III. Eigene Wege in der Krise (234-280)     Start   Anmerk    Weiter

3.2 - Die vier letzten Dinge - die existenzielle Sichtweise       Meißner-2017

Es ist an der Zeit, die Entdeckung zu nutzen, dass du weder dein Körper bist, noch deine Identität, noch deine Bücher,
sondern ein Teil von etwas, dem all das gleichgültig ist.
Das könnte dem Menschen eines Tages helfen, einen Weg zu finden.
(Tiziano Terzani, 489)

246-267

Eine 42-jährige Allgemeinärztin schreibt: Wir führen ein verschwenderisches Luxusleben voller Egoismus und kämpfen darum, dass es immer noch besser wird. Doch so richtig glücklich macht das anscheinend nicht, woher kommen bloß die vielen Depressionen? Fehlt der Sinn des Lebens? Zu viele Reize und Informationen, die auf uns einstürmen? Alles zu materialistisch, konsumorientiert? Manchmal wünsche ich mir einfach nur Ruhe und innere Leere (beim Yoga bin ich gelegentlich ganz nah dran, aber das Meditieren ist unheimlich schwer). Das Annehmen des Endes und auch des Todes fiele mir bedeutend leichter, wenn ich endlich wirkliche innere Ruhe und Gelassenheit finden könnte. Unwichtige Pseudosorgen und -probleme nehmen zu viel Platz ein.(490)

   Zurückgeworfen auf sich selbst  

Im Grunde stecken in diesen nachdenklichen Worten die wesentlichen Aspekte, die zuvor schon angeklungen sind: Das Erkennen der Missstände, die Schwierigkeiten, dagegen etwas zu tun, das Eingenommensein von den Alltagssorgen, und - bei aller Hoffnung auf fähige Politiker, gute Vorbilder und technische Fortschritte - das immer am Ende aller Überlegungen stehende Zurückgeworfensein auf sich selbst. Der weite Bogen über die Darstellung der ökologischen Krise, ihre evolutionäre Entwicklung, die Rolle der Entropie und die Hoffnung auf Lösungen, die vergeblich sein muss, wenn nur auf Vorgaben von oben gehofft wird, führte hin zu der Frage, wie der Einzelne (auch Entscheidungsträger sind »Einzelne«) selbst Krisenmanager werden kann. Hierfür bedarf es jedoch eigener Selbsterfahrung, eines Zugangs zum inneren Ich, zu Psyche und Seele, um dann auch wieder leichter die Beziehung zur Natur und zu anderen Menschen aufnehmen können. Denn wie wir gesehen haben, weisen die meisten von Experten geforderten Werte (wie etwa Empathie, Gerechtigkeit, Humanität, Verantwortung) auf die Bedeutung von Beziehungen zu den nächsten oder entfernter lebenden Menschen hin, was grundsätzlich auch auf das Verhältnis zur Natur zu übertragen wäre, die wir im Eigeninteresse ja bestmöglich erhalten wollen.

Doch wie sollen die genannten Werte entstehen, wenn doch Gesetze, Normen, Vorschriften und Moralpredigten nicht unbedingt zu den gewünschten Wertvorstellungen beitragen? Durch Selbsterfahrung und Selbst­transzendenz (also aus sich heraus gehen, sich auf andere beziehen), Erlebnisse der gemeinsamen Ekstase genauso wie durch Erfahrungen der Stille und Tiefe kann es grundsätzlich zu länger gültigen Werten kommen, wie wir schon von soziologischer Seite her gesehen haben. Also kommen wir auch hier vom weiten Bogen allgemeiner Prinzipien sowie notwendiger Regeln und Gesetze wieder zurück zu jedem Einzelnen von uns. Doch auf der individuellen Ebene gibt es viele Hindernisse für eine fruchtbare Selbsttranszendenz. Der Philosoph Hans Georg Gadamer meint dazu:    https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Georg_Gadamer  1900-2002


247/248

Wer mit sich selbst nicht Freund, sondern mit sich selbst zerfallen ist, ist gerade zu keiner Hingabe an andere und zu keiner Solidarität fähig. Hier scheint mir der tiefste Grund der Selbstentfremdung zu liegen, die wir im modernen Zivilisationsleben sich ausbreiten sehen, und umgekehrt liegt hier die unverlierbare Chance unser aller, inmitten der durch nichts zu beschönigenden Zwangsformen unserer modernen Gesellschaft die eigene Tätigkeit mit dem Bewusstsein eines eigenen Sinnes zu erfüllen, wo wir nur ein Bewusstsein echten Wissens und echten Könnens besitzen.491

Die Endlichkeit der Ressourcen, des Planeten wie auch des eigenen Lebens, die Freiheit, selbst Entscheidungen treffen und in eigenen Wertbindungen bei sich sein zu können - durch weniger Selbstentfremdung mit sich selbst Freund zu sein -, das Zurückgeworfen-Sein letztlich auf sich selbst mit der Notwendigkeit, den eigenen Sinn und die eigene Befriedigung zu finden: all dies weist hin auf ganz existenzielle Gegebenheiten, die vier letzten Dinge: Tod, Freiheit, Isolation und Sinn.(492)

Ein Bewusstsein davon kann zu tieferen zwischenmenschlichen Beziehungen und Selbsttranszendenz verhelfen, aber auch zur Akzeptanz der Endlichkeit, und dies wiederum zu leichterem Umgang mit der schwierigen ökoglobalen Situation. Daher lohnt es sich, sich mit diesen letzten Dingen im Folgenden etwas näher zu beschäftigen, gestützt auf Überlegungen des amerikanischen Psychotherapeuten und Schriftstellers Irvin Yalom zu einer »existenziellen Psychotherapie«.493

  Isolation  

Zunächst bereitet es ein Unbehagen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Vielfache Ablenkungen und vermeintliche Sachzwänge helfen über die meiste Zeit im Alltag, das zu vermeiden. Die daher seltenen Momente der Ruhe führen dann erstaunlicherweise oft zu großer innerer Unruhe, man kennt das vom Urlaub: die ersten Tage vermeintlicher Ruhe sind nicht selten von erheblicher Anspannung gekenn­zeichnet.


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In der Auseinandersetzung mit sich selbst stößt man darauf, dass man im Grunde unerbittlich alleine ist, innerlich getrennt von der Welt. Niemand kann von außen die eigenen Gedanken und Gefühle vollständig kennen, immer bleibt auch ein Rest, den man nicht jemand anderem verständlich machen kann. Die Trennung zwischen Mensch und Welt wird wohl am deutlichsten erkennbar im Sterben als einsamster menschlicher Erfahrung überhaupt. Es geht also nicht um das Alleinsein als solches, etwa nach einem Todesfall oder einer Trennung, sondern es geht um eine Isolation, der man sich in letzter Konsequenz nicht entziehen kann, seien auch noch so viele Menschen um einen herum oder auf Facebook aktiv.

In der Persönlichkeitsentwicklung, im Größer- und Älterwerden des Kindes, stellt sie zunächst den Preis dar für notwendiges Wachstum und Loslösung. Die nötige Abnabelung von den Eltern bringt Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, aber dann auch ein manchmal erschreckendes Auf-Sich-Gestellt-Sein. Das kann gerade in Übergangsphasen wie der Pubertät, aber auch später zu schweren Krisen führen. Dementsprechend kann Isolation wiederum geleugnet werden durch Verschmelzung in Beziehungen, indem man sich etwa von einem Partner übermäßig abhängig macht, oder durch Größenideen im Glauben an die eigene Besonderheit, etwa indem man sich in seiner Arbeit für unersetzlich hält. Bricht hier das Gebäude zusammen, verlässt einen etwa der Partner oder gibt es Ärger am Arbeitsplatz, gerät man psychisch leicht in Turbulenzen.

Auch bei der Betrachtung der ökologischen Krise fühlen wir uns oft alleine. Wir bemühen uns vielleicht, etwas Sinnvolles zu tun, sehen aber, dass andere weiter zum Flughafen für die Urlaubsreise eilen. Wir achten beim Kauf des Autos auf einen sparsamen Motor, sehen aber, dass die Politiker und Regierungen kaum Anreize geben, um Abgase zu reduzieren. Hilflos fühlen wir uns zudem unbestimmten Gefahren und hereinbrechenden Naturgewalten ausgeliefert, mit denen wir jetzt umso mehr zu rechnen haben. Zugleich ist es schwer, aus dem üblichen Kreislauf auszubrechen, stecken doch hinter Arbeit, Karrierestreben, Konsum und Statussymbolen letztlich auch eigene psychische Bedürfnisse wie das Streben nach persönlicher Erfüllung, Befriedigung und Anerkennung, vielleicht sogar die Stabilisierung eines sonst fragilen Selbstwertgefühls.494


 

 

 

 

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