Kreuzzüge
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Das entscheidende Ereignis, das eine Wandlung in der Auffassung des mittelalterlichen Menschen dem Krieg als solchem gegenüber bewirkte, war das Erlebnis der Kreuzzüge. Etwa seit dem 9. Jahrhundert sah sich die Christenheit ständig Angriffen heidnischer Völker ausgesetzt. Die Wikinger verheerten die Küsten Nord- und Westeuropas und drangen bis tief ins Binnenland vor, die Ungarn verwüsteten von Pannonien aus weite Teile Mitteleuropas und auch Frankreichs, die Araber beherrschten das Mittelmeer und zeigten sich in Spanien und in Italien außerordentlich aggressiv.
Ziel vieler Überfälle war der kirchliche Besitz, wo es naturgemäß für die damalige Zeit am meisten zu plündern gab. Während noch Hrabanus Maurus, der Prior des Klosters Fulda, mit großer Überzeugungskraft und Eindringlichkeit die Meinung vertreten hatte, daß auch Totschlag im Krieg eine Sünde sei und der Sühne bedürfe, und sogar Papst Nikolaus I. um 860 jeglichen Krieg für Teufelswerk erklärte, hatten andere Päpste bereits vor ihm nicht nur den Krieg gegen die Heiden propagiert, sondern auch geführt, wie etwa Leo IV., der an der Spitze eines Heeres gegen die in der Tibermündung gelandeten Sarazenen zu Feld gezogen war.
Im Gegensatz zu Hrabanus Maurus und Nikolaus I. stellte er allen Verteidigern des christlichen Glaubens, die im Kampf fielen, himmlischen Lohn in Aussicht, und gegen Ende des 9.Jahrhunderts versprach Johannes VIII. den im Krieg gegen Sarazenen und Normannen Gefallenen den Märtyrerrang und die Vergebung aller Sünden.
Die gefährlichsten aller Feinde der Christenheit waren zweifellos die Sarazenen, die nicht nur raubend und plündernd in die christlichen Länder Südeuropas einfielen, sondern sich, wie das Beispiel Spanien gezeigt hatte, dann auch festsetzten und versuchten, mit oder ohne Gewalt die dort wohnenden Christen zum Islam zu bekehren. Über die Eroberung der Iberischen Halbinsel wurde schon berichtet.
Im Lauf des 9. Jahrhunderts sah sich vor allem Italien heftigen Angriffen ausgesetzt. Die Sarazenen eroberten Korsika und Sardinien, landeten auf Sizilien, nahmen Bari und Messina, und um die Mitte des Jahrhunderts versuchten muselmanische Heere Rom einzunehmen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts plünderten sie die Campagna und ließen 884 das Kloster Monte Cassino in Flammen aufgehen.
Aber die Araber waren, wie schon angedeutet, nicht nur wilde, blutrünstige und alles zerstörende Eroberer. Aus dem Syrischen, Griechischen, Persischen und Indischen hatten sie bedeutende Werke übersetzt, darunter diejenigen des Hippokrates und des Galen über Medizin, die Werke der Philosophie des Platon, Aristoteles und Plotin und unzählige Arbeiten auf dem Gebiet der Mathematik und Astronomie. Gelehrtenakademien in Bagdad, Palermo, Syrakus und Cordoba errangen innerhalb der mittelalterlichen Wissenschaft hohen Rang; z.T. standen diese Schulen sogar den Christen offen.
Und die Vermittlung der arabischen Zahlen, die in Wirklichkeit indische Ziffern sind, machte erst das moderne praktische und theoretische Rechnen möglich. Die Berührung der westlichen Ritter auf den Kreuzzügen mit dem Islam und dessen hoher Kultur führte zu einem gewaltigen Anstoß für die Kultur der neuen Zeit in Europa. Die Gefahr für den Westen bestand nur darin, daß der Arabismus den Weg zum Verständnis des Christus völlig verschüttete.
Religiös stark motiviert, kämpften die Sarazenen mit kaum zu beschreibender Grausamkeit, wie das bei Religionskriegen üblich ist. Einzelne Beispiele von ritterlichem Verhalten, vor allem unter Sultan Saladin, können diesen Eindruck nicht ganz verwischen. Allerdings standen ihnen ihre christlichen Gegner darin kaum nach. Diese fürchterlichen Ausschreitungen auf beiden Seiten steigerten sich noch, als nicht mehr die Araber, sondern die osmanischen Seldschuken die Führung der sarazenischen Heere übernahmen und die Masse der Krieger stellten. Ein besonders trübes Kapitel der Kreuzzugsgeschichte auf islamischer Seite leitete der Geheimbund der Assassinen ein, der, vom Alten vom Berge geleitet, und durch das Rauchen von Haschisch gezwungen, zu einer wahren Mörderbande in der Hand jenes Alten vom Berge wurde, dessen Angriffe sich allerdings auch gegen unbequeme islamische Führer richteten.
Wie kam es aber von christlicher Seite aus zur Kreuzzugsidee?
Waren bisher die Sarazenen die Angreifer gewesen, was bewog nun die Christenheit dazu, ihrerseits zum Angriff überzugehen?
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Schon im 9. und 10. Jahrhundert zogen immer wieder Pilger, die in der Masse zwar den gehobenen Ständen, z.T. aber auch den ärmeren angehörten, nach Jerusalem, um dort am Grab des Heilands zu beten und um Vergebung ihrer Sünden zu bitten, einzelne auch, um dort an geheiligter Stätte zu sterben. Die Pilgerfahrt nach Jerusalem war im allgemeinen nicht gefahrloser als andere Pilgerfahrten zur damaligen Zeit auch, aber wie ein Dorn im Herzen quälte es die christlichen Pilger, daß sich das Heilige Grab in der Hand der Ungläubigen befand. Der Ruf nach einer Befreiung des Heiligen Grabes wurde in Europa immer lauter, zumal ihn Bettelmönche in ihren Predigten immer mehr verbreiteten.
Ein schlimmer Nebeneffekt dieses Rufes nach Befreiung des Heiligen Grabes waren die Judenverfolgungen, die daraufhin in England, Frankreich, Deutschland und Italien ausbrachen, obwohl ihre Gründe rein wirtschaftlicher Natur waren. Allerdings gab es auch Männer, die sich gegen diese Judenverfolgungen wandten, zu denen keine geringeren als Kaiser Heinrich IV. , der den Juden in Deutschland einen Freiheitsbrief ausstellte, und Bernhard von Clairvaux gehörten.
Die im 11. Jahrhundert herrschende Kreuzzugsstimmung machte sich auch Papst Gregor VII. (1073-1085) zunutze, der im Jahr 1074 an Kaiser Heinrich IV. schrieb, die Heidenvölker bedrängten das Imperium von Byzanz und metzelten die dort lebenden Glaubensbrüder zu Tausenden nieder. Er teilte dem Kaiser mit, er selbst treffe Vorbereitungen, um den Oströmern zu helfen, und rufe die abendländische Christenheit auf, das gleiche zu tun. Angeblich hätten sich italienische Ritter und auch solche, die jenseits der Alpen wohnten, bereit erklärt, mit bewaffneter Faust gegen die Feinde Gottes vorzugehen und das Grab des Herrn von den Ungläubigen zu befreien. Dann aber fügte Gregor hinzu: »Das aber stachelt mich in besonderem Maße zu diesem Werke an, daß die Kirche von Konstantinopel, die in der Frage des Heiligen Geistes mit uns in Glaubensspaltung lebt, sich nach Einigkeit mit dem Sitz des Apostels sehnt.«19'
Gregor VII. verfolgte also das Ziel, die Glaubensspaltung mit sanfter Gewalt zu überwinden und Byzanz zu zwingen, in den Schoß der römischen Kirche zurückzukehren. Dieser Kreuzzugsplan Gregors VII. wurde nie verwirklicht und sein Ziel auch nie erreicht. Aber es geht daraus ganz eindeutig hervor, daß die römische Kirche noch ganz andere Absichten verfolgte als nur die Befreiung des Heiligen Grabes von den Ungläubigen.
War Gregor vii. der Papst, der die politischen Richtlinien für die Kreuzzüge einmal grundsätzlich aufgestellt hatte, so wurde sein Nachfolger Urban n. derjenige, der sie in die Praxis umsetzte. Am 18. November 1095 war das Konzil von Clermont nach einem feierlichen Gottesdienst zusammengetreten.
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Eine öffentliche Kundgebung auf freiem Feld vor der Stadt sollte es beenden. Dazu hatte sich eine riesige Menschenmenge aus allen Ständen eingefunden. Hier hielt Urban II., der Sproß eines alten Grafengeschlechts aus der Champagne, seine Kreuzzugsrede. Vier Versionen dieses berühmten Aufrufes, die etwa ein Jahrzehnt später niedergeschrieben wurden, sind uns überliefert. Der Papst, ein glänzender und mitreißender Redner, von mächtiger Gestalt, hinter dem die ganze Autorität seines alten Grafengeschlechts stand, begann zunächst mit der Klage über die schweren Bedrängnisse und Bedrückungen der Christen im Heiligen Land. Mit all der ihm zu Gebot stehenden Beredsamkeit schilderte er die schrecklichen Überfälle auf die frommen Pilger im Heiligen Land, die Schändung der christlichen Kirchen dort, die die Mohammedaner in Moscheen umgewandelt hatten, und rief dann die katholische Geistlichkeit auf, ihren Teil dazu beizutragen, daß den in Not und Bedrängnis geratenen Glaubensbrüdern geholfen werde.
Der wichtigste Teil seiner Rede aber richtete sich an die französische Ritterschaft, die er an ihre großen Taten unter Kaiser Karl dem Grossen erinnerte, als sie so mutig und erfolgreich gegen die Mohammedaner in Spanien zu Feld gezogen war. Nun sollte sie sich erheben, um Glauben und Freiheit kämpfen, die überseeischen Christen von ihren Drangsalen befreien und das »gemeine Gezücht der Araber und Türken« aus dem Heiligen Land verjagen. Diesem Aufruf schloß sich die Versicherung an, daß die Kirche jedem Teilnehmer an diesem Kreuzzug Vergebung seiner Sünden zusichere und dieser, falls er fiele, die ewige Seligkeit gewänne. In seinen Schlußworten gebot er Frieden unter den Gläubigen und die Zusammenfassung aller Kräfte gegen die Heiden.
»Was soll ich all dem noch hinzufügen?« rief Urban zum Schluß aus, »auf der einen Seite werden die Elenden sein, auf der anderen die wahrhaft Reichen. Dort die Feinde Gottes, hier seine Freunde. Verpflichtet euch, ohne zu zögern! Mögen die Krieger ihre Angelegenheiten ordnen und aufbringen, was nötig ist, um ihre Ausgaben bestreiten zu können. Wenn der Winter endet und der Frühling kommt, sollen sie fröhlich sich auf den Weg machen — unter der Führung des Herrn.«192
Die Wirkung dieser Rede muß unvorstellbar gewesen sein.
Zuerst traten adlige Geistliche vor, ihnen folgten Ritter und Große des Reiches, bereit, das Kreuz auf sich zu nehmen, und in den Ruf ausbrechend: Dieus 1e veult — »Gott will es «. Wie durch ein Wunder erschienen zur gleichen Zeit Mönche mit leuchtendroten Kreuzen, die diejenigen sich an ihre Kleider hefteten, die sich am Kampf um das Heilige Grab, den Urban ausdrücklich als Ziel genannt hatte, beteiligen wollten.
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Hatte der Kreuzzugsgedanke zunächst die provenzalische, normannische und lothringische Ritterschaft ergriffen, so breitete er sich, überall in Europa von begeisterten Menschen aufgenommen, mit Windeseile aus. Die ersten, die ihn in die Tat umsetzten, waren jedoch nicht die kriegsgewohnten Ritter, denen schließlich im Jahr 1099, am 14. Juli, die Eroberung der Heiligen Stadt unter Gottfried von Bouillon gelingen sollte.
Das erste Pilgerheer sammelte sich, von den fanatischen Predigten des Einsiedlers Peter von Amiens und seinen geistlichen Mitstreitern aufgerufen, in Mittel- und Ostfrankreich ab November 1095; Bauern, Händler, Strauchdiebe, Ausgestoßene, Frauen, Dirnen, Kinder, Bettler und Krüppel zogen in Lumpen gehüllt nach Deutschland. Dort traf diese »merkwürdigste Armee der Welt« am 12. April 1096 in Köln ein. Peter muß schließlich froh gewesen sein, daß sich ihm in Frankreich und in Deutschland einige Ritter anschlossen, die aber leider auch nur als Strauchdiebe und Raufbolde bekannt waren. Dennoch hatten sie wenigstens einige Erfahrung in der Menschenführung und vor allem im Kämpfen. Am 20. April des gleichen Jahres brach diese Lumpenarmee bereits ins Heilige Land auf. Am 1. August erreichte sie Konstantinopel und setzte über den Bosporus. Wie aber nicht anders zu erwarten, so wurde diese Armee bei Civetot am 21. Oktober vollständig vernichtet (Pörtner).
Dennoch sollte man nicht über ein Unternehmen die Nase rümpfen, das jedem nüchternen Betrachter als Wahnsinnstat erscheinen muß. Gewiß erhofften sich viele der Teilnehmer an diesem Peter-Kreuzzug Befreiung aus den unwürdigen sozialen Zuständen, unter denen sie in der Heimat gelebt hatten; viele hofften auch auf Beute und Bereicherung, was damals und auch später noch Motivation so manchen Kriegszugs war. Sicher aber ist auch, daß sie gläubigen Herzens und mit großer Inbrunst an einem Feldzug teilnahmen, den sie als Pilgerfahrt ansahen und bei dem sie Tod und, wie sie glaubten, Vergebung ihrer Sünden erlangten. Darüber hinaus wird nicht wenige das schreckliche Schicksal der orientalischen Sklaverei getroffen haben.
Von ganz anderer Art als Peter der Eremit war der größte aller Kreuzzugsprediger, der etwa fünfzig Jahre später lebte, Bernhard von Clairvaux.
Als Sohn eines Schloßherrn in der Nähe von Dijon geboren, trat er mit 22 Jahren zusammen mit etwa dreißig anderen jungen Adligen in das Kloster Citeaux ein. Drei Jahre später schon gründete er das Kloster Clairvaux. Dort sollten noch zu Bernhards Zeiten etwa 700 Mönche leben, und von Portugal bis Dänemark, von Irland bis Italien entstanden 167 Tochterklöster von Clairvaux.
Das zeigt, daß Bernhard es verstand, Menschenmassen aufzurütteln und zu führen. Eine Mischung aus Ehrlichkeit, Realismus und Schwärmerei, die aus allen seinen Gedanken spricht, kennzeichnet auch den Höhepunkt seiner öffentlichen Wirksamkeit. Es war die Predigt zum Zweiten Kreuzzug, zu dem er die vornehmsten und höchsten Persönlichkeiten des christlichen Abendlandes zu bewegen verstand.
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Diese berühmte Osterpredigt von Vézelay im Jahr 1146, die er vor König Ludwig VII. von Frankreich und seinem Hofe hielt, wirkte für die damalige Zeit geradezu Wunder. Noch im gleichen Jahr reiste er nach Deutschland, obwohl er die deutsche Sprache nicht beherrschte. Ein so großer Ruf war ihm vorausgegangen, daß die Menschen in Massen zu seinen Predigten eilten und es ihm zu Weihnachten in Speyer gelang, den Stauferkönig Konrad III. zu veranlassen, das Kreuz zu nehmen.
»Städte und Burgen stehen leer« — mit diesen Worten meldete er das Ergebnis seiner Predigt an Papst Eugen. Obwohl schließlich weite Kreise das blutige Scheitern des Zweiten Kreuzzuges in Anatolien und vor Damaskus Bernhard persönlich zur Last legten, verlosch sein Ruhm nicht. Das schönste Denkmal setzte ihm Dante in seiner »Göttlichen Komödie«.
Mit Sicherheit war eines der wichtigsten Ziele und Motive der Kreuzfahrer die Befreiung des Heiligen Grabes und die Vergebung ihrer Sünden. Darüber hinaus lockte aber viele auch die Lust am ritterlichen Abenteuer und die Freude am Kampf, so wie es die Heldenlieder schildern. Wo gab es eine andere Möglichkeit, diese beiden Ideale des Rittertums miteinander zu verbinden, wenn nicht auf einem Kreuzzug? Das Lebensgefühl des mittelalterlichen Menschen war ganz anders, als es dasjenige des Menschen der Neuzeit ist. Im Mittelalter war das Leben kurz; das Durchschnittsalter bei den Männern überstieg kaum 35 Jahre, dasjenige der Frauen kaum 28. In dieser kurzen Zeit wollte man das Leben ganz ausschöpfen; im allgemeinen galt, daß der Gute der ewigen Seligkeit sicher sein konnte, der Böse aber der ewigen Verdammnis. Der Gute strebte daher in dieser Welt oder im Kloster nach noch größerer Vollkommenheit. Der Böse dagegen scheute sich nicht, noch mehr zu freveln, denn die Verdammnis mit ihren fürchterlichen Höllenqualen war ihm sicher. Nun aber bot sich dem aufgrund seines Lebenswandels schon so gut wie Verdammten die Möglichkeit, die als einmalig und unwiderruflich angesehen werden mußte, Vergebung seiner Sünden durch den bewaffneten Zug ins Heilige Land zu erlangen. Diese einmalige und einzigartige Gelegenheit durfte und konnte sich keiner entgehen lassen.
Daneben spielten aber auch ganz profane Gründe eine wichtige Rolle. Wer aus dem scheinbar für die Ewigkeit gefügten Sozialsystem des Mittelalters ausbrechen wollte, begab sich auf Wanderung, gleich welchem Stand er angehörte. Dieser Wanderlust, die man vorher auf den vielen Fahrten zu den näher und ferner liegenden Pilgerstätten befriedigt hatte, war nun ein Ziel und eine Richtung gegeben, dazu noch in ein Land, von dem diejenigen, die dort gewesen waren, nur Wunderdinge berichteten. Man brach auf in die Märchenwelt des Orients.
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Mit heiligem Schauder würde man, wie man hoffte, am Grab des Erlösers beten — aber auch diejenigen geheimen Freuden genießen, die an dem Zentralort des christlichen Pilgertums seit Jahrhunderten gar nicht mehr so geheim geboten wurden. Jerusalem war nämlich zu einem »Mekka der Sündenindustrie« (Pörtner) des Mittelalters geworden.
Daneben glaubten viele, vor allem die Armen, die sich der Lumpenarmee des Eremiten Peter von Amiens angeschlossen hatten, sie könnten den fürchterlichen Hungersnöten entkommen, die in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts vor allem Deutschland heimgesucht hatten. In der Folge dieser Hungersnöte waren Seuchen und Krankheiten ausgebrochen, für die es keine Heilung gab. Fürchterliche Wirkungen hatten vor allem die Alkaloide des Mutterkorns, die das sog. heilige Feuer hervorbrachten, schwere Durchblutungsstörungen mit Muskelkrämpfen, die in wenigen Tagen zu einem qualvollen Tod führten.
Andere erlebten in diesem Krankheitszustand Visionen und Halluzinationen, so daß sie sich wie »tollwütige Hunde« gebärdeten. Erst die künstliche Düngung und Unkrautbeseitigung im 19. Jahrhundert hat die aus dem Mutterkorn entstehenden Gefahren beseitigen können. Die letzte Gruppe der aus profanen Gründen an den Kreuzzügen Teilnehmenden bestand aus den zweiten und dritten Söhnen der Ritter und Bauern, die hofften, sich mit Waffengewalt ein Stück Land erobern zu können. Sicher sind dies noch nicht alle Gründe, die die Menschen bewegten, an den Kreuzzügen teilzunehmen, es wurden nur ein paar hervorstechende genannt, und sicher überwogen die profanen Gründe bei weitem nicht. Die religiösen Gründe mit der Sorge um das Seelenheil, aber auch der Wille zur Befreiung des Heiligen Grabes aus der Hand der Ungläubigen standen auf jeden Fall im Vordergrund.
Ohne im einzelnen auf den Verlauf der Kreuzzüge und die vielen Schlachten eingehen zu wollen, ist es doch nötig, sich einmal eine allgemeine Vorstellung davon zu machen, wie stark ein solches Kreuzfahrerheer war, wie es sich versorgte und wie es sich fortbewegte. Papst Urban II. hatte, als sich die ersten Kreuzfahrer in Marsch setzten — es war im Spätsommer des Jahres 1096 -, dem byzantinischen Kaiser Alexios Komnenos gemeldet, 300.000 Kreuzfahrer befänden sich auf dem Weg ins Heilige Land. Diese Zahl ist in bezug auf die Krieger bei weitem übertrieben. Wir haben ja schon gehört, daß es selbst einem Kaiser Friedrich Barbarossa, obwohl er rund hundert Jahre später lebte, nicht möglich war, zu einem einzigen Feldzug im Durchschnitt mehr als 6000-7000 Ritter aufzubringen, im Höchstfall dürften es einmal 10.000 gewesen sein. Dieses Kreuzfahrerheer bewegte sich nun in fünf Marschsäulen, z.T. zu Land, z.T. zu Wasser, nach Nicäa, wo es sich Anfang Juni 1097 vereinigte. Wenn dieses Kreuzfahrerheer insgesamt 12.000-15.000 Ritter umfaßte, so ist diese Zahl schon recht hoch gegriffen, wenn sich auch mehrere europäische Länder an dem Feldzug beteiligten.
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Doch jeder dieser Ritter mußte ja 10 bis 20 Fußknechte mitführen, die seiner Versorgung und seiner Unterstützung im Kampf dienten, obwohl sie nicht die eigentlichen Kämpfer waren. Kämpfer war allein der Ritter. Dennoch erhöht sich diese Zahl von, nehmen wir an, 15.000 dann um weitere 150.000. Diesen Massen aber schlossen sich die Trosse der Frauen, Kinder, Bettler und anderen Pilger an, so daß die Gesamtzahl des Kreuzfahrerheeres mit Troß, Weibern und Kindern durchaus an die Zahl herangekommen sein kann, die Papst Urban nannte.
Als wirkliche Soldaten und Kämpfer dürfen allerdings nur die 15.000 Ritter bezeichnet werden. Diese für das Mittelalter unvorstellbare Masse war nicht zu versorgen. So kam es schon auf dem Marsch zu fürchterlichen Ausschreitungen, die besonders durch das Eintreiben von Lebensmittel für die Menschen und die Pferde bedingt waren. Wo ein Kreuzfahrerheer selbst durch christliche Gegenden zog, wirkte es wie ein Heuschreckenschwarm, der sich auf die Getreidefelder Ägyptens stürzt. Kein Wunder, daß es auf diese Weise zu ständigen Reibereien und Tätlichkeiten mit der eingesessenen Bevölkerung kam. Erst als das Kreuzfahrerheer die Grenzen Ostroms überschritten hatte, gelang es dem noch immer mächtigen Kaiser von Byzanz, mit seinen eigenen Truppen die Kreuzfahrer einigermaßen in Schranken zu halten. Beliebt waren sie aber keinesfalls. Ist es schon schwer, ein modernes Heer, das schlecht versorgt wird, vom Rauben und Plündern abzuhalten, so traf dies für ein mittelalterliches Heer, das keine Disziplin im modernen Sinne kannte, um so mehr zu. Wer Waffen hatte, besaß die Oberhand und nahm sich, was er brauchte. Auch rein äußerlich ähnelte dieses Kreuzfahrerheer im übrigen einem Heuschreckenschwarm, denn Ritterheere ließen sich kaum in militärischer Ordnung auf dem Marsch führen, und deren Trosse und Heeresgefolge schon gar nicht.
Wieviel schlimmer aber muß es noch bei dem Zug der armen Leute ausgesehen haben, die den Bettelmönchen und Peter dem Eremiten folgten. Was sie auf ihrem Marsch an Raub und Schandtaten begingen, ist nicht zu beschreiben, obwohl Peter und seine Mönche immer wieder versuchten, die Leute im Zaum zu halten. Selbst für den Kinderkreuzzug zu Anfang des 13. Jahrhunderts trifft ähnliches zu. In keinem Fall sollte man sich hier Illusionen hingeben und sich von dem unbezweifelbar guten Willen dieser Leute oder gar von ihrer religiösen Inbrunst täuschen lassen. Die Wirklichkeit zerstört den Schleier der Illusionen.
Und noch etwas sehr Wichtiges ist aus diesen Zügen der armen Leute und der Kinder zu erkennen: Sie waren so gut wie waffenlos — für die zwölf- bis fünfzehnjährigen Kinder trifft das insbesondere zu — und wollten ohne Kampf zu der heiligen Stätte am Grab des Herrn ziehen, um es auf friedlichem Weg in die Hand der Christenheit zu bekommen. Mit Sicherheit war dies der erste »pazifistische« Versuch, dem Glaubensgegner das abzuringen, was man von ganzem Herzen und vermutlich auch mit tiefer christlicher Überzeugung zu erringen beabsichtigte.
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Wie wir gehört haben, scheiterte dieser Versuch kläglich. Tod, Elend und Sklaverei waren das Ergebnis. Wo immer auch ähnliche Versuche dann in der späteren Geschichte angestellt wurden, erlitten sie auf gleiche Weise Schiffbruch. Der einzelne Mensch kann den anderen Menschen verstehen, ihm Achtung entgegenbringen im Sinne der Nächstenliebe; bei Massen von Menschen, bei denen eine Seite sich für überlegen hält, und sei es auch nur, weil sie die Waffen besitzt, müssen solche spontanen Versuche scheitern; hier kann höchstens das überzeugend vorgebrachte und vom Friedenswillen getragene Gespräch der beiderseitigen Führer voranhelfen und zur Gewaltlosigkeit führen.
Die Träger und Förderer des Kreuzzugsgedankens waren jedoch- und wie hätte es anders sein können - bei den echten militärischen Unternehmungen der Kreuzzüge der Hochadel und die Fürsten, wenn auch bei den deutschen Kaisern zunächst eine gewisse Zurückhaltung zu beobachten ist. Aber gerade sie ziehen die Masse der anderen nach sich, einerseits aufgrund der Lehnspflicht, andererseits aber aufgrund des Vorbildes, das hier mehr galt als die Lehnspflicht. Beim Zweiten Kreuzzug, der im Mai 1147 begann und vor allem von deutschen und französischen Rittern unter ihren Königen Konrad in. und Ludwig VII. unternommen wurde, schrieb Bernhard von Clairvaux, der dazu aufgerufen hatte, an den Papst: »Ich öffnete meinen Mund und ich sprach und alsbald vermehrte sich die Zahl der Kreuzfahrer endlos. Dörfer und Städte stehen jetzt verlassen, kaum findet man auf sieben Weiber einen Mann.« Und sein Brief endet mit dem makabren Satz: »Und überall gewahrt man Witwen, deren Männer noch unter den Lebenden weilen.«193
Doch wenden wir uns, wiederum nur beispielhaft, Geschehnissen zu, die sich auf dem Ersten Kreuzzug zutrugen. Mitte Mai 1097 hatten die Kreuzfahrer einen Belagerungsring um Nicäa, die seldschukische Hauptstadt am Ostufer des Askanischen Sees nahe dem Marmara-Meer, gezogen. Byzantinische Berater und ortskundige Führer hatten sie dabei unterstützt. Schon wollten die Belagerten die Stadt übergeben, als eine Seldschukenarmee vom Süden her erschien. Voller Kampfbegier stürzten sich die Kreuzfahrer gegen einen Feind, der ihnen weder an Zahl noch an Leidenschaft unterlegen war. Sie hatten es nicht leicht bei ihrem Kampf in der brütenden Hitze und in ihren schweren Eisenpanzern. Darüber hinaus machten ihnen die Turkopolen der Seldschuken mit ihrem unaufhörlichen Pfeilregen, den sie auf die christlichen Ritter abschossen, schwer zu schaffen. Doch im Kampf Mann gegen Mann überwogen die Tapferkeit, Härte, Ausdauer und auch bessere Bewaffnung der abendländischen Ritter. Ihr unwiderstehlicher Anritt warf die Türken in die Berge zurück. Soweit glich diese Schlacht jedem Zusammentreffen zwischen europäischen und nichteuropäischen Heeren der damaligen Zeit, wenn die Kräfteverhältnisse einigermaßen ausgewogen waren.
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Dann aber geschah Entsetzliches. In der großen Beute, die die Kreuzfahrer machten, fanden sie auch einen Wagen mit Stricken, mit denen die Seldschuken beabsichtigt hatten, ihre Gefangenen zu fesseln, auf die Sklavenmärkte zu schleppen und dort zu verkaufen. Die erbosten Ritter hieben daraufhin den Gefangenen die Köpfe ab und warfen sie über die Mauern von Nicäa, um die Belagerten zur Übergabe zu bewegen. Tausend weitere Türkenköpfe schickten sie als Siegeszeichen dem Kaiser nach Byzanz. Der Kampf endete mit der schließlichen Übergabe der Stadt, nachdem man ihre Zufuhrmöglichkeiten über den Askanischen See abgeschnitten hatte. Leider wiederholten sich die Grausamkeiten der Schlacht bei Nicäa während aller Kreuzzüge immer wieder; dabei stand keine Seite der anderen an Grausamkeit und Hinterlist nach.
Als kurze Zeit später wiederum ein türkisches Heer sich bei Heraklea den Kreuzfahrern entgegenstellte, griffen diese es mit solch unwiderstehlichem Schwung an, daß es von Entsetzen gepackt in alle Winde zerstob. Ein nächtlicher Komet, dessen Erscheinen der Historiograph des Ersten Kreuzzuges, Fulcher von Chartres, als Himmelszeichen beschrieb, wies dem Kreuzfahrerheer die Bahn in die Feinde.
Visionen wurden immer wieder erlebt und von den meisten inbrünstig geglaubt, obwohl es durchaus auch Stimmen gab, die nicht an solche Visionen glaubten, besonders unter der hohen Geistlichkeit. So erzählt ein provenzalischer Pilger, der sich bei der südfranzösischen Heeresgruppe befand, der heilige Andreas sei ihm viermal erschienen und habe ihn beauftragt, den Rittern Christi die Lanze zu überbringen, mit der Longinus die Seite des Heilands geöffnet hatte. Auch habe ihm Andreas verkündet, an der bevorstehenden Schlacht nähmen die himmlischen Heerscharen teil, um den Sieg für die Christen zu erringen. Ein Priester hatte einen Tag später beim Gebet die Vision des Heilands, der Gottesmutter und des Apostels Petrus, wobei Christus über die Ausschweifungen, aber auch über die Untätigkeit des christlichen Heeres zürnte. Auf Bitten der Jungfrau Maria und des heiligen Petrus hätte er jedoch Gnade geübt und Hilfe im Kampf versprochen. Tatsächlich wurde dann die heilige Lanze in der Peterskirche von Antiochia gefunden. Die bereits der Verzweiflung nahe Stimmung des Heeres schlug um in inbrünstige Begeisterung, und der Marsch nach Jerusalem wurde fortgesetzt.
Von einzelnen Gefechten abgesehen verlief der weitere Marsch weniger wie ein Vorgehen in Feindesland als vielmehr wie eine feierliche Prozession mit Hymnen, Gebeten und Gottesdiensten. Anfang Juni erreichten die gewappneten Pilger in der Mittagsstunde einen Hügel vor Jerusalem, den sie »Mont-joie« — Freudenberg nannten.
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Nach dreijährigem Marsch und unter unzähligen Kämpfen hatten sie nun ihr Ziel erblickt, die Mauern und Türme des irdischen Jerusalem, das ihnen als Abbild des Himmlischen erschien. Man kann die Freude und Ergriffenheit verstehen, als diese harten Krieger auf die Knie sanken und mit Tränen in den Augen Gott dankten, daß er ihnen erlaubt hatte, das Ziel ihrer Pilgerfahrt zu erreichen. Kein geringerer als der italienische Renaissance-Dichter Tasso hat dies in seinem großen Werk »Das befreite Jerusalem« in den ergreifendsten Worten geschildert. Die ungeheure Erlebniskraft, die das Kreuzfahrerheer vor Jerusalem - und nicht nur dort — bezeugte, weist auf eine seiner unerschöpflichen Kraftquellen hin, die es in den Stand versetzte, nicht nur die schwersten Kämpfe zu überstehen, sondern — was viel schwerer wog - die Strapazen und Entbehrungen eines dreijährigen Marsches. Dies wird auch später noch bei den Kreuzfahrern zu beobachten sein.
Doch dieses Bild des unerschütterlichen Glaubens, der tiefen Hingabe, Inbrunst und Demut wird immer wieder durch Ausbrüche ungezahmter Wildheit und Grausamkeit zerstört. Nach dem Heranbringen schwerer Belagerungsmaschinen war es den Kreuzrittern gelungen, im Juli 1099 eine Bresche in die Mauer Jerusalems zu schlagen, durch die sie unaufhaltsam eindrangen. Zwar wehrte sich die ägyptische Besatzung der heiligen Stadt tapfer, aber gegen den nicht zu überbietenden Siegeswillen der christlichen Streiter vermochten sie nichts auszurichten. Ein furchtbares Gemetzel setzte ein. Angeblich wateten die Pferde der christlichen Ritter in der Vorhalle und im Tempel Salomons bis zu den Knien im Blut der Sarazenen. Nun dürfte das eine der üblichen Übertreibungen sein, aber es ist sicher nicht zu bestreiten, daß die Kreuzfahrer fürchterlich wüteten.
Nachdem sie die feindliche Besatzung getötet hatten, machten sie auch vor den friedlichen Bewohnern der Stadt nicht halt. Alle Mohammedaner und Juden wurden niedergemacht. Hand in Hand mit dem Morden ging das Beutemachen, durch das sich die Christen für ihre Strapazen entschädigen wollten. Gold, Silber, Seidenstoffe und kostbare Geräte, Lebensmittel und Weine, kurz alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde geplündert. Nach diesen Schandtaten aber pilgerten die Kreuzfahrer unter Führung ihrer Fürsten und Geistlichen zum Heiligen Grab. Aus mordlustigen Raubtieren verwandelten sie sich wieder in zutiefst gläubige und fromme Pilger (Pörtner).
Greuel, Grausamkeiten und gemeinste Kriegslisten entsprangen aber auf beiden Seiten nicht nur einem angeborenem Trieb zur Grausamkeit. Der Terror als Waffe gehörte zur normalen Kriegsführung der damaligen Zeit. Erst im Lauf der Jahrhunderte vermochte sich ein humaneres Denken aufgrund der christlichen Lehre durchzusetzen, obwohl es ja bis in dieses Jahrhundert hinein fürchterliche Rückfälle gegeben hat. Der damalige Krieger war im Kampf gegen Heiden oder gegen solche Gegner, die kein Lösegeld aufbringen konnten, zum Töten geradezu verpflichtet.
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Die Kriegspraxis zwang ihn, Schrecken zu verbreiten und dadurch Furcht und Zittern zu erzeugen. Die Beispiele für diese Art der Kriegsführung sind so entsetzlich, daß die Feder sich sträubt, sie niederzuschreiben. Nur ein geradezu paradoxes Beispiel sei angeführt. Nach der Wahl des ersten römisch-katholischen Patriarchen in Jerusalem am 1. August 1099 entdeckte dieser unmittelbar nach seinem Amtsantritt das angeblich echte Kreuz Christi wieder, das ja die heiligste Reliquie der Heiligen Stadt darstellte. Orthodoxe Priester hatten es versteckt, um es dem Zugriff der Plündernden zu entziehen. Der römisch-katholische Patriarch, der ahnte oder vielleicht auch wußte, was mit dem Kreuz Christi geschehen war, scheute sich nicht, diese christlichen Priester so lange foltern zu lassen, bis sie das Versteck preisgaben.
Wenn man schon mit den eigenen Glaubensgenossen auf eine solche Weise verfuhr, wie erst behandelte man dann den Feind? Nicht unwesentlich war dabei, ob man den Feind achtete, fürchtete, oder ob man verächtlich auf ihn herabsah. Im allgemeinen hatte es der Tapfere, wenn er sich nach den Vorstellungen der damaligen Zeit »menschlich « verhielt, leichter, wenn er gefangengenommen wurde, als derjenige, den man verachtete. Von dem Tapferen und seinen Angehörigen versuchte man vor allem, Lösegelder zu erpressen, was auch meistens gelang. Besonders angesehen und gefürchtet wegen ihrer Tapferkeit waren die deutschen Ritter unter Konrad III., gegen die der Kampf der Mohammedaner weit schwerer war als gegen die Franzosen Ludwigs VII., wie viele mohammedanische Augenzeugen berichten.194 Kam Lösegeld nicht in Frage, so wurden zur damaligen Zeit Anführer, die in Gefangenschaft gerieten, von beiden Seiten hingerichtet. Die übrigen Krieger sowie die Einwohner der Städte verkaufte man auf den Sklavenmärkten.
Es soll auch nicht verschwiegen werden, daß Kriegsteilnehmer beider Seiten gelegentlich versuchten, sich ihr Leben zu erkaufen, indem sie ihren Glauben verrieten. So wird in den Dokumenten über die Kreuzzüge aus arabischer Sicht z.B. gemeldet, daß ein großer Ritter von einem kleinen Turkmenen gefangengenommen worden wäre. »Der Turkmene: >Schämst du dich nicht, daß ein solch kleiner Zwerg dich gefangengenommen hat, wo du doch eine solche Rüstung hast?< Er antwortete: >Bei Gott, nicht der da hat mich gefangen, noch ist er mein Bezwinger. Ein Großer hat mich gefangen, größer und stärker als ich selbst, und hat mich dem hier übergeben; er trug ein grünes Gewand und ritt ein grünes Pferd.<«195
Der christliche Ritter verriet also seinen Glauben, indem er mit dem grünen Gewand und dem grünen Pferd auf irgendeinen islamischen Propheten oder Himmelsboten Mohammeds hinwies. Im übrigen sahen auch die Mohammedaner die Schlacht stets als Gottesurteil an. Immer wieder dankten sie Allah für den Sieg über die Feinde.
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Hatten die christlichen Ritter ihre unzähligen Visionen, in denen ihnen Christus, Sankt Michael oder der heilige Petrus über dem Heer erschienen, sie in die Schlacht führten und für sie den Sieg errangen, so sind bei den Mohammedanern ähnliche Visionen bezeugt, in denen ihnen Allah oder Mohammed erschien.
Es ist nicht zu leugnen, daß die Kreuzzüge (s. Fig. 6) schließlich mit einem Mißerfolg endeten. Sicher spielten dabei die Ruhr und andere Seuchen, die bei mittelalterlichen Heeren auszubrechen pflegten und meist auf die unausgewogene Ernährung, im Orient auf das Essen von zu viel Obst, zurückzuführen sind, eine große Rolle. Aber auch der Kreuzzugsgedanke selbst verlor nach ungefähr fünf Generationen die Anziehungskraft, die er ursprünglich besessen hatte. Darüber hinaus sahen die europäischen Christen ein, daß das Heilige Land auf die Dauer nicht zu halten war und die großen Anstrengungen mit einer Niederlage geendet hatten.
Das führte zu einer tiefen Erschütterung. Noch immer war man ja fest davon überzeugt gewesen, daß der Ausgang eines Krieges einem Gottesurteil entsprach. In heidnischer Zeit hatte bei einer Schlacht, nicht bei einem persönlichen Gottesurteil als Gerichtsurteil, der Kriegsgott sein Urteil unabhängig davon gesprochen, welcher Stamm oder welches Volk im Recht oder im Unrecht war. Er hatte den Sieg nach Gunst, nicht aber nach juristischen Gesichtspunkten verliehen. Oftmals hatte bei den Germanen der Gott Wotan gerade die Tapfersten für den Schlachtentod und für die Niederlage ausersehen, weil er sie als einherjer, als Schlachtenhelfer bei der Götterdämmerung brauchte.
Ganz anders aber sah die Sache aus, nachdem das Christentum Einzug gehalten hatte. Für den Christen der frühen Zeit war es eine unumstößliche Wahrheit, daß er, wenn er für Christus kämpfte, im Recht und die Heiden im Unrecht waren. Nach diesem Glauben mußte Christus ihnen, den Rechtgläubigen, stets den Sieg verleihen. Das aber war in den Kreuzzügen gerade nicht geschehen. Von nun an konnte man daher nicht mehr glauben, daß der Krieg und sein Ausgang ein Gottesurteil darstellten. Aus dieser Einsicht drängte sich auch, mit den Jahrhunderten immer stärker, die Überzeugung auf, daß der Krieg niemals Recht, sondern immer nur Unrecht sein konnte und damit vermieden werden mußte. Nur zur Verteidigung durfte er noch dienen.
Außer den oben genannten Gründen für das Scheitern der Kreuzzüge gab es noch andere, die vor allem auf militärpolitischem Gebiet lagen. In der politischen Praxis erwies es sich nämlich als unmöglich, die einzelnen Interessen der beteiligten Nationen in der universalen Idee zu vereinigen. Eine Schlüsselrolle spielte dabei Byzanz, das aus dem Abendland Hilfe für seine gefährdeten Grenzen erwartet hatte.
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Fig. 6 Kreuzzüge vom 11. bis 13. Jahrhundert
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Aus machtpolitischen Gründen blieben aber das Normannenreich und vor allem Venedig stets Gegner von Byzanz, ohne dessen Unterstützung andererseits Transport und Versorgung der Kreuzfahrerheere nicht möglich waren. Während des Vierten Kreuzzugs von 1202-1204, der eigentlich auf Ägypten zielte, mußten die Kreuzfahrer für Venedig sogar Zara in Dalmatien erobern, damit es den Transport übernahm. Daraufhin lenkte der Doge Enrico Dandolo das Heer gegen das christliche Konstantinopel, das zunächst einmal erobert wurde. Wohl gelang es Byzanz, die Kreuzfahrer für kurze Zeit wieder aus der Stadt zu vertreiben, diese aber nahmen sie zum zweiten Mal, plünderten sie erbarmungslos und richteten dort ein lateinisches Kaisertum ein, das allerdings kaum mehr als fünfzig Jahre Bestand hatte.
Aber die Kreuzzüge hatten auch auf anderen Gebieten eine ungeheure Bedeutung für die Zukunft Europas. Durch sie war eine große Nachfrage nach Orientwaren in ganz Europa entstanden, die selbst nach der Eroberung dieses Gebiets durch die Türken nicht mehr gedrosselt werden konnte. Die oberitalienischen Seestädte erlebten durch den Orienthandel einen starken Aufschwung. So wirkte sich diese Nachfrage im 15. Jahrhundert dahingehend aus, daß auf der Suche nach neuen Wegen zu den begehrten Orientwaren schließlich Amerika wiederentdeckt und der erste Grundstein zu dem gelegt wurde, was seit der Mitte des 20. Jahrhunderts als eine der beiden Supermächte besteht. Darüber hinaus wurden die Europäer durch die Berührung und Konfrontation mit der überlegenen byzantinischen und arabischen Welt in ihrem Kulturbewußtsein gestärkt, so daß das kulturelle Niveau in Europa stieg. Weiterhin erlebte das Papsttum während der Kreuzzüge einen Höhepunkt seiner Macht; doch gerade diese Machtentfaltung untergrub dann, vor allem auch im Zusammenhang mit der schließlichen militärischen Niederlage, die religiöse Glaubwürdigkeit des Heiligen Stuhls.196
Noch während der Kreuzzüge sollte entstehen, was weitreichende Auswirkungen besonders für die Geschichte Mittel- und Osteuropas haben sollte. Es waren das die drei Ritterorden der Johanniter, Tempelherren und des Deutschen Ordens. Allen gemeinsam war, daß sie das asketische mit dem ritterlichen Ideal vereinigten, also die Mönchsgelübde mit den Verpflichtungen zur Armut, Keuschheit und zum Gehorsam mit den Aufgaben des Ritters zum Schutz der Bedrängten verbanden.
Demententsprechend übernahmen die Ritterorden im Heiligen Land auch zunächst die Pflege der kranken Pilger und verwundeten Ritter des Kreuzheeres, sorgten für die Sicherheit der Pilgerstraßen und kämpften in vorderster Front der Heere mit. Dabei zeigten sie sich im Kampf nicht nur den Feinden, sondern auch ihren eigenen Waffenbrüdern weit überlegen. Sie waren die einzigen Ritter, die sich einer militärischen Disziplin, und zwar einer sehr strengen, unterwarfen und unter allen Umständen auf der Erfüllung ihres Auftrags bestanden.
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Es gibt nicht wenige Berichte von Seiten der Kreuzfahrer wie auch von seiten der Mohammedaner, in denen geschildert wird, daß neben den Rittern der Orden nur ganz wenige den Kampf mit der zehnfachen, ja zwanzigfachen Überlegenheit aufnehmen und siegen konnten.
Uns interessiert in unserem Zusammenhang nur der Deutsche Orden, der 1190 vor Akkon als Bruderschaft zur Krankenpflege gestiftet und 1198 zum Ritterorden erhoben wurde. Die Ordenstracht bestand aus einem weißen Mantel mit schwarzem Kreuz, der über der Rüstung getragen wurde. Später ließ sich der Deutsche Ritterorden zunächst in Siebenbürgen nieder, wurde aber kurz darauf vom Ungarnkönig vertrieben. Doch Herzog Konrad von Massovien, ein Sohn Herzog Kasimirs ii. von Polen, rief 1225 oder 1226 den Deutschen Orden zu Hilfe, als die heidnischen Pruzzen, von denen der Name Preußen abstammt, sein ererbtes Herzogtum, das beiderseits der mittleren Weichsel lag, bedrohten. Vier Jahre später ging das Kulmerland, das Herzog Konrad dem Orden für seine Hilfe versprochen hatte, an diesen über. Schon 1226 erreichte Hermann von Salza, Hochmeister und eine der überragenden Gestalten des Ordens, die Nachricht, daß Kaiser Friedrich ii., der große Hohenstaufenkaiser, in der Goldenen Bulle von Rimini die Schenkung Herzog Konrads bestätigt und dazu dem Deutschen Orden alle im heidnischen Preußen gemachten Eroberungen zugesprochen hatte. So wurden die Heidenmission und die Staatengründung zur großen Aufgabe des Ordens.
Im Jahr 1230 rief dann der Papst zum Kreuzzug gegen die Pruzzen auf und stellte das eroberte Gebiet unter seinen besonderen Schutz. Es muß dabei herausgestellt werden, daß es sich bei den heidnischen Pruzzen nicht um Slawen, sondern um einen baltischen Volksstamm handelte, der eng mit den Litauern, Kuren, Liven, Letten und anderen Stämmen dieser Sprachgruppe verwandt war. Slawen haben an diesem Teil der Ostseeküste nie gesessen.
Im Frieden von Kalisch im Jahr 1343 verzichtete Polen sogar endgültig auf das Kulmerland und das vom Orden später noch erworbene Pommerellen. Militärisch gelang die Eroberung Ostpreußens — die Eroberungen des Schwertordens in Kurland, Livland usw. sollen hier unberücksichtigt bleiben —, vor allem durch den rasch durchgeführten Festungsbau, der es den Litauern und Pruzzen versagte, trotz einiger Erfolge auf freiem Feld, die außerordentlich geringe Zahl der Deutschherren wieder aus dem Land zu treiben. Dazu kam die rasche Christianisierung vor allem der Pruzzen, die wiederum im Stil der Zeit mit Feuer und Schwert durchgesetzt wurde.
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Dennoch kann nicht bestritten werden, daß ein Großteil des pruzzischen Adels, besser gesagt der Stammeshäuptlinge, sich von der überlegenen Kultur der Deutschherren und vor allem der bald ins Land kommenden deutschen Bauern und Bürger angezogen fühlte und rasch germanisiert wurde.
Der Deutsche Orden verlor seine eigentliche Aufgabe, die Ausbreitung des christlichen Glaubens, in dem Augenblick, als Litauen zum christlichen Glauben übergetreten und im Jahr 1386 eine Union mit dem schon seit langem christlichen Polen eingegangen war. Gegen diese beiden übermächtigen Gegner erlitt der Deutsche Orden im Jahr 1410 bei Tannenberg eine schwere Niederlage, zu der auch die innere Opposition der preußischen Stände und deren Kampf um Einfluß auf die Landesregierung beigetragen hatte.
Aus diesem Grund riefen schließlich die Städte und der Adel Preußens König Kasimir IV. von Polen zu Hilfe, dem dann der Deutsche Orden im großen Ständekrieg von 1454 bis 1466 unterlag. Mit dem Zweiten Thorner Friedensvertrag verlor der Orden nicht nur große Gebiete seines Herrschaftsbereiches, sondern verpflichtete sich auch der Hochmeister, für den Rest des Ordenslandes dem polnischen König zu huldigen. Kaiser und Reich versagten zur damaligen Zeit dem Orden ihre Unterstützung.
Vor allem auf diese Ereignisse gründeten sich die Ansprüche Polens, die erst nach 1945 in Erfüllung gehen sollten, obwohl das Land ausschließlich von Deutschen besiedelt war und sich in einer Abstimmung nach dem Ersten Weltkrieg klar für den Verbleib beim Deutschen Reich ausgesprochen hatte. Dies traf selbst für den östlichen Teil der ehemaligen Provinz Westpreußen zu.
Doch in unserem Zusammenhang sind diese politischen Geschehnisse, die sich erst nach 500 Jahren auswirkten, weniger wichtig als die Tatsache, daß bei der Christianisierung Ostpreußens zum ersten Mal in der Geschichte reine Defensivmaßnahmen, allerdings überlegener Art und gegen einen zwar zahlenmäßig überlegenen, technisch aber unterlegenen Feind, bei der Eroberung eines Gebiets zum Erfolg geführt hatten. Solche Maßnahmen gelangen erst wieder, als die europäischen Großmächte sich Kolonialbesitz in Übersee aneigneten. Und ein zweites noch gilt es festzustellen. Die Ritterorden waren zum ersten Mal nach der Zeit der römischen Legionen in ihrer Hochblüte in der Lage, disziplinierte Truppen, wenn auch in außerordentlich geringer Zahl, in den Kampf zu führen; die Leistungen dieser Truppen hätten aufhorchen lassen müssen. Aber es sollte noch mehrere Jahrhunderte dauern, bis man sich der Bedeutung dieser Tatsache bewußt wurde, und dann griff man nicht auf die Ritterorden, sondern — und das nicht zu Unrecht — auf die römischen Legionen zurück.
Noch einmal und an anderer Stelle traten Teile des Deutschen Ordens, der Livländerorden, in Erscheinung, als Papst Gregor IX. , in der Hoffnung, das orthodoxe Rußland für die Westkirche erobern zu können, zum Kreuzzug aufrufen ließ. Doch in der Nähe des heutigen Leningrad besiegte Alexander Newskij 1240 ein schwedisches Heer an der Newa.
Als die deutschen Ritter dann auf ihrem Kreuzzug Pskow erobert hatte, fügte ihnen zwei Jahre später der Russenfürst mit zahlenmäßig weit überlegenen Truppen und in günstiger Verteidigungsstellung auf dem Peipussee eine schwere Niederlage bei und setzte damit dem Kreuzzug ein Ende. Auch hier erleben wir wieder, daß nicht allein der Kampf gegen die Heiden, sondern auch der gegen die »Ketzer« nach Ansicht des Papstes ein Gott wohlgefälliges Werk war. Alexander Newskij selbst aber mußte sich, und mit ihm alle russischen Fürstentümer, dem Joch der Mongolen beugen.
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