Arno KlönneDas MerkellandEine politische Besichtigung2013
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Teil 1 Das Fabrikat "Große Koalition" (GroKo)
https://www.telepolis.de/features/Das-Fabrikat-Grosse-Koalition-3363085.html 27.12.2013
Eines steht fest: Es muss regiert werden! Sonst gäbe es den Staat nicht mehr. Und auf irgendeine Weise muss eine Regierung in ihr Amt kommen. Da die Bundesrepublik laut Verfassung sich als Demokratie versteht, hat das Volk zu entscheiden, von wem es regiert werden will.
Zu diesem Zweck finden Wahlen statt, bei denen die Bürgerinnen und Bürger mit gleichem Gewicht ihrer Stimme tätig werden sollen. Die Teilnahme ist hierzulande freiwillig. Es geht repräsentativ zu, das heißt auch: Das Volk wählt nicht eine Regierung, sondern VertreterInnen, die dann erst einmal eine Kanzlerin oder einen Kanzler ins Amt bringen, und diese Person beruft Ministerinnen und Minister, außerdem bestimmt sie - so will es das Grundgesetz - die "Richtlinien" der Politik.
Die Regierung kann allerdings nicht einfach machen, was sie will, bei Gesetzen ist das Parlament zuständig, die Vertretung des Volkes hat diese zu beschließen. Als vermittelnde Organe wirken bei alledem die Parteien. Geht irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu, greifen Verfassungsrichter ein.
So das bundesrepublikanische Grundmuster von Demokratie.
Dieses Verfahren scheint auf den ersten Blick übersichtlich zu sein, auch unproblematisch. Und es hat bisher immer funktioniert, auch jetzt wieder, bei der Bildung der regierenden Großen Koalition.
Im internationalen Vergleich steht die Bundesrepublik als ein Staat da, dessen Regierungsweise ungewöhnlich stabil ist. Allerdings liegt darin noch keine Garantie für die zukünftige Entwicklung.
Die Stabilität des hiesigen Politiksystems hat eine historische Voraussetzung: Wirtschaftliche Prosperität, nur gelegentlich ein wenig gestört, und daraus resultierend ein nur geringes Maß an sozialen Turbulenzen.
Aber die Geschichte geht weiter, und nicht einmal Angela Merkel, der Ängstlichkeit nicht nachzusagen ist, würde die Hand dafür ins Feuer legen, dass die Bundesrepublik auf Dauer ihren Vorzugsplatz im Euroverbund und im Weltmarkt behält. Jetzt schon breiten sich auch in der deutschen Gesellschaft prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse aus, der Tendenz nach steigend. Das hat auch immer größere Lücken in der Altersversorgung der nachwachsenden Generation zur Folge. Für immer mehr Menschen in der Bundesrepublik sind die materiellen Schönwetterzeiten vorüber. Selbstverständlich hat dieser Trend politische Effekte.
Damit kommen das Wahl- und Regierungssystem sowie der Parteienbetrieb in den Blick.
Sind sie eingestellt auf problemlösendes Verhalten unter bedrängenden Bedingungen in der politischen Umwelt?
Wahlteilnahme als Privileg
Die Bertelsmann-Stiftung - sonst nicht gerade durch Zweifel an deutschen Politikverhältnissen geplagt - hat jüngst ein "besorgniserregendes" Ergebnis ihrer empirischen Forschungen gemeldet, in Auswertung der jüngsten Bundestagswahl: Das Prekariat zieht sich aus dem Wahlakt zurück. Die Wahlbeteiligung polarisiert sich sozial; in Armutsvierteln der Städte liegt sie sehr niedrig, in Quartieren der Wohlsituierten sehr hoch. Der Grund dafür ist nicht, dass den sogenannten "Sozialschwachen" die Fähigkeit fehlen würde, einen Stimmzettel auszufüllen. Sie setzen vielmehr in die Parteien, in das Parlament und in die Regierung nicht das Vertrauen, diese wollten oder könnten an der Spaltung der deutschen Gesellschaft etwas ändern.
Wir befinden uns also - was die politische Praxis angeht - auf dem Weg zurück in eine "Besitz-Demokratie", in der politische Partizipation von der Klassenzugehörigkeit abhängig ist.
In preußischen Zeiten war dies einst per Wahlrecht geregelt, Stimmen der vielen Armen hatten kein Gewicht gegenüber denen der wenigen Reichen. Diese Methode, das niedere Volk politisch kurz zu halten, ist heutzutage selbstverständlich nicht mehr brauchbar; Herrschaft von Eliten muss nicht mehr durch äußeren Zwang hergestellt werden, sie bildet sich, wie die Wissenschaft es so nett ausdrückt, "systemisch" heraus.
Im Wahlkampf für den jetzt tätigen Bundestag schien es fast so, als käme eine gegenläufige Dynamik in Gang. Die SPD und auch die Grünen stellten die "Soziale Frage" in den Mittelpunkt ihrer programmatischen Auftritte, "Umverteilung von oben nach unten" wurde proklamiert; auch die Steuerpolitik, so hieß es, sollte auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Diese Botschaften waren adressiert an bisherige "Wahlverweigerer". Die allerdings ließen sich dadurch kaum zur Stimmabgabe animieren; offenbar blieben sie skeptisch gegenüber Versprechungen von Parteien, die im bestehenden Politiksystem etabliert sind oder - wie die Linkspartei - in diesem "ankommen" möchten.
Hinzu kam, dass Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat den versprochenen gesellschaftspolitischen "Kurswechsel" nicht glaubwürdig verkörpern konnte. In der Rolle des "Anwalts der Armen" oder der von Armut Bedrohten war er eine Fehlbesetzung. Seine Kandidatur entstammte nicht einer "sozialen Bewegung", auf die sich Sozialdemokraten und Grüne eingelassen hätten, sondern dem personaltaktischen Entschluss einer Parteiführung.
Die "Beteiligungspartei" - eine Simulation
Nach der Bundestagswahl war im Parteiengeschäft die "Wende" hin zur "solidarischen Gesellschaft", mitsamt der Hinwendung zum politikverdrossenen Teil des Volkes, rasch wieder vergessen. Nun ging es um Beteiligung an der Regierung, sofort oder künftig, um die dafür geeignete "Aufstellung" in der Parteien-Familie. Wahlprogramme werden herrschender Gewohnheit nach am Tag nach dem Urnengang ungeniert entsorgt, als Maßstäbe für die Verabredung von Regierungskoalitionen sind sie nicht in Gebrauch.
Die Spitzenkräfte der SPD entschlossen sich diesmal ohne Zögern zur Koalition mit der CDU/CSU, die Grünen begaben sich in den Wartestand für ein Regierungsbündnis mit den Unionsparteien; diese beiden strategischen Orientierungen kamen zustande ohne dass eine Debatte im "Wahlvolk" vorweg gegangen wäre. Der "Souverän" war nach der Wahl wieder von seinen Mühen freigestellt. Allerdings wollte die Führung der SPD ihre Basis in die Regierung "mitnehmen", und zu diesem Zweck veranstaltete sie einen Mitgliederentscheid - über den bereits ausgehandelten Koalitionsvertrag.
Das war ein nicht ganz risikofreier, aber doch sehr erfolgversprechender Coup. Zu prüfen waren nicht die Details des Vertrags mit seinen 185 Seiten, tatsächlich zu entscheiden hatten die Mitglieder, ob sie ihrem Vorstand die Gefolgschaft verweigern wollten; der hatte in diesem Fall seinen Rücktritt und damit ein Desaster der Partei insgesamt angedroht. Wie kalkuliert, kam es zum mehrheitlichen Ja, und die SPD kann sich nun preisen als "neues Modell der Parteiendemokratie", als "Beteiligungspartei".
Hat die Sozialdemokratie mit ihrer innerparteilichen Abstimmung "Demokratiegeschichte gemacht", wie ihr Vorsitzender, jetzt Vizekanzler, jubelnd behauptete?
Der Mitgliederentscheid bedeutet keineswegs einen Schritt hin zur plebiszitären Auffrischung eines müde gewordenen repräsentativen Politiksystems. Eine innerparteiliche Abstimmung in dieser Machart simuliert vielmehr Entscheidung "unten"; das SPD-Verfahren enthielt keine regierungs- oder oppositionspolitischen Alternativen, zwischen denen die Stimmabgeber hätten wählen können.
Ruhe als Bürger- und Abgeordnetenpflicht
Die Freude bei SPD-Mitgliedern darüber, dass sie befragt wurden, ist kurzfristig. Wie wenig auch dieser Partei am Plebiszit als einer Reform der politischen Willensbildung im Bund gelegen ist, zeigt sich im Koalitionsvertrag: Hier ist die Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheid nicht einmal erwähnt. Aber auch die parlamentarische Politikform gedenkt die Koalition nicht zu beleben; ausdrücklich vereinbart ist im Vertrag, dass im Bundestag strikte Fraktionsdisziplin herrschen soll und ein "Wechselverhalten" der Koalitionsfraktionen bei Abstimmungen wird ausgeschlossen. Offenbar wünscht sich die neue Regierung stetiges Wohlverhalten im Bundestag, eine reichliche Mehrheit hat sie ja, die Opposition ist schwach, und die Grünen werden nicht mutwillig sein, sie möchten bei nächster Gelegenheit mit der regierenden Union partnern.
Dieses regierende Begehren nach Ruhe und Ordnung im Parlamentarismus steht in einem merkwürdigen Kontrast zu den inzwischen üblichen Beteuerungen aller Parteiprominenzen, mehr Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen, von Mandatsträgern bis hin zum gemeinen Staatsbürger, sei höchst willkommen, "Mitmachdemokratie" werde nun angestrebt.
Unter der Regie der Großen Koalition werden allerlei Formen politischer "Beteiligung" sicherlich pfleglich behandelt werden, solange sie den Regierungsbetrieb nicht stören. Sie haben, wenn sie sich der Bestimmung von "Richtlinien der Politik" fernhalten, eine Ventilfunktion. Wer aus dem Staatsvolk mitreden will und die nötige Zeit dazu hat, kann Dampf ablassen. Eingehegte Plebiszite wie der SPD-Mitgliederbefragung sind ungefährlich; die Entscheidung über die Prozedur und über die Situation, in der sie arrangiert werden, liegt in der Hand der jeweiligen Führungsgruppen. Politische Herrschaft ist wesentlich Verfügungsgewalt über Verfahren.
Eine Große Koalition mit kleiner Legitimation
Die jetzt amtierende Regierung beruft sich auf den politischen Willen einer ganz großen Mehrheit des Wahlvolkes. Bei näherem Hinsehen sieht es damit gar nicht so üppig aus. Die Wahlverweigerer fallen legimitatorisch aus. Die Anhänger der Unionsparteien haben vermutlich zu einem großen Teil eine Alleinregierung der CDU/CSU, manche auch eine Fortsetzung der Koalition mit der FDP im Sinne gehabt. Die grünen Wähler kommen als Liebhaber einer Großen Koalition nicht in Betracht. Die SPD trat im Wahlkampf mit der Ansage auf, sie werde die Unionskanzlerin zum Abschied aus ihrem Amt bringen. Der Anteil von Wählerinnen und Wählern, die sich für eine Partei entschieden, die nicht ins Parlament kam, was besonders hoch.
In den demoskopischen Umfragen nach der Wahl allerdings schien die Zustimmung zur Großen Koalition nicht gering. Aber da spielte das Gefühl mit, nun sei keine andere Lösung machbar, eine Regierung müsse ja schließlich gebildet werden, Neuwahlen seien eine Quälerei.
Dem Zutrauen des Wahlvolkes in die gestaltende Kraft der Stimmabgabe dient eine solche Form der Installation einer Regierung nicht. Sie fördert, so ist zu vermuten, Verdruss oder auch Apathie - in ihrer Praxis erscheint parlamentarische Demokratie als ein System, in dem Politprofis der etablierten Parteien vor der Wahl Schaukämpfe aufführen, um sich danach in bester Kumpanei zusammen zu tun und die Regierungsposten unter sich zu verteilen.
"Die da oben machen sowieso was sie wollen" ist ein Spruch, der Realitätsbezug hat, in ihm steckt Resignation und doch auch der Wunsch, es möge anders zugehen, insofern ist er in seinem Motiv der Demokratie nicht feindlich. Freilich hilft er dieser nicht auf die Beine. Schon kommen Vorschläge auf, eine Wahlpflicht auch in der Bundesrepublik einzuführen, damit die Legitimationsbasis von Volksvertretung und Regierung nicht zu schwach werde. "Beteiligung" an der Politik als Zwang? Das würde die Demokratie nicht revitalisieren.
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Teil 2 Die Parteien - nicht oppositionsfähig 28.12.2013
In einem demokratischen Staat, so belehren uns Politiker und Politikwissenschaftler, müsse jede Partei mit jeder anderen koalitionsfähig sein. Zumindest jede demokratische. Ein solcher Zustand ist in der Bundesrepublik weitgehend erreicht. CDU, CSU, SPD und Grüne haben allesamt keine Schwierigkeiten mehr damit, Regierungsbündnisse untereinander zu schließen. Die FDP spielt dabei mit, auch auf der Ebene der Bundespolitik, falls sie diese wieder betreten darf. Die "Alternative für Deutschland" würde sich nicht anders verhalten. Die Linkspartei ist aus der Sicht von SPD und Grünen demnächst wahrscheinlich ebenfalls auch für bundespolitische Koalitionen geeignet, sie muss nur noch von ihrer Antipathie gegen die NATO abkommen.
Diese allgemeine Bereitschaft zu einem gemeinsamen Regieren scheint erst einmal erfreulich zu sein - keine Verfeindung zwischen den parteipolitischen Akteuren, keine kalten Kriege mehr in der deutschen Parteienlandschaft, die "Zerrissenheit" im Parteiensystem, der man den Untergang der Weimarer Republik zuzuschreiben pflegt, kehrt nicht wieder.
Polemik zwischen den Parteien wird nur zu Wahlzwecken in Szene gesetzt, das Wahlvolk weiß schon, ernst ist sie nicht gemeint; danach fallen sich die Konkurrenten ganz sportlich wieder in die Arme. Und darin unterscheidet sich die Bundesrepublik angenehm von manchem anderen Staat, in dem Parteien nachhaltig gegeneinander wüten, selbst in den USA kommt so etwas vor... Der Schein trügt, in diesem Bild von Harmonie stecken Tücken.
Der Grundsatz vom "Mist" in der Politik
Ein ehemaliger Vorsitzender der SPD, bekannt für seine volkstümliche Sprache, hat einen Grundsatz formuliert, der sich in den Köpfen von Politprofis festgesetzt hat: Opposition sei "Mist".
Die Aussage ist abwertend gemeint, worin ein sprachlicher Irrtum liegt, denn das erwähnte Naturprodukt hat doch produktive Eigenschaften. Übersetzen wir also: Gemeint ist, Einflussnahme auf die gesellschaftspolitische Entwicklung, "Gestaltung" durch politisches Handeln sei nur möglich aus einer regierenden oder mitregierenden Funktion heraus. Eine Partei oder parlamentarische Fraktion, die sich längerfristig auf den Status als Opposition einstelle, versetze sich selbst in politische Ohnmacht.
Aus dem Munde eines Sozialdemokraten klingt ein solcher Grundsatz seltsam; er lässt sich nicht in Übereinstimmung bringen mit der Geschichte dieser Partei. Ihre historische Kraft erreichte sie als fundamentale Opposition in wilhelminischen Zeiten. Soziale Zugeständnisse an die Unterschichten machte der deutsche Staat damals, weil er einer oppositionellen Sozialdemokratie den Wind aus den Segeln nehmen wollte, was nicht gelang.
Langfristigen Schaden fügte die Partei sich selbst und der Arbeiterbewegung insgesamt zu, als sie 1914 gegen die Kriegspolitik nicht opponierte. Nach dem Untergang des "Dritten Reiches", in der Adenauerära der Altbundesrepublik, erzeugte die SPD aus der langjährigen Opposition heraus erhebliche Effekte auf die soziale Ausgestaltung des westdeutschen Staates.
Gegen diese Hinweise auf die Wirkung von Opposition lässt sich der Einwand machen, in jenen historischen Konstellationen seien strukturelle gesellschaftliche Probleme und Konflikte bestimmend gewesen. Bestehen solche für die Politik heute nicht? Oder wollen die Politiker sie nur nicht zur Kenntnis nehmen?
Die TINA-Legende
"Da gibt es keine Alternative" - pflegt die Bundeskanzlerin zu sagen, indem sie politische Weichen stellt. Für diese Maxime hat sie bei den Politikern viel praktische Beihilfe gefunden.
Wenn in der Politik der "Sachzwang" herrscht, hat in der Tat parteipolitische und parlamentarische Opposition keinen tieferen Sinn, dann kommt es vielmehr darauf an, regierend die unvermeidlichen und vorgegebenen Notwendigkeiten möglichst geschickt zu exekutieren. Eine opponierende Partei hat unter solchen Umständen lediglich die Rolle, Ersatzpersonal für Regierungsfunktionen bereitzustellen, Konzepte für eine bessere Umsetzung der "Sachzwänge" im Detail anzubieten.
Am aktuellen Beispiel: Warum die künstlichen Erregungen im Wahlkampf zum Bundestag 2013? Das neue großkoalitionäre Kabinett hat sich doch ohne Streit zusammenstellen lassen, mit den Grünen als Juniorpartner der Union wäre es nicht anders gewesen. Ein schlichtes Gemüt könnte annehmen, man hätte sich die ganze Wahl ersparen können, wenn die Freidemokraten freiwillig in Urlaub gegangen und die Sozialdemokraten mit den Grünen handelseinig geworden wären: Wir wechseln uns als Partner für die CDU/CSU ab, so kommen wir beide zum Zuge.
Nun hat aber Angela Merkel, als sie die Große Koalition vorstellte, von großen Aufgaben gesprochen, die zu bewältigen seien. Aber wie? Offenbar soll dabei weiterhin gelten: "There is no alternative", die politischen Linien sind ja schon in den vorhergehenden Regierungszeiten eingezeichnet Worden. Das betrifft die Europapolitik, den untertänigen Umgang mit dem internationalen Finanz-"Markt" und die Pflege der unternehmerischen Interessen am "Standort Deutschland" mittels Sozialdumping. Bei diesen Themen besteht seit dem Kabinett Gerhard Schröder eine informelle Große Koalition, ebenso in Sachen deutscher weltweiter Militärpolitik.
Vor der Wahl bereits war auch klar, dass weder die Unionsparteien noch die SPD den Widerstand gegen die angelsächsische Leidenschaft zum Zugriff auf fremde Daten versuchen wollen, und die Neigung zum "Sicherheitsstaat" ist allen Partnern der Großen Koalition zu eigen. Die Grünen sind bei alledem keine entschiedenen Gegner; die Linkspartei weiß noch nicht so recht, inwieweit sie wirklich opponieren will.
Insofern trifft zu: Da gibt es keine Alternative. Aber diese Feststellung gilt für die Vorstellungswelt der deutschen Parteien, damit noch nicht für den realen Raum politischer Entscheidungsmöglichkeiten.
Wählen ohne Wahl?
Wenn wir vorsorglich einmal annehmen, dass auch die Bundesrepublik zunehmend unter Problemdruck gerät, dann wird die Abwesenheit von einigermaßen weitreichenden Alternativkonzepten im parteipolitischen Diskurs zum Demokratieverlust. Das Recht zur politischen Wahl hat seine Bedeutung darin, dass Bürgerinnen und Bürger sich mit unterschiedlichen und gegensätzlichen Entwürfen der gesellschaftlichen Zukunft auseinandersetzen und zwischen diesen entscheiden können. Die Chance, die einen oder die anderen Bewerber für ein in den Grundlinien identisches Regierungshandeln in Stellung zu bringen, bietet dafür keine Kompensation.
Wählen ohne inhaltliche Alternativen, nur als Teilnahme an der Vorbereitung von Regierungs-"Mannschaften", ist interessant für diejenigen, die einen bisherigen Kurs der Politik fortsetzen, die bestehenden Machtverhältnisse festigen wollen. Wer dies nicht beabsichtigt, kann seine Stimme auch bei sich behalten. Es sei denn, er sieht im Vorgang der Wahl und der Regierungsbildung wenigstens Unterhaltungswert - ohne politische Substanz.
Teil 3 Die "Vierte Gewalt" - konformistisch 29.12.2013
Als die Große Koalition sich endlich präsentieren konnte, meldete die größte deutsche Tageszeitung sich mit ihrem Anspruch zu Wort: Sie werde nun die Rolle der Opposition übernehmen, als "APO", also außerhalb des Parlaments meinungsBILDend und kontrollierend.
Nach Lage der Dinge im Bundestag gibt es dafür Bedarf. Die regierende Koalition hat eine überreichliche Mehrheit der Abgeordneten hinter sich; Linkspartei und Grüne sind auch bei einem gemeinsamen Vorgehen zu schwach, um der Regierung Steine in den Weg zu legen. Ihre Mandatszahl reicht nicht einmal, um das Bundesverfassungsgericht zu einem Kontrollverfahren bei dem Verdacht zu veranlassen, dass die Große Koalition bei einer politischen Maßnahme mit dem Grundgesetz in Konflikt gekommen sei. Also, das klingt plausibel, muss nun die "Vierte Gewalt", müssen die Medien so richtig aktiv werden.
Medienmacht im Politikbetrieb
Medienhäuser, Presse und TV-Anbieter in der Bundesrepublik haben ihre Fähigkeit, auf das Geschehen in der Politik Einfluss zu nehmen, ohne Zweifel gesteigert, politische Öffentlichkeit ist mehr noch als früher "amerikanisiert".
Zugleich ist die Konzentration von Verfügung über diese Kommunikationsmittel weiter voran geschritten; durch die Ausbreitung eigenständiger und alternativer Angebote im Netz wird dies nicht kompensiert.
Vor allem Personalia in der Politik sind das Thema der großen Medien. Hier lassen sich direkte Wirkungen laufend beobachten; die Demontage des vormaligen Bundespräsidenten ist ein Beispiel dafür, und sein jetziger Nachfolger wäre ohne das tätige Wohlwollen derselben Meinungsmacher nicht zu seinem Amt gekommen. Häufig wird hier das Liftverfahren eingesetzt: Ein Politiker oder eine Politikerin wird zunächst in eine obere Etage öffentlicher Anerkennung hochbefördert, sodann wieder nach unten transportiert, gern bis in den Keller - solche Prestigemobilitäten haben ihren Unterhaltungswert.
Wer in der Politik prominent ist und dies bleiben oder Prominenz erwerben will, muss die Aufmerksamkeitsökonomie beherrschen, Aussagen und Auftritte passgenau auf mediale Verwertung ausrichten. Das erzeugt Konformitätsdruck im Hinblick auf die politischen Stimmungen der Medieninhaber oder der oberen Redakteure. Wer in der Politik will es sich schon, wenn er nicht selbstdestruktiv veranlagt ist, mit den leitenden Herren bei BILD, SPIEGEL und Co. oder auch der F.A.Z. verderben?
Medienkonformes Verhalten ist anstrengend und es kostet Zeit, gelegentlich fällt verständlicherweise selbst der Politikprofi dabei aus der Rolle, was neuen Aufwand bedeutet, um den Schaden wettzumachen; aber auch ein Dementi bringt Berichterstattung.
Bemerkenswerterweise fällt die Bundeskanzlerin aus diesem Muster medialer Zuwendung wie auch Hinwendung zu den Medien heraus und es dient offenbar ihrem Ansehen, dass dies so ist. Die Bundessrepublik verfügt damit über eine singuläre Respektsperson. Seinen Nutzen hat das übrigens auch, um Politik in Europa mit deutscher Autorität zu betreiben.
Presse und TV: Bürgerliche Hegemonie
Einige Tageszeitungen hierzulande, mit konservativer Herkunft, bezeichnen sich im Untertitel als "bürgerlich". Das soll eine Unterscheidung bedeuten, ist aber überflüssig; es gibt gar kein "unbürgerliches" Organ mehr unter den Blättern mit höherer Auflage oder in regionaler Monopolstellung. Die beiden linken Tageszeitungen "Neues Deutschland" und "junge Welt" sind im Zeitungsmarkt Randerscheinungen; bei der "taz" muss man immer mehr darüber grübeln, was an ihr "links" sein mag. Die etablierten Wochenzeitungen oder -Magazine sind fest in bürgerlicher Hand, der "Freitag" hat nur geringe Verbreitung.
Ganz überwiegend wird in der deutschen Presse die "Markt"-Wirtschaft als selbstverständlich gültige Ordnung angesehen, der Konflikt sozialer Klassen gilt als nicht existent. Eine Gruppierung wie die Linkspartei wird als politisch delinquent betrachtet, einer umerziehenden Bewährungshilfe bedürftig. Besonders beliebt sind in der Publizistik ehemalige Linksintellektuelle, die belehrend auf eigene Jugendsünden verweisen
Bei den etablierten öffentlichen und privaten Radio- und Fernsehsendern ist das nicht anders. Dort werden gelegentlich Kapitalismuskritiker als Außenseiter präsentiert, um den Gebildeten im Publikum Abwechslung zu bieten. So macht das auch eine Zeitung wie die F.A.Z. in ihrem Feuilleton. Im massenmedialen Angebot für NormalverbraucherInnen in Deutschland sind linke Positionen, die über mittleres sozialdemokratisches Maß heutigen Zuschnitts hinausgehen, nicht zu finden.
Meinungsproduktion: Thinktanks und Wissenschaftsbetrieb
Bürgerlich geprägt sind in der Bundesrepublik auch jene Stiftungen, die im Gewande der Gemeinnützigkeit politikberatend tätig sind und zugleich ihre Expertisen in die veröffentlichte Meinung einspeisen, in enger Verbindung zu Journalistik, Volksbildung und Schule. Die gleiche Ausrichtung ist dominant im Wissenschaftsbetrieb, soweit dieser sich gesellschaftlicher Themen annimmt, nicht zuletzt im "Leitfach" Ökonomie.
Professoren, denen man so etwas wie "Marxismus" nachsagen kann, sind an deutschen Hochschulen nur sehr selten zu finden, anders als in Frankreich, Britannien und den USA. Es ist nicht so, als gäbe es in der Bundesrepublik keine akademische Linke, aber sie ist ein Schattengewächs. Auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat kaum öffentliches Echo. Dasselbe ist zu sagen über theoriehaltige linke Periodika, in ihnen blühen Gedanken im Verborgenen, vornehmlich gerichtet auf innerlinke Differenzen, oft subtilster Ausformung.
Fazit: Der deutsche wissenschaftliche oder auf Wissenschaft sich berufende Diskurs, ein wichtiger Teil der "Vierten Gewalt", ist ganz überwiegend "markt"-konform; von ihm geht keine Gefährdung des Realkapitalismus aus.
Zum Schluss noch einmal zurück zu der "APO", wie sie die BILD-Zeitung der Großen Koalition androht: Da ist öffentlichkeitswirksame Kritik beabsichtigt immer dann, wenn die Regierung sich nicht eifrig genug Kapitalinteressen fügt. Selbstverständlich mit der Ansage, BILD setze sich für die "fleißigen kleinen Leute" oder für die nachwachsende Generation ein. Die Leserschaft braucht ein sozialdemagogisches Zuckerstück.
Teil 4 Kommt das Parteienkartell unter Druck? 01.01.2014
Die politische Szene in der Bundesrepublik bietet gegenwärtig ein Bild stabiler Ordnung: CDU, CSU, SPD und Grüne haben den Parteienmarkt in der Hand und agieren kartellartig, im Wechsel der Koalitionen und der Übernahme von oder der Anwartschaft auf Regierungsgeschäfte. Die Linkspartei befindet sich, was die Teilnahme an diesem Kartell angeht, in einer Abwartestellung. Die FDP ist auch auf der Ebene des Bundes als Partnerin akzeptiert, falls sie nach der nächsten Wahl dort wieder vertreten ist. Die AfD wird sich, so wie es gegenwärtig aussieht, dem Kartell nicht widersetzen - wenn sie in die Parlamente kommt; "systemsprengende" Absichten hat sie nicht.
In der veröffentlichen Meinung geben Medien den Ton an, die das Parteienkartell unterstützen - im Detail mahnend und fordernd dort, wo sie das Gefühl haben, unternehmerische Interessen seien von der Regierung nicht konsequent genug umgesetzt, der "Standort Deutschland" zu wenig gepflegt. Aber der ist ja oberstes Prinzip auch der Tätigkeit des Parteienkartells.
Rechtspopulismus - in der Bundesrepublik peripher
Im europäischen Vergleich fällt an der Bundesrepublik auf, dass hier rechtspopulistische Bestrebungen bisher keine erfolgreiche parteipolitische Form gefunden haben. Die NPD kommt dafür nicht mehr in Betracht; sie hat sich zu sehr in die Nähe der neofaschistischen Subkultur begeben. Blätter wie die "Junge Freiheit" oder die "Preußische Allgemeine", als ideologische Anbieter haben sie am Rande des Marktes ihre Bedeutung, suchen noch die Partei, der sie dienen könnten. In der CDU/CSU sind "Stahlhelmer" kaum noch in höheren Funktionen, die Partei tritt moderat auf.
In hessischen Landen, vormals ein Terrain schwarz-weiß-roter Unionisten, haben CDU und Grüne eine "gemeinsame Wertewelt" entdeckt. Die Junge Union und die CDU-Mittelstandspolitiker geben sich gern auch mal radikal - aber nicht mit deutschnationalen, sondern mit wirtschaftsliberalistischen Aussagen. Zwei Ressentiments, die üblicherweise rechtspopulistisch aufgegriffen werden, sind auch in der Bundesrepublik weit verbreitet: Erstens Angst und Aggression angesichts der Zuwanderung; zweitens das Gefühl, durch die Europapolitik würden die materiellen Bedürfnisse der eigenen Nation auf gefährliche Weise vernachlässigt oder beiseite gedrängt. Das verbindet sich mit Abneigung gegen die Brüsseler Bürokratie.
Bei beiden Themen ist unter den derzeitigen Bedingungen die Angriffslust in Deutschland moderiert - die Bundesrepublik steht als ein Staat da, der im Raum der EU die Führungsposition einnimmt, also in der Lage ist, im europäischen Migrations- wie auch Wirtschaftsregime dafür zu sorgen, dass seine politische Wünsche Durchschlagskraft haben. Rechtspopulismus wird so in Deutschland kanalisiert, hin zu Aufforderungen an die Adresse der Regierungspolitik, sie solle ihre Macht in Europa endlich ohne Hemmungen einsetzen, Frontex noch verschärfen, verarmte Länder aus der EU verbannen oder ihnen "den Geldhahn zudrehen" etc.
Dieser die Neigung zum Rechtspopulismus dämpfende Effekt wird an Wirkung verlieren, wenn die sozialen Probleme auch in der deutschen Gesellschaft sich verschärfen.
Druck von links?
Bekennende, besonders eifrige Neoliberale werfen dem Parteienkartell vor, es sei in seinen Politikvorstellungen inzwischen durchgängig "sozialdemokratisiert" und ständig damit beschäftigt, "soziale Wohltaten" zu verrichten zum Schaden der wirtschaftlichen Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Diese Argumentation lässt einen wichtigen Sachverhalt außen vor: Die CDU/CSU war schon in ihrer Geschichte darum bemüht, durch sozialstaatliche Maßnahmen die Loyalität der Bevölkerung für die kapitalistische Ökonomie zu sichern. Der Ausbau des gesetzlichen Rentensystems zum Beispiel war ein Anliegen Konrad Adenauers.
Auf der anderen Seite hat sich die SPD wirtschaftspolitisch der CDU/CSU angenähert, diese mit der Agenda 2010 sogar an Eifer bei der Durchsetzung von Kapitalinteressen übertroffen.
"Sozialdemokratisch" bedeutet längst nicht mehr "sozialistisch", von einem "Linksruck" in der etablierten deutschen Parteienwelt kann gar keine Rede sein.
Auch der Auftritt der PDS, dann der WASG und - diese beiden zusammenschließend - der Partei Die Linke hat das parteipolitische Spektrum nicht nach links hin bewegt.
Sozialradikale Ideen sind durch die DDR-Geschichte nachhaltig in Misskredit, und die Linkspartei ist in der Tat "sozialdemokratisiert"; sie wünscht sich eine Juniorpartnerschaft mit der kaum noch kapitalismuskritischen SPD.
Den Weg einer sozialen Bewegung zu gehen und aus dieser heraus eine neue Form parteipolitischen Handelns zu entwickeln, hat die Linkspartei erst gar nicht versucht; sie ist in ihrer Methodik mit dem herrschenden Parteiensystem kompatibel. Woher soll dann jetzt im Raum der Parteien ein "Druck von links" kommen?
Die Gewerkschaften - kein politischer Störfaktor
Die im DGB gebündelten großen Arbeitnehmerorganisationen haben mehr oder weniger direkt ihr Jawort zur Großen Koalition gegeben. Tarifpolitisch und in betrieblichen Konflikten haben sie nach wie vor ihre Bedeutung; ihr Einfluss auf den gesellschaftspolitischen Diskurs und auf Entscheidungen in der staatlichen Sozial- und Wirtschaftspolitik ist seit Jahren stetig rückläufig. In den Massenmedien sind sie kaum noch präsent.
Eine "Gegenmacht" zum herrschenden Parteienkartell oder zur Politik der Regierung sind sie nicht, haben auch nicht die Ambition, dies zu werden. Zur Zeit sind sie bemüht, die "Sozialpartnerschaft" mit den Arbeitgeberverbänden zu festigen und möglichst noch mehr zu institutionalisieren. Dieser Kurs der Gewerkschaften hat seinen Grund darin, dass vor allem IG Metall und IG Bergbau-Chemie-Energie mit Unternehmen und Regierung "standortpolitisch" übereinstimmen: Was profitabel ist für das deutsche Industriekapital, insbesondere das exportierende, gilt ihnen als vollkommen vorteilhaft auch für die Arbeitnehmerschaft.
Diese Sichtweise hat ihren Bezug zur Interessenlage gerade von Stammbelegschaften in Großbetrieben, allerdings fasst sie lediglich die gegenwärtige Situation ins Auge. Generell ist gewerkschaftlicher "Standortnationalismus" nichts Neues, die viel beschworene internationale Solidarität der Arbeiterbewegung lässt sich leichter deklarieren als in Praxis umsetzen.
Ob die DGB-Gewerkschaften ihr informelles Bündnis mit der Großen Koalition in den nächsten Jahren durchhalten können, bleibt abzuwarten. Des freundlichen Umgangs der Kanzlerin mit ihnen können sich die gewerkschaftlichen Repräsentanten sicher sein, aber wichtiger für die Strategie der Gewerkschaften ist die Entwicklung des Lohnniveaus bei ihrer vorwiegenden Klientel, den Beschäftigten im sogenannten Normalarbeitsverhältnis. Dass dieses tatsächlich zur Normalität im Arbeitsmarkt wird, damit ist keineswegs zu rechnen.
Sozialer Protest könnte seinen Boden haben beim weiter anwachsenden Prekariat; derzeit hält er sich aber in der Bundesrepublik sehr in Grenzen. Es mangelt an Strukturen dafür und an Adressen in der Politik, bei denen etwas auszurichten wäre. Nicht zu erwarten ist, dass die gewerkschaftlichen Vorstände eine oppositionelle, außerparlamentarische Bewegung anfeuern würden. Sie wollen den Regierenden keinen Ärger machen, die Gesellschaftspolitik dem Staat und den Parteien überlassen.
Angesichts dessen ist zu resümieren: Die Große Koalition und insgesamt das Parteienkartell befinden sich machtpolitisch in einer ziemlich komfortablen Lage. Vorerst jedenfalls.
Teil 5 "Große Aufgaben" für die GroKo 2.1.2014
Teil 5 "Große Aufgaben" für die GroKo 2.1.2014
Was will die großkoalitionäre Bundesregierung leisten? Welchen Problemen hat sie sich zu stellen? Welche gesellschaftlichen Gruppen erhoffen was von ihr? "Große Aufgaben" seien nun zu lösen, kündigte die Kanzlerin an.
Der Koalitionsvertrag gibt höchst umfangreich, aber durchweg sehr ungenau Auskunft über Absichten für die Regierungspolitik, zumeist ohne Konkretion. Wo Vorhaben - es sind einige einleuchtende darunter, was bei 185 Seiten Text auch nicht verwunderlich ist - ein bisschen präzisiert sind, bedürfen sie noch näherer Abstimmung im Kabinett und zwischen den Koalitionspartnern, um als Gesetzesvorschlag in das legislative Verfahren zu gelangen.
Der endlos schweifende Charakter des Vertragswerkes erklärt sich aus der Prozedur bei den Koalitionsverhandlungen: Um das Bündnis in den beteiligten Parteien schmackhaft zu machen, wurden möglichst viele Funktionsträger einbezogen, die ihre Wünsche wenigstens verbal berücksichtigt wissen wollten. Außerdem halten Vieldeutigkeiten in den Formulierungen den Raum offen für kleine Machtkämpfe innerhalb der regierenden Koalition, mit denen die Parteien sich dann bei ihrem jeweiligen Anhang profilieren können.
Im Koalitionsvertrag steht, was regierend bearbeitet werden soll; das schließt spätere politikgestaltende Schritte, die dem Vertrag nicht zu entnehmen sind, keineswegs aus. Die Koalition von SPD und Grünen unter Gerhard Schröder als historisches Exempel: Die Agenda 2010 war im Wahlauftritt nicht angekündigt, auch nicht bei den Vorgesprächen fürs Regieren, ebenso wenig dann beim Antritt des Kanzlers. Sie war eine unerwartete Bescherung.
Brüche im sozialen Gefüge
"Armut steigt trotz Wirtschaftsaufschwung" - so neulich der Titel eines Berichts in der F.A.Z., über die Ergebnisse des offiziellen "Datenreports 2013", der sich auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes stützt. Zu demselben Resultat kommt der "Armutsbericht 2013" des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (Sinkende Reallöhne - steigende Armut [2]). Verarmung in einem Reichtumsland?
Die Bundesrepublik kann mit Indikatoren zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum Arbeitsmarkt aufwarten, von denen andere Länder in Europa nicht zu träumen wagen: In Deutschland liegt die amtlich ausgewiesene Arbeitslosigkeit niedrig, die Zahl der Beschäftigten ist angestiegen, die industrielle Produktion floriert, der Export läuft weltmeisterlich, der Außenhandelsüberschuss nimmt sich prächtig aus - eine Art neues deutsches Wirtschaftswunder in einem anderwärts extrem geplagten Europa.
Der Anschein täuscht, was strukturelle, langfristig wirkende Ursachen hat: Die Beschäftigungsquote sagt noch nichts darüber aus, ob Löhne existenzsichernd sind; die Bundesrepublik hat eine besonders hohe Quote prekärer Arbeitsverhältnisse; eben dies ist aber wieder ein Faktor ihrer Exporterfolge. Übrigens sind in der Exportstatistik Kapitalausfuhren mitgerechnet, Gelder aus der Bundesrepublik, die in ausländische Investitionen gehen; für die heimischen Lohnabhängigen bringen sie keinen Gewinn.
Der im Koalitionsvertrag angekündigte gesetzliche Mindestlohn und einige arbeitsrechtliche Verbesserungen bei der Leih- und Fristarbeit werden nicht den dauerhaften Trend im Arbeitsmarkt brechen: Ausdehnung des Niedriglohnsektors, der zeitweiligen Beschäftigung, der Teilzeitarbeit, der "brüchigen" Arbeitsbiografien.
Diese Entwicklung betrifft gerade den Nachwuchs und dort auch höher qualifizierte, etwa akademisch ausgebildete Arbeitskräfte. Dass ein weiterführender Bildungsweg, möglichst mit einem Hochschulabschluss, vor schlechtbezahlter und prekärer Arbeit schütze, ist ein trügerisches Versprechen der Bildungspolitiker.
All das hat seine Folgen im Rentenalter. Bei einem gleichbleibenden Trend in der Beschäftigungsstruktur bietet das derzeitige gesetzliche Rentensystem für einen zunehmenden Teil der jetzt noch in Ausbildung befindlichen oder jung in den Arbeitsmarkt einrückenden Generation keine Chance mehr für ein zureichende Altersversorgung. Und eine Kompensation durch eine private Rentenversicherung oder Kapitalanlage ist nur für diejenigen möglich, die ein üppiges Einkommen haben. Hinzu kommt der schleichende Wertverlust von privaten Versicherungen und kleinen Anlagen.
Eine Alternative böte nur ein ganz anderes System der materiellen Sicherung im Alter. Weder dazu noch zum sozial spaltenden Trend im Arbeitsmarkt sind im Koalitionsvertrag auch nur Ansätze problemlösender Konzepte zu finden. Diese großen Aufgaben sind auf dem Weg in Regierungsämter offenbar der Aufmerksamkeit von CDU/CSU wie auch SPD entgangen. Und so konnten sie sich darauf einigen, Abschöpfung von Reichtum durch eine Steuerreform sei nicht beabsichtigt und auch nicht notwendig. Das steht völlig im Widerspruch zu den sozialdemokratischen Ansagen im Wahlkampf.
"Weiter so" in der Europapolitik
Wer sich allen anderen Informationen über den Lauf der wirtschaftlichen und politische Dinge auf dem europäischen Kontinent ferngehalten hat und sich mit der Lektüre der diesbezüglichen Passagen im Koalitionsvertrag begnügt, kann nur den Eindruck haben: Da gibt es zwar ein paar bedauerliche Missstände in einigen Ländern, Staatsverschuldung, zu geringes Wirtschaftswachstum, Jugendarbeitslosigkeit; aber diese Probleme sind unschwer in den Griff zu bekommen, wenn alle Europäer das deutsche Erfolgsmodell übernehmen und sich "wettbewerbsfähig" machen.
Die Bundesrepublik, heißt es, sei "der europäische Stabilitätsanker". Bei den europäischen Institionen müsse "die demokratische Legitimation gestärkt", "Entscheidungen der EU" müssten "nachvollziehbarer gestaltet werden".
Eine der wenigen Konkretionen im Europakapitel des Regierungsprogramms: In der europäischen Amtssprache soll "in der Praxis das Deutsche den anderen beiden Verfahrenssprachen Englisch und Französisch gleichgestellt werden". Im Koalitionsvertrag sind die aktuellen Grundfragen europäischer Politik schlichtweg ausgeblendet. Welche Chancen haben denn die Problemländer in Europa, in der Konkurrenz mit der Bundesrepublik "Wettbewerbsfähigkeit" zu erreichen? Wenn sie gleichziehen würden - was wären die Folgen für die deutsche Außenwirtschaft? Der Markt in Europa und in der Welt ist ja nicht unbegrenzt aufnahmefähig. Und Brüssel - geht es nur darum, die Bürgerinnen und Bürger in Europa geschickter "mitzunehmen" beim Entscheidungsgang der europäischen Politikelite und ihrer Bürokratie?
Im gedanklichen Horizont der Großen Koalition sind die politischen Sprengkräfte in der EU gar nicht sichtbar, weder die Tendenzen zum Rückzug auf nationale Politik noch der anwachsende Rechtspopulismus, auch nicht der Fremdenhass als Alltagsideologie. Und die Schuldenlast in den öffentlichen Haushalten, die demokratisch nicht kontrollierte Macht des spekulierenden Kapitals? Im Vorwort zum Koalitionsvertrag, in dessen Ausgabe für SPD-Mitglieder, schreibt der Parteivorsitzende, jetzt Vizekanzler, allen Ernstes: "Die strikte Regulierung der Finanzmärkte und Banken ist ausgehandelt und erreicht." Da werden die Herren in den Höhen der Finanzwelt, falls sie es lesen, sich amüsieren.
Deutsche Geopolitik
CDU/CSU und SPD legen, wen könnte es überraschen, für die Politik der Großen Koalition ein vorbehaltloses "Bekenntnis", so wird es von ihnen in der Glaubenssprache genannt, zur "Stärkung der Transatlantischen Partnerschaft und der NATO" ab. In diesem kriegerisch erfahrenen Bündnis soll die Bundesrepublik ihre "Sicherheitsinteressen" realisieren, vor allem die am Zugang zu auswärtigen Märkten und am Zugriff auf Rohstoffe - militärische Macht als Fortsetzung der Außenwirtschaft mit anderen Mitteln. Die deutschen Rüstungsunternehmen sollen dabei nicht zu kurz kommen.
Die Bundesrepublik habe, so die Große Koalition, "ein elementares Interesse an einer innovativen, und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie". Das bedeutet auch: Der hohe Rang des deutschen Rüstungsexport im globalen Waffenmarkt soll gehalten werden. "Der Koalitionsvertrag ist verteidigungsfreundlich formuliert", zitiert die F.A.Z. einen Experten der Branche.
Dass die militärischen Zugriffe des Transatlantischen Bündnisses oder einzelner NATO-Staaten Menschenopfer in Massen gekostet, alles andere als befriedete Gesellschaften hinterlassen haben, nimmt die Große Koalition nicht zur Kenntnis. Sie macht sich keine Gedanken über die Blutspuren der Rüstungswirtschaft. Und der Begriff "Verteidigung" ist für die deutsche Politik längst umgedeutet, er meint nun: Bewaffnete Teilnahme an einem Machtwettbewerb ohne Grenzen - auch hier: "Its the economy, stupid".
"Große Aufgaben"? Es lassen sich andere entdecken. Zu einigen davon macht die Große Koalition kleine Sprüche, so zur neuen digitalen Welt. Da will sie eine "Digitale Agenda" beschließen und "deren Umsetzung gemeinsam mit Wirtschaft, Tarifpartnern, Zivilgesellschaft und Wissenschaft begleiten". Das klingt, an die Adresse der Öffentlichkeit gerichtet, nach "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht".
Gleich mehrere Staatssekretäre werden sich demnächst mit dem Thema beschäftigen, es kommt bestimmt ein Papier dabei heraus. Vollmundige Ankündigungen [3] wie die von "Internetminister" Dobrindt gab es schon, der gleich Deutschland das "schnellste und intelligenteste Netz der Welt" schaffen will. Und bitte nicht ständig an der Datenvorliebe unserer angelsächsischen Freunde herumkritteln, die könnten das übelnehmen.
Als Grundmuster der großkoalitionären Regierungspolitik sind erkennbar: Passivität gegenüber der andauernden sozialen Aufspaltung der deutschen Gesellschaft, kleine Reparaturen, aber keine neuen Modelle für den Arbeitsmarkt und die Altersversorgung. Keine steuerpolitischen Eingriffe. Dahinter das Kalkül, weiteres Wirtschaftswachstum werde die sozialen Probleme überdecken. Konzentration auf die Interessen der Exportwirtschaft, Ausbau der politökonomischen Dominanz der Bundesrepublik in Europa. Unbedingte Treue zur NATO und zur "Transatlantik"-Politik, in diesem Rahmen Agieren für deutsche Interessen im Weltmarkt, unter militärischer Begleitung.
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[2] https://www.heise.de/tp/features/Sinkende-Realloehne-steigende-Armut-3363077.html [3] http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/internetminister-dobrindt-verspricht-schnellstes-netz-der-welt-a-940506.html
Teil 6 Postdemokratie mit Schutzherrin 5.1.2014 - Arno Klönne - Das Merkelland. Eine politische Besichtigung.
Beim Blick auf die gesellschaftspolitische Landkarte Europas erscheint die Bundesrepublik als das Land, dem Turbulenzen erspart blieben und in dem diese auch nicht zu befürchten sind. Zwar meint, das haben die Allensbacher Demoskopen herausgefunden, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, es mangele erheblich an sozialer Gerechtigkeit, aber dieses Gefühl führt nicht zu einem politischen Aufruhr. Das Prekariat bleibt passiv.
Die Mittelschichten verspüren allmählich Zukunftsangst, hoffen aber, eine günstige Wirtschaftskonjunktur werde sie vor dem Abstieg bewahren; die ökonomische Stärke des Landes ist ja ungebrochen. Die wirtschaftlichen Eliten müssen politische Abenteuer nicht in Betracht ziehen; ihre Machtstellung ist gesichert.
Die CDU/CSU steht als sozusagen geborene Führungskraft in der parteipolitischen Szene da; die anderen etablierten Parteien sind für sie als Hilfskräfte wahlweise zur Verfügung. Eine neue Partei, die das eingeübte Spiel ganz und gar verderben könnte, ist nicht in Sicht.
Beim Volk hat die politische Klasse mitsamt ihren Praktiken wenig Ansehen, aber die Kanzlerin genießt Respekt. Außerdem gibt es Möglichkeiten, den Verdruss über den Zustand des Politikbetriebs in Grenzen zu halten.
Unterhaltsamer Ersatz: Politische Personalia
Es ist nicht so, als wären die Politikressorts in den Massenmedien in der Verlegenheit, überhaupt Stoff zu finden; die Auf- und Abstiege führender politischer Akteure sind ihr beständiges Thema. Das ist kein Spezifikum der deutschen medialen Beschäftigung mit Politik. Die Besonderheit in der Bundesrepublik: Der Austausch von politischem Spitzenpersonal bedeutet längst keinen Wechsel mehr im Politikkurs.
Die Wahl von Gustav W. Heinemann zum Bundespräsidenten einst war ein Umbruch in der politischen Kultur; für diese aber hat es keine Bedeutung, dass Horst Köhler von Christian Wulff und der von Joachim Gauck abgelöst wurde, so sehr auch damit aufgeregte Berichterstattung verbunden war. Und jetzt: Ursula von der Leyen wird sich an dieselben "verteidigungspolitischen Richtlinien" halten wie ihr Vorgänger und ihr Vorvorgänger; für die mediale Verwertung jedoch boten diese Umbesetzungen reichliches Material.
Peer Steinbrück wurde zum Medienereignis, nicht weil von ihm eine Wende in der deutschen Politik zu erwarten gewesen wäre; eine ernsthafte Absicht dieser Art war ihm kaum nachzusagen. Auf dem Weg in die Große Koalition war das mediale Rätselraten über künftige MinisterInnen dazu geeignet, Politikinteresse von den zuvor im Wahlkampf vorgeführten Konflikten abzulenken; die sollten rasch in Vergessenheit kommen.
Auch politische Personalaffären, die auswärtiger Herkunft sind, bringen Nutzen: Die "Befreiung" von Michail Chodorkowski ersetzt Aufmerksamkeit für die Tücken der eigenen Regierungspolitik in Sachen "Innere Sicherheit".
Partizipation - leicht zu haben
Wie stünde es um eine Demokratie, wenn Bürgerinnen und Bürgern gar keine Chance hätten, in der Politik mitzureden - also braucht es Gelegenheiten dazu.
Seit einigen Jahren schon kann man über die Bundesrepublik sagen: Soviel politische Beteiligung war nie. Allerdings hat diese einen eigentümlichen, eher zweifelhaften Charakter. Das gilt nicht nur für den Mitgliederentscheid der SPD. In Fülle und nahezu tagtäglich kann, wer will, seine Meinung äußern zu politischen Vorgängen oder Akteuren, in zahllosen Medien; die Fragen und die Möglichkeiten zur Antwort sind vorgefertigt, und dann wird ausgezählt. Folgen für das politische Geschehen haben solche Auswertungen in aller Regel nicht.
Man kann sich auch als Wutbürger betätigen. Gelegentlich werden so Entscheidungen auf unteren politischen Ebenen beeinflusst, die Grundmuster der deutschen Gesellschafts- und Außenpolitik bleiben davon unberührt. Die so beliebte "Sonntagsfrage" macht Momentaufnahmen vom Prestige der Parteien, politische Alternativen sind nicht ihr Thema.
Und um es hier noch einmal zu erwähnen: Die Große Koalition hat nicht die Absicht, bundespolitische Weichenstellungen einem Plebiszit auszusetzen.
Politisch intervenieren - bei welcher Adresse?
In der Bundesrepublik ist es rechtlich niemandem verwehrt, Druck auszuüben auf die Inhaber politischer Macht. Durch die Abgabe der Stimme bei Wahlen, durch Demonstrationen, Kampagnen, Verbände und soziale Bewegungen. Bei manchen solcher Aktivitäten kann man sich verdächtig machen, auch wenn es dabei friedlich zugeht; die Datensammler sind eifrig, die geheimen Dienste geschäftig. Dennoch - im globalen Vergleich leben wir in einem freien Land.
Allerdings ist es zunehmend schwieriger geworden, die richtige Adresse für zivilgesellschaftliche politische Interventionen ausfindig zu machen. Wo eigentlich sind die Machtzentren angesiedelt, gegen deren Politik man angehen oder auf die man Einfluss nehmen will?
Im Kanzleramt ist die Person zu Haus, von der laut Grundgesetz die Richtlinien der Politik bestimmt werden. Jedoch ist in Deutschland die Epoche des Absolutismus seit längerem beendet, insofern wäre Bittstellerei bei Angela Merkel deplatziert.
Der Bundestag kommt als Adressat in Betracht, das Grundgesetz verweist ja auf ihn, als die Vertretung des Volkes. Aber die Parlamentarier sind selbst im Zweifel - was eigentlich können sie entscheiden? Wird nicht eher in Brüssel die Politik gemacht, oder bei der EZB, oder beim IWF, oder im NATO-Rat, vielleicht sogar bei den Bilderbergkonferenzen oder an anderen vertraulichen Stellen?
Als höhere Instanzen, deren Vorgaben sie sich anpassen müssen, nennen Politiker stets die Finanzmärkte - aber an welche Adresse kann sich Einmischung aus dem Volke dort oben wenden? "Blockupy" - aber wo? Diese Unübersichtlichkeit der Machtstrukturen lähmt jede demokratische Initiative "von unten". Wird eine solche auch gar nicht benötigt, ist der Gedanke an sie eine Antiquität?
Was "Post" bedeuten kann, in Sachen Demokratie
Den Begriff hat der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch geprägt: "Post-Democracy". Er hat seitdem Karriere gemacht, auch deshalb, weil er vielfältig ausgedeutet werden kann. Heißt "Nach", dass man sich von demokratischen Politikidealen zu verabschieden hat? Oder handelt es sich um eine andere Version von Demokratie, die überkommene Ausformungen und Ansprüche hinter sich lässt?
Crouch beschreibt folgende Neuerungen im Politiksystem: Privilegierte wirtschaftliche Eliten übernehmen die Steuerung der Gesellschaft, sie bleiben aber auf Legitimation durch die Bürgerinnen und Bürger angewiesen; Wahlen für die politische Administration behalten ihre Funktion, der öffentliche Diskurs über das "Gemeinwohl" findet weiter statt. Er sieht Chancen, diesen durch zivilgesellschaftliche Initiativen zu vitalisieren.
Eine solche Gesellschaftsform lässt sich anders benennen, etwa: Der Kapitalismus entledigt sich der Risiken, die für ihn mit Volkssouveränität verbunden sind, aber er duldet Mitverwaltung, auch öffentliche Meinungsbildung über seine Erfolgsträchtigkeit. So betrachtet, ist die Bundesrepublik derzeit ein Musterfall von Postdemokratie. Bleibt das so? Das hängt davon ab, ob Konflikte der sozialen Klassen weiterhin stillgelegt werden können.
Der Status quo - ohne Garantie
Die Bundeskanzlerin ist für die Mehrheit der Deutschen eine Vertrauensperson, ihre Performance hat etwas Beruhigendes. Der Eindruck von Stabilität, den die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik vermitteln, ist nicht zuletzt den Verhaltensweisen und den Regierungstechniken von Angela Merkel zuzuschreiben. Sie selbst sagt von sich, sie fahre in ihrer Politik "auf Sicht". Oder schiebt sie die von ihr selbst erwähnten "großen Aufgaben" vor sich her? Hat sie diese vielleicht gar nicht im Blick, eben weil ihre Perspektive kurzsichtig ist?
Berthold Kohler, Mitherausgeber der F.A.Z., kennzeichnet die Bundeskanzlerin als "Schutzherrin des Status quo". Aber die Gesellschaft der Bundesrepublik wird nicht in dem Zustand verbleiben, in dem sie sich jetzt befindet. Die Geschichte, auch die deutsche, geht weiter. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass der Problemdruck zunehmen wird. Eine politische Patronin kann davor nicht bewahren, sie hat keine überirdischen Fähigkeiten.
Die Bundesrepublik vom Typ Merkelland, so ist zu vermuten, wird sich in der deutschen Historie als eine Episode herausstellen.
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5 heise Grosse-Aufgaben-fuer-die-GroKo-3363121 6 telepolis Postdemokratie-mit-Schutzherrin-3363141.html
Prof. Arno Klönne