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7.  Schleuderwirtschaft der Überflußgesellschaft 

  Lauterburg-1998

 

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Unser Planet ist auf dem besten Weg, unbewohnbar zu werden. Eine Ursache ist die Überbevölkerung. Es gibt zuviele Menschen — und es werden immer mehr. Die andere Ursache ist der technisch und administrativ perfekt organisierte Raubbau an den natürlichen Ressourcen — die schleichende Zerstörung praktisch aller unserer Lebensgrundlagen.    Ein Planet wird unbewohnbar - 1973

Die Haupt­verantwortung dafür liegt bei uns Industrienationen — in den USA, in Europa und in Japan. Wir verbrauchen pro Kopf ein Vielfaches an Energie. Wir plündern die Weltmeere. Wir vergiften die Atmosphäre. Wir haben letztlich auch die Abholzung der tropischen Regenwälder zu verantworten. Wir sind es, die über genug Geld und Kurzsicht verfügen, um uns mit Möbeln und Häusern aus tropischen Hölzern zu umgeben. Und es sind nicht selten westliche Konzerne, welche das Ganze organisieren und die Hauptgewinne kassieren.

Es geht hier allerdings nicht in erster Linie darum, Schuld zu verteilen, sondern darum, Zusammenhänge zu verstehen. Nur wenn man weiß, was heute geschieht, wie es geschieht, und warum es geschieht, kann man sich ein realistisches Urteil darüber bilden, wie es voraus­sichtlich weitergehen wird.

   Wachstum —  Ideologie der Allmacht   

Die Entwicklung der Sprache und die damit verbundene Möglichkeit zur Weitergabe von Wissen haben im Laufe der Mensch­heits­geschichte zu einer immer schnelleren Entwicklung neuer Technologien geführt. Von der Beherrschung des Feuers bis zur Erfindung des Rades war es noch ein langer Weg; vom Buchdruck bis zur Elektrizität nur noch ein verhältnis­mäßig kurzer. 

Und heute überstürzen sich die Neuerungen derart, daß kein Mensch mehr alles überblicken kann. Nur wenige verstehen gerade noch knapp, was sich in jeweils einem der vielen Wissensgebiete tut. Und bei der Gentechnik, der Mikroelektronik, der Telekommunikation oder der künstlichen Intelligenz stehen wir vor Entwicklungen, deren Konsequenzen sich überhaupt nicht abschätzen lassen.

Der Einsatz von Maschinen zur industriellen Herstellung von Gütern aller Art hat in den vergangenen 100 Jahren vorab in unseren Regionen zu einer gewaltigen wirtschaftlichen Entwicklung und zu einem beacht­lichen Wohlstand breiter Massen geführt. Dies ist zunächst ein durchaus positiver Tatbestand. Die Frage ist, was wir uns dafür eingehandelt haben.  

Dies ist die Kehrseite unseres Wohlstandes: Ein ungeheuerlicher Verschleiß von Rohstoffen und Energie — und Abfälle, von denen niemand mehr weiß, wie sie entsorgt werden sollen. 

Für 1 kg Meeresfisch, das irgendwo in den USA oder in Europa über den Ladentisch geht, werden im Durchschnitt 6 kg Diesel verbraucht. Wenn in Japan französischer Champagner oder in Frankreich kalifornischer Rotwein getrunken wird, mag dies vielleicht noch als diskreter Charme der Bourgeoisie durchgehen. Aber wenn in Griechen­land schwedisches und in Norwegen italienisches Mineralwasser getrunken wird, aus Einwegflaschen, die schwerer sind als ihr Inhalt; wenn deutsche Kartoffeln zur Reinigung nach Italien gekarrt werden, um anschließend wieder nach Deutschland zum Verkauf zu gelangen; wenn die Tomaten, die in Südspanien auf dem Markt angeboten werden, aus nieder­ländischer Wasserkultur-Produktion stammen dann sind dies nur einzelne, kleine Anzeichen dafür, daß unsere Art zu wirtschaften nicht mehr viel mit Vernunft und Verantwortungs­bewußtsein zu tun hat.

Das Auto hat denjenigen, die es sich leisten können, eine unglaubliche Bewegungsfreiheit beschert. Aber mittlerweile sind mehrere hundert Millionen davon in Betrieb. Wir bauen Straßen, Brücken, Tunnels, Fabriken, Kraftwerke, Flughäfen und Wolkenkratzer. Otto Normalverbraucher fliegt mit seiner Familie für einen vierzehntägigen Urlaub mal kurz um die halbe Welt. Wir legen die Feuchtgebiete trocken, wir begradigen die Flußläufe, wir versenken ganze Dörfer in Stauseen.

Wir pumpen unvorstellbare Mengen Erdöl in Raffinerien, um unsere Maschinen, Autos und Flugzeuge in Betrieb zu halten. Wir produzieren massenhaft Waffen für Dutzende von Armeen. Wir bauen atombetriebene U-Boote, Flugzeugträger, Raketen und Wasser­stoffbomben. Wir führen Kriege. Wir fliegen auf den Mars.

Der Turmbau zu Babel ist zum biblischen Symbol geworden für die Selbstüberschätzung des Menschen: für seinen Wahn, letztlich alles für technisch machbar zu halten — und zu meinen, alles, was technisch machbar erscheint, auch umsetzen zu müssen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Dies, zusammen mit dem Wunsch des einzelnen nach mehr Komfort und mehr Besitz, hat schließlich zu einem beispiellosen Boom geführt.

Doch forciertes Wachstum ist tödlich. Die effizientesten Unkraut­vertilgungsmittel sind Wachstums­hormone. Sie lassen die Pflanzen zu schnell wachsen — und dadurch zugrundegehen. Daß wir über unsere Verhältnisse leben und bald an die Grenzen des Wachstums stoßen würden, hat der Club of Rome vor 25 Jahren klar voraus­gesagt. Nun ist es soweit.

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    Konsum — Strategie der Ersatzbefriedigung  

Es hat in meiner Jugendzeit eine Phase gegeben, da habe ich geglaubt, mein absolutes und endgültiges Lebens­glück würde von einem Motorrad abhängen. Ich beschäftigte mich den ganzen Tag mit diesem Thema, wußte schon genau, welches Modell es sein würde, und malte mir in den buntesten Farben aus, was ich damit alles unternehmen wollte. Ich hielt meinen Vater für einen schreck­lichen Geizhals und war bitter enttäuscht, als er mir erklärte, daß er nicht bereit sei, mir dieses Projekt zu finanzieren — übrigens nicht zuletzt, weil er Motorräder für eine gefährliche Angelegenheit hielt. 

Heute bin ich ihm dankbar. Ich weiß heute, was mir damals gefehlt hat: Ich wußte nicht, welchen Beruf ich wählen sollte; ich hatte keine Lust, Vorlesungen zu besuchen; ich fühlte mich in der Familie nicht "zu Hause"; ich hatte keine Freundin. Ich war einsam; ich hatte kein Ziel; ich fühlte mich nutzlos. Doch meine innere Leere war mir nicht bewußt. Ich glaubte allen Ernstes, das einzige, was mir fehle, sei ein Motorrad.

Ein paar Jahre später war ich verheiratet und hatte drei kleine Kinder. Das erste Motorfahrzeug, das wir uns leisten konnten, war ein alter Motorroller. Ich mußte immer zweimal fahren, um die ganze Familie von A nach B zu bringen. Die Kleinsten standen jeweils vorne, eingeklemmt zwischen meinen Beinen, und fühlten sich wie die Könige. Es war eine tolle Zeit. Da habe ich mein Motorrad-Trauma endgültig abgearbeitet.

Ersatzbefriedigungen spielen in unserer Zivilisation eine zentrale Rolle. Was ist mit einer Gesellschaft los, in der ein Großteil der Kinder jeden Tag mehrere Stunden vor dem Fernsehapparat verbringt und am Fließband dümmliche, zum Teil Gewalt verherr­lichende Sendungen in sich hineinsaugt? In der Vermögen ausgegeben werden, um auf die verlogenste Art und Weise — mit intakter Natur, Gesundheit, Schönheit und Lebensfreude — bei der Jugend für Zigaretten Werbung zu machen? 

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In der Millionen von Menschen nach der Arbeit derart gestreßt sind, daß sie als erstes zum Alkohol greifen? In der die Polizei nicht eingreift, wenn internationale Getränke­konzerne mit sogenannten "soft spirits" gezielt die Jugend an Alkohol gewöhnen? In der Massen von Menschen nur durch regelmäßige Einnahme von Psycho­pharmaka vor dem Abgleiten in eine lebensgefährliche Depression bewahrt werden können? In der ganze Industrien von kostspieligen Spezialpräparaten leben, mit denen Heerscharen von Wohlstands­bürgerinnen und -bürgern versuchen, überschüssige Pfunde, die sie sich aus Einsamkeit oder Langeweile angefressen haben, wieder loszuwerden?

Menschen, denen etwas Wichtiges im Leben fehlt, versuchen, dieses Manko durch Ersatz­befriedigungen auszugleichen. Das seelische Defizit wird mit materiellen Gütern und Augenblicksgenüssen gleichsam übertüncht und zugeschüttet. Bei diesem Vorgang ist zweierlei zu berücksichtigen. Zum einen: Das eigentliche Bedürfnis ist dem einzelnen nicht bewußt. Wie man seit Sigmund Freud so schön sagt: Es ist verdrängt.

Es sind meistens existentiell wichtige, emotionale Bedürfnisse, die verdrängt werden. Sie werden ins Unter­bewußtsein abgeschoben, weil die bewußte Auseinandersetzung mit dem Defizit Gefühle der Angst und der Hoffnungs­losigkeit auslösen würde. Zum anderen: Das eigentliche Bedürfnis kann durch den materiellen Ersatz nicht befriedigt werden. Wer in der Tiefe seiner Seele zu kurz kommt, braucht immer mehr und immer stärkeren Ersatz. Die Situation nähert sich mit der Zeit einem Suchttatbestand. Der Psycho­analytiker Erich Fromm hat sich in seinem zum Klassiker gewordenen Buch <Haben oder Sein> intensiv mit diesen inneren Zusammenhängen in unserer Zivilisation befaßt.

Was ist es denn, was so vielen Menschen fehlt? 

Es sind an sich ganz einfache, normale, ja scheinbar selbst­ver­ständliche Dinge, die aber in unserer modernen Gesellschaft immer weniger gewährleistet sind: menschliche Zuwendung und Wärme; Liebe und Geborgenheit; die Anerkennung als wichtiges Mitglied einer Gemeinschaft; das Gefühl, gebraucht zu werden und einen nützlichen Beitrag zu leisten. Dies sind die Dinge, die einem Menschen das Gefühl geben, daß sein Leben erfüllt ist und daß die eigene Existenz einen Sinn hat.

Immer mehr Menschen leiden unter der Anonymität und dem Leistungsdruck in unserer Industrie­gesellschaft. Sie sind in der Masse anderer innerlich vereinsamt. Ihr Leben läuft ab wie eine Sanduhr — lautlos und gleich­förmig. Sie haben nichts, wofür es lohnt, sich zu engagieren. Sie leben nicht mehr wirklich, sondern funktionieren nur noch. Sie langweilen sich zu Tode und brauchen immer wieder einen "Kick", um sich selbst überhaupt noch zu spüren.

Eine Gesellschaft, in der so viele - nicht zuletzt auch junge Menschen - in ihren wichtigsten emotionalen Bedürfnissen zu kurz kommen, ist krank. Unsere Gesellschaft ist krank.

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   Mobilität — Illusion der Freiheit   

Der Mensch ist von Natur aus ein Langstrecken- und Dauerläufer. Während Löwen und Tiger nach wenigen Minuten Jagd schlapp­machen, haben unsere Vorfahren als Jäger und Sammler auf der Suche nach Nahrung große Gebiete durchstreift; daher der aufrechte Gang und die kräftigen Beine. Und ein tiefes, natürliches Bedürfnis nach Raum und Bewegungsfreiheit. Allerdings: Man mußte sich seinerzeit noch selbst bewegen. Die Reviere hatten deshalb gewisse natürliche Grenzen.

Heute muß man sich nicht mehr selbst bewegen. Der physische Aktionsradius des einzelnen hat sich im Vergleich zu früheren Zeiten um Faktoren zwischen 10 und 100 vervielfacht. Wohnen auf dem Lande, arbeiten in der Stadt; für eine eintägige Geschäfts­reise mal schnell tausend Kilometer woandershin; Heli-Skiing in den Rocky Mountains; Schnorcheln auf den Malediven oder im Great Barrier Reef; Spazieren auf der Chinesischen Mauer oder in der sagen­umwobenen Inka-Stadt Machu Picchu hoch oben in den Anden.

In einer Zeit wie heute, in der die Menschen Angst haben vor der Zukunft, wird möglichst wenig Geld ausgegeben. Der Konsum geht deutlich zurück — aber es wird gereist! Man hält zwar Ausschau nach günstigen Angeboten — doch auf das Reisen wird nicht verzichtet. Dies ist ein überaus interessantes Phänomen. Die Menschen haben einen unbändigen Drang, ihrem Alltag - wenn auch nur für kurze Zeit - zu entfliehen. Es ist eine Flucht aus der Enge, Kälte und Gleichförmigkeit ihres normalen Lebens.

Und bei manchen, zumal jungen Menschen kommt noch etwas hinzu: Sie haben das Gefühl, daß unsere schöne Erde schrittweise kaputt gemacht wird. Sie möchten noch etwas von ihr sehen, bevor es zu spät ist.

Neun von zehn Autos, die am Morgen in die Stadt und am Abend wieder herausfahren, sind mit einem einzelnen Individuum besetzt, welches täglich - jahrein, jahraus - eine Tonne Stahl und Blech mit sich herumführt. Kinderlose Ehepaare finden nichts dabei, drei Autos zu betreiben — je eines für die Fahrt zur Arbeit und ein drittes für die Freizeit. Bei einem Überseeflug wird pro Person der Jahreskraft­stoffbedarf eines Pkw in die Luft gepustet. Und wenn in einem multinationalen Konzern ein Manager zu den Antipoden versetzt wird, schafft ihm die Firma das gesamte Mobiliar einschließlich Surfbrett und Weinkeller auf die andere Seite der Erdkugel.

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Daß Frischwaren und lebende Tiere per Eisenbahn nicht rasch genug in die Verteilkanäle kommen können, mag einleuchten. Aber auf den Autobahnen tummeln sich Schnäpse, Konserven, Hi-Fi-Geräte, Kühl­schränke, Backsteine und Zementsäcke. Und oft genug wird schlicht Luft spazierengefahren, weil es offensichtlich "wirtschaftlich" ist, eine Lastwagenladung Ware auf der Straße tausend Kilometer weit an einen Bestimmungsort zu bringen und anschließend leer wieder nach Hause zu fahren.

Dies alles hat seine unbestreitbaren Vorteile. Mobilität verschafft Menschen, die sonst nie aus ihrem Wohnort herauskommen würden, die Möglichkeit, etwas von der Welt zu sehen. Sie bringt Menschen zueinander. Sie vermittelt dem einzelnen etwas, das ihm in unserer Massen­gesellschaft ansonsten mehr und mehr abhanden kommt: das individuelle Gefühl von Unabhängigkeit. Mobilität ist der Ersatz für Freiheit.

   Luxus — Statussymbol der Wohlhabenden  

Ich war seinerzeit ein ziemlich neugieriges Kind. Wenn in meinem Umfeld ein Ausdruck fiel, den ich nicht verstand, wollte ich wissen, was das heißt. Ein solches Gespräch zwischen mir und meiner Tante ist der Über­lieferung gemäß wie folgt abgelaufen: "Tanti, was ist ›Luxus‹?" — "Luxus ist etwas, das man gerne hat, aber eigentlich nicht braucht." — "Dann ist also Rudolf ein Luxus." — Rudolf war das kleine Brüderchen, das sich kurz zuvor von mir nicht gerufen in unsere Familie eingeschlichen und meiner Existenz als gehätscheltes Einzelkind ein abruptes Ende bereitet hatte.

Der Luxus, den wir alle lieben, beginnt ganz harmlos — mit einer Zigarette, einem Cognac oder einem Eau de Toilette. Er setzt sich fort mit einem nicht ganz billigen Schmuck, einem Jahrgangs-Champagner, einer Kreuzfahrt in der Karibik, einem Zweit­wagen, einem Motorboot, einem Ferienhaus. Und er endet bei ganzen Flotten hochkarätiger Sportwagen und Straßen­kreuzer, von denen jeder eine halbe Million kostet; einem über die Kontinente verteilten Besitz herrschaftlicher Residenzen; Kunstsammlungen, die einem nationalen Museum zur Ehre gereichen würden; Hochseeyachten, Privatflugzeugen und Heerscharen von Bediensteten. Die Grenzen sind fließend. Irgendwo zwischen den beiden Extremen werden Sie und ich uns einordnen können.

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Wer neu zu Geld kommt, neigt im allgemeinen dazu, dies nach außen hin zu dokumentieren. Luxus ist nicht zuletzt auch ein Statussymbol. Andere begüterte Menschen wiederum neigen eher dazu, bezüglich ihrer finanziellen Situation vornehme Zurückhaltung zu üben. Es hat heutzutage allein schon aus Sicherheits­gründen einen gewissen Charme, mit seinem Reichtum nicht zu protzen.

Doch es gibt Dinge, die kann man nur schwer verstecken.  

Von Nizza bis Marseille gibt es eine erstaunliche Anzahl großer Yachthäfen. In jedem einzelnen liegen so viele Yachten, daß man denken könnte, dies sei neben Hongkong und Miami die einzige Anlegestelle. Zunächst, so weit das Auge reicht, die 10- bis 15-Meter-Yachten der ärmeren Millionäre, und dann, diskret getrennt, der versammelte Reichtum der ganz Arrivierten: die vielen Schiffe von 20, 40 oder 80 Metern Länge — jahrein, jahraus bemannt mit mindestens einem Skipper, häufig aber mit einem Kapitän und einer ganzen Besatzung. 

Da sich diese Leute die meiste Zeit zu Tode langweilen, kann man leicht mit ihnen ins Gespräch kommen. Und dann hört man immer wieder dieselbe Geschichte: Man steht hier das ganze Jahr über auf Abruf bereit; man hält das Schiff in Schuß und wartet auf einen Anruf, der die Absicht des Besitzers ankündigt, eine, zwei oder auch mal drei Wochen Urlaub auf seiner Yacht zu verbringen. Den Glücklichen widerfährt dies zwei- oder dreimal im Jahr. Die meisten kommen allerdings gerade einmal im Jahr auf hohe See. Und manch einer wartet schon mal länger als ein Jahr auf einen Anruf.

Nun, die Cote d'Azur ist nur ein kleines Stück der Küste des Mittelmeeres, das Mittelmeer wiederum ein Teich, verglichen mit dem Rest der Weltmeere. Da kann man nur ahnen, was für Vermögenswerte weltweit in Yachthäfen ungenutzt vor sich hin dümpeln. Und Yachten sind lediglich ein kleiner Teil vom Luxus dieser Welt.

Luxus ist, wenn man sich ihn leisten kann, ein feine Sache. Und wer ihn hat, wird als erstes seine soziale Ader entdecken und argumentieren, daß von diesem Luxus ganze Industrien leben, und daß diese Industrien Massen von Arbeitsplätzen geschaffen haben und das Geld unters Volk bringen. Und dies ist noch nicht mal gelogen. Wo also liegt das Problem?

Erstens, die ökologische Bilanz industriell hergestellter Produkte zeigt immer wieder mit erschreckender Deutlichkeit, welche Mengen an Energie und Rohstoffen bei der Herstellung verschlissen und was für eine Fracht von Giften gleichzeitig in die Welt gesetzt wird — von den nachgerade gigantischen Problemen der Entsorgung gar nicht erst zu reden. Und dann ist noch keine einzige Betriebsstunde all der Luxuskarossen, -schiffe, -flugzeuge, -villen und -schwimmbäder in die Rechnung eingeflossen. Welche Umweltschäden dadurch angerichtet werden, läßt sich gar nicht beziffern.

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Zweitens, und dies ist der springende Punkt: Dieser gesamte Aufwand entsteht ausschließlich für Dinge, die — um meine liebe Tante Klara selig zu zitieren — eigentlich gar nicht gebraucht werden. Diese Schäden werden von einer Minderheit verursacht — ohne Not; in einer Umwelt, die allen gehört. 

Stellen Sie sich mal vor, alle Menschen, die heute in der Herstellung von Luxusgütern beschäftigt sind, würden sich - gegen gleiche Bezahlung - mit ökologisch und sozial wertvollen Produkten und Dienstleistungen befassen. Unsere Welt würde ganz anders aussehen. Und auf eine gut riechende Seife müßten wir noch lange nicht verzichten.

    Drogen — Flucht aus dem Leben  

Wenn es einen Beweis gibt für die Krankheit der westlichen Industriegesellschaften, dann diesen: der Konsum von Drogen. Er zerstört einen zunehmenden Teil der Jugend, bringt unermeßliches Leid in zahllose Familien und zieht eine Beschaffungs­kriminalität nach sich, der die Sicherheits­organe keines einzigen Landes auf dieser Welt mehr gewachsen sind — mit Ausnahme allenfalls von Singapur, wo jeder, der etwas mit Drogen zu tun hat, ohne langes Federlesen hingerichtet wird.    wikipedia  Todesstrafe#Singapur 

Auf das organisierte Verbrechen, welches die Volkswirtschaften schrittweise von innen heraus zersetzt und für welches der Drogen­schmuggel und der Drogen­handel reiche Betätigungsfelder bieten, wird noch zurück­zu­kommen sein.

Hier nur soviel: Durch den Drogenhandel werden der Volkswirtschaft unvorstellbare Summen entzogen und auf den Konten von Schwerverbrechern akkumuliert. In exakt dem gleichen Umfang verarmen und verelenden Massen von Drogenabhängigen — von den Kosten staatlicher Institutionen gar nicht zu reden. Mit anderen Worten: Das Drogenproblem ist einer der Faktoren, auf welche die sich fatal öffnende Schere zwischen Arm und Reich zurückzuführen ist.

Das Drogenproblem ist letztlich mit eine der Folgen der anonymen Massen- und Überflußgesellschaft. Es hängt aufs engste mit der Sinnkrise in unserer Leistungs­gesellschaft, dem inneren Zerfall der Familien sowie mit der düsteren Zukunft zusammen, welche junge Menschen von heute vor sich haben. 

Ob man es wahr­haben will oder nicht: Es sind gerade die sensiblen, empfind­samen jungen Menschen, die am meisten leiden an der seelischen Verwahrlosung in ihrer Umgebung und an dem, was auf dieser Welt insgesamt passiert. Sie sind am anfälligsten dafür, in die Abhängigkeit von Drogen zu geraten.

Menschen, die mit dem Drogenmilieu aufs engste vertraut sind — Sozialarbeiter, Ärzte und Psychologen ebenso wie ehemalige Abhängige —, versuchen seit mindestens zwei Jahrzehnten auf eine kontrollierte Abgabe von Heroin hinzuwirken. Dies würde das Drogenproblem zwar nicht aus der Welt schaffen, aber massiv reduzieren. Die Sterberate würde deutlich sinken, denn die meisten Drogenabhängigen sterben nicht am Heroin, sondern am Dreck, mit dem der Stoff vom Handel gestreckt wird. Die Beschaffungs­kriminalität würde dramatisch zurückgehen. Der Handel würde vergrault. Last but not least: Die Gesamtkosten würden einen Bruchteil dessen betragen, was heute im Zusammenhang mit dem Drogenproblem aufgewendet werden muß. Und die Abhängigen wären in einem regelmäßigen, hilfreichen und nicht repressiven Kontakt mit dem Gemein­wesen. 

Doch seit Jahrzehnten wird die Diskussion überall auf dieser Welt nach dem gleichen Muster im Keime erstickt: "Das fehlte gerade noch, daß man mit unseren Steuergeldern diese Strolche gratis mit Stoff versorgt!"

Und so bleibt alles beim alten.

Wenn wir von Drogen reden, denken wir an Hasch, Heroin oder Ecstasy und an junge, verwahrloste Fixerinnen und Fixer. In unseren Breitengraden wird von der Gesellschaft nach wie vor nicht zur Kenntnis genommen, daß Alkohol auch eine Droge ist und daß durch den Alkohol der Volks­gesund­heit insgesamt größerer Schaden zufügt wird als durch Heroin und Kokain. Und beim Alkohol verteilt sich die Abhängigkeit über alle Altersklassen. Junge Fixerinnen und Fixer werden von der Gesellschaft brutal ausgegrenzt. Wenn aber gestandene Männer in der Kneipe weit über den Durst trinken, wird dies mit Augen­zwinkern zur Kenntnis genommen. Am Drogenhandel verdient das organisierte Verbrechen, am Alkohol unsere eigene Industrie. Und über alle TV-Kanäle flimmern Tag für Tag die Werbespots für Bier und Schnaps. Es herrscht eine doppelte Moral.

Eine Gesellschaft, die in so vielen Jahrzehnten nicht zu einem anderen Umgang mit Drogen und Alkohol gefunden hat, ist nicht lernfähig. In einer Zeit des Umbruchs droht ihr Zersetzung statt Erneuerung.

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Christoph Lauterburg   Fünf nach Zwölf   Der globale Crash und die Zukunft des Lebens