Sabine Rennefanz

Eisenkinder

Die stille Wut der
Wendegeneration

 

2013 bei Luchterhand, München

2013    249/256 Seiten

Wikipe  Autorin  *1974   d-nb.Person

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detopia    Pankowbuch

R.htm   Psychobuch   


Klöpfer-2008  Aufstand der Unterschicht

Lahann - Böhme 1992

Henrike Naumann

 

detopia-2024: Dieses Buch hatte ich jahrelang vergessen und vorhin wiedergefunden. Ich war eben beim Wiederlesen ganz ergriffen.
Das hat bestimmt auch damit zu tun, dass ich in der Nähe wohne, wo die Zschäpe das Haus verbrannt hat und ich gleich dort vorbeiging.
Außerdem habe ich "den Rechtsruck" ab 1990 (der hier Zwickau ganz groß war) bis heute nicht verstanden.

 

Inhalt 

 

Prolog (7)

 

Epilog (239)

 

 

 

Literatur (251) 

 

Leseprobe.pdf

 

Die Aktivisten (13)

2  Die Prüfung (29)

3  Das Haus der jungen Talente (39)

4  Die Tränen des Cowboys  (51)

5  Jenseits von Eden  (61)

6  Die Kunst besteht im Warten  (73)

7  Temple of Love  (85)

8  Eisenhüttenstadt brennt (99)

9  Homo Oeconomicus (107)

10  Brüder und Schwestern (123)

11  Dämonen (147)

12  Jesus und die Moorsoldaten (159)

13  Das Tribunal (175)

14  In der Hölle (189)

15  Das verbotene Date (213)

Leseprobe randomhouse Lesen bis Seite 26

Lesebericht  dlf  rechtsterrorismus-das-graue-jahrzehnt-nach-der-wende-100.html  2014, Gerstenberg


Sie kommen aus ähnlichen Milieus und aus einer Generation: Sabine Rennefanz und die Mörder der Zwickauer Zelle, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Ihre Leben könnten unterschiedlicher nicht sein. Und doch stellt sich Sabine Rennefanz die Frage: Ist da nicht etwas, was sie selbst mit Menseben wie Uwe Mundlos verbindet, ob sie es will oder nicht?

Dieser Frage spürt Sabine Rennetanz in ihrem Buch nach - ihrer Jugend in Eisenhüttenstadt, ihrem Leben nach der Wende in Hamburg, wo sie sich, wie sie heute sagt, »in eine seltsame Richtung« entwickelte und schließlich als Missionarin für eine evangelikale Sekte nach Russland ging.

Es ist ein Buch, das mit der Wut über die anhaltenden Klischees in der Ost-West-Debatte beginnt, und sich zu einer Suche nach Heimat und Identität entwickelt. Sabine Rennefanz entdeckt, dass die Ursachen ihres Unbehagens weit in die Vergangenheit zurückreichen. Es war ein Gefühl, das lange gärte, das sie dazu brachte, in einen Kreuzzug gegen den Westen zu ziehen, das sie in Diskussionen mit West-Deutschen stumm werden lief! und das sie von ihren Eltern entfremdete. Eine stille, unterschwellige, heimliche Wut. Heute weiß Sabine Rennefanz: Es war nicht nur ihre Wut, sondern die Wut einer Generation.


Sabine Rennefanz, 1974 in Beeskow geboren, wuchs in Eisenhüttenstadt auf und studierte nach der Wende Politikwissenschaften in Berlin und Hamburg. Nach einem Volon-tariat beim Jahreszeitenverlag, Hamburg, arbeitete sie zunächst als freie Journalistin für Bieleit, die Financial Times Deutschland sowie den Berliner Tagesspiegel. Im Februar 2001 wurde sie Redakteurin bei der Berliner leitung-, 2003 ging sie als Korrespondentin nach London. Anfang 2008 kehrte sie nach Berlin in die Redaktion zurück und schreibt seitdem über Landespolitik und Integration. 2010 erhielt Sabine Rennefanz den Theodor-Wolff-Preis. Für ihren Essay »Uwe Mundlos und ich« wurde sie mit dem Deutschen Reporterpreis, Kategorie Essay, ausgezeichnet.

 

 Prolog  

7-11

Anfang Dezember 2011 saß ich mit Kollegen in einem Restaurant in Berlin-Kreuzberg, es gab Gans und Rotwein, wir diskutierten über die Zwickauer Terrorzelle. Doch es ging nicht nur um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, es ging um viel mehr. Die DDR sei schuld, die autoritäre Erziehung, sagten die Kollegen, außerdem wisse man ja, dass im Osten der Rechtsextremismus Mainstream sei, eine Aufarbeitung der Nazi-Zeit habe nie stattgefunden.

Mich machte das wütend. Ich habe mehr Jahre meines Lebens in der Bundesrepublik als in der DDR verbracht, ich habe fünf Jahre im Ausland gelebt, aber auf einmal fühlte ich mich wieder wie in den Neunzigern, als ich mich schämte zu sagen, dass ich aus dem Osten komme. Aus dem Osten kamen nur Nazis, Stasi-Leute und Arbeitslose.

Erst vier Wochen vorher war das Trio aufgeflogen. Jahrelang hatte sich kaum jemand groß drum gekümmert, dass neun Einwanderer und eine Polizistin in Deutschland hingerichtet wurden. Dönermorde, so wurden die Verbrechen verniedlichend genannt. Türken untereinander meucheln sich, so klang das. Jetzt war es ein Problem der Ostdeutschen. Wieder hatte es nichts mit den Westdeutschen zu tun. In den folgenden Tagen achtete ich darauf, und mir fiel ein Muster auf. Es gab immer wieder den gleichen Reflex: Taucht ein Problem in Ostdeutschland auf, wird es gleich zum »typisch ostdeutschen« Thema. Gibt es in Westdeutschland ein Problem, ist es gesamtdeutsch.

Uwe Mundlos war 16, als die Mauer fiel, nur wenig älter als ich. Wir sind in der DDR groß geworden. Als er in Jena eine Ausbildung anfangen sollte, ging ich zur Schule in Eisenhüttenstadt. Beide Städte sind ähnlich groß, beides Industriezentren, die nach der Wende viele Arbeitsplätze verloren. Wir gehören zu einer Generation, die während der Pubertät zwischen zwei Ländern hing. Wissenschaftler sprechen gar von der »verlorenen Generation«.

Ich begann alles über ihn zu lesen, was es gab. Doch das, was mich interessierte, stand nirgendwo. Wie wurde er zum Nazi? Was hat ihn zum Mörder gemacht, die DDR oder die Nachwendezeit? Erinnerungen an die neunziger Jahre kamen hoch, die Leere, die Orientierungslosigkeit. Auch ich driftete damals ab, nicht in die rechte Szene, sondern zu christlichen Fundamentalisten. Ich wollte sogar Missionarin werden. Hatte nicht auch ich Sehnsucht nach Radikalität, nach einfachen Wahrheiten gehabt wie Mundlos?

Warum rutschte Mundlos ab, warum kam ich in der Bundesrepublik an? Was ist das für ein Land?

Die Mauer war weg, aber es kam mir so vor, als wäre die Einheit nicht passiert, als würde der Osten nicht dazugehören. Jetzt kamen sie wieder, die Artikel über die rote Diktatur, den Töpfchen-Terror in den Krippen, über die Berufstätigkeit der Mütter, die autoritäre Erziehung. Forschungen widerlegen die These, dass es einen Zusammenhang zwischen der Erwerbstätigkeit der Mutter und der Gewaltneigung gibt. Männlichen rechtsextremen Gewalttätern habe es eher an männlichen Vorbildern gefehlt, schreibt die Arbeitsstelle für Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit am Deutschen Jugendinstitut in Halle. Ob das im traditionellen westdeutschen Alleinverdiener-Modell gegeben war, sei fraglich. Je länger die DDR zurückliegt, desto holzschnittartiger wird die Wahrnehmung.

Drei Wochen nachdem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 in einem Wohnwagen in Eisenach tot aufgefunden wurden, lese ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel unter der Überschrift »Das Gift der Diktatur«. Darin wird behauptet, die Terrorserie sei ein Rachefeldzug der postsozialistisch erzogenen Jugendlichen gegen die pluralistische Gesellschaft im Westen.

Schon nach den ersten Sätzen fällt es mir schwer, weiterzulesen. Schuld seien die Eltern, so die These, weil sie den Kindern kein Mitgefühl und keine Emotionen vermittelt haben. »Wer diese Welt im Rückblick betrachtet, stößt bisweilen auf eine erstaunlich niedrige Betriebstemperatur bei der Aufzucht des Nachwuchses.« Wieder so ein vernichtender Satz. Er klingt so eisig.

Ähnlich klingt das bei Klaus Schroeder, einem Historiker und Politikwissenschaftler, der an der FU Berlin lehrt. »Verwahrlosung, höhere Gewaltbereitschaft und fremdenfeindliche Einstellungen waren im Kern schon vor 1989 in der DDR stärker ausgeprägt als in der Bundesrepublik«, schreibt er in einem Beitrag für den Tagesspiegel. Auch er führt das Neonazi-Potenzial auf die Vollerwerbstätigkeit der Mütter und die Einbindung in »staatliche Institutionen« zurück. Staatliche Institutionen, das klingt, als wären Kinderkrippen Gefängnisse gewesen. Ausbildungslager für kleine Neonazis. Das Tora-Bora des Ostens.

In einem Artikel der taz, in dem darüber geschrieben wurde, dass das Jenaer Trio auch im Westen Unterstützer hatte, ist von westdeutschen und ostdeutschen Nazis die Rede, als ob es einen großen Unterschied gäbe.

Eine Zeit lang gab es die neuen Länder, jetzt gibt es nur noch Ostdeutschland, und dieses Land ist für viele Westdeutsche ein fremder Planet. Was ist dieses Ostdeutschland? Ist es ein Krisengebiet, wie Spiegel Online titelte? Ostdeutscher zu sein ist ein Label, das an einem klebt, das man nicht loswird, selbst wenn man nur einen Bruchteil seines Lebens dort verbracht hat, selbst wenn man sich bemüht. Man ist immer Ostdeutscher, auch wenn man nach Hannover zieht, wie einer der Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds von Uwe Mundlos. Er ist vor vielen Jahren aus Jena in den Westen gezogen, bleibt in den Medien aber der »ostdeutsche Neonazi«.

Selbst wenn man deutsche Bundeskanzlerin wird, bleibt das Label. Wenn Angela Merkel etwas falsch macht, wenn sie zögert, Risiken scheut, dann ist sie ganz schnell wieder die angepasste Ostdeutsche. Es ist immer der gleiche Reflex: Sobald ein Problem in Ostdeutschland auftritt, wird es zu einem »ostdeutschen« Thema. Man stelle sich das umgekehrt vor: Die großen Kindesmissbrauchsskandale wurden in Hessen und in Westberlin aufgedeckt, trotzdem gilt die Pädophilie nicht als westdeutsches Phänomen. Der Ostdeutsche wird wie der Türke zum Fremden gemacht. Beide machen den Westdeutschen nur Ärger, stören die Idylle. Der Ostler verprügelt Türken, und der Türke verprügelt seine Frau und seine Töchter. Die Westdeutschen schauen jeweils aus der Distanz zu. Sie müssen nicht über sich selbst nachdenken.

Mit der Debatte um die Zwickauer Terrorzelle wurden die Gräben zwischen Ost und West wieder aufgerissen. Dieses Buch soll einen anderen Blick liefern. Es soll um die Wendegeneration gehen, die letzten Kinder der DDR, die zum Mauerfall zwischen 8 und 16 Jahre alt waren, eine Generation, zu der Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehören - und zu der ich gehöre.

Wenn es etwas gibt, das diese Generation gemeinsam hat, dann ist es ein Unbehagen, eine tiefe Verunsicherung, eine stille, unterschwellige Wut.

Woher kommt dieses Unbehagen? Wie war es, in den neunziger Jahren aufzuwachsen? In diesem grauen Jahrzehnt, in dem die DDR noch nicht verschwunden und ein neues Deutschland noch nicht entstanden war? In dem Behörden nicht funktionierten und Arbeitslosigkeit grassierte? Was bedeutete es, mitten in der Pubertät von überforderten Eltern und Lehrern alleingelassen zu werden? Seine Jugend mit einem Schlag zu verlieren? Wie viel DDR steckt in der Generation? Was hat sie mehr geprägt, die DDR oder das vereinigte Deutschland? Warum kam ich in der Bundesrepublik an - und andere nicht?

Ich will mich auf eine Reise in die Vergangenheit machen und nach Spuren suchen, nach Verbindungen und Mustern. Ich lese alte Briefe und Tagebücher, ich fahre nach Eisenhüttenstadt und Jena, ich treffe alte Weggefährten, Mitschüler, Lehrer. Ich will etwas über mich und meine Generation erfahren - die Eisenkinder.

11

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Lesebericht 2024 dlf

https://www.deutschlandfunk.de/rechtsterrorismus-das-graue-jahrzehnt-nach-der-wende-100.html

Rechtsterrorismus

Das graue Jahrzehnt nach der Wende

Für ihren Artikel „Uwe Mundlos und ich“ wurde die 1974 in der DDR geborene Journalistin Sabine Rennefanz mehrfach ausgezeichnet. Er bildet die Keimzelle ihres neuen Buchs „Eisenkinder“, in dem sie ihre Erfahrungen der Wende und Nachwendezeit schildert und nach Parallelen zu den Lebensläufen des NSU-Trios sucht.

Von Ralph Gerstenberg | 20.02.2014

In dem Artikel „Uwe Mundlos und ich“ zeigte Sabine Rennefanz am eigenen Beispiel, wie empfänglich junge Ostdeutsche in der Nachwendezeit für radikales Gedankengut waren. Dennoch sei Rechtsterrorismus, der in den Mordanschlägen des NSU-Trios seinen traurigen Höhepunkt fand, kein ostdeutsches Phänomen, argumentierte sie in der „Berliner Zeitung“.
„Es ist immer der gleiche Reflex: Sobald ein Problem in Ostdeutschland auftritt, wird es zu einem ‚ostdeutschen‘ Thema. Man stelle sich das umgekehrt vor: Die großen Kindesmissbrauchsskandale wurden in Hessen und in West-Berlin aufgedeckt Trotzdem gilt die Pädophilie nicht als westdeutsche Spezialität. Der Ostdeutsche wird zum Fremden gemacht, genauso wie der Türke. Beide machen den Westdeutschen nur Ärger, stören die Idylle.“
Der Artikel war aus einer Empörung heraus geschrieben worden. Er traf einen Punkt und zeigte zugleich, dass es auch mehr als zwanzig Jahre nach dem Mauerfall noch notwendig war, über ostdeutsche Biografien der Wende- und Nachwendezeit zu reden. Was lag also näher, als ein Buch daraus zu machen? „Eisenkinder“ heißt das Werk, in dem die Autorin über „die stille Wut der Wendegeneration“ schreibt, wie es im Untertitel heißt. Wissenschaftler – welche eigentlich? – sprächen auch von einer „verlorenen Generation“, die „ein Unbehagen, eine tiefe Verunsicherung“ und eben jene „stille“ oder „unterschwellige Wut“ verbinden würde. Sabine Rennefanz kreiert auch gleich einen Begriff für diese Generation, den sie nicht weiter erläutert: „Eisenkinder“. Die Wende- und Zonenkinder gab es ja schon. Und genau das ist das Problem des Buches. Die Tür, die Sabine Rennefanz damit aufstoßen will, steht längst offen. Die Fragen, die sie im Prolog recht plakativ formuliert, werden nicht zum ersten Mal gestellt.
„Wie war es in den neunziger Jahren aufzuwachsen? In diesem grauen Jahrzehnt, in dem die DDR noch nicht verschwunden und ein neues Deutschland noch nicht entstanden war? In dem Behörden nicht funktionierten und Arbeitslosigkeit grassierte? Was bedeutete es, mitten in der Pubertät von überforderten Eltern und Lehrern alleingelassen zu werden? Seine Jugend mit einem Schlag zu verlieren? Wie viel DDR steckt in der Generation? Was hat sie mehr geprägt, die DDR oder das vereinigte Deutschland?“
Spurensuche in Eisenhüttenstadt
Der Bezug zu Uwe Mundlos und dem NSU-Trio gerät zunächst in den Hintergrund. Sabine Rennefanz begibt sich auf Spurensuche nach Eisenhüttenstadt. Sie trifft einen alten Lehrer, der jetzt als Stadtführer arbeitet, besucht das Internat, in dem sie gewohnt hat, schildert den Verfall der einstigen DDR-Vorzeigestadt. Wie die meisten DDR-Kinder hat sie früh gelernt, sich anzupassen und die geforderten Antworten herunterzuleiern. Ihr Ziel war es, das Abitur zu machen und zu studieren. Doch bald nachdem sie in die Erweiterte Oberschule kommt, fällt die Mauer. Der sächselnde Staatsbürgerkundelehrer diktiert nun die Phrasen der Marktwirtschaft. Die ehemaligen Eliteschüler aus dem Internat gelten nicht mehr als hoffnungsvolle Kader.
„Niemand brauchte jetzt mehr die Talente der DDR. Es wirkte so, als seien wir gerade noch gut genug, um einen Traktor über die Felder zu fahren. Wie die meisten Menschen war ich davon ausgegangen, dass das Leben eine gute Zukunft für mich plante. Die DDR war nicht perfekt, aber man musste sich nicht um Arbeit, Wohnung und das Gesundheitssystem sorgen. Ich war davon ausgegangen, dass ich studieren und einen guten Arbeitsplatz finden werde. Jetzt war ich mir nicht mehr so gewiss.“
Nach dem Abitur geht Sabine Rennefanz nach Berlin. Sie studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität und findet eine Unterkunft in einem Lichtenberger Studentenwohnheim. In der Großstadt und an der Massenuni findet sie keinen Anschluss, der Besuch einer evangelikalen Freikirche in Hamburg hingegen wird für sie zu einem Erweckungserlebnis. Die Gemeinschaft der Gleichgesinnten, die einfachen Wahrheiten – endlich scheint sie einen Halt gefunden zu haben. Sie schneidet sich die Haare kurz, trägt lange Röcke und verurteilt Homosexualität, bis eine sommerliche Missionsreise nach Russland sie auch an der Strahlkraft der christlichen Botschaft zweifeln lässt.

Der detaillierte Erfahrungsbericht über den religiösen Irrweg nimmt etwa ein Drittel des Buches ein.

Sehr sporadisch sucht Sabine Rennefanz noch den Vergleich zu den Biografien von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, etwa wenn sie von ihrer damaligen Begeisterung für den charismatischen Anskar-Kirchengründer Wolfram Kopfermann schreibt: „Was die Altnazis in Jena waren, war Kopfermann für mich: eine Autorität, eine Vaterfigur, ein Vorbild. [...] Seit der Wende waren mir wenige Erwachsene begegnet, die für ihre Überzeugungen einstanden, mögen sie noch so unpopulär sein.“

Von der Zeitung ins Buch
Am Ende besucht Sabine Rennefanz noch die Eltern von Uwe Böhnhardt. Doch viel erfährt man über diese Begegnung nicht, abgesehen davon, dass es guttut, von sich zu erzählen und zuzuhören. So wirkt der Schluss wie eine abrupte Erinnerung an die thematische Klammer des Buches. Sabine Rennefanz hat sich mit der Ausweitung ihres Zeitungsartikels auf Buchlänge keinen Gefallen getan. Die Orientierungslosigkeit und den Identitätsverlust der Wendekinder haben andere vor ihr bereits mit eindringlicheren Worten und Bildern beschrieben – zum Beispiel Andrea Hanna Hünniger in ihrem Buch „Das Paradies – meine Jugend nach der Mauer“. Zudem nervt auf Dauer ihr magazinjournalistischer Plauderton, der keine Scheu vor Redundanzen, Klischees und Plattitüden zu kennen scheint: Ihre dörfliche Kindheit wurde vom „Rhythmus der Jahreszeiten“ bestimmt, der Herbst ‚89 war eine Zeit „voller Widersprüche“. Das Buch von Sabine Rennefanz mag persönlich und ehrlich sein, die publizistische Schlagkraft des zugrunde liegenden Zeitungsartikels geht in den lang ausgeführten autobiografischen Passagen jedoch verloren. Es wird vielmehr deutlich, dass ihre eigene Lebensgeschichte als Beispiel für die behauptete still schlummernde Wut einer ganzen Generation von Ostdeutschen wenig taugt.

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Meher Rennefanz

 

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