Teil 2  Fragliche Wege aus der Krise     Start     Anmerk     Weiter

2.2 - Neue Werte braucht die Welt - ein soziologischer Exkurs

"Heutzutage kennt ein Mensch von allen Dingen den Preis und von keinem den Wert." (Oscar Wilde, 365)

 

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»Was ist das nur für eine Spaßgesellschaft!« - »Welch eine Jugend ohne Benehmen von unerträglicher Unverschämtheit!«

Über einen Werteverfall wird schon seit einigen tausend Jahren immer wieder geschimpft. Die Klage über eine »leichtfertige Jugend ohne Benehmen«, die von einer »unerträglichen Unverschämtheit« sei, stammt vom griechischen Dichter Hesiod zur Zeit um 700 vor Christus; Seneca wiederum geißelte um 60 nach Christus die »naturwidrigen Entartungen« der römischen Spaßgesellschaft vor ihrem Niedergang.366

An den Klagen über einen Werteverlust hat sich bis heute im Grunde nichts geändert. Dementsprechend wird jetzt gefragt, ob unsere alten Werte nicht mehr genügen und wir etwa dadurch in die ökologische Krise gekommen sind.367 Der Begriff »Werte« aber ist negativ belastet, klingt altbacken und suggeriert Sehnsucht nach alten, vermeintlich besseren Zeiten, wobei die selten wirklich besser waren. Werte sind nichts, was wir ständig als bewusstes Verhaltensprogramm auf unseren Erinnerungsblöcken notiert haben. Vielmehr werden wir aus vielen Quellen unbewusst von Wertvorstellungen beeinflusst, die wir dann - oft auch unreflektiert - übernehmen.

Aus den Vorschlägen von Experten zur Lösung der enormen globalen ökologischen und sozialen Probleme geht zumindest hervor, dass jetzt (wieder) ein Wertewandel erforderlich ist. Das ist vielleicht annehmbarer: nicht alle Werte, die wir heute haben, müssen grundsätzlich schlecht und verkommen sein, aber sie sind zumeist nicht mehr den Anforderungen angemessen, vor denen wir jetzt stehen. Oft wird dabei gefordert, dass doch die neuen Werte, die als dringend nötig angesehen werden, verordnet werden sollten. Der Autor Claus Koch meint dazu:

Die Anrufung der Werte ist zumeist eine autoritäre Antwort. Sie verrät Unsicherheit, Hilflosigkeit: Der soziale und moralische Kompass, der einmal die Orientierung im praktischen Leben angezeigt hatte, ist verloren gegangen. Und die Oberen und die Wissenden, die über die Autorität verfügen, sehen die quälende Frage auf sich gerichtet: Ihr da oben, Ihr habt das Privileg und die Verantwortung, Ihr müsstet doch weiter schauen können. Wo ist die Führungslinie, wo sind die Leitplanken? (...) Ihr müsstet doch sagen können, woran man sich halten soll. Die Mutigeren unter den Gefragten werden antworten, dass auch sie den Leitfaden zum richtigen und guten Leben nicht genau sehen können.368

Also ist wieder der Einzelne selbst gefordert. Der Ökonom Jeffrey Sachs etwa fordert ihn auf, »in der Wahrheit zu leben«,(369) der Philosoph und Religionswissenschaftler Hans Jonas spricht von »Verantwortung von Menschen für Menschen«,370 der Energieexperte Gerd Eisenbeiß setzt für die Bewältigung der Herausforderungen auf das »Großhirn, die Wissenschaft und vernünftige Werte«.371

Hier also begegnet uns direkt, noch ohne nähere Erläuterung, die so oft getätigte Forderung nach Werten. Gerade da auf Großhirn, Wissenschaft und technologischen Fortschritt wie oben dargelegt kein Verlass ist, lohnt sich eine nähere Betrachtung von wünschenswerten Wertvorstellungen.

Konkreter wird es dazu bei Joseph Weizenbaum, früher Professor für Computer Science am Massachusetts Institute of Technology, einer der Pioniere der Künstlichen Intelligenz. Er fordert Widerstand gegen die Gier des globalen Kapitalismus, Kooperation statt Konjunktur, Bescheidenheit statt unbegrenztem Konsum sowie Ehrfurcht vor dem Leben.(372) Seiner Ansicht nach sind sonst unsere Kinder und Kindeskinder nicht vor der »irdischen Hölle« zu retten.


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Das Bewusstsein, dass alle Menschen Geschwister sind, müsse den Zeitgeist ersetzen. Der Glaube, dass Wissenschaft und Technologie die Erde vor den Folgen des Klimawandels bewahren würden, sei irreführend: »Würde die weltweite Gesellschaft nur vernünftig sein, könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus der Erde ein Paradies machen«.

Der Physiologe Jared Diamond meint, dass von größter Bedeutung langfristige Planung und die Bereitschaft seien, zentrale Werte neu zu überdenken. Zur Frage, welchen Teil unserer traditionellen Wertvorstellungen als Verbraucher und welchen Lebensstandard wir uns noch leisten können, äußert er sich hingegen skeptisch: »Es ist politisch anscheinend nicht durchsetzbar, dass man Bewohner der Industrieländer dazu veranlasst, ihre ökologischen Auswirkungen auf die ganze Welt zu vermindern«.373

Damit schaden sie sich aber langfristig selbst, nicht nur durch Raubbau an den eigenen Lebensgrundlagen, sondern auch gesundheitlich, wie oben bei den Fakten zur ökologischen Krise dargestellt. Auch die schon zitierten Autoren, die von einer Zunahme psychischer Störungen im 21. Jahrhundert angesichts des Primats der Ökonomie sprechen, bezeichnen eine »Wiederentdeckung der Humanität als eine der größten Herausforderungen des kommenden Jahrzehnts«.374 Zwischenmenschliche Beziehungen würden demnach entscheidend für das Gelingen von Arbeit, für ein erfülltes und zufriedenes Leben bleiben:

Wo Profitkultur und Marktfundamentalismus gelebt werden, die den Menschen auf >Humankapital< reduzieren, kommt es zu >innerer< Kündigung, hohem Krankenstand, Frühverrentung und Krankheit von Leib und Seele als vermeintlichen inneren Ausweg.375

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  Wunschvisionen, Aufbau von Netzwerken, Wahrhaftigkeit, Lern Bereitschaft und Nächstenliebe  

In ihren Folgestudien zum Bericht an den Club of Rome aus den Jahren 1992 und 2004 sind die Systemwissenschaftler um Dennis Meadows im Schlusskapitel eingehend auf nötige Werteveränderungen eingegangen. Dies liest sich dort umso glaubwürdiger, da die vorherige umfangreiche


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