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     Bemühungen um den Frieden    

 

 

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Wir haben nun jenen Punkt erreicht, an dem über die Friedensbewegung gesprochen werden muß. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß die Bestrebungen der beiden Supermächte darauf gerichtet sind, eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den beiden Militärblöcken zu verhindern. Im gesamten westlichen Lager gibt es eine beträchtliche Anzahl von Instituten, die allein der Friedens- und Konflikt­forschung dienen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, die ihre Forschungen von einem einseitigen ideologischen Standpunkt aus betreiben, dienen diese Institute der Erforschung von Möglichkeiten und Wegen zum Abbau von Spannungen in Krisen­zeiten, zur Beseitigung von Konfliktstoffen und zur Verhinderung kriegerischer Auseinandersetzungen.

Ihre Ergebnisse werden durch die Massenmedien verbreitet und den verantwortlichen Politikern als Arbeitsunterlage zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus findet eine breit angelegte Erziehung zum Frieden zumindest in allen Schulen der Bundesrepublik statt. Außerdem hat jeder Bürger der Bundesrepublik das Recht, den Wehrdienst zu verweigern. Dies trifft mit unterschiedlichen Bedingungen für alle Staaten des Westens zu. 

Lediglich die Schweiz macht davon eine Ausnahme, indem sie die Wehrdienstverweigerung nicht gestattet. Erst 1984 wurde dieses Verbot der Wehrdienstverweigerung durch Volksentscheid ausdrücklich bestätigt. In Teilen der Ostblockstaaten, aber bei weitem nicht in allen, gibt es, wie z.B. in der ddr, lediglich die Verweigerung des Dienstes mit der Waffe; doch wird der Wehrpflichtige dann in Baubataillonen und ähnlichen Verbänden zum Ersatzdienst eingezogen. Er dient in Uniform und unterliegt den militärischen Gesetzen.

Im westlichen Europa dagegen hat die Friedenserziehung in vielen Fällen zur Wehrdienstverweigerung, zu Pazifismus und Antiamerikanismus geführt. Durch die Verlängerung der Zivildienstzeit in der Bundesrepublik ist die Zahl der Wehrdienst­verweigerer zunächst um 35 % gesunken, was auf einen hohen Prozentsatz von Wehrdienstverweigerern hinweist, die sich um des persönlichen Vorteils willen von dem Dienst in den Streitkräften befreien ließen. Aufschlußreich für das Verhalten der jungen Menschen in der Bundesrepublik sind Angaben aus den Jahresberichten der hauptamtlichen Jugendoffiziere der Bundeswehr. Darin heißt es u.a.: » Die Zusammenarbeit der Jugendoffiziere mit den Schulbehörden verläuft in aller Regel reibungslos. Ebenfalls ohne wesentliche Schwierigkeiten stellt sich die Zusammenarbeit mit Grund-, Haupt- und Realschulen sowie mit berufsbildenden Schulen dar. 

Häufiger als zuvor berichten aber Jugendoffiziere über erschwerte Bedingungen in der Zusammenarbeit mit Gymnasien; dies trifft besonders für die Sekundarstufe n zu. ... Der Dialog mit der Jugend war im Berichts­zeitraum durch mehr Sachlichkeit und Toleranz als in den Vorjahren gekennzeichnet. Das Hauptproblem beim Dialog mit jungen Menschen über Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik sehen Jugendoffiziere nach wie vor in den weitaus zu geringen Grundlagenkenntnissen. Nur bei Wortführern der Diskussion ist nach ihrer Ansicht deutlich verbessertes Wissen um sicherheitspolitische Zusammenhänge feststellbar. Ein anderes Problem ist das der selektiven Wahrnehmung. Junge Menschen gehen oft mit vorgefaßten Meinungen an ein Problem in eine Diskussion. Argumente akzeptieren sie dann nur, wenn sie die eigene Meinung stützen; auf Gegenargumente gehen sie häufig gar nicht erst ein. 

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Schließlich wird der Jugendoffizier nicht selten als Repräsentant der staatlichen und politischen institutionellen Macht abgelehnt. So muß sich der Jugendoffizier häufig mit dem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit an Politik und Politikern auseinandersetzen. <<28'

Dies geht wahrscheinlich weitgehend auf die starke propagandistische Wirkung der die Emotionen ansprechenden Losungen der Friedensbewegung zurück.

Leider steht aber am Anfang dieser Losungen mit der Parole »Stell dir vor, es kommt Krieg und keiner geht hin« ein Falschzitat. Denn es ist der Beginn eines Gedichts von Bertolt Brecht, dessen Inhalt genau das Gegenteil von dem fordert, was die Anhänger dieser Parole damit verbinden. Es lautet:

Stell dir vor, es kommt Krieg und keiner geht hin — dann kommt der Krieg zu euch!
Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen;
Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage.
Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will :
denn es wird kämpfen für die Sache des Feindes,
wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat!

 

In sehr vielen Fällen ist, von den meisten offen eingestanden, Angst der Beweggrund für den Anschluß des Einzelnen an die Friedensbewegung. Angst aber, so lautet eine alte Volksweisheit, ist ein schlechter Ratgeber. Was ist nun diese Friedens­bewegung? Zweifellos ist sie der Ausdruck für die ungeheure Friedenssehnsucht, die die Menschen vor allem in der Bundesrepublik Deutschland erfaßt hat. In riesigen und zu einem großen Teil auch friedlich verlaufenden Demonstrationen wurde diesem Friedenswillen fast in allen Ländern des Westens mit Ausnahme Frankreichs Ausdruck gegeben. 

Im Osten dagegen halten sich diese Friedensbezeugungen, wie schon angedeutet, in Grenzen, es sei denn, sie unterstützten ausdrücklich die von den kommunistischen Regierungen ausgegebenen Parolen und jene Maßnahmen, die sich eindeutig nur gegen eine Aufrüstung im Westen richten, also der Regierungspolitik dienen. Menschen, die ihre eigenen Friedensvorstellungen öffentlich bekunden, wie etwa Anhänger der Bewegung »Pflugscharen statt Schwerter«, sind dagegen der politischen Verfolgung ausgesetzt.

Aber auch im Westen kann nicht von einer einheitlichen Friedensbewegung gesprochen werden. Dies zeigt schon die Tatsache, daß die großen Friedensdemonstrationen, bei denen sich mehrere hunderttausend Menschen versammelten, nur dann zustande kamen, wenn sie sich gegen die Aufstellung oder Einführung von Waffen richteten. Hatten die Ereignisse, wie bei der Dislozierung der Pershing-II in der Bundesrepublik, die Demonstrationen überholt, so kam es zu keinen weiteren großen Demonstrationen mehr, ja die Friedensbewegung drohte auseinander­zubrechen.

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Sicher deuten solche Großdemonstrationen auf eine existente und wirkungsvoll arbeitende Organisation hin, sonst wären solche gewaltigen Aufmärsche nicht möglich. Wer Erfahrung mit der Bewegung und Versorgung von Massen besitzt, weiß, daß dies ohne straffe Führung, ohne eine große Zahl von Hilfskräften und vor allem ohne große Geldmittel nicht möglich ist.

Nun soll auf keinen Fall gesagt werden, die Friedensbewegung wäre eine Schöpfung der Kommunisten oder unterstütze in der Bundesrepublik die politischen Absichten des Warschauer Paktes. Die Masse der Anhänger der Friedensbewegung würde eine solche Behauptung völlig zu Recht weit von sich weisen. Aber es ist auch nicht zu leugnen, daß der Ostblock die Friedens­bewegung im Westen dann für seine Zwecke benutzt, wenn sie Ziele verfolgt, die, wie die Dislozierung der Mittel­streckenraketen, ihm nützlich sein können. 

Ein Fehler der Friedensbewegung liegt in der mangelnden Erkenntnis, daß nicht Waffen die Ursache von Kriegen sind, sondern stets nur der menschliche Egoismus. Ihn gälte es zu bekämpfen, und zwar in Ost und West. Dann wäre die Friedensbewegung glaubwürdiger. Was im übrigen der Warschauer Pakt von Friedensbewegungen und vom Pazifismus ganz allgemein hält, definiert das im großen und ganzen aus dem Russischen übersetzte »Deutsche Militär-Lexikon der ddr« wie folgt:

Pazifismus

Bürgerlich-liberale Strömung, deren Vertreter gegen jeglichen Krieg auftreten. Der P. will den Krieg durch Passivität gegenüber den Kriegskräften verhindern. Das ist machtlose Friedensschwärmerei. Von den Imperialisten wird der P. zur Verdummung der Massen benutzt, um die Vorbereitung imperialistischer Raub- und Eroberungskriege zu verschleiern und die Massen vom aktiven Kampf gegen diese Kriege abzulenken. 

Die Kommunisten waren niemals Pazifisten, sondern legten stets die klassenmäßigen Ursachen der Kriege bloß. Die kommunistischen und Arbeiter-Parteien kämpfen gegen ungerechte Kriege und unterstützen mit allen Kräften gerechte Kriege.

Die organisierte Weltfriedensbewegung, die sich nach dem zweiten Weltkrieg herausgebildet hat, unterscheidet sich vom P. durch ihren aktiven, offensiven Kampf gegen die Kriegsgefahr. Die besten Kräfte der Pazifisten unterstützen die Weltfriedensbewegung.

Imperialistische Agenten versuchen, den P. in die sozialistischen Länder bewußt hineinzutragen und zu fördern, um dadurch die Verteidigungsmacht der sozialistischen Länder zu schwächen. Deshalb wird der P. in den sozialistischen Ländern konsequent bekämpft.

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Schon in der Einleitung wurde Franz Alt mit seinem Buch genannt. Es ist das edelste und moralisch hochstehendste Werk aus der Gesinnung der Masse der Friedens­bewegungs­anhänger. Und doch kann die Haltung, die sich in den Forderungen Franz Alts ausdrückt, nicht unwidersprochen hingenommen werden. Er verlangt unter Berufung auf die Bergpredigt Gewaltlosigkeit und einseitige Abrüstung, will aber andererseits den Friedhofsfrieden der Unterdrückung in totalitären und autoritären Staaten nicht hinnehmen. Damit bestätigt er selbst, daß Politik einerseits der Wahrung des Friedens, andererseits aber auch dem Schutz der Freiheit verpflichtet ist. 

Franz Alt beruft sich auf die Bergpredigt und verlangt einen radikalen Wandel der politischen Institutionen, ohne anzudeuten, worin der bestehen oder wie er aussehen könnte. Er behauptet, die Menschheit plane den Selbstmord aus Angst vor dem Frieden, ohne zu erklären, warum dies gerade aus diesem Grund geschehen soll. Ganz falsch wird es, wenn er von einer Alternative »Glaube an Gott oder Glaube an die Bombe« spricht. Hier werden zwei Ebenen verwechselt und sträflicherweise gleichgesetzt.

Andererseits wendet er sich entschieden gegen diejenigen in der Friedensbewegung, die den Bonner Politikern Kriegswillen unterstellen, und behauptet, sie wüßten nicht, was sie sagten, und schadeten dem Frieden. Zwei Schritte auf dem Weg zum Frieden könne er sich vorstellen: den Verzicht auf die Nachrüstung, allerdings mit Einschränkung, weil er nicht weiß, ob die sowjetische These vom bestehenden ungefähren Gleichgewicht richtig ist. Er stellt sich nur vor, ein westlicher Verzicht führe näher zum Ziel der Abrüstung. Sicher ist er aber nicht.

Der zweite Schritt läge in der Verpflichtung des Westens, keine Waffen in Gebiete außerhalb der NATO zu liefern. Nach den anfänglich hohen Ansprüchen klingt dies mehr als bescheiden.

Nach der richtigen Forderung zur Wandlung der Menschheit im Sinne der Bergpredigt, die aber nur nach langer Zeit vollzogen und lediglich dort verwirklicht werden kann, wo die Bergpredigt verkündet wird, folgt eine Betonung der Wichtigkeit von Verhandlungen. Das aber tun die Regierungen, z.T. freiwillig, z.T. aber auch gezwungenermaßen. Im Westen liegt der Grund in der öffentlichen Meinung, zu deren Ausdruck auch die Demonstrationen der Friedensbewegung gehören, sowie im Friedenswillen der Regierenden, der nicht angezweifelt werden kann, und im Osten darf man ruhig unterstellen, daß auch dort der Friedenswille vorherrscht, wenn auch die öffentliche Meinung keine Rolle spielt; daneben zwingen äußere Gründe wie technologischer Rückstand oder die Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigsten Gütern die Regierenden ebenfalls an den Verhandlungstisch.290

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Grober Oberflächlichkeit macht sich Alt schuldig, wenn er zum Beweis seiner Thesen die Geschichte heranzieht. Dabei vertritt er immer wieder die Ansicht, daß eine Anhäufung von Waffen notwendigerweise zum Krieg führen muß. Wir glauben, im Verlauf unseres Ganges durch die Geschichte das Gegenteil bewiesen zuhaben. Als Beispiel sei angeführt: Die Behauptung, von deutschem Boden seien in diesem Jahrhundert zweimal Kriege ausgebrochen, womit aller historischen Erkenntnis zum Trotz auch die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg Deutschland angelastet wird, oder die Aussage, Rüstung führe zwangsläufig zum Krieg. 

Was etwa mit dem Beispiel Karthagos im letzten Punischen Krieg, mit der Wegnahme Straßburgs und einiger anderer elsässischer Städte und Landstriche im 17. Jahrhundert, dem Einmarsch der Russen in Afghanistan usw., bei denen der Überfallene entweder abgerüstet hatte oder ungenügend gerüstet war, leicht widerlegt werden kann. Nicht die Waffen lösen Kriege aus, sondern Menschen. Lösten tatsächlich allein die Waffen Kriege aus, so müßte z.B. die bis an die Zähne bewaffnete Schweiz ständig Krieg führen. Andererseits haben wir immer wieder gezeigt, daß sich wehrlose Völker als Nachbarn hochgerüsteter im Lauf der Geschichte niemals haben halten können. 

Es wurde auch schon gesagt, daß mit dem Abschaffen von Atomwaffen oder anderen Massen­vernichtungs­mitteln nichts getan ist, denn ihre Herstellung ist bekannt und sie können jederzeit wieder neugeschaffen werden. Wichtig ist nur der unbedingte Wille zum Frieden, der aber durch Selbstaufgabe keineswegs gefördert, sondern nur geschwächt werden kann. Schon in der Einleitung haben wir darauf hingewiesen, daß die Vertreter der beiden großen Kirchen, vor allem die katholische Bischofskonferenz in einem Hirtenbrief, betont haben, daß die Bergpredigt kein Rezept für praktische Politik ist. Unmißverständlich erklären sie und befinden sich damit in Übereinstimmung mit allen westlichen Regierungen und der Bevölkerung, der Krieg sei heute weniger denn je ein Mittel, politische Ziele zu erreichen, er dürfe niemals sein. 

In dem Hirtenbrief »Gerechtigkeit schafft Frieden« nennen sie die Abschreckung eine »Not-Ordnung« in einer Übergangsphase. Als solche wird sie auch hingenommen. »Die deutschen Bischöfe binden die sittliche Erlaubtheit der Abschreckung an mehrere Kriterien: Bestehende oder geplante militärische Mittel dürfen den Krieg weder führbarer noch wahrscheinlicher machen, es dürfen nur so viele militärische Mittel bereitgestellt werden, wie für das Funktionieren der Abschreckung <gerade noch erforderlich sind>, und der Eindruck von Überlegenheitsbestrebungen muß vermieden werden.

Zu den <Mitteln> heißt es: <Allerdings darf man dann nicht einzelne Waffen oder Systeme isoliert vom Gesamtzusammenhang der Strategie betrachten, auf die sie bezogen sind. Wenn die Abschreckung den Waffen ein politisches Ziel, einen Rahmen der Kriegsverhütung setzen soll, dann müssen sie unter diesem Blickwinkel beurteilt werden.>

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Entschieden wird zum Abschied vom Wettrüsten aufgefordert... 

Als Voraussetzungen für die Sicherung des Friedens nennen die Bischöfe die Verwirklichung von Gerechtigkeit, Freiheit und die wirtschaftliche Stärkung der Entwicklungsländer. Durchsetzen der Menschenrechte ist für den deutschen Episkopat aktive Friedenspolitik. Rasche Erfolge sind nach seiner Meinung nicht zu erzielen. Deshalb wird empfohlen: >Laßt euch nicht täuschen von falschen Friedensparolen, die Frieden vorgeben, aber zugleich Haß, Feindschaft und Gewalttat propagieren<.«291)

Mitunter wird auch die Auflösung der Militärblöcke in Ost und West gefordert. 

Diejenigen, die dies guten Willens erstreben, wissen meist gar nicht, daß sie damit im wesentlichen nur den Westen träfen. Die Westeuropäische Union kann sich in ihrem augenblicklichen Zustand des Friedens ohne den amerikanischen Atomschirm nicht vor Pressionen der östlichen Supermacht schützen, und die Staaten Europas allein können dies schon gar nicht. Im Osten dagegen würde eine Auflösung des Warschauer Paktes nur eine kosmetische Veränderung der Verhältnisse herbeiführen, denn alle Staaten dieses Bündnisses haben sich vorsorglich durch zwei- oder mehrseitige Verträge so gebunden, daß die Organisation des Warschauer Paktes nur nach außen hin ein anderes Gesicht erhielte, nach innen hin aber bestehen bliebe.

Eng verbunden mit diesem Gedanken ist die Vorstellung einer deutschen Neutralität. 

Was mit militärisch schwachen Staaten im Verlauf der Geschichte geschehen ist, wenn sie geographisch zwischen hoch gerüsteten Großmächten lagen, wurde bei unserem Gang durch die Geschichte zur Genüge gezeigt. Neutralität wäre der sicherste Weg zum Untergang. Darüber hinaus würde das von Deutschen besiedelte Gebiet genauso zum Kriegsschauplatz wie bei einem möglichen Krieg, in dem die deutschen Staaten in Bündnissysteme eingebunden sind. Außerdem müßten sich die jungen Männer unseres Volkes vielleicht für Dinge schlagen, für die sie gar nicht zu kämpfen bereit sind. Eine Mittlerrolle Deutschlands zwischen Ost und West, wie sie vielleicht noch in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg möglich gewesen wäre, ist heute politisch undenkbar. Anders dagegen verhält es sich mit der geistigen Mittlerrolle, für die gerade durch die unglückselige Teilung Deutschlands doch eine reelle Chance gegeben ist, falls sich die Menschen in den deutschen Staaten auf ihr eigentliches Wesen, das goetheanisch verstandene Deutschtum, besinnen und so auf ihre Partner in Ost und West einwirken. Darüber hinaus bleibt politisch nur das Bekenntnis zu einer Politik des ständigen Dialogs. Dabei könnte Europa die Rolle des ständigen Mittlers übernehmen.

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Überblickt man die heutige Lage der Menschheit, so wird sie im wesentlichen, soweit es Krieg und Frieden anbelangt, von der Existenz der Nuklear­waffen und anderer Massenvernichtungsmittel bestimmt. Zum ersten Mal in der Geschichte besteht die Möglichkeit, daß die Menschheit sich durch diese Waffen selbst vernichtet. Diesen Willen einem heute lebenden Politiker zu unterstellen, ist absurd. Aber die Geschichte wird nicht nur von Menschen gelenkt, sondern geistige Mächte geben ihr immer wieder neue Impulse.

Einer der im Augenblick mächtigsten Impulse kommt von jenen satanischen Mächten, die die Materie beherrschen. Aber gerade diese Mächte befinden sich in einem Selbstkonflikt, denn es nützt ihnen nichts, wenn sie diejenigen, die sie für sich gewinnen wollen, sich gegenseitig vernichten lassen. Die Menschen können sich gegen sie schützen, wenn sie sie mit allen geistigen Kräften unter Verzicht auf Egoismus und mit Hinwendung zur Agape, zur Nächstenliebe, bekämpfen. 

Der andere Angriff auf die Menschheit kommt von den diabolischen Mächten, die sie für falsche Ideale wie den egoistischen Nationalismus, eine bestimmte Klasse oder eine bestimmte Rasse zu gewinnen suchen. Auch die Forderung nach bedingungsloser Selbstaufgabe gehört hierher. Für den satanischen wie den diabolischen Angriff aber gilt das Wort: »There is no way to bargain with evil. You have to fight it, even to death.« Auch Christus hat die Wechsler im Tempel in heiligem Zorn mit Gewalt aus dem Tempel verjagt.

Selbstaufgabe kann auch einer idealistischen Selbsterlösungstheorie entstammen, wie sie in manchen Jugendsekten vertreten wird. Auch Selbsterlösung, auf welchem Weg auch immer sie erlangt werden soll, ist, wenn sie egoistisch ausgerichtet ist, nichts anderes als ein Mangel an Nächstenliebe.

Peter Scholl-Latour gibt dafür in seinem Buch <Der Tod im Reisfeld> ein sehr gutes Beispiel, wenn er ein Gespräch mit zwei französischen Freunden zitiert. 

»Ob der Buddhismus nicht einen letzten Ausweg böte [aus dem Krieg in Südostasien], fragte ich. Aber da wehrten sie beide ab. - <Woran ist denn das große Reich von Angkor zugrunde gegangen? Wie kam es, daß die kriegerische und staatsbildende Kraft der Khmer im Mittelalter erlahmte? Das war doch eine Folge der buddhistischen Entsagungs­philosophie und Weltabgewandtheit
Die Lehre Gautamas ist eine Religion der egozentrischen Selbsterlösung, ohne Verantwortungsgefühl gegenüber dem Nächsten. Einige Jahrhunderte Buddhismus, und jedes Imperium ist reif für den Zerfall. Vielleicht werden die Siamesen in absehbarer Zeit eine ähnliche Erfahrung machen. 
In Zeiten des Friedens mag es angehen, seine Sutren zu murmeln, Weihrauch zu brennen, die Bonzen zu füttern und im Nirvana die ewige Befreiung von den Schrecken der Wiedergeburt zu suchen. Aber wenn harte, feindliche, ganz auf die Auslöschung des Individuums zugunsten der kollektivistischen Gemeinschaft angelegte Kräfte zum Sturm ansetzen, dann gibt sich der Buddhismus als das zu erkennen, was er ist: <Opium für das Volk> in einem anderen Sinne vielleicht, als Lenin das verstand.>«
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Eine andere Art der Selbstaufgabe, der ein großer Teil der heutigen Jugend zu verfallen droht, war Anlaß einer Warnung des französischen Oberbefehls­habers während des Frankreich-Feldzugs 1940, Generals Gamelin, der am 18. Mai, eine Woche nach Feldzugsbeginn, sagte: 

»Schließlich und vor allem ist der deutsche Erfolg das Ergebnis körperlicher Ausbildung und einer moralischen Hochstimmung der Volksmassen. Der französische Soldat, der Staatsbürger (citoyen) von gestern glaubte nicht, daß es Krieg geben könne. Sein Interesse ging oft nicht über seine Werkstatt, sein Büro oder seinen Acker hinaus. Geneigt, unaufhörlich jeden zu kritisieren, der über etwas Autorität verfügt, und angereizt, unter dem Vorwand der Zivilisation von einem Tag zum anderen ein leichtes Leben zu genießen, hatte der Wehrpflichtige zwischen den beiden Kriegen nicht die moralische und die vaterländische Erziehung (l'edtication morale et patriotique) erhalten, die ihn auf das Drama vorbereitet hätte, in dem es um das Schicksal des Landes gehen würde.«291

Auch diese Art des Egoismus muß überwunden werden, wenn man heute der Verwirklichung des Friedens zum Segen der Menschheit näherkommen will.

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Wir haben auf unserem Gang durch die Geschichte den Krieg als Phänomen verfolgt und beobachtet, wie er, dem Bereich des Religiösen entstammend, vom Gottesurteil zum Rechtsstreit wurde und im Zeitalter der ideologischen Kriege ganz in die Hände der Widersachermächte Christi geriet. Die drohende Selbstvernichtung der Menschheit durch die Massenvernichtungsmittel verbietet es, den Krieg noch als politisches Mittel zum Austragen eines Rechtsstreits zu benutzen. Sollte es noch einmal zu einem Krieg kommen, so hätten die Politiker versagt. Der Krieg darf kein gängiges Mittel mehr zur Durchsetzung der eigenen Politik sein. Er dient lediglich noch als letztes und verzweifeltes Mittel der Selbsterhaltung. 

Die Selbstaufgabe im Sinne der absoluten Gewaltlosigkeit, selbst gegenüber dem Räuber und Mörder im Zivilleben, hat eine Entscheidung zur Voraussetzung, die nur der Einzelne zu treffen vermag. Er muß sich aber bewußt sein, daß selbst dabei mangelnde Nächstenliebe, sogar gegenüber seinen eigenen Verwandten und seinem eigenen Volk, sowie Egoismus vorherrschend sein können. Ein Rezept zur Erhaltung des Friedens in unserer Zeit, das in politischen Maßnahmen bestünde, gibt es wohl außer demjenigen nicht, das bereits angewendet wird: Es besteht aus wirksamem und festem Verteidigungswillen und ständigen ehrlichen und offenen Verhandlungen, in denen dem Verhandlungspartner stets die Friedenshand dargeboten wird.

Wirklich zu überwinden aber ist der Krieg nur durch das Ablegen des Egoismus der einzelnen Völker, Staaten, Blöcke und Klassen und auf dem christlichen Weg der Agape, der Menschenliebe, die auch den vermeintlichen Feinden gilt.

Ausgangspunkt ist jeder Einzelne von uns. Der Weg aber ist lang und schmal. Doch er ist deutlich vorgezeichnet durch die Entwicklung der Menschheit, mit der diejenige des Phänomens Krieg parallel verlief.

Unter göttlicher Führung und Leitung betrat der Mensch die Erde und machte dort seine ersten Schritte. Götter lenkten auch seine ersten kriegerischen Auseinandersetzungen, ließen ihn dabei für das Gute und gegen das Böse kämpfen; dann erlebte er sich als Glied der Polis in der Phalanx, als Glied der Zenturie, die mit der römischen Familie gleichgesetzt war, und schließlich als ritterlicher Einzelkämpfer, der aber noch in der göttlichen Ordnung des Mittelalters geborgen war. Ganz im Besitz seines Ich-Bewußtseins konnte er sich als Einzelpersönlichkeit fühlen, wenn er als Söldner die Artikelbriefe seines Werbeherrn oder Kriegsherrn unterschrieb. Im Sinne des Rationalismus war er als Einzelner Rädchen einer Maschine, die in der Lineartaktik den Krieg beherrschte. Das Feuer des Nationalismus ließ ihn sich einerseits für sein Volk opfern, setzte ihn andererseits aber in den Materialschlachten der beiden Weltkriege unbarmherzig der Materie aus. 

Die west- und mitteleuropäischen Staaten sind in ihrer prekären geostrategischen Lage den Widersacher­mächten besonders ausgesetzt: vom kapitalistischen Westen her durch die materialistische Verführung mit Luxus und Wohlleben, die sich als schleichende Gifte für die Seelen erweisen und den Egoismus Einzelner anstacheln, während im heute noch materialistischen Osten die Verführung durch intellektuelle Unterdrückung und die Erstarrung in einem einseitigen Menschenbild, in dem der Einzelne nur Teil der Masse und Produkt des Milieus ist, lauert.

Europa kann, wenn es sich auf seine uralten, echten Kulturgüter besinnt, vereint und seiner eigenen Kraft bewußt diese Gefahren abwehren und zugleich als Mittler wirken. 

Der Einzelne aber steht heute im völligen Ich-Bewußtsein vor der Frage, ob er sich in Freiheit für die Selbsterhaltung oder die Selbstaufgabe entscheiden will. Frei von jedem Egoismus sollte er sich für die Nächstenliebe entscheiden, die ohne Selbst­erhaltung nicht möglich ist. Sie kann die Menschen vor der Selbstvernichtung durch die satanischen und diabolischen Mächte schützen.

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  E n d e 

 

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