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Johannes Jansen
Liebling, mach Lack!
Die Aufzeichnungen des Soldaten Jot Jot
Faksimiles
Nachwort von Roland Berbig |
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2004 220 Seiten *1968 Bing.Buch Goog.Buch
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Das ist gut: Zeichnungen! Fotos machen waren bei der Asche verboten. Und selbst wenn anders: entscheidende Situationen, die man oft erst hinterher als solche erkennt, können nicht in ein Foto "eingefangen" werden.
2004 bei Kookbooks-Verlag, ISBN: 3-937-44502-1
Reihe Kunstbuch, herausgegeben von Daniela Seel
Band 1, 220 Seiten,2 Mappen mit Zeichnungen und Texten, Ergänzungsband mit Dokumenten und einem Gespräch mit Johannes Jansen, , in der Kassette, 15 x 21 cm
Verlag:
Ein alltäglicher Vorgang: Ein junger Mensch, keine 20 Jahre alt, wird von der Staatsmacht, die ihn zu vertreten meint und auf deren Tun er doch so gut wie keinen Einfluss hat, seinem Umfeld entzogen und hinter Draht gebracht.
Als der Dichter Johannes Jansen von 1985 bis 1987 seinen "Ehrendienst" als Soldat der Nationalen Volksarmee der DDR leistet, hält er seine Erfahrungen in einem heimlich geführten Tagebuch fest. Die Tuschezeichnungen und handschriftlichen Texte Jansens sprechen vom "Kulissenkrieg" hinter den Kasernenmauern, dem Leben im "Käfig", von der täglich erlebten Gewalt, die Wut provoziert und Widerstand. Im Ringen mit der "Geilheit des Krieges" suchen sie Liebe und weisen auf die unauslöschliche Sehnsucht der Menschen nach Frieden.
Viele zentrale Motive späterer Arbeiten Jansens haben in diesem Material ihre Quelle. Die Aufzeichnungen, die nun erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, sind ein einzigartiges zeithistorisches Dokument und ein Schlüssel zu Jansens Werk.
»Das Maß an provokativer und kapitulierender Kraft ist immens. Sind schon die Gestalten, die auf den Blättern Hausrecht erworben haben, Gegenentwürfe zu jedem wie auch gearteten Soldatenbild, so provoziert die Sprache, die sich organisch einnistet, gnadenlos. Ihr Wesen ist es, den soldatischen Jargon umzubrennen in Wörter, die Ausweg sind. Alltägliche Redefetzen erhalten die Wahrheit zurück, die sie unbewusst verbargen.« Roland Berbig
Entschiedenes Anti-Kriegs-Buch
Von Jörg Magenau, dradio.de, BÜCHERMARKT, 21.01.2005
Johannes Jansen war neunzehn Jahre alt, als er, wie jeder junge Mann seines Landes, zum Dienst in der Nationalen Volksarmee der DDR eingezogen wurde. Von November 1985 bis ins Frühjahr 1987 war er in Brandenburg stationiert. Was er dort erlebte, ist den Skizzenblättern und Notizzetteln abzulesen, die in dieser Zeit in der Kaserne entstanden. Der kleine, edle Verlag Kookbooks hat sie nun als Sammlung einzelner Blätter in zwei Mappen so liebevoll faksimiliert, dass man sie fast für Originale halten könnte. Die Transskriptionen der teilweise schwer lesbaren Notizen gibt es dazu in Buchform.
"Liebling, mach Lack!", lautet der erklärungsbedürftige Titel dieser Aufzeichnungen.
Das ist Armee-Jargon. Das bedeutete so viel wie schneller machen, Stress machen, sich beeilen, noch schneller fertig zu werden. So sprachen die Offiziere oder die Feldwebel zu ihren Soldaten: Nu macht mal Lack hier. Der Witz daran ist, dass der Lack im normalen Volksmund eher mit dem Geld zusammengebracht wird, und ich fand das ganz lustig, wenn beide Inhalte zusammenkommen.
Johannes Jansen erzählt keine konkreten Erlebnisse. Seine Blätter ergeben kein Armee-Tagebuch, aber doch ein entschiedenes Anti-Kriegs-Buch. Das gelingt allein dadurch, dass er Stimmungen festhält und die Zumutungen des Kasernenlebens zeichnerisch und sprachlich so lange bearbeitet, bis sie aushaltbar geworden sind. Chaotisch sind diese Blätter, wild und böse. Als Material dienen die gebrüllten Kommandos. Die alltägliche Gewalt. Die unterdrückte und roh ausbrechende Sexualität. Die Langeweile. Soldaten erscheinen als Totenköpfe mit Helm oder Gasmaske. Wie Sterbende liegen sie in ihren Stockbetten, versehen mit der Überschrift "Meldegruppe/Nachtruhe".
Auf verschiedenen Blättern taucht der Satz auf: "Komm, küss die Zündung, ich bin dein Krieg". Jansen erprobt die Wortkombinationen, die er gefunden hat, immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen. Einer dieser Sätze enthält schon sein ganzes poetisches Programm: "Die Reise im Kopf zur Zeit der Gefangenschaft entzieht den Dingen die Farbe." Denn darum geht es: die bedrohliche Wirklichkeit so weit abzudämpfen und in Kunst zu verwandeln, dass sie nicht mehr allzu grell in den Ohren dröhnt.
Das Papier, das Jansen benutzte, stammte aus einem NVA-Fahrtenbuch mit den Rubriken "Absendestelle", "Meldung", "Abgegangen", "Angekommen". Auf diesem bürokratisch-militärischen Territorium lässt er seine expressive Kunst geradezu explodieren. Es ist, als erobere er ein feindliches Gelände für sich. Auf radikale Weise behauptet sich ein Subjekt mit eigenem Ausdruckswillen in einer Welt, in der Subjektivität eigentlich nicht vorgesehen ist. Das ging so lange gut, bis Jansen im Sommer 1986 bei einer Ausstellung nicht-offizieller DDR-Zeitschriften in Berlin lesen wollte. Er besorgte sich einen Urlaubsschein, wurde aber, als er die Kaserne mit all seinen Sachen in der Tasche verließ, kontrolliert und kam in Arrest. Dass diese Bilder und Texte alles andere als staatstragend waren, ließ sich nicht übersehen. Zwei Herren von der Staatssicherheit verhörten ihn, gaben ihm aber schließlich sein Material zurück - mit der unzumutbaren Auflage, es niemandem zu zeigen.
Ich war Neunzehn, als ich hinkam, da hat man noch einen gewissen Schutz, da merkt man noch gar nicht, was mit einem gemacht wird. Ich hatte den Impuls, mich gegen das Umfeld zur Wehr zu setzen, aber nicht feindlich gesinnt. Ich habe dann erst bei dieser Geschichte mit der Stasi und der Beschlagnahmung des Materials mitbekommen, dass das in irgend einer Form gefährlich ist, was ich da gemacht habe, was mir zuvor nicht bewusst war, zumal ich auch nicht gestört worden bin. Ich habe da auf der Stube gesessen mit den anderen Soldaten und eben gekritzelt, und die haben dann mal geguckt und ihre Kritik abgegeben. Aber da war nie ein Offizier, der gesagt hätte, nun hören Sie mal auf damit. Ich konnte frei arbeiten. Das ging.
Jansen erscheint auf diesen Blättern als "der Soldat Jotjot". Unter zwei kleine Passfotos, auf denen er in Uniform zu sehen ist, hat er geschrieben: "Die Situation eines Mannes im Käfig, eine Momentaufnahme über Jahre." Das lässt sich auf die äußere Situation des Militärs ebenso beziehen, wie auf die biographische Phase des Aufbruchs, der Ungewissheit, der künstlerischen Richtungssuche des Neunzehnjährigen. Jansen war damals geprägt durch die Szene am Prenzlauer Berg und beschäftigte sich mit dem Expressionismus. Als gelernter Graveur und Graphiker hatte er sich noch nicht zwischen Zeichnen und Schreiben entschieden. Der expressive Ausdruck, der Schrei als Gebärde, dominiert diese frühen Arbeiten. - Ein ganz anderer Ton prägt dagegen einen Band mit neuer Prosa, der ebenfalls gerade erschienen ist. Schon der Titel "Halbschlaf. Tag Nacht Gedanken" signalisiert eine demonstrative Ruhe und die Konzentration aufs eigene, gefährdete Ich.
Die DDR war ja eine tote Hose. Da war ja nichts los. Man musste selber was machen, hat ein bisschen was gemacht. Das war ein ausgetrocknetes Landstück. Um gegen diese Leere zu revoltieren, hat man einen ungeheuren Krach veranstaltet. Und dann kam dieser Kulturschock Westen, auf einmal diese Welle mit den ungeheuren Reizen, und man war wieder in der Situation, dass man sich dazu verhalten musste. Aber auch dagegen wehren musste. Ich habe 1988/89 Texte gemacht, die ein ungeheures Tempo hatten. Richtige Schimpfkanonaden. Das war die Reaktion auf die Leere. Und dann kam diese Fülle, und man muss sich wieder dagegen verhalten, um überhaupt weiterzukommen, und plötzlich wird das ganz langsam, sehr viel verhaltener, genauer und durchdacht. Das ist jeweils eine Reaktion auf das, womit ich konfrontiert wurde. Insofern dokumentiert die Entwicklung von der ersten Veröffentlichung bis zur jetzigen diesen Werdegang eines Bewusstseins innerhalb dieser zwangsläufig sich vermischenden Landschaft.
Der Band "Halbschlaf" besteht aus kurzen Prosafragmenten. Man könnte sie als Aphorismen bezeichnen. Allerdings verkünden sie keine kalendertauglichen Wahrheiten, sondern stellen sich gegenseitig in Frage. Die Verzweiflung taugt nicht als heroische Geste.
Der Zweifel ist nicht zuletzt auf sich selbst anzuwenden. Und auch die erstrebte Gelassenheit hält nur einen Augenblick. Jansen umkreist das eigene Ich und seine Befindlichkeit. Das hat rein gar nichts mit Popliteratur und den eitlen Selbstinszenierungen einer oberflächlichen Individualität zu tun. Er leistet Seelenarbeit, lotet die Tiefenverhältnisse der Existenz aus, gerät dabei aber unentwegt ins Taumeln. Jansen Texte, so hieß es einmal in einer Kritik von Anne Passow, "unternehmen eine permanente Gratwanderung, sie balancieren präzise auf der Kippstelle zwischen Erlösungsvision und Zusammenbruch".
Mittlerweile hat er gelernt, das Fragmentarische nicht mehr als Bedrohung zu empfinden, sondern gerade darin die Erlösung zu suchen. Selbstbewusst bezeichnet er sich als "Fragmentmensch", so wie er sich schon in den 90er Jahren in einem programmatischen Text als "Randfigur" beschrieben hat. Ganz bewusst arbeitete er nach der Wende mit behinderten Kindern und in der Altenpflege, um die sozialen Ränder der Gesellschaft kennen zu lernen. Auf den Militärdienst in der DDR folgte also der Sozialdienst im Westen. Das Risiko, dabei selbst in eine bedrohliche psychische Situation zu geraten, nahm er in Kauf. Heute meint er, dass die Zeit bei der NVA ihn in gewisser Weise auf das vorbereitet hat, was später auf ihn zukam. Die Armee-Erfahrung gab ihm die Ausdauer, um durchzuhalten. Nicht die großen Zusammenhänge hat er also im Blick, sondern das kleine, alltägliche Leben und die Bewusstseinszustände, die da zu verzeichnen sind.
Man geht eine Straße entlang und in jedem Gesicht sieht man eine ganze Welt. Und das ist ja eigentlich das, was Poesie ausmacht. Ich bin neulich von einer Belgierin gefragt worden, ob das etwas mit Politik zu tun hätte, was ich da machen würde, ich sagte: nein, es geht um Poesie. Um Poesie als Haltung. Es gibt ein wunderschönes Manifest von H.C. Artmann aus den 50er Jahren über den poetischen Akt. Das Verrückte ist ja, wenn ich hier mal zum Bäcker gehe, ist das bereits ein poetischer Akt. Er ist eigentlich ganz leicht zu praktizieren. Letztendlich kann das jeder machen. Und dann kommen diese ganzen Gedankengebilde mit Beuys und so weiter, jeder Mensch ein Künstler, plötzlich kriegt das alles wieder eine Bedeutung und arbeitet da in der Öffentlichkeit. Poesie also als eine Lebenshaltung. Carpe diem - nutze den Augenblick.
Jansen nennt das auch ganz schlicht "das gute Leben" und schreibt selbstgenügsam: "Das zunehmende Pathos im Detail bei gleichzeitiger Abnahme der Wirkungsmöglichkeit - das ist die Realität."
Johannes Jansen ist ein Dichter, der leise spricht, weil er darauf hofft, dass im allgemeinen Getöse das Flüstern wieder hörbar wird. Das führt dazu, dass er auch sechzehn Jahre nach seiner ersten Publikation - einem noch in der DDR erschienenen Lyrikband in der Reihe "Poesiealbum" - immer noch zu entdecken ist, obwohl er in der Zwischenzeit so manchen Preis erhalten hat. Die Gelegenheit ist jetzt günstig, da er in seinen zwei neuen Büchern zugleich am Ausgangspunkt und in der Gegenwart seiner künstlerischen Arbeit zu beobachten ist: Zwei fragmentarische Momentaufnahmen seiner Entwicklung. In "Halbschlaf" drückt er das so aus: "Am besten man wäre ein Standphoto und würde in scheinbar entspannter Haltung ungerührt die bekannten Geschwindigkeiten an sich vorbeiziehen lassen, mit einem stoischen Zug und gewappnet für die Ewigkeit."
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