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4.5  Die fruchtbaren Böden schwinden dahin

Eine solche Wirtschaft trägt mit Recht den Namen Raub­bau­wirt­schaft. Der deutsche Agro-Chemiker Justus von Liebig (1803-1873)

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Unser Planet hat eine Oberfläche von 510 Millionen Quadratkilometern. Davon nehmen die Wasserflächen 71 Prozent, gleich 362 Millionen ein. Die Landfläche von 148 Millionen Quadratkilometern ist zum großen Teil eisbedeckt, reine Wüste und unfruchtbares Hochgebirge, so daß für die gesamte Vegetation 87 Millionen Quadratkilometer übrig bleiben. Diese teilten sich 1987 so auf:45

40,74  Mio km2   Wald 
32,15  Mio km2   Weide, Grasland und Steppe
14,73  Mio km2   Ackerland 
_____________________________________
87,62  Mio km2   Nutzbare Bodenfläche 

Vom Wald entfallen etwa acht Millionen Quadratkilometer auf tropische Wälder.

Die landwirtschaftliche Nutzfläche läßt sich auf Kosten der Steppe oder der Urwälder nur noch unwesent­lich steigern. Die Steppen­flächen sind zu trocken, und die Urwaldflächen der Tropen verkarsten nach wenigen Ernten. Der Löwenanteil der menschlichen Ernährung stammte zu allen Zeiten aus den Humus­gebieten und den Schwemmlandböden. Diese Böden leiden aber unter dem natürlichen Verschleiß, oder wir können auch sagen der Entropie. Der Fachausdruck lautet in diesem Fall Erosion, verursacht durch Wind und Wasser. Beide Elemente wirken in einem Ausmaß, von dem wir uns im gemäßigten Klima Mittel­europas keine rechte Vorstellung bilden können.

Weltweit gehen jährlich 26 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens verloren. Durch den Wind, aber besonders durch starke Stürme werden die größten Mengen gerade in den fruchtbaren Flachländern hinweggetragen. Sie gehen natürlich irgendwo nieder. Da aber über 70 Prozent der Erdoberfläche vom Wasser bedeckt sind und nochmals zehn Prozent von Wüsten, gehen über 80 Prozent auch dort herunter, sind also verloren. Bei dem vom Wasser weggeschwemmten Erdreich geht ein noch höherer Anteil in die Meere.

In der Ukraine blies im Mai 1928 ein gewaltiger Sturm von der sogenannten "Schwarzen Erde" eine Billion* Tonnen hinweg. Allein damit wurde die Humus­schicht um durchschnittlich sechs Zentimeter verringert, stellenweise bis zu 23 Zentimeter.46) Infolge kontinuierlicher Abnahme seit Anfang unseres Jahrhunderts sank der Humusanteil auf ein Drittel. Diese Abnahme in der Ukraine bestätigte mir persönlich Freiherr von Massenbach. Er war im letzten Krieg auf altes Kartenmaterial über die frühere Stärke der Humusdecke gestoßen und stellte daraufhin Probegrabungen an, die eine alarmierende Abnahme der Humusschicht um die Hälfte und mehr bewiesen.

Über die Vereinigten Staaten fegte am 11. Mai 1934 ein gewaltiger Hurrikan, der 300 Millionen Tonnen frucht­baren Weizen­bodens zum größten Teil in den Ozean trug.47 Die Sahara verbreiterte sich seit dem Jahre 1500 um einen Kilometer, in diesem Jahrhundert bereits um mehrere Kilometer jährlich nach Süden. Alle Phantasien von ihrer Begrünung sind überholt, denn die Gewalt der Sandstürme geht über alle Hindernisse. Spanien als das von der Erosion am stärksten betroffene Land Mittel- und Westeuropas verliert jährlich durch Wind und Wasser eine Milliarde Tonnen Mutterboden, der zum größten Teil im Mittelmeer landet.48

Es ist bekannt, daß in den Tropen und Subtropen wolkenbruchartige Regenfälle oft auch nach längeren Trockenzeiten nieder­gehen. Diese reißen innerhalb von Stunden gewaltige Humusmassen mit sich fort, besonders im hängigen Gelände. Auch in unseren Breiten können wir das beobachten; denn in Trockenzeiten sind die Flüsse — wenigstens am Oberlauf — noch klar, nach Regenfällen jedoch braun. 

Auf landwirtschaftlich bearbeiteten Böden ist die Erosion durch Wind und Wasser immer stärker, weil dort die Ackerkrume stets gelockert wird, während die Wiesen und noch mehr die Wälder das Erdreich durch ihr Wurzelwerk festhalten. Die sogenannte Kultivierung der Böden dient also nicht nur der Ernährung, sondern fördert auch die Erosion. Schon aus diesen Gründen dürfte der Wald- und Grasbestand der Erde nicht noch weiter vermindert werden, was man in den meisten Ländern zu spät erkennt. Nachdem das Land urbar gemacht wurde, wird überall zuerst die obere, also die fruchtbare Humusschicht, hinweggeschwemmt. 

* (d-2015:) Autor Gruhl meint hier bestimmt die amerikanische Billion; also auf deutsch: eine Milliarde

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Die größten Wassererosionen der Welt verursachen die Ströme Ganges und Brahmaputra mit jährlich 3000 Mill­ionen Tonnen. In China nimmt der bezeichnender­weise Gelber Fluß genannte Huangho jährlich 500 Mill­ionen Tonnen Erde mit, der Jangtsekiang 200 Millionen Tonnen — die chinesischen Flüsse insgesamt 2500 Mill­ionen Tonnen. In Amerika nimmt der Mississippi 200 Millionen Tonnen mit sich, und beim Po sind es immer­hin noch 11,5 im Jahr. Die ermittelten Zahlenwerte ergeben eine jährliche weltweite Wassererosion von 20.000 Millionen Tonnen von zumeist fruchtbarer Erde.49 In den weniger stark betroffenen Industrieländern der gemäßigten Zone trägt die Betonierung der Flächen und die Begradigung der Flüsse zum schnellen Abfluß der Niederschläge ebenso bei wie die "Flurbereinigung" bis hinauf in die Weinberge; das sind alles kostspielige Dummheiten, wie man nun zu spät erkennt. Bei ganz starken Regengüssen gehen auch in Bayern 25 Tonnen pro Hektar verloren. 50)

 

Die Wasserwirtschaft des Menschen ist langfristig zumeist von Übel. Sicher, schon seit den Zeiten der Sumerer und Ägypter hat er sich einen großen Teil seiner Nahrung durch künstliche Bewässerung des Landes beschafft. Vor 100 Jahren waren das nur fünf Prozent. Zur Zeit werden zweieinhalb Millionen Quadratkilometer der Weltanbaufläche künstlich bewässert, aber diese 18 Prozent erbringen 33 Prozent der Nahrungsmittel. Der Anteil der Bewässerung an der Getreideerzeugung ist in den einzelnen Ländern der Welt höchst unterschiedlich.51 Der bewässerte Anteil schwankt zwischen 0 und 100 Prozent. Die Spitze hält Ägypten mit 100 Prozent, 77 Prozent sind es in Pakistan, 48 Prozent in China, 63 Prozent in Japan. Die Landwirtschaft verbraucht etwa 70 Prozent des genutzten Wassers der Welt und bereitet damit schon oft den übrigen Abnehmern Sorgen und auch sich selber, weil vielfach der Grundwasser­stand sinkt.

Die Versalzung der Böden ist zum Problem aller Erdteile geworden. Die Ertragssteigerungen durch Bewässerung schlagen ins Gegenteil um. Obwohl es sich natürlich um Süßwasser handelt (unter 0,01 Prozent Salzgehalt), werden doch bei einer Bewässerung mit 10.000 Kubikmetern im Durchschnitt zwei bis fünf Tonnen Salz jährlich dem Land zugeführt.

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Somit wird die Versalzung mit der Zeit zu einem Problem, welches schon zur Stillegung von Bewässerung­en geführt hat. Mehr als die Hälfte der bewässerten Flächen der Welt ist bereits versalzt.52 Aber auch die Wasserentnahme schafft Probleme, darunter das Austrocknen einiger Binnenmeere. So ist zum Beispiel der Wasserinhalt des Aralsees innerhalb von 20 Jahren auf ein Drittel abgesunken (ebenso die Seefläche), seit die beiden Zuflüsse zur Bewässerung von Baumwollfeldern benutzt werden. Das Salz des ausgetrockneten Seebodens wird zu 65 Millionen Tonnen jährlich durch den Wind über 200.000 Quadratkilometer Land verteilt und noch weiter getrieben, so daß sich sogar der Salzgehalt des Regens weltweit um fünf Prozent erhöht hat. Daß die Austrocknung des Aralsees eine Kette weiterer Umwelt­probleme schafft, sei hier nur erwähnt. Das gilt auch für den für Afrika wichtigen Tschadsee, der ebenfalls austrocknet. Das Ende einer solchen Entwicklung zeigt der Große Salzsee in den USA. 

Die Versalzung des Landes soll jetzt Australiens größtes Umweltproblem sein; die Schäden werden bereits auf 500 bis 2000 Millionen australischer Dollar geschätzt. In einem entsprechenden Bericht schrieb die "Neue Zürcher Zeitung" am 23.6.1990: "Versalzung, die Anreicherung von Salzen in der Wurzelzone und an der Oberfläche, zehrt weltweit viele Böden aus, und das seit langem... In vielen Gebieten der Erde ist die schleichende Bodenkrankheit unversehens akut geworden; in einigen Fällen scheint sogar der völlige Kollaps der Boden­fruchtbarkeit unabwendbar." Gerade der Bewässerungsfeldbau habe zwar zur Ernährungs­sicherheit beigetragen, trage aber auch den Keim der Katastrophe in sich.

Obwohl schon die Kultur der Sumerer an der Versalzung scheiterte, werden in der Geschichte die gleichen Fehler periodisch wiederholt. Wassermangel in Trockenjahren ist eine weitere Ursache für die Stillegung von Bewässerungs­anlagen. In Kalifornien ist der Kampf um die Wasserrechte im Jahre 1990 voll entbrannt. "Wahrscheinlich ist die Annahme eher vorsichtig, daß fünf Prozent der weltweit bewässerten Flächen so sehr unter Wassermangel leiden, daß die Landwirte oder die Regierungen sie stillegen müssen."53

Der weltweite Chemikalieneinsatz wird wahrscheinlich die schlimmsten Auswirkungen auf die zukünftige Fruchtbarkeit der Böden mit sich bringen. Denn ohne Zweifel wird die Kleinlebewelt im Humus, die wir auf Seite 23 beschrieben haben, weitgehend dezimiert.  

*(d-2015:)  Der Humus war Anton Metternichs Hauptthema schon 1947  in "Die Wüste droht"

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Wenn auch in diesem Punkt ziemliche Unsicherheit herrscht und die chemische Industrie immerzu versichert, daß keine anderen Organismen Schaden nehmen würden, so könnten die geschaffenen Fakten doch verheerend und nicht mehr umkehrbar sein. Der Agronom Gerhard Preuschen sagt dazu: 

"So notwendig eine lückenlose Ursachenforschung wäre, so hoffnungslos ist das Unterfangen. Es müßte ja jeder mögliche Schadstoff (Größenordnung 30.000) allein und in jeder Kombination untereinander in seiner Wirkung auf mindestens tausend Arten pflanzlicher und tierischer Lebewesen im Boden untersucht werden — dazu noch einige Stufen des Ökosystems von stabil bis fast abgestorben — und das alles in situ. Das ist selbst als Jahrhundertprogramm undurchführbar."54

In den Bereichen intensiver Landwirtschaft hat sich die Zahl der Insektenarten in den letzten 30 Jahren um 50 bis 80 Prozent vermindert; die Zahl der nützlichen hat sogar noch stärker abgenommen.55

Der Gesamteinsatz von Insektiziden, Pestiziden, Herbiziden und Fungiziden betrug 1990 weltweit dem Werte nach 36 Milliarden DM. Die Menge ist schwer zu ermitteln, da es sich um Mischungen von sehr unter­schied­licher Zusammensetzung handelt. Die Wirkstoffe dürften ein Gesamtgewicht von einer Million Tonnen in der Welt erreichen. Die Hälfte stellen die Unkraut­vertilgungs­mittel, je ein Viertel die Mittel gegen Insekten und Pilzbefall. Die USA, Japan und Frankreich verbrauchen allein schon 44 Prozent der Weltproduktion. 

Die weltweite Vergiftung der natürlichen Kreisläufe wird damit begründet, daß anders die zunehmenden Menschen­massen nicht mehr ernährt werden könnten. Aber Vergiftung der Böden ist kein Ausweg! In bezug auf die jetzige Landwirtschaft könnte man mit dem Botaniker Kurt Egger fragen: "Wollen wir auf diese Weise gezielt einen Zusammen­bruch der Welternährung herbeiführen, um das Übervölkerungs­problem zu lösen?"56

In Europa und den Vereinigten Staaten führt die derzeitige Ruinierung der Böden zudem zu teuren Überschüssen. Die herrschende Preisgestaltung zwingt die Bauern zur intensiven Massenproduktion und zur naturfeindlichen Kalkulation; denn sie erhalten in Deutschland nur 36 Pfennige von der Mark, zu der die Konsumenten die Nahrungsmittel im Laden erstehen.

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Der bisher geächtete ökologische Landbau findet inzwischen sogar Verständnis bei der Landwirtschafts­organi­sation der UNO. Jedenfalls hat der General­sekretär der FAO, Eduard Saouma, auf dem Welternährungstag 1990 die Notwendigkeit einer umweltverträglichen Entwicklung der Landwirtschaft betont und gesagt: "Von früheren Generationen haben wir bereits eine Menge an verbrauchtem Land und Wüsten geerbt, wo nie wieder Lebens­mittel wachsen.

Und solange dem Trend zur Zerstörung der natürlichen Ressourcen nicht Einhalt geboten werde, "werden wir nicht überleben". Da aber die diversen negativen Entwicklungen, die hier nur in groben Zügen geschildert werden konnten, zusammenwirken, besteht keine Chance, den zusätzlichen Bedarf von immer mehr hungrigen Menschen künftig noch erfüllen zu können. Die Sandwüsten, die Salzwüsten und die Betonwüsten sind auf dem Vormarsch.

 

Die Betonierung des Bodens durch den Menschen ist zu fast 100 Prozent ein Verlust fruchtbarer Flächen, denn die Menschen siedeln nicht in unwirtlichen Regionen. Sie wird zwangsläufig weitergehen, weil sich mit der steigenden Weltbevölkerung ein entsprechend zunehmender Bedarf an Wohn-, Verkehrs- und Industrie­flächen ergibt. Im "Planspiel zum Überleben" wurde die überbaute Landfläche für 1882 mit 87.000 Quadratkilometer und für 1952 mit 162.000 Quadratkilometer angegeben. Seit 1952 dürfte sich diese Fläche verdoppelt haben; denn schon in der alten Bundesrepublik Deutschland waren 1989 bereits 29.270 Quadrat­kilometer bebaut. Es ist schon grausame Ironie, wenn im "Bodenschutzprogramm" der deutschen Bundesregierung 1985 eine "Trendwende im Landverbrauch" gefordert wurde. "Ökologische Belange" sollten "grundsätzlich Vorrang" haben! Sie haben bis heute grundsätzlich keine Rolle gespielt!

Der Ruf nach schnellem Wohnungsbau, nach mehr Investitionen für Industrie und Straßenbau tönt derzeit laut durch die Lande — und der Ruf nach Beseitigung bürokratischer Hemmnisse! Damit sind natürlich die Umwelt­einwände gemeint, was sonst? Pflanzenschutzmittel sollten "möglichst sparsam" eingesetzt werden; aber das war eben auch nicht möglich: ihr Verbrauch erreichte 1988 mit 32.500 Tonnen einen erneuten Höchststand.

Nicht zuletzt ist zu erwähnen, daß überall die schönsten Landschaften der Welt durch Hotel­komplexe zubetoniert werden. Der Verlust der Naturflächen geht in allen Ländern der Welt weiter. Der schon zitierte Berndt Heydemann, derzeit Umweltminister in Schleswig-Holstein, ist der Ansicht, daß die Böden "viel intensiver zerstört und verdorben werden als das Wasser".

Die menschlichen Aktivitäten insgesamt führen jährlich weltweit zur Verödung von 60.000 Quadrat­kilo­metern, und weitere 200.000 "werden jährlich soweit ausgezehrt, daß sie als Acker- oder Weideland unwirtschaftlich sind".57 Eine dreijährige Untersuchung für die Konferenz des UNO-Umwelt­programms im Jahre 1992 ergibt, daß fast ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Erde schwer geschädigt sind: drei Millionen Quadratkilometer. Durch Erosion, Versalzung und Chemie­rückstände drohen Schäden auf weiteren neun Millionen Quadratkilometern.58 Beides zusammen ergibt ein Gebiet, das schon bald so groß ist wie die gesamte Ackerfläche unserer Erde.

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Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992