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7  Das Energie-Internet

Eure Flammen raschen Feuers ...
Jenes grausen Abenteuers Lösung 
war euch anvertraut.

Goethe in Faust 2, Akt 5

209-235

Meine letzte Hoffnung ruht auf dieser Idee: Es könnte sein, dass ich das Problem von der falschen Seite betrachtet habe. Ich habe auf eine Weise an Elektrizität und Heizwärme gedacht, wie es fast jeder tut, seit 1926 mit dem Bau des nationalen Netzes begonnen wurde: als Waren oder Dienstleistungen, die über weite Entfernungen von großen Quellen zur Verfügung gestellt werden. Aber es gibt noch eine ganz andere Möglichkeit, wie wir mit der Frage nach der Erzeugung unserer Energie umgehen könnten. Im Allgemeinen nennt man sie »Mikro-Erzeugung« oder »das Energie-Internet«.2

In ihrer reinen Form läuft sie darauf hinaus, das nationale Netz zu verschrotten.

Statt große Mengen Energie an einigen wenigen Standorten zu produzieren, erzeugt das Energie-Internet überall kleine Mengen. Statt Strom über Lang­strecken­kabel zu verteilen, verbindet es lediglich Hunderte von Mikrogeneratoren in einem lokalen Netz. Bei einem kommerziellen Energieanbieter neuer Art kaufen die Leute Strom und Wärme von kleinen Blockkraftwerken, die für eine bestimmte Siedlung oder einen Ortsteil erbaut wurden, oder letztlich voneinander. Das lokale Netz sollte mehr oder weniger autark, aber zur Verbesserung der Versorgungssicherheit mit anderen lokalen Netzen verbunden sein.3

Greenpeace gehört inzwischen zu den starken Befürwortern eines solchen Energie-Internets, das die Organisation so beschreibt:

Statt passive Energieverbraucher zu sein, würden Gebäude zu Kraftwerken und Komponenten eines lokalen Energienetzwerks ... In den Visionen von Greenpeace ... sind die Kohlekraftwerke geschlossen und die sie umgebenden Hochspannungsleitungen abgebaut worden, sodass sie die ländlichen Regionen nicht mehr verschandeln ... Fast die gesamte eingespeiste Energie wird in Leistung umgewandelt — nicht nur ein Teil wie bei den traditionellen zentralisierten Kraftwerken, die fossile Brennstoffe verheizen.4

Das ist eine inspirierende Idee. Aber wird sie einer genaueren Prüfung standhalten? Die erste Frage ist, ob diese Technologien funktionieren, oder genauer, ob sie zu einem halbwegs vernünftigen Preis funktionieren.

Die beiden hauptsächlichen erneuerbaren Quellen, die Greenpeace für das Energie-Internet vorschlägt, sind Solarmodule und Mikrowindräder. Ich würde gern daran glauben. Aber je mehr ich lese, desto weniger überzeugt mich die Sache.

Solarer Photovoltaikstrom — Energie von Modulen aus lichtempfindlichen Zellen — ist unaufdringlich und geräuschlos. Er stört niemanden. Die erforderliche Infrastruktur existiert bereits in Form der nach Süden ausgerichteten Dächer unserer Wohnhäuser, Fabriken und Bürogebäude. 

Die Technologie ist nicht ganz frei von Kohlendioxidemissionen (in Europa brauchen Solarmodule zwei bis vier Jahre, um die Energie zu produzieren, die für ihre Herstellung benötigt wird5), aber sie verursachen weit weniger Emissionen pro Watt als konventionelle Kraftwerke.

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Doch wenn man in Ländern wie Großbritannien einen hohen Anteil des Strombedarfs mithilfe der Sonne erzeugen will, dann steht man zwei grundlegenden Problemen gegenüber: Es gibt nicht genug Sonne, und sie scheint zur falschen Zeit.

 

Der Mann, der in Großbritannien am meisten für die Förderung des Solarstroms getan hat, ist Jeremy Leggett, Hauptgeschäftsführer der Firma <Solar Century>, die Gebäude mit Solarzellen ausstattet. Ich kenne ihn seit Jahren und habe große Hochachtung vor ihm, nicht zuletzt deshalb, weil er, während ich auf meinem Hintern sitze und den Leuten sage, was sie tun sollen, seine Zeit damit verbringt, es wirklich zu tun. Aber einige seiner Aussagen verstärken meinen Eindruck, dass wir vorsichtig mit den Behauptungen derer umgehen sollten, die etwas zu verkaufen haben. 

In seinem Buch <Half Gone>das ansonsten viele positive Seiten hat — erklärt Leggett: »Sogar im wolkigen Großbritannien könnte mehr Elektrizität, als die Nation gegenwärtig braucht, durch Solarmodule erzeugt werden, wenn sie auf allen dafür geeigneten Dächern angebracht wären.«6 Das ist eine starke Behauptung. 

Weil starke Behauptungen starke Argumente benötigen, würde man erwarten, dass sie aus einer guten Quelle kommen, beispiels­weise einem Wissenschafts­journal, dessen Artikel kollegial überprüft werden, oder einem Regierungsbericht. Aber als Referenz gibt Leggett nur an: »<Solar Energy: brilliantly simple>, BP pamphlet, available on UK petrol forecounts«.7

Die <Energy Technology Supply Unit>, die in ihrem Bericht an die Regierung festzustellen versucht hat, über wie viel erneuerbare Energie das Land verfügt, geht von folgender Rechnung aus: 

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Wenn alle Dächer in Großbritannien mit Solarmodulen bedeckt wären und Solarstrom auf magische Weise im gleichen Ausmaß aus allen Himmelsrichtungen erzeugt werden könnte, dann würde die »maximale praktikable Kapazität« bei 266 Terawattstunden (TWh) pro Jahr liegen.8 Der aktuelle Stromverbrauch in Großbritannien beträgt ungefähr 400 Terawattstunden. Wenn meine optimistischen Annahmen über die Energieeffizienz stimmen, dann könnte er bis 2030 auf 300 Terawattstunden reduziert werden. Aber wenn man nicht extrem reich ist, wird man sein Dach nicht in allen Himmelsrichtungen mit Solarmodulen ausstatten. Sie sind am effizientesten, wenn sie in etwa gen Süden ausgerichtet werden. 

Teilt man die Schätzungen der ETSU durch 4, dann kommt man auf 66,5 Terawattstunden. Aber dabei bleiben die Kosten unberücksichtigt. Als die ETSU ihre Schätzungen auf die Strommenge begrenzte, die zu 7 Pence pro Kilowattstunde oder weniger (diesmal war es grob der Verbraucherpreis für Elektrizität) produziert werden können, stellte sie fest, dass das technische Potenzial der Dächer in Großbritannien nur für 0,5 Terawattstunden oder ein Achthundertstel des gegenwärtigen Verbrauchs reicht.9 Warum das so ist, lässt sich zum Teil aus der Tabelle10 ablesen.

Solarmodule könnten sich zwar in Jerusalem oder San Diego auszahlen, aber für London sind sie ein weniger attraktiver Vorschlag (Robert Gross sagte, dass »in sonnigeren Breitengraden ... die Kosten in den Jahren 2020 und 2025 bei 4 bzw. 2 Pence pro Kilowattstunde liegen werden«11).

Die Schätzung der ETSU ist jedoch entschieden zu ungünstig. Es gibt gute Gründe (auf die ich gleich noch eingehen werde) für die Annahme, dass die Preise sehr viel schneller als vorhergesagt fallen werden. Eines Tages könnte es ökonomisch sinnvoll sein, auf jedem südwärts gerichteten Dach Solarmodule anzubringen, und in diesem Fall, wenn die Schätzungen der ETSU stimmen, könnten sie tatsächlich 66,5 Terawattstunden Strom — oder 22 Prozent unseres Bedarfs — produzieren. Aber wir würden unverzüglich vor dem nächsten Problem stehen: Das Stromangebot passt schlecht zur Nachfrage.

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Ort

Breitengrad

gliche

Sonneneinstrahlung 

in  kWh / m2 

Stockholm

59,35 N

2,52

London

51,52 N

2,55

Freiburg (D)

48,00 N

3,04

Oviedo (Nordspanien)

43,35 N

3,18

Genf

46,25 N

3,31

Nizza

43,65 N

4,03

Porto

41,13 N

4,26

Heraklion (Kreta)

35,33 N

4,44

Sde Boker (Israel)

30,90 N

5,70

Quelle: 

Tyndall Centre for Climate Change Research

 

In heißen Ländern — wie schon in Kapitel 6 erwähnt — erreicht der Strombedarf seinen Höhepunkt um die Mitte eines Sommertages, wenn die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen. In kalten Ländern erreicht er seinen Höhepunkt an Winterabenden. Und wenn eins sicher ist — vielleicht das Einzige, was in diesem Zusammenhang als sicher gelten darf —, dann ist es die Tatsache, dass die Sonne in kalten Ländern nicht an Winterabenden scheint.

Selbst wenn es uns also durch ein technologisches Wunder gelänge, mit Solarmodulen auf unseren nach Süden gerichteten Dächern 300 Terawattstunden Strom pro Jahr zu produzieren, könnten wir nur einen Teil davon verwenden. 

213


Es gäbe einen massiven Überschuss an Sommertagen um die Mittagszeit, und wir hätten einen extremen Mangel im Winter, wenn der Bedarf am höchsten ist. Und in einem kleinen Land wie Großbritannien geht die Sonne überall zur gleichen Zeit unter. Die erforderlichen Energiespeicher und Stand-by-Kapazitäten machen eine ökonomische Nutzung der Sonnenenergie in einem Land auf diesem Breitengrad unmöglich, sogar dann, wenn wir jeden Quadratmeter Boden mit Solarmodulen bedeckten.

Damit will ich nicht sagen, dass die Solarenergie hier nutzlos ist. Auch an Sommertagen haben wir einen hohen Strombedarf, und ein großer Teil davon ließe sich durch Solarenergie decken. Sollte es uns gelingen, die Zeiten des höchsten Strombedarfs zu ändern, dann könnten wir die Nachfrage im Sommer an die besten Produktionszeiten anpassen. Wir könnten beispielsweise unsere entsprechend programmierten Wasch- und Spülmaschinen der Zukunft um die Mittagszeit laufen lassen." Wir könnten die Elektrizität auch für einige Stunden in Batterien speichern, um die am Mittag produzierte Energie abends nach der Heimkehr zu nutzen. Aber es ist nicht möglich, die aus der Sommersonne gewonnene Energie kostengünstig für den Winter zu speichern.

Dieses Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage entlarvt auch eine weitere Behauptung der Solarbefürworter als Unsinn: dass ein mit Solarmodulen ausgestatteter Haushalt dem Netz mehr Elektrizität verkaufen kann, als er selbst aus dem Netz entnimmt. Technisch mag das zwar stimmen. Aber der Haushalt verkauft seine Energie an das Netz, wenn die Nachfrage — und folglich der Preis — ziemlich niedrig ist, und er kauft zu einem Zeitpunkt, wo Nachfrage und Preis hoch sind. Solarmodule auf unseren Dächern könnten einen signifikanten Beitrag — vielleicht 5 oder 10 Prozent — zur Lösung unserer Stromprobleme leisten. Aber die Vorstellung, dass sie die ganze Antwort sind, ist nicht hilfreich und führt in die Irre.

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Die Tabelle zeigt einige Schätzungen, welche Kosten die auf unseren Dächern erzeugte Sonnenenergie verursachen würde.

Quelle

Kosten pro kWh

Performance and Innovation Unit,
10 Downing Street — heute, Großbritannien

»ungefähr 70 Pence«

 

 

Robert Gross, Imperial College — heute, global 13

30-80 Cents  (17-46 Pence)

 

 

Performance and Innovation Unit,
10 Downing Street - 2020, Großbritannien

10-16 Pence

 

 

Die nächste Tabelle14 zeigt einige Schätzwerte über die Kosten der Kohlenstoffeinsparung durch die Stromerzeugung mit Solarzellen im Vergleich zur Kosteneinsparung durch andere Mittel. Die Zahlen sind berechnet nach dem internationalen Standard für die Abschätzung zukünftiger Kosten, entwickelt von der Internationalen Energieagentur. (MARKAL, so erklärt die IEA, »wurde in einem kooperativen multinationalen Projekt über einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten vom Energy Technology Systems Analysis Programme [ETSAP] der International Energy Agency entwickelt«.15) Das macht sie nicht endgültig — es gibt nichts Endgültiges bei diesem Thema. Der Minuswert (für On-shore-Wind) spiegelt die Erwartung wider, dass diese Form der Stromerzeugung 2020 billiger sein wird als andere.

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Art der Erzeugung

Kosten 2020 gering geschätzt 
(£ pro t CO2-Ersparnis) 

Kosten 2020 hoch geschätzt
(£ pro t CO2-Ersparnis)

Onshore-Wind

-40

130

Kernkraft

105

180

Wellen

120

430

Energiepflanzen

135

185

Sequestration bei
vorhandenen
Kohlekraftwerken

160

200

Offshore-Wind

160

480

Neue Gaskraftwerke
mit Sequestration

180

200

Gezeiten

250

690

Neue Kohlekraftwerke
mit Sequestration

460

560

Solare Photovoltaik

2200

3200 

Quelle: 

UK Department of Trade and Industry

 

 

Jeremy Leggett hebt zu Recht hervor, dass der Preis von in kleinen Einheiten erzeugtem Solarstrom eher mit dem Verbraucherpreis als mit dem Erzeugerpreis für Elektrizität verglichen werden sollte, weil der Strom von den Solarmodulen auf dem Dach direkt und ohne ein Versorgungsunternehmen in den Haushalt gelangt. Gleichwohl lässt sich aus den Schätzungen in der ersten Tabelle schließen, dass Solarstrom gegenwärtig sehr viel teurer ist als Elektrizität aus konventionellen Kraftwerken oder Windparks. (Die durchschnittlichen Verbraucherpreise lagen bei 9,7 Pence im November 2005 und 8,7 Pence im November 2004.16)

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Selbst wenn der Preis für Solarstrom so schnell fallen sollte, wie man im Büro des Premierministers annimmt, könnte er 2020 immer noch über dem Verbraucher­preis für konventionell erzeugte Elektrizität liegen, nicht zuletzt weil die Analysten erwarten, dass auch der sinken wird. Aber der Preis für Solarstrom wird wahrscheinlich noch weiter fallen, und Downing Street geht davon aus, dass er »um 2025 im Vergleich zu den Verbraucherpreisen für Elektrizität in Großbritannien konkurrenzfähig sein könnte«.17

Leggett hebt außerdem hervor, dass es billiger sein kann, ein Gebäude mit Solarmodulen zu verkleiden, als es mit einer »noblen Fassade« auszustatten.18 Das könnte stimmen. Aber die Verkleidung mit Solarmodulen produziert nicht besonders viel Strom, sofern sie nicht an Südwänden angebracht wird, die nicht im Schatten anderer Gebäude liegen. Da sich viele Gebäude mit teuren Fassaden in überwiegend kommerziell genutzten Gebieten befinden, wo sie wahrscheinlich im Schatten anderer Bauten liegen, sind den Anwendungsmöglichkeiten hier deutliche Grenzen gesetzt.

Es gibt zwei Fakten, die selten in einem Atemzug genannt werden. Erstens: Solarzellen amortisieren sich nach 25 bis 35 Jahren.19 Zweitens: Solarzellen haben eine Lebensdauer von 25 bis 30 Jahren.20,21 Im Augenblick zahlen sie sich ökonomisch nicht aus. Aber dieses Verhältnis wird sich bald bessern. Einige Forscher glauben, dass mithilfe neuer Herstellungsverfahren wie Silikonkugeln, farbempfindliche Zellen und Nanotechnologie die Kosten für die Produktion von Photozellen fast genauso schnell sinken könnten, wie es mit den Kosten in der Halbleiterindustrie geschehen ist.22,23

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Die Aussichten für Mikrowindanlagen sind weniger günstig. Das Problem dabei: Mit Windanlagen kann man nur dann nennenswerte Mengen Elektrizität erzeugen, wenn ziemlich dauerhaft ein starker Wind herrscht. Wenn er nur schwach weht, böig oder turbulent ist, dann sind Windräder eine Zeitverschwendung. In bebauten Gebieten weht der Wind meist schwach, böig und turbulent. Paul Gipe, der Autor eines der besten Bücher über Mikrowindanlagen, erklärt dazu:

Windturbinen sollten immer möglichst weit entfernt von Bäumen, Häusern oder anderen Hindernissen errichtet werden, um die Auswirkungen von Turbulenzen zu minimieren und die Windkraft maximal zu nutzen. Turbulenzen werden verursacht, wenn Gebäude oder Bäume dem Wind im Weg stehen. Turbulenzen können ein Windrad verwüsten und seine Lebensdauer erheblich verkürzen. Gebäude und Bäume verringern außerdem dramatisch die Energie, die einer Windanlage zur Verfügung steht.24

 

Das Magazin <Building for a Future> empfiehlt, Windturbinen sollten mindestens 11 Meter höher stehen als jedes Hindernis im Umkreis von 100 Metern.25 Wenn Ihr Haus also mindestens genauso hoch ist wie alle Häuser in Ihrer Straße, würde Ihnen ein ii Meter hoher Mast reichen. Wenn nicht, müssten Sie ein kleineres Hindernis für den Flugverkehr errichten. Je höher die Anlage ist, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Sie eine Baugenehmigung dafür erhalten, und desto wahrscheinlicher wird es — wegen der lateralen Schubkraft —, dass Sie Ihrem Haus ernsten Schaden zufügen. Anderenfalls »könnte Ihnen eine stark turbulente Lage, in der die Turbine sich nicht stetig dreht, 80 bis 90 Prozent Ihrer potenziellen Energie rauben«.26 Selbst wenn Sie eine Stelle finden, wo der Wind gleichmäßig weht, ist er in bebauten Gegenden meist nicht stark genug: »Sehr wenige Anlagen kommen auf mehr als eine durchschnittliche Windgeschwindigkeit von 4 Metern pro Sekunde«.27

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Bei einer durchschnittlichen Windgeschwindigkeit von 4 Metern pro Sekunde produziert eine große Mikroturbine (1,75 Meter im Durchmesser ist in etwa die Größe, die sich für eine Anbringung am Haus eignen würde) ungefähr 5 Prozent der Elektrizität, die ein durchschnittlicher Haushalt braucht.28 Die wahrscheinlichste Auswirkung solcher Windräder auf unser Energieproblem dürfte darin bestehen, dass sie alle Leute in Wut versetzen. Manche werden sich darüber ärgern, dass sie den Versprechungen der Herstellerfirmen geglaubt haben (die behaupten, auf diese Weise ließe sich mindestens die Hälfte unseres jährlichen Strombedarfs decken). Andere werden zornig sein, wenn sie feststellen, dass ihre Turbinen erhebliche Schäden an der Bausubstanz ihrer Häuser angerichtet haben. Und friedfertige Nachbarn, die jetzt unter dem Lärm der sich drehenden Windräder leiden, könnten unversehens Mordgelüste entwickeln.

Um die Begeisterung der Menschen für erneuerbare Energien zu zerstören, gibt es kaum eine bessere Methode.

Nützlich, kosteneffektiv und akzeptabel für die Nachbarn könnten Mikrowindanlagen allenfalls sein, wenn sie in entlegenen ländlichen Regionen errichtet oder an Hochhäusern angebracht werden, wo sie sich weit oberhalb der umliegenden Gebäude befinden. Einige wenige Designer haben Patente für aerodynamische Türme, die den Wind hinauf in die Turbinen treiben. Einer von ihnen, Bill Dunster, behauptet, dass seine Konstruktion die Windgeschwindigkeit um das Zwei- bis Dreifache erhöht.29,30

Aber es gibt eine andere, von Greenpeace empfohlene Stromquelle, die wahrscheinlich zuverlässiger sein wird: das System der Kraft-Wärme-Kopplung.

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Wenn ich sage, dass unsere Kraftwerke eine durchschnittliche Effizienz von 39,5 Prozent haben, dann meine ich damit, dass der größte Teil der produzierten Energie in Form von Wärme entweicht. Der Energie-Aktivist Chris Dunham hat anhand von Regierungszahlen gezeigt, dass unser Bedarf an Heizenergie in etwa dem entspricht, was von unseren konventionellen Kraftwerken verschwendet wird:

Ungeachtet der nichtthermischen Prozesse und Importe gibt das Department for Trade and Industry an, dass 978 Terawattstunden Brennstoffe verbraucht und 386 Terawattstunden Elektrizität erzeugt werden, sodass die durchschnittliche Effizienz bei 39,5 Prozent liegt und insgesamt 592 Terawattstunden Abwärme verschwendet werden ... Wenn wir davon ausgehen, dass wir 85 Prozent Effizienz erreichen könnten (45 Prozent für Wärme, 40 Prozent für Elektrizität und 15 Prozent ungenutzte Abwärme), dann kämen wir auf 443 Terawattstunden ... [DasDepartment] nennt2,39 EJ Energieverbrauch für Wärme. Das entspricht 664 Terawattstunden. Aber das ist eher Energieverbrauch als Wärmebedarf, der wegen der Konversionseffizienz niedriger liegen wird. Bei einer Boilereffizienz von angenommenen 80 Prozent ergibt das 531 Terawattstunden Wärme.31

Die Verfechter der Kraft-Wärme-Kopplung hoffen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Die Grundidee ist folgende: Statt einen Boiler zu benutzen, der nur heißes Wasser und Raumwärme für Ihr Haus erzeugt, setzt man ein kleines Kraftwerk ein, das gleichzeitig Wärme und Strom erzeugt. Ein »Whisper Gen« genannter Gasgenerator, der einen externen Verbrennungsmotor nutzt und in Neuseeland schon auf dem Markt war, soll 2007 auch in Großbritannien zu kaufen sein.

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Er kostet ungefähr 25 Prozent mehr als ein gewöhnlicher Boiler, aber das Unternehmen, das ihn vermarktet, sagt, die zusätzlichen Kosten würden sich innerhalb von vier Jahren amortisieren, weil die jährliche Energierechnung um 150 Pfund niedriger ausfalle.32,33 Da sowohl Wärme als auch Strom genutzt werden, liegt die Effizienz eines solchen Generators irgendwo zwischen 70 und 90 Prozent.34 (Er produziert ungefähr doppelt so viel Wärme wie Strom.) Er macht nicht mehr Lärm als ein Kühlschrank.35 Wegen der geringen Geräuschentwicklung versorgt dieselbe Art von Generatoren auch Unterseeboote mit Wärme und Strom. Da Boiler eine Lebensdauer von ungefähr zwanzig Jahren haben,36 könnte in Großbritannien der gesamte Bestand unserer Heizanlagen — die richtigen Anreize vorausgesetzt — noch vor 2030 durch solche Kleinstgeneratoren ersetzt werden.

Der von Greenpeace und anderen vorgeschlagene Plan ist noch schlauer. Im Winter, wenn man sowohl Wärme als auch Strom braucht, könnte man den heimischen Minigenerator nutzen, um beides gleichzeitig zu produzieren. Im Sommer, wenn man nur Strom, aber keine Raumheizung braucht, verwendet man stattdessen ein Solarmodul. In beiden Fälle lässt sich die Elektrizität mithilfe einer Batterie speichern. Das Tyndall Centre for Climate Change Research geht davon aus, dass vier industrielle Bleisäurebatterien genügend Energie speichern könnten, um Versorgungsengpässe im Sommer wie auch im Winter zu überbrücken.37 Jedes einzelne Wohnhaus wäre zwar noch vom Gas abhängig, aber nicht mehr vom Netz.

Die Idee ist brillant, aber wird sie auch funktionieren? Technisch lautet die Antwort: »Ja.« Die Technologie ist bewährt, die Kosten für den kleinen Generator (wenn auch nicht für das Solarmodul) sind niedrig. Und mithilfe der Batterie können die er-

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zeugten Mengen an Wärme und Strom gut an den Bedarf des Haushalts angepasst werden. Der externe Verbrennungsmotor (die bekannte Stirlingmaschine) von WhisperGen erzeugt ungefähr 6,6-mal so viel Wärme wie Elektrizität.38 Friends of the Earth hat errechnet: Wenn zehn Millionen Haushalte solche Kleinstkraftwerke installierten, dann würden sie ungefähr 30 Terawattstunden Elektrizität pro Jahr erzeugen — 7,5 Prozent des gesamten nationalen Bedarfs.39 In Großbritannien gibt es 24,5 Millionen Haushalte,40 und sie verbrauchen ungefähr 29 Prozent der nationalen Elektrizität.41 Wenn also jeder Haushalt mit diesem kleinen Generator ausgestattet wäre, dann würden wir 74 Prozent des privaten Strombedarfs auf diese Weise erzeugen. Andere Geräte haben ein besseres Verhältnis von Elektrizität und Wärme, sodass unsere Häuser im Prinzip die gesamte Elektrizität, die wir brauchen, mithilfe derartiger kleiner Generatoren erzeugen könnten.

Leider ist der Beitrag, den solche Minikraftwerke zur Verhinderung des Klimawandels leisten können, weniger überzeugend. Die Firma, die den WhisperGen vermarktet, behauptet, er würde ungefähr ein Fünftel der Kohlendioxidemissionen einsparen, die ansonsten bei der Versorgung eines Haushalts mit Heizwärme und Elektrizität entstehen.42 In einem Bericht des von der Regierung finanzierten Energy Saving Trust heißt es: Wenn die Mikro-Erzeugung (eine Mischung aus Kraft-Wärme-Kopplung, Solarstrom und Mikrowindanlagen) unsere privaten Haushalte mit 220 Terawattstunden Energie versorgte — was ungefähr 42 Prozent des Haushaltsverbrauchs entspräche —, würden dadurch nur etwas über 6 Prozent unserer Haushaltsemissionen eingespart (der Heizwärmebedarf der britischen Haushalte beläuft sich nach einem Bericht von AEA Technology auf 452 Terawattstunden pro Jahr, während die Beleuchtung und

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die technischen Geräte in unseren Haushalten nach Angaben der Environmental Change Unit 73 Terawattstunden Strom verbrauchen; der gesamte Energiebedarf liegt damit bei 525 Terawattstunden). 43,44 Hochgerechnet würde sich daraus ergeben: Wenn wir unseren gesamten Bedarf an Haushaltsenergie aus Mikroerzeugung deckten, dann würden die Haushaltsemissionen nur um etwa 14 Prozent reduziert. Und die Mikrowindturbinen werden in diesem Bericht besser beurteilt, als sie es verdienen.

Blockheizsysteme folgen ebenfalls dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung, aber die Anlagen sind etwas größer. Die Wärme eines kleinen Kraftwerks, das ein Hochhaus, ein Wohngebiet, einen Stadtteil oder vielleicht sogar eine ganze Stadt versorgt, wird durch Rohre in die einzelnen Häuser geleitet. Wie alles, was gut ist, wird dieses System in Skandinavien häufig genutzt. So stammen beispielsweise 98 Prozent der Heizwärme in Helsinki aus Blockheizsystemen, die auf die eine oder andere Weise diesem Prinzip folgen.45 Der Vorteil solcher Heizanlagen, vor allem wenn damit nicht nur private Haushalte, sondern auch Büros und Fabriken versorgt werden, liegt darin, dass die Nachfrage und damit auch die Auslastung der Generatoren nicht so stark schwankt.46 So kann man andere Wärmequellen wie etwa die in Kapitel 6 erwähnten Erdwärmepumpen effektiver nutzen. Auch in Deutschland sind Blockkraftwerke beliebt und versorgen beispielsweise den Reichstag in Berlin. Die überschüssige Wärme, welche die Heizanlage des Reichstags im Sommer produziert, wird als heißes Wasser in poröse Steine 300 Meter unter der Erde geleitet und im Winter wieder nach oben gepumpt, um das Gebäude zu heizen.47

Leider ist es ziemlich schwierig und teuer, Blockheizsysteme in schon bebaute Gebiete zu integrieren, weil Straßen, Gehwege und Böden aufgerissen werden müssen, um die Rohre zu

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verlegen.48 Aber es gibt eigentlich keinen vernünftigen Grund, darauf zu verzichten, wenn ein neues Gebiet für die Bebauung erschlossen wird — es sei denn, die neuen Häuser würden so gut konstruiert, dass sie überhaupt keine Heizung mehr brauchen.

Wenn Mikrogeneratoren unsere Kohlendioxidemissionen effektiver reduzieren sollen, dann muss das Gas durch einen anderen Brennstoffersetzt werden. Mit einem wachsenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit habe ich das Potenzial erkundet: Biomasse, Biogas, Warmwasser durch Sonnenenergie, Erdwärmepumpen und Geothermie. Einige dieser Möglichkeiten könnte man nutzen, um die Kohlendioxidemissionen im Energie-Internetweiter zu reduzieren — Holzschnitzel oder Pellets eignen sich beispielsweise gut für Blockheizsysteme —, aber wie ich schon gezeigt habe, ist ihr potenzieller Beitrag begrenzt.

Damit bleibt uns offenbar nur eine einzige Option: das Element, das man auf der Erde am häufigsten vorfindet. Wasserstoff verhält sich insofern ähnlich wie ein fossiler Brennstoff, dass er leicht brennt und mehrere Arten von Energie erzeugen kann. Dabei entsteht als Abfallprodukt lediglich Wasser. Deshalb überrascht es nicht, dass die Umweltschützer ihn zu ihrem »Roten Löwen« erkoren haben und in ihm den alchemistischen Katalysator sehen, der alles ändern könnte.

Wasserstoff kann man auf verschiedene Arten produzieren. Leider ist das Verhältnis zwischen den Kosten und den Auswirkungen auf die Umwelt — wie so oft — umgekehrt proportional. Die Preise in der Tabelle49 verstehen sich einschließlich Verteilung und Auslieferung.

Wasserstoff aus Kohle wird meist so gewonnen, dass man die Kohle pulverisiert und anschließend Dampf und Sauerstoff hindurchleitet. Aus Erdgas erzeugt man ihn, indem man das Gas erhitzt und mit Dampf reagieren lässt.50 

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Produktionsmethode

Kosten heute
(US-Dollar/kg)

Zukünftige Kosten
(US-Dollar/kg)

 

 

 

Aus Kohle

1,91

1,41

Aus Kohle mit Sequestration

1.99

1.45

Aus Gas

1.99

1,62

Aus Gas mit Sequestration

2,17

1.72

Durch Elektrolyse

6,58

3.93

Quelle: The National Academy of Engineering

 

Durch Elektrolyse schließlich — das weiß jeder, der den Chemieunterricht in der Schule nicht geschwänzt hat — produziert man Wasserstoff, indem man elektrischen Strom durch das Wasser leitet. Diese letzte Methode ist der Stein der Weisen. Die Elektrizität könnte aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Aus dünner Luft und Wasser ließe sich ein Brennstoff erzeugen, der dicht, speicherbar und transportfähig ist. Wenn man ihn billig herstellen, transportieren und verbrennen könnte, dann wäre das der optimale Ersatz für unsere fossilen Brennstoffe. Denn er würde uns gleichzeitig gestatten, unseren Lebensstil fast unverändert beizubehalten.

Doch es ist unverkennbar, dass die letztgenannte Methode immer teuer sein wird. Elektrizität ist ein Produkt, das aufwendig hergestellt werden muss. Sie als Rohstoff für die Erzeugung einer anderen Art von Brennstoff einzusetzen ist eine neue Form der Extravaganz. Nach Angaben der National Academy liegt die Effizienz bei der Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse bei nur 30 Prozent.51 Damit verlieren wir also 70 Prozent der nützlichen Energie, die unsere Windräder oder Kraftwerke produzieren. Bei der Umwandlung von Erdgas in Wasserstoff beträgt die Effizienz dagegen ungefähr 72 Prozent.52

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Wenn Strom aus erneuerbaren Energiequellen nur 2 Pence pro Kilowattstunde kostete, dann wäre der durch Elektrolyse produzierte Wasserstoff für die Verbraucher immer noch doppelt so teuer wie Erdgas.53 Aus Erdgas hergestellter Wasserstoff würde — sogar mit Sequestration — die Haushalte nur 50 Prozent mehr kosten als das Gas selbst*

Aus Gründen, die ich im Folgenden noch weiter erläutern werde, würden wir weniger Wasserstoff als Erdgas verbrauchen, um dieselbe Menge Elektrizität und Wärme zu erzeugen, sodass die Brennstoffpreise ungefähr gleich bleiben würden. Aber weil die Anlagen, in denen der Wasserstoff verbrannt wird, zumindest in den ersten Jahren wahrscheinlich teurer sein werden, dürfte der Gesamtpreis für Heizung und Strom wahrscheinlich höher liegen als heute.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, dass die Umwandlung von Gas mit Sequestration der beste Weg wäre, uns mit Wasserstoff zu versorgen. Wo heute Kraftwerke stehen, könnte es morgen Wasserstofffabriken geben. Mindestens 80 Prozent der Kohlendioxidemissionen, die sie produzieren, könnten ausgewaschen und unterirdisch gelagert werden.

* Das <Imperial College Centre for Energy Policy and Technology> gibt die voraussichtlichen Verbraucherpreise für regional gelieferten Wasserstoff mit 4,8 Pence pro Kilowattstunde an, wenn der Wasserstoff durch Elektrolyse hergestellt wird.54 
2,5 Pence davon sind reine Produktionskosten; den Rest bilden die Kosten für Kompression, Lagerung und Verteilung. Die NAE-Zahlen lassen den Schluss zu, dass »in Zukunft« Wasserstoff, der aus Gas mit Sequestration erzeugt wird, nur 44 Prozent dessen kosten wird, was man für Wasserstoff aus Elektrolyse bezahlen muss. Wenn diese Zahlen Bestand haben, bedeutet das, dass die Produktion 1,1 Pence pro Kilowattstunde kosten wird, wodurch die Gesamtkosten für die Haushalte auf 3,4 Pence sinken. Im November 2005 mussten die Haushalte für Erdgas 2,3 Pence pro Kilowattstunde zahlen. Im November 2004 waren es 2,0 Pence.55

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Bei dem System der Sequestration, wie ich es in Kapitel 5 beschrieben habe, wird das Kohlendioxid aus den Abgasen ausgewaschen, die entstehen, wenn man Gas verbrennt, um Elektrizität zu erzeugen. Bei der Herstellung von Wasserstoff wird das Kohlendioxid abgetrennt, bevor man das Gas verbrennt. Abgesehen davon gibt es keinen nennenswerten Unterschied: Das Kohlendioxid wird durch Rohre abgeleitet und unterirdisch gespeichert.

Anfangs könnte man Wasserstoff mit Erdgas mischen und das existierende Netz von Pipelines nutzen: Eine Konzentration von 10 oder 15 Prozent würde sich auf die Leistung unserer Boiler nicht weiter auswirken.56 Aber sobald wir mehr Wasserstoff produzieren und Anlagen installieren, in denen er verbrannt wird, brauchen wir ein getrenntes Transportsystem. Wenn man das Gas verflüssigt, muss man die Lagertemperatur unter -259 Grad halten, und dabei verbraucht man 35 Prozent der Energie, die der Wasserstoff enthält.57 Reiner Wasserstoff benötigt ein völlig neues Leitungssystem, weil er unsere Gasleitungen brüchig machen würde.58 Wir könnten natürlich die existierenden Leitungen benutzen, um das Erdgas in die Nähe der Orte zu befördern, wo Wasserstoff benötigt wird, und dort kleine Anlagen bauen, in denen die Umwandlung durchgeführt wird. Aber in diesem Fall wäre keine Sequestration möglich. 

Als praktikable Optionen blieben demnach nur: Entweder wir bauen ein neues Leitungssystem parallel zu den Gasleitungen, um molekularen Wasserstoff durch das Land zu transportieren, oder wir ersetzen die Gasleitungen durch Wasserstoffleitungen, sobald ihre Lebensdauer abgelaufen ist, oder wir transportieren den Wasserstoff per Lkw, Schiff oder Bahn. Praktikabel ist das alles, aber Leitungen sind wahrscheinlich energieeffizienter und für den Kunden bequemer.

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 Die US National Academy of Engineering berichtet, molekularer Wasserstoff sei zwar »außerordentlich schwierig über weite Strecken zu transportieren«, aber in den Vereinigten Staaten werden jährlich ungefähr 9 Millionen Tonnen Wasserstoff für chemische Zwecke oder zur Treibstoffherstellung in Form von schwach oder stark komprimiertem Gas durch Pipelines oder per Lkw transportiert ... Im Laufe vieler Jahre hat man weltweit eine Menge Erfahrungen gesammelt, sodass diese Transportarten jetzt sicher und effizient sind.59

Die Energie, die man benötigt, um Wasserstoff auf 5000 Pfund pro Quadratinch (das ist zweieinhalbmal höher als für den Hochdrucktransport durch Leitungen erforderlich60) zu komprimieren, liegt zwischen 4 und 8 Prozent der Energie, die Wasserstoff enthält.61 Der Transport in Form von hochkomprimiertem Gas ist demnach effizienter als der Transport in flüssiger Form. Doch der Bau einer Wasserstoffpipeline ist teuer. Die Leitungen müssen einen 50 Prozent größeren Durchmesser als Gasleitungen haben, und das Material muss von besserer Qualität sein.62 Diese Kosten habe ich bei meinen obigen Berechnungen schon berücksichtigt, wo ich zu dem Ergebnis komme, dass Wasserstoff die privaten Verbraucher ungefähr 50 Prozent mehr als Erdgas kosten wird.

Eine weiterer Alternatiworschlag stammt vom Energieexperten Dave Andrews: Wenn Wasserstoff durch Mini-Elektrolysegeräte in den Haushalten hergestellt würde, dann könnte die Abwärme (die 70 Prozent Energieverlust bei der Elektrolyse) als Heizenergie genutzt werden. Das würde die Kosten der Umwandlung senken. Bei hohen Windgeschwindigkeiten könnte man die überschüssige Energie nutzen, um Wasserstoff und Wärme zu erzeugen. Wenn der Wind nachlässt, könnte der Wasserstoff uns mit Wärme und Strom versorgen. Das bedeutet jedoch, dass der Wasserstoff im Haus gespeichert werden muss.

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In jedem Fall könnte der Wasserstoff in Boilern verbrannt werden, die den Erdgasboilern sehr ähnlich sind. Der Unterschied würde darin liegen, dass es keine Kohlendioxidemissionen dabei gibt. Ein weiterer möglicher Vorteil des Wasserstoffs liegt darin, dass er in einer so genannten Brennstoffzelle sowohl Wärme als auch Strom erzeugen kann. Dabei handelt es sich um eine Art Batterie, die als chemische Energiequelle keinen festen oder flüssigen Stoff, sondern ein Gas benutzt. Sie erzeugt im Vergleich zu einem externen Verbrennungsmotor wie dem WhisperGen mehr Strom als Wärme und statt Abgasen lediglich Wasser. Sie macht keinen Lärm und reagiert bei Bedarf fast augenblicklich. Schon heute gibt es Brennstoffzellen, die mit einer Effizienz von rund 60 Prozent Strom erzeugen.63 Für unseren Haushaltsbedarf ist das wahrscheinlich zu gut: Eine weniger effiziente Brennstoffzelle würde dem hier benötigten Verhältnis von Elektrizität und Wärme vermutlich besser entsprechen.

Brennstoffzellen sind gegenwärtig teurer als andere Arten von Mikrogeneratoren: Sogar die optimistischste Schätzung geht davon aus, dass sie heute bei weiter kommerzieller Verbreitung ungefähr das Vierfache eines Dieselmotors mit derselben Leistung kosten würden.64 Die meisten Experten halten einen noch höheren Preis für realistisch. Aber mit entsprechender Förderung durch ein Regierungsprogramm könnten die Kosten rasch fallen. Das Tyndall Centre for Climate Change Research meint, dass Systeme mit Kraft-Wärme-Kopplung, die mithilfe von Brennstoffzellen betrieben werden, »ab 2009 ökonomisch existenzfähig« sein könnten.65 Sie müssen auch verkleinert werden, wenn man sie verstärkt in privaten Haushalten einsetzen will: Im Augenblick sind sie um ein Mehrfaches größer als die Geräte mit Kraft-Wärme-Kopplung und die Generatoren, die mit Gas betrieben werden66 und ungefähr die Größe eines gewöhnlichen Boilers haben.

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Ihre derzeit noch recht kurze Lebensdauer muss verlängert werden. Wenn man all das berücksichtigt, wäre es vielleicht eine realistischere Überlegung, unsere Gasboiler nicht durch Brennstoffzellen, sondern durch Wasserstoffboiler zu ersetzen, die gleichzeitig Wärme und Strom liefern können.

Aber ohne Treibstoff funktionieren weder Boiler noch Brennstoffzellen. Sofern die Haushalte keine eigenen Elektrolysegeräte einsetzen, können Mikrogeneratoren dieser Art nur betrieben werden, wenn es ein Netzwerk für die Speicherung und Auslieferung von Wasserstoff gibt. Da ein solches Netzwerk seinerseits nutzlos ist, solange es keine Mikrogeneratoren zu versorgen gibt, stehen wir vor dem klassischen Henne-Ei-Problem beim Umstieg auf eine neue Technologie. Keine Hälfte des Systems kann ohne die andere funktionieren. Und das heißt: Die Einführung eines Systems zur Verteilung von Wasserstoff muss — sowohl strategisch als auch finanziell — von der Regierung gefördert werden.

Es wäre unsinnig zu glauben, dass eine Wasserstoffwirtschaft frei von Umweltproblemen sein könnte. Wenn Wasserstoff durch Lecks in die Troposphäre gelangt, wird er auf indirektem Weg zu einem Treibhausgas. (Er reagiert mit Hydroxylmolekülen, um Wasserdampf zu bilden. Hydroxyl vernichtet zurzeit einen Teil des Methans in der Atmosphäre.67) In der Stratosphäre scheint er die Zerstörung von Ozon zu beschleunigen.68 Jedes System, das wir benutzen, muss gut abgedichtet sein. Wenn wir dem Vorschlag der US-Regierung69 folgen und Wasserstoff aus Kohle herstellen, wird der Bergbau wieder massiv zunehmen. Sogar die Wasserstofferzeugung aus Erdgas bedeutet, dass wir weiter von einem fossilen Brennstoff abhängig blieben, was oft mit einer hässlichen Infrastruktur verknüpft ist und fragwürdige Abkommen mit unangenehmen Regierungen ebenso zum Inhalt hat wie die Zerstörung von Lebensräumen und die Vertreibung von Menschen aus ihren Wohngebieten.70) 

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Aber das Gas stellt derzeit eine ziemlich preiswerte Möglichkeit dar, Wärme und Strom zu erzeugen und dabei gleichzeitig unsere Kohlendioxidemissionen drastisch zu reduzieren. Unter Berücksichtigung der Verluste, die sich durch die Sequestration und den Transport von Wasserstoff ergeben, könnten wir insgesamt ungefähr 80 Prozent unserer Kohlendioxidemissionen einsparen. Die verschiedenen Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, die ich in Kapitel 4 dargestellt habe, und neue Arten von Treibstoff bringen uns über die 90 Prozent hinaus, die ich als Ziel für die Reduzierung von Kohlendioxidemission im Haushalt gesetzt habe. Aber um das zu erreichen, brauchen wir ein massives und äußerst ehrgeiziges Regierungsprogramm, damit das Verteilungssystem für Erdgas gegen ein Netzwerk zur Verteilung von Wasserstoff ausgetauscht werden kann. Außerdem muss jeder Boiler, der zwischen 2010 und 2030 stillgelegt wird, durch einen Wasserstoffboiler oder eine Brennstoffzelle ersetzt werden. 

Das ist eine gewaltige Aufgabe, aber sie könnte — gerade eben — im Bereich des Machbaren liegen. Elektrolysegeräte für den Einsatz im Haushalt, die Wasserstoff mithilfe kohlenstoffarm erzeugter Elektrizität produzieren, wären vielleicht schneller und leichter zu entwickeln und zu installieren als ein neues Leitungsnetz für Wasserstoff. Die Kosten für diesen Brennstoff werden wahrscheinlich höher bleiben, könnten aber gesenkt werden, wenn die Elektrolysegeräte nur bei einem Überschuss an Windenergie arbeiten.

Doch kann ein System von Mikrogeneratoren uns zuverlässig versorgen, wenn wir das nationale Stromnetz verschrotten? Die nicht ganz befriedigende Antwort lautet: »Wahrscheinlich.«

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Jeder Haushalt wird mit dem des Nachbarn verbunden, um eine Miniaturversion des nationalen Netzes zu bilden — eine »Insel« zur Stromerzeugung. Diese Insel kann wiederum mit den Nachbarinseln verbunden werden, um mehr Versorgungssicherheit zu schaffen. Mithilfe eines intelligenten Zählers können die Haushalte automatisch Strom untereinander austauschen: Wenn ein Generator irgendwo ausfallt, können andere die Versorgungslücke füllen.7' Es wird kaum Bedarf für zusätzliche Stand-by-Generatoren geben, weil jede individuelle Anlage durch die des benachbarten Haushalts unterstützt wird.

Greenpeace hält dieses System für sicherer als das nationale Netz: »Es würde uns auf eine Weise mit Elektrizität versorgen, die weitaus weniger störanfällig gegenüber Sabotage oder Unwetter wäre.«72

Das House of Lords ist der Ansicht, ein solches System würde genauso sicher sein wie das nationale Netz:

Dieses Modell reagiert im Prinzip nicht besser oder schlechter auf Veränderungen im Bedarf als das nationale Netz ... Zwar wären einige technische Probleme zu lösen, einschließlich der nötigen Synchronisation zwischen den Inseln, aber diese Schwierigkeiten sind zu überwinden.73

Das Tyndall Centre beginnt zuversichtlich: »Wir stellen fest, dass es keine fundamentalen technologischen Gründe gibt, warum Mikronetze nicht einen beträchtlichen Teil des britischen Energiebedarfs decken sollten ...«, relativiert aber später die eigene Begeisterung:

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In einem Mikronetz kommt es entscheidend auf die Stabilität der Frequenzen an ... Und weil das System so klein ist, ist hier eine befriedigende Lösung sehr viel schwieriger zu erreichen als bei einem konventionellen Stromnetz ... Die Qualitätskontrolle wird für ein Mikronetz die größte Herausforderung darstellen. Spannungsschwankungen, Flackern, Unterbrechungen, Oberwellen, Gleichstrompegel etc. sind in einem kleinen System mit wenigen Generatoren sehr viel problematischer.74)

Aber diese Probleme, so heißt es weiter, lassen sich mithilfe von Batterien überwinden, die »schnell genug [reagieren], um eine angemessene Frequenz­kontrolle zu sichern«.

Greenpeace argumentiert, die Kosten eines solchen Systems würden nicht so hoch sein, wie sie anfangs erscheinen, weil wir nicht so viel für die Erhaltung und Reparatur des nationalen Netzes und die Übertragungsverluste (ungefähr 7,5 Prozent75) zahlen müssten. Die Organisation hebt hervor, nur 52 Prozent der Kapitalkosten der Elektrizität würden durch die Erzeugung verursacht; der Rest gehe auf das Konto von Transport und Verteilung.76 Die Internationale Energieagentur schätzt, dass die Stromversorger in der Europäischen Union von jetzt bis 2030 eine Summe von 1,35 Billionen Dollar investieren müssen, um das System funktionsfähig zu halten, wovon 648 Milliarden für die Netzwerke zur Übertagung und Verteilung anfallen.77 Wenn man einen Teil dieses Geldes stattdessen für den Bau von Wasserstoffleitungen ausgäbe, dann sähe der Umstieg auf ein Energie-Internet schon weniger schmerzlich aus.

 

Aber so reizvoll die Idee auch sein mag, ich bin doch zu der Überzeugung gelangt, dass die Demontage des nationalen Netzes ein Fehler wäre. Wir würden damit einem ästhetischen Trugschluss unterliegen. Es gibt immer noch eine große Nachfrage — von Industrieanlagen, Bürogebäuden, den Gemeinden,

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die für die Straßenbeleuchtung und den Nahverkehr zuständig sind — nach Elektrizität, die nicht mit Wärme gekoppelt ist. Ich habe sogar den Eindruck, dass es vielleicht notwendig sein könnte, das Netz zu erweitern. Neue Kabel würden es uns ermöglichen, Elektrizität aus den besten erneuerbaren Quellen zu beziehen, weit entfernt von unseren Küsten. Indem wir Energie aus einem größeren Einzugsgebiet an Land und auf See beziehen könnten, würde ein weiter gespanntes Netz den Strom aus erneuerbaren Quellen zuverlässiger fließen lassen. Indem wir uns mit den Netzwerken anderer Länder und deren Energiequellen verbinden, könnten wir die »Systemkosten« verringern, die für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage entstehen. Ich hasse Hochspannungs­leitungen, aber ich kann mich nicht der Schlussfolgerung entziehen, dass wir mehr davon brauchen.

Es könnte also sein, dass ich die Antwort gefunden habe. Den größten Wärmebedarf gibt es in unseren Haushalten. Ein System von Mikrogeneratoren auf der Basis von Solarmodulen und entweder Wasserstoffboilern oder Brennstoffzellen würde uns dort mit Wärme und Strom versorgen. Jeder Haushalt könnte entweder seinen eigenen Wasserstoff herstellen, indem er den Strom aus dem öffentlichen Netz für die Elektrolyse verwendet, oder Wasserstoff aus einem Netzwerk von Pipelines beziehen. Am wichtigsten vielleicht — im Hinblick auf die öffentliche Akzeptanz: Dieses System fordert vom privaten Verbraucher nicht mehr Zeit und Aufwand als die bisherige Art der Energieversorgung, mit einem Wort gesagt, null. Alles lässt sich mit einem Griff ein- oder ausschalten und funktioniert im Prinzip genauso reibungslos wie unsere heutige Raumheizung und Stromversorgung.

Ungefähr die Hälfte der Elektrizität, die wir heute über das Netz beziehen, könnte — wie ich in Kapitel 6 vorgeschlagen habe — durch einige große Kraftwerke zur Verfügung gestellt werden, die Methan verbrennen, entweder in Form von natürlichem Gas oder als Abgas, das aus der unterirdischen Kohlevergasung stammt, wobei die Kohlendioxidemissionen der Kraftwerke ausgewaschen und unterirdisch gespeichert werden. Wenn meine grobe Schätzung stimmt, könnten Offshore-Windanlagen und Wellenkraft die andere Hälfte liefern.

Diese Umstellung würde einige kühne politische Entscheidungen und ehrgeizige technische Entwicklungen erfordern. Aber es geht dabei nicht um eine bemannte Reise zum Mars. Alles, was ich hier vorgeschlagen habe, ist — soweit ich weiß — technisch schon möglich und ökonomisch mehr oder weniger machbar. Die Frage ist, ob es rechtzeitig umgesetzt werden kann. 

Wenn ja, habe ich mich vielleicht vor einer beängstigenden Nemesis gerettet: Ich muss kein Aromatherapeut werden.

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