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Hermann Scheer war ein
deutscher Politiker.
Er war von 1980
bis zu seinem Tod Mitglied des Deutschen Bundestags und von 1993 bis
2009 Mitglied des Bundesvorstandes der SPD.
1999 wurde ihm der Right
Livelihood Award für sein Engagement für die erneuerbaren Energien
verliehen.
Leben und Beruf
In seiner Jugend war Scheer ein exzellenter Schwimmer und Mitglied der
deutschen Nationalmannschaft im Modernen Fünfkampf.[1] Nach dem Abitur
1964 in Berlin-Spandau ging er als Soldat auf Zeit zur Bundeswehr,
besuchte die Heeresoffizierschule I in Hannover und wurde 1966 zum
Leutnant befördert.
Von 1967 bis 1972 studierte Scheer Rechts-,
Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der Freien Universität Berlin
und erhielt sein Diplom in Politikwissenschaft und Öffentlichem Recht.
Anschließend war er von 1972 bis 1976 wissenschaftlicher Assistent am
Institut für Politikwissenschaft der Universität Stuttgart und von 1976
bis 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kernforschungszentrum
Karlsruhe.
Im Jahre 1979 promovierte er zum Dr. rer. pol. an der FU
Berlin[2] mit der Arbeit Parteien kontra Bürger? Die Zukunft der
Parteiendemokratie.
Scheer zählte zu den Mitbegründern[3] und war Kurator des im Januar
2010[4] gegründeten Institutes Solidarische Moderne (ISM).[5] Außerdem
war er Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Energiewerk und
Ratsmitglied beim World Future Council.
Seit 1970 war er mit Irm Pontenagel verheiratet, der langjährigen
Geschäftsführerin von Eurosolar.[6] Ihre Tochter Nina Scheer,
Bundestagsabgeordnete und SPD-Umwelt- und Energiepolitikerin, war
zwischen 2007 und Oktober 2013 Geschäftsführerin von UnternehmensGrün
e.V.[7]
Grab von Hermann Scheer auf dem Friedhof Heerstraße in Berlin-Westend
Hermann Scheer
starb am 14. Oktober 2010 nach kurzer schwerer Krankheit in einem
Berliner Krankenhaus. Die Beisetzung erfolgte auf dem
landeseigenen Friedhof Heerstraße in Berlin-Westend.
Die Tageszeitung bezeichnet ihn als einzigartigen
Weltpolitiker.
Partei
Scheer wurde 1965 Mitglied in der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Als Student war er an der
Neugründung des Sozialdemokratischen Hochschulbunds in Heidelberg
beteiligt.[13] Bei den Jungsozialisten unterstützte Scheer 1969 auf dem
Münchner Bundeskongress den neuen, von der Studentenbewegung geprägten,
betont sozialistischen Kurs der SPD-Jugendorganisation.
Als
stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender war Scheer seit 1974
Anhänger einer „reformistischen“ Linie, die sich dezidiert von dem
„Stamokap“-Flügel und den „Antirevisionisten“ abgrenzte (siehe zur
Flügelbedeutung den Hauptartikel: Geschichte der Jusos). Im Jahre 1973
wurde er Landesvorsitzender der baden-württembergischen Jusos und 1974
deren stellvertretender Bundesvorsitzender.
Von 1993 bis 2009 gehörte er dem
SPD-Bundesvorstand an. Er beeinflusste die Umwelt- und Energiepolitik
der SPD maßgeblich. Er kandidierte 2009 nicht mehr für den
Bundesvorstand und begründete dies in einem Brief unter anderem damit,
dass „es allzu üblich geworden“ sei, „politische Machtspiele
auszutragen, Scheinlösungen zu produzieren und inhaltsfremde personelle
Rücksichten zu nehmen“, und er darin nicht involviert sein wolle.
Im Zusammenhang der Landtagswahl in Hessen 2008 stand er im
Schattenkabinett vom Andrea Ypsilanti als designierter Wirtschafts- und
Umweltminister und trat im Wahlkampf für eine Erneuerung der Energie-
und Wirtschaftspolitik auf Basis erneuerbarer Energien ein. Zuletzt war
er im Rahmen einer rot-grünen Minderheitsregierung als
Wirtschaftsminister vorgesehen und sollte auch die landesplanerischen
Kompetenzen für die Umsetzung der vorgesehenen Energiewende erhalten.
Nachdem
vier Abgeordnete der SPD-Landtagsfraktion erklärt hatten, nicht
für Ypsilanti als Ministerpräsidentin in einer rot-grünen
Minderheitsregierung zu stimmen, konnte jedoch eine Landesregierung
unter Ypsilanti nicht mehr gebildet werden. Im neuen Schattenkabinett
unter Thorsten Schäfer-Gümbel zur folgenden Neuwahl war Scheer nicht
mehr vertreten.
Abgeordneter
Scheer war seit 1980 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er war dort von
1982 bis 1990 Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Abrüstung und
Rüstungskontrolle und danach von 1991 bis 1993 Vorsitzender des
Unterausschusses Abrüstung und Rüstungskontrolle des Deutschen
Bundestages.
Seit 1983 gehörte er der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
an. Dort war er von 1994 bis 1997 Vorsitzender des
Landwirtschaftsausschusses. Im Deutschen Bundestag gehörte er zu den
Initiatoren vieler Gesetze zur Förderung erneuerbarer Energien, u. a.
des Stromeinspeisungsgesetzes für erneuerbare Energien (1991) und des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (2000), der Änderung des Bundesbaugesetzes
zur Privilegierung erneuerbarer Energien (1996), des
100.000-Dächer-Programms (1999), des Marktanreizprogramms Erneuerbare
Energien (2000) und des Gesetzes zur Steuerbefreiung für Biokraftstoffe
(2003).
Scheer wird neben Michaele Hustedt, Hans-Josef Fell (beide Bündnis
90/Die Grünen) und Dietmar Schütz (SPD) zu den Müttern und Vätern des
Erneuerbare-Energien-Gesetz gezählt, das für 47 Staaten der Welt zum
Vorbild wurde.[16][17][18]
Er war Vorsitzender des Internationalen Parlamentarier-Forums für
Erneuerbare Energien. Als sein größter Durchsetzungserfolg gilt die
Gründung der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien
(International Renewable Energy Agency, IRENA), die er seit 1990
vorangetrieben hat. IRENA wurde am 26. Januar 2009 in Bonn gegründet.
Hermann Scheer war Direktkandidat der SPD im Wahlkreis Waiblingen, wurde
aber stets über die SPD-Landesliste von Baden-Württemberg in den
Bundestag gewählt. Nach seinem überraschenden Tod rückte Rita
Schwarzelühr-Sutter über die Landesliste nach.[8]
Politische Positionen
Seit Ende der 1980er Jahre setzte sich Scheer auf nationaler und
internationaler Ebene für die generelle Ablösung atomarer und fossiler
Energien ein,[19] auch Konflikte und Krieg um Energieressourcen könnten
so beendet werden.[20] Er distanzierte 1999 sich vom Nato-Einsatz der
Bundeswehr während des Kosovo-Konflikts, der von der Rot-Grünen
Koalition gebilligt worden war.
Im Jahre 1988 gehörte er zu den Mitbegründern der gemeinnützigen
Vereinigung für Erneuerbare Energien Eurosolar. Scheer war seitdem deren
ehrenamtlicher Präsident, seine Ehefrau hauptamtliche
Geschäftsführerin.[21] Seit Juni 2001 war Scheer Mitgründer und
ehrenamtlicher Präsident[22] des neu gegründeten Weltrats für
Erneuerbare Energien (World Council for Renewable Energy, WCRE).[23]
Über die Leistungen Hermann Scheers bei der Bewusstmachung des Wertes
der Erneuerbaren Energien sagte sein Förderer, der frühere
Entwicklungshilfeminister und SPD-Politiker Erhard Eppler:
„Zu meiner jungen Garde gehörte damals [...] Hermann Scheer, und auch
der wurde lange als Spinner lächerlich gemacht wie ich. Jeden, aber auch
jeden Spott hat er ertragen, Lügen, öffentliche Angriffe aus allen
Parteien und Gegenwind der Energiekonzerne – und hat schließlich dem
Umweltministerium das Erneuerbare-Energien-Gesetz trotzdem kraft seiner
Kompetenz und der seiner Berater praktisch in die Feder diktieren
können. Das war mehr oder weniger die Leistung eines einzigen
Politikers!“
– Was Sie da vorhaben, wäre ja eine Revolution…:
Ein Streitgespräch über
Wachstum, Politik und eine Ethik des Genug (2016)[24] Scheer kritisierte die Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG[25]
und engagierte sich in der Initiative Bürgerbahn statt Börsenbahn. Er
warf der SPD-Führung 2007 vor, die Privatisierung ohne demokratische
Diskussion voranzutreiben,[26] gab dem Kompromissvorschlag einer
Bahn-Teilprivatisierung während späterer Verhandlungen (2008) jedoch
nach.[27]
Im Dokumentarfilm Let’s Make Money (2008) zu verschiedenen Aspekten der
Entwicklung des weltweiten Finanzsystems, waren Redebeiträge von Scheer
zu sehen. So äußerte er u. a.: „Wenn wir so weiter machen, dann kommen
neue Selektionsmechanismen zwischen Staaten, zwischen Rassen, zwischen
Religionen, zwischen berechtigten Menschen und unberechtigten, zwischen
wertvollen und nicht wertvollen Menschen, dann wird der monetäre Wert
des Menschen irgendwann in den Vordergrund geschoben und dann beginnt
ein neues Zeitalter der Barbarei. Das ist unausweichlich.“[28] Außerdem
spielte er eine zentrale Rolle im Film Die 4. Revolution – Energy
Autonomy (erschienen im März 2010, also wenige Monate vor Scheers Tod),
wo er sich für den weltweiten Einsatz erneuerbarer Energien
einsetzte.[29]
Hermann Scheer war Kritiker des Wüstenstrom-Projektes DESERTEC, er sah
in dem Projekt eine Verstärkung des Monopols der Energiekonzerne und die
Transport- und Investitionskosten als zu hoch an.[30] Im Rahmen der
Diskussion und der Proteste um das Bauprojekt Stuttgart 21 sprach sich
Scheer für mehr direkte Demokratie aus und sah „eine Entfremdung
zwischen Bürgern und gewählten Repräsentanten“.[31]
Bleibende Energie Hermann Scheer verwandte statt des Begriffs Erneuerbare Energie häufig
den aus dem Dänischen stammenden Begriff bleibende Energie.[33][32]
„Mein Ausgangspunkt sind nicht die Erneuerbaren Energien, sondern die
Gesellschaft – aus der Erkenntnis, welche elementare Bedeutung der
Energiewechsel für deren Zukunftsfähigkeit hat. Ich bin nicht von den
erneuerbaren Energien zur Politik für diese gekommen, sondern aus meiner
Problemsicht und von meinem Verständnis politischer Verantwortung zu den
erneuerbaren Energien. Der Wechsel zu erneuerbaren Energien hat eine
zivilisationsgeschichtliche Bedeutung. Deshalb müssen wir wissen, wie
wir ihn beschleunigen können. Knapp sind nicht die erneuerbaren
Energien, knapp ist die Zeit.“
Auszeichnungen
1990 Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland
1997 Ehrendoktor der Technischen Universität Varna / Bulgarien
1998 Weltpreis für Solarenergie
1999 Right Livelihood Award[1] (sogenannter „Alternativer Nobelpreis“ –
Liste der Träger)
2000 Weltpreis für Bio-Energie
2001 Wilhelm-Dröscher-Preis
2001 Buchpreis der Deutschen Umweltstiftung für das Buch „Klimawechsel“,
geschrieben zusammen mit Carl Amery[22]
2002 Hero for the Green Century – Ehrung durch das amerikanische
TIME-Magazine
2004 Weltpreis für Windenergie
2004 Goldmedaille des Bundesverbandes der Wasserkraftwerke
2004 Global Renewable Energy Leadership Award
2005 Solar World Einstein Award
2007 Ehrendoktor der Universität Lüneburg
2008 European Clean Tech Pioneer Award
2008 Ehrenprofessur der Tongji-Universität in Shanghai/VR China
2009 Karl Böer Verdienstmedaille für Solarenergie
2011 Ehrenpräsident Eurosolar, posthum
Ehrungen
Hermann Scheer ist Namensgeber für Einrichtungen (Oberstufenzentrum[36],
Zentrum für erneuerbare Energien[37]) und Straßen[38][39]:
Zentrum für Erneuerbare Energien Hermann Scheer in Eberswalde[40]
Hermann-Scheer-Schule (Oberstufenzentrum mit wirtschaftlicher
Ausrichtung).[41]
Publikationen
-
Parteien kontra Bürger? Die Zukunft der Parteiendemokratie. Piper,
München u. a. 1979, ISBN 3-492-02449-1 (Zugleich: Berlin, Freie
Universität, rer. pol. Dissertation, 1979).
-
Die Befreiung von der Bombe. Weltfrieden, europäischer Weg und die
Zukunft der Deutschen. Bund-Verlag, Köln 1986
-
Die gespeicherte Sonne. Wasserstoff als Lösung des Energie- und
Umweltproblems (= Serie Piper. Aktuell 828). Piper 1987
-
als Herausgeber: Das Solarzeitalter. Dreisam-Verlag u. a., Freiburg
(Breisgau) u. a. 1989, ISBN 3-89125-278-1.
-
Sonnen-Strategie. Politik ohne Alternative. Piper, München u. a. 1993,
ISBN 3-492-03599-X.
-
Zurück zur Politik. Die archimedische Wende gegen den Zerfall der
Demokratien. Piper, München 1995
-
Solare Weltwirtschaft. Strategie für die ökologische Moderne. Kunstmann 1999
-
mit Carl Amery: Klimawechsel. Ein Gespräch mit Christiane Grefe.
Kunstmann 2001
-
Die Politiker. Kunstmann 2003
-
Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien. München
2005
-
Hermann Scheer: Der energethische Imperativ. 100 Prozent jetzt: wie der
vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist.
Kunstmann 2010
Herausgeber der Zeitschriften:
Zeitschrift für Neues Energierecht. (ZNER). ISSN 1434-3339.
Solarzeitalter (SZA). ISSN 0937-3802.
The Yearbook of Renewable Energies. ZDB-ID 1123764-8.
Vorträge
Hermann Scheer: Power to the people. In: energiewende.eu. 30. September
2010 (Transkription des Vortrages).
Keynote “Power to the people” (Vortrag von Hermann Scheer wenige Tage
vor seinem Tod als Video)
Literatur
Siegfried Pater: Aufbruch ins 21. Jahrhundert mit Hermann Scheer. Anwalt
der Sonne. Uranus, Wien 1998, ISBN 3-901626-11-5.
Joachim Bücheler (Hrsg.): Praktische Visionen. Festschrift zum 60.
Geburtstag von Hermann Scheer. Ponte Press, Bochum 2004, ISBN
3-920328-48-5.
Mathias Greffrath: Zum 75. Geburtstag von Hermann Scheer In:
Solarzeitalter, Nr. 2/2019, S. 35–38 (PDF-Version) |