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9   Karen Horney 

  detopia Horney 

 

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Karen Horney, die einzige Frau, die sich nicht nur gegen das Freudsche Grundprinzip auflehnte, sondern auch eine eigenständige Schule der Psycho­analyse gründete, findet heutzutage vor allem in der Bewegung zur Befreiung der Frau Beachtung, die in ihr gewissermaßen ein Symbol des Kampfes gegen die männlich ausgerichtete und von Männern beherrschte Bastion der Psychoanalyse sieht. 

Schon 1917 focht Horney als kaum flügge gewordene Psychiaterin Freuds Schilderung der Frauen an, der sie als kastrierte Männer hinstellte, von Penisneid oder dem irrationalen Wunsch nach dem männlichen Geschlechtsorgan getrieben. Während ihrer Tätigkeit in Berlin und ebenso in den zwanzig Jahren bis zu ihrem Tod im Jahre 1952, in denen sie in den Vereinigten Staaten Psychoanalyse praktizierte, setzte sie ihren Kampf gegen die orthodoxe Einstellung fort. Aber daß Karen Horney und die orthodoxe Analyse unterschiedliche Auffassungen von der Psychotherapie hatten, sollte bedeutsamere Konsequenzen haben als nur den ideologischen Streit zwischen Frauen und Männern.

Zwar bezogen sich ihre ursprünglichen Zweifel an der orthodoxen Psychoanalyse auf Freuds Ansichten von Frauen, doch ging Horneys Opposition über Meinungsverschiedenheiten über die weibliche Psychologie hinaus und richtete sich gegen seine höchst mechanistischen und deterministischen Lehren. 

Als sie 1932 aus Deutschland in die Vereinigten Staaten auswanderte, fiel ihr auf, wie unterschiedlich die beiden Gesellschaften waren, und sie begann, sich mehr auf die kulturellen Faktoren bei der Persönlichkeits­bildung und der Neurosen­entstehung zu konzentrieren. 

Die amerikanische Gesellschaft war bereits stark von Zwängen geprägt und auf Leistung ausgerichtet; ihr als Außenseiterin schien es, daß diese Zwänge und Belastungen bei den psychischen Schwierigkeiten der Amerikaner eine Rolle spielten — zumindest bei denjenigen, die sie behandelte. 

Schließlich lehnte sie Freuds Standpunkt ab, der nicht einzusehen vermochte, welchen entscheidenden Einfluß die Gesellschaft auf die Prägung der Persönlichkeit ausübt, und bestritt seine pessimistische Vorstellung vom Menschen als einem ausschließlich von seinen Trieben motivierten Lebewesen.

Horney behauptete, daß jeder Mensch die Fähigkeit habe, sich zu formen. "Ich glaube daran, daß ein Mensch sich ändern kann, solange er lebt.", sagte sie.1

Jeder Mensch habe einen grundlegenden, wenn auch leicht zu durchkreuzenden Antrieb, seine besten angeborenen Möglichkeiten zu entwickeln — einen Trieb, der ebenso fundamental sei wie der Wunsch eines Kindes, zu laufen, und der zu dem Prozeß führe, den Horney den »Kampf um Selbst­verwirk­lichung« nennt.

Ihrer Ansicht nach ist die treibende Kraft für das Verhalten von Männern wie auch von Frauen nicht Sexualität oder Aggression, wie Freud meinte, sondern das Bedürfnis nach Sicherheit. Wenn ein Kind in eine Umgebung hineingeboren wird, die ihm, aus welchen Gründen auch immer, nicht das Gefühl vermittelt, geliebt und geborgen zu sein, dann ist die Folge, daß es von einer entsetzlichen basalen Angst befallen wird, die es zwingt, nach Anerkennung durch andere zu streben. Dieses zwanghafte Streben nach Anerkennung führt zu allzu großer Unterwürfigkeit, Überaggressivität oder zur Menschenscheu.

Zum Anfangsstadium ihrer Theorie über die Dynamik der Neurose gelangte Horney, indem sie einer Denkrichtung folgte, die der von Alfred Adler ähnlich war und auch auf der Linie der Reikschen Schule lag, die ihre Ideen gleichzeitig entwickelte. Sie alle gehörten zu der neuen Richtung, die die Ursachen von Neurosen sozialen und Umweltfaktoren zuschreibt — eine Richtung, die unvermeidlich schien angesichts der höchst unterschiedlichen Lebensqualität in den Vereinigten Staaten. Bisher ist praktisch jeder Freudsche Schüler oder Dissident, der nach Amerika gekommen ist, von der Idee der sozialen Faktoren beeinflußt worden. 

1) <Unsere inneren Konflikte>, Kindler 1973, S.16 

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Das mag erklären, warum Freud nach seinem einzigen kurzen Besuch im Jahre 1909 niemals nach Amerika zurückkehrte und warum er es sich immer angelegen sein ließ, die amerikanische Lebensweise zu geißeln. Vielleicht hatte er bereits erkannt, daß seine Theorien leicht zu durchschauen sind, wenn sie an den unzusammenhängenden, polyglotten Zügen des amerikanischen Charakters gemessen werden, und fürchtete, er werde sie angesichts der Unmenge widersprüchlicher Tatbestände verteidigen müssen. Natürlich ist es eine Ironie, daß gerade in den Vereinigten Staaten die Psychoanalyse ihren größten Erfolg hatte.

Horney stellte dann die Behauptung auf, daß das Verhaltensmuster, das ein Mensch unbewußt übernimmt, teilweise von den Stereotypen seiner Kultur abhängt (hier machte sie eine Anleihe bei Jung). In der amerikanischen Kultur mag sich ein Mädchen zum Beispiel am sichersten fühlen, wenn es unterwürfig und willfährig ist und diese Rolle »ausagiert«; ein Junge mag sich am sichersten fühlen, wenn er lernt, brutal zu sein. Im Gegensatz zu dem Gesunden, der je nach der gegebenen Situation spontan von einer Verhaltensweise anderen Menschen gegenüber auf eine andere umschalten kann, wird ein Neurotiker von seinen zwanghaften Bedürfnissen getrieben.

Die Folge ist ein innerer Konflikt mit jenem gesünderen, spontaneren Teil des Individuums, den Horney das »reale Selbst« nannte. Eine sekundäre Folge ist, daß in der Phantasie desselben Individuums ein grandioses, idealisiertes Selbst entsteht. Ein Beispiel mag den Horneyschen Gedanken von dem zwanghaften Streben nach Anerkennung, das durch kulturellen Druck hervorgerufen wird, veranschaulichen: Ein Mensch von normaler Intelligenz mag unbewußt2 das Gefühl haben, er müsse außerordentlich geistreich sein, und sobald andere Menschen erkannt haben, wie geistreich er sei, werde er in der Welt sicher und geschützt sein. Dann schickt er sich an, Ruhm und Ehre 'zu erlangen, was von vornherein zum Scheitern verurteilt ist und dazu führt, daß ihm zu guter Letzt sein reales Selbst verhaßt ist und die Fähigkeiten, die er wirklich besitzt, brachliegen.

2) Zwar lehnte Horney Freuds Lehren über die spezifisdie Dynamik der Neurose ab, seinen Behauptungen über den psychischen Aufbau widersprach sie indes nicht.

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Laut Horney wählt der Neurotiker gewöhnlich Elemente seiner Kultur, die bewundert werden, und dann erhebt er sie zu persönlichen, inneren Geboten.

Horney fand zum Beispiel, daß viele Frauen zwanghaft glaubten, sie müßten vollkommene Ehefrauen und Mütter sein, denn so wollte es der Mythos der Gesellschaft. 

Wenn es ihnen nicht gelang, wurden sie von Selbstverachtung überwältigt und waren prädestiniert für schwerere Formen der Neurose. Wir seien alle Kinder unserer Kultur, schloß sie. Den Neurotiker »könnten wir ein Stiefkind unserer Kultur nennen.«3) 

Horney war die erste der europäischen Psychiater, die ausschließlich die streßreichen Umstände der amerikanischen Gesellschaft für die Ursache von Neurosen bei Amerikanern hielt, und man könnte sagen, daß sie den Gedanken entwickelte, jede Neurose sei ihrem Charakter nach ethnisch — das heißt, es gibt eine amerikanische Neurose, eine italienische Neurose, eine russische Neurose und so weiter. 

Sie war besonders entsetzt darüber, welcher Wert in der amerikanischen Gesellschaft dem Erfolg beigemessen wird, und stellte fest, einen wie hohen Tribut an Gefühlsleben er unter den Angehörigen dieser Kultur forderte. Erfolg, meinte sie, ist ein Begriff, der unweigerlich Mißerfolg mit einschließt, und unter ihren Patienten fand sie viele, die das Gefühl hatten, das Leben beruhe im Grunde auf Gewinnen oder Verlieren. 

Doch gerade wegen der Art des Wettbewerbs, sagte sie, müssen die Verlierer in der Mehrzahl sein und von Neid und Abscheu vor sich selbst geplagt werden. Und selbst die Gewinner im amerikanischen Leben fühlen sich unsicher, weil sie sich der Mischung von Bewunderung und Feindseligkeit bewußt sind, die die Verlierer ihnen entgegenbringen. Daher die riesigen, abgelegenen, von Mauern umgebenen Landsitze der Reichen: Je größer der Erfolg, um so größer das Bedürfnis, sich hinter Mauern abzusondern.

Horneys Gedanken fanden ihren Niederschlag in ihrem ersten und bekanntesten Buch, <Der neurotische Mensch unserer Zeit>. Darin schrieb sie, die amerikanische Kultur enthalte grundlegende Widersprüche, die sich im Leben jedes einzelnen widerspiegelten. 

3) <Der neurotische Mensch unserer Zeit>, Kindler, 1974 7, S. 181.

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Zum Beispiel wird uns beigebracht, den Erfolg zu vergöttern, doch gleichzeitig werden wir dazu angehalten, Demut und Selbstlosigkeit zu bewundern. Auch wird uns beigebracht, nach Beliebtheit und Liebe zu streben, während wir gleichzeitig in einem allgegenwärtigen Konkurrenzgeist aufwachsen und erzogen werden. Jede menschliche Beziehung — sogar zwischen Angehörigen derselben Familie — ist vergiftet durch diese tiefverwurzelte Rivalität, die bewirkt, daß echte Wärme und Sicherheit sehr schwer zu finden sind.

Ein weiterer Widerspruch, schrieb Horney, besteht zwischen der künstlichen Stimulierung von Wünschen durch die Werbung und der Unmöglichkeit für die meisten Menschen, sie sich zu erfüllen. Und letztlich stehe auch der allgemein verbreitete Mythos unserer Kultur, daß der einzelne sein eigenes Schicksal bestimmen könne, im Widerspruch zur Wirklichkeit, denn tatsächlich haben wir sehr wenig Einfluß auf unsere äußeren Lebensumstände. »Das Resultat für den einzelnen«, schrieb Horney, »ist ein Schwanken zwischen dem Gefühl grenzenloser Macht. .. und dem Gefühl völliger Hilflosigkeit.«4) 

Während Horneys frühe Schriften sich auf Neurosen als Störungen der sozialen Beziehungen konzentrierten, wichen ihre späteren Bücher von einer ausschließlich sozialen Ausrichtung ab und legten mehr Nachdruck auf die Störungsbedingungen innerhalb der Psyche. Sie war der Meinung, daß der Beginn von Neurosen eine Folge der Bemühungen des Individuums sei, der von der Isolierung und Hilflosigkeit des realen Selbst herrührenden Grundangst zu entfliehen. 

Diese Bemühungen führen zur Erschaffung eines idealisierten Ebenbildes; aber dieses Ebenbild wird um einen hohen Preis erschaffen, denn es wird mehr als nur eine falsche Vorstellung vom eigenen Wert und der Bedeutung des einzelnen — es wird vielmehr ein verzehrendes Ungeheuer, auf das alle Energien des Individuums gerichtet sind. Statt realistisch und wohlüberlegt zu leben, versucht der Neurotiker, sein idealisiertes Ich zu verwirklichen, ein irriges und unmögliches Ziel. Um die Vollkommenheit seines idealisierten Ebenbildes zu erreichen, muß er »nach weltlichem Ruhm streben« und neurotische Ansprüche an andere erheben. Aus diesem Streben heraus stellt sich bei ihm ein »neurotischer Stolz« ein, dann ein »Stolz-System«, in dem er sich auf sein idealisiertes Selbst festlegt.

4) a.a.O.

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Aber es gibt immer noch ein reales Selbst, verborgen unter den Masken, die es unbewußt angelegt hat. So ist ein weiterer Preis für ein idealisiertes Ebenbild der Haß auf das reale Selbst — und er ist unvermeidlich, weil das reale Selbst dem nach Vollkommenheit strebenden idealisierten Ebenbild so fern ist. Das tatsächliche Wesen des Neurotikers ist so unvollkommen, und seine nagenden Gedanken an diese Unvollkommenheit sind so anhaltend, daß dieses Wesen ihm abscheulich erscheint.

In ihren späteren Jahren verstand Horney unter Neurose nicht nur Störungen im Verhältnis zu anderen, sondern auch die Störungen im Verhältnis zu sich selbst, die die äußeren Störungen verursachten und die sie für die fundamentalen hielt. Das neurotische Stolz-System und sein Konflikt mit dem realen Selbst wurden der Kernpunkt ihrer Neurosenlehre.

Horneys Gedanken über die Therapie wandelten sich ungefähr ebenso wie ihre Vorstellungen von der Neurose. In ihrem frühen Werk zielte ihr Verfahren bei der Therapie in erster Linie darauf ab, den Patienten behilflich zu sein, gute Beziehungen zu anderen herzustellen, mit anderen Worten, die Therapie sollte stützend sein. Später, als ihre Theorien über die neurotische Dynamik sich festigten, legte sie mehr Nachdruck auf eine aufdeckende Art der Therapie. Die Schubkraft ihrer Methode wurde die Selbstverwirklichung, das heißt, der Patient wird dazu gebracht, das falsche Ebenbild zu erkennen, das er geschaffen hat, und ihm wird geholfen, dieses Ebenbild aufzugeben, um seine Energien freizusetzen für die volle Entwicklung seines realen Selbst.

In den 1940er Jahren erlangte Karen Horney große Popularität, hauptsächlich wohl deshalb, weil die verschiedenen Bücher, die sie schrieb, offenbar den gesunden Menschenverstand ansprachen. Sie hatte viele Anhänger unter den jüngeren, in Amerika geborenen Psychiatern, und 1955, drei Jahre nach ihrem Tod, wurde zur Erinnerung an sie von Freunden, ehemaligen Patienten und Psychotherapeuten, die daran interessiert waren, das Horneysche analytische Grundprinzip lebendig zu erhalten, die <Karen Horney Clinic> in New York eröffnet.

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Die Horneysche Analyse folgt im großen und ganzen der Freudschen Verfahrenstechnik mit freier Assoziation, Deutung und Durcharbeiten, und sie ist relativ direktiv und autoritativ. Nur das Ziel der Therapie ist insofern radikal verschieden, als das Grundprinzip ein anderes ist.

Das Ziel der Horneyschen Analyse besteht darin, die Selbstverwirklichung des Patienten zu fördern. In den ersten Stadien der Therapie ist die Hauptschwierigkeit das Widerstreben des Patienten, seinen falschen Stolz aufzugeben, denn es wird angenommen, daß sein Stolz-System ihm die einzige Befriedigung im Leben gewährt und ihm ermöglicht, sein falsches Selbst zu akzeptieren. Durch das freie Assoziieren des Patienten erfährt der Analytiker nicht nur die Merkmale und wichtigen Elemente des falschen Ebenbilds des Patienten, sondern auch, wie tief es sich dem realen Selbst des Patienten eingeprägt hat und wie stark es in seiner Psyche haftet.

Obwohl das falsche Stolz-System auf falschen Vorstellungen beruht, ist es für den Patienten doch erschreckend, es aufzugeben, denn damit beraubt er sich seiner einzigen Sicherheit und des Gefühls der Geborgenheit. Seine Abwehr zielt hauptsächlich darauf ab, seinen psychischen Status quo zu erhalten, obwohl doch die neurotische Störung, die aus seinem Stolz-System resultierte, der Grund ist, warum er die Therapie aufsuchte.

So findet in der Therapie ein heftiger Kampf statt, zumindest auf psychischer Ebene, und oft auch auf der körperlichen. Der Therapeut hat sich darauf festgelegt, dem Patienten eine neue Ausrichtung zu geben, indem er ihn zum Selbstverständnis führt. Der Patient hat sich — jedenfalls zuerst — rational darauf festgelegt, dieses Verständnis zu erlangen, aber gleichzeitig hat er sich psychisch darauf festgelegt, sich dem zu widersetzen. Deshalb sind seine Widerstände stark.

Die Horneysche Therapie besteht also zuerst darin, diese Widerstände abzubauen, indem sie aufgedeckt werden, damit der Patient sie erkennen kann, und sie ihm dann zu deuten. Aber der Patient muß sowohl verstandesmäßig als auch gefühlsmäßig verstehen, auf welche spezifische Weise sein Stolz-System sein Leben verformt; er muß lernen, sein Streben nach Ruhm und seinen Selbsthaß intuitiv zu begreifen.

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Es reicht nicht aus, daß er die allgemeinen Faktoren seiner Neurose verstandesmäßig begreift. Weil diese Faktoren — das Bedürfnis, ein falsches Ebenbild zu erschaffen und zu erhalten, und der sich daraus ergebende Haß auf sein reales Selbst — ihrem Ursprung nach unbewußt sind, muß sein verstandesmäßiges Wissen begleitet sein von dem gefühlsmäßigen Erkennen der Tatsache, daß sie in ihm vorhanden sind. Das emotionale Erkennen wird erreicht durch das wiederholte Durcharbeiten spezifischer Widerstände, bis erkannt wird, daß sie unwahre und nicht wünschenswerte Aspekte des Charakters des Patienten sind, sondern eben Widerstände. Sobald das erreicht ist, vermag der Patient seine Widerstände zu sublimieren und damit auch das Bedürfnis, sich selbst zu idealisieren und zu verfälschen.

Im Einklang mit diesem Ziel der Horneyschen Therapie steht das andere primäre Ziel, nämlich den Patienten nachzuerziehen, damit er sein reales Selbst akzeptiert. Die ersten Stadien der Therapie sind für den Patienten ein desillusionierender Prozeß. Nachdem sein Stolz-System und das idealisierte Ebenbild beseitigt sind, erkennt der Patient, daß er nicht so vollkommen ist, wie er glaubte. Diejenigen Eigenschaften seines realen Selbst, die er fürchtete und verachtete, sind alles, was ihm geblieben ist. Aber er braucht sich nicht allein mit ihnen auseinanderzusetzen. Auf den Prozeß des Abbaus folgt ein realistischerer Wiederaufbau der konstruktiven Kräfte seines realen Selbst unter der Anleitung des Analytikers. 

Während der Analytiker beim Niederreißen des falschen Ebenbilds des Patienten grob, unnachgiebig, sogar grausam sein mußte, wird er freundlich, aufmunternd und hilfreich sein, wenn er den Patienten anleitet, sein reales Selbst zu akzeptieren.

Die Horneysche Therapie dauert gewöhnlich nicht halb so lange wie eine orthodoxe Analyse und ist auch nicht so teuer. Dank einer Tradition, die Karen Horney selbst begründet hat und die fortgesetzt wird von der Karen Horney Clinic, an der die meisten Horneyschen Therapeuten ausgebildet werden und an der mehr als achtzig Psychiater arbeiten, richten sich die Honorare im wesentlichen nach der Zahlungsfähigkeit und dem Einkommen des Patienten.

Die Horneysche Therapie wird von den eher orthodoxen Angehörigen des psychoanalytischen Berufs seit langem als allzu vereinfacht und daher wirkungslos kritisiert. Indes scheinen die 23.000 Personen, die sich 1972 zur Behandlung in der Karen Horney Clinic anmeldeten, dafür zu sprechen, daß die breite Öffentlichkeit an ihre Wirksamkeit glaubt. Natürlich haben die Horneyschen Therapeuten nicht etwa emsiger als die Freudschen, Jungschen oder Reikschen objektives Beweismaterial zur Erhärtung ihrer Behauptungen über die Wirksamkeit ihrer Methode vorgelegt. Immerhin, 23.000 Personen...

Wenn nichts anderes, dann könnten wir daraus jedenfalls folgern, daß es einfach keine Möglichkeit gibt, die mitwirkenden Faktoren bei Erfolg oder Mißerfolg in der Psychotherapie zu objektivieren. Da die Macht der Suggestion so stark ist, mag es sein, daß man hinsichtlich der Wirksamkeit irgendeiner Therapie nur subjektive Schlußfolgerungen ziehen kann: Wenn Sie eine Horneysche Neurose haben, dann bietet die Horneysche Analyse größere Aussichten, sie zu lindern, als etwa die Freudsche oder Jungsche. 

Dabei bleibt nur eine Frage unbeantwortet: Wer beurteilt letztlich, was für eine Neurose Sie haben, wenn Sie überhaupt eine haben?

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