Huxley 1958        Start    Anmerk 

11  Huxleys Warnung 

 

 

189-198

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der Geist einer Kultur beschädigt werden kann. Im ersten Fall — Orwell hat ihn beschrieben — wird die Kultur zum Gefängnis; im zweiten Fall — ihn hat Huxley beschrieben — verkommt sie zum Varieté.

Jeder weiß, daß die gegenwärtige Welt von vielen Gefängniskulturen entstellt ist, deren Struktur Orwell in seinen Parabeln genau dargestellt hat. Romane wie <1984> und <Farm der Tiere>, aber auch Arthur Koestlers <Sonnenfinsternis> enthalten ziemlich exakte Aufrisse einer Apparatur zur Gedankenkontrolle, wie sie heute in Dutzenden von Ländern funktioniert und Millionen von Menschen beherrscht. 

Orwell war natürlich nicht der erste, der beschrieben hat, welche geistigen Verheerungen eine Tyrannei anrichtet. Unersetzlich ist sein Werk deshalb, weil er darauf beharrt, daß es keinen großen Unterschied macht, von welchen Ideologien sich unsere Wärter leiten lassen. Die Gefängnismauern sind gleich unüberwindlich, die Überwachung ist gleich streng, der Personenkult ist stets universell.

Huxley hat gezeigt, daß im technischen Zeitalter die kulturelle Verwüstung weit häufiger die Maske grinsender Betulichkeit trägt als die des Argwohns oder des Hasses. In Huxleys Prophezeiung ist der Große Bruder gar nicht erpicht darauf, uns zu sehen. Wir sind darauf erpicht, ihn zu sehen. 

Wächter, Gefängnistore oder Wahrheitsministerien sind unnötig. Wenn ein Volk sich von Trivialitäten ablenken läßt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine endlose Reihe von Unterhaltungs­veranstalt­ungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Variete-Nummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr — das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung.

Orwells Prophezeiungen haben für Amerika kaum Bedeutung, diejenigen Huxleys freilich sind nahe daran, Wirklichkeit zu werden. Denn Amerika hat sich auf ein Experiment zur Anpassung an die Zerstreuungen aus der Steckdose eingelassen, wie es ehrgeiziger anderswo auf der Welt nicht betrieben wird. Dieses Experiment begann langsam und bescheiden um die Mitte des 19. Jahrhunderts und hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Amerikas verzehrender Liebe zum Fernsehen ein fatales Reifestadium erreicht. Wie es nirgendwo sonst auf der Welt geschehen ist, haben die Amerikaner alles dafür getan, das Zeitalter des langsamen gedruckten Wortes zu beenden, und dabei haben sie dem Fernsehen die Vorherrschaft über ihre sämtlichen Institutionen eingeräumt. Amerika hat das Fernsehzeitalter eingeläutet und damit der Welt den Ausblick in eine Zukunft im Zeichen Huxleys eröffnet, wie man ihn klarer und anschaulicher nicht finden wird.

Diejenigen, die über solche Fragen sprechen, schlagen häufig einen fast hysterischen Ton an, was ihnen den Vorwurf einbringt, sie seien Nörgler, Quälgeister oder notorische Pessimisten. Aber sie tun das, weil das, worauf sie die anderen aufmerksam machen wollen, so harmlos erscheint, sofern es nicht überhaupt unsichtbar ist. Eine Orwell-Welt ist viel leichter zu erkennen als eine Huxley-Welt, und es ist auch leichter, sich ihr zu widersetzen. Unser gesamter kultureller Lebenszusammenhang hat uns darauf vorbereitet, ein Gefängnis als solches zu erkennen und Widerstand zu leisten, wenn seine Mauern uns einzuschließen drohen.  

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Den Stimmen eines Sacharow, eines Timmerman*, eines Walesa gegenüber verhalten wir uns wahrscheinlich nicht teilnahmslos. Gegen den lärmenden Ansturm des Unrechts greifen wir zu den Waffen, im Geiste Miltons und Bacons, Voltaires, Goethes und Jeffersons. 

Aber was ist, wenn keine Angst- und Schmerzens­schreie zu hören sind? Wer ist bereit, sich gegen den Ansturm der Zerstreuungen aufzulehnen? Bei wem führen wir Klage — wann? und in welchem Tonfall? —, wenn sich der ernsthafte Diskurs in Gekicher auflöst? Welche Gegen­mittel soll man einer Kultur verschreiben, die vom Gelächter aufgezehrt wird?

 

Ich fürchte, unsere Philosophen lassen uns hier im Stich. Ihre Warnungen richten sich gewöhnlich gegen bewußt formulierte Ideologien. Aber das, was zur Zeit in Amerika vor sich geht, folgt nicht den Absichten einer artikulierten Ideologie. Kein kompaktes Programm, kein <Mein Kampf> und kein <Kommunistisches Manifest> haben die Entwicklung, die sich jetzt abzeichnet, angekündigt. Sie tritt als ungewollte Konsequenz eines dramatischen Wandels in den Formen unseres öffentlichen Austauschs auf. 

Und doch handelt es sich um eine Ideologie, denn sie drängt uns eine bestimmte Lebensweise und ein ganz bestimmtes Verhältnis zwischen Menschen und Ideen auf. Ohne Konsensus, ohne Diskussion und ohne daß Einwände erhoben würden. Es bedurfte nur unserer Nachgiebigkeit. Das öffentliche Bewußtsein will noch nicht wahrhaben, daß Technik Ideologie ist. Und dies, obwohl die Technik vor unseren Augen in den letzten achtzig Jahren das Leben der Amerikaner einschneidend verändert hat. 

Nicht geahnt zu haben, welche kulturellen Umwälzungen das Automobil mit sich bringen würde, wäre im Jahre 1905 durchaus entschuldbar gewesen. Wer hätte damals voraussehen können, daß uns das Automobil einmal vorschreiben würde, wie wir unsere gesellschaftlichen Beziehungen und unser Geschlechtsleben einzurichten haben? Daß es uns im Umgang mit den Wäldern und unseren Städten zum Umdenken veranlassen würde? Daß es neue Formen des Ausdrucks unserer individuellen Identität und unseres sozialen Status hervorbringen würde? 

* (d-2005:)  Timmerman...  

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Aber die Zeit ist weitergegangen, und nicht zu wissen, was auf dem Spiele steht, ist heute unentschuldbar. Wer verkennt, daß eine neue Technik ein ganzes Programm des sozialen Wandels in sich birgt, wer behauptet, die Technik sei »neutral«, wer annimmt, die Technik sei stets ein Freund der Kultur, der ist zu dieser vorgerückten Stunde nichts als töricht. Außerdem haben wir inzwischen genug erlebt, um zu wissen, daß technische Wandlungen in den Formen der öffentlichen Kommunikation noch stärker mit Ideologie gesättigt sind als Wandlungen in den Formen des Verkehrswesens. Man bringe einer Kultur das Alphabet, und man verändert ihre Wahrnehmungsgewohnheiten, ihre sozialen Beziehungen, ihre Vorstellungen von Gemeinschaft, Geschichte und Religion. Man führe den Buchdruck mit beweglichen Lettern ein, und man bewirkt das gleiche. Man führe die Übermittlung von Bildern mit Lichtgeschwindigkeit ein, und man löst eine Kulturrevolution aus. Ohne Abstimmung. Ohne Polemiken. Ohne Guerillawiderstand. 

Wir haben es hier mit Ideologie in ihrer reinsten, freilich nicht in ihrer lautersten Gestalt zu tun. Mit einer wortlosen Ideologie, die aufgrund ihrer Wortlosigkeit nur um so mächtiger ist. Damit sie sich festsetzen kann, bedarf es nur einer Bevölkerung, die inbrünstig an die Unausweichlichkeit des Fortschritts glaubt. Und in diesem Sinne sind die Amerikaner ausnahmslos Marxisten, denn wenn wir überhaupt etwas glauben, dann dies: daß uns die Geschichte einem vorausbestimmten Paradies entgegenführe und daß die Technik dabei die treibende Kraft sei.

Es gibt also einige nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten für jemanden, der ein Buch wie dieses geschrieben hat und der am Schluß mit ein paar Rezepten gegen das von ihm diagnostizierte Leiden aufwarten möchte. Erstens glaubt nicht jeder, daß eine Behandlung erforderlich ist, und zweitens gibt es eine wirksame Behandlungsmethode wahrscheinlich gar nicht.

Aber als waschechter Amerikaner, der sich die Überzeugung nicht nehmen läßt, es müsse für jedes Problem auch eine Lösung geben, möchte ich mit den folgenden Anregungen schließen.

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Zunächst sollten wir uns nicht mit unsinnigen Vorstellungen selbst täuschen, etwa mit maschinen­stürmer­ischen Projekten, wie sie beispielsweise Jerry Mander in seinem Buch <Four Arguments for the Elimination of Television> vorgetragen hat. Die Amerikaner werden keinen einzigen Teil ihres technologischen Apparats stillegen — und wer dergleichen empfiehlt, der empfiehlt gar nichts. 

 en.wikipedia  Four_Arguments_for_the_Elimination_of_Television

Fast ebenso unrealistisch ist die Erwartung, die Verfügbarkeit der Medien könnte jemals in einschneidender Weise eingeschränkt werden. Viele zivilisierte Nationen beschränken durch Gesetz die Zahl der Stunden, in denen das Fernsehen senden darf, und dämpfen damit die Rolle, die es im öffentlichen Leben spielt. Ich bin nicht der Meinung, daß dies in Amerika möglich wäre. Nachdem wir dem Happy Medium den unumschränkten Zugang zur Öffentlichkeit einmal eröffnet haben, würden wir uns mit seiner — und sei es nur partiellen — Stillegung wohl kaum abfinden. Dennoch haben einige Amerikaner Überlegungen in dieser Richtung angestellt. 

Während ich dies schreibe, erscheint in der New York Times (vom 27. September 1984) ein Artikel über die Pläne des Library Council von Farmington, Connecticut, einen »TV-Turnoff«, also einen »Streik« der Fernseh­zuschauer, zu unterstützen. Offenbar gab es schon im vorigen Jahr ähnliche Bestrebungen, die Leute zu veranlassen, einen Monat lang nicht fernzusehen. Wie die Times schreibt, fand der Turnoff im Januar vorigen Jahres in den Medien große Beachtung; sie zitiert Mrs. Ellen Babcock, deren Familie sich daran beteiligte: »Interessant wird sein, ob die Wirkung dieses Jahr die gleiche ist wie letztes Jahr, als wir eine ungeheure Berichterstattung durch die Medien hatten.« 

Mit anderen Worten, Mrs. Babcock hofft, die Menschen würden durch Fernsehen lernen, das Fernsehen einzustellen. Schwer vorstellbar, daß ihr das Paradoxe an ihrer Position nicht auffallen sollte. Mir selbst ist diese Paradoxie oft begegnet, wenn man mich drängte, im Fernsehen für ein Buch zu werben, das die Leute vor dem Fernsehen warnt. Das sind die Widersprüche, mit denen man es in einer Fernsehkultur zu tun hat.

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Doch was nützt ein einmonatiger Zuschauerstreik? Er ist eine kümmerliche Absichtserklärung, eine Art Abbitte oder Buße. Wie angenehm muß es für die Leute in Farmington sein, wenn sie ihre selbstauferlegte Strafe hinter sich haben und zu ihrer Lieblingsbeschäftigung zurückkehren können. Dennoch spendet man ihren Anstrengungen Beifall, genauso wie man den Bestrebungen derer Beifall spenden muß, die es für hilfreich halten, bestimmte Inhalte im Fernsehen einzuschränken — harte Gewaltdarstellungen zum Beispiel oder Werbespots in Kindersendungen. 

Besonders gut gefällt mir der Vorschlag von John Lindsay, die politische Werbung im Fernsehen zu untersagen, so wie zur Zeit ja auch die Werbung für Zigaretten und alkoholische Getränke untersagt ist. Mit Vergnügen würde ich als Gutachter vor der Federal Communications Commission die vielfältigen Vorteile dieser Idee bezeugen. Und für alle, die gegen mein Gutachten einwenden würden, ein solches Verbot stelle eine eindeutige Verletzung des ersten Verfassungszusatzes dar, hätte ich einen Kompromiß­vorschlag bereit: Jedem politischen Werbespot sollte eine kurze Erklärung etwa folgenden Wortlauts vorangehen: »Der gesunde Menschenverstand: Politische Fernsehwerbung gefährdet die Urteilsbildung des Gemeinwesens.«

Ich bin nicht sehr optimistisch, daß irgend jemand diesen Vorschlag ernst nimmt. Ich halte auch nicht viel von Anregungen zur qualitativen Verbesserung der Fernsehsendungen. Wie ich schon angedeutet habe, ist das Fernsehen für uns dort am nützlichsten, wo es uns mit »dummem Zeug« unterhält — und am schädlichsten ist es dort, wo es sich ernsthafte Diskursmodi — Nachrichten, Politik, Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft, Religion — einverleibt und sie zu Unterhaltungsstrategien bündelt. Wir alle stünden besser da, wenn das Fernsehen schlechter wäre, nicht besser. Sendungen wie The A-Team und Cheers sind keine Bedrohung unserer öffentlichen Integrität, wohl aber sind dies 60 Minutes, Eye-Witness News und Sesam Straße.

Das Problem besteht jedenfalls nicht darin, was die Leute sehen. Es besteht darin, daß wir sehen. Und die Lösung müssen wir darin suchen, wie wir sehen. 

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Denn man kann wohl sagen, daß wir erst noch lernen müssen, was das Fernsehen ist. Und das liegt daran, daß es keine ernsthafte Diskussion darüber, geschweige denn ein allgemeines Verständnis in der Öffentlichkeit dafür gibt, was Information und Informiertheit bedeuten und wie die Information der Kultur eine ganz bestimmte Richtung gibt. Hierin steckt eine gewisse Ironie, denn niemand verwendet häufiger und mit mehr Begeisterung als wir Schlagworte wie »Informationszeitalter«, »Informationsexplosion« oder »Informations­gesellschaft«. Offenbar haben wir inzwischen begriffen, daß ein Wandel in Form, Umfang, Tempo und Kontext der Informations­übermittlung etwas bedeutet — aber weiter sind wir noch nicht.

Was ist Information? Genauer gesagt: In welchen Formen tritt sie auf? Welche Auffassungen von Intelligenz, Weisheit und Bildung propagieren die verschiedenen Formen von Information? Welche Auffassungen vernachlässigen sie, welche machen sie lächerlich? Welches sind die psychischen Auswirkungen dieser verschiedenen Formen? Wie verhalten sich Information und Vernunft zueinander? Welche Art von Information ist dem Denken am förderlichsten? Gibt es bestimmte moralische Tendenzen, die den verschiedenen Informations­formen innewohnen?

Was heißt es zu sagen, es gebe zuviel Information? Woher weiß man das? Welche Neubestimmungen von zentralen Bedeutungs­inhalten unserer Kultur werden durch die neuen Formen, das neue Tempo, die neuen Kontexte und die neuen Vermittlungs­gesetzmäßigkeiten von Information zwingend? Gibt das Fernsehen Worten wie »Frömmigkeit«, »Patriotismus« oder »Privatsphäre« eine neue Bedeutung? Verleiht es den Begriffen »Urteilskraft« und »Verständnis« einen neuen Sinn? Auf welche Art und Weise »überzeugen« die verschiedenen Formen von Information? Unterscheidet sich das Publikum einer Zeitung vom Fernsehpublikum? Auf welche Weise schreiben die verschiedenen Informationsformen vor, welcher Art die Inhalte sind, die in ihnen zum Ausdruck gebracht werden (können)?

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Mit Hilfe dieser und Dutzender anderer Fragen könnten sich die Amerikaner in die Lage versetzen, dem Fernsehapparat Paroli zu bieten. Denn kein Medium ist übermäßig gefährlich, sofern seine Benutzer wissen, wo die Gefahren lauern. Es kommt nicht darauf an, daß diejenigen, die solche Fragen stellen, zu den gleichen Antworten gelangen wie ich oder wie Marshall McLuhan (dessen Antworten sich von den meinen übrigens erheblich unterscheiden). Es genügt schon, solche Fragen überhaupt zu stellen. Wer fragt, bricht den Bann. 

Und ich möchte hinzufügen, daß sich die Fragen hinsichtlich der psychischen, der politischen und der sozialen Auswirkungen von Information ebensogut an den Computer wie an das Fernsehen richten. Ich halte den Computer zwar für eine weit überschätzte Technologie, aber ich erwähne ihn hier, weil die Amerikaner ihm offenbar ihre übliche gedankenlose Unaufmerksamkeit geschenkt haben; das heißt, sie gebrauchen ihn so, wie man es ihnen einredet und ohne aufzumucken. So wird die zentrale These der Computertechnologie — daß die Hauptschwierigkeit bei der Lösung von Problemen in der Unzulänglichkeit des Datenmaterials gründe — ungeprüft übernommen. Bis man dann in einigen Jahren erkennt, daß die Speicherung gewaltiger Datenmengen und ihre lichtgeschwinde Abrufbarkeit zwar für große Organisationen von hohem Wert sind, daß sie den meisten Menschen aber bei wichtigen Entscheidungs­findungen wenig geholfen und mindestens ebenso viele Probleme hervorgebracht wie gelöst haben.

Nur in einer gründlichen, unbeirrten Analyse der Struktur und der Auswirkungen von Information, nur in einer Entmystifizierung der Medien liegt Hoffnung, eine gewisse Kontrolle über das Fernsehen, den Computer und andere Medien zu erlangen. 

Wie läßt sich ein solches Medienbewußtsein entwickeln?  

Mir fallen nur zwei Antworten ein; die eine ist unsinnig und kann eigentlich gleich verworfen werden, die andere hat etwas Verzweifeltes, aber eine andere kennen wir (noch) nicht.

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Die unsinnige Antwort läuft auf die Empfehlung hinaus, Fernsehsendungen zu produzieren, die die Leute nicht zum Abschalten bringen, sondern ihnen zeigen, wie man fernsehen sollte; die ihnen vorführen, wie das Fernsehen unsere Vorstellungen von Nachrichten, von politischer Debatte usw. verwandelt und verkümmern läßt. Ich glaube, solche Demonstrationen nähmen notgedrungen die Form von Parodien im Stil von Saturday Night Live und Monty Python an, und ihr Effekt wäre, die ganze Nation in ein wieherndes Gelächter darüber zu versetzen, wie das Fernsehen den öffentlichen Diskurs kontrolliert. 

Aber zuletzt lachen würde natürlich doch das Fernsehen. Denn um einen relevanten Teil des Fernsehpublikums zu erreichen, müßten solche Sendungen äußerst unterhaltsam sein, und zwar im Stil des Fernsehens. Am Ende würde also die Kritik selbst vom Fernsehen vereinnahmt. Aus den Parodisten würden Prominente, sie würden Starrollen beim Film übernehmen und zu schlechter Letzt im Werbefernsehen auftreten.

Die verzweifelte Antwort empfiehlt, auf das einzige Massenmedium zu setzen, das, zumindest theoretisch, imstande ist, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen: auf unsere Schulen. Schon immer galt die Schule in Amerika als Patentlösung für alle bedrohlichen sozialen Konflikte, und ein solcher Vorschlag beruht natürlich auf einem naiven Vertrauen in die Wirksamkeit von Erziehung. Dazu besteht meist wenig Grund. Und in der Frage, um die es hier geht, haben wir noch weniger Anlaß als gewöhnlich, etwas anderes zu erwarten. 

Unsere Schulen haben es bis jetzt nicht einmal geschafft, die Rolle des gedruckten Wortes bei der Formung unserer Kultur wirklich begreiflich und sinnfällig zu machen. Unter hundert Schülern in den oberen Klassen einer High School wird man nicht zwei finden, die — innerhalb eines Fehlerspielraums von 500 Jahren — Auskunft geben können, wann das Alphabet erfunden wurde. Vermutlich wissen sie nicht einmal, daß es erfunden wurde. Ich habe festgestellt, daß sie, wenn man ihnen diese Frage stellt, ziemlich verwirrt dreinblicken, als hätte jemand sich erkundigt, wann die Bäume oder die Wolken erfunden worden seien. Wie Roland Barthes erläutert hat, besteht das Grundprinzip des Mythos darin, Geschichte in Natur zu verwandeln, und wer von unseren Schulen verlangt, sie sollten sich an der Entmythologisierung der Medien beteiligen, der erwartet von ihnen etwas, wozu sie sich niemals verstehen mochten.

Und doch gibt es Grund zu der Annahme, daß die Lage nicht hoffnungslos ist. Den Erziehern sind die Auswirkungen des Fernsehens auf ihre Schüler nicht unbekannt. Angeregt durch das Vordringen des Computers, diskutieren sie sehr ausführlich darüber — mit anderen Worten, sie sind in einem gewissen Maße »medienbewußt« geworden. Gewiß, dieses Bewußtsein konzentriert sich insbesondere auf die Frage: Wie können wir das Fernsehen (oder den Computer oder das Textver­arbeitungs­gerät) einsetzen, um Erziehungsprozesse zu kontrollieren? Zu der Frage: Wie können wir die Erziehung einsetzen, um das Fernsehen (oder den Computer oder das Textverarbeitungsgerät) zu kontrollieren? sind sie noch nicht vorgedrungen. 

Aber bei der Suche nach Lösungen sollte man über diejenigen Erkenntnisse, die uns bereits zur Verfügung stehen, hinausgreifen — wozu träumen wir denn? Außerdem besteht eine der anerkannten Aufgaben der Schule darin, junge Menschen anzuleiten, die Symbole ihrer Kultur zu interpretieren. Daß es im Rahmen dieser Aufgabe jetzt auch darum geht, den jungen Menschen beizubringen, wie sie von den dominierenden Informationsformen ihrer Kultur Abstand gewinnen können, ist nicht so bizarr, daß wir nicht hoffen dürften, es werde eines Tages in den Lehrplan aufgenommen, vielleicht sogar zum Mittelpunkt der Erziehungsanstrengung gemacht.

Die Lösung, die ich hier vorschlage, ist die gleiche, die Aldous Huxley vorgeschlagen hat. Und ich kann es nicht besser als er. Er meinte mit H.G. Wells, daß wir in ein Wettrennen zwischen der Bildung und der Katastrophe eingetreten sind, und immer wieder hat er in seinen Schriften betont, wie dringlich es sei, die Politik und die Epistemologie der Medien begreifen zu lernen.  

Letzten Endes wollte er uns zu verstehen geben: Die Menschen in <Schöne neue Welt> leiden nicht daran, daß sie lachen, statt nach­zudenken, sondern daran, daß sie nicht wissen, worüber sie lachen und warum sie aufgehört haben, nachzudenken.

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E n d e

 

 

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