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Christliches Rittertum  

 

 

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Der Stand der Krieger, der bis zum Aufkommen der Feuerwaffen und der neuen Infanterietaktik der allein ausschlaggebende sein sollte, war derjenige der Ritter als schwerbewaffnete Kämpfer im Harnisch zu Pferd. Er wird in den Urkunden ausschließlich als miles bezeichnet, gleich ob er aus dem ehemaligen Stand der Freien oder aus dem der Unfreien hervorgegangen war, es sich also um ehemalige Herren oder ehemalige Dienst­mannen handelte. Es wurde schon festgestellt, daß das deutsche Heer Ottos des Grossen die Schlacht zum Massenturnier verwandelt hatte. Aber zum echten Ritterheer im Sinne des Hochmittelalters bedurfte es noch einer geistigen Wandlung. 

Inzwischen waren die Reiche der Deutschen, Franzosen und Italiener entstanden, aber so etwas wie Nationalgefühl gab es vorläufig nur in sehr unterentwickelter Form. Man erkannte die Verschiedenartigkeit der Völker und die Zusammengehörigkeit des eigenen Volkes. Das äußert sich in überlieferten Bemerkungen primitiver und generalisierender Art, in denen z.B. die Franzosen als »Schwätzer«, die Engländer und Deutschen als »Fresser«, »Sauf- und Raufbolde« und die Slawen als »stinkend« bezeichnet werden. Äußere Gefahren wie die Ungarneinfälle führten zwar zu einem gewissen Zusammenrücken, doch ein echtes Nationalgefühl entstand daraus noch nicht.

Lediglich einer der ganz großen Dichter des Hochmittelalters, Walter von der Vogelweide (etwa 1168-1228), verstand es, in einem seiner noch heute berühmten und bewunderten Gedichte die Liebe zu seinem Volk auszudrücken; Allgemeingut war das jedoch nicht.

Länder hab ich viel gesehn,
und die besten prüfte gern mein Sinn.
Unheil möge mir geschehn,
könnt ich bringen je mein Herz dahin,
daß ihm Wohlgefallen
würde fremde Art.

Denn für Unrecht streiten,
schnell sich offenbart.

Deutsche Art steht über allem.
Von der Elbe bis zum Rhein 
und zurück bis an das Ungarland 
können nur die Besten sein,

die im weiten Erdenrund ich fand.
Nenn' ich recht mit Namen
Anmut und Gestalt,
hilf mir, Gott: die Frauen hier —
das schwör ich bald -
besser sind als fremde Damen.
Deutsche Männer Männer sind.
Deutsche Frauen sind der Frauen Preis.
Wer sie tadelte, ist blind:
Einen andern Grund ich mir nicht weiß.
Heldentum und Minne:
wem solch Wort gefällt,
komm in unser Land,
ein Kleinod dieser Welt.
Mög' ich lange leben drinne!
187

 

Mit dem Entstehen des Deutschen Reiches waren die alten Stammesherzogtümer wiederbelebt worden, die an ehemalige germanische Großstämme anknüpften. In den Diensten der Herzöge stand die Mehrzahl der adligen Ritter und der Ministerialen. Letztere waren ehemalige Unfreie, die zum Kriegsdienst für die Großen herangezogen wurden und aufgrund dieses Dienstes mit der Zeit eine soziale Stellung einnahmen, die über derjenigen der Gemeinfreien lag. Zusammen mit den Adligen bildeten sie den Ritterstand aus. Da ihr Lehnsherr der Herzog, ein Geistlicher oder Großer ihres Stammes war, fühlten sie sich in erster Linie als Vertreter und Angehörige ihres Stammes, der Bayern, Schwaben, Franken, Sachsen, Friesen, Thüringer oder Lothringer. 

Selbst hier, bei den alten Stammesherzogtümern, finden wir wieder die Siebenzahl. Darüber hinaus aber unterschieden diese Ritter weniger zwischen Deutschen, Franzosen, Engländern oder Italienern als vielmehr zwischen Christen und Heiden. Das allein waren für ihre Zeit echte Gegensätze. Aber ein anderes Lebensgefühl kam noch hinzu, nämlich das Bewußtsein, über Stammes- und Volksgrenzen hinweg einem gemeinsamen Stand anzugehören. Zuweilen reichte dieses Gefühl sogar über die Grenzen zwischen Christen und Heiden hinaus, und manchmal veranstalteten die Kreuzritter mit den mohammedanischen Rittern im Heiligen Land Turniere.

Das gemeinsame Standesbewußtsein beruhte selbstverständlich nicht allein auf der gleichen Art zu kämpfen oder gar auf einem reinen blutsgebundenen Adelsbewußtsein, denn soweit es die Masse der Ritter, die Ministerialen oder, wie sie auch hießen, die »Dienestmannen«, betraf, traf das ja nicht zu.

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 Es beruhte vielmehr auf gemeinsamen sittlichen Tugenden, auf einer einheitlichen Lebensanschauung. Die Kardinaltugenden der Tapferkeit, Gerechtigkeit, Treue und der maze waren sicher allgemeine Kriegertugenden. Bei den Rittern erhielten sie aber einen besonderen, neuen und veredelten Inhalt. Das geschah zunächst einmal durch das segensreiche Wirken der Kirche, vornehmlich der Bewegung, die von Cluny ausging. Sie fügte den Kriegertugenden die christlichen Tugenden hinzu.

So konnte aus dem miles Christi, der ursprünglich nur als miles spiritualis gemeint war, leicht der miles saecularis werden. Der weltliche Krieger, der Ritter, konnte sein Schwert für den Glauben führen und damit von der Kirche als geistlicher Krieger anerkannt werden. Steven Runciman drückt es in seiner »Geschichte der Kreuzzüge« so aus, daß der Krieg im Interesse der Kirche nicht nur statthaft, sondern sogar wünschenswert wurde.'88 Das ritterliche Berufsbild und das klerikale Weltbild rückten einander immer näher, so daß sie schließlich eine Einheit bildeten. Für den Ritter als Dienstmann ergaben sich daraus sieben Pflichten, und wiederum ist die Zahl Sieben in dem schon erwähnten Sinn bedeutungsvoll. Diese Pflichten waren:

  1. dem Lehnsherrn Ergebenheit zu erweisen,

  2.  nicht nach Beute zu streben,

  3. das eigene Leben nicht zu schonen, wenn es darum geht, dasjenige des Lehnsherrn zu schützen,

  4. für das Wohl der res publica bis zum Ende zu kämpfen,

  5. Schismatiker und Ketzer zu bekriegen,

  6. Arme, Witwen und Waisen zu verteidigen,

  7. die gelobte Treue nicht zu brechen und dem Lehnsherrn gegenüber nicht meineidig zu werden.189

Im allgemeinen sind das die Pflichten, die jeder germanische Gefolgsmann erfüllen mußte, wenn er in den Dienst eines Herren trat. Ausgesprochen von der Kirche bzw. vom Christentum beeinflußt sind dagegen die Pflichten zur Bekämpfung der Schismatiker und Ketzer und zur Verteidigung der Armen, Witwen und Waisen. Diese Verchristlichung des Kriegerstandes wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht auch die- großen Lehnsherren, vor allem die Kaiser und die Könige, ganz von ihrer Christenpflicht und ihrem christlichen Glauben durchdrungen gewesen wären.

Als eines von vielen Beispielen mag hier die Person Ottos des Grossen dienen. Seine Chronisten würdigen vor allem seine Frömmigkeit. Er hörte täglich die Messe, glaubte fest an die Wunderkraft von Reliquien und die Fürsprache der Heiligen; er fastete viel, besonders vor Prozessionen, und erflehte vor der Schlacht den Segen des Allmächtigen, wie er das auch auf dem Lechfeld getan hatte.

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Neben den Lehren der Kirche kann die Wirkung der in die gleiche Richtung zielenden mittelalterlichen Ritterdichtung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es wurde in bezug auf das Nibelungenlied schon über die Bedeutung der Treue gesprochen. Das hohe Lied der Treue sang unter vielen anderen der Ritter Frauenlob, wenn er dichtete:

Bei Gott, wer Treu im Herzen hab,
der lasse nie sie von sich kommen. 
Denn wer an seiner Treu' läßt ab, 
den hat der Tod dahingenommen. 
Treue ist ein Spiegel, den der Mann 
vor sich trägt zu jeder Zeit. 
Treue ist das heimliche Kleid, 
das Gott uns hat geschnitten an.

Und Reimar von Zweter verurteilt die Untreue mit den Worten:

Das Schlimmste, das man denken kann
im Himmel und auf Erden, das ist der ungetreue Mann.
Er blendet alle Augen
und verdirbt, was ehdem war gesund.
Sein Zunge Eitergalle hat,
lebend toter, mordbefleckter Mann,
Ursprung der Missetat!
Hütet euch vor seinem Lachen!
Gesunde Leute macht es todeswund.
Lang ist er siech, an den sein Atem rühret,
sein Gruß durch reine Herzen Blitze führet.
Sein Wink beschmutzt ein reines Weib,
sein Zischen tötet manchen Leib,
und was er tut, die Bosheit ganz durchgründet.
190)

Durch den am Ende des 11. Jahrhunderts von Frankreich ausgehenden Minnesang wurde die gesellschaft­liche Stellung der Frau gestärkt, sie wiederum wirkte veredelnd auf den ritterlichen Krieger. In den Ritterromanen setzt sich der Held für die Witwen und Waisen ein, und die Pflichten befehlen ihm das sogar. Dennoch sollte man sich darüber im klaren sein, daß die Stellung der Frau im Mittelalter keineswegs den hohen Idealen entsprach, die Ritterromane und Minnesang schildern. Aber die Ideale waren einmal vorgezeichnet und sollten im Lauf der Jahrhunderte auch ihre Wirkungen tun.

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Trotz dieser hohen sittlichen Werte hatte das Rittertum, wie alles Menschliche, seine Schattenseiten, die sich im Lauf der Zeit immer deutlicher äußerten. Vor allem war es das Ideal der Tapferkeit, das zusammen mit der Versuchung der Macht und vor dem Hintergrund eines z.T. dürftigen Lebens dazu verführte, sich, was man brauchte oder zu brauchen glaubte, mit Gewalt anzueignen. Daraus entstand das spätere Raubrittertum.

Viel schwerwiegender in politischer Hinsicht wirkte sich jedoch das Ideal der Treue aus. War es zunächst Kennzeichen der Bindung des Ministerialen, des aus unfreiem Stand hervorgegangenen Ritters, an seinen Lehnsherrn, so konnte es sich für das Reich nachteilig auswirken, wenn der Lehnsherr sich selbst als freier Hochadliger nicht mehr unbedingt als Vasall seines Königs oder Kaisers empfand. Dazu kam noch die wirtschaftliche Abhängigkeit. Selbst als die Lehen mit der Zeit erblich wurden, änderte sich daran nicht viel. Es konnte vorkommen, daß sich der ehemalige Lehnsritter allmählich selbst als völlig freier und unabhängiger Herr fühlte, der dann leicht auch der Versuchung der Macht erlag. Unterstützt wurde diese Tendenz dadurch, daß im Lauf des Hochmittelalters aus dem ehemaligen Berufsstand des Kriegers ein Geburtsstand wurde, in den nur aufgenommen werden konnte, wer ritterliche Vorfahren über zwei Generationen hinweg nachweisen konnte. Später durfte höchstens der König auch Gemeinfreie in den Ritterstand erheben, während anfangs dazu jeder Ritter berechtigt gewesen war.

Fehlten in einem Heer Ritter, so konnten auch Knechte wie Ritter bewaffnet werden, weil allein die rittermäßig ausgerüsteten Streiter in der Schlacht ausschlaggebend waren. Die Knappen, die erst noch zu Rittern ausgebildet wurden, dienten als leichte Reiter und vergaben sich nichts, wenn sie im Kampf vor den Schwergepanzerten auswichen, gegen die sie nichts auszurichten vermochten. Fußknechte waren mit Spießen, Bogen oder anderen leichten Handwaffen ausgerüstet und trugen keine Panzerung. Für das Gefecht spielten sie nur dann eine Rolle, wenn sie sich auf ein starkes Hindernis im Gelände stützen konnten. Im übrigen halfen sifc vor allem ihren ritterlichen Herren, wenn diese in der Schlacht durch Sturz vom Pferd oder durch eine Verwundung kampfunfähig geworden waren.

Der mittelalterliche Ritter ließ sich nicht in einer Einheit oder gar in einem Verband disziplinieren, er kämpfte immer als Einzelkämpfer, auch in der Schlacht. Dies steht im Einklang mit der nun allmählich erwachenden Ich-Bewußtheit, wenigstens bei den führenden Schichten der damaligen Gesellschaft. Tapferkeit und kriegerische Tüchtigkeit des Ritters waren über jeden Zweifel erhaben.

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Diese persönlichen Vorzüge wurden unterstützt von den Trutzwaffen: die Lanze, die niemals splittert, das Schwert, das sich durch Eisen frißt. Mit solchen Waffen konnte nur ein Mann umgehen, der sich ständig in ihrem Gebrauch übte. Zum Tragen aber kam diese schwere Ausrüstung allein zu Pferd. Zu Fuß vermochte sich der Ritter nur unbeholfen zu bewegen. Er brauchte deshalb Männer, die ihm aufs Pferd und wieder herunter halfen und Hindernisse vor ihm wegräumten, denn auch sein Pferd war schwer und bewegte sich nur langsam.

Heutige Reitpferde könnten einen Ritter und dazu noch ihre eigene Panzerung kaum tragen. Die damaligen Streitrosse ähnelten mehr unseren starken Ackerpferden, die nur zu kurzem Galopp fähig sind. Das Pferd mußte vor dem Gefecht geschont werden. Undenkbar wäre gewesen, daß der Ritter sein Streitroß auch auf dem Marsch ritt. Dazu führte er wenigstens zwei weitere Pferde mit sich. Offensichtlich ist auch, daß solche Pferde für eine Verfolgung des Feindes völlig ungeeignet waren.

Es liegt auf der Hand, daß damit die Ausrüstung eines Ritters zur kostspieligen Angelegenheit geworden war. Nur derjenige konnte sie sich leisten, der über genügend Grundbesitz verfügte. Wir wissen aber aus den Quellen, daß der Grundbesitz allein nicht mehr ausreichte, besonders wenn man an die in Gold und Silber einherreitenden Herren denkt. Tatsächlich entdeckte man in steigendem Maße nun neue Edelmetallvorkommen, was einen neuen Geldumlauf hervorrief. Seit dem 12. Jahrhundert ist das deutlich festzustellen.

Wenn es auch nicht zu einer Geldwirtschaft wie in der Antike kam, so war der vermehrte Geldumlauf doch Anlaß zu einer Erscheinung, die in solchen Zeiten immer zu beobachten ist: Es entstand das Soldrittertum. Wie gering allerdings die Geldmengen zu Anfang noch immer waren, läßt sich daran erkennen, daß das Soldrittertum nicht etwa in den Gegenden aufkam, in denen Gold und Silber gefunden wurden, sondern dort, wo das Geld durch Handel zusammenfloß, nämlich im England des 12. Jahr­hunderts. 

Doch breitete sich das Soldritterwesen sehr schnell in Deutschland, Frankreich und Italien aus. Der von 1170 bis etwa 1220 lebende Wolfram von Eschenbach preist in seinem »Willehalm«, in dem die Aushebung eines mittelalterlichen Heeres geschildert wird, bereits die Vorzüge des Soldritters gegenüber dem Lehnsritter, weil ersterer beim Heer bliebe, während letzterer nach Ablauf von vierzig Tagen einfach wieder nach Hause zöge. Diese Zeitspanne hatte sich allmählich als Gewohnheit bei der Heeresfolge ausgeprägt. Nur ganz mächtige Fürsten vermochten längere Zeiten durchzusetzen. Im eigenwilligen Verlassen des Heeres nach dieser Zeit lag sehr oft der Grund für das Mißlingen eines Feldzugs, trotz der Siege auf dem Schlachtfeld. Um so mehr muß es als eine bedeutende Leistung betrachtet werden, ein paar tausend Ritter ins Feld zu stellen.

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Der vermehrte Geldumlauf erlaubte es auch, dem Ritter Hilfswaffen zur Seite zu geben. Sie bestanden in erster Linie aus leichten Reitern und berittenen Bogenschützen, den Turkopolen, deren Wert man in den Kreuzzügen schätzen gelernt hatte, sowie aus den Fußknechten mit Bogen, Armbrust, Stich- und Hiebwaffen. Allerdings, das muß betont werden, war der Einsatz leichter Reiter und berittener Bogenschützen nur von beschränktem Wert, da sie mit ihren nicht weittragenden Waffen nur ganz kurze Zeit auf die schwergepanzerten Ritter wirken konnten - die inzwischen auch die Kerntruppen der Mohammedaner bildeten. Auf den Nahkampf durften sich die leichten Reiter und Bogenschützen auf keinen Fall einlassen.

Der Fußknecht dagegen vermochte gegen Ritter nur etwas auszurichten, wenn er im Verband kämpfte, und das vermochten mittelalterliche Fußknechte mangels Übung nicht. Wenn in Schilderungen über die Schlachten der Kreuzzüge manchmal die Vorstellung entsteht, es wären Gewalthaufen aus Fußkriegern eingesetzt worden, so täuscht der Eindruck. Es handelt sich dabei immer um Ritter, die ihre Pferde verloren hatten und deshalb notgedrungen zu Fuß kämpften. Im ganzen Mittelalter heißt es im Gegensatz zur Antike: »Einhundert Reiter sind so viel wie eintausend Fußknechte.« Zwar erhöhte sich die Zahl der Hilfstruppen ständig, doch ist damit nichts über ihren etwa steigenden Wert ausgesagt. Bei den vielen Fehden der damaligen Zeit war dies einfach ein Zeichen von Geldmangel bei den kriegführenden Parteien. Man mußte sich mit einem Ersatz zufriedengeben, war sich aber immer bewußt, daß der Einsatz ritterlicher Truppen besser gewesen wäre.

Die Angehörigen der sog. Hilfswaffen entstammten drei verschiedenen Bevölkerungsschichten. Zunächst gingen sie aus dem älteren Rittertum hervor, soweit es keinen Grundbesitz erwerben und damit seine Lebensbedingungen nicht verbessern konnte. Weil sie die hohen Kosten für die neue ritterliche Fechtweise nicht aufbringen konnten, wurden sie leichte Reiter, Schützen oder Spießer. Ein anderer Teil ging aus dem, zu immer größerer Selbständigkeit gelangenden Stadtbürgertum hervor. Für Bauern kam bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein der Soldatenberuf nicht in Frage, weil die Bauern fast ausnahmslos Hörige waren und nach wie vor nur Freie Krieger sein durften, soweit Unfreie nicht Ministerialen geworden waren. Der dritte Teil der Angehörigen bestand aus den ehemaligen Reitknechten der alten Ritter.

Seit dem 12. Jahrhundert haben wir damit ein höheres und ein niederes Kriegertum oder, wie der Ausdruck der Zeit lautet, »Ritter und Knechte«. Der erstere wird dabei zum Vorbild des letzteren, der diesem in allen Dingen nachzuleben versucht.

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So wirken die hohen Ideale des Rittertums auch auf den niederen Kriegsknecht, der zunächst doch in der Hauptsache der Beute wegen ins Feld gezogen war.

Da die Hilfswaffen eine ganz unbedeutende Rolle spielten, kommt es hier darauf an, vor allem den Einsatz der ritterlichen Reiter im Gefecht zu beschreiben. Von der Ungarnschlacht des Jahres 933 wird berichtet, daß König Heinrich i. seinen Sachsen verboten habe, beim Anreiten gegen den Feind nach vorn auszubrechen. Das gleiche hören wir vom byzantinischen Kaiser Leo in seiner » Taktik «, bei arabischen Militärschriftstellern und in der Regel des Templerordens. Im Grunde genommen handelt es sich dabei nur um das Einschärfen einer selbstverständlichen Vorschrift. Kein Heer kann ohne Ordnung und ohne Gliederung nach Abteilungen an den Feind gebracht werden. Auch gewisse Erfahrungsgrundsätze muß es dafür geben.

Rittertum, bei dem alles auf die Persönlichkeit, die persönliche Ehre, den persönlichen Ruhm und die persönliche Tapferkeit gegründet war, steht aber geradezu in einem Gegensatz zur militärischen Disziplin, in der der Einzelne allein im Sinne des Ganzen zu handeln und ihm seine persönlichen Belange, und mögen sie noch so edel begründet sein, unterzuordnen hat. 

Es war daher außerordentlich schwer, Ritter beim Angriff zusammenzuhalten und die Tapfersten am Vorpreschen zu hindern, um so mehr, als gerade die Ritterepen den, dem Heer voraus in den Feind einbrechenden Helden mit den höchsten Worten priesen. Was aber poetisch ist, muß taktisch noch lange nicht richtig sein. Die historischen Quellen rühmen daher ein Heer, das in guter Ordnung an den Feind kommt, und tadeln dasjenige, das seiner mangelhaften Ordnung wegen die eigene Niederlage verschuldet.

Mangelnde Disziplin und die schwere Ausrüstung der Ritter machten Attacken im Sinne der Schlachten­kavallerie der Neuzeit vollkommen unmöglich. Ritter griffen nicht in Karriere und im Schock an, sondern eher langsam, den Kräften der Pferde angemessen. Es versteht sich auch von selbst, daß die für Ritter einzig geeignete Angriffsformation die Linie war. Ein Zusammenprall im tiefen Haufen, der durch seinen Druck wirkt, wäre unsinnig gewesen, weil Pferde, die hinten gehen, keinen Druck auf die vorne Reitenden auszuüben vermögen. Ritterheere griffen deshalb beim Zusammenprall in Linearformation an.

Anders sah es dagegen beim Aufmarsch zur Schlacht aus. Hier kannte man sowohl die Linie als auch die Kolonne, die z.T. recht tief und mit Abständen zwischen den einzelnen Abteilungen versehen war. Zuweilen hat auch das Gelände ein Ritterheer zur Kolonne gezwungen, wenn der Aufmarsch in ganzer Breite nicht möglich war oder eine Linearformation Schwenkungen hätte durchführen müssen, wie sie die Ritter aufgrund der fehlenden Verbandsausbildung nicht beherrschten.

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Traf ein in Kolonne aufmarschierendes Heer auf ein linear formiertes, so bedeutete die Unterlegenheit in der Gefechtsbereitschaft nicht so unbedingt einen taktischen Nachteil, wie das heute der Fall wäre. Die Bewegungen waren allesamt langsam, und fast immer fand sich noch Zeit, um die in der Kolonne hinten­stehenden Glieder nach vorne rechts und links herauszuziehen, so daß der ungefähr gleichzeitige Zusammenprall in Linie zum Massenturnier gewährleistet war. Da aber undisziplinierte Heere sich in der tiefen Kolonne leichter bewegen lassen als in der Linie, wurde meist sogar die Kolonne vorgezogen, obwohl die Linie theoretisch den Vorteil höherer Gefechtsbereitschaft versprach.

Sollten Fußknechte die Ritter unterstützen, so gingen sie diesen meist voraus. Dann mußten aber die Ritter in breiter und dünner Linie aufmarschieren, damit sich die Knechte kurz vor dem Zusammenprall durch die Ritter hindurch nach hinten zurückziehen konnten. Beim Anreiten in Kolonne waren Fußknechte fehl am Platz, weil die Lücken in den vorderen Gliedern durch die von hinten aufschließenden Ritter geschlossen wurden. Auch an den Flügeln kam dann ein Einsatz nicht in Frage, weil die hintersten Glieder der Ritter nach dort aufmarschierten. Knechte hätten hier mehr Verwirrung angerichtet als Nutzen gebracht.

Ein ehrenvolles Ringen gab es bei den Ritterheeren sehr oft um den sog. Vorstreit, den in Deutschland von alters her die Schwaben für sich beanspruchten. Den Vorstreit führte die zuerst an den Feind gelangende Abteilung. Ihr Kampf brachte sehr häufig schon die Entscheidung, weil dadurch die Kräfteverhältnisse deutlich wurden und der zahlenmäßig Unterlegene daraufhin zumeist den Rückzug antrat. Fiel die Entscheidung aber schon im Vorstreit, so erlangten im Fall eines Sieges allein die Ritter dieser Abteilung den Ruhm. Das Ringen um den Vorstreit ist damit durchaus verständlich. Wie es einen Vorstreit gab, so kannte man in der Ritterschaft auch eine Reserve, die aber dem Sinn nach höchstens mit einer modernen Staffel verglichen werden darf. Ihr Einsatz erfolgte nicht da, wo sich die Entscheidung anzubahnen begann, sondern eher an jenen Stellen, die sich im Massenturnier als zu dünn erwiesen. Ihr Einsatz war daher auch die letzte mögliche Führungsmaßnahme des mittelalterlichen Feldherrn.

Die Trosse der mittelalterlichen Heere waren ungeheuer lang, obwohl sie doch nur unverderbliche Lebens­mittel, Ersatzwaffen und Ersatzausrüstungsstücke zu transportieren hatten. Außerdem folgten viele Frauen ihren Männern ins Feld. Sie waren vor allem für deren Versorgung und sanitätsdienstliche Betreuung verantwortlich. Da die Frauen ihre Kinder meist nicht allein zu Hause lassen konnten, nahmen sie auch diese ins Feld mit. Besonders schlimm wirkte sich das in den Kreuzzügen aus, denen besonders viele Dirnen folgten, weil sie sich ein gutes Geschäft und reiche Beute versprachen.

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 Diese Erscheinung wurde vor allem von den christlichen Priestern, die an den Kreuzzügen teilnahmen, gegeißelt, aber auch von den mohammedanischen Schriftstellern, die deswegen die »Franken« mit ihrer niedrigen Moral verachteten. Die Dirnen erhöhten noch die Zuchtlosigkeit in einem Heer, das schon an sich nur geringe Disziplin bewahrte.

In der Schlacht befahl der Heerführer, wo die einzelnen Banner aufzustellen waren, d.h. wo die verschiedenen Abteilungen zu kämpfen hatten. Nachdem er auch die Reserve eingesetzt hatte, warf er sich selbst ins dickste Gewühl des Gefechts und kämpfte als Vorbild seines Heeres. Zu führen gab es dann nichts mehr. Manchmal wurden die Abteilungen auch nicht auf Befehl des Heerführers, sondern durch Verabredung der Unterführer eingesetzt.

Mag die Taktik der Ritterschaft auch primitiv anmuten — manche Historiker haben es überhaupt abgelehnt, in Verbindung mit Ritterheeren von Taktik zu sprechen —, so sind die Leistungen ritterlicher Heere doch über jeden Zweifel erhaben. Nicht umsonst sind die großen Gestalten unserer Heldensagen, die noch heute jeden zu begeistern vermögen und unveräußerliche Vorbilder darstellen, in die Eisenpanzer der Ritter gekleidet, obwohl ihre historischen Urbilder oft in viel fernere Zeiten zurückreichen. Übertroffen werden aber ihre Heldentaten, wie schon eingangs dieses Kapitels gesagt, noch von den sittlichen Werten, die diese Männer für alle Zeiten geschaffen haben.

Wir haben an der Taktik der Ritterschaft gesehen, daß ihr eigentlich nur eine einzige Gefechtsart bekannt war, nämlich der Angriff, den beide Parteien beim Zusammenprall führten. Der Grund dafür ist leicht einzusehen. Er liegt in der Ausrüstung und der dadurch bedingten Fechtweise des einzelnen Ritters. Zur Abwehr eigneten sich ritterliche Heere überhaupt nicht. Wurden in ganz seltenen Fällen Ritter einmal zur zeitlich begrenzten Verteidigung eingesetzt, so stützten sie sich auf ein Geländehindernis und saßen zum Kampf ab. Sie verstärkten dann das Fußvolk und gaben ihm Rückhalt. Sie mußten aber von der Reiterei wieder entlastet werden, wie das in der Schlacht von Legnano 1176 der Fall war.

Naturgemäß griffen Ritter zu Pferd an. Nur für einen einzigen Fall ist das angriffsweise Vorgehen von Rittern zu Fuß belegt. Als im Jahr 1080 König Heinrich iv. in der Gegend von Zeitz an der Elster eine der üblichen Reiterschlachten gegen den Gegenkönig Rudolf schlug, ergab sich die äußerst ungewöhnliche Situation, daß der Vertreter Rudolfs, Otto von Nordheim, sich gezwungen sah, mit seinen abgesessenen Rittern einen Sumpf zu überqueren, an den Heinrichs Heer angelehnt war.

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Der Sumpf war für Reiter ungangbar, nicht aber für Fußvolk. Als Otto von Nordheim nach Überwindung des Sumpfes überraschend in die Flanke der königlichen Truppen stieß, entschied er damit die Schlacht zugunsten Rudolfs.

Das war jedoch eine sehr seltene Ausnahme, denn Ritter vermochten in ihrer schweren Ausrüstung ja nur kurze Bewegungen zu Fuß durchzuführen und scheuten deshalb das Absitzen. Es ist nun nicht verwunderlich, daß diese Schwäche ritterlicher Heere erkannt und für die Zwecke der Kriegsführung ausgenutzt wurde. Überall im Land wuchs die Zahl der Burgen, und bald gab es keine Stadt mehr, die nicht ihre Befestigung hatte. Die meisten Städte waren sowieso schon aus ehemaligen Burgen oder Pfalzen hervorgegangen. Seit der Zeit der Sachsenkönige wurden Befestigungen und befestigte Städte fast durchweg auf Höhen angelegt, um ihre Abwehrkraft zu stärken. Trotz der Belagerungsmaschinen, die auch das Mittelalter kannte, eigneten sich Ritterheere für den Angriff auf befestigte Plätze sehr schlecht. Selbst ein Kaiser wie Friedrich Barbarossa brauchte über ein halbes Jahr, um das kleine italienische Städtchen Crema zu bezwingen (1160).

So war es nur natürlich, daß auf strategischer Ebene in dieser Zeit die Rolle der Defensive immer bedeutsamer wurde. In offener Feldschlacht besiegte Heere zogen sich in die befestigten Plätze zurück und vermochten so nur zu oft, ihre Niederlage wettzumachen, wenn sie so lange aushielten, bis das Lehnsheer des Belagerers auseinanderlief oder dem belagernden Heerführer das Geld zur Bezahlung seiner Soldritter ausging. Auch der Zusammenbruch der Versorgung, der jahreszeitlich bedingt sein konnte, oder verheerende Krankheiten zwangen nicht selten den Belagerer zum Abzug.

Die mittelalterliche Strategie durfte sich daher viel weniger auf die Auseinandersetzung mit Waffen verlassen, als das zu anderen Zeiten der Fall war. Tatsächlich sind trotz der ständigen Feldzüge Schlachten recht selten. Die Strategie mußte sich also zur Erreichung ihrer politischen Ziele mehr auf die wirtschaftliche Schädigung des Feindes richten als auf die Vernichtung seiner Streitkräfte, zumal die Verfolgung nach einer gewonnenen Schlacht mit den damaligen Mitteln so gut wie unmöglich war. Doch selbst die wirtschaftliche Vernichtung war bei den technischen Möglichkeiten zur Durchführung einer Blockade lediglich bei einzelnen Rittern oder kleinen Städten möglich. Bei mächtigen und reichen Gegnern kam es daher meist zum Nachgeben einer der beiden Parteien, die aber deswegen noch weit davon entfernt war, in ihrem Lebensnerv getroffen zu sein. So ist es z.B. den deutschen Kaisern niemals gelungen, Italien vollkommen in ihre Hand zu bekommen.

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Dazu trug allerdings auch bei, daß die Städte und die großen Herren recht oft die Partei wechselten oder abzogen, bevor der Feldzug beendet war. Bei den außerordentlich kleinen Heeren konnte schon der Abzug von zweihundert Rittern aus dem kaiserlichen Heer eine große Rolle spielen.

Umgekehrt war es bei richtiger Ausnutzung der Defensivkraft jedoch auch möglich, daß sehr kleine Heere ganze Länder eroberten, wenn ihnen die nötige Zeit zum Bau von festen Plätzen zur Verfügung stand. Ein typisches Beispiel dafür ist die Eroberung des deutschen Ostens durch den Deutschritterorden. Diesem Orden gelang es, durch planmäßigen Burgenbau in Ost- und Westpreußen in langjähriger Eroberung das Land in seine Gewalt zu bekommen. Er brauchte dazu 53 Jahre. Auch im Heiligen Land vermochten sich die Kreuzritter nur deswegen so lange zu halten, weil sie feste Plätze besaßen, die sie z.T. den Sarazenen abgenommen und z.T. selbst angelegt hatten.

Zu beiden Leistungen waren jedoch allein die Ritterorden fähig. Lehnsheere, die nur für die Dauer eines Feldzugs einigermaßen zusammenhielten, eigneten sich dazu nicht. Bei letzteren bedurfte es sogar, wie die Quellen immer wieder belegen, einer gegenseitigen Absprache zur Schlacht. Oftmals war also nicht der Wille des Heerführers, sondern der des Heeres für das Zustandekommen der Schlacht ausschlaggebend. Dabei spielte die Vorstellung von der Schlacht als Gottesurteil nach wie vor eine ausschlaggebende Rolle. Eines der eklatantesten Beispiele hierfür ist die Schlacht bei Andernach am 2. Oktober 939. 

Nachdem bereits der Halbbruder König Ottos I., Thankmar, rebelliert hatte, schloß sich ihm nun noch sein jüngerer Bruder Heinrich an, weil er, obwohl in aula regali geboren, von der Thronfolge ausgeschlossen war. Er trat 939 an die Spitze eines von den Herzögen Eberhard von Franken und Giselbert von Lothringen sowie von Erzbischof Friedrich von Mainz und mehreren Bischöfen breit unterstützten und daher außerordentlich gefährlichen zweiten Aufstands. Während Otto der Grosse selbst Breisach belagerte, wurden die Empörer von den königstreuen Konradinem, Herzog Hermann von Schwaben, Graf Udo und Graf Konrad Kurzbold, bei Andernach vernichtend geschlagen. Eberhard fiel im Kampf, Giselbert ertrank auf der Flucht im Rhein, Heinrich unterwarf sich und wurde begnadigt. Sowohl die Königstreuen als auch die Empörer erkannten diesen Ausgang der Schlacht als unumstößliches Gottesurteil an.

Bei den Ritterorden verhielt es sich dagegen anders. Bei ihnen war der Wille des Heerführers ausschlag­gebend. Ihre Mitglieder hatten sich ihren Orden in mönchischer Lebensweise zur Ausbreitung des Christentums bis zu ihrem Tod verpflichtet. Wenn die Kreuzfahrerheere im Osten oder in Palästina wieder abzogen, so blieben sie weiterhin im Land und erfüllten ihre missionarischen und kriegerischen Aufgaben.

Durch die Kreuzfahrerheere erhielten sie lediglich den Anstoß zu weiteren Eroberungen und zum Festsetzen im eingenommenen Gebiet. Die Ausdehnung ihres Reiches fiel daher mit einem neuen Zustrom von Kreuzfahrern zusammen.

Ein Berufsstand wie der der Ritter, der seine einzige Lebensaufgabe im Kriegführen sah und keineswegs allein zur Verteidigung erzogen worden war, nutzte natürlich jede Gelegenheit, persönliche Kränkungen der Ehre, auf die er so stolz war, mit dem Schwert zu rächen. Diese Fehden zwischen den einzelnen Rittern nahmen derart überhand, daß der Klerus bereits im Jahr 1040 den Gottesfrieden, die »Pax Dei«, verkündete. Ein Waffenstillstand Gottes, die »Treuga Dei«, gebot Waffenruhe von Mittwoch abend bis Montag morgen sowie an allen Festtagen. Leider wurden diese Bestimmungen nur anfänglich und auch nicht immer eingehalten.

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