neuen Sitzen von den Vandalen aufgefordert worden, entweder Zins zu zahlen oder sich zum Waffengang zu bereiten. Die Winniler beschlossen letzteres, obwohl sie an Zahl den Vandalen unterlegen waren. Die Vandalen gingen nun zu Wotan und verlangten von ihm den Sieg über die Winniler. Dieser aber antwortete ihnen, er werde denen den Sieg geben, die er zuerst bei Sonnenaufgang erblicke. 

Da ging die Mutter der beiden Herzöge der Winniler, Gambara, zu Freya, der Gattin Wotans, und verlangte für die Winniler den Sieg. Freya gab ihr daraufhin den Rat, die Weiber der Winniler sollten ihre Haare auflösen, sie wie Barte um das Gesicht hängen und frühmorgens zusammen mit den Männern erscheinen, und zwar dort, wo Wotan hinblickt, wenn er wie üblich morgens aus dem Fenster von Walhall schaut. Als Wotan sie bei Sonnenaufgang erblickte, rief er aus: »Was sind das für Langbärte?« Freya antwortete, er solle denen, welchen er den Namen gegeben, auch den Sieg schenken. So habe Wotan den Winnilern den Sieg erlaubt, die von da an Langobarden hießen.

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Hinter dieser Sage steht die Vorstellung, daß derjenige, der den Namen erteilt, auch Gaben verteilen muß. Im übrigen ist diese Etymologie natürlich falsch. Die Langobarden nannten sich nach ihrer Nationalwaffe, der langen Barte oder langen Axt.

Von den Vandalen, den Feinden der damaligen Langobarden, die vordem Winniler hießen, haben wir schon zweimal gehört. Ganz zu Unrecht ist ihr Name durch den Begriff »Vandalismus« im Sinn von sinnloser Zerstörungssucht befleckt. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um ein von Bischof H. Gregoire (1750-1831) geprägtes und im Nationalkonvent von 1794 auf die französischen Jakobiner angewandtes Scheltwort. Hinter ihm verbirgt sich eine seit der Renaissance mit ihrer Römerbegeisterung gängige Vorstellung von den Vorgängen bei der Plünderung Roms durch die Vandalen im Jahr 455 n.Chr. Wir wissen aber, daß die Vandalen während der 14 Tage in Rom nicht mehr geplündert haben als andere Stämme und Völker zu jener Zeit auch.

Zumindest Teile des ostgermanischen Stammes der Vandalen müssen sich auf ihrem Zug über die Ostsee hinweg nach Süden und zunächst nach Südwesten gewandt haben, da sie sonst um die Zeit von Christi Geburt nicht auf die an der Elbe, im Bardengau sitzenden Langobarden hätten stoßen können.

Noch wichtiger in unserem Zusammenhang ist jedoch die Tatsache, daß sich im Heer des bereits erwähnten suebischen Heerkönigs Ariovist auch Vandalen befanden. Bevor dieser im Jahr 58 V. Chr. von Cäsar in der oberel-sässischen Ebene besiegt wurde, hatte er sich im Jahr 61 v. Chr. bei Mageto-briga das mächtige gallische Volk der Häduer unterworfen. Dieses Mageto-briga ist das heute so verschlafene Dörfchen Moigte-de-Broie an der Saone, unweit von Pontarlier. Dort aber, ganz in der Nähe, liegt in der Mitte eines großen, den Kelten heiligen Raumes Alaise-Alesia. 

Wie erwähnt, hatten sich nach unserer Auffassung die keltischen Druiden nach der endgültigen Niederlage durch Cäsar dorthin zurückgezogen, um ihr esoterisches Wissen um den Heiligen Gral weiter zu pflegen. Auch hier liegt die Vermutung sehr nahe, daß der Zug des Ariovist nicht nur reiner Eroberungssucht und dem Wunsch, über Gallien zu herrschen, wie Cäsar das behauptet, entsprungen war. Wie schon gezeigt, galten ja viele Feldzüge in der Antike gerade der Aufnahme von Verbindungen mit hohen Kultstätten und der Absicht, deren Wissen aufzunehmen.

Beim Lesen historischer Studien über die Wanderzüge der Germanen hat man sehr oft den Eindruck, daß die Historiker auf Klimaveränderungen als Ursache dieser Züge dann zurückgreifen, wenn ihnen nichts besseres einfällt. Sieht man sich aber auf der Karte die Wanderzüge an, so stellt man fest, daß die wandernden Völker, auch die Vandalen, auf ihren Zügen keineswegs dort längere Rast eingelegt haben, wo die wirtschaftlichen Verhältnisse, d.h. also die Möglichkeiten der Bodenbebauung, besonders günstig erschienen.

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»Schon der Mensch jener rauhen Zeit lebte nicht vom Brot allein, sondern brauchte noch andere Bindungen an die Länder, in denen er zu bleiben gedachte, und sei es auch nur für die Dauer eines Menschenlebens. Und so war es oft ein Heiligtum, das die Wandernden anzog, etwa die heilige Bernstein-Insel vor der Odermündung, auf der Germanen verschiedener Küstenstämme und vielleicht sogar von den Ostsee-Inseln sich zu gemeinsamer Götterverehrung und Opferhandlungen zusammenfanden. Und ein solches Heiligtum, das die Stämme zusammenführte und am Ort hielt, war nach heutigen Erkenntnissen ganz zweifellos auch der Zobten, der charakteristische, mit seinen 718 m hoch aus der Ebene ragende Bergkegel.«144

Der Name dieses Berges geht auf das slawische göra sobotka zurück, das «heiliger Berg« bedeutet. Den slawischen Namen erhielt der Berg aber erst im Lauf des 5. und 6. nachchristlichen Jahrhunderts, während des großen Slaweneinbruchs. Diese Slawen fanden einen heiligen Berg vor und gaben ihm den Namen in ihrer Sprache, denn was heilig ist, bleibt heilig. Die Sagen, die sich um diesen Berg ranken, ähneln denjenigen, die mit dem Brocken, dem Kyffhäuser und dem Untersberg im Berchtesgadener Land verbunden sind. In ihnen wohnt ein Kaiser, entweder Karl der Grosse oder Friedrich Barbarossa, der dort seinen Schlaf hält und erst aufwacht, wenn die um den Berg fliegenden Raben ihm von der Not des Reiches künden. Dann zieht er mit seinem starken Heer aus dem Berg, um die Feinde seines Volkes zu besiegen. Ganz offensichtlich handelt es sich um alte Wotansberge, wobei die Kaiser die Stelle des alten Gottes eingenommen haben. Der Berg mit seinem Gott ist Ausgangspunkt für den siegreichen Zug des Volkes.

Diese wenigen Beispiele mögen vorerst genügen. Im nächsten Kapitel muß im Hinblick auf die Völker­wanderung noch einmal auf die germanischen Stämme eingegangen werden.

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Während des Altertums und der gesamten Frühzeit, gleich ob es sich dabei um den Vorderen Orient oder um Europa handelt, konnten wir beobachten, daß die Götter unmittelbar in das Kriegsgeschehen eingriffen und den Sieg nach ihrem Willen verliehen. Daher wurde der Ausgang eines Krieges oder Einzelkampfes auch als Gottesurteil hingenommen, dem sich der Mensch zu beugen hatte. Es kann daher geradezu von einer Heiligkeit des Kriegsgeschehens gesprochen werden. Diese Heiligkeit wird durch die Tatsache unterstützt, daß unzählige Schlachten an heiligen Orten stattfanden. Ganze Feldzüge dienten dazu, das esoterische Wissen der bekriegten Völker zu gewinnen. Nur die Römer machten hiervon in gewisser Beziehung eine Ausnahme, indem es ihnen schon ganz im modernen Sinn um Machtgewinn ging.

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Die drei wichtigsten Entscheidungen, die im Altertum durch Kriege gefallen sind, sollen noch einmal herausgestellt werden. 

Die Alexanderzüge führten dazu, daß der Vordere Orient hellenistisch wurde und die Evangelien in der dafür am besten geeigneten Sprache, dem Griechischen, niedergeschrieben werden konnten. Das römische Weltreich mit seinen Straßenverbindungen, Truppenverschiebungen und Völkerverpflanzungen durch die Erbeutung von Sklaven oder die Vertreibung einzelner Völker aus ihrem Ursprungsland, besonders der Juden, lieferte eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, daß sich das Christentum mit ungeahnter Schnelligkeit in dem damals wichtigsten Teil der Erde verbreiten konnte.

Das Ausweichen des esoterischen Druidentums nach der Eroberung des keltischen Gallien durch Cäsar in die unwirtliche Gegend an der heutigen französisch-schweizerischen Grenze sicherte die Bewahrung des keltischen Wissens um den Heiligen Gral bis zu seiner Verkündung im Hochmittelalter. 

Die Abwehr der römischen Eroberungsversuche durch den Cherusker Arminius gewährleistete das Weiterbestehen der germanischen Völker in ihrer besonderen Eigenart und mit ihren Missionen. Sie sollten die führenden Völker in der fünften nachatlantischen Epoche werden. Daher ist die Schlacht im Teutoburger Wald  9 n.Chr. eine der ganz großen Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte. 

Das Kriegswesen entwickelt sich deutlich parallel mit dem allgemeinen Bewußtsein der Menschheit. In der ganz frühen Zeit sind es nur die Heerführer und Fürsten, die großen Heroen und Helden, die als Personen hervortreten und Kämpfe und Schlachten entscheiden, während die Masse der Krieger im Hintergrund bleibt und nur Teil der großen Gruppenseele ihres Stammes oder Volkes ist. Noch bei den Griechen der klassischen Zeit ist der Kämpfer nicht Einzelpersönlichkeit, sondern Teil der Polis, ohne die er kaum Kampfwert besitzt. Die Phalanx ist der deutlichste Ausdruck für diesen Bewußtseinszustand. In der römischen Zeit findet das Bewußtsein der Einzelpersönlichkeit schon Ausdruck als Glied der Familie, die das Vorbild für die römische Zenturie abgibt. Obwohl in der frühen Zeit sich die Germanen noch in ihrem Kindheitszustand befinden und sich selbst als Teil des hugr, der Sippenseele, empfinden, ist das Ich-Bewußtsein, das sie dann ausbilden sollten, im ersten Ansatz bereits vorhanden. Die durch die Blutsbande bestimmte Keilformation der germanischen Stämme löst sich dementsprechend in der Schlacht immer wieder auf, weil der germanische Krieger den Kampf als Einzelpersönlichkeit sucht.

 

Schon die graueste Frühzeit ließ erkennen, daß vom Eroberungswillen getragene Völker vor allem dann angriffen, wenn sie wußten, daß der Feind nicht kampfbereit ist. Freiwillige oder erzwungene Abrüstung, wie bei Phokern und Karthagern, führten zu Elend, Versklavung und Verlust der Freiheit.

Der Versuch, zwischen zwei aggressiven Mächten die Neutralität zu bewahren, wie das bei den etruskischen Städten während des Machtkampfes zwischen den oberitalischen Galliern und Rom der Fall war, führte um so sicherer zum Untergang.

Die Kriege wurden in dieser frühen Zeit als notwendig erachtet, so notwendig wie etwa der Verrat des Judas an Christus. Wie bei allen Äußerungen des menschlichen Lebens konnte daraus Gutes oder Schlechtes entstehen, Gutes, wenn auch unter Blut und Tränen, wie etwa durch die Schlacht im Teutoburger Wald, Schlechtes, wie etwa bei der Vernichtung der keltischen Hochkultur durch die Römer.

Dauerhaftes und für die Zukunft Gültiges wurde aber selbst durch die Römer geschaffen. Wohl bereiteten die jungen Völker aus dem Norden, die Germanen, dem Römischen Reich das Ende. Doch wie Napoleon aus Achtung vor dem deutschen Kaisertitel es nur wagte, sich Kaiser der Franzosen, nicht aber Kaiser von Frankreich zu nennen, so blieb auch den Germanen die Achtung vor der Größe der Idee des Imperium Romanum erhalten. Theoderich der Grosse, der erste Germanenkönig, der Italien beherrschte, wollte das Römische Reich nicht zerstören, sondern erfüllen. Ähnliche Gedanken müssen Karl den Grossen bewegt haben, als er die römische Kaiserkrone annahm. Und das erste deutsche Reich nannte sich, ganz aus dem Bewußtsein seiner Sendung, Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation.

Erst als Kaiser Franz II. am 6. August 1806 die alte Reichskrone niederlegte, fand der Gedanke der römischen Universalmonarchie auch in der Praxis sein Ende.

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