Rede
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1970
Gedruckt
in: "Glücklich
detopia: |
Herr
Präsident !
Meine Damen und Herren !
203-211
Erlauben Sie, daß ich anläßlich der ersten Debatte dieses Hohen Hauses über Fragen des Umweltschutzes das Problem in die ihm zukommende Größenordnung rücke. Denn wir haben es hier mit einer Gefahr zu tun, die sich nicht so spektakulär ankündigt wie seinerzeit das Aufblitzen der Atombombe. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, mit der Atombombe zu leben.
Die Gefahr aber, daß wir uns an die laufende Gefährdung unserer Umwelt gewöhnen, ist sehr groß, weil sich dieser Prozeß langsam und unaufhörlich vollzieht. In den letzten Jahren ist diese Gefahr ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen. Doch sie wächst von Jahr zu Jahr, und die Menschen aller Länder arbeiten Tag für Tag an ihrer Erhöhung, meist ohne daß sie es wissen.
Sie haben die gute Absicht, den Menschen mehr Güter, mehr Komfort, ein besseres Leben mit unbeschränkten Möglichkeiten zu bieten. Mit immer höherer Produktion, mit steigenden Wachstumsraten glauben sie das Glück aller Menschen erzwingen zu können. Die Zahlen des steigenden Konsums werden gleichgesetzt mit wachsendem Wohlbefinden, ja, mit dem moralischen Aufstieg aller Menschen.
Gigantische Produktionen wurden und werden aufgebaut, die Massen von Gütern ausstoßen, die unser aller Leben verändert haben und in immer stärkerem Maße verändern. Aber zugleich fallen unvorstellbare Berge von Abfallprodukten, und zwar schon bei der Rohstoffgewinnung und bei der industriellen Verarbeitung an. Diese sind nicht nur schmutzig, sondern weitgehend auch giftig.
Dennoch werden diese Abfälle bis heute in die Gewässer geleitet, in die Meere getragen, in die Luft gewirbelt. In früheren Jahren waren es kleine Mengen. Aber der menschliche Geist ersann die automatisierte Ausbeutung der Erde mittels immer größerer Maschinen. Das führte besonders in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer immer größeren Steigerung des Zivilisationsabfalls aller Art, so daß wir diesen Abfall auf jedem Einzelgebiet heute nur noch in Millionen von Tonnen messen können.
Aber auch die fertigen Erzeugnisse werden dann wieder in den Abfalleimer Erdball geworfen. Der zukünftige Müllanfall wird die heutigen Ausmaße darum noch weit übertreffen. So wird z.B. die Lawine der Autowracks erst in Jahrzehnten ihren äußersten Umfang erreichen. Dennoch arbeiten die Menschen aller Erdteile an immer noch raffinierteren Systemen zur Ausbeutung des Erdballs. Was sie brauchen, nehmen sie; den größten Teil aber lassen sie liegen, versenken ihn im Meer oder verbrennen ihn.
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Das Luftmeer und die Gewässer der Ozeane erschienen den Menschen noch vor Jahrzehnten beängstigend groß, unendlich und unerschöpflich, so daß er glauben konnte, jedes Gift verflüchtige sich darin, als sei es nur der Inhalt eines Fingerhuts gewesen. Aber inzwischen wissen wir, daß unsere Erde samt ihren Ozeanen und samt der Lufthülle viel zu klein ist, um die Folgen des mechanisierten Raubbaues zu überstehen. Die Grundlagen allen Lebens auf diesem Stern – und das sind Erdboden, Luft und Wasser – stehen uns keineswegs unbeschränkt zur Verfügung, sondern leider nur sehr begrenzt. Wenn wir diese Substanzen weiterhin so angreifen, dann zerstören wir uns selbst.
Bereits in den letzten Jahren ist das Leben in so riesigen Binnengewässern wie dem Eriesee in Nordamerika erstorben. Unser Bodensee ist im Begriff, ein totes Gewässer zu werden, und Ostsee wie Mittelmeer sind bereits von Giften angereichert. Es ist grotesk, meine Damen und Herren: Während einige Wissenschaftler noch große Pläne zur Nutzung der Weltmeere für die Ernährung der Menschheit entwerfen, weisen andere bereits nach, daß die Meere jetzt schon verseucht sind; denn sie sind zum Müllabladeplatz aller Länder geworden. Wieder andere bauen Tanker von 100.000, 200.000, 250.000 Tonnen, die bei einer einzigen Havarie die Küsten ganzer Kontinente verpesten werden.
Die Atmosphäre der gesamten nördlichen Halbkugel ist bereits verunreinigt; denn hier liegen alle Industrienationen: die Vereinigten Staaten, die westeuropäischen Länder, die UdSSR und Japan. Die Luftströmungen tragen den Dunst rund um die Erde. Darum können wir, wie bei den Weltmeeren, die Bekämpfung nur gemeinsam mit den anderen Völkern betreiben. Wann aber werden alle Völker das tun und so weit sein? Selbst internationale Abkommen, die geschlossen werden, sind dann schwer in der Durchführung zu überwachen.
Wenn wir von Umweltschutz sprechen, dann müssen wir vom Zustand des ganzen Erdballs ausgehen, der unsere Umwelt ist. Was bedeutet der Begriff <Umweltschutz>?
Wir meinen damit Schutz des Lebens überhaupt, damit auch Schutz des Lebens der Menschen. Doch Schutz wovor? Vor dem Menschen selbst, vor seinem eigenen Tun und dessen Folgen, die vor Jahren noch nicht in diesem Ausmaß zu übersehen waren. Dank Presse, Rundfunk und Fernsehen ist jedoch die Kenntnis in den letzten Jahren sehr gewachsen, wenn auch längst noch nicht verbreitet genug. Aber wir können nicht darauf warten, bis dies alle erkennen. Wir müssen beginnen zu handeln, weil keine Zeit mehr zu verlieren ist.
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Lassen Sie mich einen weiteren Gedankengang anstellen, meine Damen und Herren. Die Menschheit wird sich bis zum Jahre 2010 fast verdoppeln, von 3½ auf 7 Milliarden. Auf diese bedrohliche Entwicklung will ich hier gar nicht ausführlich eingehen, sondern nur hoffen und unterstellen, daß sich die Erdbevölkerung bis 7 Milliarden stabilisieren wird; denn das ist schon alarmierend genug. Ich will sogar kühn unterstellen, daß diese 7 Milliarden dann ernährt werden können.
Hier steht aber die Umwelt in ihren Grundlagen zur Debatte. Alle Voraussagen und alle Anstrengungen der Wirtschaft gehen dahin, die industrielle Produktion bereits in 20 Jahren zu verdoppeln. Damit wären wir bei einer Vervierfachung der Produktion von heute, ohne noch den gewaltigen Rückstand der Bevölkerung in den Entwicklungsländern berücksichtigt zu haben. In den Vereinigten Staaten werden bereits heute 16 Tonnen Naturstoffe pro Einwohner und Jahr abgebaut. Das entspricht im Volumen einem verbrauchten Gebirge in der Größe des halben Harzes.
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Kann es aber hingenommen werden, der Erde nur die begehrtesten Güter zu entreißen und sie dabei völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen? Denn eine Menge von organisch nicht abbaubaren Stoffen wird damit freigesetzt und bringt die Natur zum Absterben.
Ich finde es erstaunlich, wie wenig die angeführten Zusammenhänge bei den auf das Jahr 2000 fixierten Überlegungen und Prognosen unserer Futurologen eine Rolle spielen. Die meisten ihrer optimistischen Aussagen gehören wahrscheinlich heute schon in den Papierkorb.
Rechnen wir einmal vorsichtig und bleiben wir bei einer Verdoppelung der Erdbevölkerung bis zum Jahre 2010 und bei einer Verdoppelung des Abfalls je Einwohner, dann erwartet uns eine Steigerung um 400 %, d.h. es geht dann viermal mehr Staub, Rauch, Gas, Gift in die Luft, viermal mehr Kot, Salz, Chemiemüll in die Flüsse und in die Weltmeere. Das bedeutet viermal mehr Lärm in dieser Welt – denken Sie an den Überschallknall –, eine viermal so große Ausbeutung der Rohstoffvorräte und mindestens doppelten Konsum an Pflanzen und Tieren durch die Menschheit. Dabei sind die besonderen Probleme des atomaren Mülls und die Gefahren der radioaktiven Strahlung noch gar nicht berücksichtigt.
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Wenn wir es so weiterlaufen lassen, meine Damen und Herren, dann werden wir uns bald in einem Stadium der Selbstausrottung befinden, die einer atomaren Katastrophe gleichkommt, und die Hälfte von uns hier im Saal kann noch den Anfang davon erleben.
Denn berücksichtigen Sie bitte das zusätzliche Faktum: Die Welle der naturzerstörenden Wirkungen unserer Zivilisation tritt mit einer in der Sache begründeten, jedoch unausweichlichen Verzögerung ein. Darum würde man selbst bei einem radikalen Stopp der Verunreinigungen auf dem heutigen Stand die gesteigerten Nachwirkungen nicht verhindern; denn die Produktion, die heute anläuft, landet erst in Jahren auf dem Müllplatz, in den Weltmeeren, in der Luft und die chemischen Anteile wieder in Pflanze, Tier und Mensch.
Der UNO-Generalsekretär U Thant sprach darum im Sommer dieses Jahres von einem multiplikatorischen Effekt der Umweltverschmutzung und kam zu folgendem Schluß: »Wenn die gegenwärtige Tendenz anhält, ist die Zukunft des Lebens auf der Erde in Gefahr.« Soweit U Thant. Wir haben allen Grund, aufs höchste alarmiert zu sein; denn die Verschmutzung ist tatsächlich eine atomare Bombe mit Zeitzünder, eine zweite Weltgefahr gleicher Größenordnung. Sie kann sogar noch gefährlicher werden, weil wir bis heute alle unablässig daran mitwirken und eine Automatik in all unser Tun und Denken gekommen ist, die eine Umkehr schwer macht. Hier muß erst einmal die Erkenntnis einzelner zur Vernunft und zum Handeln aller führen.
Wenn wir jedoch weiter so verfahren wie bisher, dann kommen wir an den Punkt ohne Rückkehr, von dem die Amerikaner bereits sprechen, wo es nicht mehr gelingen wird, das Rad zurückzudrehen und das Absterben der Natur aufzuhalten. Hier hilft auch eine Besserung an dieser oder jener Stelle nicht, hier hilft kein Kurieren an Symptomen. Es gibt nur einen einzigen Ausweg: der Eingriff der Technik in den Naturkreislauf, der bisher weitgehend zerstörte, muß sich die Wiederherstellung zum Ziel setzen. Denn solange wir auch nur einen beträchtlichen Teil unseres Ausstoßes an Stoffen der Natur anlasten, wird sie im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte dennoch aufgezehrt werden.
Bedenken Sie bitte: wir betreiben den Abbau der Natur in diesem gigantischen Stil ja erst seit etwa 50 Jahren.
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Eine neue vielseitige Wissenschaft, die Ökologie — auf deutsch: die Haushaltkunde der Natur — muß großzügig ausgebaut werden, d.h. die Forschung darüber, wie menschliche Nutzung so gestaltet werden kann, daß ihre Eingriffe von der Natur ohne Schaden verkraftet werden können. Wir müssen sofort Maßnahmen einleiten, wo Schädigungen auf der Hand liegen.
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Darum sind wir heute in der Lage, die Forschung auf dem Gebiete der unsichtbaren Gifte schnellstens forcieren zu müssen. Es wäre aber unsinnig, wenn wir erst Jahre und Jahrzehnte zu ergründen suchten, wieviel Schwefeldioxyd z.B. der Mensch gerade noch erträgt, ehe ihm die Luft ausgeht. Wenn schon ein geringer Anteil schädlich ist, dann muß die Forschung darauf gerichtet sein, die Gifte überhaupt drastisch zu verringern.
Wer soll aber damit beginnen, die gesunde Umwelt wiederherzustellen, wenn nicht wir, eine der Industrienationen? Einerseits haben wir einen solchen Lebensstandard erreicht, daß man uns die Aufwendungen dafür zumuten kann und muß. Auf der anderen Seite gehören wir in der Bundesrepublik leider zu den größten Verschmutzern dieser Welt: Die Vereinigten Staaten sind bereits ein großes Stück weiter in ihrem Programm des Umweltschutzes. Japan ist im Begriff, ein radikales Programm in die Tat umzusetzen.
Unsere Aufgabe als Politiker besteht darin, die Wirtschaft und die Industrie durch Gesetze und Verordnungen dahin zu bringen, daß sie bei allen Weiter- und Neuentwicklungen nicht nur die Frage nach dem Bedürfnis, sondern auch die Frage nach den ökologischen Konsequenzen stellt. Die ökologische Betrachtungsweise muß die Folgewirkungen auf die komplexen Beziehungen aller Lebewesen in der Umwelt zur Grundlage des Kalküls machen. Wir können nicht mehr wie bisher alles unter dem ausschließlichen Gesichtspunkt des Nutzens für das wirtschaftliche Wachstum betrachten.
Die ökologische Kalkulation vor Beginn jeder zukünftigen Produktion muß so aussehen:
Sind die Bodenschätze so reichlich, daß ihre Verwendung für diesen Zweck zu verantworten ist?
Welche umweltschädigenden Wirkungen entstehen
a) bei Ausbeutung der Bodenschätze,
b) im Laufe der Verarbeitung,
c) bei den Transporten auf Straßen, Luft- und Wasserwegen,
d) bei Anwendung und Verbrauch?Wie läßt sich das Produkt, sobald es unbrauchbar geworden ist, ökologisch schadlos beseitigen und zu welchem Preis, oder läßt es sich weiterverarbeiten, was ein positives Faktum wäre.
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Wenn bei Berücksichtigung dieser Kriterien die Nachteile größer sind als die Vorteile, muß in Zukunft die Herstellung eines Produkts unterbleiben. Hier stehen wir als Gesetzgeber vor ganz neuen Aufgaben. Wir werden um die Verantwortung nicht herumkommen, für bestimmte, die Umwelt schädigende Stoffe Verwendungsbeschränkungen, ja, auch Verbote zu erlassen. Bisher war man der irrigen Meinung, daß die Inanspruchnahme der natürlichen Substanzen unserer Umwelt durch die Wirtschaft nichts koste. Jetzt wissen wir: Die Kosten trägt zwar nicht die Wirtschaft, aber die Kosten tragen wir alle in einer jetzt schon unzumutbaren Weise.
Wenn man die Frage nach den ökologischen Folgen voranstellt, wird der Rahmen, in dem sich die wirtschaftliche Entwicklung abspielt, zwar enger als bisher, wo man alles das produziert, was technisch machbar ist und für das ein Bedürfnis bestehen oder geweckt werden könnte. Aber haben Wirtschaftler und Techniker erst einmal den Gesinnungswandel vollzogen, werden sich ihnen auf dem Gebiet qualitativer Kombinationen und Entwicklungen ebenfalls wieder Entscheidungsmöglichkeiten eröffnen, und zwar genau in dem Maße, in dem sie auf blindwütige expansive, vorwiegend quantitative Steigerung, Ausbeutung, Vergeudung verzichten.
Einige Industriezweige haben bereits aus wirtschaftlichen Gründen den Weg beschritten, ... aus Abfällen der bisherigen Produktion neue Erzeugnisse zu fabrizieren. Dies wird künftig in großem Maße geschehen müssen, auch dort, wo es bei reiner Kostenrechnung nicht rentabel wäre, und auch aus den Resten verbrauchter Waren müssen in Zukunft all die Stoffe herausgezogen werden, die einer neuen Verarbeitung zugänglich sind. Den gleichen Grundsatz hat der amerikanische Präsident Anfang dieses Jahres aufgestellt, als er darlegte, wie leichtfertig wir bisher mit den Gütern dieser Erde umgegangen sind.
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Hier sind wir wieder beim Kern des Problems. Das Ziel des Umweltschutzes wird nicht erreicht, wenn wir es in der Haltung der Defensive anstreben. Wir müssen die Gefahren bereits an ihren Quellen abstellen, indem wir mit einer neuen Gesinnung vorausschauend für eine ferne Zukunft arbeiten, indem wir die »Umweltvorsorge« zum obersten Grundsatz erheben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die riesigen Aufwendungen bedenken, die die Industrie wird erbringen müssen, um ihre schädlichen Emissionen wesentlich zu vermindern, und wenn Sie die ... Maßnahmen der Städte und Gemeinden hinzuzählen, wird klar, daß dies alles zusammen zu einer erheblichen Verteuerung der bisherigen Lebenshaltung führen wird. Das wird Folgen für die Struktur unserer Gesellschaft haben, die heute noch nicht zu übersehen sind.
Wer angesichts dieser noch gar nicht abzuschätzenden Kosten von einer Verdoppelung des Verbrauchs an Gütern je Einwohner bis zum Jahre 1985 spricht, handelt meines Erachtens unverantwortlich. Eine solche Ankündigung kann nur machen, wer unterstellt, daß wir unser Verhalten nicht ändern werden und demnach 1985 in der Bundesrepublik – verglichen mit der heutigen Situation – mehr als die doppelte Belastung für jeden einzelnen Menschen hinnehmen wollen.
Aus solchen Erklärungen auch von seiten der Bundesregierung spricht eine beachtliche Unwissenheit, so daß wir befürchten müssen, daß dort noch die alte blinde Ideologie des Wachstums um jeden Preis herrscht, die zu unserer Selbstvernichtung führen muß.
Meine begründete Meinung ist hingegen die, daß sich der materielle Lebensstandard, wie er zur Zeit in den Vereinigten Staaten und bei uns erreicht ist, nicht mehr wesentlich steigern läßt. Aber sind nicht das klare Wasser, die reine Luft und die Möglichkeit, sich in gepflegten Landschaften zu erholen, auch Steigerungen unseres Lebens?
Das Problem, das wir von heute ab hier behandeln und das uns immer wieder beschäftigen wird, ist längst keines der Romantik mehr, sondern eines der harten, kalten Notwendigkeit. Wir befinden uns in der Lage eines Schwerkranken, und ich hoffe, wir wollen weiterleben. Der Schwerkranke fragt in seiner Not nicht nach mehr Wohlstand, sondern setzt seine letzten Kräfte und Mittel ein, um zunächst einmal wieder gesund zu werden.
In dieser Lage befindet sich die Bundesrepublik heute. Umfragen haben ergeben, daß dies in der Bevölkerung auch bereits erkannt ist und daß unsere Bürger durchaus bereit sind, auch auf manches zu verzichten, wenn die Umwelt gesünder wird.
Damit habe ich die Größe der Aufgabe umrissen, die wir jetzt anzupacken haben, damit wir die Grundlagen für ein lebenswertes Dasein für uns und unsere Nachkommen bewahren. Diese Aufgabe ist so umfangreich, daß sich noch nicht genau in Zahlen ausdrücken läßt, was für ihre Lösung getan werden muß.
Die Umweltvorsorge ist das Thema der Menschheit, das nie aufhören wird, uns zu beschäftigen, wenn wir auch nur auf dem heutigen Stand der Kultur weiterleben wollen.
Ist das nicht eine große Aufgabe für unsere Jugend, die sich Ziele setzen will? Hier findet sie einen Gegenstand für enorme Anstrengungen, der ihre Erfindungskraft, soziale Verantwortung, ihre Bereitschaft für Lasten und Verzichte voll und ganz in Anspruch nimmt, eine Aufgabe, die aber auch ein großes Versprechen auf ein lebenswertes Dasein für unser Volk zum Inhalt hat, ein Versprechen, das auch erfüllbar ist, denn es hat Vorgänger.
Denken Sie an die großen Unternehmungen der Vergangenheit, die wir vollbracht haben: Wiederaufbau, Lastenausgleich. Auch das waren am Anfang Visionen, auch da waren am Anfang Fristen. Wenn wir die kommenden Lasten gerecht verteilen, können wir wiederum Großes erreichen. Aber wir haben gar keine andere Wahl, wir müssen eine heile Umwelt schaffen, damit wir weiterleben können.
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Herbert Gruhl, 1970 im Bundestag
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Rede zur Lage der Umwelt und des Umweltschutzes
vor/im dem deutschen Bundestag im Dezember 1970