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6  Wie viel Energie können erneuerbare Quellen liefern?

Und Stürme brausen um die Wette 
vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,
 und bilden wütend eine Kette
 der tiefsten Wirkung ringsumher.

Goethe, Faust, Prolog im Himmel

174-208

Es gibt viel, was mir bei den erneuerbaren Energien missfällt oder — besser gesagt — bei der Industrie, die sie anpreist. 

Aber trotz allen Missfallens erkenne ich die Vorzüge erneuerbarer Energien. Wind, Wellen und Sonne wird es immer geben — jedenfalls solange wir diesen Planeten besiedeln. Weder Herr Putin noch irgendein anderer Energiemonopolist kann sie ausschalten. Keinem Windpark droht je eine Kernschmelze oder ein terroristischer Angriff (ungeachtet moderner Don Quichottes). Die Stilllegung ist billig und ungefährlich. Die zum Bau der heute auf dem Markt angebotenen Anlagen benötigte Energie beträgt nur einen Bruchteil der Energie, die sie produzieren werden,2,3) und sobald sie sich in diesem Sinne amortisiert haben, belasten sie die Atmosphäre nicht mehr mit Kohlendioxid.

Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien mögen zwar ein Landschaftsbild beherrschen, aber das fällt eindeutig weniger ins Gewicht als die Zerstörung der Biosphäre. Doch selbst wenn wir die schädlichen oder kontraproduktiven Aspekte übersähen, gäbe es immer noch genügend Gründe, die Behauptung zu hinterfragen, dass unsere Stromversorgung ganz oder auch nur weitgehend durch erneuerbare Energien gesichert werden sollte. 

Ich hoffe, Sie stellen wieder einmal fest, dass nichts in diesem Bereich einfach ist.

Die erste Frage, die jeder beantworten muss, der sich dafür ausspricht, unsere herkömmlichen Kraftwerke durch erneuerbare Energien zu ersetzen, lautet: Gibt es genug davon? Die Britischen Inseln — umgeben von stürmischen Winden und rauer See — haben die besten Ressourcen in Europa. Aber sogar hier sind Zweifel angebracht, ob die Energie aus diesen Quellen unseren Bedarf decken kann.

Wir verbrauchen jährlich rund 400 Terawattstunden Strom.4) Eine Terawattstunde (TWh) ist die Energiemenge, die mit 1 Billion Joule pro Sekunde eine Stunde lang produziert wird. Das macht die Sache vielleicht nicht wesentlich verständlicher, aber Sie brauchen nur die Vergleichszahlen im Kopf zu behalten. 1999 wurde die Beratungsfirma Energy Technology Support Unit von der britischen Regierung beauftragt auszuarbeiten, über wie viel erneuerbare Energien das Land verfügt.

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Die Tabelle5) zeigt die Zahlen für das, was man als »praktikable Quellen« bezeichnet. Gemeint ist damit die Energie, die zu angemessenen Kosten produziert werden könnte, nachdem verschiedene Einschränkungen (beispielsweise Verzicht auf den Bau von Windanlagen in Nationalparks oder dort, wo der Meeresboden zu weich ist, oder dort, wo Windräder mit Radar oder Zugvögeln in Konflikt kommen könnten) berücksichtigt wurden. Als angemessene Kosten gelten 7 Pence oder weniger pro Kilowattstunde (kWh). Die Kosten unterhalb dieser Grenze zu halten bedeutet, dass die Anlagen nur dort errichtet werden können, wo die Ressourcen konzentriert sind — wo also Wind und Gezeiten stark genug sind — und wo sie dicht stehen können. Denn weit über das Land verstreute Windräder könnten nur zu enorm hohen Kosten mit dem Netz verbunden werden.

Vielleicht fällt Ihnen auf, dass bestimmte Technologien wie Tidenstauwerke (ein Damm über eine Flussmündung) nicht in der Tabelle aufgeführt werden. Das hat damit zu tun, dass die Beratungsfirma sie als praktikable Ressourcen für ungeeignet hielt — worüber ich ziemlich froh bin. Erstaunlicherweise sieht es nun so aus, als könnten wir sogar in der am meisten von Wind und Wellen gebeutelten Nation Europas nur weniger als die Hälfte unseres aktuellen Strombedarfs durch erneuerbare Energien decken.

Inzwischen ist jedoch klar, dass diese Schätzungen bei weitem zu pessimistisch sind. Die Energy Technology Support Unit (ETSU) ist davon ausgegangen, dass keine Änderungen am nationalen Netz vorgenommen werden — doch in Wirklichkeit könnte es in neue Gebiete ausgedehnt werden. Die Kosten für einige Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien sind bereits sehr viel schneller als angenommen gesunken. Das Potenzial für die Nutzung der Wellenkraft wurde zudem nur an fünf Orten untersucht; in Wirklichkeit könnte es über ein sehr viel weiteres Gebiet genutzt werden.

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Energiequelle

Praktikable Ressourcen 2025 (TWh)

Onshore-Wind

8

Offshore-Wind

100

Wellen

53

Gezeiten*

2

Photovoltaik

0,5**

Hydroelektrik

7***

Insgesamt

170,5

* Gezeitenkraftwerke nutzen die freie Strömung mithilfe von Rotoren — im Gegensatz zu einem Tidenstauwerk, wo ein Damm über eine Flussmündung gebaut wird.

** An dieser Stelle ist der Bericht extrem verwirrend. Er beginnt mit der Behauptung, dass »die maximale praktikable Ressource 2025 bei 266 Terawattstunden/Jahr liegt. Die maximale praktikable Ressource schließt ein, dass PV [Photovoltaik] in alle Richtungen angebracht wird«. Das ist - gelinde gesagt - ein exzentrischer Vorschlag: Solarzellen sollen in jeder Himmelsrichtung an den Oberflächen von Gebäuden angebracht werden. Weiter spricht der Bericht dann von einem »technischen Potenzial« von 37 Terawattstunden im Jahr 2025 sowie einem Marktpotenzial von 0,17. Dann erstellt man eine »Ressourcen-Kosten-Kurve«, die zeigt, wie viel Elektrizität zum Preis von 7 Pence oder weniger pro Kilowattstunde produziert werden kann, woraus sich 0,5 Terawattstunden bei einer Discountrate von 8 Prozent ergeben. Das scheint die endgültige Zahl zu sein. Die Royal Commission on Environmental Pollution interpretiert den Bericht in dieser Hinsicht offenbar als pessimistisch, wenn sie erklärt, das ETSU schätze, »dass es bis 2010 keine Photovoltaikquelle zu weniger als 7 Pence pro Kilowattstunde geben wird und nur eine sehr begrenzte (durchschnittliche Leistung von 0,2 GW) bis 2025«. Aber ich kann die Zahl von 0,2 GW (die eigentlich ein Maß für die Kapazität und nicht für die Leistung ist) im ETSU-Bericht nicht finden.

*** 4 Terawattstunden sind schon in Betrieb. ETSU ist der Ansicht, die einzige signifikante verbleibende Ressource, deren Nutzung keine ernsten Probleme verursachen würde, seien 3 Terawattstunden in Schottland.

Quelle: Energy Technology Support Unit

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Im Jahr 2005 veröffentlichte die Regierung eine Abhandlung unter dem Titel Offshore Renewables — The Potential Resource und nannte darin eine Zahl für etwas, was sie als »Potenzial für die Offshore-Windkraft-Elektrizität in ausgewählten strategischen Regionen« bezeichnete. Es wird auf 3213 Terawattstunden geschätzt, mehr als das Achtfache unseres gesamten Strombedarfs.6 Noch erstaunlicher ist die Feststellung, dass die »ausgewählten strategischen Regionen« alle vor der Küste Englands liegen: Die Küstengewässer vor Schottland, Nordirland und Wales werden nicht berücksichtigt, obwohl der Wind dort gewöhnlich stärker weht (aber weil das Wasser meist tiefer und der Seegang rauer ist, lassen sich Windräder dort schwerer installieren).

Die Abhandlung erklärt nicht, wie viel von dieser »potenziellen Ressource« eine »praktikable Ressource« werden könnte. Aber wahrscheinlich dürften es zwischen 5 und 10 Prozent sein. Wenn wir also unseren Bedarf um 25 Prozent senken könnten — von gegenwärtig 400 auf 300 Terawattstunden pro Jahr —, würde die Offshore-Windenergie allein uns genug Strom liefern, um unseren Bedarf mindestens zur Hälfte und vielleicht sogar vollständig zu decken.

Die neuen Schätzungen der Regierung liegen unter anderem deshalb so viel höher, weil die Offshore-Windräder jetzt schon größer sind, als die ETSU erwartete. Die ETSU ging davon aus, jede Turbine würde eine Kapazität von 1,5 Megawatt haben, während die Regierung bei ihren Berechnungen 3 Megawatt zugrunde legte. Tatsächlich werden Turbinen dieser Größe jetzt schon installiert. 

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Einige Leute erwarten, dass wir bis 2030 in der Lage sein könnten, Windräder mit einer Leistung von 10 Megawatt zu bauen.7) Aus demselben Grund können wir die Zahlen der ETSU für die Onshore-Windkraft als zu niedrig betrachten, denn sie gehen davon aus, dass die an Land errichteten Windräder eine Kapazität von nur 600 Kilowatt haben.8) Aber auf unseren Hügeln stehen heute schon einige Geräte mit 2 Megawatt Kapazität. Das scheint jedoch die maximale Größe für Onshore-Turbinen zu sein, weil es keine Transportmöglichkeit für größere Rotorblätter gibt.

Die ETSU ist auch davon ausgegangen, dass kein Windrad tiefer als 40 Meter im Wasser stehen könnte. Die Regierung meint jedoch, sie könnten bis zu einer Wassertiefe von 50 Metern auf dem Meeresboden verankert werden und auch sehr viel weiter vom Land entfernt sein. Wenn man einen sehr großen Windpark nicht 20, sondern 100 Kilometer vom Strand entfernt baute, dann würden, so heißt es in der Abhandlung, die zusätzlichen Kosten für den Anschluss ans nationale Netz die Kosten für das Gesamtprojekt um lediglich 5 Prozent erhöhen: »Es ist deshalb wahrscheinlich, dass sich die Industrie für Standorte entscheidet, die deutlich außerhalb der territorialen Gewässer liegen, vielleicht sogar bis zu 100 Kilometer vor der Küste.«9) 

 

Obwohl nicht ausdrücklich die Rede davon ist, hat die Regierung anscheinend etwas entdeckt, auf was auch ich aufmerksam geworden bin: Gleichstrom-Hoch­spannungs­leitungen, die nach meiner Überzeugung die Welt verändern könnten.

Durch die ersten von Thomas Edison entwickelten Stromnetze floss Gleichstrom, aber die Spannung war niedrig. Das bedeutete, dass die Versorgung auf kurze Entfernungen von maximal etwa 2 Kilometer beschränkt war. Wechselstrom konnte mit einer höheren Spannung erzeugt und verteilt werden, und so wurde er fast überall zur Grundlage der Elektrizitätsversorgung. 

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Die Leitungsmasten, von denen wir alle abhängig sind und die wir alle verabscheuen, sind — fast ausnahmslos — Hochspannungs-Wechselstrommasten. Aber die Entwicklung von Hochspannungsventilen und wesentlich leichteren Kabeln, mit deren Hilfe man Gleichstrom über weite Strecken befördern kann, ändert die Sache gründlich.

Die Installation einer Gleichstrom-Hochspannungsleitung ist zunächst einmal sehr viel teurer als die einer Wechselstrom-Hochspannungsleitung. Wenn man darüber Strom ins Netz einspeist, ist der anfängliche Verlust größer.10 Aber je weiter der Übertragungsweg ist, desto besser schneidet die Gleichspannung ab. Gleichspannungsmasten sind kleiner, sodass für die Übertragung weniger Grund und Boden benötigt wird (und der Anblick ist bei weitem nicht so hässlich). Aus einer Darstellung der Weltbank geht hervor, dass die Kosten für Wechselstrom ab etwa 650 Kilometer höher sind als für Gleichstrom.11)

Diese Entfernung sinkt rasch, denn die Kosten für Gleichstromsysteme fallen, während die Kosten für Wechselstromsysteme (wegen ihrer negativen Auswirkungen auf die Umwelt und des hohen Landbedarfs) steigen. Die Weltbank behauptet, neue Gleichstromkabel aus stranggepresstem Polyäthylen könnten schon bei einer Entfernung von nur 60 Kilometern ökonomisch sinnvoll sein.12) Am wichtigsten ist jedoch: Auch wenn der anfängliche Elektrizitätsverlust in einem Gleichstromkabel höher ist, wächst er nicht mit der Entfernung. Beim Wechselstrom verliert man dagegen umso mehr, je länger die Leitung ist. Es gibt keine technisch bedingte Grenze für die Länge eines Gleichstromkabels. Schon jetzt gibt es in der Demokratischen Republik Kongo eine Leitung, die 1700 Kilometer lang ist.13) 

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Das bedeutet, dass wir unsere Elektrizität aus einem sehr viel weiteren Umkreis als vorher beziehen können. Hochspannungsgleichstrom, der in einer Leitung über den Meeresboden befördert werden kann, eröffnet die Möglichkeit, Windräder überall dort zu installieren, wo das Wasser nicht tiefer als 50 Meter ist, und so ziemlich den gesamten Kontinentalschelf für Anlagen zu nutzen, die Strom aus der Wellenkraft gewinnen und (weil sie im Wasser treiben) sehr viel tiefer verankert werden können. Da die Windgeschwindigkeit pro 100 Kilometer Entfernung von der Küste um etwa 1 Meter pro Sekunde steigt,14) könnten folglich die Kosten für Strom aus erneuerbaren Energiequellen mit der Entfernung von der Küste sinken.

Offshore-Windkraft ist gegenwärtig teurer als Windenergie, die an Land gewonnen wird; aber die Kostendegression, die sich bei einem massiven Ausbau in Verbindung mit Langstreckenkabeln ergeben würde, könnte die Preise rasch fallen lassen: Eine Schätzung geht von 40 Prozent innerhalb von zehn Jahren aus.15 Und ab einer bestimmten Entfernung von der Küste würde der Anblick von Windparks nur noch die Fischer stören. Außerdem könnte man weiter draußen auf dem Meer Windräder installieren, die sich schneller drehen (und deshalb mehr Lärm machen, aber auch effizienter sind), ohne dass sich irgendjemand darüber aufregen würde.16) 

Aber es sind nicht nur Wind und Wellen, die wir langfristig zur Stromerzeugung nutzen könnten. Im Augenblick ist die Verfügbarkeit von Sonnenenergie umgekehrt proportional zur Dichte der Besiedlung unseres Planeten. Besonders reichlich und zuverlässig scheint die Sonne in der Wüste. 

Jahrelang haben gewitzte Umweltschützer uns gesagt, der in der Sahara erzeugte Solarstrom könnte ganz Europa versorgen, die Wüste Gobi könnte China mit Strom beliefern und andere Wüstengebiete wie Chihuahuan, Sonora, Atacama und Great Victoria ihre jeweiligen Kontinente.

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Diese Leute galten als Spinner, aber durch die Entwicklung billiger Gleichstromkabel könnten sie am Ende doch noch recht behalten.

Es gibt verschiedene Technologien mit dem Potenzial, an besonders sonnigen Orten billigen Strom zu erzeugen. In einem Fall gehört dazu die Massen­produktion von Solarzellen, wie sie manche Leute als kleine Module auf ihren Dächern installieren. In diesem geringen Umfang und in unseren nördlichen Breiten ist Solarstrom — und das bleibt wahrscheinlich auch so — teurer als fast jede andere Art von Elektrizität. Aber große Photovoltaikanlagen in der Wüste haben das Potenzial, einen Rationalisierungseffekt herbeizuführen, den es bisher nicht gab. 

Vielleicht noch vielversprechender ist eine Technologie, die man »Solarthermie« nennt.

Man kann eine reflektierende Fläche benutzen, um die Sonnenhitze auf ein Rohr zu konzentrieren, das Wasser oder eine andere Flüssigkeit enthält. Dabei erreicht die Temperatur des Wassers ungefähr 400 Grad, und der Dampf treibt einen Motor an, der Strom erzeugt.17 Kraftwerke in Südkalifornien nutzen diese Technologie schon seit Anfang der achtziger Jahre. Ihre Leistung kostet 12 bis 15 US-Cent pro Kilowattstunde.18 Zu Zeiten des höchsten Stromverbrauchs in Südkalifornien kostet die Elektrizität jetzt 10 bis 18 Cent.19 (Wegen der Klimaanlagen ist der Verbrauch dann am höchsten, wenn die Sonne besonders heiß scheint, sodass die maximale Leistung der Solarenergie mit dem maximalen Verbrauch zusammenfallt.) Ähnliche Systeme gibt es inzwischen in Spanien, Italien, Marokko, Indien, Mexiko und verschiedenen anderen Ländern.

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Alternativ kann man auch Spiegel benutzen, um das Sonnenlicht auf einen zentralen Empfänger zu richten. Die Spiegel lenken die Sonnenstrahlen und konzentrieren ihre Hitze auf eine kleine Keramikplatte, die an einem Turm in ungefähr 100 Metern Höhe angebracht ist. Die Platte erreicht eine Temperatur von etwa 1000 Grad und erzeugt auch wieder Dampf, der eine Turbine antreibt.20 Eine Demonstrationsanlage arbeitet bereits in Spanien. Mit derart hohen Temperaturen sollte es möglich sein, einen Teil der von der Anlage erzeugten Energie in Form von geschmolzenem Salz zu speichern, aus dem sich Elektrizität auch dann gewinnen ließe, wenn die Sonne nicht scheint.21 

Ein wieder anderes System, das ebenfalls schon in Spanien getestet wurde, nutzt die Sonnenhitze, um Luft durch Turbinen in einen hohlen Turm zu treiben. Die australische Regierung hat großes Interesse an einem solaren »Power-Tower« gezeigt, der im Outback nördlich von Melbourne ungefähr 1 Kilometer in die Luft ragt.22 Aber ich vermute, dieses Interesse hat mehr damit zu tun, dass es sich bei diesem Turm um das höchste Gebäude der Welt handelt, und weniger mit den kommerziellen Chancen des Projekts, die gegenwärtig noch nicht nachweisbar sind.

Die Internationale Energieagentur (IEA) geht von folgender Kalkulation aus: Wenn Photovoltaikmodule die größten Wüsten der Welt zu 50 Prozent bedeckten, dann würden sie das Achtzehnfache der Energie produzieren, die wir gegenwärtig weltweit verbrauchen — und das bedeutet 216-mal so viel Elektrizität (nach IEA-Angaben werden weltweit 200.000 Terawattstunden Energie verbraucht,23 wovon 16 742 auf Elektrizität entfallen24).25 Anders ausgedrückt: Vorausgesetzt, die Leute verbrauchten lediglich dann Strom, wenn die Sonne scheint, müsste man nur 0,23 Prozent der Landfläche mit Photovoltaikmodulen bedecken, um den Bedarf zu befriedigen. 2003 ging die IEA davon aus, dass dieser Strom 9 bis 11 US-Cent pro Kilowattstunde koste und dieser Preis bis 2010 um ein Viertel bis die Hälfte falle.20)

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Der Einsatz von Langstreckenkabeln ist besonders deshalb interessant, weil es dadurch möglich wird, gleichzeitig Strom aus verschiedenen Regionen zu erhalten. Somit wird die Versorgung mit erneuerbaren Energien sehr viel zuverlässiger, als sie es sonst sein würde. Denn es könnte ja in der Nordsee gerade eine Flaute geben, während 100 Meilen vor der irischen Küste eine steife Brise weht. Und wenn die Sonne in der östlichen Sahara untergeht, dann scheint sie in der westlichen noch mit voller Kraft. Langstreckenkabel und die Erschließung neuer Stromquellen könnten uns auch helfen, die größte Einschränkung zu überwinden, die uns bei der Nutzung von Umweltenergien Grenzen auferlegt — die Tatsache, dass sie nicht kontinuierlich zur Verfügung stehen.

Ich habe die Kostensenkungen erwähnt, die sich als Folge der Massenproduktion ergeben könnten. Aber in anderer Hinsicht ist die Kostenentwicklung bei den erneuerbaren Energien sehr seltsam: Je mehr es davon gibt, desto teurer wird eine ihrer Komponenten.

Im Kern geht es um das Problem, dass der Wind nicht ständig weht und nicht immer genügend Wellengang herrscht. Anders als Kraftwerke, die Strom mithilfe fossiler Brennstoffe erzeugen, können wir erneuerbare Energien nicht beliebig ein- und ausschalten. Wenn wir unsere gesamte Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umstellten, ohne gleichzeitig über ausreichend Möglichkeiten zur Energiespeicherung zu verfugen, dann würde das Stromnetz jedes Mal zusammenbrechen, wenn der Wind oder der Wellengang nachlässt. Folglich brauchen wir also zusätzlich zu den erneuerbaren Energien andere Stromquellen.

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Alle Systeme zur Erzeugung von Elektrizität haben Reservekapazitäten. Wenn eine Dampfturbine ausfällt, ein Transformator versagt oder wenn der Bedarf plötzlich unerwartet ansteigt, dann kann eine zusätzliche Anlage, die entweder gar nicht arbeitet oder nur mit halber Kraft produziert, kurzfristig hochgefahren werden, um die Lücke zu füllen. In Großbritannien beispielsweise, wo der maximale Strombedarf 62,7 Gigawatt Kraftwerkskapazitäten erfordert, verfugen wir über potenzielle 75,5 Gigawatt.27 (Allerdings kann nur ein Teil dieser Reservekapazität genutzt werden, weil dazu auch stillgelegte Kraftwerke gehören.)

Die wechselhafte Natur von Wind und Wellen und anderen erneuerbaren Energiequellen bedeutet, dass wir vielleicht entsprechende Kapazitäten für viele Gigawatt schaffen, aber bei ihrem Einsatz nicht im gleichen Umfang herkömmliche Kraftwerke stilllegen können. Wir werden die Kosten für ihre Erhaltung tragen und in Zukunft sogar — wenn die Betriebszeit der alten Kraftwerke ausläuft — neue Anlagen bauen müssen, deren hauptsächlicher Zweck darin besteht, als stille Reserve für den Fall verfügbar zu sein, dass Wind und Wellen vorübergehend nicht genügend Strom liefern. Je mehr Anlagen wir bauen, die erneuerbare Energien nutzen, desto größer werden die Auswirkungen auf das Netz, wenn Wind und Wellen als Energielieferanten nicht ausreichen. Also können wir für jedes zusätzliche Gigawatt aus erneuerbaren Energien nur einen kleineren Anteil konventioneller Kraftwerke stilllegen.

Wenn wir beispielsweise Windparks für 8 Gigawatt errichten, dann könnten wir dafür konventionelle Kohle- oder Gaskraftwerke im Gegenwert von ungefähr 3 Gigawatt vom Netz nehmen.28 Wenn wir 25 Gigawatt mithilfe von Windkraft erzeugen (das wären dann ungefähr 20 Prozent unseres Strombedarfs), könnten wir nur aufs Gigawatt aus konventionellen Kraftwerken verzichten.29 

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Über diesen Punkt hinaus könnten wir für eine beliebige Zahl neuer Windräder nur noch sehr wenige alte Kraftwerke vom Netz nehmen.30 Graham Sinden vom Environmental Change Institute aus Oxford hat gezeigt, dass eine zuverlässigere Mischung — Wind-, Wellen- und Gezeitenkraftwerke statt nur Windräder — es ermöglichen würde, die Rate bei der Stilllegung konventioneller Kraftwerke etwas zu erhöhen: Für je 26 Gigawatt aus erneuerbaren Energien könnten wir konventionelle Anlagen im Gegenwert von 6 Gigawatt vom Netz nehmen.31 Wenn wir 30 Prozent unseres Strombedarfs aus erneuerbaren Energien decken wollten, dann würde das zusätzliche Kosten von 330 bis 920 Millionen Pfund verursachen.32 Der größte Teil dieser Zusatzkosten würde auf den Posten »Ausgleich und Kapazitätsreserve« entfallen, also dafür verbraucht werden, dass die alten Kraftwerke erhalten bleiben und bei Bedarf hochgefahren werden. Ein Bericht des UK Energy Research Centre geht gleichwohl von folgender Annahme aus: Wenn 20 Prozent unseres Strombedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt würden, dann wären die zusätzlichen Systemkosten durch eine massive Erhöhung der Zahl von Windrädern wahrscheinlich weitaus geringer als die Kostenersparnis im Rahmen der Massenproduktion.33) 

Und was wäre jenseits von 20 oder 30 Prozent? Kaum jemand scheint diese Frage auch nur zu stellen. Warum das so ist, habe ich noch nicht ergründen können. Die Royal Commission on Environmental Pollution klagt, dass »es anscheinend bisher noch keine Forschung« darüber gibt, wie viel Prozent erneuerbarer Energien das Netz aushält, »weder vonseiten der Netzbetreiber noch von irgendeiner anderen Institution«.34

Ich vermute, die Forscher gehen deshalb nicht über 20 bis 30 Prozent hinaus, weil niemand sie bisher darum gebeten hat. Die wissenschaftliche Untersuchung der Reduktion von Kohlendioxidemissionen in den reichen Nationen wird durch die Regierungspolitik vereitelt. 

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Regierungen (die das meiste Geld für Forschungsprojekte zur Verfügung stellen) setzen Ziele (in Großbritannien sind das 20 Prozent erneuerbare Energien bis 2020) und beauftragen dann Leute herauszufinden, wie sich diese Ziele am besten erreichen lassen. Sie beauftragen niemanden herauszufinden, ob diese Ziele richtig sind oder in irgendeinem Bezug zu technischen und wirtschaftlichen Grenzen stehen. Jenseits von 20 oder 30 Prozent tappen wir somit im Dunkeln.

Der Bau von weiteren Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien wird uns also nicht erlauben, die meisten unserer konventionellen Kraftwerke vom Netz zu nehmen. Aber das bedeutet keineswegs, dass unsere verbleibenden thermischen Anlagen genauso viel fossile Brennstoffe verheizen werden wie heute. Kraftwerke, die überwiegend der Versorgungssicherheit dienen, werden nur dann hochgefahren, wenn der Bedarf groß ist und der Wind nachlässt.

Die Kraftwerke, die am schnellsten reagieren und deren kurzfristiger Einsatz am wenigsten kostet, verbrennen entweder Kohle oder Gas in einer Turbine mit »offenem Prozess«.35 In beiden Fällen handelt es sich um eine effiziente Art der Stromerzeugung, sodass die Kohlenstoffbilanz der Windenergie nur wenig ungünstiger ausfällt als ohne die vorübergehende Zuschaltung der Kraftwerke. Außerdem wird man die meisten Anlagen in »Teillast« betreiben können. Das bedeutet, dass sie mit einer verringerten Kapazität laufen, aber jederzeit fast augenblicklich die volle Leistung liefern können. Kraftwerke unter Teillast sind 10 bis 20 Prozent weniger effizient als solche, die unter voller Last laufen.36

Die Royal Commission on Environmental Pollution erklärt: »Obwohl die volle Kapazität dieser [unterstützenden] Kraftwerke wesentlich ist, würde sie doch nur selten genutzt, und die sich daraus ergebenden zusätzlichen Kohlendioxidemissionen würden die britische Gesamtbilanz deshalb nicht stark belasten.«37

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Weil aber keine Beiträge aus erneuerbaren Energien über 20 Prozent hinaus berücksichtigt werden, wissen wir nicht, ob diese Aussage auch noch zutreffend wäre, wenn wir beispielsweise 50 Prozent unseres Strombedarfs aus erneuerbaren Energien deckten. Ein Aufsatz, der in der Zeitschrift Energy Policy veröffentlicht wurde, geht etwas mehr ins Detail:

Bei einer konservativen Schätzung von 10 Prozent für die verringerte Effizienz [von Kraftwerken unter Teillast] ... werden die durch Windenergie eingesparten Emissionen um etwas mehr als 1 Prozent reduziert. Das gilt bei einer 20-prozentigen Einsparung fossiler Brennstoffe durch den Einsatz von Windenergie.38

Fast 99 Prozent der durch Windkraft erzeugten Elektrizität wären demnach frei von Kohlendioxidemissionen. Aber auch das beantwortet nicht unsere Frage, was jenseits von 20 Prozent passiert.

Ist diese Einschätzung zuverlässig? 

In einem Artikel, der in der Zeitschrift Civil Engineering veröffentlicht wurde, betont der Energieberater Hugh Sharman, dass die Prognostiker gegenwärtig nicht in der Lage sind, die Windgeschwindigkeiten des folgenden Tages mit einer Genauigkeit von mehr als 1,5 Meter pro Sekunde vorherzusagen.39 Aber für die Leistung einer Turbine ist es ein erheblicher Unterschied, ob die Windgeschwindigkeit 7,5 oder 9 Meter beträgt: Sharman geht davon aus, dass dieser Unterschied einer Leistungsdifferenz von 21 Prozent der Gesamtkapazität zur Stromerzeugung entspricht.

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Weil die Windgeschwindigkeit nicht vorhersagbar ist, so argumentiert er, muss eine große Zahl konventioneller Kraftwerke in Bereitschaft gehalten werden, damit die nationale Stromversorgung jederzeit gesichert bleibt. Für Großbritannien sei es deshalb nicht sinnvoll, mehr als 10 Gigawatt durch Windkraft zu erzeugen.40

Ich habe mir seine Behauptungen genauer angesehen und festgestellt, dass sie unmöglich stimmen können. Die Leistung eines einzelnen Windrades — die in der Tat ziemlich ungleichmäßig sein kann — hat wenig Bezug zu der sehr viel gleichmäßigeren Leistung sämtlicher Turbinen, die ans Netz angeschlossen sind. Er hat den sensibelsten Bereich für die Leistung eines Windrades ausgewählt: Bei höheren oder niedrigeren Windgeschwindigkeiten wirken sich 1,5 Meter pro Sekunde sehr viel weniger auf die Energieproduktion aus. Wichtiger noch: Windvorhersagen, die einen Tag im Voraus gemacht werden, haben wenig Bedeutung für die Anpassung des Netzes an den aktuellen Bedarf, der sich sehr viel kurzfristiger ändert. In Großbritannien werden Vorhersagen für die folgende Stunde gemacht, und die Fehlerquote ist im Allgemeinen sehr gering.

Die Kosten für die Elektrizität aus Windparks hängen ebenso wie die Kosten für alle anderen Energiearten davon ab, wer die Berechnungen durchgeführt hat: Die Frage ist nicht nur eine ökonomische, sondern genauso eine politische. Der durchschnittliche Erzeugerpreis für Elektrizität aus konventionellen Kraftwerken lag Ende 2004 bei 2,1 und Ende 2005 bei 3,6 Pence.41 Die Tabelle zeigt einige Schätzungen für den Bau von Turbinen, die Aufstellung, die Verbindung mit dem Netz und die Verfügbarkeit von Ausgleichskapazitäten.

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Quelle

Onshore-Wind

Offshore-Wind

 

pro kWh

pro kWh

Performance and Innovation

1,5-2,5 Pence

2-3 Pence

Unit, 10 Downing Street -

 

 

in 202042

 

 

International Energy Agency -

3-7 US-Cent

7-12 US-Cent

heute43

(1,7-4 Pence)

(4-7 Pence)

Performance and Innovation

2,5-3 Pence

5-6 Pence

Unit, 10 Downing Street -

 

 

heute44

 

 

Sustainable Development

3,2 Pence

5,5 Pence

Commission - heute45

 

 

Royal Academy of Engineering -

4,8 Pence

6,3 Pence

»in Zukunft«*46

 

 

Royal Academy of Engineering -

5,4 Pence

7,2 Pence

heute47

 

 

* Ein genauer Zeitpunkt wird nicht angegeben.

 

Das Büro des britischen Premierministers sagt vorher, dass Elektrizität aus Gas im Jahr 2020 zwischen 2 und 2,3 Pence kosten wird, Elektrizität aus Kohle dagegen zwischen 3 und 3,5 Pence.48 Das könnten niedrige Schätzwerte sein, weil die Erzeugerpreise seit der Veröffendichung des Berichts 2002 erheblich gestiegen sind. Jedenfalls wird, wenn man den Zahlen glauben darf, die Onshore-Windkraft im Jahr 2020 den billigsten Strom liefern, während die Offshore-Windkraft weitgehend mit konventionellen Kraftwerken konkurrieren kann. Die Wissenschaftler, mit denen ich gesprochen habe, blieben dabei, dass die Zahlen der Royal Academy nicht durch andere Studien gestützt werden und dass die meisten Analysten sie für stark überhöht halten.

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Offshore-Windräder produzieren zwar stetiger als Onshore-Turbinen, aber ihre Installation ist auch teurer. Ein Windrad auf dem Meeresboden zu verankern kostet mehr, als es an Land aufzustellen. Die elektronische Ausrüstung muss vor Salzeinwirkung geschützt werden, und das Verlegen von Kabeln unter Wasser ist teurer als der Bau von Überlandleitungen. Aber die Kosten für Offshore-Windkraft werden schneller fallen als die für Onshore-Anlagen.49

Wellen- und Gezeitenenergie werden wahrscheinlich teurer bleiben als die Windkraft, wie aus der nächsten Tabelle zu entnehmen ist.

Quelle

Wellen

Gezeiten

 

pro kWh

pro kWh

Performance and Innovation

3-6 Pence

 

Unit, 10 Downing Street -202050

 

 

JakeChapman und Robert Gross - 20125'

4-5 Pence

4-5 Pence

JakeChapman und Robert Gross - »kurzfristig«*52

4,5-6 Pence

4,5-6 Pence

Performance and Innovation

4-8 Pence

4-8 Pence

Unit, 10 Downing Street -»erste kommerzielle Anlage«53

 

 

Royal Academy of Engineering -»in Zukunft«*54

5,7 Pence

5,7 Pence

Royal Academy of Engineering -heute55

6,6 Pence

6,6 Pence

* Die Academy hat die Kosten der Stand-by-Elektrizität für diese Art der Stromerzeugung nicht berechnet, weil sie nicht erwartet, dass Wellen- und Gezeitenkraftwerke in größerem Umfang eingesetzt werden.

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In einer Hinsicht könnten die zusätzlichen Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien übertrieben sein. Wie jedes entwickelte Land verfügt Großbritannien über eine große Reserve an Stand-by-Kapazitäten, die auch weiterexistieren wird, die man aber selten in die offiziellen Zahlen einbezieht. Dabei handelt es sich um die Notaggregate von Krankenhäusern, Armeebaracken, Polizeistationen, Flughäfen, Bürogebäuden und Fabriken.56 Sie kommen zum Einsatz, wenn das Netz zusammenbricht. Insgesamt liegt das Potenzial dieser unsichtbaren Reserve irgendwo zwischen 1257 und 20 Gigawatt.58 Mit anderen Worten: Wir haben 16 bis 26 Prozent mehr Kraftwerkspotenzial, als die Regierungszahlen angeben, also nicht 75,5, sondern 87,5 oder 95,5 Gigawatt. Wenn der höhere Wert korrekt ist und man diese Reserve beim Ausfall der erneuerbaren Energien voll einsetzen könnte, hätten wir schon genug Stand-by-Kapazitäten für die 20 Prozent Strom aus Wind-, Wasser- und Gezeitenenergie, wie Graham Sinden sie beschreibt.59

National Grid Transco, die Firma, welche die Elektrizität in den Leitungen hält, nutzt bereits einen kleinen Teil dieser versteckten Kapazität. Sie hat mit einigen Leuten, denen diese Generatoren gehören, eine Vereinbarung über eine »stehende Reserve«, die besagt, dass sie 20 Minuten nach dem Empfang eines bestimmten Signals beginnen müssen, Strom in das Netz einzuspeisen.60) Das lässt sich ziemlich leicht bewerkstelligen, weil ein Dieselgenerator innerhalb von 20 Sekunden nach dem Kaltstart seine volle Leistung erreichen kann. Wessex Water berichtet, dass es sich dieser Vereinbarung angeschlossen hat, »hauptsächlich, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass Stand-by-Generatoren im Notfall nicht zuverlässig funktionieren, wenn sie nicht mindestens einmal im Monat unter Volllast getestet werden«.61) Soweit ich sehe, gibt es theoretisch keinen Grund, warum nicht

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auch die anderen Notaggregate des Landes für denselben Zweck eingesetzt werden können. Da sie schon existieren und aus anderen Gründen weiter existieren müssen, könnte ihr Einsatz die Kapitalkosten der Stand-by-Energie erheblich reduzieren. Allerdings haben sie den Nachteil, dass ihre Energieeffizienz wesentlich geringer ist als die großer Kraftwerke, was aber dadurch etwas ausgeglichen wird, dass sie schneller reagieren. Da diese Notaggregate wahrscheinlich nur für kurze Einsatzzeiten benötigt werden, ist der höhere Verbrauch an Brennstoffen jedoch nicht signifikant.

Eine andere Möglichkeit zur Kostensenkung besteht darin, die Energien aus der Umwelt zuverlässiger zu machen. Das klingt lächerlich: Entweder weht der Wind oder er weht nicht. Aber das gilt im Allgemeinen immer nur für einen bestimmten Ort. Je größer die Zahl der Regionen ist, in denen man Windräder aufstellt, desto größer sind die Chancen, dass sich bei einigen von ihnen die Flügel drehen. Die Beratungsfirma Oxera hat weniger als die Hälfte der in Großbritannien für die Windenergie geeigneten Regionen untersucht* und dabei festgestellt, dass es in jedem Jahr durchschnittlich nur 23 Stunden gibt, in denen der Strombedarf hoch ist, während die Windräder weniger als 10 Prozent ihrer maximalen Leistung produzieren.62) Graham Sinden hat das Wetter in ganz Großbritannien untersucht: »Zwischen 1970 und 2003 gab es nicht eine einzige Stunde, geschweige denn einen Tag oder eine Woche, wo der Wind nicht irgendwo wehte.«63

Wenn die Windparks 1000 Kilometer voneinander entfernt liegen, gibt es bei ihren Leistungen nur eine Korrelation von 10 Prozent. Anders gesagt: Es besteht eine Chance von 90 Prozent, dass die Windgeschwindigkeit an beiden Orten verschieden ist.64)

* Berücksichtigt wurde der Offshore-Wind in Wash, in der Themsemündung und im Nordwesten sowie der Onshore-Wind in Schottland.

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Gleichstrom-Hochspannungsleitungen haben unter anderem den Vorteil, dass sie die Menge der Kraftwerke reduzieren könnten, die man in Bereitschaft halten muss, falls die erneuerbaren Energien nicht genügend Strom liefern. Denn durch den Einsatz dieser Leitungen steigt die Zahl der Regionen enorm, in denen man Energie aus Wind und Wellen gewinnen könnte. Wie schon erwähnt wurde, zeigt Sindens Arbeit auch, dass erneuerbare Energien zuverlässiger sind, wenn sie nicht alle aus einer Quelle stammen. Die Gezeiten sind unabhängig von der Windgeschwindigkeit, und die Wellen rollen noch lange, nachdem der Wind sich gelegt hat. (Sinden zeigt, dass die Korrelation zwischen der Leistung der Windenergie und der Leistung der Wellenkraft nur 42 Prozent beträgt.65)

Aber während die Menge der zur Verfügung stehenden erneuerbaren Energien steigt und ihre Zuverlässigkeit wächst, begegnen wir der gegenteiligen Gefahr: Der Überfluss schafft seine eigenen Probleme. Wenn der Strombedarf bei hohen Windgeschwindigkeiten niedrig ist, dann müssen die Windräder abgeschaltet werden, damit die Frequenz des Wechselstroms im Netz (vorausgesetzt, wir nutzen immer noch Wechselstrom) nicht die Grenzen überschreitet. Das sieht auf den ersten Blick nach Energieverschwendung aus. Aber vielleicht bietet sich hier auch die Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

Derzeit gibt es nur eine einzige Möglichkeit, wie wir Elektrizität einigermaßen effizient langfristig speichern können, und das ist der Prozess, den ich in Kapitel 5 beschrieben habe: Das Wasser wird von einem niedrig gelegenen Reservoir in ein höher gelegenes gepumpt und bleibt dort, bis der Bedarf akut steigt. Die Energieverluste bei diesem Speicherverfahren liegen zwischen 20 und 25 Prozent,66 verglichen mit Verlusten von 60 Prozent oder mehr bei möglichen Alternativen.*

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Der Bau des Reservoirs von Dinorwig in Nordwales hat, auf heutige Preise umgerechnet, 1,6 Milliarden Pfund gekostet.67 Da es jedoch eine sehr lange Lebensdauer hat, sind die jährlichen Kosten eigentlich recht gering. Wenn es möglich wäre, weitere Pumpspeichersysteme zu bauen, um überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien zu nutzen, wären ihre Betriebskosten sehr gering, denn die Elektrizität, die anderenfalls verschwendet würde — kostet effektiv nichts. Gleichzeitig könnten solche Anlagen viele der Probleme lösen, die durch die nichtkontinuierliche Verfügbarkeit von Wind-, Wellen- und Gezeitenenergie bedingt sind: Wenn der Wind nachlässt, können die Stautore geöffnet werden. Und in diesem Fall würden keine Kohlendioxidemissionen entstehen.

Können wir also weiter Pumpspeichersysteme bauen? 

Das House of Lords erklärt: »Der Rahmen für den Bau weiterer Pumpspeichersysteme in Großbritannien wird durch dieselben Faktoren beschränkt, die auch den Ausbau konventioneller Wasserkraftwerke begrenzen.«68 Aber das leuchtet mir nicht ein. Die Grenzen für konventionelle Wasserkraftwerke sind festgelegt durch die Verfügbarkeit von Flüssen, die rasch bergab fließen. Aber für ein Pumpspeichersystem braucht man keinen Fluss, sondern nur eine Senke am Hang eines Berges und eine weitere unten im Tal. Wenn man über beide kleine Dämme baut, hat man alles, was man für ein Wasserkraftwerk braucht. Noch einfacher ist die Sache, wenn eine der beiden Senken bereits Wasser enthält — ein natürliches Phänomen, das man gemeinhin als »See« bezeichnet.

* Zum Beispiel die Kompression von Luft in unterirdischen Höhlen und die Elektrolyse von Wasser zur Herstellung von Wasserstoff. Andere Speichermöglichkeiten wie Flow-Batterien, Schwungräder oder superleitende magnetische Energie eignen sich nur für kürzere Zeiträume.

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Die Royal Commission on Environmental Pollution nennt einen plausibleren Einwand: »Wegen der Auswirkungen ... auf Landschaft und wild lebende Tiere ist es unwahrscheinlich, dass sich akzeptable Standorte dafür finden.«69 Dieses Problem ist ernst zu nehmen. Die Dämme und Kabel würden sicher das Landschaftsbild beeinträchtigen. Aber angesichts der zahlreichen Berghänge, die durch Überweidung schwer geschädigt sind, bin ich nicht davon überzeugt, dass die Auswirkungen auf die wild lebenden Tiere in jedem Fall gravierend wären.

Der besondere Reiz ist für jeden offensichtlich, der eine Windkarte der Britischen Inseln betrachtet: Das größte Potenzial zur Erzeugung von Strom aus Windkraft liegt vor der schottischen Nordwestküste. Im Nordwesten Schottlands gibt es zahlreiche Berge, einige davon ganz in der Nähe von Orten, wo die Kabel an Land kommen würden. Das bedeutet, dass kaum irgendwelche Übertragungsnetze nötig wären. Aber weil diese Idee bisher noch nicht öffentlich diskutiert wurde und sich noch niemand Gedanken darüber gemacht hat, welche Berge geeignet und welche Auswirkungen zu berücksichtigen wären, möchte ich das hier nicht als konkreten Vorschlag verstanden wissen. Wir sollten jedoch beginnen, darüber zu diskutieren.

Es gibt eine weitere Möglichkeit, die Zuverlässigkeit des Systems zu erhöhen. Sie besteht darin, die Art und Weise zu ändern, wie die Leute den Strom nutzen. Wenn wir bei nachlassendem Wind weniger Elektrizität verbrauchten, dann müssten wir auch weniger Reservekraftwerke bereithalten, und das Risiko, dass das Netz zusammenbricht, wäre geringer. Aber wie in aller Welt lässt sich das bewerkstelligen?

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Mehrere Autoren haben vorgeschlagen, dass Geräte, die nicht ständig Strom benötigen — beispielsweise Kühlschränke —, so konstruiert werden sollten, dass sie sich bei steigendem Gesamtbedarf selbst vom Netz nehmen.70-72) Wenn mehr Licht eingeschaltet wird, etwa an einem Winterabend, dann würden Kühlschränke und Waschmaschinen sich selbst ausschalten. Sie könnten automatisch auf Veränderungen der Stromfrequenz reagieren. Wenn die Frequenz sinkt (weil es nicht genügend Strom im Netz gibt), schalten sie sich aus. Wenn die Frequenz steigt, schalten sie sich wieder ein. Das würde die großen Bedarfsspitzen verringern, welche die Stromversorger zwingen, so viel Reservekapazitäten bereitzuhalten. Außerdem könnte man damit auf die unregelmäßige Verfügbarkeit erneuerbarer Energien reagieren. Bei hohem Strombedarf, aber gleichzeitig schwachem Wind, könnten einige unserer Geräte sich selbst ausschalten. Bei geringem Strombedarf und starkem Wind könnten Speicherheizungen, Akkuladegeräte und Elektrolyseure sich selbst einschalten. Das wäre eine Antwort auf eins der Argumente, die Kritiker gegen die Windenergie vorbringen: dass bei starkem Wind Energie verschwendet wird.

Aber es gibt ein Problem, zu dem diejenigen, die über »Bedarfsmanagement« geschrieben haben, nichts sagen. Der nationale Netzbetreiber erhöht vernünftigerweise die Frequenz, wenn vorherzusehen ist, dass der Bedarf drastisch steigt.73 Er wird genauso handeln, wenn die Leistung aus erneuerbaren Energien in Kürze sinkt. Unsere intelligenten Kühlschränke und Waschmaschinen der Zukunft würden sich just in dem Moment einschalten, wo sie sich eigentlich ausschalten sollten. Aber das ist kein unüberwindliches Problem. Der unabhängige Denker Oliver Tickell hat es anscheinend gelöst. Folgt man seinem Vorschlag — der so genannten »Real-Time Pricing Inidative« —, dann würde das Stromnetz gleichzeitig zum Kommunikationsnetz:

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[Es sollte] ein offenes Standardprotokoll entwickelt und veröffentlicht werden, damit Informationen über den aktuellen Strompreis durch das System der Elektrizitätsversorgung gesendet werden können. Ein großer Teil des elektromagnetischen Frequenzspektrums würde für diesen Zweck zur Verfügung stehen, ohne dass die grundsätzliche Stromversorgungsfunktion dadurch beeinträchtigt wäre, so ähnlich, wie das Telefonnetz Leitungen für Telefongespräche und den Breitband-Internet-Service zur Verfügung stellt.74

»Intelligente Schalter« an unseren Kühlschränken und Waschmaschinen würden ein Signal empfangen, dass der marginale Strompreis steigt, und die Geräte ausschalten. Bei sinkenden Preisen (oder wenn es im Kühlschrank zu warm wird) würden sie wieder Strom ziehen. Er argumentiert: »Alle dafür nötigen Technologien sind ausgereift und verfügbar. Wir brauchen nur noch ein gutes industrielles Design und ein hohes Produktionsaufkommen.«75 Wir könnten also durch eine Änderung der Bedarfsmuster erreichen, dass Energien aus der Umwelt zuverlässiger verfügbar werden.

Ich werde jetzt vier Einschätzungen abgeben, für die ich entsprechende Beweise zu erkennen glaube: Die erste lautet, dass es in Großbritannien genügend erneuerbare Energien gibt, um durchschnittlich 50 Prozent unseres Strombedarfs zu decken. Zweitens: Das Netz und die Zuverlässigkeit unserer Stromversorgung würden durch diesen Anteil an erneuerbaren Energien nicht beeinträchtigt. Drittens: Die zusätzlich durch diese Art der Stromerzeugung verursachten Kohlendioxidemissionen wären deutlich geringer als die dadurch ermöglichte Einsparung von Kohlenstoff. 

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Und viertens: Der Preis pro Kilowattstunde wäre maximal doppelt so hoch wie der Preis, den die britische Regierung gegenwärtig für den Fall annimmt, dass die Windenergie 20 Prozent unseres Strombedarfs deckt.

Alles in allem lautet meine Einschätzung demnach, dass ein Stromanteil von 50 Prozent aus erneuerbaren Energien im Bereich des Machbaren liegt. Abhängig von den Kosten konkurrierender Brennstoffe könnte der Strompreis dadurch zwar steigen, aber nicht übermäßig. Würden wir ein Entwicklungsprogramm der Art, wie ich es in Kapitel 5 dargestellt habe, stark beschleunigen, dann könnten wir meiner Meinung nach die anderen 50 Prozent unseres Strombedarfs durch thermische Kraftwerke decken, deren Kohlendioxidemissionen ausgewaschen und unterirdisch gespeichert werden. 

Wenn meine Einschätzung stimmt, dann wäre es demnach möglich, unsere gesamte Elektrizität durch zwei Arten der Stromerzeugung mit geringen Kohlendioxidemissionen zu produzieren: Gaskraftwerke, deren Abgase von Kohlendioxid gereinigt werden, und Kraftwerke, die erneuerbare Energien nutzen und entweder auf unserem eigenen Boden oder mehrere hundert Kilometer entfernt stehen, wobei Letztere durch Langstreckenkabel mit dem Netz verbunden sind. Ein System der Stromversorgung, das nur auf diesen beiden Arten der Elektrizitätserzeugung basiert (zusammen mit konventionellen Generatoren, die gelegentliche Versorgungslücken decken), würde nicht mehr als 15 Prozent der Kohlendioxidemissionen verursachen, die unsere Kraftwerke gegenwärtig ausstoßen. In Verbindung mit den Effizienzmaßnahmen, die ich in Kapitel 4 diskutiert habe, würden wir insgesamt eine Reduktion von fast 90 Prozent erreichen.

Doch leider muss ich sagen, dass dieser Vorschlag, so ambitioniert er auch ist, nur einen Teil des Problems löst.

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Der Grund ist dieser: 82 Prozent der Energie, die wir in unseren Häusern nutzen, wird für die Heizung benötigt (Raumheizung und warmes Wasser), und die Elektrizität deckt diesen Bedarf nur teilweise. In 17 Millionen unserer 24 Millionen Häuser wird mit Gas geheizt.76 Wenn es uns nicht gelingt, das Heizungsproblem genauso wie das Stromproblem zu lösen, dann müssen wir zu dem Schluss kommen, dass unsere Häuser — ebenso wie unsere Büros, Fabriken, Schulen und Krankenhäuser — nicht saniert werden können. In diesem Fall wären meine Ziele nicht zu erreichen, und da wir nun einmal nicht ohne Heizung auskommen, wäre das Projekt nicht zu realisieren. Ich muss also irgendeine Möglichkeit finden, unsere Gebäude ohne Gas oder Kohle zu heizen. Eine bessere Isolation würde die Kohlendioxidemissionen bis 2030 um maximal etwa 40 Prozent reduzieren,77 sodass wir mindestens 50 Prozent durch eine andere Art der Wärmeerzeugung einsparen müssen. Ist das möglich?

Derzeit gehen rund 24 Prozent des gesamten Energieverbrauchs unserer Wirtschaft auf das Konto der Heizung.78 Insgesamt verbrennen wir 2,4 Exajoule Energie, um die benötigte Wärme zu erzeugen.79 Exajoule ist die pysikalische Maßeinheit für große Energiemengen, und ein Exajoule entspricht einer Trillion (= 1000 000 000 000 000 000 = 1018) Joule. Ungefähr 70 Prozent dieser Energiemenge werden in unseren Häusern verheizt.80

Auf den ersten Blick scheint die Lösung offensichtlich: Wir sollten tun, was unsere Vorfahren seit ungefähr einer Million Jahren getan haben, und Holz verbrennen. Bäume nehmen Kohlendioxid auf, solange sie wachsen, und wenn man nun maximal so viel Holz verbraucht, wie nachwächst, wird man nicht mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen, als die nachwachsenden Bäume verbrauchen. In Skandinavien mit seinem unvorstellbaren Waldreichtum ist das eine praktikable Lösung. Holz liefert schon jetzt 17 Prozent der benötigten Gesamtenergie in Schweden und 20 Prozent in Finnland.81 Aber in einem Land mit weniger Wäldern ist ein solches Ziel schwieriger zu erreichen.

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In ihrem gründlichen Bericht <Biomass as a Renewable Energy Source> schätzt die Royal Commission on Environment Pollution, dass der kalorische Wert von Holz bei ungefähr 10 Gigajoule pro Tonne liegt und dass die effektivste Produktionsmethode — das Anpflanzen von Weiden, deren Zweige man etwa alle drei Jahre schneidet — zirka 10 Trockentonnen pro Hektar und Jahr liefert.82 (Es gibt eine massive Diskrepanz zwischen den Zahlen der Royal Commission und den Angaben der Welternährungsorganisation FAO, die den kalorischen Wert von Weidenzweigen bei 18,4 Gigajoule pro Tonne festlegt.83 Ich halte mich vorerst an die Zahlen der Royal Commission.) 

Nehmen wir einmal an, dass Anbau, Ernte und Transport ungefähr 10 Prozent seines Energiegehalts aufzehren und dass das Holz zu 75 Prozent in nützliche Heizenergie umgewandelt werden kann. Jeder Hektar Land könnte dann 67,5 Gigajoule Wärme liefern, die frei von Kohlendioxidemissionen wäre. Ein Gigajoule ist ein Milliardstel eines Exajoule. Um mein Ziel von 50 Prozent — oder 1,2 Exajoule — der benötigten kohlendioxidfreien Heizenergie zu erreichen, würden wir 17,8 Millionen Hektar Land brauchen. Großbritannien verfugt über 17 Millionen Hektar Agrarland, sodass die Fläche gerade eben reichen würde. Aber der entscheidende Punkt ist klar: Wir könnten dann nichts anderes mehr anbauen.

Und das ist erst der Anfang des Problems. Schon heute leiden große Teile des Landes, vor allem die Agrarflächen, im Sommer unter Wassermangel, teils, weil wir dort zu viel Trinkwasser gewinnen, teils wegen des Klimawandels. In einem anderen Bericht erklärt die Royal Commission: »Weil sie schnell wachsen, brauchen Energiepflanzen mehr Wasser als Nahrungspflanzen.«84) 

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Wenn wir und andere Industrienationen dazu übergehen, in größerem Ausmaß Energie- statt Nahrungspflanzen anzubauen, dann könnten die Weltmarkt­preise für Nahrungsmittel zu steigen beginnen, was die Situation der Hungernden in vielen Regionen weiter verschärfen würde. Langfristig könnten die Auswirkungen noch ernster sein. In seinem Buch When The Rivers Run Dry hat Fred Pearce gezeigt, dass sinkende Grundwasserspiegel die Welt in Hungersnöte treiben könnten.85 Energiepflanzen wie Weiden beschleunigen diesen Prozess auf zweierlei Weise: Zum Teil sorgen sie dafür, dass der Grundwasserspiegel schneller fallt als vorher, und zum Teil wachsen sie auf Flächen, die dadurch für die Produktion von Nahrungsmitteln nicht mehr zur Verfügung stehen, wodurch die Versorgung noch knapper wird. Wenn wir erst einmal die Infrastruktur geschaffen haben, die mit größeren Investitionen in Energiepflanzen verbunden ist, dann besteht die Gefahr, dass wir zögern, uns wieder auf den Anbau von Nahrungsmitteln umzustellen, falls sich die moralische Notwendigkeit dazu ergibt.

Holz für die Heizung anzubauen ist moralisch nicht ganz so risikoträchtig wie der Anbau von Energiepflanzen für den Straßentransport (worauf ich in Kapitel 8 eingehen werde). Dafür gibt es drei Gründe: Erstens können Bäume auf schlechterem Land wachsen als Ölsaaten oder Zuckerrohr, die man für die Herstellung von Biosprit benötigt. Zweitens ist der Anbau von Holz für die Heizung ein effizienteres Mittel zur Einsparung von Kohlendioxidemissionen. Untersuchungen, die an der Sheffield Hallam University durchgeführt wurden, sind zu dem Ergebnis gekommen, dass 1 Pfund, das man für die Produktion von Biodiesel ausgibt, 3 bis 6 Kilogramm Kohlenstoff einspart, während i Pfund, das man für die Produktion von schnell wachsenden Bäumen zur Stromerzeugung ausgibt, 20 Kilogramm Kohlenstoff spart.86) 

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Wenn das Holz zur Erzeugung von Wärme dient, wo die Umwandlungseffizienz noch höher ist, steigt die Ersparnis wahrscheinlich weiter. Drittens ist der Wert pro Hektar Holzproduktion geringer als der Wert pro Hektar Ölsaatproduktion, sodass die Landwirte, die Holz anpflanzen, einen größeren Anreiz hätten, zur Nahrungsmittelproduktion zurückzukehren, falls es zu einer weltweiten Knappheit käme.

Ungeachtet dessen bin ich der Meinung, dass Energiepflanzen wegen ihrer Auswirkungen auf die Wasserversorgung und der Gefahr von Preiserhöhungen für Nahrungsmittel auf höchstens 20 Prozent unserer Agrarflächen angebaut werden sollten. Auf diese Weise könnten wir 0,23 Exajoule kohlendioxidneutraler Wärmeenergie oder 19 Prozent der noch fehlenden 1,2 Exajoule erzeugen.

Wir könnten das Volumen natürlich erhöhen, indem wir Holz aus waldreicheren Ländern importieren. Aber Biomasse benötigt sehr viel Raum (1 Kubikmeter trockener Holzschnitzel wiegt 150 Kilogramm, während 1 Kubikmeter Kohle ungefähr 800 Kilogramm wiegt87), sodass ziemlich hohe Transportkosten anfallen. Weil die Energiedichte pro Kubikmeter gering ist, können die Kohlenstoffkosten beim Lkw-Transport schnell die Einsparungen übersteigen, die sich aus dem Verbrauch von mehr Holz ergeben.

Würde man das Holz dort verbrennen, wo es angebaut wird, dann lägen die gesamten Emissionen für die Wärmeproduktion aus Holz nur bei 5 bis 10 Prozent dessen, was durch das Verfeuern fossiler Brennstoffe verursacht wird.88 Aber jede 10 Kilometer Straßentransport, so hat das House of Lords berechnet, zehren 0,2 Prozent des Energiewerts auf.89 Bei einem Transportweg von 1000 Kilometern sinkt die Netto-Energieersparnis um 20 Prozent. 

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Das ist schlimmer, als die reinen Zahlen vermuten lassen, weil man Brennstoffe für den Transport — die wahrscheinlich bald knapp werden — gegen Brennstoffe für die Heizung eintauscht, von denen es weiterhin genügend geben wird. Leider ist in Gegenden wie Nordrussland, wo es nur wenige Bestimmungen gibt, die der Zerstörung von Wäldern Einhalt gebieten, das Holz sehr viel billiger als in Westeuropa, sodass es ökonomisch — aber nicht ökologisch — sinnvoll erscheint, das Holz trotz der weiten Transportwege von dort zu importieren. Wie der britische Minister für Wissenschaft und Technologie betonte, ist »jede Beschränkung des Handels mit Brennstoffen durch internationale Abkommen verboten«.90

Das Holz, das wir gezielt anbauen, um es als Brennstoff zu verwenden, könnten wir um die Abfälle ergänzen, die aus der Forstwirtschaft sowie aus Parks und Gärten stammen. Damit gewinnen wir unter dem Strich weitere 1,3 Millionen Trockentonnen pro Jahr01 oder umgerechnet 0,7 Prozent des von mir genannten Bedarfs.*

Unsere Landwirte produzieren alljährlich fast 4 Millionen Tonnen überschüssiges Stroh.02 Diese Menge wird geringfügig sinken, wenn 20 Prozent unseres Ackerlands für den Anbau von Holz verwendet werden. Die Welternährungsorganisation FAO, deren Energiezahlen sich von denen der Royal Commission unterscheiden, schätzt, dass Weizenstroh ungefähr 93 Prozent der Energie pro Tonne liefert, die man aus Weidenzweigen gewinnen kann.93 Konsequenterweise wende ich diesen Prozentsatz auf die Berechnungen der Royal Commission an und gebe Stroh einen Wert von 9,3 Gigajoule pro Tonne. Das ergibt 0,019 Exajoule kohlendioxidneutraler Wärme aus 3 Millionen Tonnen Stroh oder weitere 1,6 Prozent des noch nicht gedeckten Bedarfs.

* 6,75 GJ (11) x 1,3 Millionen = 8775 Petajoule oder 0,0088 Exajoule.

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Die Energy Technology Support Unit hat außerdem vorgeschlagen, wir könnten in Großbritannien 1,3 Millionen Tonnen Hühnermist, der 13,5 Gigajoule Energie pro Tonne enthält, sowie 1,8 Millionen Tonnen sonstigen Tiermist aus landwirtschaftlichen Betrieben verbrennen, dessen Energiegehalt nicht näher bezeichnet wird.94 Doch dieser Vorschlag gefällt mir nicht, denn der Mist würde auf den Feldern als Dünger fehlen, was zwei gravierende Folgen hätte: Erstens würden wir mehr Kunstdünger produzieren müssen, für dessen Herstellung man eine große Menge fossiler Brennstoffe braucht, und zweitens könnte sich dadurch langfristig ein globaler Mangel an Phosphaten entwickeln.95

Bisher habe ich also 21,3 Prozent der 1,2 Exajoule, die ich brauche, zusammengetragen, wobei ich von der Annahme ausgehe, das der Einsatz dieser Biobrennstoffe ebenso einfach wie kosteneffektiv ist. Beide Annahmen sind nicht absolut sicher. Sollte sich zeigen, dass die Zahlen der Welternährungsorganisation zuverlässiger sind als die der Royal Commission, können wir das Ergebnis um den Faktor 1,8 auf 38 Prozent erhöhen, aber es wird Sie nicht überraschen, wenn ich jetzt sage, dass ich nicht weiß, welchen Zahlen ich trauen soll.

Die zweite offensichdichste Quelle für kohlendioxidfreie Wärme ist die Sonne. Das Prinzip ist einfach: Sie installieren ein Modul mit Rohren auf einer schwarzen Platte auf Ihrem Dach. Die Platte nimmt die Sonnenhitze auf und erwärmt das Wasser in den Rohren. Die Kohlenstoffkosten des Systems tendieren gegen null.

Die Beratungsfirma AEA Technology schätzt, dass 50 Prozent der Häuser in Großbritannien »physikalisch für ein System der Solar-Wasser-Heizung geeignet sind«.96 Forscher vom Imperial College gehen in einem Bericht für die Regierung davon aus, wenn 50 Prozent unserer Häuser mit Solarheizungen ausgestattet wären, dann würden sie 0,056 Exajoule Wärme produzieren, was 4,7 Prozent unserer Zielzahl entspräche. 

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Wenn es gelänge, unsere anderen Gebäude im selben Umfang an der Wärmeproduktion zu beteiligen, läge der Gesamtbeitrag bei ungefähr 6,7 Prozent. Doch nach Angaben von AEA Technology ist in Großbritannien der Einsatz der Solarenergie als Heizquelle für Wasser »sehr viel teurer als das Aufheizen mit fossilen Brennstoffen«, weil die Kapitalkosten für die Installation des Systems hoch sind und die Sonne nur spärlich scheint.

Allmählich gehen mir die Optionen aus. Da es in Großbritannien leider keinen Vulkanismus gibt, haben wir nur sehr wenige heiße Quellen. Der British Geological Survey sagt, dass wir aus heißen Quellen, deren Ausbeutung sich lohnt (40 Grad oder mehr), nur ungefähr 55 Gigajoule Energie gewinnen könnten. Das bedeutet, wenn die Quelle nicht am falschen Ort wäre, könnte man daraus zwanzig Jahre lang 2,75 Gigajoule pro Jahr gewinnen.97 

Das ist eine umständliche Art und Weise, null zu sagen.

»Erdwärmepumpen« klingen schon vielversprechender. 

Unterhalb von 1,5 Metern Tiefe hat die Erde eine konstante Temperatur von 12 Grad. Wenn Sie entweder unter Ihrem Haus ein Loch bohren oder Rohre kreuz und quer unterirdisch durch Ihren Garten ziehen, dann können Sie aus der Erde Wärme gewinnen und sie auf ungefähr 50 Grad konzentrieren. Das ist grade richtig für eine Fußbodenheizung, aber für Heizkörper nicht warm genug. Da die Wärmepumpe das Wasser durch die Rohre kreisen lässt, braucht man einen elektrischen Motor als Antrieb. Aber das System erzeugt 2,5- bis viermal so viel Energie, wie es verbraucht.98) Wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt, wäre das Heizen mit Erdwärme mehr oder weniger frei von Kohlendioxid­emissionen.

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In Großbritannien nutzen wir diese Technologie bemerkenswert zögerlich. In Schweden gibt es 230.000 Erdwärmepumpen, in den USA 600.000.99) Bei uns sind es ganze 300.100) Ein Problem ist, dass unser Bestand an Häusern sehr langsam ersetzt wird. Ein Loch in die Erde zu bohren und Leitungen unter dem Fußboden zu verlegen ist in einem existierenden Haus schwieriger als bei einem Neubau. Ein weiteres Problem ist, dass wir nicht viel Platz haben. AEA Technology geht davon aus, dass Erdwärmepumpen entweder in Neubauten installiert werden können oder in Häusern in ländlichen Regionen, die nicht an das Gasnetz angeschlossen sind (wovon es 4,4 Millionen gibt). Wenn Wärmepumpen in allen Häusern installiert würden, wo das möglich ist, dann könnten sie insgesamt 79,3 Terawattstunden Wärme pro Jahr erzeugen. Das entspricht 0,022 Exajoule oder weiteren 1,8 Prozent der Energiemenge, die ich erreichen will.*

In kommerziellen oder industriellen Gebäuden gibt es ein Potenzial für weitere 1,4 Terawattstunden pro Jahr, was mir nochmal 0,033 Prozent einbringt. 

Es steht nicht besonders gut um meine Sache.

Alles, was noch bleibt, ist Biogas, das Methan, das von Müllhalden, Kläranlagen und Misthaufen ausgeht. Und wieder muss ich leider feststellen, dass das Potenzial klein bis sehr klein ist. AEA Technology sagt, dass Einschränkungen wie Umweltgefahren, mangelnde öffentliche Akzeptanz und die entlegenen Standorte von Kläranlagen (für die wir in jeder anderen Hinsicht dankbar sind) »es fast unmöglich machen«, Gase aus Kläranlagen als Energiequelle in Gebäuden zu nutzen. »Der effektive Wärmemarkt ist fast mit Sicherheit null.«101) Gas von Mülldeponien unterliegt denselben Einschränkungen: Die Standorte sind meist abgelegen, sodass es teuer wäre, die Wärme zum Verbraucher zu transportieren. Insgesamt eignet sich Biogas eher zur Stromerzeugung als zur Erzeugung von Wärme.

Soweit ich sagen kann, ist das alles, es sei denn, wir würden wieder stärker auf Strom setzen und die Leute überreden, zu elektrischen Heizungen zurückzukehren, die langsam, ineffizient und teuer sind. 

Selbst wenn ich mich an den großzügigsten Zahlen orientiere und das Kostenproblem ignoriere, komme ich nur auf 46,5 Prozent der 1,2 Exajoule Wärme, die ich mir zum Ziel gesetzt habe.

Aber bevor ich aufgebe und zum Aromatherapeuten werde — was das entsetzliche Schicksal aller desillusionierten Aktivisten zu sein scheint —, habe ich noch eine allerletzte Chance.

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*  1 kWh = 3,6 Megajoule     79,3 TWh = 22,028 Terajoule oder 0,022 Exajoule.

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George Monbiot 2006 Heat Hitze Burning