Michael Odenwald

Wie sähe die Erde aus,
wenn der Mensch verschwindet?

Auf eine Frage von Sybille G.
am 26.02.2015 im Magazin Focus

 

wikipedia  Michael Odenwald - Journalist 


detopia:

Umweltbuch     O.htm 


Klaus Jacob  Was bleibt? Artikel 1999

Alan Weisman  Buch 2007

C.Lauterburg     T.Löbsack      H.Gruhl 

Gäbe es morgen keine Menschen mehr auf der Erde, würde die Natur den Planeten rasant zurückerobern. Die Spuren unserer Anwesenheit wären bald verwischt. 

 

Maschinerie der Zivilisation kommt zum Erliegen

Die Erde war die längste Zeit ihrer Geschichte ohne Menschen. Dann aber tauchte Homo sapiens auf samt seiner technischen Zivilisation. Mit ihr - und durch seine Massenvermehrung - gestaltete er unseren Planeten dramatisch um. Es ist also durchaus reizvoll, zu überlegen, was geschähe, wenn der Mensch schlagartig wieder von der Erdoberfläche verschwände.

Ein solches Szenarium präsentiert der Film <I Am Legend>, der derzeit in den Kinos läuft. Der US-Schauspieler Will Smith mimt darin einen Biologen, der als (vermeintlich) einziger Mensch eine todbringende Virusepidemie übersteht und nun ganz allein in New York lebt. Nach dem Hinscheiden der Einwohner der Metropole wächst Gras aus den Gullys, im Central Park röhren Hirsche, denen Löwen nachstellen. Nachts kommen dann die Monster. 

Der Film beruht auf dem gleichnamigen Roman des US-Journalisten Richard Matheson von 1954. Auch andere Autoren griffen das Thema auf, so der Brite Samuel Youd, der 1977 unter dem Pseudonym John Christopher den Roman <Leere Welt> schrieb. Darin schlägt sich ein junger Mann durch das ebenfalls durch einen Virus entvölkerte London. Doch das ist Science-Fiction, im Fall des Will-Smith-Films noch dazu von Hollywood verhunzt. 

 wikipedia  Ich_bin_Legende (Roman)    wikipedia I_Am_Legend_Film (2007)    wikipedia  Der Omega-Mann (1971)     wikipedia  Richard_Matheson (1926-2013)    wikipedia  The_Last_Man_on_Earth (1963)  wikipedia  John_Christopher  (1922-2012)

Daneben gibt es aber eine Reihe seriöser Analysen, die zeigen, was ein plötzliches Verschwinden der Menschheit bewirken würde. 

Bekannt wurde im Sommer 2007 das Buch <Die Welt ohne uns> des amerikanischen Starjournalisten Alan Weisman, in dem er zeigt, wie sich die Insignien unserer Zivilisation Zug um Zug auflösen, bis nur noch fossile Überreste und ein paar künstliche Radionuklide von der einstigen Existenz der Menschheit künden. 

Eine Titelgeschichte zu dem Thema erschien im Oktober 2007 auch im britischen Wissenschaftsblatt <New Scientist>. Dort wird süffisant angenommen, die Menschheit, die ihre kosmische Heimat in immer schnellerem Tempo verwüstet, würde von einer überlegenen fremden Intelligenz in ein Umerziehungslager in einer fernen Galaxie verfrachtet (die Annahme, die Menschen würden an einer Krankheit aussterben, klammerten die Briten aus, um der Erde das Problem mit den vielen Leichen zu ersparen). 

Daneben beleuchten Studien einiger – auch deutscher – Ingenieure und Ökologen einzelne Aspekte einer menschen­leeren Erde. 

Zusammengefasst ergibt sich aus diesen Arbeiten ungefähr folgendes Bild:  

Zuerst wird es ruhig auf Erden. Der Lärm von Verkehr, Baustellen, Fabriken und so weiter erstirbt. Nach 24 bis 48 Stunden fallen dann die ersten Kraft­werke aus, weil der Nachschub an Brennstoffen fehlt. Dann kommt zur Stille die nächtliche Dunkelheit. In Europa wird es derzeit an 85 Prozent der Himmelsfläche nicht mehr richtig dunkel, in den USA 62 Prozent. Ohne Elektrizität endet diese Lichtverschmutzung. Windturbinen liefern noch eine Weile Strom, doch nur automatische Anlagen bleiben in Betrieb, weil niemand mehr da ist, um die anderen einzuschalten. Nach und nach fallen auch Ampeln, Pumpen in Wasserwerken, Kläranlagen, Tankstellen und andere Geräte aus, die Maschinerie unserer Zivilisation kommt zum Erliegen.

In den Straßen bilden sich Krater  

Relativ rasch löst sich nun die Infrastruktur in Stadt und Land auf. Zwar sollten Gebäude 60 Jahre, Brücken 120 Jahre und Dämme sogar 250 Jahre halten, das gilt aber nur bei regelmäßiger Wartung. Ein reales Beispiel für den Niedergang liefert die Stadt Pripjat in der Todeszone um das 1986 havarierte Kernkraftwerk Tschernobyl. Sie wurde vor 20 Jahren verlassen. Aus der Ferne erscheinen ihre Gebäude intakt, doch ein näherer Blick offenbart den Zerfall: Pflanzen wachsen in allen Winkeln. Ihre Wurzeln brechen Fenster- und Türstürze, Beton und Mauerwerk auf, die Struktur zerbröselt unerwartet schnell.

Dadurch hat auch die Verwitterung leichteres Spiel. Stürme und Frost beschleunigen den Niedergang der Gebäude. Zuerst zerfressen Würmer, Käfer und Asseln, Pilze und Bakterien die Holzhäuser. Leichtbau-Konstruktionen, aber auch moderne Häuser mit Glasfassaden überdauern nur wenige Jahrzehnte. In einigen 100 Jahren ist von fast allen Gebäuden nur noch Schutt übrig.

Alan Weisman entwickelte ein solches Zerfallszenarium für New York. Dort drückt der Wind das Wasser des Atlantiks in das Grundwasser, sodass dessen Pegel steigt. Deshalb müssen jeden Tag 50 Millionen Liter Wasser abgepumpt werden, die sonst die U-Bahn-Tunnel fluten würden. Fallen die Pumpen in der menschenleeren Stadt aus, steht ihr Untergrund binnen 36 Stunden unter Wasser. In den Straßen bilden sich Krater, das Pflaster bricht auf, Unkraut nistet sich ein, ebenso eingeführte exotische Arten wie der chinesische Götterbaum. Seine Wurzeln heben in etwa fünf Jahren die Bürgersteige an. Ohne Heizung platzen die Leitungsrohre, der Frost-Tauwetter-Zyklus sprengt die Gebäudefassaden. Ein einziger Blitzschlag kann einen riesigen Brand auslösen.

Bald nisten Bussarde und Falken in den Ruinen. Nach zwei Jahrhunderten haben Baumgruppen die Pionierpflanzen weitgehend verdrängt. Schließlich stürzen die Wolkenkratzer ein. Auf den Trümmern streifen Kojoten, Rotfüchse, Hirsche, Bären und Wölfe durch den Wald. In einigen Tausend Jahren würden fremde Besucher die Stadt nicht mehr als solche erkennen. Die letzten Steinmauern sind eingestürzt, allenfalls im Untergrund fänden sich noch Relikte: Schächte, Kanäle, Reste von Glasfaserkabeln und Ähnliches mehr. Sie würden Rückschlüsse auf unsere Lebensweise und die technischen Standards zulassen. Die Freiheitsstatue ist versunken, wahrt aber am Hafengrund unter einer dicken Muschelkruste auch jetzt noch ihre Form.

Die Natur erobert ihr Terrain zurück

Kernkraftwerksbauten bleiben dank ihrer massiven Betonhüllen am längsten bestehen, vermutlich für viele Jahrhunderte. Das gilt erst recht für massive Gebäude mit Kuppeln wie Schlösser, Kirchen oder Tempel. Dass diese sich Jahrtausende lang halten können, ist hinlänglich bewiesen. Ihre Ruinen sind möglicherweise noch in 10.000 Jahren vorhanden. Auch die Bänder von Betonstraßen ziehen sich, wenngleich stellenweise zerstört, noch lange durch die Landschaften.

Nach dem Stromausfall könnte es in dem einen oder anderen Kernkraftwerk zum GAU kommen, in Form eines schmelzenden Reaktorkerns mit entsprechender Freisetzung von Radioaktivität. Abgesehen davon, dass niemand mehr da ist, der sich darüber aufregen könnte, wären die Folgen für die Natur gering. Auch dies demonstriert Tschernobyl: Statt der zunächst befürchteten nuklearen Wüste gibt es um den detonierten Meiler herum blühendes Leben. Zuerst stiegen die Bestände von Mäusen und Ratten, dann siedelten sich wilde Hunde an. Wildschweine sind zehn- bis 15-mal häufiger als in anderen Wäldern, und selbst Wölfe wanderten in die Todeszone ein.

Die Natur erobert sich also das einst von Menschen okkupierte Terrain rasant zurück.

Kanadische Ökologen schätzen, dass sich in den nördlichen Wäldern der Erde die Wunden, die der Mensch ihnen durch Straßen, Bahnlinien, Pipelines und Ähnliches riss, in 200 Jahren fast vollständig schließen. Natürliche Wälder werden auch mit Monokulturen bestückte Plantagen zurückerobern. Das dauert aber mehrere Baumgenerationen oder einige Jahrhunderte. Die riesigen Agrarwüsten, auf denen heute Mais, Weizen und Reis wachsen, würden ebenfalls im Lauf von Jahrhunderten wieder zu natürlichen Ökosystemen. Ihre Lebensgemeinschaften wären aber gegenüber dem Urzustand verändert.

 Haustiere verwildern

In Ex-Deutschland wächst bald auf 95 Prozent der Fläche Wald, nur unterbrochen von ein paar Seen, Sümpfen, Flussauen und Bergen. Zügig nehmen seine einstigen Bewohner das Gebiet wieder in Besitz, nämlich Arten wie Spechte und Rothirsche, aber auch Insekten und Käfer, die im Totholz leben. Darüber hinaus profitieren Wölfe, Luchse und Wildkatzen, die nun auch nicht mehr am Kühlergrill von Autos enden, vom menschenleeren Land.

Kulturfolger wie Weißstorch, Feldlerche und Hausspatz, Wanderratte und Feldhamster hätten hingegen das Nachsehen, ihr Lebensraum schrumpft.

Weisman fand heraus, dass allein Afrika rasch wieder in seinen prähistorischen Zustand zurückkehren wird. Dort gab es kaum Bioinvasionen durch fremde Arten, auch die großen Säuger wie Elefanten, Giraffen, Nashörner und Flusspferde gibt es noch, anders als in Amerika und Australien.

Der Pavian könnte sogar als einer der wenigen Primaten, die sich an ein Leben außerhalb der Wälder angepasst haben, den Platz der Vorfahren des Menschen in der Savanne einnehmen.  

Das große Los in Weismans Gedankenspiel aber zieht das Gnu. Denn die Massai-Hirten in Kenia und Tansania konkurrieren mit ihm um Nahrung, indem sie ihre Rinder in den Grassavannen weiden lassen. Diese wären ohne den Schutz durch den Menschen bald eine leichte Beute für Hyänen und Löwen. Ohne Rinder bliebe doppelt so viel Futter für andere Grasfresser wie das Gnu.

Die Haustiere, sofern sie überhaupt überleben, verwildern. Am besten kommt dabei die Hauskatze zurecht. Ihr Jagdinstinkt blieb trotz der Domestizierung durch den Menschen intakt, sodass sie auch ohne Fütterung in der Natur bestehen kann. Vögel oder Mäuse wird es in einer Welt ohne Jagdgewehre, Pestizide und Verkehr genug geben. Hunde sterben, da kaum konkurrenzfähig, wohl aus, und auch Pferde haben kaum Überlebenschancen.

Für manche bedrohte Arten ist es zu spät  

Den größten Nutzen vom Verschwinden des Menschen hätten natürlich die zahllosen bedrohten Arten, die nun nicht länger von der dominierenden Spezies des Planeten bedrängt werden. Für manche davon, deren Bestände schon unter die für eine Erholung kritische Schwelle fielen, käme ein Sekundentod der Menschheit aber zu spät. Dazu zählen in Afrika der Gepard und der kalifornische Kondor. Auch für massiv veränderte Ökosysteme lässt sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen. So werden die in Australien eingeschleppten Kaninchen, die massive Schäden anrichten, in der neuen Heimat überleben.

Am längsten brauchen die Ozeane, um sich vom Homo sapiens zu erholen.

Zwar wäre das Verschwinden der Industrie-Fangflotten für die Fischbestände ein Segen, viele der überfischten Populationen würden sich erholen — so wie während des Zweiten Weltkriegs der Nordsee-Kabeljau, weil die Fischer kaum mehr über die Hafenumgebung hinaus fuhren. 

Allerdings ist unklar, bis zu welchem Maß sich der natürliche frühere Zustand wieder einstellen wird. Denn Meeresökosysteme haben oft mehrere stabile Zustände mit jeweils anderen dominierenden Arten. Weil auch die Einträge von Nährstoffen aus der Landwirtschaft enden, gibt es kaum mehr Algenblüten, und Korallen und andere vom Menschen dezimierte Organismen wachsen wieder.

In der Atmosphäre verbleibt das vom Menschen freigesetzte Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) noch lange. Zwar nehmen die Ozeane einen großen Teil davon auf, doch weil sie wie riesige Wärmespeicher wirken, setzt sich die vom CO2 angestoßene globale Erwärmung noch eine Weile fort. Schadstoffe wie Ozon, Stickoxide und Schwefeldioxid, die aus Verbrennungsprozessen stammen, werden demgegenüber schon in wenigen Wochen vom Regen aus der Luft gewaschen.

 Nur noch Fossilien sind übrig  

Insgesamt sind in einigen 10.000 Jahren fast alle Spuren unserer Existenz verschwunden.

Fremde Raumfahrer, die 100.000 Jahre nach dem Exitus von Homo sapiens zur Erde kommen, finden keinerlei Hinweise auf die untergegangene Zivilisation. Dazu müssten sie schon im Boden graben. Anhand der Fossilien könnten sie erkennen, dass es 100.000 Jahre zuvor ein Massenaussterben von Arten gab. Sie würden auch auf Skelette eines großen Primaten stoßen, die planvoll beerdigt wurden. Grabbeigaben zeigen, dass diese Spezies über Kulturtechniken verfügt haben musste. Dies bestätigen auch Glas- und Plastikfragmente als Relikte heutiger Mülldeponien.

Nur am Meeresgrund werden die Spuren der Zivilisation langfristig überdauern. In Bohrkernen fänden die Außerirdischen eine dünne Schicht mit einer hohen Konzentration von Schwermetallen, insbesondere Quecksilber, ebenso radioaktive Isotope aus den geschmolzenen Kernen einiger Atomkraftwerke. In der Atmosphäre wären noch Spuren synthetischer Gase, vor allem langlebige Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe, vorhanden. 

In erdgeschichtlichen Zeiträumen aber werden Erosion und möglicherweise auch eine neue Eiszeit selbst diese Hinterlassenschaften des Menschen tilgen, mit Ausnahme einiger Versteinerungen und von Knochenfossilien. 

Gäbe es in einigen Millionen Jahren eine neue intelligente Art, würde sie wohl nie erfahren, dass wir hier waren — die Erde hätte den Menschen relativ schnell vergessen.

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Quelle:  https://www.focus.de/wissen/weltraum/odenwalds_universum/wie-saehe-die-erde-aus-wenn-der-mensch-verschwindet-odenwalds-universum_id_2261207.html 

 

 

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