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6.  Die Kunst des Verkaufens

Huxley-1958

 

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Der Fortbestand der Demokratie hängt von der Fähigkeit zahlreicher Menschen ab, ausreichend informiert realistische Entscheidungen zu treffen. Eine Diktatur hingegen erhält sich durch das Zensieren oder Entstellen der Tatsachen und durch den Appell nicht an die Vernunft, nicht an »aufgeklärten Egoismus«, sondern an Leidenschaften und Vorurteile und an die mächtigen »geheimen Kräfte«, wie Hitler sie nannte, die in den unbewußten Tiefen jeder Menschen­seele vorhanden sind.

In der westlichen Welt werden die demokratischen Grundsätze laut verkündet, und viele tüchtige und gewissenhafte Publizisten tun ihr möglichstes, die Wähler mit ausreichender Information zu versorgen und sie durch vernünftige Beweisgründe zu bewegen, im Licht dieser Informationen eine realistische Wahl zu treffen. Das alles ist durchaus ehrenwert. Leider aber hat die Propaganda in den westlichen Demokratien, vor allem in Amerika, zwei Gesichter und eine gespaltene Persönlichkeit. 

Die Leitung des redaktionellen Teils hat oft ein demokratischer Dr. Jekyll inne — ein Propagandist, welcher glücklich wäre, beweisen zu können, daß John Dewey recht hatte, als er der menschlichen Natur die Fähigkeit unterstellte, auf Wahrheit und Vernunft zu reagieren. Diesem würdigen Mann untersteht aber nur eben ein Teil der Maschinerie der Massenkommunikation. Als Leiter des Anzeigenteils finden wir einen antidemokratischen, weil antirationalen Mister Hyde — oder vielmehr einen Dr. Hyde, denn Hyde ist heutzutage Dr. der Psychologie und besitzt auch das Doktordiplom der Sozialwissenschaften.

Dieser Dr. Hyde wäre wahrhaftig äußerst betrübt, wenn jedermann das Vertrauen John Deweys auf die menschliche Natur rechtfertigte. Wahrheit und Vernunft sind Jekylls Sache, nicht die seine. Dr. Hyde ist Motivations­analytiker, und seine Sache ist es, menschliche Schwächen und Unzulänglichkeiten zu studieren, jene unbewußten Begierden und Befürchtungen zu untersuchen, von denen so viel an bewußtem Denken und offenem Handeln der Menschen bestimmt wird. Und er tut dies nicht im Sinn des Moralisten, welcher die Menschen bessern, oder des Arztes, welcher ihre Gesundheit fördern möchte, sondern einfach, um den besten Weg zu finden, aus ihrer Unwissenheit Vorteil zu ziehen und ihre Unvernunft zum finanziellen Nutzen seiner Arbeitgeber auszubeuten. 

Aber - könnte man schließlich einwenden -: »der Kapitalismus ist tot, die Konsumgesellschaft ist König« — und die Konsumgesellschaft benötigt die Dienste von Absatzspezialisten, welche in allen Künsten der Überredung (einschließlich deren widerlichster) geübt sind. Unter einem System freien Wettbewerbs ist kommerzielle Propaganda mit allen und jeden Mitteln absolut unentbehrlich. Das Unentbehrliche ist aber nicht notwendigerweise das Wünschenswerte. Was nachweislich gut ist, bezogen auf die Wirtschaft, kann für die Menschen als Wähler oder auch nur als Menschenwesen alles andere als gut sein. 

Eine frühere, moralischere Generation wäre zutiefst entrüstet gewesen über den unumwundenen Zynismus der Motivationsanalytiker. Heutzutage lesen wir ein Buch wie Vance Packards 'The Hidden Persuaders' und sind dabei mehr belustigt als entsetzt, mehr resigniert als entrüstet.

Die geheimen Verführer - Econ 1958

wikipedia  Neuromarketing   
Weiterentwicklung

 

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Im Gefolge Freuds, im Gefolge des Behaviorismus, im Zuge des verzweifelten chronischen Bedürfnisses des Massenerzeugers nach Massenverbrauch waren solche Praktiken nur zu erwarten. 

Aber welche - dürfen wir wohl fragen - sind die Praktiken, die in Zukunft zu erwarten sind? Verträgt sich Hydes Tätigkeit auf die Dauer mit der Tätigkeit Jekylls? Kann ein Werbefeldzug für Rationalität erfolgreich sein gegen­über einem anderen und sogar noch lebhafteren der Irrationalität? 

Das sind Fragen, welche ich für den Augenblick nicht zu beantworten versuchen will, sondern in der Schwebe lassen werde als einen Hintergrund für unsere Diskussion der Methoden der Massen­beeinflussung in einer technologisch fortgeschrittenen demokratischen Gesellschaft.

Die Aufgabe des kommerziellen Propagandisten in einer Demokratie ist auf manche Weise einfacher und auf manche Weise schwieriger als die des von einem zur Macht gelangten oder die Macht anstrebenden Diktator beschäftigten politischen Propagandisten. Sie ist insofern leichter, als fast jedermann für Bier, Zigaretten oder Kühlschränke eingenommen ist, aber wohl niemand für Tyrannen. 

Sie ist schwieriger insofern, als dem kommerziellen Propagandisten durch die besonderen Regeln seines Spiels nicht erlaubt ist, sich an die wilderen Instinkte seines Publikums zu wenden. Der Inserent von Milchprodukten würde nur allzugern seinen Lesern und Hörern sagen, daß alle ihre Unannehmlichkeiten durch die Machenschaften einer Bande gottloser internationaler Margarinefabrikanten verursacht seien und daß es ihre patriotische Pflicht sei, loszumarschieren und die Fabriken der Unterdrücker niederzubrennen. So etwas ist jedoch durch die Spielregeln ausgeschlossen, und er muß sich mit einer gemäßigteren Methode zufriedengeben. Aber die gemäßigte Methode ist weniger aufregend als eine, die mit Verbalinjurien oder physischer Gewalttätigkeit operiert. Auf die Dauer sind Zorn und Haß sich selbst aufzehrende Gefühle. Auf kurze Sicht aber zahlen sie hohe Dividenden in Form psychischer und sogar (da sie große Mengen von Adrenalin und Noradrenalin freisetzen) physischer Befriedigung. 

 wiktionary  Verbalinjurie  veraltend: in Worten ausgedrückte Beleidigung, üble Nachrede

Leute mögen anfänglich gegen Tyrannen voreingenommen sein; wenn aber die Tyrannen oder angehenden Tyrannen sie mit Adrenalin freisetzender Propaganda über die Ruchlosigkeit ihrer Feinde behandeln — besonders solcher Feinde, die schwach genug sind, um verfolgt werden zu können —, sind sie bereit, sich ihnen mit Begeisterung anzuschließen. 

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In seinen Reden wiederholte Hitler immer wieder Worte wie »Haß«, »Gewalt«, »rücksichtslos«, »zertreten« und begleitete die heftigen Worte mit noch heftigeren Gesten. Er schrie, er brüllte, die Adern schwollen ihm an, sein Gesicht wurde puterrot. Starke Gemütsbewegung ist (wie jeder Schauspieler und Dramatiker weiß) in höchstem Grad ansteckend. Von der bösartigen Raserei des Redners infiziert, stöhnte und schluchzte und schrie die Zuhörerschaft in einer Orgie ungehemmter Leidenschaft. Und diese Orgien waren so genußreich, daß die meisten, die sie erlebt hatten, eifrig wiederkamen und nach mehr verlangten. 

Wir sehnen uns fast alle nach Frieden und Freiheit; aber sehr wenige von uns bringen viel Begeisterung für diejenigen Gedanken, Gefühle und Handlungen auf, die Frieden und Freiheit herbeiführen. Umgekehrt wünscht fast niemand Krieg und Tyrannei; aber sehr viele Leute finden innigen Genuß an Gedanken, Gefühlen und Handlungen, welche Krieg und Tyrannei begünstigen. Diese Gedanken, Gefühle und Handlungen sind zu gefährlich, um für kommerzielle Zwecke ausgebeutet zu werden. Der Werbetexter muß dieses Handikap hinnehmen und das Bestmögliche mit den weniger berauschenden Gefühlen, den stilleren Formen der Irrationalität erreichen.

Wirksame vernunftgemäße Propaganda wird nur möglich, wenn unter allen Beteiligten ein klares Einverständnis herrscht über das Wesen der Symbole und deren Beziehungen zu den symbolisierten Dingen und Ereignissen. Vernunftwidrige Propaganda hängt, um effizient zu sein, von einem allgemeinen Nichtverstehen des Wesens der Symbole ab. Schlichte Gemüter neigen dazu, das Symbol mit dem, was es symbolisiert, gleichzusetzen, den Dingen und Ereignissen einige der Eigenschaften zuzuschreiben, die durch die Worte ausgedrückt werden, welche der Propagandist gewählt hat, um für seine eigenen Zwecke von jenen zu reden.

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Man nehme ein einfaches Beispiel. Die meisten Schönheitsmittel sind aus Lanolin hergestellt, einer Mischung aus gereinigtem Wollfett und Wasser, welche zu einer Emulsion gerührt wird. Diese Emulsion hat viele wertvolle Eigenschaften: sie dringt in die Haut ein, sie wird nicht ranzig, sie ist ein wenig antiseptisch usw. Die Werbetexter aber sprechen nicht von den wahren Vorzügen der Emulsion. Sie geben ihr irgendeinen malerisch-lustvollen Namen, reden verzückt und irreführend von weiblicher Schönheit und zeigen uns Bilder prächtiger Blondinen, welche ihr Zellgewebe mit Hautnahrung füttern. »Die Schönheitsmittel­erzeuger«, schrieb einer von ihnen, »verkaufen nicht Lanolin, sie verkaufen Hoffnung.« 

Für diese Hoffnung, diese betrügerische Andeutung eines Versprechens, sie zu verwandeln, zahlen Frauen und Mädchen den zehn- oder zwanzigfachen Wert der Emulsion, welche die Propagandisten so geschickt durch irreführende Symbole mit einem tief eingefleischten und fast allgemeinen weiblichen Wunsch in Beziehung gesetzt haben — dem Wunsch, anziehender für das andere Geschlecht zu sein. 

Die Grundregeln dieser Art von Propaganda sind äußerst einfach. Man finde ein allgemeines Verlangen, irgendeine weitverbreitete unbewußte Furcht oder Besorgnis; man denke sich einen Weg aus, diesen Wunsch oder diese Furcht zu dem Erzeugnis, das man zu verkaufen hat, in Beziehung zu setzen; dann baue man aus wörtlichen oder bildlichen Symbolen eine Brücke, über welche die Kundschaft von Tatsachen zu kompensatorischen Träumen und von den Träumen zu der Illusion schreiten kann, daß das Erzeugnis, wenn gekauft, Traum zu Wirklichkeit machen werde. »Wir kaufen nicht mehr Orangen, wir kaufen Lebenskraft. Wir kaufen nicht einfach ein Auto, wir kaufen Prestige.« Und so ist es mit allem übrigen. In der Zahnpasta, zum Beispiel, kaufen wir nicht bloß ein reinigendes und antiseptisches Mittel, sondern Befreiung von der Furcht, sexuell abstoßend zu sein. 

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In Wodka und Whisky kaufen wir nicht etwa ein Protoplasmagift, welches in kleinen Mengen das Nervensystem auf eine psychisch nutzbringende Art herabzustimmen vermag; wir kaufen Gemütlichkeit und gute Kamerad­schaft, herzerwärmende Gastfreundschaft und die geistige Brillanz der Mermaid-Taverne. In unseren Abführmitteln kaufen wir die Gesundheit eines Griechengottes, die strahlende Erscheinung einer Nymphe Dianas. Mit den monatlichen Kassenknüllern des Buchhandels erwerben wir Kultur, den Neid unserer weniger belesenen Nachbarn und die Achtung der geistig Anspruchsvollen. In jedem dieser Fälle hat der Motivationsanalytiker einen tief eingefleischten Wunsch oder eine ebensolche Furcht gefunden, deren Energie benutzt werden kann, um den Verbraucher zu bewegen, sich von seinem Bargeld zu trennen und so mittelbar die Räder der Industrie in Gang zu halten.   

 goog  Mermaid+Tavern    en.wikipedia  Mermaid_Tavern 

Gespeichert in Geist und Körper zahlloser Individuen, wird diese potentielle Energie durch eine Reihe von Symbolen freigesetzt und weitergeleitet, und die Leitung ist sorgfältig so angelegt, daß sie um jede Rationalität einen Bogen macht und den wahren Sachverhalt verdunkelt. Manchmal tun die Symbole ihre Wirkung dadurch, daß sie selbst schon unverhältnismäßig eindrucksvoll und nachhaltig fesselnd sind. Von dieser Art sind die Rituale und das Festgepränge der Religionen. Diese »Schönheit der Heiligkeit« stärkt den Glauben, wo er bereits vorhanden ist, und trägt, wo noch keiner vorhanden ist, zur Bekehrung bei. Da sie sich nur an den Schönheitssinn wendet, verbürgt sie weder die Wahrheit noch den ethischen Wert der Lehre, mit der sie ganz willkürlich assoziiert worden ist. Es ist jedoch eine schlichte geschichtliche Tatsache, daß die Schönheit der Heiligkeit oft von der Schönheit der Unheiligkeit erreicht und übertroffen worden ist. 

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Unter Hitler, zum Beispiel, waren die jährlichen Nürnberger Parteitage Meisterwerke der Kunst des Rituals und der Inszenierung.

»Ich habe vor dem Krieg, in den besten Zeiten des alten russischen Balletts, sechs Jahre in St. Petersburg verbracht«, schreibt Sir Neville Henderson, der britische Botschafter in Hitler-Deutschland, »aber was großartige Schönheit betrifft, habe ich nie ein Ballett gesehen, das sich mit dem Nürnberger Parteitag messen konnte Man denkt dabei an Keats (»Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit Schönheit ist«). 

 wikipedia  Nevile_Henderson  1882-1942

Leider besteht diese Identität nur auf einer äußersten, überirdischen Ebene. Auf der Ebene der Politik und Theologie ist Schönheit völlig vereinbar mit Unsinn und Tyrannei. Und das ist ein Glück; denn wenn Schönheit unvereinbar mit Unsinn und Tyrannei wäre, gäbe es recht wenig Kunst auf der Welt. Die Meisterwerke der Malerei, Bildhauerei und Architektur wurden als religiöse oder politische Propaganda geschaffen, zum größeren Ruhme Gottes, einer Regierung oder Priesterschaft. Die meisten Könige und Priester aber waren despotisch, und alle Religionen waren von Aberglauben durchsetzt. Das Genie war der Diener der Tyrannei, und die Kunst machte für den örtlichen Kult Reklame. Die Zeit schied dann später die gute Kunst von der schlechten Metaphysik. Können wir lernen, diese Unterscheidung nicht erst nachträglich vorzunehmen, sondern an Ort und Stelle? Das ist die Frage. 

In der kommerziellen Propaganda wird das Prinzip des unverhältnismäßig fesselnden Symbols klar begriffen. Jeder Werbechef hat seine Kunstabteilung, und es wird beständig versucht, die Plakatwände mit eindrucksvollen Plakaten, die Reklameseiten der Magazine mit lebhaften Zeichnungen und Fotos zu verschönern. Da gibt es keine Meisterwerke; denn Meisterwerke gefallen nur einem begrenzten Publikum, und der Werbefachmann ist darauf aus, die Mehrheit gefangenzunehmen. Für ihn ist das Ideal mäßige Vortrefflichkeit. Von denjenigen, denen diese nicht allzu gute, aber genügend eindrucksvolle Kunst gefällt, läßt sich erwarten, daß ihnen auch die Erzeugnisse, mit denen sie assoziiert worden ist und die sie symbolisch vertritt, gefallen werden.

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Ein anderes, unverhältnismäßig fesselndes Symbol ist die gesungene Reklame. Sie ist eine jüngste Erfindung; aber gesungene Theologie und gesungene Andacht — Kirchenlied und Psalm — sind so alt wie die Religion selbst. Gesungener Militarismus, d.h. das Marschlied, ist der Altersgenosse des Krieges, und gesungener Patriotismus, der Vorläufer unserer Nationalhymnen, wurde zweifellos zur Förderung der Gruppensolidarität, zur Betonung des Unterschieds zwischen »uns « und »ihnen« schon von den wandernden Horden paläolithischer Jäger und Sammler verwendet. 

Für die meisten Menschen hat Musik an sich etwas Anziehendes. Überdies neigen Melodien dazu, sich dem Geist des Hörers einzuprägen. Eine bestimmte Melodie läßt einen ein Leben lang nicht mehr los und geistert im Gedächtnis. Man nehme zum Beispiel eine ganz uninteressante Feststellung oder ein ebensolches Werturteil. So, wie es da gedruckt steht, wird sich niemand viel darum kümmern. Nun aber unterlege man die Worte mit einer reißerischen und einprägsamen Melodie. Sogleich erhalten die Worte Macht und werden sich überdies meistens von selbst wiederholen, sooft die Melodie gehört wird oder man sich ihrer spontan erinnert. Orpheus ist ein Bündnis mit Pawlow eingegangen — die Macht der Töne mit dem bedingten Reflex. 

Für den kommerziellen Propagandisten wie für seine Kollegen auf den Gebieten der Politik und Religion besitzt die Musik noch einen anderen Vorteil. Unsinn, den zu schreiben, zu sprechen oder gesprochen zu hören für einen vernünftigen Menschen beschämend wäre, wird von demselben vernunftbegabten Menschen mit Genuß und sogar mit einer Art von intellektueller Überzeugung gesungen oder gesungen gehört. Können wir es lernen, den Genuß, zu singen oder Gesungenes zu hören, von unserer Neigung zu trennen, die Propaganda, die der Gesang vermittelt, zu glauben? Auch das ist die Frage. Dank der Schulpflicht und der Rotationspresse ist der Propagandist seit vielen Jahren imstande, seine Botschaften so gut wie jedem Erwachsenen in jedem zivilisierten Land zuzuleiten. Heutzutage, dank Rundfunk und Fernsehen, ist er in der glücklichen Lage, sich sogar analphabetischen Erwachsenen und Kleinkindern mitteilen zu können.

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Kinder sind, wie zu erwarten, höchst empfänglich für Propaganda. Sie kennen die Welt und ihr Treiben noch nicht und sind daher völlig arglos. Ihre Kritik­fähigkeit ist unentwickelt. Die jüngsten von ihnen haben noch nicht das verständige Alter erreicht, und den älteren fehlt die Erfahrung, auf welche sie ihr neu erworbenes Verständnis anwenden könnten. Militärdienstpflichtige Rekruten wurden in Europa gern »Kanonenfutter« genannt. Ihre jüngeren Brüderchen und Schwesterchen sind nun Rundfunkfutter und Fernsehfutter geworden. 

Zu meiner Kindheit wurde uns beigebracht, Kinderverschen und, in frommen Haushalten, Kirchenlieder zu singen. Heutzutage trällern die lieben Kleinen Reklameliedchen. Was ist besser»Rheingold ist mein Bier, das lob' ich mir« oder »Finster war's, der Mond schien helle«?, »Wohin soll ich mich wenden?« oder »Am Mundgeruch man's gleich erkennt: Du putzt sie nicht mit Pepsodent«? Wer weiß?

»Ich behaupte nicht, daß Kinder gezwungen werden sollten, ihre Eltern zu plagen, Erzeugnisse zu kaufen, welche sie auf dem Fernsehschirm angepriesen gesehen haben. Andererseits aber kann ich meine Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß das tagtäglich geschieht.« Das schreibt der Star einer der vielen an eine jugendliche Zuschauerschaft gerichteten Sendereihen. »Kinder«, fügt er hinzu, »sind lebende, sprechende Aufzeichnungen dessen, was wir ihnen jeden Tag sagen.« 

Und mit der Zeit werden diese lebenden, sprechenden Aufzeichnungen der Fernsehreklame heranwachsen, Geld verdienen und die Industrieerzeugnisse kaufen. »Bedenken Sie«, schreibt Clyde Miller in The Process of Persuasion verzückt, »was es für Ihre Firma an Gewinn bedeuten kann, wenn Sie es erreichen, die Reflexe von einer Million oder von zehn Millionen Kindern zu konditionieren, die dann als Erwachsene darauf gedrillt sind, Ihr Erzeugnis zu kaufen, wie Soldaten im voraus gedrillt sind, wenn sie das Kommandowort <Vorwärts marsch!> hören!«  

 https://www.bing.com/search?q=Clyde+Miller+The+Process+of+Persuasion      https://en.wikipedia.org/wiki/Clyde_R._Miller  1888-1977

Ja, man bedenke das nur! 

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Und gleichzeitig erinnere man sich, daß die Diktatoren und die Möchtegern-Diktatoren etwas Derartiges seit Jahren gesucht haben und daß Millionen und Millionen Kinder heranwachsen, welche das ideologische Erzeugnis des Despoten kaufen und wie gutgedrillte Soldaten auf die ihren jungen Gemütern von den Propagandisten des Despoten eingetrichterten Auslöseworte mit dem entsprechenden Verhalten reagieren werden.

Selbstregierung steht in umgekehrtem Verhältnis zur Anzahl. Je größer der Wahlkreis, desto geringer der Wert einer einzelnen Stimme. Wenn der Wähler bloß einer von Millionen ist, fühlt er sich machtlos, eine quantite negligeable. Die Kandidaten, die er zu Amt und Würden gewählt hat, sind weit weg, auf der Spitze der Machtpyramide. Theoretisch sind sie die Diener des Volkes; tatsächlich aber sind es diese Diener, die Befehle geben, und es ist das Volk tief unten an der Basis der großen Pyramide, das gehorchen muß. Zunehmende Bevölkerung und fortschreitende Technologie haben eine Zunahme der Zahl und Vielfalt der Organisationen zum Ergebnis gehabt, eine Zunahme der in den Händen der Beamten konzentrierten Macht und eine entsprechende Abnahme der von den Wählern ausgeübten Kontrolle, gekoppelt mit einer Abnahme der allgemeinen Achtung vor demokratischem Vorgehen. 

Schon geschwächt durch die großen unpersönlichen Kräfte, welche in der modernen Welt wirken, werden demokratische Einrichtungen nun von innen, durch die Politiker und ihre Propagandisten, unterhöhlt. Die Menschen handeln auf sehr viele verschiedene unvernünftige Weisen, aber, wenn ihnen eine Möglichkeit geboten und das verfügbare Tatsachenmaterial zugänglich gemacht wird, scheinen sie alle fähig zu sein, eine vernünftige Wahl zu treffen. Demokratische Einrichtungen lassen sich nur dann verwirklichen, wenn alle, die es angeht, ihr möglichstes tun, Wissen zu verbreiten und Vernunft zu ermutigen. 

Heutzutage aber ziehen es die Politiker und ihre Propagandisten in den Demokratien, vor allem in der mächtigsten von ihnen, vor, demokratische Verfahren zum Gespött zu machen, indem sie sich fast ausschließlich an die Unwissenheit und Unvernunft der Wähler wenden. 

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»Beide Parteien«, so ließ sich 1956 der Chefredakteur einer führenden amerikanischen Wirtschaftszeitschrift vernehmen,

 »werden ihre Kandidaten und Ziele mit denselben Methoden auf den Markt bringen, die das Geschäftsleben entwickelt hat, um Waren zu verkaufen. Zu diesen Methoden gehören fachkundige Auswahl der Ansprechweise und planmäßige Wiederholung ... Rundfunkkurzdurchsagen und Anzeigen werden Merkworte mit gezielter Eindringlichkeit wiederholen, Plakatwände werden Slogans von bewährter Kraft in die Augen springen lassen ... Kandidaten müssen außer einer volltönenden Stimme und guter Aussprache auch die Fähigkeit besitzen, vor der Fernsehkamera <aufrichtig> auszusehen.«

Die politischen Vermarkter wenden sich nur an die Schwächen der Wähler, nie an ihre potentielle Stärke. Sie machen keinen Versuch, die Massen zur Tauglichkeit für die Selbstregierung zu erziehen; sie begnügen sich damit, sie bloß zu manipulieren und auszubeuten. Zu diesem Zweck werden alle Hilfsmittel der Psychologie und anderer Spezialwissenschaften mobilisiert und auf sie losgelassen. Mit sorgfältig ausgewählten Individuen der Wählerschaft werden »Tiefeninterviews« angestellt. Diese Tiefeninterviews enthüllen die unbewußten Befürchtungen und Wünsche, die zur Zeit einer Wahl in einer Wählerschaft vorherrschen. 

Phrasen und Vorstellungsbilder, welche dahin zielen, diese Befürchtungen zu beschwichtigen oder, wenn nötig, zu verstärken, diese Wünsche zu befriedigen, zumindest symbolisch, werden dann von Fachleuten ausgewählt, an Lesern und Zuhörern erprobt und je nach den so erhaltenen Auskünften gewechselt oder verbessert. Woraufhin in der politischen Kampagne alles bereit ist für diejenigen, die sich an die Massen zu wenden haben. Nun ist nichts weiter mehr nötig als Geld und ein Kandidat, welchem beigebracht werden kann, »aufrichtig« auszusehen. 

Unter der neuen Glaubenslehre haben politische Grundsätze und Pläne für bestimmte Aktionen den größten Teil ihrer Bedeutung allmählich verloren. Die Persönlichkeit des Kandidaten und die Art, wie er von den Werbefachleuten projiziert wird, das sind die Dinge, auf die es wirklich ankommt.

Auf die eine oder andere Art, als kraftvoller Mannskerl oder gütiger Vater, muß der Kandidat eindrucksvoll sein. Er muß auch ein Unterhaltungskünstler sein, der sein Publikum nie langweilt. Aufgewachsen mit Rundfunk und Fernsehen, ist dieses Publikum gewöhnt, zerstreut zu werden, und hat es nicht gern, wenn man von ihm verlangt, sich zu konzentrieren oder eine längere geistige Anstrengung zu machen. Alle Reden des Unter­haltungs­künstler-Kandidaten müssen daher knapp und knallig sein. Die großen Tagesfragen müssen in höchstens fünf Minuten behandelt werden — und lieber noch (da die Zuhörerschaft gern zu etwas Unterhaltsamerem als Inflation oder Wasserstoffbombe weitergehen möchte) in ganzen sechzig Sekunden. 

Das Wesen der Redekunst ist so beschaffen, daß bei Politikern und Geistlichen stets die Neigung vorhanden war, verwickelte Fragen übermäßig zu vereinfachen. Von der Kanzel oder der Tribüne herab findet es auch der gewissenhafteste Redner schwer, die volle Wahrheit zu sagen. Die Methoden, die heute angewendet werden, um den politischen Kandidaten an den Mann oder die Frau zu bringen, als wäre er ein Deodorant, gewährleisten der Wählerschaft geradezu, daß sie nie die volle Wahrheit über irgend etwas zu hören bekommen wird.

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von Aldous Huxley