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3.4  Kampf ums Überleben    Gruhl-1975

Ziel meiner Warnungen (Visionen habe ich keine, ich halte mich an Fakten) ist nicht die Lähmung der Kämpfer, sondern ihre Aktivierung zum Kampf an der neuen Front. Denn an die Aufgabe, so schwer sie ist, müssen wir heran; vor ihr erblassen alle alten Prioritäten.  Carl Amery 

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Die gesamte Menschheitsgeschichte ist ein Kampf ums Überleben gewesen. Charles Darwin hat den »Kampf ums Dasein« als das in der Natur herrschende Prinzip erkannt. Davon ist der Mensch nicht ausgenommen. Die Menschen befanden sich immer im Kriegszustand. Zuerst war es der Krieg des Sichbehauptens gegen die Umwelt und gegen die menschlichen Feinde — es war ein Krieg aus der Position der Schwäche. Dann war es der Krieg der Menschen gegeneinander, um Land und Rohstoffe.

Seit 1945 ist es der totale Krieg der Menschen gegen die Erde. Dieser verschaffte den menschlichen Parteien eine Atempause, der Erde aber ganz und gar nicht. Dies ist der lautloseste Krieg; denn der Gegner kann weder laut schreien noch sich wehren, und er kann auch keine Bundesgenossen zu seiner Verteidigung aufrufen. Darum ist dies der gefährlichste Krieg; denn der Mensch wird seines Sieges erst gewahr, wenn die Erde vernichtet ist — damit aber auch die Grundlage seines eigenen Lebens.

Die schlimmste Versuchung der nächsten Jahre wird immer noch die zur Verschwendung sein. Doch kein Verschwender wird auch nur mittelfristig überleben. Der Verzicht auf die radikale Ausbeutung der Erde wird auch nie vollständig, bestenfalls partiell sein. Die Völker werden sich aber überall aufgrund der unerhört verschärften Konkurrenz bei der Ausbeutung der Erde mit allen Mitteln verteidigen und mit allen Gütern sparsam umgehen müssen. Wer diese elementaren Grundsätze nicht befolgt, wird nicht überleben. Es wird nicht mehr darum gehen, Leistungen auf allen Gebieten zu erbringen, sondern Leistungen im weltweiten Überlebenskampf.

    Die Stadien der Menschheitsgeschichte  

Die Stadien der Menschheitsgeschichte waren von wechselnden Tendenzen beherrscht.

Erstes Stadium: Isolierte weitläufige Stammesterritorien 

Die Stämme oder Völker beschränken sich auf ihr Territorium. Auf diesem sind sie wirtschaftlich autark. Sie verteidigen diesen Raum (der meist nicht scharf abgegrenzt ist, denn es gibt ja so viel) gegen Angriffe oder erweitern ihn gelegentlich durch Einverleibung von Nachbargebieten. Jahrhunderte und sogar Jahrtausende vergehen ohne besondere Ereignisse. Die Völker leben in diesem Stadium mehr oder weniger vollständig im natürlichen Regelkreis.

Zweites Stadium: Die koloniale Überlagerung 

Seetüchtige Kulturvölker errichten Kolonien. Dafür gibt es schon mehrere Beispiele in der Antike. Vom Beginn der Neuzeit an wurden dann von den europäischen Mächten Kolonialstützpunkte rund um den Erdball errichtet. Von den Westeuropäern wurde Nordamerika und in geringerem Maße Australien und Südafrika durchgehend besiedelt. In Südamerika kam es zu einer Mischung zwischen Ureinwohnern und Völkern verschiedensten Ursprungs. Im übrigen erfolgte eine machtpolitische Überlagerung anderer Völker, wie sie vor allem Großbritannien praktizierte. Damit entwickelten sich wirtschaftliche Abhängigkeiten der Europäer von ihren Kolonien. Solange diese aber militärisch beherrscht wurden, lag darin kein Risiko. Große Auseinandersetzungen gab es nur unter den europäischen Kolonialmächten selbst.

Die Russen hatten den ungeheuren Vorteil, mit der Besiedelung des nordasiatischen Kontinents eine zusammen­hängende Landmasse erwerben zu können. Ein Ereignis, dessen ungeheure Tragweite jetzt erst voll sichtbar wird.

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Diese Vorgänge der territorialen Expansion sind mit dem I. Weltkrieg abgeschlossen. Alle Grenzen liegen seitdem auf den Zentimeter fest und werden überwacht. Es gibt auf dem Globus keine weißen Flecke mehr, es gibt kein Niemandsland mehr.

Drittes Stadium: Die Expansion in die Tiefe und in die Höhe

Mit dem II. Weltkrieg beginnt eine schnelle Verselbständigung der nichtweißen Kolonialvölker. Die Weißen sehen sich auf ihre eigenen Siedlungsräume beschränkt. Die frühere Expansion über die Fläche verwandelt sich jetzt in einem atemberaubenden Tempo zu einer Expansion in die Tiefe. Rohstoffe werden in exponentiell steigenden Mengen aus dem Innern der Erde und aus der See herausgeholt und in riesigen Industrieanlagen verarbeitet. Der Luftraum wird von einem Verkehrsnetz ausgefüllt, und noch höher kreisen Satelliten; Raketen werden in den Weltraum geschickt. Die Eroberung der Fläche hatte Rückschläge erlitten und ist in einer unwahrscheinlichen Intensität in die Vertikale umgeschlagen. Seinen vollendetsten Ausdruck findet dieser Wandel in der Kriegstechnik: Ferngesteuerte Raketen werden aus unterirdischen Bunkern oder aus der tiefen See abgefeuert und stürzen sich aus der Stratosphäre auf ihr Ziel hernieder.

 

Die flächenteilige Wirtschaft insbesondere des ersten Stadiums war für jeden halbwegs überschaubar gewesen. Die vertikale Wirtschaft ist völlig undurchsichtig; kein Mensch versteht sie. Darum fürchtet jeder, er könnte betrogen werden. Wie undurch­sichtig sie ist, beweist ja die Tatsache, daß nicht einmal die Wirtschafts­wissenschaft im Stande war, eine zutreffende Theorie über ihren eigenen Bereich zu entwickeln. Darum konnten die verschiedenartigsten Ideologien ohne echten Bezug zur Realität entstehen. Mit der Ausbeutung des Erdinnern wurde insbesondere die Lehre vom Klassenkampf geboren.

Daraus ergeben sich Verteilungskämpfe innerhalb der Völker. Während früher die hierarchisch gegliederte Bevölkerung zusammen­stand (die Unterschiede im »Lebensstandard« waren gegenüber heute gering), um Angriffe von außen abzuwehren oder den eigenen Lebensraum auszudehnen, wenden sich nun die Stände gegeneinander. Bürgerkriege mit Klassen­kampf­charakter überwiegen nun an Zahl bei weitem die äußeren Kriege. Zwischen den Klassen sind die Grenzen noch fließend und verschiebbar, die Staatsgrenzen dagegen sind eingefroren. Über die Respektierung der Grenzen wachen die Nachbarn und die — inzwischen atomar bewaffneten — Großmächte.

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Die Flächen im Landesinnern sind ebenfalls fest aufgeteilt und bleiben unangetastet, da Ackerboden nicht gefragt ist; nur Baugrund wird umkämpft. Trotz der erstarrten Grenzen schufen der Verkehr und der Austausch riesiger Gütermengen ein Netz von Verflechtungen rund um den Erdball. Dies hatte es in dieser Dichte niemals gegeben, weil dafür die technischen Voraussetzungen noch nie vorhanden gewesen waren. So schien wirklich das »goldene Zeitalter« angebrochen zu sein. Man glaubte, daß es völlig ausreiche, wenn eine UNO für Frieden sorgte; alles andere würde sich schon von selber regeln. Das Geld war der weltweite Garant der Austauschbarkeit von allem und jedem.

Durch die Kolonisierung einst herbeigeführt, wurde die Illusion von der »Einheit der Welt« bisher notdürftig aufrechterhalten. Bis auf den Ost-West-Konflikt zeigten sich auch die Länder weitgehend kooperationsbereit, solange die gemeinsame Ausbeutung der Erde viel größere Gewinne versprach als die isolierte. Aber dieses gemeinsame Unternehmen stand unter der Annahme, daß die Fülle nie ein Ende haben werde. Diese Annahme hatte schwer­wiegende Folgen, die heute nicht mehr rückgängig zu machen sind: Ballungszentren mit jeweils vielen Millionen Menschen entstanden, die in ihrer Versorgung auf weit entfernte Regionen der Erde angewiesen sind, d.h. auf lebenswichtige Güter, die unter fremder Verfügungs­gewalt stehen.

Die Kolonialmächte hatten ihre überseeischen Gebiete auch darum in die Freiheit entlassen, weil sie überzeugt waren, daß diese weiterhin auf die technische und wirtschaftliche Zusammenarbeit angewiesen bleiben würden. Sie meinten, daß die macht­politische Abhängigkeit durch eine des Kapitals und des Wissens mit ausreichender Sicherheit ersetzt werden könne. Die Industrieländer hatten darum Grund, die Entwicklungsländer in der Illusion zu bestärken, daß sie ihren Standard erreichen könnten, wenn sie nur mit ihnen kooperierten. Wie sonst hätten die Entwicklungsländer bereit sein sollen, ihre Rohstoffe herauszurücken, mit deren Hilfe die Industrieländer gigantische Produktionen aufbauten? Die Rohstoffe der Entwicklungsländer hatten einen so geringen Preis, daß er nicht einmal ausreichte, die fehlenden Nahrungsmittel dafür einzutauschen. Der historische Grund: diese Völker waren anfangs außerstande, diese Rohstoffe zu gewinnen, weil ihnen die Techniken fehlten.

Die Periode des Freihandels, in der wir zur Zeit noch leben, funktionierte so lange gut, wie die einzelnen Länder ihre Rohstoffe konkurrierend anboten, in dem Bestreben, damit ihre wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben.

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Seit aber die Erkenntnis um sich greift, daß sie damit ihr einmaliges Kapital weggeben, verschließen sie sich dem Verkauf nach und nach. Sie werden das um so mehr tun, als sie immer mehr Zweifel bekommen, ob es sinnvoll sei, den Industrieländern nachzueifern. Einen freien Welthandel kann es nur so lange geben, wie genügend Güter vorhanden sind, oder solange man wenigstens glaubt, es seien genügend vorhanden. In dem Moment, wo der Mangel sich abzeichnet, wird jedes Land seine Güter unter Zwangswirtschaft stellen. Dann stehen die mächtigen Länder vor der Frage, ob sie jeden gewünschten Preis zahlen oder ob sie die Stoffe wieder mit Gewalt herausholen wollen.

Während der Kolonialzeit waren die Probleme einfach. Die kolonialisierten Völker hatten zunächst nicht einmal Bedürfnisse, die sie zum Verkauf der Bodenschätze hätten veranlassen können. Sie wären auch gar nicht in der Lage gewesen, den Abbau zu organisieren, ja nicht einmal dazu, die Vorkommen zu entdecken. Erst nach langer Kolonialzeit übernahmen diese Völker nach und nach die Bedürfnisse der Kolonialherren. Dennoch vertrauten die alten Kolonialmächte darauf, daß man ihnen die Bodenschätze stets verkaufen würde, und das zu einem billigen Preis; denn die Zahl der Anbieter war groß. Daß dies so bleiben würde, erweist sich bereits jetzt, nach ca. 30 Jahren, als Irrtum.

Die Entwicklungsländer bleiben nicht lange auf die Industrieländer angewiesen; denn sie eignen sich sehr bald das nötige Wissen an. Die Industrieländer haben auch Werke in allen Erdteilen errichtet; ein idealer Ansatzpunkt dafür, künftig alle Rohstoffe im Ursprungsland zu verarbeiten. Viele Produktionen werden jetzt schon von diesen Völkern selbst ausgeführt - und zu billigeren Preisen. Und wo die eigenen Kenntnisse noch nicht reichen, können Fachleute aus dem Ausland geholt und so gut bezahlt werden, daß man sie immer findet. Ganz abgesehen davon, daß die Konkurrenzsituation zwischen Ost und West ebenfalls ausgespielt wird.

 

   Der Übergang vom dritten zum vierten Stadium   

 

Wir stehen nun in der Planetarischen Wende. Auch die vertikalen Grenzen sind nahezu erreicht. Diese Entdeckung wird den Völkern so tief in die Glieder fahren, daß sie sicherheitshalber erst einmal das zurückhalten werden, was sie besitzen. Sie werden es künftig nur noch im Tausch gegen andere lebenswichtige Dinge hergeben, aber nicht gegen immer wertloser werdendes Geld. Schon während die alten Kolonialherren zum kosmopolitischen Denken übergingen, hatten die selbständig gewordenen Völker deren früheren Nationalismus übernommen.

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Heute rechnet jedes Land seine Bodenschätze zusammen und überlegt sich, was sie wert sind und was sie in Zukunft wert werden könnten. Die Regierungen fangen an, auch darüber nachzudenken, wovon ihre Völker wohl leben werden, sobald die Vorräte zur Neige gehen. Die schon getroffenen und noch anstehenden Entscheidungen werden die Weltwirtschaft in ihren Grundlagen erschüttern; war sie doch davon ausgegangen, daß die Bodenschätze so gut wie nichts kosteten und immer irgendwo in beliebiger Menge zu haben sein würden.

Die Regierungen der Industrieländer waren bisher vom automatischen Funktionieren der Weltwirtschaft so überzeugt, daß sie dieses Geschäft den Privatleuten und den privaten Unternehmungen überließen. Daß diese Kapitalbesitzer und ihre Experten in Übersee stets mit offenen Armen empfangen werden würden, galt noch vor wenigen Jahren als selbstverständlich. Diese wurden von den multinationalen Wirtschaftsunternehmen gestellt, die notgedrungen in die Rolle der weltweiten Planer hineinwuchsen, da hier ein Vakuum auszufüllen war. Sie waren die einzigen, die längerfristig disponieren mußten, schon um ihrer Großbetriebe willen.

Wenn aber die politischen Mächte schon zuließen, daß die Dispositionen für viele hundert Millionen Menschen von diesen privaten Gesellschaften getroffen wurden, dann wäre es logisch gewesen, diesen auch die langfristige Zukunftssicherung zu überlassen. Es war zum Beispiel schon seit Jahren abzusehen, daß die Erschließung neuer Lagerstätten — nicht nur beim Öl — nur zu immer höheren Kosten möglich sein würde. Um diese riesigen Investitionen der Zukunft — beim Öl allein rechnet man bis 1985 mit 2000 Mrd. DM — überhaupt aufbringen zu können, wäre für das (bis 1973 billige) Öl ein weit höherer Preis durchaus berechtigt gewesen und auch heute berechtigt. Da aber griffen die Regierungen ein: Das Öl sollte gegenwärtig so billig wie möglich sein und möglichst viel davon verbraucht werden; das bringt Steuern für den gegenwärtigen Haushalt. Dieses Vorgehen erscheint sozial verdienstvoll, führt aber dazu, daß für die zukünftige Versorgung überhaupt niemand verantwortlich zeichnet. Wie die nächste Generation zu Öl kommen und woher sie die Mittel für die vervielfachten Investitionen nehmen soll, das schert die heute politisch Verantwortlichen nicht im geringsten.

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Dies ist ein eklatanter Beweis dafür, daß die politischen Mächte noch kurzfristiger denken und mindestens ebenso skrupellos sind wie die Privatunternehmen. Auch die Staatswirtschaften im Ostblock planen nicht länger voraus als die Großunternehmer im Westen. Witzigerweise unterwerfen sich die dortigen Staatsführungen den gleichen »Sachzwängen«, denen die Unternehmer im Westen unterliegen.

Die bequemen Zeiten, in denen die Weltwirtschaft von alleine lief, sind aber auch für die westlichen Regierungen vorüber. Die Suche und Erschließung neuer Rohstoffvorkommen wird in Zukunft so viel kosten1, daß die multinationalen Gesellschaften und selbst die Industrienationen, die dazu in der Lage sind, sich hüten müssen, ein solches Risiko in politisch unsicheren Gebieten der Welt auf sich zu nehmen. Die rohstoffbesitzenden Länder springen bereits heute recht selbstherrlich mit den multinationalen Unternehmen um und lassen sich auch von den größten Namen nicht beeindrucken. Es ist nicht gesagt, daß sie sich von den Regierungen beeindrucken ließen; aber das Geschäft ist zum politischen Handel geworden, wofür eben die politischen Partner gesucht werden. Unter anderem aus dem Grund, weil viele Staaten langfristiger denken und bessere Absicherungen haben wollen.

Thomas Lovering schrieb schon 1969: »Wenn die gegenwärtige Zersplitterung der Welt anhält, werden mehr und mehr Nationen ihre Wirtschaft gegen äußere Kontrolle ihrer lebenswichtigen Rohstoffe absichern müssen ...«(2)   en.wikipe  Thomas_S._Lovering  1896-1991

Im Dezember 1974 hat die UNO-Vollversammlung eine »Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten von Ländern« beschlossen. Von den 131 UNO-Mitgliedern stimmten 117 dafür, lediglich die USA, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland und drei weitere Länder stimmten dagegen. Die Charta hat den Zweck, »die Entstehung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung voranzutreiben«. Im Artikel 2 heißt es: »Jeder Staat hat das Recht ..., ausländisches Eigentum zu verstaatlichen, zu enteignen oder anderen zu übertragen ... In allen Fällen, in denen die Entschädigungsfrage zu einer Kontroverse führt, soll der Streit nach den nationalen Gesetzen und von den Gerichten des enteignenden Staates gelöst werden ...« Im Artikel 5 heißt es: »Alle Staaten haben das Recht, sich zu Rohstoffkartellen zusammenzuschließen, um ihre nationalen Wirtschaften zu entwickeln ...«3

In einer Untersuchung stellte Walther Casper, ein deutscher Praktiker mit vierzigjähriger Erfahrung im Rohstoffgeschäft, 1974 fest: »In den meisten Rohstoffländern sind Rohstoffdenken und Anspruch auf hoheitliche Verfügungs­rechte kongruent.«4

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Aber nicht nur die Entwicklungsländer, auch Australien, Kanada und Irland betätigen sich heute als »Wächter erschöpfbarer nationaler Wohlstands­quellen und haben die liberale Bergbaupolitik früherer Jahre weitgehend im dirigistischen Sinne geändert«. Darum fordert jetzt die Wirtschaft selbst in der Bundesrepublik Deutschland die »Mitwirkung des Staates zur Rohstoff­sicherung«, da sich »das Rohstoffgeschäft allein mit dem herkömmlichen Mittel der bloßen Beschaffung nach Wirtschaft­lichkeits­kriterien und durch Ausnutzung von Handelsvorteilen nicht mehr meistern lassen wird«.4

Die Rohstoffländer haben die Schwäche der Industrieländer erkannt und schonungslos aufgedeckt. Diese besagt: Produktions­stätten kann man bauen, Lagerstätten jedoch muß man haben. Darum wird jetzt das Territorium wieder die allergrößte Bedeutung erlangen — vor allem das fruchtbare Land und Land mit Bodenschätzen, die woanders knapp sind. Die Rohstoffbesitzer beweisen bereits heute ihre Macht durch selbstherrliche Festsetzung der Preise, die ihnen Milliarden verschaffen.4a

Das ist die Lage an der Planetarischen Wende, sie läutet das vierte Stadium ein. Dieses wird von den Gebilden bestimmt werden, die es seit jeher gibt, den Nationalstaaten, das heißt in erster Linie von den Großmächten unter ihnen.

 

    Das beginnende vierte Stadium der Menschheitsgeschichte    

 

Das Wesensmerkmal des vierten Stadiums wird wieder — wie das des ersten — ein Kampf um Territorien sein. Aber nicht ein langmütiger Kampf um weite fast menschenleere Räume, oft mehr um des Abenteuers und des Ruhmes willen geführt, sondern ein intensiver Kampf der überfüllten Räume. Ein Kampf, in dem es nicht um etwas Zugewinn oder Verlust, sondern buchstäblich um Leben oder Tod geht. Die Kriege der Vergangenheit wurden nur um den größeren oder besseren Anteil geführt. Die Kriege der Zukunft werden um die Teilhabe an der Lebensgrundlage überhaupt geführt werden, das heißt um die Ernährungsgrundlage und um die immer wertvoller werdenden Bodenschätze. Sie werden darum an Furchtbarkeit unter Umständen alles bisher Dage­wesene in den Schatten stellen.

In den nächsten Jahren wird eine bedeutende Motivverschiebung eintreten. Die Weltprobleme verlagern sich. Die Streitpunkte sind künftig nicht mehr die verschiedenen Gesellschaftssysteme und Ideen (die allerdings auch bisher oft nur Vorwände waren), sondern es geht um die nackten Lebensbedürfnisse: um fruchtbaren Boden, Düngemittel, Wasser und Grundstoffe.

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Wer im Besitz solcher Güter ist, wird damit politische Druckmittel in der Hand haben, oder er wird umgekehrt gerade die Begehrlichkeit stärkerer Mächte auf sich ziehen. Wer das am schnellsten begreift, der wird einen Vorteil haben.

Zur Zeit haben wir allen Anlaß anzunehmen, daß die Deutschen unter den letzten sein werden, die das begreifen. Und das, obwohl sie noch vor dreißig Jahren hungernd über die Landstraßen zogen, um sich einige Kartoffeln zu ergattern; obwohl sie zehn Jahre lang die Rationierung durchgemacht haben. So schnell ist die Vergangenheit vergessen! Und da kommen hier einige und rufen: man solle an die Zukunft denken! An etwas, was man sich so gar nicht vorstellen kann, während doch jene Vergangen­heit immerhin fast für die Hälfte der heute Lebenden noch ein bitteres Erlebnis am eigenen Leibe war!

Wir kommen zu der Neubewertung der Machtstrukturen. Nachdem alle Mächte und Kräfte dieser Erde dazu beigetragen haben, die Menschheit in eine tödliche Sackgasse zu jagen, wird die Erkenntnis dieser Lage in den nächsten Jahren eine Schocktherapie bewirken. Diese wird bei den einzelnen Völkern sehr unterschiedlich wirken, aber viele werden ihr Verhalten ändern, bevor die Total­katastrophe über sie hereinbricht.

 

    Die totale Umschichtung der Potenzen   

 

Infolge der Planetarischen Wende hat sich der Wert aller Karten im weltweiten Spiel geändert. Viele, die früher Trümpfe waren, sind wertlos geworden, ja ins Negative umgeschlagen — und es gibt keine Karte, die nicht neu bewertet werden müßte. Andere Karten sind neu hinzugekommen, aber keine einzige ist einer anderen gleich. Außerdem ist der Zeitfaktor einzuführen: Jede Karte ist darauf zu überprüfen, ob sie kurz-, mittel- oder langfristig verwertbar ist. Welches sind die Trümpfe und welches sind die Negativkarten in diesem Spiel? Wir versuchen mit der Reihenfolge zugleich eine Gewichtung:

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1. Die militärische Macht bleibt an der Spitze.5
Sie ist zu unterteilen in  a) die konventionelle Bewaffnung zur Sicherung des Raumes (einschließlich der Rüstungsindustrie), b) die atomare Bewaffnung. Schon diese ist höchst verwirrend: Es kommt darauf an, sie zu haben und dennoch nicht einzusetzen, weil sie immer den eigenen Bereich mitverseucht und weil niemand daran interessiert sein kann, eine Wüste zu erobern. Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß gerade kleinere Mitspieler in einer verzweifelten Situation die Nerven verlieren und daß Zufälle mitspielen.5

2. Die Fähigkeit zur Bevölkerungsplanung.
3. Die Bedürfnislosigkeit oder Leidensfähigkeit der Bevölkerung. Dies wird langfristig der wertvollste Trumpf sein. Er wird selbst dann noch wirken, wenn die Militärmächte sich vernichtet oder zu Tode gesiegt haben sollten. Tödliche Gefahr droht allerdings auch den bedürfnislosen Völkern von der Radioaktivität.
4. Die eigene Nahrungsmittelversorgung einschließlich der Düngemittelbeschaffung.
5. Die ökologische Unversehrtheit, besonders den Wasserhaushalt, die Wälder und das Klima betreffend.
6. Die potentiellen Rohstoffvorräte.
7. Die potentiellen Energievorräte (Kohle, Erdöl, Erdgas, Uran?).
8. Die Bevölkerungsstärke (wenn sie ernährt werden kann).
9. Die Ausdehnung des Landes.
10. Die durchschnittliche Besiedelungsdichte des Landes.
11. Die Zentralisierung der Bevölkerung in Städten oder ihre Dezentralisierung über das Land.
12. Die zivilisatorische Anfälligkeit der Bevölkerung (Lebensstandard).
13. Die industrielle Kapazität (ohne Rüstungsindustrie).
14. Das technische Wissen (auch mit negativen Begleiterscheinungen entsprechend den Punkten 11. und 12. belastet).
15. Die organisatorische Effektivität.
16. Die Fähigkeit von Teilen des Volkes, selbständig zu handeln und improvisiert zu leben.
17. Vorhandene gemeinsame ideelle Zielsetzungen einschließlich der Religion.
18. Die Geschlossenheit einer Nation beim Einsatz für ihre Ziele.
19. Der Überlebenswille.

 

Der absolute Wert eines Staates kann an Hand dieser Kriterien ermittelt werden. Dabei überlassen wir die Bewertung der einzelnen Staaten dem interessierten Leser selbst.

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Neu gegenüber früheren Einschätzungen oder beträchtlich im Stellenwert erhöht sind die Punkte 2. bis 7. sowie (mit negativer Wertung) 11. und 12. Stark gesunken sind die Punkte 13. und 14. (wobei natürlich eine enge Beziehung zu 1. bleibt), da ihr Wert völlig von der Grundlage 6. und 7. abhängig ist.

Doch das ist noch nicht alles. Von wesentlicher Bedeutung ist auch die geographische Lage eines Staates auf dem Globus: im Verhältnis zu anderen Staaten unterschiedlicher Potenz oder zum Meer. Aus der Lage ergibt sich eine sehr unterschiedliche Einschätzung des Wertes eines Staates für jedes andere Land, die sich im Laufe der Zeit auch wandelt. (So unterliegt jedes in den Augen jedes anderen einer unterschiedlichen Einschätzung als potentieller Partner oder Gegner.) Diese unterschiedliche Beurteilung führt zu einem Bündnis- oder einem Eroberungswert (Geopolitik).

Die politische Staatsform wurde nicht mehr aufgeführt. Ihre Effektivität ergibt sieh aus der gesamten Skala und besonders aus den Punkten 15. bis 19. Die Staatsform kann sich durch Umstürze schnell ändern, wobei auftauchende geschichtliche Persönlich­keiten eine Rolle spielen.

Wenn man die heute existierenden Nationen an den Bewertungskriterien mißt, dann ergeben sich Unterschiede wie zwischen Tag und Nacht, oder besser zwischen fast Null und fast Unendlich. Es gibt eine Reihe kleinerer Nationen, die völlig bedeutungslos sind — die aber zum Teil gerade darum eine große Chance des Überlebens haben. Und es gibt die Großen, die über die weitere Entwicklung entscheiden.

Für eine objektive Berechnung eignen sich die Punkte 1. und 4. bis 13. Über die militärische Stärke gibt es genügend Betrachtungen, so daß wir uns diese hier ersparen können. Uns interessieren außer der Versorgung mit Nahrung vor allem die Rohstoff- und Energievorräte.

Für die jetzt folgende Periode der Weltpolitik sind der Rüstungsstand, die zahlenmäßige Größe eines Volkes, seine Ausstattung mit fruchtbarem Boden, Grundstoffen und Industrien weiterhin wichtigste Voraussetzungen. Es wird aber nach der Planetarischen Wende entscheidend darauf ankommen, wofür ein Volk seine Leistungskraft einsetzt. Kein Land der Erde ist mehr so ausgestattet, daß seine Ressourcen auf längere Zeit zugleich für den höchsten eigenen Wohlstand und für den internationalen Über­lebens­kampf ausreichen.

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Angesichts der Knappheit auf der Welt haben jetzt die Völker einen Vorteil, die ihr Land noch nicht in dem Maße abgegrast haben, und sie haben einen weiteren Vorteil, wenn ihre Bevölkerungen noch nicht so verwöhnt sind. Für die Zukunft werden die Völker einen riesigen Vorsprung erreichen, denen es gelingt, ihren Rüstungsstandard auf der höchsten Spitze, ihren Lebensstandard jedoch niedrig zu halten. Dies wird das Feld sein, auf dem sich der internationale Wettkampf hinfort abspielt.

Wir stießen in dem Abschnitt »Verzicht statt Leistung?« auf das Problem: Wie kann im internationalen Wettbewerb ein Land verzichten, wenn es das andere nicht tut? Dies geht nach landläufigen Vorstellungen gar nicht, weil es dann aus dem internationalen Wettbewerb ausscheiden würde. Und es geht doch!

Es gibt historische Beispiele dafür, daß Völker sich ganz auf die Verteidigung ihres Lebensraumes konzentriert haben. Die Spartaner sind dadurch berühmt geworden, daß sie eine hohe militärische Bereitschaft durch eine harte, eben »spartanische« Lebensweise erlangt haben.

Was aber heißt das heute? Jetzt ist, um mithalten zu können, eine atomare Bereitschaft erforderlich, die selbst wieder riesige Industrien zur Voraussetzung hat. Dennoch bedeutet dies nicht, daß zugleich riesige Verbrauchsgüter-Industrien vorhanden sein müßten. Den Beweis liefern die Sowjetunion, China und sogar Indien. Die Sowjetunion erreichte ein Optimum an militärischer Bereitschaft bei einem Minimum an Wohlstand — und damit einem geringen Grundstoffverbrauch.

Der optimale Wohlstand benötigt viel mehr Grundstoffe als die optimale Rüstung! Wer beides zugleich will, wird bei gleichem Ausgangspunkt viel früher am Ende seiner Kräfte sein als der, der sich beschränkt. Damit gewinnt das Volk sehr schnell einen immer größer werdenden Vorsprung, welches den privaten Wohlstand einschränkt.

Selbst die Vereinigten Staaten, die den II. Weltkrieg noch bei Wahrung ihres vollen Wohlstandes gewinnen konnten, werden einen solchen »Zweifrontenkrieg« jetzt nicht mehr durchstehen können. Das Ende solcher Illusionen begann 1973, als die USA und ihre weltweiten Konzerne die Rolle des Aufkäufers zu Billigstpreisen nicht mehr spielen konnten. Von da an stellt sich die Frage für die »freiesten Bürger der Welt«: Was haben wir noch in unserem eigenen Land? Und es stellte sich heraus, daß dies so riesig viel nicht mehr ist.

Man hat sich daran gewöhnt, Amerika als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten anzusehen. In seiner ersten »State of the Union«-Rede hatte der dritte Präsident Thomas Jefferson im Jahre 1800 erklärt: »Wir sind gesegnet mit einem auserwählten Land, das Raum genug hat für unsere Nachfahren bis zur tausendsten Generation ...«6

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Heute sind wir sage und schreibe sechs Generationen weiter! Noch keine zwei Jahrhunderte sind vergangen und dieser Traum ist verflogen; so gründlich hat man den nordamerikanischen Kontinent geplündert.

Das Erdöl (von dessen Existenz man zur Zeit Jeffersons noch gar nichts wußte) geht zur Neige, nur die Funde in Alaska bringen noch eine Atempause. Die gesicherten Reserven an Erdgas decken beim gegenwärtigen Verbrauch gerade noch den Bedarf auf 15 Jahre.7

Die Vereinigten Staaten haben sich nicht anders verhalten als die Europäer auch, sie haben zunächst das eigene Land ausgeplündert. Übriggeblieben sind hier wie dort große Mengen Kohle und etwas Eisen.

Bis gegen Ende der vierziger Jahre exportierten die USA mehr Rohstoffe als sie einführten. 1970 mußten bereits 4 Mrd. Dollar für Rohstoffimporte bezahlt werden.8 Dazu gehörte der gesamte Bedarf an Chrom, Niob, Glimmer, Tantal und Zinn; über 90% des Bedarfs an Aluminium, Antimon, Kobalt, Mangan und Platin; mehr als die Hälfte von Asbest, Beryllium, Kadmium, Flußspat, Nickel und Zink; mehr als ein Drittel an Eisenerz, Blei und Quecksilber. Mesarovic und Pestel haben errechnet, daß die USA im Jahre 2000 bei den Stahlveredlern 80 % und bei den Nichteisenmetallen 70 % werden einführen müssen,9 sie verraten aber nicht: woher?

Da die Amerikaner einen so hohen privaten Wohlstand erreicht haben wie sonst kein Land, stehen sie nun vor den allergrößten Schwierigkeiten. Diese ergeben sich geradewegs aus ihren Erfolgen. Sie müßten angesichts der Planetarischen Wende ihren Bürgern den Wohlstand radikal entziehen, wenn sie noch längere Zeit im internationalen Rennen bleiben wollen. Das wird wahrscheinlich nicht durchsetzbar sein. Zunächst werden darum die Vereinigten Staaten als Aufkäufer in der ganzen Welt auftreten und dabei mit Europa und Japan in immer stärkere Konkurrenz geraten.

Das bedeutet weiterhin, daß die USA eine angestrengte und waghalsige Außen- und Wirtschaftspolitik führen müssen, um sich den größtmöglichen Anteil der Ressourcen der gesamten westlichen Welt während der nächsten Jahre zu sichern. Es könnte leicht sein, daß ihnen das nur teilweise gelingt. Wenn dagegen die Sowjetunion die wenigen Quellen in den Warschauer-Pakt-Staaten samt der dortigen Bevölkerung verliert, dann verbessert sich ihre Vorratslage sogar noch; denn diese dicht besiedelten Länder benötigen mehr, als sie selbst haben!

Die Vereinigten Staaten werden also in allergrößte Bedrängnis kommen. Sie können nicht gleichzeitig ihren hohen Rüstungs­standard und den hohen Lebensstandard ihrer Bevölkerung aufrechterhalten.

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Um überhaupt noch einigermaßen mithalten zu können, werden sie ihre Lebensmittel­überschüsse rücksichtslos als Tauschobjekt gegen Rohstoffe verwenden müssen. Aber so sehr viele Rohstoffe hat die Dritte Welt gar nicht zu bieten. Wenn man von einem steigenden Eigenverbrauch ausgeht, ist es sogar wenig. Die Folge wird sein, daß für Europa und Japan fast nichts übrigbleibt.

 

   Die drei Welten   

 

Die folgende Tabelle (s. nächste Seite) zeigt die Verteilung der Grundstoff-Vorräte auf die »drei Welten«: Industrieländer, Entwicklungsländer und Sozialistische Länder. Wenn auch die endgültig nutzbaren Vorräte noch nicht feststehen und sich daher vergrößern werden, so kann man doch davon ausgehen, daß weitere Lager ganz überwiegend an den Stellen der Erde gefunden werden, wo solche Vorkommen bereits bekannt sind. Darum sind große Verschiebungen zwischen den drei Blöcken nicht zu erwarten. Wir haben in der folgenden graphischen Darstellung innerhalb der drei Hauptgruppen auch die Aufteilung auf die einzelnen Regionen (nach der Einteilung von Mesarovic und Pestel) berücksichtigt.10 Die geringste Genauigkeit besteht naturgemäß bei China. Auch bei der Sowjetunion gibt es noch Lücken, aber diese werden an dem Gesamtbild wenig ändern.11

Vergleicht man die regionale Verteilung der Rohstoffe mit der Verteilung der Bevölkerung, dann fällt auf, daß der schwache mittlere Block die größten Menschenmassen zu versorgen hat. Nimmt man Lateinamerika und die arabischen Länder dort noch heraus, dann wird das Grundstoff/Mensch-Verhältnis für die übrigen 1,5 Mrd. Afrikaner und Südasiaten geradezu grotesk. Aber die Lage Japans ist sogar noch viel schlechter.

Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man vom Grundstoff/Verbrauchsverhältnis ausgeht. Dann liegt Japan wieder am ungünstigsten, gefolgt von Europa. Denn angesichts des hohen Verbrauchs der Europäer sind ihre eigenen Vorräte sehr schwach. Das bedeutet, daß diese beiden wirtschaftlichen Großmächte keine Basis haben. Ihre Abhängigkeit ist so riesig, daß sie zu einer eigenständigen Politik nicht mehr in der Lage sind. Und selbst dieser Stand verschlechtert sich von Jahr zu Jahr, weil der hohe Verbrauch die letzten Eigenbestände schnell aufzehrt.

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Verteilung der Grundstoff-Vorräte der Welt 
nach Anteilen in % der bekannten Gesamtmenge (= 100 %)

Quellen: Commodity Data Summaries, 1974 u. 1975, U.S. Bureau of Mines, Washington, D.C.; Jahrbuch für Bergbau, Energie, Mineralöl u. Chemie 1974, Verlag Glückauf, Essen; Studie über: »Angebot und Nachfrage mineralischer Rohstoffe«, Band V, Zink, hrsg. von DIW, Berlin, und Bundesanstalt für Geowissenschaft, Hannover 1974; Zeitschrift »Uranium«, Ressourees, Production, and Demand, OECD, Paris, August 1973; OELDORA-DO 74, ESSO AG, Hamburg. 

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Das Ergebnis ist, daß nur drei Großmächte soweit mit allem versehen sind, daß sie eine unabhängige Politik treiben können: USA, Sowjetunion und China. Aber auch da gibt es schon riesige Unterschiede. Zunächst fällt auf, daß die beiden kommunistischen Mächte einen gewaltigen Rohstoffblock für sich haben. Dieser ist jedoch höchst ungleich verteilt, wenn man den Anteil der 800 Mill. Chinesen mit dem der 360 Mill. des Ostblocks vergleicht. Selbst wenn man bei China noch die Entdeckung riesiger Lagerstätten unterstellt, bleibt es bei seiner Bevölkerungszahl benachteiligt. Es kann bei hoher Verteidigungsbereitschaft diesen Nachteil nur durch äußerste Einschränkung des Privatverbrauchs wettmachen, wenn es langfristig Politik treiben will.

 

   Geschlossene und offene Systeme   

 

Die Sowjetunion und China bilden heute zwei in sich abgeschlossene Wirtschaftsräume mit minimalen Außenbeziehungen. Wie die Tabelle der Rohstoff­verteilung zeigt, besteht keine Not für sie, daran etwas zu ändern. Das ganze Gerede von der »Einen Welt«, die aufeinander angewiesen sei, kann den beiden kommunistischen Großmächten nur ein Lächeln entlocken. Der Ostblock (Sowjetunion und Warschauer-Pakt-Staaten) hatte sich von Anfang an auf allen Gebieten abgesondert und Rotchina zunächst noch mehr. Beide Großmächte sind fast völlig autark und wollen es auch bleiben. Damit haben rund 30% (1.150 Mill. = 1973) der derzeitigen Weltbevölkerung mit 26% der Erdoberfläche eine Sonderstellung inne. Da sich die Bevölkerung in der Sowjetunion und in China nur noch wenig vermehrt12, bestehen auch von daher keine unlösbaren Probleme.

Während die Grenzen der kommunistischen Länder weitestgehend geschlossen sind, stehen die der westlichen Länder offen, wie auch die fast aller Entwicklungsländer. Die natürliche Folge davon ist, daß hier ein Geflecht von Verbindungen besteht, das von der wirtschaftlichen Kooperation (zum großen Teil noch aus der Kolonialzeit) über den Handel und Verkehr (Tourismus) bis zur immer noch unterhaltenen christlichen Mission reicht.

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 In den letzten Jahren wurden die Industrieländer von den Rohstofflieferungen der Entwicklungsländer immer abhängiger, und von diesen wiederum einige von den Nahrungsmittellieferungen einzelner Industrieländer.

Solch gegenseitige Abhängigkeitsverhältnisse gibt es zwischen den kommunistischen Ländern und der Dritten Welt nicht;13 Handels- und Hilfsverträge haben geringen Umfang und werden meist nur sporadisch abgeschlossen. Die Exporte der kommunistischen Länder in die übrige Welt betrugen 4% des Welthandels im Jahre 1950 und 1970 nur noch 3,9%. Die Exporte der Entwicklungsländer nach den kommunistischen Ländern gingen in der gleichen Zeit von 2,2 auf 0,9% zurück.14

Die sowjetische Entwicklungshilfe ging (in $) von 1,8 Mrd. 1971 ebenfalls auf 1,5 Milliarden 1973 zurück. Dem standen fast 13 Mrd. des Westens im Jahre 1973 gegenüber. Will der Osten die Entwicklungsländer entwickeln? Nein! Soweit die Sowjetunion Entwicklungshilfe betreibt, tut sie das von Anfang an unter dem Aspekt ihrer langfristigen machtpolitischen Interessen.15

All das bedeutet, daß die aufkommenden Krisen und die drohenden Katastrophen ausschließlich eine Angelegenheit der nichtkommunistischen Welt sind und sein werden. Die östlichen Länder werden davon faktisch nicht berührt. Wenn sie nicht wollen, dann berichtet bei ihnen nicht einmal eine Zeitung darüber. Der Osten kann es sich leisten, alle Vorgänge im Westen ausschließlich nach politischen Gesichtspunkten zu behandeln. Und dabei ist er völlig frei, er braucht keine Rücksicht auf wirtschaftliche und humanitäre Verflechtungen zu nehmen, da solche nur in sehr geringem Ausmaß existieren. Die kommunistischen Länder können die ganze übrige Welt in ihrem eigenen Saft schmoren lassen, ohne selbst betroffen zu sein.

Die westlichen Industrienationen aber und besonders die USA müssen weltweit agieren, während sich die Sowjetunion und China nicht von der Stelle zu bewegen brauchen. Damit hat der Westen auch alle Schrecken der Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt durchzustehen. Die Nordamerikaner haben hier allerdings ein Faustpfand in der Hand: ihre Nahrungsmittelüberschüsse. Diese werden aber künftig nur noch dazu ausreichen, die dringend benötigten Rohstoffimporte der USA zu kompensieren. Wer keine Rohstoffe hat, wird keine Nahrungsmittel mehr bekommen können.

328


Auch die anderen westlichen Industriestaaten können sich nicht aus den weltweiten Verflechtungen lösen, weil sie eben ohne die Rohstoffe der Entwicklungsländer nicht mehr wirtschaften können. Nur haben sie leider selbst nichts zu bieten außer hochwertigen Produktions­stätten und hochqualifizierten Arbeitskräften, die auf Rohstoffe warten.

In den nächsten Jahrzehnten werden aber Arbeitskraft und Wissen viel weniger Wert haben als bisher. Das bedeutet auch, daß kaum ein Staat der Welt künftig noch daran interessiert sein wird, die Hoheit über fremde Bevölkerungen zu erlangen, die auf ihrem Territorium nichts zu bieten haben als Menschen. Arbeitskräfte werden manchmal die wertloseste Ware sein. Man wird Menschen nur als unerwünschte Verbraucher betrachten, lediglich geeignet, die eigenen Rationen zu schmälern. Und hohe Produktions­kapazitäten mit dem dazugehörigen Wissen werden ebenfalls nicht gefragt sein.

Die kommunistischen Staaten werden dem Konflikt zwischen Rohstofflieferanten und Verbrauchern gelassen zusehen können. Dies war schon in der Ölkrise der Fall. Sie werden aber bei jeder Gelegenheit die westlichen Industrieländer für die Hungersnöte verantwortlich machen; diese haben ja auch selbst dauernd verkündet, daß sie sich für die ganze Welt verantwortlich fühlen. Die Sowjetunion ist da ganz fein heraus; sie verkündet nur, daß das Gesellschaftssystem revolutioniert werden muß — ob das die Rettung brächte, braucht sie glücklicherweise nicht zu beweisen. Für die Eingeborenen Afrikas, Indiens oder Südamerikas sind die Sowjetunion und China so fern wie das Paradies. Mit den Europäern und den Yankees hatten sie dagegen immer zu tun, und Verflechtungen schaffen Reibungen. Insbesondere müssen sich die alten Industrieländer auch »des gefährlichen Unmuts bewußt sein, der auftreten kann, wenn eine Rohstoff liefernde Nation feststellt, daß sie buchstäblich ihr industrielles Potential für ein Butterbrot verschenkt hat«.'" Die kommunistischen Staaten haben da den großen Vorteil, daß sie nicht in die Schußlinie dieses Unmuts geraten können, da sie fast nichts beziehen.

Die Sowjetunion ist für die armen Länder dennoch sehr wichtig. Im Schatten ihrer militärischen Macht sind sie vor gewaltsamen Aktionen der westlichen Industrieländer gesichert. Das zeigte sich besonders in der Ölkrise 1973. Nur weil die Araber sicher waren, daß eine westliche Invasion sofort sowjetische Gegenaktionen auslösen würde, konnten sie selbstherrlich handeln. Immerhin haben damals einige amerikanische Regierungs­mitglieder an ein militärisches Eingreifen laut gedacht. Und der amerikanische Außenminister Henry Kissinger hat dann um die Jahreswende 1974/75 eine deutliche Warnung ausgesprochen, obwohl eine Existenzkrise für die Vereinigten Staaten noch nicht vorliegt.

329


Geographisch sind allerdings die Verhältnisse für die Araber besonders günstig, da Vorderasien unmittelbar an den Machtbereich der Sowjetunion grenzt (was andererseits auch gefährlich ist) und diese allergrößtes Interesse daran haben muß, das Öl, wenn es schon nicht in eigene Hand gebracht werden kann, zumindest nicht völlig dem Gegner zu überlassen.

 

   Der Zweikampf   

 

Global betrachtet, ist die Welt nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich zweigeteilt, wobei der kommunistische Teil aus zwei völlig unabhängigen Mächten besteht. (China kann in unserer Betrachtung zunächst ausgeklammert werden, da es machtmäßig noch nicht sehr in die Weltpolitik eingreift und erklärt, dies auch nicht tun zu wollen.) Dagegen kann die gesamte übrige, die nichtsozialistische Welt zusammen­gefaßt werden, auch wenn der Mittelblock in Teilen ein Operationsfeld der Großmächte ist.

Die sogenannte »westliche Welt« bildet einen Wirtschaftsblock, der 2,8 Milliarden Menschen zu versorgen hat, dem der Ostblock (darunter verstehen wir immer die Sowjetunion und ihre europäischen Verbündeten) mit 360 Millionen gegenübersteht. Damit stellt sich das Verhältnis der Bevölkerungen dieser zwei Blöcke auf 8:1. Das Verhältnis der Bodenschätze beträgt für den Westen jedoch bestenfalls nur 3:1. Das bedeutet, daß einem Ostblockbewohner fast dreimal soviel Grundstoff­vorräte zur Verfügung stehen wie dem westlichen Bürger.

Nun aber kommt wiederum der Zeitfaktor hinzu. Im Ostblock wird es einen jährlichen Zuwachs der Bevölkerung von weniger als 1 % geben, im westlichen Bereich jedoch einen über 2 % (infolge der sehr hohen Vermehrung der 2 Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern). Noch stärker fällt jedoch ins Gewicht, daß der Westen von den meisten Grundstoffen das Mehrfache dessen verbraucht wie der Ostblock. Das bedeutet, daß die westliche Welt ihre Bodenschätze auch dann viel schneller aufzehrt — selbst wenn man die in den nächsten 35 Jahren zu erwartende Bevölkerungs­verdoppelung noch gar nicht berücksichtigt oder unterstellt, daß die Entwicklungsländer ihren Verbrauch gar nicht steigern werden.

Vergleichen wir zunächst die Entwicklung der Sowjetunion und der USA. Für beide liegen verläßliche Daten vor. Die Bevölkerungen und Rüstungen der USA und der Sowjetunion sind fast gleich stark. Die Nordamerikaner verbrauchen aber pro Kopf der Bevölkerung 2,5mal soviel Energie und von den meisten Rohstoffen zwei- bis dreimal soviel wie die Sowjetbürger.

330


Schon wenn beide gleichviel Grundstoffe in ihrem Land hätten, wäre es ein reines Rechenexempel, wieviel länger die Sowjetunion damit reichen würde. Denn bei gleichem Gesamtaufwand für die Rüstung »verzehrt« jeder Bürger privat in den USA etwa dreimal soviel wie der Bürger der Sowjetunion. Nun ist aber sogar noch der gegenwärtige Bestand, von dem auszugehen ist, ungleich. 

Demnach käme es unter der Voraussetzung, daß die Verbrauchsraten von 1973 unverändert bleiben, zu folgender Entwicklung bei den wichtigsten Grundstoffen:

 

 

 

 

USA

 

 

UdSSR

 

Vorräte
 (a)
Mill. Tonnen

Jahresverbrauch
1973 (c)
Mill. Tonnen

Lebensdauer

Jahre 

Vorräte 
(b)
Mill. Tonnen 

Jahresverbrauch
1973 (c)
Mill. Tonnen

Lebensdauer

Jahre 

 

 

 

 

 

 

Steinkohle

1.100.000

500

2200

4.121.603

483

8550

Braunkohle

406.000

13

— (h)

1.406.380

158

8900

Erdöl

4.678

623

7

14.106

318

44

Erdgas_Mrd_m3

7003

664

10

20.824

231

90

Uran (d)

1,169

0,0102

114

0,960

?

?

Phosphat

2.723

4,6

592

1452

2,6

560

Eisen (e)

9000

91,6

10

110.000

95,9

1 140

Aluminium (f)

36

5,1

7

320

1,5

206

Blei

51

1,1

46

17

0,5

31

Kupfer

75

2,1

35

32

1,1

29

Zink

32

1,4

23

25

0,6

41

Zinn

0,0050

0,0590

0

0,1905

0,017

11

Nickel

0,1800

0,1840

0

9

0,097

93

Quecksilber

0,0131

0,0018

7

0,0104

0,0015 (g)

7

Silber

0,0404

0,0058

7

?

?

?

Quellen: 
a)
Jahrbuch für Bergbau, Energie, Mineralöl, Chemie 1974 (Stand 1973) Commodity Data Summaries, Bureau of Mines 1974. b) Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, Kurzbericht vom Januar 1975. c) Metallstatistik 1963-1973, 61. Jahrgang 1971. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, 1973.

Erläuterung:  
d)
Uran in Uran-Metall ausgewiesen. Vorräte bis 15 $ Kosten je Lb U3O8 nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (März 1975). Verbrauch aus US Ministery of Interier (1974). 
e)
Eisen-Vorräte als Eisenerz (ca. 50% Fe-Gehalt). 
f) Aluminium-Vorräte als Bauxit (ca. 53% Al.O,) ausgewiesen. 
g) geschätzt, 
h) Braunkohle wird offensichtlich sehr wenig genutzt, darum ist eine Umrechnung auf die Lebensdauer wenig sinnvoll, 
i) Die Lebensdauer von 114 Jahren hat kaum Aussagewert, da sie auf der Basis der geringen Verbrauchsrate des Jahres 1973 errechnet werden mußte. Nirgends sind die Steigerungsraten so gewaltig wie bei Uran.

331


Aus den Zahlen ergibt sich, daß es für die Vereinigten Staaten eine Existenzfrage ist, ob sie aus der übrigen Welt große Mengen von Rohstoffen einführen können oder nicht. Dabei stoßen sie aber auf die Konkurrenz großer Industrieländer, für die der Import von Grundstoffen eine Frage von Tod oder Leben ist. Je höher die westlichen Länder insgesamt ihren Lebensstandard halten wollen, um so hoffnungsloser wird ihre Situation, um so größer der Vorsprung der Sowjetunion.

Wenn die Sowjetunion sich Zeit läßt, dann naht bald der Punkt, an dem die Vereinigten Staaten am Ende ihrer Grundstoffe sein und zu einer zweitrangigen Macht absinken werden. Es kommt nur darauf an, ob die Sowjetunion im Stande ist, den privaten Verbrauch ihrer Bürger anzuhalten. Schon heute dürfte feststehen: den Wettstreit um Butter und Kühlschränke hat die Sowjetunion verloren, den Kampf um die länger reichenden Grundstoffe aber hat sie gewonnen. Es gibt auch Anzeichen dafür, daß die Sowjetunion bewußt darauf hinsteuert.16a) 

Wir können aus diesen Untersuchungen eine höchst bedeutungsvolle und entscheidende Feststellung ableiten: Den entscheidenden strategischen Vorteil werden die Völker haben, denen es gelingt, ihre Vorräte so lange wie möglich zu strecken und ihren Lebensstandard einzuschränken! Dies ist bei der Sowjetunion heute bereits der Fall. Und China könnte daraufhin in Zukunft noch größere Chancen haben, wenn nicht die riesigen Menschenmassen Chinas dabei eher von Nachteil denn von Vorteil sein werden. Wenn es aber gelingt, diese auf einem einfachen Lebensstandard zu halten, und wenn sich die Bodenschätze als reichhaltig erweisen, dann ist China künftig unschlagbar.

Man sieht, die Gesichtspunkte nach der Planetarischen Wende verändern das Weltbild radikal. Die neuen Erkenntnisse sind von explosiver Tragweite. Wenn es in der Weltgeschichte nicht schon immer so war: diesmal werden mit Sicherheit die mageren Völker die fetten besiegen. Es scheint, daß die Amerikaner die neue Lage zu begreifen beginnen, daß ihre Vorstellungswelt jetzt zusammenbricht.

Von diesen Vorteilen für die kommunistische Welt konnte Karl Marx nichts ahnen. Und es ist noch fraglich, ob die heutigen sowjetischen Funktionäre sie schon voll erkannt haben. Der Vorsprung der Sowjetunion hat sich nicht aus der Ideologie, sondern ganz einfach aus der geographischen Lage und riesigen Ausdehnung des Landes ergeben, aus seinem Reichtum an Bodenschätzen, die überdies infolge des später aufgenommenen Marsches in die Industrialisierung noch in größerem Umfang bewahrt worden sind. Um die Ironie voll zu machen, könnte man auch sagen: infolge der Weisheit der Zaren, die nicht versäumten, das ganze nördliche Asien bis zum Stillen Ozean zu erobern.

332


Es gibt nichts Kurioseres als die Weltgeschichte; aber noch kurioser ist ihre Deutung: Die Kommunisten werden wahrscheinlich auch in 50 Jahren ihre Überlegenheit als das Ergebnis der marxistischen Lehre feiern.

Den am weitesten vorausschauenden Erkenntnisstand haben in dieser Richtung allem Anschein nach die Chinesen. Enzensberger führt dazu aus: »Der sparsame Umgang mit den Ressourcen der Natur ist ein wesentlicher Bestandteil der chinesischen Kultur. Diese jahrtausendealte Tradition ist nach dem Sieg der Revolution nicht unterbrochen, sondern auf den Begriff gebracht worden. Wenn man die Politik der chinesischen Führung unter diesem Gesichtspunkt analysiert, kommt man zu dem Schluß, daß sie sich der ökologischen Problematik vollkommen bewußt ist und daß sie, als einzige Regierung der Welt, nicht nur mit ihr rechnet, sondern konsequente Strategien zur Verhinderung der Katastrophe entwickelt hat.

Eine Losung Mao Tse-tungs, die Anfang 1973 ausgegeben wurde (und die übrigens eine fast wörtliche Replik auf eine Weisung des Führers der <Roten Bauernarmee>, Tschu Juan-tschang, aus dem vierzehnten Jahrhundert ist), läßt dieses Zielbewußtsein klar erkennen: <Baut tiefe Tunnel, schafft Vorräte an Getreide und geratet niemals in Versuchung, Hegemonie anzustreben.>

Der letzte Teil des Satzes hat die entschiedene Ablehnung jeder Großmachtpolitik zum Inhalt. Dem entspricht die Unabhängigkeit vom Weltmarkt, an der China festhält. Die Größe des Landes und sein Reichtum an Rohstoffen, die nur sehr vorsichtig ausgebeutet werden, machen es autark. Die Landwirtschaft hat eine breite Basis, sie ist nur ansatzweise industrialisiert und kann im Notfall ohne Nachschub von technologischen und chemischen Produkten aus den Ballungsräumen funktionieren. Die hochgezüchteten Sektoren der chinesischen Industrie sind zwar sehr leistungsfähig, aber ihr relatives Gewicht in der Gesamtökonomie ist ebenso gering wie ihr Rohstoffbedarf. Die Massenfertigung beschränkt sich auf Güter einer intermediären Technologie, wie Fahrräder oder Nähmaschinen, die auch in kritischen Situationen brauchbar sind und die Anfälligkeit der Gesellschaft bei Versorgungsengpässen eher vermindern als erhöhen. Ein entscheidender Vorteil ist die durchgehende Dezentralisierung der Ökonomie, die ein autonomes Überleben auch bei akuter Bedrohung der Zentren des Landes sichert.«17 Auch nach der forcierten Industrialisierung der letzten Jahre leben noch 70 % der Chinesen, das sind 560 Mill. Menschen, von der Landwirtschaft.

333


Ob diese Entwicklung in den kommunistischen Staaten nun gewollt ist oder nicht: Sie haben noch unausge­beutete — und sehr wahrscheinlich auch noch unentdeckte — Reserven im Boden und damit einen entscheidenden Vorteil. Sie haben den weiteren Vorteil, daß ihre Menschen noch an ein weniger anspruchsvolles Leben gewöhnt sind (in China stärker als in der Sowjetunion), so daß der Privatverbrauch weiter gedrosselt gehalten werden kann. Und sie haben den dritten Vorteil, daß sich mit Ausnahme der Großstadtbevölkerungen noch große Teile ihrer Völker ohne fremde Güter und ohne fremdes Wissen am Leben erhalten können (ebenfalls in China stärker als in der Sowjetunion).

 

   Die übrigen Industrieländer   

 

Genauso eindeutig, wie sich damit Geographie und Geschichte zugunsten der Sowjetunion — und evtl. auch Chinas — auswirken, wirken sie zum Nachteil der westlichen Demokratien. Diese sind arm dran. Was die Europäer hatten, haben sie schon in den letzten zwei Jahrhunderten zum größten Teil aufgebraucht. Aber sie haben noch nie so viel »gebraucht« wie heute, wo sie den größten Teil einführen müssen.

Die Abhängigkeit der neun EG-Länder erreicht bei den Grundstoffen folgende Ausmaße (die wiederver­wendeten Anteile sind dabei schon abgezogen):

Erdöl

95 %

Eisen

75 %

Kobalt

100 %

Erdgas

 5 %

Kupfer

65 %

Zinn

  86 %

Kohle

 7 %

Bauxit

57 %

Magnesium

 80 %

Uran

75 %

Wolfram

95 %

Mangan

100 %

Quelle: Mitteilung der Europäischen Gemeinschaft: Uran, Vorräte und Versorgungsanlagen von 1962-1980 o. J.

Phosphat hat lediglich das nicht zur EG gehörende Spanien in seinem verbliebenen nordafrikanischen Teil (1,5 Mrd. Tonnen). Die EG ist darin zu 99% abhängig. Eine weitere brutale Ironie der Weltgeschichte: Ausgerechnet jetzt will Spanien diesen Besitz aufgeben — wie im Juli 1975 berichtet wurde. Die Nahrungsmittel­produktion der EG führte im Jahre 1972 zu einer Eigendeckung von 83%.

334


Im übrigen hat Europa den Nachteil, daß es auch sonst nichts zu bieten hat, was in der Welt von morgen gefragt sein wird. Es hat fast keine Rohstoffe und an Energie nur Kohle, Erdgas und ein wenig Wasserkraft sowie etwas Uran in Frankreich. Selbst wenn der Nordseeboden viel mehr Erdöl enthält als bisher angenommen, dann wird dieses in wenigen Jahren aufgebraucht sein. Vor völliger industrieller Belanglosigkeit kann Europa nur durch die Kohle bewahrt werden. Dies ändert aber wenig daran, daß einige 10 Millionen Arbeitsplätze wegfallen werden.

Vor alledem schließt Europa noch die Augen. Europa ist heute ein winzig kleiner, ökologisch allerdings begünstigter Kontinent, der nach großen Kulturleistungen den letzten Rest seines früher beträchtlichen Erbes an Bodenschätzen forciert verpraßt.

Darum wird Europa in der künftigen Weltpolitik nur noch als unberechenbarer Störfaktor in Erscheinung treten. Nicht etwa wegen seiner Macht, sondern wegen der unaufhörlichen Zusammenbrüche und Unruhen, die sich hier ereignen werden. Eine Großmacht wird kaum daran interessiert sein, sich dieses volkreiche Krisengebiet einzuverleiben, weil das auf jeden Fall eine schwere Belastung für sie selbst bringen würde. Am ehesten könnte die Sowjetunion interessiert sein, durch Einbeziehung Europas oder von Teilen ihr Machtpotential zu verstärken; weil allein sie, aufgrund ihrer Rohstoffvorräte, den alten Erdteil noch mit durchziehen könnte — zumal ihre eigene Bevölkerung nur noch wenig wächst. Eine Belastung bliebe es dennoch, und die Sowjetunion könnte das alte Europa spüren lassen, daß sie ihm nur aus Gnade aus den ärgsten Schwierigkeiten helfe.

Es ist ein schwacher Trost für Europa, daß es den Japanern noch schlimmer ergehen wird. Wenn die Europäer schon wenig Rohstoffe und Energien haben, die Japaner haben so gut wie gar keine. Sie importieren außerdem noch große Mengen von Getreide.18  Sie haben ihr Land in einem Wahnsinnstempo industrialisiert, ohne alle Eigenbestände, ohne Voraussicht, nur in dem absoluten Glauben an die alleinseligmachende Technik. Sie werden nicht die Entwicklung zum »Superstaat« nehmen, die Herman Kahn ihnen noch 1972 prophezeit hat.19 Sie werden in wenigen Jahren als erste Industrienation vor dem Ruin stehen. Sie werden aber in ihrer Not auch immer die ersten sein (müssen), die jeden Versuch von Solidarität der westlichen Industrieländer durchbrechen. Dafür bot die Erdöl-Diplomatie schon ein Beispiel. Die Japaner werden jeden hohen Rohstoffpreis noch überbieten und noch härter und billiger arbeiten, als sie das jemals taten — und das will etwas heißen. Sie sind aber auch unter den ersten, die ihre Kinderzahl radikal einschränken.

335


Eine Erleichterung für Japan könnte darin bestehen, daß es mit China eine wirtschaftliche Gemeinsamkeit entwickelt; aber die Bedingungen dafür wird China diktieren. Dieses politische Ende könnte von der Bevölkerung dem physischen vorgezogen werden.

In der relativ günstigsten Situation auf diesem Planeten wird sich das von Mesarovic und Pestel zur Region 4 zusammengefaßte Gebiet Südafrika und Australien befinden. Beide Länder zeigen eine beträchtliche Übereinstimmung — mit einem gewaltigen Unterschied. Die Südafrikanische Republik schwebt in der Gefahr, von der schwarzen Bevölkerungslawine Afrikas erdrückt zu werden. Darum ist allein Australien das Land der westlichen Welt, welches noch eine verhältnismäßig gut gesicherte Zukunft vor sich hat. Seine geringe Einwohnerzahl von 12 Millionen bietet keine Schwierigkeiten, die Bodenschätze sind sehr vielfältig und erreichen große Ausmaße. Der Nahrungsüberschuß gewährleistet jederzeit die Einfuhr aller fehlenden Grundstoffe. Sicherheitspolitisch bietet sich für beide ein enges Zusammengehen mit den USA an. Darum haben diese die größte Aussicht, alle Überschüsse dieser Länder als Gegenleistung kaufen zu dürfen.

 

   Die Dritte Welt   

 

Wir hatten schon dargestellt, daß die »drei Welten« im Grunde nur aus zwei Welten bestehen. Die sogenannte Dritte Welt ist das Operationsfeld der Großmächte, wobei Europa und Japan nicht mithalten können. Das Ringen um Einflußsphären in der Dritten Welt ist seit dem II. Weltkrieg im Gange. Es wird sich immer stärker zu einer Auseinandersetzung um Nahrungsmittel und Bodenschätze entwickeln. Diese Art der langwierigen und zähen Stellungskämpfe wird in den nächsten Jahren die politische Entwicklung der Welt beherrschen. Alle Völker, die noch Rohstoffe besitzen, werden diese sehr teuer verkaufen, und die Industrieländer werden jeden Preis zahlen müssen. Aber auch die Nahrungsmittel werden heute noch nicht geahnte Preise erzielen, zu denen sich dann die weitesten Transportwege lohnen. Die Preise werden schon darum in die Höhe schnellen, weil es nur noch zwei Regionen in der Welt gibt, die bedeutende Überschüsse produzieren: Nordamerika und Australien.

336


Dagegen wächst die Zahl der Länder, die Nahrungsdefizite haben, ständig. Darum werden sich die Nahrungs­überschüsse zu einem Machtfaktor allerersten Ranges entwickeln. Ein Land, das darüber verfügt, wird im Tausch für Nahrungsmittel selbst dann noch Rohstoffe bekommen, wenn andere schon längst nichts mehr erhalten können. Dies wird schon in den nächsten Jahren das beste Mittel der USA sein, das sie in der Hand haben, um ihre angeschlagene Machtposition zu verbessern.

Die kleineren Mächte werden stets nach Mitteln und Wegen suchen, die ihnen noch etwas Unabhängigkeit lassen. Sie werden aber in vielen Fällen nicht darum herumkommen, sich unter den Schutz einer Großmacht zu begeben. Es wäre auch konsequent, wenn sie sich um China scharten; denn von China haben sie so schnell nichts zu befürchten — allerdings zur Zeit auch noch keine tatkräftige Hilfe zu erwarten. China betreibt bewußt eine Politik, sich als Partner der zu kurz gekommenen Staaten anheischig zu machen, um deren Interessen zu vertreten.

Gegenwärtig wird die vierte Großmacht der Erde von den arabischen Ölstaaten gebildet. Und es ist in der Tat eine ganz respektable Macht, die in keiner Kalkulation mehr fehlen darf. Wenn dieses Potential in die Hände der Sowjetunion geriete, dann würde sie von da an de facto die Welt beherrschen. Wir unterstellen aber, daß die Araber und die Perser mit Hilfe der USA ihre unabhängige Stellung so lange behaupten können, wie ihr Öl reicht.

 

Die Überlegungen in einzelnen Industriestaaten, evtl. mit Gewalt die schnellstmögliche Ausbeutung der Grundstoffquellen zu betreiben, mutet nicht aus militärischen, sondern aus planetarischen Gründen wahnwitzig an. Wenn wir den Vergleich mit der belagerten mittelalterlichen Stadt wieder aufnehmen, dann handelt es sich hier um Truppenteile, die — mit der Rationierung unzufrieden — das Magazin der Stadt stürmen wollen, um die noch vorhandene Fourage unter sich aufzuteilen, damit sie sich vor dem Untergang noch ein paar fröhliche Tage machen können.

Wie sieht aber die eigene Entwicklung der Erdölländer längerfristig aus? Ihre Lage ist längst nicht so beneidens­wert, wie das heute erscheint. Außer öl besitzen sie fast nichts als Wüstensand, den sie wahrscheinlich jetzt im Vertrauen auf ihren Reichtum unmäßig bevölkern werden. In einigen Jahrzehnten aber geht ihr öl zur Neige. Dann werden sie riesige Gesellschaftsanteile in den Industriestaaten besitzen oder Industrien auf eigenem Boden, wahrscheinlich beides. Das heißt aber auch, daß sie dann für diese Industrien weder eigene Rohstoffe noch Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung haben werden.

337


Ihre auswärtigen Gesellschaftsanteile könnten aus den gleichen Gründen fast wertlos geworden sein — oder sie müssen befürchten, daß die jeweiligen Territorialmächte dann das gleiche tun wie heute die Araber und erklären: Was sich auf unserem Boden befindet, gehört uns!

Darum ist für die Wüstenländer der Reichtum historisch gesehen nur ein Strohfeuer mit noch lebens­gefähr­licheren Folgen für diese Völker, als sie jetzt den Europäern und Japanern drohen. Den Arabern kann es so gehen wie den Japanern: wenn das wirtschaftliche Imperium aufgebaut ist, bricht es mangels Ressourcen zusammen. Der fruchtbare Boden allein ist und bleibt der größte Schatz, der auf diesem Planeten zu finden ist. Die Chance, eine einigermaßen stabile Wirtschaft mit der entsprechenden Landwirtschaft im eigenen Land aufzubauen, hat von den Ölländern wohl nur Persien. Es scheint gesonnen, ein gemischtwirtschaftliches Staatswesen aufzubauen, womit auch seine Zukunft besser als die anderer Länder gesichert wäre. Die Wüstenstaaten bis hin zum Atlantik haben nur eine reale Möglichkeit, für die Zukunft zu sorgen, und die heißt: so wenig Öl wie nur möglich fördern, damit es sehr lange reicht, und mit dem Erlös, so ausgedehnt wie irgend möglich, landwirtschaftlich nutzbare Flächen zu schaffen. Vielleicht wird sich Marokko langfristig in einer besseren Position befinden als die Erdölländer. Denn seine Phosphatvorräte könnten ein noch gefragteres Gut als Erdöl werden.

Der nächste Kontinent, der vor der totalen Ausplünderung steht, ist Südamerika. Sollten die Pläne Brasiliens verwirklicht werden, dann wird das Amazonasbecken in einigen Jahrzehnten eine zweite Wüste Sahara sein. Die Vernichtungskapazität von 100 Millionen Menschen, zu denen Jahr für Jahr 3 Millionen hinzukommen, steht allein in Brasilien bereit. Politisch lassen sich seit jeher für Südamerika schlecht Voraussagen machen; dennoch sind die Grenzen der Staaten bemerkenswert stabil. Was in Südamerika an Bodenschätzen in nächster Zeit noch übrig sein wird, dürfte von den Vereinigten Staaten so oder so mit Beschlag belegt werden.

Es bleibt noch ein Blick auf den »Rest der Welt« zu werfen, auf die rund 1,5 Milliarden, die sich heute, genauso wie Südamerika, am stärksten vermehren und die der herablassenden Anteilnahme der westlichen Welt zur Zeit noch sicher sein können. Diese Völker werden zweimal betrogen. Einmal von der entwickelten Welt, die ihnen die Zivilisation zu bringen versprach, und zum zweiten Mal von ihren eigenen Politikern, soweit sie ihnen das heute noch versprechen.

338/339

Niemand weiß, wieviel Kinder noch im Vertrauen darauf das Licht der Welt erblicken, während der Hunger sie wieder hinwegraffen wird. Die Schuld des weißen Mannes wird nur gemildert durch den gigantischen Selbstbetrug, dem er selbst unterliegt. (»Daß wir einander erfolgreich belügen, ist natürlich; daß wir uns selber erfolgreich belügen, ist ein Wunder der Natur.«20 Wir sprechen von den Ländern Afrikas südlich der Sahara mit Ausnahme von Südafrika, von dem indischen Subkontinent und Südostasien, soweit es nicht kommunistisch ist. 

Das sind alles Länder ohne Macht. Aber eines werden sie in den nächsten Jahren begreifen: daß sie von dem, was sie in ihrem Lande haben, nichts mehr herausgeben dürfen — es sei denn für lebenswichtige Gegenleistungen. Geld werden sie nur noch ungern nehmen; denn sie werden mißtrauen, wie lange es seinen Wert behält und ob es noch jemand annimmt. Klare Verträge über Lieferung und Gegenlieferung werden ihnen lieber sein. Sie werden diese mit Staaten schließen wollen, zu denen sie Vertrauen haben, nicht mit mehr oder weniger anonymen Gesellschaften.

Reiche Bodenschätze sind von höchstem Wert, auch für einen freundschaftlichen Partner. Ihr Besitz schlägt aber in einen Nachteil um, wenn der Besitzer nicht in der Lage ist, sie zu verteidigen. Dann kann er gerade die Begehrlichkeit einer Großmacht auf sich ziehen oder auch schon die einer stärkeren kleineren Macht. Die Gefahren können sich wiederum neutralisieren, wenn sich zwei Großmächte gegenseitig belauern, so daß keine von beiden die Okkupation wagen kann oder will. Das schließt jedoch nicht aus, daß ein kleineres Land ein anderes besetzt, wenn dieser Vorgang die unmittelbaren Interessen der Großmächte nur wenig berührt (Beispiel Zypern).

Ähnlich wie die Araber werden auch andere fast wehrlose Länder damit rechnen können, daß die Großmächte gerade dann über ihre Souveränität wachen werden, wenn ihre Eroberung eine Ressourcen­verschiebung bedeutet. Uninteressant sind dagegen die Habenichtse, die darum am wenigsten zu befürchten haben. Sie können aber auch ihrer eigenen Bevölkerung nichts bieten und werden schon zwangsläufig auf ihrem einfachen Lebensstandard stehenbleiben müssen. Wenn ihre Bevölkerung wächst, werden sie in größte Not geraten. Die nackte Existenznot und innere Umstürze werden zum täglichen Dasein gehören. Denn die Länder werden voll derer sein, die Brot suchen und die plündern. Darum ist die Militärdiktatur dort bereits heute die vorherrschende Regierungsform.

Natürlich ist jede Art von internationaler Zusammenarbeit erstrebenswert und sollte energisch verfolgt werden. Welch geringe Hoffnungen jedoch darauf gesetzt werden können, wurde dargestellt. Kleinere Gruppierungen werden sicherlich effektiver sein, wie etwa die Europäische Gemeinschaft. Diese hat allerdings den großen Nachteil, daß es sich hier um ein Bündnis von gleichartigen Ländern handelt, die zwar modernste Produktionsstätten anzubieten haben, in bezug auf die Grundstoffe jedoch alle mehr oder weniger Habenichtse sind. Übernationale Bindungen sind aber dann am wertvollsten und dauerhaftesten, wenn die Partner sich ergänzen.

Es ist auf jeden Fall ein Fehler, auf die Haltbarkeit internationaler Abmachungen auch in Krisenzeiten zu vertrauen, wenn sie nicht im Interesse der Partner liegen. Darum werden zweiseitige Verträge, besonders zwischen Industrie- und Entwicklungs­ländern, von denen beide Seiten ihren Nutzen haben, und die auf einer langjährigen Vertrauensbasis beruhen, stets eine größere Dauerhaftigkeit bieten. Die Vertrauensbasis ergibt sich aus einem langjährigen Funktionieren und daraus, daß der jeweils stärkere Partner nicht stets an die Grenze des Erreichbaren geht, sondern langfristig denkt.

Eine solche Politik mit langem Atem kann aber von privatwirtschaftlichen Unternehmungen auf dem freien Markt gar nicht praktiziert werden. Nur Staaten sind in der Lage, kurzfristig »unwirtschaftlich« zu handeln, um dafür die langfristige »Wirtschaftlichkeit« zu gewinnen. Damit lastet eine neue, ungeheure Verantwortung auf den Staatsführungen, von denen viele noch nicht begreifen wollen, daß sie sich ihr zu stellen haben.

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Herbert Gruhl   Ein Planet wird geplündert   Die Schreckensbilanz unserer Politik