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Nachwort 

Guhl-1975

 

 

 

347-350

Fünf Jahre lang habe ich an der Konzeption und Niederschrift dieser Darstellung gearbeitet. Währenddessen haben sich die Ereignisse immer schneller in die befürchtete Richtung entwickelt. Ein früheres Erscheinungs­datum wäre darum wünschenswert gewesen; die Gründlichkeit durfte jedoch nicht der Aktualität geopfert werden.

Die vorliegende theoretische Begründung dafür, warum die gegenwärtige Weise der Bewirtschaftung dieses Planeten durch den Menschen nicht von Dauer sein kann, erscheint nun zu einem Zeitpunkt, zu dem die Unsicherheit bereits erschreckende Ausmaße erreicht hat und diese Wirtschaftsweise schon ins Wanken gerät. So brauchte manches eigentlich nicht mehr bewiesen zu werden. Ich habe dennoch einige Formulierungen so stehengelassen, wie sie vor ein oder zwei Jahren niedergeschrieben wurden. Der Leser wird selbst die Ironie entdecken, die sich ergibt, wenn die damals noch herrschende Euphorie mit der inzwischen einge­tretenen Ernüchterung konfrontiert wird. Noch nie in der Weltgeschichte war der Zwiespalt so groß, in den wir jetzt alle hineingestellt sind.  E. F. Schumacher führte 1972 in seinem Buch aus: 

»Wer heute in der Wirtschaft steht – und Augen und Ohren offenhält –, befindet sich in einer ungewöhnlich schwierigen und verwirrenden Lage. Denken und Handeln haben für ihn ihre Einheit verloren: er führt ein Doppelleben und seine Gedanken haben einen doppelten Boden. 

In seinem Büro, von neun Uhr morgens bis fünf Uhr abends, fünf Tage die Woche, denkt und handelt er aufgrund gewisser Voraussetzungen, die jedoch völlig von denen abweichen, ja, ihnen diametral entgegen­gesetzt sind, die sich ihm aufdrängen, wenn er abends nach Hause kommt, Zeitungen und Zeitschriften liest, das Fernsehen einschaltet oder die gerade meistgelesenen Bücher konsultiert.

Die Probleme, mit denen er von neun bis fünf zu ringen hat, beziehen sich zwar auf die gleichen Sachlagen wie die, denen er nach Geschäfts­schluß begegnet, haben aber sonst kaum etwas gemein. Das Vokabular ist anders, die Diagnose ist anders und die Zielsetzungen und Zukunftsaussichten sind andere.

Von neun bis fünf kämpft er für Wachstum, Ausbreitung, Rationalisierung, Einsparung von Arbeitsstellen bis zur völligen Automatisierung und vieles andere mehr – alles mit dem Zweck und in der Erwartung, damit Wohlstand, Behagen und Glück zu fördern. Nach Feierabend jedoch wird er mit dringenden Prophezeiungen bestürmt, die ihn vor dem Zusammenbruch der Zivilisation, vor Umweltkatastrophen, Erschöpfung der Bodenschätze und ähnlichen Gefahren warnen.

Von neun bis fünf verfolgt er jede nur denkbare Methode, um den Gang der Entwicklung zu beschleunigen, während er es abends kaum vermeiden kann, ... allen erdenklichen Argumenten zugunsten einer Stabilisierung, einem Aufhören des Wachstums, kurz einer allgemeinen Verlangsamung zu begegnen. 

Von neun bis fünf läßt er nichts unversucht, um seine Erfolge zu vervielfachen; nach Geschäftsschluß wird er mit Analysen konfrontiert, aus denen hervorgeht, daß der Menschheit nicht von ihren Fehlleistungen, sondern von ihren Erfolgen die größte Gefahr droht: ... Und so zerfällt sein Leben Tag um Tag, Woche um Woche, in Zeiträume mit Aufgaben und Anforderungen, die sich völlig widersprechen und nicht miteinander vereinbart werden können.« 

Noch schlimmer ergeht es dem Politiker. Er ist verdammt, das Unvereinbare zu jeder Tageszeit sowohl zu denken als auch zu tun. Er hastet von Termin zu Termin und bastelt an Gesetzen, die allen das Leben immer schöner, sicherer und leichter machen sollen. Dabei stößt er auf Realitäten, die ihm eindringlich vor Augen führen, daß dies alles so nicht mehr geht. Dennoch rast er von einer Veranstaltung zur anderen, wo die Zuhörer zuversichtlich Verheißungen erwarten, wenn nicht für jetzt, dann wenigstens für die Zeit nach der nächsten Wahl. Soll er ihnen die Wahrheit sagen und ihre hoffnungsvollen Blicke in Enttäuschung verwandeln? Wollen sie die Wahrheit überhaupt wissen? Und was hülfe es, wenn er ihnen die wahre Lage schilderte? Kann er überhaupt hoffen, sich ihnen verständlich zu machen? So setzt er eine gewichtige Miene auf, versucht seine eigenen Zweifel zu unterdrücken und ergeht sich, wie gehabt, in Dingen von großartiger Nichtigkeit.

Doch seltsam, auch das zündet im Jahre 1975 nicht mehr so richtig; oder liegt es daran, daß er selbst unsicher geworden ist? Muß er daran denken, was man ihm einige Jahre später vorhalten könnte, wenn das genaue Gegenteil eingetreten sein wird, wie er bereits argwöhnt?

Für den Politiker ist somit das Dilemma noch unerträglicher als für jeden sonst Berufstätigen; denn er kann sich nicht darauf berufen, daß über ihm noch jemand ist, der ihn anweist und für ihn (hoffentlich richtig) denkt.

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Er arbeitet zur gleichen Stunde mühevoll an der Verbesserung von Gesetzen, deren baldige Unzulänglichkeit er durchschaut, und er kann doch nicht hoffen, auch nur etwas von dem durchzusetzen, was wirklich not täte. Er sieht den Abgrund zwischen seinem täglichen Tun und dem, »was sich wirklich tut«, und hat keine Vorstellung, wie dieser überwunden werden könnte, ja er weiß nicht einmal, ob er überhaupt überwindbar ist. Während­dessen wird er von der Uhr von einer Verpflichtung zur anderen gehetzt und zwischen Anpassungs­druck und Pflicht­gefühl zerrieben. 

Indessen ist es dringend nötig, den Blick auf das Wesentliche zu richten, um die Kluft wenigstens gedanklich zu überbrücken. Das heißt, die Gesamtschau muß gewagt werden; nichts ist vordringlicher als diese. Es gibt nur die Wahl: Entweder die Augen verschließen – oder das Wagnis auf sich nehmen und die Feindseligkeit einer konformistischen Umwelt ertragen.

Ich wage also eine Gesamtschau und weiß heute schon, welche Vorwürfe von den »Fachleuten« kommen werden: Meine Fachkenntnisse hätten auf dem Gebiet x nicht ausgereicht, ob ich denn noch nie etwas von y gehört hätte, daß man z noch viel eingehender untersuchen müsse und daß mein Vorgehen überhaupt schon methodisch bedenklich sei.

Ich gebe die Vorwürfe zurück, indem ich all diese klugen Leute der Einseitigkeit bezichtige. Ich werfe ihnen sogar vor, verant­wortungslos zu sein. Denn während sie so reden, wird überall in der Welt pausenlos gehandelt – und das in einem Ausmaß wie nie zuvor in der Weltgeschichte. Es werden vollendete Tatsachen geschaffen, die wiederum unvermeidliche Folgewirkungen nach sich ziehen. Die Menschen werden fortlaufend von unzähligen Entwicklungen überrollt, die niemand bedacht hat – bis sie eines Tages unter den Auswirkungen ihrer Unbedachtsamkeiten zugrunde gehen. Die Spezialisten sind es gerade, die uns in die Sackgassen der Gegenwart geführt haben; ihre »Sachbezogenheit« ist nur der Vorwand für den mangelnden Mut, sich aus ihrem Fuchsbau, in dem sie Bescheid wissen, herauszuwagen und sich zu exponieren.

Ich folge dem amerikanischen Ökologen Barry Commoner, der feststellt: Wenn der Ökologe sich scheue, in die schwierige Domäne des Wirtschafts- und Politik­wissenschaftlers einzudringen, dann müßten diese ihren eigenen Weg in das ebenso schwierige Gebiet der Ökologie finden. Angesichts der Dringlichkeit der Situation ist es notwendig, daß Volkswirtschaftler genauso wie Ökologen und erst recht Politiker das Risiko eingehen und die Grenzen ihrer jeweiligen Disziplin durchbrechen – und die Kritik als eine Art sozialer Pflicht auf sich nehmen.

Mein Unternehmen hat das Ziel: Die wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre über die Menschheits­entwicklung zu vervollständigen, in ein System zu bringen und die politischen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Meine Bedenken gegenüber der globalen Entwicklung trug ich – noch vorsichtig – Ende 1970 dem Deutschen Bundestag vor und äußerte sie in einigen Aufsätzen und Reden. Jetzt ist die Zeit gekommen, eine unmiß­verständliche Sprache zu führen und ganz entschieden Stellung zu beziehen.

Die vielen Personen und Stellen, die mir freundlicherweise Material zur Verfügung gestellt haben, werden das Ergebnis in diesem Buch wiederfinden. Ihnen wie meinen engsten Helfern sei herzlich gedankt.

Die wertvollsten Ansätze verdanke ich den Professoren Hans Christoph Binswanger und Adolf Jöhr, deren Erkenntnisse mir mit der Veröffentlichung des 1.-St.-Galler-Symposiums über <Umweltschutz und Wirtschaftswachstum> als erste in die Hände kamen. Ihnen, dem Studentenkomitee der Wirtschafts­hochschule St. Gallen und einer Reihe weiterer Schweizer Wissen­schaftler sei besonders gedankt.

Seitdem ist die Kette der Bestätigungen, auch aus den Vereinigten Staaten und anderen Ländern, immer länger und fester geworden. In allen Völkern beginnen nun Menschen hellwach zu werden. Es ist auch höchste Zeit, wir stehen in der entscheid­enden Epoche.

Jahrzehntausende ungeschriebener Menschheits­geschichte und 5000 Jahre überlieferter Geschichte gebieten uns einen tapferen Versuch – auch dann, wenn wir scheitern sollten.

349-350

Barsinghausen am Deister, im Juli 1975
 Herbert Gruhl

 

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