Anmerkungen    Teil 4        Start    Weiter  

    Frankenreich  

 

 

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Etwa zu der Zeit, in der die Westgoten die entscheidenden Schritte zum Entstehen der spanischen Nation taten und die Angelsachsen im südlichen Teil der Britischen Insel die Macht eroberten, vollzog sich im Westen und in der Mitte Kontinental­europas, im späteren Frankreich und Deutschland, ein das ganze Mittelalter beherrschender Wandel mit entscheidenden Auswirkungen bis in unsere Zeit. Wiederum brach er sich unter endlosen Kämpfen, unter Blut und Tränen Bahn.

Aus vielen germanischen Einzelstämmen, deren bedeutendste und bekannteste wohl die Sugambrer und Brukterer waren, die zwischen der Nordsee und dem deutschen Mittelgebirge in beträchtlicher Tiefe saßen, ging ein politisch-kriegerischer Stammes­verband hervor, der sich Franken nannte.  

Am Ende des 5. Jahr­hunderts noch aus drei Königreichen bestehend, waren sie etwa einhundert Jahre später zu einem einzigen Königtum verschmolzen. Als erster Verband dieses Großstammes setzten sich die Salfranken (Sal — Salzwasser) von der Nordseeküste aus in Bewegung und rückten unaufhaltsam die Scheide aufwärts durch das heutige Belgien vor.

Nach dem Tod des Aetius, des Siegers über Attila, saßen sie bereits an der Somme. Etwa zur gleichen Zeit erreichten die Ripuarier (Ufer- oder Rheinfranken) den Rheingau und Mainz. Kurze Zeit später fielen Köln, Trier, Metz und Toul in ihre Hand. Nicht lange konnte es mehr dauern, bis sie ganz Gallien erobert hatten. 

Obwohl dieses Kriegervolk als besonders hart und grausam bekannt war — doch standen ihnen weder die erobernden Sachsen noch Alemannen nach —, waren sie doch klug genug, nicht alles auf ihrem Weg zu zerstören, ja sie erwiesen sich sogar als von der römischen Kultur und Zivilisation in diesem blühendsten Teil des ehemals weströmischen Reiches so fasziniert, daß die römische Tradition in Politik, Verwaltung und Heerwesen fast reibungslos in die fränkische Herrschaft hinüberglitt. 

 

Viel trug zu diesem glatten Übergang bei, daß schon vor der Eroberung fränkische Krieger zur Reichs­verteidig­ung innerhalb Galliens auf dem flachen Land saßen. Von den Städten hatte man sie ferngehalten, damit dort das Proletariat nicht vergrößert würde. Außerdem hatte man ihnen nur erlaubt, unter sich zu heiraten, so daß ihr germanischer Charakter bewahrt blieb. Auch fiel es den Gallo-Römern in Gallien nicht allzu schwer, die fränkische Herrschaft anzuerkennen, da sie sich nicht mehr an den Kaiser in Ostrom gebunden fühlten. Die kluge Weise, auf die die fränkischen Heerkönige besonders den gallo-römischen Adel und die römische Beamtenschaft an sich heranzogen und damit für sich gewannen, ließ den Übergang von dieser Seite aus leicht erscheinen. 

Dennoch hatten die Einfälle der Franken, Alemannen, Westgoten und vor allem Hunnen während des 5. Jahr­hunderts dem Land furchtbare Wunden geschlagen. Allerdings darf man sich das nicht so vorstellen, als wäre das Land in seiner ganzen Breite und Tiefe in Flammen und Rauch aufgegangen. Die Verwüstungen und Zerstörungen hatten sich auf die Gebiete entlang der Heerstraßen und Stoßrichtungen der einfallenden Heere beschränkt, während die weitere Umgebung davon unberührt geblieben war. Zudem hielten sich diese Verwüstungen und Zerstörungen innerhalb jener Grenzen, die zur damaligen Zeit die technischen und waffentechnischen Möglichkeiten setzten. 

Mit den Städten in Gallien verhielt es sich dagegen anders. 

Schon im Verlauf des 4. Jahrhunderts waren sie Opfer der im römischen Reich herrschenden Wirtschaftskrise geworden, die, zudem durch Pest und andere Epidemien verstärkt, zur raschen Entvölkerung geführt hatte. Sie bestanden nach Karl Bosl schließlich nur noch als verhältnismäßig enge Festungen mit dicken Mauern und niederen Tortürmen. So war ein gewisser Bruch zwischen Stadt und Land schon zu römischer Zeit entstanden, der die ursprüngliche wirtschaftliche, gesellschaftliche und verwaltungstechnische Einheit verfallen ließ.

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Selbst die Kirche, die sich vornehmlich auf die Städte stützte und in den größeren von ihnen ihre Bischofssitze hatte, litt bis zu einem gewissen Grad unter diesem Zerfall der Einheit. Dennoch war es gerade die Kirche, die nach der Eroberung durch die Franken zwischen der alteingesessenen gallo-römischen Bevölkerung und den neuen Herren vermittelte. Dies war ihr um so leichter möglich, als sich die Franken trotz ihrer Wildheit und Grausamkeit dem Katholizismus gegenüber aufgeschlossen erwiesen. Ganz anders als z.B. in den Gotenreichen kam es daher zu keiner durch den Glauben verursachten Trennung zwischen den Eroberern und den Alteingesessenen. Auch solange die Eroberer noch ihrem alten heidnischen Glauben anhingen, standen sie dem neuen christlichen Glauben nicht feindlich entgegen. 

Beim Zerfall der römischen Reichsverwaltung ging so auch die politische Macht an die Kirche über, die durch ihre Organisation allein imstande war, innerhalb ihrer begrenzten Sprengel für Ernährung, Verteidigung, Verwaltung und polizeiliche Ordnung zu sorgen. Sie wurde so zu einer Art Reichsersatz. Nach dem Übertritt zum Christentum konnten sich die fränkischen Könige ihrer ohne Schwierigkeiten bedienen. Auf diese Weise wurden die neue Gesellschaft und die neue Kultur wesentlich christlich. Die geschichtliche Kontinuität war damit gewahrt, und ein Fall in den Abgrund des »dunklen« Mittelalters, wie man das früher annahm, trat keineswegs ein.

Es ist daher auch kein Wunder, daß es dem Merowinger Chlodwig 486 gelang, mit Hilfe der Kirche eine neue politische Ordnung zu schaffen. Als er sich am Ende des 5. Jahrhunderts für die Religion Roms entschied, fielen auch die glaubensmäßigen Schranken zwischen seinen römischen und germanischen Untertanen. Die beiden Kulturen verschmolzen miteinander, zumal auch die Franken darauf achteten, daß die Gallo-Römer ihren Grundbesitz und ihre eigenen Milizen behielten. »Es hat den Anschein, daß in Gallien zwei Völker ohne Unterwerfung nebeneinander lebten, gehorsam dem König, aber nicht den Germanen. Gallo-Römer und Germanen bewahrten ihre eigene Sprache, ihre Gewohnheiten, ihre Gesetze; im Alltag standen beide auf gleicher Stufe... es entstand eine eigenartige Volks- und Herrschaftsstruktur, die organisch wuchs und Nährboden einer neuen Gesellschaft und Kultur wurde. «171

Von Geburt war Chlodwig, der vielleicht im Jahr 466 in Tournay als legitimer Nachfolger seines Vaters geboren wurde, nach Abstammung, Sprache, Sitte und Temperament ganz Germane und ganz Heide. Dennoch übte seine burgundische Frau, eine katholische Christin aus burgundischem Königsgeschlecht, beträchtlichen Einfluß auf ihn aus und versuchte, ihn zum Christentum zu bekehren. Der Sage nach versprach Chlodwig in der Alemannenschlacht bei Zülpich im Jahr 496, in der ihm in höchster Not in einer Vision Christus erschien, den Übertritt zum römischen Katholizismus, wenn er ihm den Sieg verliehe.

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 So wenigstens berichtet es Gregor von Tours. Wahrscheinlicher aber ist, daß Chlodwig an dieser Schlacht gar nicht teilgenommen hat, sondern als König der Rheinfranken Sigibert, der dabei schwer verwundet wurde. Die eigentliche Unterwerfung der Alemannen geschah wohl an einem unbekannten Schlachtort, an dem Chlodwig die vereinigten Sal- und Rheinfranken zum Sieg führte. Der Alemannenkönig fiel in diesem Kampf, der wohl in den Jahren 496/497 stattfand. Dennoch hat diese Sage vieles für sich, weil sie uns einen Eindruck von der geistigen Haltung vermittelt, in der Schlachten damals ausgefochten wurden. Chlodwig sieht nach alter Weise die Schlacht als Gottesurteil an. Zum ersten Mal in der Geschichte erschien einem Heerkönig dabei Christus als Vision. 

Dieses intuitive Erfassen des rechten Glaubensweges durch einen Heiden, dessen Merowingergeschlecht seine Abstammung auf den Meergott zurückführte und daher in dessen Mysterien eingeweiht war, wird von da ab in ähnlichen Lagen von den Geschichtsschreibern immer wieder berichtet und stellt wohl ein echtes übersinnliches Erlebnis dar. Zwei Jahre später etwa ließ sich Chlodwig von Bischof Remigius in Reims taufen, wobei nach der »Historia Fran-corum« des Gregor von Tours der Heilige Geist gesprochen haben soll: Mitis depone colla, Sigamber; adora quod incendisti, incende quod adorasti — »Beuge milde deinen Hals, Sigamber; bete an, was du bisher angezündet, verbrenne, was du bislang angebetet hast«. Nach dem germanischen Geschlechterrecht und dem Gebot der Gefolgschaftstreue zog diese Taufe des Königs die Taufe von 3000 edlen Franken nach sich.

Der Übertritt des Frankenkönigs zum römisch-katholischen Glauben bildete die Legitimation für den Glaubenskrieg der Franken gegen die arianischen Germanen in Gallien, der die volle Unterstützung der gallo-römischen Bevölkerung fand. Er war erfolgreich. »Wunder und Erfolg waren für die Menschen des 5. und 6. Jahrhunderts Beweis und Erfüllung ihres Glaubens. Das Heilszeichen des Sieges führte dem Eroberer die Menschen Mittel- und Südgalliens zu. In diesem Sinne war diese Bekehrung mit europäischen Folgen nicht nur politisches Kalkül, sondern Folge eines inneren Ringens, beides war eine psychologische Einheit, politische Religiosität, die die archaische Epoche beherrschte.«173

Wie wir gehört haben, hatten sich auf der Britischen Insel und auf der Iberischen Halbinsel zwei neue Nationen gebildet, deren weltgeschichtliche Stunde allerdings erst etwa tausend Jahre später schlagen sollte. Vorläufig bestimmten für die nächsten Jahrhunderte die Franken vor allem mit ihren im Osten sitzenden Volksgruppen sowie die benachbarten germanischen Stämme, aus denen die Deutschen hervorgehen sollten, die Geschicke des Abendlandes.

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Weit im Osten dagegen, im Vorderen Orient, entstand eine Lage, die machtpolitisch in gewisser Weise wie das Gegenteil dessen erschien, was sich in Europa abspielte. Dort bestanden zwei alte Großmächte, Ostrom mit Konstantinopel und das Perserreich unter den Sassaniden, die seit Jahrhunderten bemüht waren, eine Entscheidung um die Vormachtstellung herbeizuführen. Doch keinem dieser beiden Staaten gelang es, sich endgültig gegenüber dem anderen durchzusetzen. Das glückte innerhalb einer Generation erst einer dritten Macht, den Arabern.

In dieser Zeit eroberten sie das gesamte Reich der Sassaniden und alle asiatischen und afrikanischen Besitzungen der Oströmer. Noch um 600 n. Chr. war die arabische Halbinsel fast ausschließlich von Nomaden bewohnt; einige feste Handelsplätze gab es nur an der Grenze zu Ostrom. Ein staatliches Leben, das diesen Namen zu Recht verdient, gab es nur in Südarabien, wo eine eigenständige Kultur mit ein paar wenigen Siedlungen an den Karawanenstraßen nahe den Städten Mekka und Medina sowie zum Yemen hin entstanden war. Von dort aus trieben die Araber lebhaften Handel mit den zunächst noch römischen Provinzen Ägypten, Syrien und Palästina, wohin sie wilde Tiere, Pferde, Sklaven und Söldner lieferten.

Dieser noch recht primitiven Gesellschaft stiftete Mohammed um 622 in der Stadt Medina eine Religion, die einmal zu einer der großen Weltreligionen werden sollte. In der Tradition von Judentum und Christentum stehend, erkannte Mohammed Moses und Jesus als Propheten des Islam. Für ihn gab es nur einen unsichtbaren Gott. Da aber weder die Juden noch die Christen den Islam als legitime Weiterentwicklung ihres Glaubens anerkannten, predigte Mohammed gegen sie den »Heiligen Krieg«, um alle Ungläubigen, wenn nötig mit Gewalt, zu bekehren. Wer in diesem Krieg fiel, ging unmittelbar in das Paradies ein. Dieser Glaube stellte eine starke gemeinschaftsbildende Kraft dar und strahlte weit über die Grenzen Arabiens hinaus. 

Unter einer Reihe bedeutender Heerführer, die sich nicht nur auf die arabischen Wüstenkrieger, sondern bald auch auf die zum Islam bekehrten Teile der ehemals persischen und oströmischen Welt mit ihrer verfeinerten Militärmaschinerie stützen konnten, entrissen sie schon ein Jahrhundert später in der Schlacht am Talas 751 dem chinesischen Großreich die Vormacht in Westasien und zerschlugen, wie wir bereits gehört haben, im Jahr 711 auf der Iberischen Halbinsel das Reich der Westgoten. Schließlich überschritten sie sogar die Pyrenäen und setzten sich in Südfrankreich fest, wo sie Narbonne zu ihrer Hauptstadt erkoren. Nun allerdings trafen sie auf den entschiedenen Widerstand der Franken, und auch die Westgoten setzten als überzeugte Christen ihren Partisanenkrieg aus den gebirgigen Landstrichen heraus gegen sie fort.

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Wohl bestanden die arabischen Heere zu Anfang, ähnlich wie diejenigen der Hunnen, aus Reiterscharen, doch als sie im Westgotenreich vordrangen, besaßen sie längst auch ein kriegstüchtiges Fußvolk, das sich aus den Waffenarsenalen und Werkstätten Persiens und Ostroms versorgte, so daß sie ihren Gegnern in Bewaffnung und Taktik bald gleichwertig waren. Nur eines fehlte ihnen: eine schwer­gepanzerte Reiterei, die sich mit den fränkischen Truppen messen konnte.

Im Frankenreich waren nach dem Tod Pippins II. 714 die Gegensätze zwischen Austrien, dem vornehmlich germanischen Ostreich, und Neustrien erneut aufgebrochen. Doch der fränkische Hausmeier Karl Martell, der zunächst von der Erbfolge zugunsten von Pippins Enkel ausgeschlossen war, besiegte Neustrien und die mit diesem Land verbündeten Sachsen und Friesen 724 endgültig. Mit mächtiger Hand zwang er die im übrigen Zentraleuropa siedelnden Germanenstämme zur Unterwerfung unter die Franken und damit zur Eingliederung ins Reich. 

Obwohl er die christliche Mission, besonders die des Willibrord, Pirmin und Bonifatius, mit aller Kraft unterstützte, weil sie die fränkische Reichsgewalt stärkte, entzog er der Kirche umfangreichen Besitz zur Ausstattung seiner Vasallen und zur Aufstellung von Reiterheeren. Diese Maßnahme war es dann auch, die später den Bischof Eucherius von Orleans dazu veranlaßte, zu berichten, er habe in Verzückung vom Himmel aus tief unten im Höllenpfuhl Karl Martell erblickt. Bei einer gemeinsamen Untersuchung des Grabes in der Kathedrale von St. Denis soll ein Drache aus seinem Sarg entflogen sein. Im übrigen wird die gleiche Geschichte auch in bezug auf Ludwig den Deutschen berichtet.174 Es war also schon außerordentlich gefährlich, sich der Kirche entgegenzusetzen, und noch gefährlicher, ihren weltlichen Besitz anzutasten.

Diesem außerordentlich tüchtigen und energischen Hausmeier, der das Frankenreich anstelle des Schattenkönigs Childerich II. regierte, gelang es im Jahr 732 bei Cenon, hart nördlich Poitiers, mit seinen schweren Panzerreitern und seinem außerordentlich standfesten Fußvolk die Araber so zu schlagen, daß sie nie mehr versuchten, in Westeuropa einzufallen. Und auch dieser mit ungeheurer Erbitterung geführte Kampf hatte seinen tiefen geistigen Sinn. Durch ihn wurde Europa vor dem Islam gerettet und konnte seine christliche Kultur behaupten und entfalten.

Aber auch der Vorstoß der Araber ins südwestliche Europa war nötig, um unserem Kontinent den letzten Impuls zur Materialisierung des Denkens zu geben. Das Denken konnte logisch werden, es war das sogar notwendig, doch es mußte verhindert werden, daß es sich, alle anderen Geistesströmungen beherrschend, durchsetzte, weil das rein logische Denken sich nicht zum Geistigen erheben kann. Die Araber mußten abgewehrt werden, weil das Arabertum keine Wahrheiten über die Christus-Idee zu verbreiten vermochte.175

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Es wurde auch schon als Aspekt des Vorstoßes der Araber nach Europa erwähnt, daß die Lehren des Aristoteles wenigstens in einigen Grundzügen dem mittelalterlichen Europa wieder bekannt wurden. Albertus Magnus und Thomas von Aquin schöpften aus ihnen ihren christlichen Aristotelismus. Sie wandten sich entschieden gegen die Theorien des Averroes (1126-1198), der, Aristoteles mit der islamischen Theologie verbindend, die Ewigkeit auch der geschaffenen Welt als Prinzip der Individuation lehrte und die sog. Doppelte Wahrheit verkündete, die in der Möglichkeit zur Entscheidung für den Pantheismus vor allem den Gottesbegriff des Theismus gefährdete. Mit dem Monopsychismus des Averroes, der nur eine allen Menschen gemeinsame vernünftige Seele als Emanation der ewigen Gottheit anerkannte, wäre der Weg zum Ich-Bewußtsein, den die Menschen in Europa beschreiten mußten, für Jahrhunderte verschüttet worden. Die Reconquista und die schließliche Vertreibung der Araber aus diesem europäischen Land verhinderten, daß sich diese Lehre mit ihren tödlichen Folgen für das europäische Geistesleben durchsetzen konnte.

In das ehemals von germanischen Stämmen besiedelte östliche und südöstliche Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland zogen allmählich slawische Stämme ein, in denen die restliche germanische Bevölkerung aufging. Im heutigen Böhmen setzte dieser Vorgang etwa seit dem 6. Jahrhundert ein. Um die Mitte dieses Jahrhunderts hatte das Merowingerreich der Franken seine größte Ausdehnung erreicht. Zu ihm gehörten fast ganz Gallien, mit Ausnahme der Bretagne und Septimaniens, und das heutige Deutschland bis zur Elbe, Saale, zum Böhmerwald und zur Enns. Versuche, auch Oberitalien einzubeziehen, scheiterten vor allem an dem energischen Widerstand Ostroms.

In den mittleren Donaulanden jedoch entstand diesem Frankenreich ein erbitterter Gegner in dem asiatischen Reitervolk der Awaren, das von seinem Kernland Westungarn her bis nach Thüringen und an die Elbe vordrang. Die dort sitzenden slawischen Stämme wurden unterworfen, und selbst die an den Grenzen sitzenden fränkischen Großen wußten sich z.T. nur durch Tributzahlungen vor Angriffen dieses Reitervolkes zu schützen. Doch nach einer entscheidenden Niederlage im Jahr 626 vor Konstantinopel war die Macht dieses Reitervolkes gebrochen, das in seinem taktischen Verhalten in hohem Maße demjenigen der Hunnen gefolgt war.

Entscheidend zur weiteren Schwächung des Awarenreiches trugen die Taten des Franken Samo bei, der mit Sklavenhändlern zu den slawischen Wenden in Böhmen und im Gebiet zwischen oberer Elbe und Saale gekommen war. Er machte sich zum König der Wenden und der anderen slawischen Stämme und sicherte während seiner 35jährigen Herrschaft deren Unabhängigkeit zunächst in einem siegreichen Aufstand gegen die Awaren in den Jahren 623 und 624 und dann in der Schlacht von Wogastisburg 631 oder 632 gegen den fränkischen König Dagobert I. bei einem Einfall seiner Slawen in Thüringen.

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Der Sieg gelang ihm durch Verrat des austrischen Adels, der den ungeliebten König Dagobert im Stich ließ. So trennten zunächst die Awaren und später die Slawen den Osten vom Westen. Selbst deren im 9. Jahr­hundert entstehendes Großmährisches Reich konnte sich zwischen den beiden gewaltigen Militärmächten, Ostrom und dem Frankenreich, nur durch ein lockeres Abhängigkeitsverhältnis zum Ostfrankenreich halten, obwohl die mährischen Herzöge eine Herrschaft der West- und Südslawen schufen, die sich zeitweise vom Erzgebirge bis nach Galizien und von Niederösterreich bis in die Theißebene erstreckte. 

Als Gegengewicht zur fränkischen Mission, hinter der die ganze politische Macht des Frankenreiches stand, holten sie im 9. Jahrhundert die byzantinischen Slawenapostel Kyrillos und Methodius ins Land. Doch auch die geistliche Selbständigkeit der West- und Südslawen sollte nicht von langer Dauer sein; der Einfluß der römisch-katholischen Kirche war, gestützt von der fränkischen Macht, zu groß, so daß die byzantinische Kirche vor allem in Böhmen, Mähren und dann auch bei den anderen Westslawen schließlich unterlag. Ihr Missionsgebiet verlagerte sich daraufhin vor allem ins Gebiet der Ostslawen.

Noch Kaiser Karl III. hatte 884 die formale Huldigung Herzog Swatopluks entgegengenommen, doch die Ungarneinfälle zerstörten nach 900 dieses Großmährische Reich. Seit der Jahrtausendwende war Böhmen Reichslehen, und sein Herzog unterlag als Reichsfürst der Heer- und Hoffahrtspflicht. Die in Böhmen und Mähren sitzenden Slawen hatten ihre halbherzige und schwankende Haltung sowie den anfänglichen Versuch, ihre Neutralität auch gegenüber dem Heiligen Römischen Reich zu bewahren, mit dem Untergang ihrer staatlichen Selbständigkeit zu bezahlen. Die Abhängigkeit Böhmens und Mährens vom Heiligen Römischen Reich und später vom Habsburgerreich sollte bis 1918 dauern. Die den Slawen gegebene Möglichkeit, zum geistigen und politischen Ausgleich zwischen Germanen und Slawen beizutragen, wurde von ihnen nicht genutzt.

Wenden wir uns nun wieder den Franken zu. Nach der Bekehrung Chlodwigs zum Christentum war es für ihn leicht geworden, mit dem oströmischen Kaiser gute Beziehungen aufzunehmen, zumal beide bestrebt waren, eine Front gegen die Goten aufzurichten. Kaiser Anastasios verlieh dem Frankenkönig den Titel eines Konsuls. Wohl verfehlte diese Ehrung ihre Wirkung auf die Franken nicht, aber sie waren davon überzeugt, daß ihre Königsherrschaft nur von Gott und ihrem Schwert herrühre. Dennoch war der Titel eines Konsuls für den Frankenkönig der erste Schritt in Richtung auf ein neues Reich in einem neuen Europa.

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Das Königtum des Mittelalters begann nun zwei Elemente in sich zu vereinen. Zum einen war der König theokratischer Herrscher, wie er das seit dem Urbeginn des Herrschertums gewesen war, zum anderen war er oberster Lehnsherr. Gewiß hatte das Volk, und zwar seine waffenfähige Mannschaft, nach uraltem Brauch bei den germanischen Stämmen den König durch Zuruf, Waffenklirren und Schilderhebung gewählt. Aber dennoch stand dieser König aufgrund seiner sakral-mythischen Würde über dem Volk. Wer die Hand gegen ihn erhob, verging sich nicht nur an der Person des Königs, sondern an Gott, der letztlich diesen König durch seine Gnade an die Spitze des Volkes erhoben hatte.

Andererseits war der König oberster Lehnsherr. Das Lehnsverhältnis beruhte auf einer rechtlichen Bindung, dem Lehnseid, der sowohl für den Lehnsherren als auch für den Lehnsmann verpflichtend war. Diesem Verhältnis lag ein freier Entschluß zugrunde, es konnte daher niemals einseitig aufgekündigt werden. Aus dieser Doppelfunktion des Königs als Gott nahestehender theokratischer Herrscher und weltlicher Lehnsherr mit allen seinen vertraglichen Verpflichtungen ergaben sich Konflikte, die oftmals nur mit größter Mühe überwunden werden konnten.

Dem eigentlichen Lehnswesen war das germanische Gefolgschaftswesen vorausgegangen. Der Gefolgsmann bei den Germanen heißt bei Tacitus comes, eine romanisierte Wiedergabe von germanisch gasintban - »Gefährte«, »Weggenosse«, althochdeutsch gisinda, gotisch gasintha. Die Gefolgsmänner bildeten also das »Gesinde«, d.h. die Reisegefährten bei einer Kriegsfahrt des Fürsten, denn Reise bedeutete ursprünglich Kriegsfahrt. Eine andere Seite des Gefolgschaftswesens zeigt das spätlateinisch-fränkische antrustiones, ein Wort, in dem unser neuhochdeutsches Wort »Trost« mit dem ursprünglichen Sinn »Vertrauen«, »Zutrauen«, »Hilfe« steckt. Im »Heliand« werden die helmtragenden Gefolgsleute noch als helmgitrösteon angesprochen. »Solche Männerbünde hat es, wie neuere Untersuchungen ergeben haben, schon in indogermanischer Zeit gegeben. Daß man von einer religiösen Institution reden darf, geht daraus hervor, daß die Aufnahme in diesen Verband erst nach einer Initiation stattfand, die den jungen Mann auch in die kultische Gemeinschaft einführte.«176

Die für die Zukunft wichtigste Entwicklung zu einem neuen berittenen Qualitätskriegertum erleben wir bei den Franken. Die Großen des fränkischen Reichs, die Seniores, stammten z.T. von den ehemaligen königlichen Gefolgsleuten, z.T. von den durch Grunderwerb reich gewordenen Hunni und z.T. von germanisierten römischen Senatoren aus dem Westfrankenreich, dem heutigen Frankreich, ab. Auf den Pfalzen und Burgen der Könige, Grafen, Bischöfe und Äbte lebten gemeine Berufskrieger, vassi genannt. Doch hatte dieses Wort damals noch lange nicht den späteren aristokratischen Sinn von Vasall.

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Meistens konnten diese vassi (keltisch gwas - »Knecht«) keine Familien gründen, weil die Naturalien, mit denen sie entlohnt wurden, dazu nicht ausreichten. Deshalb hießen sie auch hagustalten — »Hagestolze«, was ursprünglich Hagbesitzer hieß und im Gegensatz zu Hofbesitzer gebraucht wurde. Der Hagestolz mußte aufgrund seines geringen Vermögens und Einkommens ein eheloses Leben führen. So war es wenigstens bei allen germanischen Völkern, auch bei den Angelsachsen, die dieses Wort und seinen Begriffsinhalt mit nach England nahmen. Dort hießen die Hagestolze »Hauskerle«. Die Franken fanden jedoch bald eine neue Lösung. Sie siedelten viele vassi oder hagustalti auf kleinen Gütern an, die ihnen zu Lehen gegeben wurden. Nun konnten sie auch Familien gründen, so daß sie nicht anders als die Masse der Bürger und Bauern lebten. Die Franken schufen sich damit im Gegensatz zu den anderen germanischen Stämmen, die ihren hagustalti keine Güter verliehen, einen gesunden eigenen Kriegerstand.

Wesentlich dabei war, daß das Lehen nicht erblich war und auch nicht als Eigentum angesehen werden durfte. Bei Thronfall oder Mannfall konnte das Lehen zurückgenommen werden. Nach dem Tod des Königs mußte der Erbe des Reiches die Belehnung erneuern, und das tat er nur, wenn er glaubte, der Hagestolz leiste ihm den gleichen tüchtigen Kriegsdienst wie seinem Vorgänger. Bei Mannfall blieb das Lehen nur dann bei der Familie, wenn sie für den gefallenen Verstorbenen oder kriegsuntüchtig Gewordenen einen neuen Mann stellen konnte, der fähig und willens war, Kriegsdienst und den Treueid zu leisten. Traf das nicht zu, so zog der König sein Eigentum wieder ein. Die gleichen Grundsätze galten natürlich auch bei einer Belehnung durch einen Grafen, Bischof oder Abt.

Das Lehen ist im Frankenreich ein Mittel geworden, den Vasallen auszustatten, ohne das Eigentum aus der Hand zu geben. Man hatte damit nach menschlichem Ermessen nicht nur für eine Generation, sondern für alle Zeiten einen Kriegerstand geschaffen, der durch Treueid, aber auch durch das Bewußtsein an seinen Lehnsherrn gefesselt war, daß Untreue den wirtschaftlichen Ruin seiner Familie bedeutet. Dieser Vasall war aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage dazu imstande, sich selbst für den Krieg auszurüsten, und mußte sich zwangsläufig, um leben zu können, ständig im Waffengebrauch üben. Ein Krieg, zu dem er aufgeboten wurde, konnte in jener unruhigen Epoche ja jederzeit ausbrechen.

In der Entwicklung des Kriegswesens führt die Erscheinung des Vasallen zum abendländischen Rittertum und ins Hochmittelalter, in dem die sog. Dienstmannen einen kulturellen Faktor darstellen. Denn im Vergleich zu den Verfallserscheinungen der Antike brachten diese Dienstmannen eine Kultur hervor, die in der Ausbildung der Ritterehre gipfelte.

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Dieser Ehrenkodex umfaßte die Kardinaltugenden der Tapferkeit, Gerechtigkeit, Treue und der mäze, des Maßhaltens, sowie die christlichen Tugenden der Demut, des Schutzes und der Fürsorge für die Armen und Schwachen. Das Idealbild des miles christianus, des christlichen Ritters und Streiters, wurde von da an auch für das aus dem Rittertum hervorgehende Offizierkorps der modernen europäischen Heere verbindlich, dann aber auch Leitbild eines jeden Soldaten, zumindest so lange er die Uniform trug. Lediglich jene Völker, die das europäische Mittelalter in seiner romanisch-germanischen Form nicht erlebt haben, bringen dieser Haltung kaum Verständnis entgegen. Daß dieses Ideal nicht immer erreicht oder eingehalten wurde, tut seiner Gültigkeit keinen Abbruch.

 

Doch diese Entwicklung vollendete sich erst im Verlauf der folgenden Jahrhunderte. So erhebt sich nun die Frage, ob nicht ein so mächtiger Herrscher wie etwa Karl der Grosse (742-814), der ab 768 König der Franken und ab 800 römischer Kaiser war, ein Heer nach dem Muster der römischen Legionen hätte aufstellen können. Wir gehen dabei der Zeit etwas voraus und müssen diese Frage glatt verneinen. Ein Heer solcher Art setzt einen gut funktionierenden Beamtenapparat und eine florierende Geldwirtschaft voraus. Den Beamtenapparat aber gab es nicht mehr oder nur noch in beschränktem Umfang, und die damaligen Herren im Staat waren, soweit sie nicht dem Klerus angehörten, Analphabeten, die sich schon deshalb zum Aufbau eines Verwaltungs- und Steuerapparates nicht eigneten. 

An Karls Versuch, ein Schulwesen aufzubauen, läßt sich vielleicht erkennen, daß er das ändern wollte, aber es ist ihm nicht gelungen. Aufgrund der herrschenden Naturalwirtschaft konnte niemals ein diszipliniertes Heer ähnlich dem römischen entstehen. Das hätte Geldwirtschaft und Besoldung vorausgesetzt. Die fränkischen Bauern, die — soweit es sich um Freie handelte — noch immer der Wehrpflicht unterlagen, waren mit der Zeit unkriegerisch geworden und hatten sich zum großen Teil unter den Schutz eines Großen begeben.

Selbst als Volksaufgebot waren sie, wie die Sachseneinfälle und die späteren Normannenkriege zeigen sollten, völlig wertlos; sie rannten schon davon, wenn sie des Feindes nur ansichtig wurden. 

Dies ist eine Tatsache, die fortan bei fast allen Milizheeren, mit Ausnahme der Schweizer, zu beobachten sein wird. Unter den Verhältnissen im Frankenreich Chlodwigs und seiner Nachfolger mußte es daher zwangsläufig zu einem besonderen Kriegerstand kommen, der später im Rittertum gipfelte.

Es wurde bereits geschildert, wie sich dieser Stand aus den bagustalti und vassi zusammensetzte, die teils als Freie, teils als Unfreie kleine Lehen von den ebenfalls zum Kriegsdienst verpflichteten Großen des Reichs erhielten. Hinzu kamen noch die sog. Königszinser, die als Freibauern die Marken des Reiches hüteten. Die Zahl dieser Standeskrieger war naturgemäß gering.

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Auch wohnten sie im ganzen Reich weit verstreut, so daß es schwierig war und sehr lang dauerte, sie an einem Punkt zusammenzuziehen. Aus diesem Grund dürfte Karl der Grosse wohl kaum je mehr als höchstens 5-6000 Mann, in der Hauptsache Berittene, für einen Feldzug aufgebracht haben. In einigen Fällen sollen es 10.000 Krieger gewesen sein.

Nun muß aber bedacht werden, daß zu jedem Vollkrieger, besonders zu allen Grafen, Bischöfen und Äbten, Diener und Knechte gehörten, die den Troß bildeten. Die Zahl der Krieger darf daher ruhig mehr als verdoppelt werden, wenn man zur Gesamtstärke des Heeres mit dem Troß kommen will. Selbstverständlich waren auch die Diener und die Knechte leicht bewaffnet. Sie konnten zum Fouragieren und vor allem zum Verwüsten des feindlichen Gebiets eingesetzt werden. Zu den Kombattanten im eigentlichen Sinn des Wortes zählten sie jedoch nicht.

Ein Heer von 10.000 Mann mit Troß hatte in einem einzigen Marschverband sicher eine Länge von über 40 km. Schon deshalb dürfte Karl der Grosse kaum je so viele Menschen an einer Stelle zusammengezogen haben. Ihr Aufmarsch auf einer Straße hätte zwei Tage gedauert, und mehr als eine Heerstraße war in einem Gebiet kaum vorhanden.

Auch die ungeheuren Troßlängen waren eine Folge der Naturalwirtschaft. Das Heer mußte ja seine gesamte Verpflegung für den ganzen Feldzug von Haus aus mit sich führen. Heereslieferanten wie zur römischen Zeit, die gegen bares Geld über Depots oder unmittelbar dem Heer auch die verborgensten Vorräte zuzuführen verstanden, gab es nicht. Es fehlte der römische Quästor mit seinem Beamtenapparat und seinen nach operativen Gesichtspunkten eingerichteten Versorgungslagern.

Karl der Grosse hat auch den Mangel an guten Straßen empfunden, über die die Heere hätten marschieren und die Versorgungs­güter hätten nachgeschoben werden können. Er bemühte sich, sie durch die Ausnutzung der Wasserstraßen zu ersetzen. Der Versuch, Main und Donau mit einem Kanal zu verbinden, ist dafür kennzeichnend. Dennoch gelang es ihm nicht, im Verlauf des spärlichen Verkehrsnetzes Versorgungslager einzurichten. Er hat den Versuch in klarer Erkenntnis seiner Undurchführbarkeit gar nicht erst unternommen.

Dafür kam Karl der Grosse zu einer anderen, seiner Zeit angemessenen Lösung. Überall entlang des vorhandenen Verkehrsnetzes — als typisches Beispiel sei hier der von Duisburg über Unna und Dortmund nach Paderborn verlaufende uralte »Hellweg« genannt — errichtete er eine Reihe von Reichshöfen, eine Art großer Domänen, die zugleich auch Sammelstellen für Naturalabgaben der umwohnenden Bauern waren. Diese Reichshöfe waren in der Lage, den Hof des Kaisers, soweit er mit ins Feld zog, die kaiserliche Leibwache und einen selbständigen Heeresverband für einige Tage zu verpflegen.

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Damit erhielt eine solche Heeresabteilung eine Beweglichkeit, die das Lehnsheer als Ganzes nicht haben konnte. Zog das ganze Lehnsheer ins Feld, so mußte es, trotz der Einrichtung der Reichshöfe, seine Vorräte mit sich führen. Es wäre auch den Anliegern der Heerstraßen und der Grenzgebiete nicht zumutbar gewesen, ihnen die gesamten Kriegslasten der Versorgung aufzuerlegen.

Die kaiserliche Leibwache, die scara — »Schar«, die Karl den Grossen und seinen Hof begleitete, bildete als notwendige Ergänzung des Lehnsheers eine Art stehender Truppe, die sich aus unverheirateten und unbelehnten hagustalten zusammensetzte. Karl der Grosse, der wie seine fränkischen Vorgänger und die mittelalterlichen deutschen Könige keine Residenz hatte, sondern von Pfalz zu Pfalz zog — die Verpflegung kam nicht an den Hof, sondern der Hof zur Verpflegungsstelle —, hatte damit jederzeit eine kleine, aber schlagkräftige Truppe zur Hand, mit der er, falls erforderlich, rasch eingreifen konnte. Das Vasallenheer Karls des Grossen war im wesentlichen ein Reiterheer. Nach dem Zusammenprall mit dem Feind löste sich das Gefecht in ritterliche Einzelkämpfe auf, die die Entscheidung brachten. Über Einzelheiten der damaligen Schlachten liegen kaum auswertbare Berichte vor. Man darf jedoch damit rechnen, daß die primitivsten Kenntnisse der Taktik über Marschsicherung, Sicherung in der Ruhe, Aufklärung und Erkundung, Angriff und Abwehr dem Heer und seinen Führern vertraut waren.177

Bevor wir uns den Taten des ersten Kaisers germanischer Abstammung, des Frankenkönigs Karl der Grosse, zuwenden, müssen wir uns kurz mit den philosophischen Ideen über den Krieg befassen, wie sie das Geschehen im gesamten Mittelalter beherrschen sollten. Die frühchristlichen Kirchenväter hatten den Krieg, die Anwendung von Waffengewalt und das Blutvergießen ohne Einschränkung abgelehnt. Der Apologet Justinus, der im Jahr 165 als Märtyrer in Rom starb, verlangte »Schwerter in Pflüge, Lanzen in Ackergerät« zu verwandeln. Tertullian betonte noch einmal an der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert, daß die Feindesliebe Grundlage des christlichen Denkens und Handelns sei. Insoweit war die Haltung der frühen Christen klar. Die Schwierigkeiten setzten erst in dem Augenblick ein, als Kaiser Konstantin der Grosse mit dem Toleranzedikt von Mailand dem Christentum die offizielle Anerkennung verschafft und damit begonnen hatte, das Römische Reich in ein christliches Imperium umzuwandeln. Wie aber sollte dieser neue christliche Staat nach außen geschützt werden, wenn nicht mit Waffengewalt?

Da das Evangelium keine ausdrückliche Verdammung des Krieges enthält, erkannten die christlichen Kirchenführer nun den Dienst im Heer als legal an und billigten dem Staat das Recht zur Verteidigung mit Waffen zu, ja sie verfaßten sogar Gebete zur Vernichtung der Heiden. Wie bereits gehört, ging das allmählich so weit, daß Ambrosius in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts Kaiser Gratian zum Kampf gegen die arianischen Goten aufrief. 

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Für eine vorläufige Lösung des Konflikts zwischen Feindesliebe und Friedensethik auf der einen Seite und Schutz des Staates und der athanasianischen Kirche auf der anderen sorgte der von 354-430 lebende Kirchenvater und Philosoph Augustinus. Über Manichäismus, Skeptizismus und Neuplatonismus war er zum Christentum gekommen. Als der Westgotenkönig Alarich im Jahr 410 Rom eroberte und plünderte, verfaßte er, von diesem Ereignis tief erschüttert, seinen »Gottesstaat« (»De civitate Dei«), eine Geschichte des Menschengeschlechts, die sich ihm als Kampf zweier geistiger Reiche gegeneinander darstellte: des Reichs der irdisch Gesinnten (civitas terrena oder diaboli) und des Gottesreichs (civitas Dei). 

Keineswegs wollte er damit den Krieg verherrlichen; er hielt ihn für eine Ausgeburt der Hölle und ein Werkzeug des Teufels. Aber er betonte auch, daß es selbst für einen Christen Situationen gäbe, in denen er zur Waffe greifen müsse, ohne damit der Sünde zu verfallen. Wer angegriffen werde, habe das Recht, sich mit der Waffe zu verteidigen, ja er dürfe auch mit gewappneter Hand geraubtes Gut zurückholen. Diese letzte Aussage sollte für die Zukunft besonders wichtig werden. Der Verteidigungskrieg und der Krieg zur Rückeroberung geraubten Gutes, so sagte er, sei gerechter Krieg. Er griff damit die römische Vorstellung vom gerechten und ungerechten Krieg wieder auf und begründete sie für die christliche Kirche und den christlichen Staat. Mit dem Begriff des ungerechten Krieges aber schuf er auch eine Auffassung von Kriegsschuld, die sich bis in unsere Zeit hinein auswirkt.

Augustinus war sich durchaus des Problems bewußt, das sich für den einzelnen Soldaten aus der Unterscheidung zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg ergibt. Er erkannte, daß dieser nicht in der Lage ist, in jedem Fall zu entscheiden, ob er sich für eine gerechte oder eine ungerechte Sache schlägt. Er erklärte daher, der einzelne Soldat sei auch dann ohne Sünde, wenn er für eine ungerechte Sache kämpft, ohne die Ungerechtigkeit erkennen zu können. Damit hatte er die Streitkräfte von der Verantwortung der Unterscheidung freigesprochen und sie allein den Staatsführern aufgebürdet. Als er gegen die im Jahr 411 in Karthago als ketzerisch abgeurteilten Donatisten die Hilfe des Staates anrief, geriet er in seiner Argumentation in verdächtige Nähe zum Glaubenskrieg. Er ließ sogar erkennen, daß er die einsetzende Donatistenverfolgung als notwendigen Krieg ansah. Damit hatte er in seine Lehre auch den »Heiligen Krieg« gegen Ketzer und Andersgläubige aufgenommen, obwohl er den Gedanken des Religionskriegs zur Verbreitung des Christentums noch nicht vertrat.

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Dies tat erst Papst Gregor I. (590-604), der noch heute von der katholischen Kirche als großer Missionspapst verehrt wird. Wer sich weigerte, zum Christentum überzutreten, mußte höhere Steuern zahlen. Darüber hinaus gab er der Missionierung heidnischer Völker durch Waffengewalt seinen Segen. Er formulierte den Grundsatz: »Unterwerfen, um zu taufen.« So waren durch ihn jetzt der Ketzerkrieg im Innern und der Missionskrieg zur Verbreitung des Glaubens nach außen gerechtfertigt. In der Praxis allerdings hielt die Mehrheit der Kirchenlehrer und der Missionare noch am Friedensgebot der frühen Kirche auch gegenüber den Heiden fest.

Erst in den Sachsenkriegen Karls des Grossen setzte sich die Alternative »Tod oder Taufe« durch. »Damit war ein neuer Wendepunkt erreicht -. Die Allianz der Karolinger mit den Apostelfürsten, die den sächsischen Bekehrungsfeldzug moralisch trug, hat entscheidend dazu beigetragen, die Kirche zu militarisieren und das Papsttum in eine weltliche Macht zu verwandeln.«178 Diese Verbindung zwischen Frankenreich und Papsttum wurde durch die sog. Pippinische Schenkung, die Grundlage des Kirchenstaates werden sollte, noch enger geknüpft und begründete die schicksalhafte Verbindung des späteren Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit Italien.

Nach den grauenvollen Kämpfen der Merowinger untereinander wurde der Streit um die Thron- und Erbfolge, obwohl auch schon früher gelegentlich zu beobachten, in dieser Form in den germanischen Ländern zum ersten Mal zu einem neuen Kriegsmotiv, wenn bei diesen Kämpfen auch immer noch der uralte germanische Kriegsgrund der Blutrache eine beträchtliche Rolle spielte.

Pippin dem Kleinen, der bis 768 herrschte, blieb es vorbehalten, den letzten merowingischen König Childerich III. ins Kloster zu schicken und sich selbst mit Zustimmung des Papstes zum König der Franken zu machen. Es war nun seine Aufgabe, das alte Fränkische Reich der Merowinger wiederherzustellen. In Thüringen und Alemannien beseitigte er das Herzogtum, und in Bayern regierte sein Neffe Tassilo iii., der ihm mit allen seinen Großen den Vasalleneid leistete. Auch im Süden gelang es ihm, das von den Sarazenen besetzte Küstenland, Septimanien und Aquitanien, zurückzuerobern. Und damit hatte er die Voraussetzungen für das Werden des französichen Volkes und Staates geschaffen. Ein knappes Jahrhundert später, im Jahr 842, schwuren Ludwig der Deutsche von Ostfranken und Karl der Kahle von Westfranken die Straßburger Eide, die von den Westfranken bereits in einer frühen Form des Altfranzösischen abgelegt wurden, während die Ostfranken sich der althochdeutschen Sprache bedienten.

Pippin hinterließ zwei Söhne, Karlmann und Karl, die sich zunächst schlecht vertrugen. Der frühe Tod Karlmanns im Jahr 771 sicherte dann die Reichseinheit.

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Karl der Grosse wurde damit Alleinherrscher, der das Reich nach innen festigte, seine Herrschergewalt über alle germanischen Stämme des Festlandes ausdehnte und die Grenzen des Reiches mit einem Gürtel von Marken sicherte. Seine Kaiserkrönung am 25. Dezember 800 in Rom durch Papst Leo III. erlangte weltgeschichtliche Bedeutung. Aus dem germanischen König wurde der christliche Herrscher, der im Auftrag Gottes den Frieden zu wahren und zu schützen, das Recht durchzusetzen und für Schutz und Ausbreitung des christlichen Glaubens zu sorgen hatte. Der sich durch die Erhebung zum Kaiser zwangsläufig ergebende Konflikt mit Ostrom wurde 812 durch den Vertrag von Aachen beigelegt, in dem Byzanz nach Abtretung Venetiens, Istriens und Dalmatiens das westliche Kaisertum anerkannte. Damit war zum ersten Mal die abendländische Einheit durch einen machtvollen Herrscher hergestellt. Von den Kriegszügen Karls zur Sicherung und Erweiterung der Reichsgrenzen gegen Dänen, Wilzen, andere Slawen, Awaren, Langobarden und Sarazenen interessieren in diesem Zusammenhang nur diejenigen gegen die Sachsen und die Sarazenen.

Die Auseinandersetzung mit den Sachsen und die Abwendung der durch sie bestehenden Gefahr für die Rheinlande kann nach der Beseitigung des Langobardenreiches als zweite große Lebensaufgabe Karls des Grossen angesehen werden. Der im Jahr 772 beginnende Kampf sollte sich drei Jahrzehnte lang hinziehen, obwohl Karl es immer nur mit Teilen dieses Großstammes zu tun hatte, die sich jedoch niemals einer Entscheidungs­schlacht stellten, sondern stets den zermürbenden Kleinkrieg vorzogen. Andererseits ging es Karl nicht um die Vernichtung der Sachsen, sondern um deren Christianisierung und um die Eingliederung der Westfalen, Engern und Ostfalen in das Reich. Diese Aufgabe erachtete er als Herrscher und vor allem als Beschützer der christlichen Kirche als seine Pflicht.

Karl der Grosse war viel zu sehr Germane, als daß er nicht gewußt hätte, daß das Zentralheiligtum der Sachsen, das früher wahrscheinlich das Zentralheiligtum aller germanischen Stämme gewesen war, die empfindlichste Stelle bildete, an der er die Sachsen in ihrer völkischen und geistigen Substanz treffen konnte.179 Obwohl es am Hof Karls des Grossen auch gewichtige Stimmen gab, die sich gegen die Missionierung mit Feuer und Schwert wandten, sah Karl der Grosse keinen anderen Weg zur Lösung des Christianisierungs­problems, als sich gegen dieses Heiligtum zuwenden. Er konnte sich dabei der Unterstützung des Papstes sicher sein und sich auf die Lehre Augustinus' stützen.

Im Jahr 772 marschierte er von Worms aus zum ersten Mal gegen die Sachsen. Obwohl ein großer Teil der führenden sächsischen Adelsgeschlechter mit den Franken und deren Reich sympathisierte, hielten ein anderer Teil sowie die Frilinge und die Laten (Freie und Halbfreie) am alten heidnischen Glauben fest.

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Vor allem der gegen die Franken opponierende Teil des Adels führte sein Geschlecht zumeist auf Wotan zurück, was demnach hieß, daß er die unterschiedlichen Grade der Wotanseinweihung erfahren hatte. Diese Einweihung hatten sie an den Externsteinen erhalten, die von der Irminsul, der erhabenen Himmelssäule, gekrönt wurden.

Die zahlreichen Quellen, die Karls Marsch nach der Eroberung der Erisburg beim heutigen Obermarsberg an der Diemel zum Heiligtum im Teutoburger Wald und zur Irminsul schildern, haben den Streit um deren Standort, ihrer ungenauen und manchmal voneinander abweichenden Beschreibung wegen, nicht einwandfrei klären lassen; nur die archäologischen und religions­wissenschaft­lichen Untersuchungen lassen den Schluß zu, daß sich die Irminsul dort befand.180 

Einen weiteren Hinweis darauf, daß die Externsteine von allen Germanen als heilig erachtet wurden, gibt die Sage um den Bullerborn bei Altenbeken. Auf seinem Marsch von der Diemel nach dem Teutoburger Wald war das Frankenheer dieser Sage nach am Verdursten. Da nahm Karl der Grosse, der von allen seinen Kriegern ja auch als heilig verehrt wurde, seinen Speer, stieß ihn in die Erde, und heraus sprang klares Wasser, mit dem das Heer seinen Durst löschte. Sicher hat dabei der Bericht vom Zug des israelischen Volkes durch die Wüste, in dessen Verlauf Moses in einer ähnlichen Lage Wasser aus einem Felsen schlug, Pate gestanden; aber im wasserreichen Deutschland, besonders in der Gegend, durch die das Frankenheer zog, konnte es schwerlich einen Ort und einen Augenblick geben, in dem das ganze Heer am Verdursten war.

Dennoch steckt ein wahrer Kern in dieser Sage. Bei dem Bullerborn bei Altenbeken handelt es sich um eine intermittierende Quelle, die wohl Karl dem Grossen und ein paar wenigen anderen bekannt war, nicht aber der Masse des Heeres. Karls nur halbwegs zum Christentum bekehrte germanische Krieger — wohlweislich bestand jedoch die Masse aus Gallo-Römern — mußten von großer Angst und Scheu vor dem erfüllt sein, was sich als Ziel ihres Marsches im Heer sicher herumgesprochen hatte. Ihr Mut sank, und nur ein Wunder konnte ihn wieder aufrichten. Dieses Wunder vollzog Karl, indem er seinen Speer in dem Augenblick in die intermittierende Quelle stieß, in der sie wieder zum Ausbruch kam. Da faßten die wundergläubigen Krieger des Frankenheeres wieder Mut, und Karl konnte sein Zerstörungs werk innerhalb von drei Tagen an der Irminsul durchführen. Noch heute sind die Spuren dieser Freveltat an den Felsen zu sehen. Im übrigen zerstörten die fränkisch-katholischen Christen die germanisch-keltisch-heidnischen Kultstätten zur gleichen Zeit, in der die fanatischmonotheistischen Mohammedaner die zentralarabischen Steinsetzungen des altsabäischen Sonnendienstes vernichteten.181 

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Karls Zerstörungswerk, das zweifellos dazu beitrug, daß sich die europäische Menschheit, wie sie es auf dem Weg zur Erfassung der physischen Welt tun mußte, zunächst dem exoterischen Christentum zuwandte, hatte aber auch zur Folge, daß das an den Externsteinen seit uralten Zeiten gehegte und gepflegte germanisch-keltische esoterische Wissen insgeheim von jenen Kräften verchristlicht weiter gepflegt werden durfte, die später Träger des Gralsgedankens und des Rosenkreuzertums wurden.

Im übrigen rächten sich die Sachsen und stießen nach Hessen vor, wo sie Fritzlar zerstörten. Auf ihrem Weg gingen überall die christlichen Kirchen in Flammen auf. Karl der Grosse raubte an den Externsteinen Gold und Silber, das dort als Tempelschatz aufbewahrt wurde, und übergab es der Kirche. Dem Einfall der Sachsen in Hessen folgte im Jahr 775 eine fränkische Strafexpedition mit dem Ziel der Unterwerfung. So ging es in den nächsten Jahren hin und her, wobei die Sachsen das Christentum annahmen und gleich darauf wieder von ihm abfielen. Als 782 in Sachsen die fränkische Grafschaftsverfassung und das fränkische Recht eingeführt werden sollten, erhob sich einer der Sachsenherzöge, Widukind, dem vornehmlich die Freien und Halbfreien folgten, während Karl in Kämpfe mit den Slawen verwickelt war.

Nach der Vernichtung eines fränkischen Heeresteiles am Süntel wandte sich Karl mit äußerster Härte gegen die Aufständischen. Bezeichnenderweise wurden wiederum die entscheidenden Kämpfe zwischen Detmold und Paderborn geführt, also an der Stelle, an der Arminius die Legionen des Varus vernichtet hatte. Wieder einmal wurde ein Kampf als Gottesurteil an heiliger Stelle ausgetragen. Infolge der fränkischen Niederlage am Süntel aber ergriff Karl der Grosse jene Maßnahme, die in den fränkischen Reichsannalen wie folgt beschrieben ist:

»Und als alle den Widukind als Urheber dieses Verbrechens angaben, ihn aber nicht ausliefern konnten, weil er zu den Normannen geflohen war, wurden von den übrigen volle 4500 ausgeliefert und am Flusse Aller, an dem Orte, der Verden genannt wird, auf Befehl des Königs sämtlich an einem Tage enthauptet.«182

Schließlich verhängte Karl der Grosse das Standrecht über die Sachsen, das jedem den Tod androhte, der nicht zum Christentum übertrat. Widukind gab schließlich im Jahr 785 den Kampf auf und ließ sich taufen. Auch in den folgenden Jahren kam es immer wieder zu einzelnen Aufständen, die jedoch rasch niedergeschlagen wurden. Karl der Grosse griff dann auch zu dem Mittel, das erst in jüngster Zeit leider wieder angewandt wurde, nämlich zu der Zwangsumsiedlung, wobei er Sachsen in fränkische und andere Gebiete bis tief ins Alpengebiet hinein verschickte.

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Geradezu programmatisch ist, daß Karl der Grosse sich das Standbild Theoderichs des Grossen von Ravenna nach Aachen holen ließ, wo er es vor seiner Pfalz aufstellte. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß er wie der große Gotenkönig bestrebt war, die Tradition des alten Römischen Reiches unter germanischen Vorzeichen fortzusetzen. Sein Bemühen um die Einigung oder auch gewaltsame Unterwerfung der auf dem alten römischen Reichsboden siedelnden germanischen Stämme war daher begreiflich. Auch die bereits erwähnte enge Verbindung der neuen fränkischen Herrscherschicht mit dem führenden katholischen Klerus läßt es verständlich erscheinen, daß Karl der Grosse als überzeugter Katholik und Christ die Bekehrung der noch heidnischen Sachsen mit Feuer und Schwert vorantrieb.

Karl, der sonst noch ganz in germanischen Vorstellungen lebte, glaubte wahrscheinlich noch an die Einheit seines Reiches aufgrund der Einheit seiner Kultgemeinschaft, wie das einstmals beim germanischen Thing der Stämme gewesen war. Zieht man dies in Betracht, so muß man deswegen noch nicht Christopher Dawson recht geben, der in seinem oft herangezogenen Werk behauptet, Islam und frühmittelalterliches Christentum unter Karl dem Grossen stünden sich ungeheuer nahe, man brauche nur zu sehen, wie z.B. das augustinische Ziel des Gottesstaates durch Vereinfachung in etwas umgewandelt werden konnte, das einer christlichen Abart des Islam gefährlich ähnlich sähe: Karl der Grosse an der Spitze als Beherrscher aller Gläubigen. Es handele sich um dieselbe Gleichsetzung von Religion und Politik, denselben Versuch, Sittlichkeit mit gesetzlichen Mitteln zu erzwingen und den Glauben mit dem Schwerte zu verbreiten.18' Diese scheinbare Ähnlichkeit läßt sich auch aus dem erwähnten germanischen Verständnis von Kultgemeinschaft und Gefolgschaftstreue erklären. Daß es zum Zusammenstoß mit dem Islam auf europäischem Boden kommen mußte, lag einerseits an der aggressiven Militanz der Araber in Südwesteuropa und der Franken sowie an Karls Vorstellung, das alte Imperium Romanum in seinen alten Grenzen in Mittel-, West- und Südeuropa wiederherzustellen.

Zudem zeugen die uns erhaltenen frühen Heldenlieder oder Bruchstücke davon, die meist in lateinischer Sprache abgefaßt sind, daß bereits in so früher Zeit erste Spuren des Kreuzzugsgedankens auftauchten. Die Hinweise verraten uns, daß es solche kurzen Heldenlieder in germanischer Sprache bereits vor dem 7. Jahrhundert gab. Zunächst geht es dabei, wie etwa beim Faro-Lied, um die gewaltsame Bekehrung der Sachsen, in späteren Liedern um die Kämpfe der Franken gegen die Sarazenen in Südfrankreich und Spanien. Das bekannteste ist das Rolandslied, das kurz nach seinem Auftauchen durch den Pfaffen Konrad aus dem Altfranzösischen ins Mittelhochdeutsche übertragen wurde. Das uns vorliegende Rolandslied muß viele kürzere und einfachere Vorläufer gehabt haben; die uns bekannte Fassung gehört wohl in den Anfang des 12. Jahrhunderts.

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Dem Rolandslied liegt eine uns durchaus bekannte geschichtliche Tatsache zugrunde. Im Jahr 778 zog Karl der Grosse, von Ibn-al-Arabi zu Hilfe gerufen, gegen den Emir Abd er-Rahman von Cordoba zu Feld. Karls Sieg führte zur Begründung der Spanischen Mark, die bis zum Ebro reichte. Als nun das Frankenheer mit seiner Masse in die Heimat zurückmarschierte, wurde seine Nachhut auf der Pyrenäenpaßhöhe von Basken überfallen und niedergemacht. Es handelte sich um die klassische Art eines Guerillagefechts, wobei die Basken in diesem Fall allerdings nur das Ziel verfolgten, Beute zu machen, was ihnen aber doch wohl nicht in dem erhofften Umfang gelang, denn bei einem Rückmarsch wurde und wird normalerweise der Troß, der allein große Beute verspricht, dem Heer vorausgeschickt, nicht aber ihm nachgeführt. Dennoch begnügten sich die Basken wohl mit dem Wenigen an Beute, denn sofort nach dem Überfall waren sie verschwunden, ohne daß man sie hätte erneut zum Kampf stellen und den Verlust rächen können. Die Niederlage der Nachhut blieb daher ungesühnt. 

Was sie dennoch so beachtenswert macht, war die Tatsache, daß mehrere hochstehende fränkische Führer dabei den Tod fanden. In Einhards »Vita Caroli Magni«, Kapitel 9, werden sie aufgezählt: »In quo proelio Eggihardus regiae mensae praepositus, Anshelmus comes palatii et Hruodlandus Britta-niti limitis praefectus cum aliis compluribus interficiuntur.« Dieser Hruodlandus oder Roland, wie wir ihn heute nennen, ist zur Hauptperson des altfranzösischen und mittelhochdeutschen Heldenliedes geworden. An die Stelle der Basken treten darin die Sarazenen, und, um die christliche Mission des Frankenheeres zu unterstreichen, es erscheint neben anderen der Erzbischof Turpin als streitbarer Recke an der Seite Rolands. 

Auch der Verrat des Ganelon gehört nicht zu den überlieferten Ereignissen. Aber es steht heute außer Frage, daß das Rolandslied, wie auch die anderen Sagen des Kreises um Karl den Grossen, Wilhelm von Orange und andere, trotz seiner Abfassung in altfranzösischer Sprache den germanischen Geist der Franken atmet. Hier finden wir die gewaltigen Heldentaten eines einzelnen oder mehrerer Recken, die ihrer Aufgabe getreu bis zum letzten Atemzug kämpfen und obsiegen. Hier steht die Freundestreue wie zwischen Roland und Olivier und die Treue zum Herrn über allen anderen Überlegungen. Auch das berühmte Oheim-Neffe-Verhältnis, wie es die epische Dichtung zwischen Roland und Karl dem Grossen behauptet, erscheint in einer großartigen Glorifizierung. Und nicht fehlen darf die Rache am Verräter Ganelon. In echt germanischer Art endet das Lied mit einem Zweikampf, der als Gottesurteil ausgetragen wird. Doch in der endgültigen Fassung des Rolandslieds aus dem Anfang des 12.Jahrhunderts fehlen nun auch die moderneren Zutaten wie die Liebe zum Vaterland und die Treue zum Christenglauben nicht.

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So sehnt sich Roland nach der »douce France«, dem süßen Frankreich, und im Augenblick des Todes nennt er vor Gott alle seine Vergehen und fleht um Gnade vor seinem himmlischen Gericht. Besonders letzteres ist ein demütiger Zug, der erst dem hochmittelalterlichen Rittertum angehört.

Die gewaltige Ausdehnung des Reiches zwang neben den bereits beschriebenen militärisch-technischen und wirtschaftlichen Gründen zu einer Umwandlung des natürlichen Wehrrechts in eine Wehrpflicht anderer Art, die im Maastrichter Vertrag zwischen Lothar, Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen festgelegt wurde. Danach unterschied man zwischen einer Heeresfolge, zu der nur das Vasallenheer verpflichtet war, und einer Landfolge, die das Aufgebot des Volkes umfaßte. Im Edikt von Pistis 864 trat dazu noch die Burgwerkpflicht, die zum Bau, zur Unterhaltung und Verteidigung der Burgen und befestigten Städte verpflichtete. Doch bei den Normanneneinfällen unter den späteren Karolingern, die vor allem den Norden und den Westen des Reiches heimsuchten, versagte das Volksaufgebot nach der Landfolge völlig. Die inzwischen des Kampfes ungewohnten Bauern kamen, da sie meist zu Fuß marschierten, fast immer zu spät, um die Normannenüberfälle abzuwehren, oder rissen beim ersten Anblick der nordischen Kriegerscharen aus. Unter den Ottonen wurde daher die Landfolge zur reinen Burgwerkpflicht oder zum Burgbann. Zu etwas anderem waren die Bauern in Kriegsdiensten nicht mehr zu gebrauchen. Zur Heerfahrt wurden allein noch die Ritter aufgeboten.

Das Karolingische Reich löste sich im Lauf des 9. Jahrhunderts immer mehr von innen heraus auf. Aus seinen Trümmern entstanden mehrere, verschiedene und verschiedenartige Reiche: Deutschland, Frankreich, Burgund und Italien. In ihnen veränderten sich die politischen, wirtschaftlichen und heeresorganisatorischen Strukturen zunächst kaum. Unter den erwähnten Normannen müssen uns im Augenblick vor allem die schwedischen Waräger interessieren, die von ihrem Heimatland aus die Eroberung des Ostraumes begannen. Über Gotland besetzten sie das Baltikum, besonders Kurland, errichteten befestigte Siedlungen in Ostpreußen und begannen von dort aus um 860 mit ihren Herrschaftsgründungen in Nowgorod und Kiew. Um 880 faßte der Warägerfürst Rurik die beiden Herrschaften zum Kiewer Reich zusammen. Bis um die Jahrtausendwende entstand so ein reger Handelsverkehr zwischen Schweden, Rußland und Byzanz durch wagemutige Krieger-Kaufleute, die mit Schiffen regelmäßig die gefahrvolle Fahrt von den großen Handelsplätzen des Nordens wie etwa Haithabu bis zum Schwarzen Meer unternahmen. Dort kamen die Waräger mit der islamischen Welt in Berührung. 

Zum Glück für die europäische Kultur nahmen die etwa um das Jahr 950 als russifiziert anzusehenden Waräger dennoch nicht den Islam, sondern das Christentum an, da sie wohl instinktiv die ungeheure geistige Lebendigkeit sowohl des westlichen Abendlandes als auch des Byzantinischen Reiches erlebten. Es ist nicht auszudenken, wie das Geschick Europas verlaufen wäre, wenn die Waräger damals nicht zum Christentum, sondern zum Islam übergetreten wären.

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In Deutschland aber wurde der Sachsenherzog Heinrich aufgrund des Vorschlags seines ehemaligen Todfeindes, des Saliers Konrad, zum deutschen König gewählt. Als Heinrich I. begründete er während seiner Regierungszeit von 919-936 für viele Jahrhunderte die Führungsstellung seines Landes in Europa.

Mit Sicherheit ist die Vorstellung von Heinrich als dem Städtegründer, Burgenbauer und Schöpfer der Reiterei, die uns Widukind von Corvey überliefert, in das Reich der Sage zu verweisen. Städte gab es seit der Entstehung des Frankenreiches, selbst im Ostteil dieses Gebiets, im späteren Deutschland, Burgen schon zur Heidenzeit und eine ritterliche Reiterei zumindest seit dem Aufkommen der Vasallenheere, von den Reiterverbänden der Völkerwanderungszeit abgesehen. Selbst für Heinrichs Stammland Sachsen trifft das zu, da dieser Stamm bereits unter Herzog Widukind gegen Karl den Grossen zu Pferd gekämpft hat. Sicher aber hat Heinrich i. die festen Plätze verstärkt und seine Reiterei verbessert, so daß er die Ungarn mit ihrer leichten Reiterei besiegen konnte. Wir haben ja schon gehört, daß es gegenüber leichten, schwarmartig auftauchenden Reiterverbänden, die überraschend zuschlugen, plünderten und wieder verschwanden, darauf ankam, die eigenen Kräfte ebenso schnell zu sammeln, den Feind zu zwingen, sich zur Schlacht zu stellen, und ihn dann mit einer besseren eigenen Reiterei zu schlagen.

Ein mittelalterliches Heer mußte aber mehr besitzen als allein kriegerische Tüchtigkeit und waffentechnische Überlegenheit. Der König selbst war eine von göttlichem Heil erfüllte Gestalt; wem er Gaben schenkte, dem übertrug er auch einen Teil seines Heils, wie einstmals der Gefolgsherr gegenüber seinen germanischen Gefolgschaften, legte er Kranken die Hand auf, so wurden diese gesund; sein Anblick allein war heilwirkend. Dies alles wurde erhöht und gesteigert durch die Symbole seiner Herrschergewalt, Krone, Zepter und Schwert, denen Heinrich I. noch die von Rudolf II. von Hochburgund erworbene Heilige Lanze hinzufügte. Das Wesentliche dieser Lanze war, daß sie mit einem Nagel der Kreuzigung Christi versehen war. So wurde die Gestalt des Königs auch christlich überhöht.

Nachdem die germanischen Stämme mit ihrer freiwilligen oder erzwungenen Bekehrung zum Christentum ihrem alten Volksführer und Schlachtengott Wotan abgeschworen hatten, war bald auch das Ende der germanischen Welt gekommen. 

Jetzt, im 8., 9. und 10. Jahrhundert entstand auf dem Gebiet des Ostfrankenreiches aus den verschiedenen Stämmen das deutsche Volk.

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Um die Mitte des 9. Jahrhunderts wird in den Urkunden folgerichtig zum ersten Mal von einer deutschen Sprache gesprochen. An die Stelle des alten Wotan tritt nun der heilige Michael als »Schlachtenhelfer der Deutschen«. Die Volkskunde hat die Zusammenhänge in der Vorstellung des Volkes zwischen Wotan und Michael seit langem festgestellt.184 Als sichtbares Zeichen dieser Tatsache können die Ereignisse bei der Schlacht von Riade am 15. März 933 angeführt werden.

Nachdem Heinrich I. die Grenzgebiete im Westen, Osten und Norden befriedet und gesichert hatte, wandte er sich mit seinem gut ausgerüsteten Heer und von der Reichsversammlung bei Erfurt im Jahr 932 dazu ermächtigt gegen den damals gefährlichsten Feind des Reiches, die Ungarn. Er stellte die einst mit ihnen vereinbarten Tributzahlungen ein und erwartete sie mit einem Aufgebot aus allen deutschen Stämmen. Während ein kleinerer Verband die im Frühjahr 933 in das südliche Sachsen eingedrungenen ungarischen Scharen zurückwarf, stellte er die Masse der Ungarn bei Riade, einem noch nicht lokalisierten Ort in Thüringen an der Unstrut. 

Beim Aufmarsch gegen den Feind ließ er die neue standartenartige Fahne mit dem Bild des heiligen Michael entfalten. Vielleicht stammt sogar das älteste deutsche Soldatenlied »In Gottes Namen fahren wir, zu Sankt Michael wollen wir« bereits aus dieser Zeit. Überzeugt von seiner Sendung und von seiner Unbesiegbarkeit unter dem Schutz des heiligen Michael schlug das deutsche Heer, das zum ersten Mal als solches angesehen werden darf, die Ungarn in die Flucht. Vor allem das Bewußtsein, im Kampf von diesem hohen Erzengel geführt zu werden, hat die Stärke der deutschen Ritterheere ausgemacht.

Ausgeprägter noch als bei König Heinrich I. war das Sendungsbewußtsein dessen Sohnes, Ottos des Grossen, der von 936 bis 973 regierte und sowohl deutscher König als auch römischer Kaiser war. Er empfand sich als Werkzeug Christi.

Auch Otto der Grosse mußte sich noch einmal mit den Ungarn auseinandersetzen, nachdem diese im Jahr 954 erneut raubend und plündernd in das Reichsgebiet eingefallen waren, obwohl das Christentum bei Teilen von ihnen, besonders bei ihrer Führerschicht, inzwischen Eingang gefunden hatte. Die Verlockung der in Deutschland geführten Bürgerkriege war aber so groß, daß die Ungarn der Versuchung, diese günstige Lage für ihre Zwecke auszunutzen, nicht widerstehen konnten. Sie erreichten allerdings das Gegenteil von dem, was sie sich erhofft hatten.

Kaum waren sechs Wochen vergangen, daß Otto in Magdeburg vom Ungarneinfall in Bayern erfuhr, als er unter Verzicht auf die zu weit entfernt wohnenden westlichen und nördlichen Sachsen und Lothringer mit seiner scara, wenigen Sachsen, dafür aber den Bayern, Schwaben, Franken und einer starken Heeresabteilung Böhmen unter Herzog Boleslav, nach Augsburg marschierte, um die sich tapfer verteidigende Stadt zu entsetzen. 

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Das ganze Heer des deutschen Königs mag für diese wichtigste Schlacht des 10. Jahrhunderts aus nicht mehr als 7000-8000 Reitern bestanden haben. Doch sicher wurden sie von einem Troß aus etwa 10.000 aufgebotenen Bauern, Dienern und Knechten begleitet, die aber nicht als Kämpfer auftraten. Sie dienten lediglich zur Versorgung und Lagersicherung. Dennoch muß es als eine hervorragende Leistung bezeichnet werden, daß Otto in so kurzer Zeit ein Heer von 18.000 Mann zusammen­bringen und nach Augsburg führen konnte, selbst wenn Teile bereits im bayerisch-schwäbischen Grenzraum gestanden waren oder während des Marsches Ottos von Magdeburg nach Augsburg zu ihm stießen. Wie groß die Zahl der Ungarn war, muß offen bleiben. Vermutlich war sie etwas kleiner.

»Am Abend des 9. August hatte der 5-6 Kilometer lange Heerwurm den Westrand des westlich von Augsburg gelegenen Rauhen Forstes erreicht. Durch Aufklärer über die Bewegungen des Feindes unterrichtet, gab König Otto Befehl, sich für den nächsten Tag auf die Schlacht vorzubereiten. Zu dieser Vorbereitung gehörte ein umfangreiches religiöses Zeremoniell... Am Abend fasteten die Krieger, in der Morgendämmerung gelobten sie einander Frieden und gegenseitigen Beistand. Der König selbst ließ sich vor der Blutarbeit betend vor dem Heer nieder und versprach dem Tagesheiligen Laurentius für den Sieg die Gründung eines Bistums in Magdeburg, ehe er sich mit Schild und heiliger Lanze unter der Fahne des Erzengels [Michael] seinen Soldaten noch einmal höchst königlich präsentierte.«185

Auf dem Lechfeld marschiert dann das deutsche Heer geordnet zu der ersten rangierten Schlacht des Mittelalters auf. Hinter der Vorhut stehen vorn die Bayern, ihnen folgen die Sachsen und Franken. Der König mit seiner scara hält sich zwischen ihnen auf; dahinter reiten die Schwaben und hinter ihnen die Böhmen. Jedoch darf dabei keinesfalls an Truppenverbände oder an eine Reservebildung gedacht werden. Man schart sich nur um die Fahne, reitet gegen den Feind an. Nach dem Zusammenprall löst sich alles in Einzelkämpfe auf. Nur dadurch kann es nicht zur Umfassungs- und Vernichtungsschlacht kommen, weil die Ungarn Mann für Mann im Massenturnier besiegt werden. Sie fliehen zur Lechbrücke. Doch der Rückweg ist ihnen verlegt, so daß nur ganz wenige entkommen. Die Ritterschlacht als Massenturnier zeigte sich in ihrer ersten Vollendung, insoweit allein die Kampfweise in Betracht gezogen wird.

Für uns ist wichtig festzuhalten, daß anstelle der heidnischen Opfer und Weihen vor der Schlacht nun die christliche Reinigung und Buße treten, um sich der Mithilfe der himmlischen Mächte zu versichern. Diese Art der Reinigung des Kriegers vor einer großen Schlacht sollte bei allen Heeren, mit Ausnahme des sowjetischen, bis in den Zweiten Weltkrieg hinein, wenn auch in veränderter Form und mit anderer Sinngebung, üblich werden.

Über die Festigung der Position des Reiches in Mitteleuropa und in Teilen Osteuropas hinaus, tat Otto der Grosse einen für die Zukunft Europas ganz entscheidenden Schritt. Sicher veranlaßten ihn machtpolitische Ansprüche auf Italien zu seinen Italien­zügen, während dessen zweiten er am 2. Februar 962 zum Kaiser gekrönt wurde, und zu seiner Vertragspolitik mit Byzanz, die in der Vermählung seines 967 zum Mit-Kaiser gekrönten Sohnes Otto II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu gipfelte. Aber gerade durch diese Zusammenarbeit mit Byzanz wurde eine gemeinsame Front gegen die Sarazenen in Südeuropa möglich. So betrachtet haben auch die späteren Italienzüge der deutschen Kaiser einen tiefen Sinn. Was wäre geschehen, wenn Italien nicht eines der Kernländer der europäischen und christlichen Kultur geblieben, sondern dem Islam anheimgefallen wäre ? So sicherte die gewappnete Hand des Kaisers den Bestand der kulturellen Einheit Europas bis in unsere Tage hinein.

Eine ganz wichtige Neuerung des hochmittelalterlichen Kriegswesens brachte die sog. Heerschildordnung. Wahrscheinlich bestand sie bereits im 10. Jahrhundert, wurde aber erstmals im »Sachsenspiegel« und danach für die Oberdeutschen im »Schwabenspiegel« schriftlich fixiert. Diese Heerschildordnung war ursprünglich ein königliches Recht, ein Regal, und regelte das militärische Aufgebot der Vasallen zum Dienst im Reichsheer; seine ursprüngliche Bezeichnung lautete einfach »Heerschild«.

Nicht als zwingende Norm, aber als Ordnungsvorschrift wurde darin eine Rangfolge der Lehnsempfänger festgehalten. Die einzelnen Heerschilde bildeten eine siebenstufige Pyramide, die die Stellung des einzelnen Lehnsträgers festlegte. Dabei konnte der Inhaber eines Heerschildes nur vom nächst höheren Lehen nehmen und nur an den nächst niedrigeren Lehen vergeben. Inhaber des ersten Heerschildes war der König, dem die passive Lehensfähigkeit mit Ausnahme der geistlichen Lehen fehlte. Den zweiten und dritten führten im gleichrangigen Verhältnis zum König die geistlichen und weltlichen Fürsten. Die Grafen und freien Herren hielten den vierten, die »schöffenbar« Freien den fünften, die Ministerialen eben diesen oder den sechsten inne und den siebten Heerschild die übrigen Ritterbürtigen, denen die aktive Lehensfähigkeit mangelte. 

Für uns besonders wichtig ist dabei die Siebenzahl, mit der der Begriff der Zeit und die sieben Tierkreisgottheiten des Guten im Zusammenhang stehen, die sich in der oberen Sphäre des Devachan befinden.186 So sollte der Heerschild ein Spiegelbild der guten Kräfte sein. 

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