Dr. Christian SchützeVortrag 1993
Wie
ist qualitatives Wachstum möglich?
Perspektiven,
Risiken und Grenzen
Kempfenhausener
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Quelle:
detopia |
Dieser Vortrag enthält die Essenz des Buches von Dr. Christian Schütze "Das Grundgesetz vom Niedergang".
Wenn wir die Frage erörtern wollen, wie qualitatives Wachstum möglich sei, wird mein Vortrag vielleicht recht akademisch und theoretisch sein. Doch hat mein Thema eminent praktische Bedeutung. Es handelt vom Ursprung unserer Sorgen. Wir tasten nach qualitativem Wachstum, weil uns die Quantitäten von Energie und Materie, die wir umsetzen, zu drücken beginnen. Wir werden gewahr, daß die negativen Folgen unseres positiv gemeinten Handelns sich hinter uns auftürmen wie die Woge hinter dem Surfer, die sich bald überschlagen und ihn verschlingen wird.
Mein Thema ist das Entropiegesetz in seiner Bedeutung für das Wirtschaften.
Es geht um den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, der als unerbittliches Weltgesetz alles auf Erden regiert und als Prinzip weit über die Thermodynamik und die Physik hinaus bedeutsam ist. Zu fragen ist vor allem nach dem Schicksal der Materie im Wirtschaftsprozeß, eine Frage, die bisher nur von den Rohstoffökonomen mit ihrer Fixierung auf die Reichweite von diesem oder jenem Metall oder Energieträger gestellt wurde. Aber ebenso wichtig ist das Problem der fortlaufenden Degradierung von Rohstoffen zu Abfall und die Frage nach den Grenzen des Recycling.
Materie wird mit zunehmender Beschleunigung entwertet – ein Prozeß, der Wirtschaftswachstum heißt – und Materie steht für Natur. Wertschöpfung ist ein zweifelhafter Begriff, weil wir nur umwandeln, nicht wahrhaft schöpfen. Eine Schöpfung ex nihilo gibt es seit dem Urknall nicht mehr. Im Lichte des Entropiesatzes ist, was wir Wertschöpfung nennen, in Wahrheit Entwertung von Unwiederbringlichem.
Der Entropiesatz regiert alle Umwandlung von Energie und Materie, er ist aber in das ökonomische Denken nicht eingegangen, oder er wurde aus ihm verdrängt. Daraus entstehen Illusionen, und das Ziel "Qualitatives Wachstum" wird verfehlt, wenn sich diese Illusion in Beruhigungsformeln der Selbsttäuschung niederschlagen.
Zum Beispiel:
Wenn vom Umweltschutz die Rede ist, kehren Glaubensbekenntnisse und Zauberformeln wieder. Sie sind Rednern und Hörern so weit in Fleisch und Blut übergegangen, daß die Frage, ob das darin Ausgesagte auch wirklich stimme, nicht mehr gestellt wird. Es heißt:
Ökonomie und Ökologie sind kein Widerspruch, sie lassen sich versöhnen.
Wir brauchen Wachstum, um den Umweltschutz bezahlen zu können.
Umweltschutz schafft Arbeitsplätze.
Bessere Technik ist die Lösung der Probleme.
Die Behauptungen sind nicht ganz falsch, aber sie sind auch nicht ganz richtig, und in der hier wiedergegebenen Kurzform, in der die Sonntagsredner sie vortragen, sind sie irreführend. Sie machen Hoffnungen, die nicht in Erfüllung gehen können, weil die behaupteten Wahrheiten im Widerspruch zu einem fundamentalen Gesetz stehen. Es ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, der auch Entropiesatz heißt (Entropie, griechisch: Veränderung), weil er alle Veränderungen von Energie und Materie im Kosmos und auf Erden regiert. Man könnte ihn auch "das Grundgesetz vom Niedergang" nennen.
Die Thermodynamik, ein Teilgebiet der Physik, handelt von den Zusammenhängen zwischen Wärmeenergie und anderen Energieformen. Die Physiker und Ingenieure, zumal wenn sie Wärmekraftmaschinen berechnen und konstruieren, sind mit ihr vertraut. Sie haben die Thermodynamik zu ihrer eigenen Domäne gemacht, und die Wirtschaftswissenschaftler haben sie den Physikern und Ingenieuren gern überlassen. Dabei hat ein unorthodoxer Ökonom, von dem nachher noch die Rede sein wird, den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik das ökonomischste aller Naturgesetze genannt. Physiker bestreiten zuweilen, daß der zweite Hauptsatz ein Naturgesetz sei, doch dann ließe er sich immer noch als ein Prinzip bezeichnen oder als eine Regel. (Ich will zeigen, daß der zweite Hauptsatz, der in der Thermodynamik als quantitatives Gesetz gilt, in der Ökonomie ein qualitatives Prinzip ist.)
Die Thermodynamik entstand aus einem wirtschaftlichen Grund. Der französische Ingenieur Sadi Carnot – er war der Sohn des Schöpfers der französischen Revolutionsheere – wollte wissen, wie die Ergebnisbilanz bei Dampfmaschinen zu bewerten sei. Er entdeckte den nach ihm benannten Kreisprozeß des Energieflusses im System Dampfmaschine, das kein geschlossenes System ist, so daß immer neue Energie zugeführt werden muß, um die Wärmeverluste auszugleichen. Sadi Carnot erkannte, daß die gewonnene mechanische Energie stets kleiner ist als die durch das Verbrennen von Kohle in das System hineingesteckte Wärmeenergie. Der Wirkungsgrad bleibt immer unter 100 Prozent. wikipedia Nicolas_Léonard_Sadi_Carnot 1796-1832 (36)
Die Thermodynamik kennt drei Hauptsätze.
Der erste oder der Energie-Erhaltungssatz lautet: Die Gesamtenergie in einem geschlossenen System, also die Summe der mechanischen, chemischen, thermischen, elektrischen oder potentiellen Energie bleibt konstant. Doch können die Energie-Erscheinungsformen wechseln und mit dem von Robert Mayer gefundenen Wärmeäquivalent ineinander umgerechnet werden. Auf diesen ersten Hauptsatz haben sich die Ökonomen seit Adam Smith verlassen, soweit sie über Energie und Materie im Wirtschaftsprozeß überhaupt nachgedacht haben. Aber der Erhaltungssatz hat gerade für die Ökonomie fast keine Bedeutung.
In der Ökonomie ist der zweite Hauptsatz wichtiger. Dieser, der sogenannte Entropiesatz, besagt folgendes: In einem geschlossenen System wird die Entropie immer größer. Entropie ist die Summe der nicht mehr nutzbaren Energie, die auch gebundene Energie heißt. Alle Energieumwandlung – das ist es, was wir tun, denn wir schaffen ja keine Energie, sondern wandeln sie nur um – führt über eine Kaskade von Prozessen und Energie-Erscheinungsformen letztlich zu Wärme von niederer Temperatur, die keine Arbeiten mehr leisten kann. So enthalten z. B. die Ozeane unvorstellbar große Mengen von Energie in Form von Niedertemperaturwärme. Doch ein Schiff kann diese Energie nicht nutzen, weil zwischen seiner Temperatur und der Temperatur des Wassers kein Gefälle besteht. Um es vorwärts zu treiben, muß freie Energie eingesetzt werden. Freie Energie ist jene, die wir in den sogenannten Energieträgern Kohle, Erdöl, Erdgas, Holz kennen, es ist die angespeicherte Sonnenenergie aus Jahrmillionen.
Bei der Kaskade der Energieumwandlungen bleibt zwar die Menge der Energie erhalten, aber ihre Qualität – Qualität aus unserer Perspektive: Nützlichkeit – verfällt von Stufe zu Stufe. Aus freier Energie, die Arbeit leisten kann, wird gebundene Energie, die zu ihrer Umgebung kein nutzbares Gefälle mehr aufweist. Freie Energie geht, indem sie Arbeit leistet, in die Menge der nicht mehr nutzbaren Entropie ein. Diese Entropie wird in einem geschlossenen System immer größer.
Dazu ein Beispiel aus dem täglichen Leben:
Zu einer Tasse Kaffee führen im modernen Haushalt folgende Energieumwandlungsprozesse: Im Bergwerk wird Kohle gefördert, sie wird zum Kraftwerk gefahren und verbrannt. Vom Energiegehalt werden 30, bestenfalls 40% zu Strom, der Rest verschwindet durch den Kühlturm oder im Fluß als Abwärme in der Umwelt. Ein Teil des Stroms geht zurück ins Bergwerk zur Förderung weiterer Kohle, einen Teil verbraucht die Lokomotive, die Kohle vom Bergwerk zum Kraftwerk transportiert. Sie wandelt elektrische in mechanische Energie um; beim Anfahren und Bremsen verschwindet diese als Abwärme. Ehe der Strom zum Elektrokochtopf gelangt, hat er Widerstände in Freileitungen und Transformatoren überwunden, wobei erneut ein Teil der Energie in Abwärme umgewandelt wurde.
Nun erhitzt der Strom das Wasser auf 100 Grad. Es wird über das Kaffeepulver gegossen. Viel Energie war nötig, bevor dieses Pulver endlich auf dem Filterpapier liegt: Strom für Stickstoffdünger, Dieselöl für Transport, Strom zum Rösten und Mahlen und Verpacken. Das bißchen Sonnenenergie zum Reifen ist kaum der Rede wert, auch wenn die Fernsehwerbung wegen des Aromas viel Aufhebens davon macht. Jetzt kommt die Tasse Kaffee auf den Tisch, aber in diesem Augenblick klingelt das Telefon. Nach 10 Minuten ist das Gespräch zu Ende und der Kaffee ist kalt. Die in ihm enthaltene Wärme war über eine Kaskade verlustreicher Umwandlungsprozesse erzeugt worden: Chemische Energie (Kohle) wurde zu hochkonzentrierter thermischer Energie (überhitzter Dampf im Kraftwerk), dann über die mechanische Energie in der Turbine zu Strom, dann wieder zu Wärme von hoher Temperatur, schließlich zu Niedertemperaturwärme.
Nun hat der Kaffee Zimmertemperatur angenommen. Die Umgebung wurde dadurch um einen winzigen Bruchteil wärmer, doch dieser Energiezuwachs ist wertlos. Alle Energie, die nötig war für diese Tasse Kaffee, ist zwar nicht verschwunden, aber sie ist in eine unkonzentrierte, für uns nutzlose Form übergegangen. Der Energiefluß hat immer nur eine Richtung hin zur Niedertemperaturwärme. Diese Tatsache gehört zum Fundament unseres Wirtschaftens und erklärt zugleich alle Umweltproblematik.
Weil der zweite Hauptsatz befiehlt, daß alle Energieumwandlung letztlich bei Niedertemperaturwärme ende, können wir überhaupt von Energieverbrauch sprechen. Der Begriff ist nicht korrekt. Energie wird nicht verbraucht, sondern nur umgewandelt. Die Menge der Energie in einem geschlossenen System bleibt stets gleich. So formuliert es der erste Hauptsatz. Aber der zweite Hauptsatz fährt fort: Nicht auf die Menge kommt es an, sondern auf die Qualität. Es gibt wertvolle, nutzbare, freie Energie von hohem Niveau (gebunden in den uns bekannten chemischen Energieträgern oder in Form von Veredelungsprodukten wie Bewegung oder Strom oder als physikalisches Potential). Aber bei jeder Umwandlung entsteht minderwertige, nicht mehr nutzbare, gebundene Energie in Form von Niedertemperaturwärme, sei es im kalten Kaffee, sei es in den Weltmeeren oder in der Erdrinde. Nur Energiegefälle sind nutzbar, die gewaltige vorhandene Menge der gebundenen Energie ist zu gar nichts nütze: Sie heißt Entropie. Und diese Entropie wird im geschlossenen System Erde immer größer.
Der Entropiesatz, 1865 von dem deutschen Physiker Rudolf Clausius formuliert, beschreibt den nicht umkehrbaren Prozeß des Absinkens der Energie von einem Niveau zu anderen. Mit dieser Erkenntnis überwand die Physik das mechanistische Weltbild, das seit Newton geherrscht hat. Nach dem Vorbild der Himmelsmechanik mit ihren scheinbar ewig gleichmäßig kreisenden Gestirnen entwickelte Newton eine Physik, in der die Vorgänge sowohl vorwärts als auch rückwärts verlaufen können, im Idealfall in zyklischer Wiederkehr gleicher Abläufe und Zustände. Der Entropiesatz behauptet dagegen: Das Weltgeschehen hat eine Richtung, es ist nicht umkehrbar. Dadurch gibt es in unserer Welt die Zeit.
In ihrem Streben nach Exaktheit wollen die Physiker den zweiten Hauptsatz nur für die Energieumwandlung gelten lassen, wo sie ihn mathematisch erfassen können. Aber es gibt Gesetze, die auch dort gelten, wo sich ihre Wirkungen der quantifizierenden Beschreibung entziehen. Sie gelten dann als Prinzip, und das ist der Fall bei der Anwendung des Entropiesatzes auf die Materie im Wirtschaftsprozeß. Und hier komme ich zum Thema, das über den Ingenieursumgang mit dem zweiten Hauptsatz hinausführt.
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Der aus Rumänien stammende Wirtschaftsmathematiker und Statistiker Nikolaus Georgescu-Roegen ist einer der wenigen Nationalökonomen, die der Frage nachgegangen sind, was im Wirtschaftsprozeß mit der Materie geschieht. Er hat das Ergebnis in seinem Hauptwerk <The Entropy Law and the Economic Process> 1971 und in zahlreichen kleineren Veröffentlichungen dargestellt.
Er nennt das Ergebnis seines Nachdenkens den vierten Hauptsatz der Thermodynamik, wobei er einräumt, daß der Ausdruck nicht sehr glücklich ist, weil es ja nicht um Wärme und Energie geht, sondern um Materie. Aber diese gehorche eben demselben Gesetz, das im ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik für die Energie gilt. So wie der erste Hauptsatz feststellt, daß an Energie nichts verlorengeht, sondern daß diese nur die Erscheinungsform wechselt, so gilt auch für die Materie in dem geschlossenen System Erde, daß an Materie nichts verloren geht, von Weltraumsonden abgesehen, und daß nichts hinzukommt, abgesehen von etwas Material aus Meteoriten.
Und so wie der zweite Hauptsatz den Qualitätsverlust von einer Energiestufe zur anderen beschreibt und damit den Verlust an Verfügbarkeit dieser Energie für uns Menschen, so gilt ähnliches auch für die Materie. Auch sie verliert durch Umwandlungen im Wirtschaftsprozeß ständig an Verfügbarkeit und Nutzbarkeit. Ihre Menge bleibt gleich, aber sie verschwindet aus der Konzentration in die Dissipation, in die Zerstreuung. Sie ist zwar noch in der Welt, aber nutzlos: Materie-Entropie. wikipedia Dissipation
Auch hier wieder ein Beispiel zur Anschaulichkeit:
In Analogie zum Energieverfall bei der Tasse Kaffee können wir uns ausmalen, was aus einer Tonne Blei wird. Im Bergwerk wird Bleiglanz, das häufigste Bleierz, abgebaut. Es enthält fast 87 Prozent Blei und 1 Prozent Silber. Schon der Transport in die Bleiverhüttung erfordert früher gewonnenes Blei: Kabelummantelungen für die Stromversorgung der Lokomotive, Bleimennige für den Rostschutzanstrich der Räder, Bleiplatten für Akkumulatoren im Bahnbetrieb. Durch die Verhüttung verschwindet ein Teil des Metalls mit dem Schlackenfabfall auf der Halde. Bei zahlreichen Direktverwendungen ist das Blei zur Verteilung auf Nimmerwiedersehen bestimmt, z. B. bei Schrotkugeln. Noch feiner verteilt, verschwindet Blei in Farbpigmenten und chemischen Verbindungen, so im Bleitetraäthyl, das dem Motorenbenzin zugesetzt wird.
Ein Teil des Bleis wird rezykliert, z. B. das aus Batterien. Doch beim Wiedereinschmelzen und Neuverwenden entstehen Verluste. Bekannt ist, daß in der Umgebung von Bleihütten große Mengen von Blei feinverteilt liegen. Während es von dort allenfalls noch wiedergewonnen werden könnte, ist dies unmöglich bei jenem Blei, das durch die Auspuffe der Autos in die Umwelt geblasen wurde, sich in den Böden ablagert, im Schlamm der Flüsse verteilt, schließlich auf dem Grund der Ozeane endet.
Nichts von dieser Materie ist verlorengegangen. Sie befindet sich nach wie vor in dem geschlossenen System Erde, aber in einer für und nicht mehr nutzbaren Form, unendlich verdünnt, in Unordnung. Die Richtung des Naturgeschehens führt aus der Konzentration der Dinge in ihre Verteilung, Potentiale an Energie und Materie werden ausgeglichen, abgebaut. Eine Kohlelagerstätte, in der hochkonzentrierte Energie versammelt liegt, wird ausgeräumt, die Kohle wird verfeuert, die Energie verschwindet als nutzlose Niedertemperaturwärme in der Atmosphäre, der konzentrierte Kohlenstoff wird in Form von Kohlendioxyd im Luftmeer verteilt, nutzlos für uns, sogar verderblich für das Gleichgewicht auf Erden, weil CO2 den Treibhauseffekt verstärkt. Eine Bleigrube wird ausgeräumt, das Material verteilt sich über Land und Meer. Es ist trivial und monumental zugleich: Der Wirtschaftsprozeß beschleunigt die im Naturgeschehen ohnehin wirksamen Kräfte der Entropievermehrung, die wir besonders im Falle von Erosion am Werke sehen.
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Der Wirtschaftsprozeß sucht überall Inseln niedriger Entropie. Der Begriff niedrige Entropie ist ein wenig kompliziert. Er meint etwas für uns Positives. Inseln niedriger Entropie sind Ölquellen, Kohlegruben, Erzlagerstätten, Phosphatlager usw. Der Wirtschaftsprozeß beutet diese Inseln negativer Entropie aus, die durch erdgeschichtliche Konzentrationsprozesse entstanden sind. Von dieser Ungleichverteilung lebt der Wirtschaftsprozeß, indem er die vorhandenen Gefälle ausnutzt. Was nach Ausgleich der Potentiale übrigbleibt, ist Gleichverteilung. Diese kann man auch Unordnung nennen, während die Ungleichverteilung Ordnung genannt werden könnte. Entropie wird deshalb auch als ein Maß für die Unordnung definiert oder als ein Maß der Wahrscheinlichkeit. Unordnung ist immer der wahrscheinlichere Zustand als Ordnung. Auch das entspricht unserer Lebenserfahrung. Unordnung entsteht von selbst, um Ordnung zu machen, müssen wir Energie aufwenden. Auch im geschlossenen System Kinderzimmer wird die Entropie immer größer.
Georgescu-Roegens Arbeit begann mit dem Erstaunen darüber, daß unter Wolken von glänzenden nationalökonomischen Theorien einige Widersprüche verborgen sind. Er fand es merkwürdig, daß noch Jahrzehnte nach der Entthronung des mechanischen Dogmas in der Physik, also nach Überwindung des Gedankens, nicht der gerichtete Verlauf sei das Merkmal des Weltgeschehens, sondern die Kreisbewegung oder Pendelbewegung, die Volkswirtschaftslehren sich am Kreislauf orientierten und den Wirtschaftsprozeß als eine ständige Pendelbewegung zwischen Angebot und Nachfrage beschrieben.
Ganz in der Tradition der Alten sei den Ökonomen das beherrschende Element der Wirtschaft die Arbeit gewesen. Der englische Philosoph John Locke, Vordenker des Merkantilismus, hatte im 17. Jahrhundert erklärt, Erde und Natur seien wertlos; was aus ihnen als Wirtschaftsgut hervorgehe, bestehe zu 99,9 Prozent aus Arbeit.
Das haben Adam Smith, David Ricardo, William Petty, diesem folgend Karl Marx, schließlich Friedrich Engels, stets beibehalten und nur unbedeutend variiert. Der ökonomische Prozeß sei eine ewige Wiederkehr von Produktion und Konsum; in ihm seien Kapital und Arbeit entscheidend, während Materie und Energie nicht weiter beachtet werden müßten.
Nicht der zweite Hauptsatz der Thermodynamik beunruhigte die Nationalökonomen, was nötig gewesen wäre, sondern der erste beruhigte sie: An Energie und Materie geht nichts verloren, sie sind in einem ewigen Kreislauf ständig verfügbar. Daß zwischen dem ökonomischen Handeln und der materiellen Umwelt eine ununterbrochene, geschichtsbildende Wechselwirkung – geschichtsbildend im Sinne eines nicht umkehrbaren Prozesses – bestehe, mache den durchschnittlichen Nationalökonomen keinen Eindruck, schrieb Georgescu-Roegen. Und seine eigene Konsequenz formulierte er so:
„Ein unorthodoxer Nationalökonom, wie ich einer bin, würde sagen, daß das, was in den ökonomischen Prozeß aufgenommen wird, aus wertvollen natürlichen Stoffen besteht, das, was aus ihm entlassen wird, aus wertlosem Abfall."
Die Geringschätzung der Materie ist merkwürdig, zumal bei den philosophischen Materialisten. Sie beherrschte das wirtschaftliche Denken durchaus nicht zu allen Zeiten. Solange menschliche, körperliche Arbeit die Bodenschätze zutage fördern mußte, genossen Kupfer und Zinn, Eisen und andere Metalle, zu schweigen von Gold und Silber, höchstes Ansehen.
Erst mit der Erfindung von Maschinen, die aus großer Tiefe Kohle fördern, wurde alles anders. Diese Maschinen, obwohl mit einem schlechten Wirkungsgrad von oft weniger als 10 Prozent arbeitend, verbrauchten selbst nur einen Bruchteil der Energie, die sie nutzbar machten. Der Nettogewinn war ungeheuer.
Aus diesem Überschuß wurde unsere heutige Energiezivilisation aufgebaut.
Das ging umso leichter, je weniger tief Erz und Kohle lagen. Die Inseln negativer Entropie, also hoher Konzentration von Energie und Rohstoff, waren leicht erreichbar. Nach 150 Jahren Industriegeschichte sind sie es nicht mehr. Heute ist der finanzielle und technische Aufwand bei der Erschließung neuer Öllagerstätten unter dem arktischen Meeresboden oder in stürmischen Ozeanen so beträchtlich, daß die Energieexperten besorgt auf die Konvergenz der Kurven von Aufwand und Ertrag schauen. Der Augenblick rückt unaufhaltsam näher, da die Förderung einer Tonne Erdöl genausoviel Energie verbraucht, wie in dieser Tonne enthalten ist. Dann verliert die Trostformel der Ökonomen, es sei alles nur eine Frage des Preises, ihren Sinn. Denn Energie ist die harte Währung, nicht Papiergeld. Und wenn Energieproduktion subventioniert wird, entsteht das Defizit an harter Währung anderswo. Raubbau wird nötig, die Entropievermehrung erfolgt verdeckt.
Die niedrigen Energie- und Rohstoffpreise der Gegenwart widersprechen dieser Selbstverständlichkeit der fortschreitenden Verknappung nur scheinbar. Sie haben politische Gründe: die Öl- und Rohstoffländer sind unfähig, die künftige Knappheit schon in heutigen Preisen vorwegzunehmen – und diese Knappheit ist unvermeidlich, weil man Rohstofflager nur einmal ausbeuten kann und für alles Recycling der Entropiesatz gilt: Nur ein Teil läßt sich wiedergewinnen, ein Rest verschwindet unrettbar, und dieses bei jedem neuen Recycling immer wieder.
Wendet man viel Energie auf, um möglichst viel Materie aus der Verteilung wieder einzusammeln, wird das Problem nur in den Bereich der Energie-Entropie verlagert. Vollständiges Recycling, also 100 Prozent Rückgewinnung von Materie aus der Zerstreuung in die Konzentration, würde nach dem dritten Hauptsatz der Thermodynamik, dem sogenannten Nernstschen Theorem, Energieaufwand von der Größe unendlich erfordern. Das heißt: Das Schließen der Kreisläufe ist unmöglich, Materieverlust ist unvermeidlich. Das ist die Botschaft des Grundgesetzes vom Niedergang, dem wir nicht entgehen.
Die Vorstellung einer unendlichen Verfügbarkeit von Energie und Materie war solange nicht ganz falsch, wie die Menschheit in vorindustrieller Zeit vom Energieeinkommen aus Richtung der Sonne lebte. Die Pflanzenwelt erzeugte negative Entropie durch das Einfangen von Sonnenenergie. Seitdem wir aber mit Technik in den Vorratskeller der Erdgeschichte eingedrungen sind und die Konserven aufzehren, wäre es nötig, zu erkennen, daß diese Energievorräte von ebenso großer Bedeutung für die Wirtschaft sind wie die menschliche Arbeit.
Aber während menschliche Arbeit noch mehr oder weniger zu den erneuerbaren Energiequellen gezählt werden kann, gilt das für die Energiekonserven der Erdgeschichte nicht. Ihre Erneuerung in menschheitshistorischen Zeiträumen ist unwahrscheinlich, und ob die Energiequellen Atomkernspaltung oder Kernfusion den Ausweg aus der Knappheit bieten, vermag heute niemand zu sagen. Abgesehen von radioaktivem Abfall endet auch Nuklearenergie letztlich in Niedertemperaturwärme mit unbekannten Folgen. Der Erde könnte ein ähnliches Schicksal drohen wie einem biologischen Organismus, der seine Entropie nicht mehr abführen kann, also stirbt.
Eine der Grenzen des Wachstums, die Dennis Meadows in seiner bekannten Studie für den Club of Rome 1972 beschrieben hat, ist die Umweltverschmutzung mit Abwärme und Abfällen – nichts anderes als eine nicht mehr beherrschbare Energie- und Materie-Entropie.
Einschneidender als bei der Energie ist die Wirkung des Entropie-Prinzips jedoch im Bereich der Materie.
Denkbar wäre immerhin die Rückkehr der Menschheit zu einer Wirtschaftsweise, die nicht mehr von Energievorräten aus der Erdgeschichte lebt, sondern vom zugestrahlten Einkommen aus der Sonne. Die Energieversorgung wäre dann für fünf Milliarden Jahre gesichert.
Anders mit der Materie. Im Hinblick auf Materie ist die Erde ein geschlossenes System. Wenn wir wirklich an die Zukunft der Menschheit denken wollen, dann müßte uns die Materie-Entropie viel mehr besorgt machen als die Energie-Entropie.
Das ist aber nicht der Fall, wie jeder weiß, sondern die Geringschätzung der Materie erreicht in unseren Zeiten ein nie gekanntes Ausmaß. Die Entropie-Vermehrung ist durch den Wirtschaftsprozeß ungeheuer beschleunigt; der Fortschritt besteht darin, daß immer mehr Maschinen entstehen, mit deren Hilfe Rohstoffe in Abfall und Energie in Abwärme verwandelt werden. Wirtschaftswachstum heißt das, und durch die Brille der Thermodynamik gesehen ist dieses Wachstum nichts anderes als die Beschleunigung im Wettlauf um die Reste von niedriger Entropie, damit diese so schnell wie möglich in hohe Entropie umgesetzt werden können. Auf einer abwärtsfahrenden Rolltreppe laufen wir gegen andere um die Wette nach oben, wobei die Rolltreppe die Eigenschaft hat, ihre eigene Abwärtsbewegung immer etwas mehr zu beschleunigen als die Aufsteigenden ihren Aufstieg. Je mehr diese strampeln, umso rascher sinken sie unter ihr bisheriges Niveau. Das Vernünftigste wäre für sie, ganz still zu verharren, weil dann der Niedergang am langsamsten ist. Wir wissen allerdings, daß wir ganz still nicht verharren dürfen, weil wir dann nicht leben könnten. Wir sind auf Zufuhr von negativer Entropie angewiesen, als einzelne Organismen, aber auch als Wirtschaftsgemeinschaft.
Wir können nicht alle leben wie der Philosoph Diogenes in seiner Tonne, der körperliche und vielleicht auch geistige Tätigkeit – beides entropievermehrende Prozesse – weitgehend einschränkte und sich ganz auf Solarenergie verließ. Dennoch enthält die Legende einen bedenkenswerten Kern: Als Alexander der Große zu ihm trat, die Weisheit des Bescheidenen bewunderte und ihm einen Wunsch freistellte, sagte der Philosoph lediglich: „Geh mir aus der Sonne."
Unser gegenwärtiges Wirtschaften kann zu dem verheißenen, ständig wachsenden Wohlstand nicht führen. Die gebräuchlichen Begriffe der Nationalökonomie sollten im Lichte des Entropiesatzes neu befragt werden. Ist die Geldmenge vielleicht ein Äquivalent für den von Menschen erzeugten Anteil der Entropie? Repräsentiert sie den Pegelstand des Wertlosen? Ist Inflation vielleicht der Tachometer der Entropievermehrung? Um welchen hohen Preis, gemessen in Entropie, schafft Arbeit heute sogenannte Werte? Physikalisch gesehen ist Leistung Arbeit dividiert durch Zeit. Durch seine Leistung beschleunigt der Mensch die unvermeidliche natürliche Entwertung der Welt in der Zeit. Schon Horaz erkannte: Die Zeit entwertet die Welt. Wir können sagen: Das Ergebnis aller Arbeit des Menschen in dieser Welt ist nur deren beschleunigter Untergang.
Doch der Mensch sieht das wirtschaftliche Geschehen eben nicht durch die Brille des zweiten Hauptsatzes. Selbst wenn er wüßte, welche verhängnisvollen Wirkungen sein eifriges Werken hat, er würde doch stets mehr arbeiten, als zum Lebensunterhalt nötig ist. Denn der Sinn unseres forcierten Wirtschaftsprozesses ist, wie Georgescu-Roegen sehr wohl erkennt, die Herstellung von Lebensgenuß. Lebensgenuß ist das Veredelungsprodukt, für das Materie und Energie umgesetzt werden, wobei, wie bei jeder Veredelung, Entropie entsteht: Abwärme, Abfall, Abgas.
Man hat mir verübelt, daß ich fleißige Arbeit nur als ein Mittel zu höherem Lebensgenuß beschrieben hätte.
Solche Geringschätzung liegt mir fern. Ich weiß sehr wohl, daß wir in erster Linie deshalb arbeiten müssen, um unser Leben zu erhalten. Doch tun wir eben einiges darüber hinaus, was den Prozeß der Entropievermehrung enorm beschleunigt.
Und die Rechtfertigung dafür sieht so aus:
Wenn aber Lebensgenuß der Sinn des Wirtschaftens ist und wenn wir aus dem Gefängnis des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik nicht ausbrechen können, so laßt uns wenigstens in ihm lustig leben. Das ist die Maxime des Handelns in den Wohlstandsländern. Die Umweltproblematik stellt uns nun vor die Frage, ob der Lustgewinn nicht mit weniger Entropie in Form von Verschmutzung, Krankheit, Lärm und ähnlichen Begleiterscheinungen erzielt werden könnte.
Da gibt es nun die bekannten Abhilfen, die allesamt nicht gerade falsch sind, uns aber angepriesen werden, als wären sie unfehlbare Heilmittel. Sie sind es nicht – wegen des Entropiesatzes. Eines der Zauberworte heißt bessere Technik. Richtig ist, daß in vielen Bereichen die Wirkungsgrade verbessert werden können. Bei der Energieveredelung ist man schon ziemlich weit. Knapp 42 Prozent der eingesetzten Primärenergie in modernen Kohlekraftwerken kommen in Form von Strom wieder heraus. Auf der Seite der Energienutzung sind noch größere Verbesserungen des Wirkungsgrades möglich. Die Mikroelektronik hat geradezu Symbolcharakter. Mit ihrer Hilfe wird der Energie- und Materialverbrauch gegenüber früheren Techniken der Informationsverarbeitung auf einen Bruchteil vermindert.
Doch gilt das eben nur für die Information. Sehen müssen wir, was da gesteuert wird. Wo mikroelektronische Steuerung in der Autoindustrie den Ausschuß verringert, ist die Ersparnis an Energie und Material beträchtlich. Wo sie die Abfüllmaschinen für Einwegverpackungen beschleunigt, beschleunigt sie die Entropievermehrung.
Eine volkstümliche Verkürzung des Entropiesatzes könnte lauten:
Was immer du in der materiellen Welt tust, dein Handeln hat unerwünschte Nebenwirkungen, die größer sind als die erreichte Hauptwirkung, auch wenn du sie nicht wahrnimmst.
So kostet es sieben pflanzlich gebundene Nahrungskalorien, um eine Kalorie Schweinefleisch zu erzeugen. Sechs Pflanzenkalorien gehen als Abwärme im Schweinestall verloren. Der Mäster denkt nicht daran, weil für ihn nur zählt, daß er die sieben Pflanzenkalorien billiger kaufen kann, als er die eine Schweinekalorie verkauft.
In der chemischen Industrie gilt: bei der Herstellung eines erwünschten Produkts ist dessen Gewicht nur halb so groß wie das der entstehenden Abfallmenge. Dem entspricht bei der Stromerzeugung der Energiegehalt im Veredelungsprodukt Elektrizität, wie gesagt, bestenfalls 42 Prozent des Energiegehalts vom Brennstoff. Der größere Rest verschwindet als Abwärme im Fluß oder in der Atmosphäre.
Professor Dr. Wolfgang Hilger, Chef von Hoechst und Präsidiumsmitglied des Verbandes der Chemischen Industrie, klagte 1989:
„Trotz größerer Anstrengungen beim Vermeiden, Vermindern und Verwerten von Abfällen stehen wir vor dem Problem, daß anscheinend der Müll immer mehr zunimmt; ein Problem der Gesamtwirtschaft, nicht nur der chemischen Industrie. Dafür gibt es zwei Erklärungen: Einmal führen die erhöhten Anforderungen an die Reinigung von Luft und Wasser sowie die Altlastensanierung zu einem höheren Abfallaufkommen. Ich nenne hier nur die Klärschlämme, die aus Industriebetrieben, aber auch aus den Kommunen entsorgt werden müssen. Auch die Menge von Sonderabfall wird steigen, denn es besteht ganz unverkennbar der Trend, Reststoffe aus Gewerbebetrieben zu Sonderabfällen zu deklarieren. Im Rahmen der Neuregelung zum Abfallrecht wird sich dies sicher noch verstärken, ohne daß materiell die Menge des Abfalls zunimmt."
Gewiß, sie nimmt nicht zu. Es wird nur durch Gesetzgebung unterbunden, daß Produzenten die Entropie in der Umwelt erhöhen, um sich selbst innerbetrieblich von Entropie zu entlasten. Das Abschieben von Produktionskosten in die Natur, ihre Externalisierung, wie die Umweltökonomen das nennen, wird entweder durch Vorschriften erschwert oder durch Strafgebühren unrentabel gemacht. Die Umgehungstatbestände sind hinlänglich bekannt, die Aufklärungsquote wird auf 10 Prozent geschätzt.
Die Strafen fallen entsprechend der in Juristenkreisen vorherrschenden Meinung aus, daß Umweltverbrechen allenfalls Ordnungswidrigkeiten sind, begangen zumal an den freien Gütern Luft und Wasser, für die sich mit Hilfe des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1900 kein Eigentümer ermitteln läßt, womit auch niemand geschädigt sein kann.
Zum Glauben der Techniker, daß wir durch bessere Technik unsere Probleme lösen könnten:
Der ehemalige bayerische Wissenschaftsminister, der Physiker Professor Wolfgang Wild, sagte in verschiedenen Vorträgen folgendes:
„Ich bin überzeugt, daß wir zumindest in den hochentwickelten Industrieländern den Höhepunkt der Umweltbelastung erreicht und vermutlich sogar schon überschritten haben. Daran wird auch weiteres wirtschaftliches Wachstum nichts ändern, denn das Wachstum der Produktion wird heute überkompensiert durch die Verminderung der spezifischen Umweltbelastung bei der Produktherstellung. Der technische Fortschritt ermöglicht es, die Umweltbelastung zu verringern und die Gütererzeugung dennoch zu steigern."
Wild zitierte dann meine Überlegungen aus der Süddeutschen Zeitung vom 9. und 10. Januar 1988:
„Je mehr wir die Technik einsetzen, desto mehr beschleunigen wir die Umwandlungsprozesse, desto rascher nimmt die Entropie zu, desto eher verbrauchen wir den natürlichen Reichtum unserer Erde, sagt Christian Schütze. Und darum werde die Erde durch Arbeit immer ärmer, durch unser Wirtschaften würde letztendlich nicht der Wohlstand, sondern die Armut vermehrt."
Und Wild fuhr fort:
„Man kann dieser Argumentation eine gewisse Konsequenz und Logik nicht bestreiten. Ganz langfristig gesehen, dürfte Schütze recht haben. Wenn man aber den Zeithorizont quantitativ untersucht, dann verliert das Schützesche Grundgesetz vom Niedergang seine erschreckenden Züge fast völlig. Denn zunächst einmal ist die Erde energetisch kein abgeschlossenes System, die Sonne strahlt uns dauernd Energie zu und sie wird dies in gleichem Maße noch etwa fünf Milliarden Jahre lang tun. Christian Schütze weiß das und er hält darum das Entropiegesetz der Materie für weit gravierender als das Entropiegesetz der Energie. Das sogenannte Entropiegesetz der Materie aber ist im Gegensatz zum Entropiegesetz der Energie kein Naturgesetz. Bei reichlicher Energiezufuhr kann man niedrig konzentrierte Materie in hoch konzentrierte überführen. Man kann also beispielsweise das im Meerwasser gelöste Gold gewinnen. Wenn uns Energie in ausreichender Menge und zu günstigen Preisen zur Verfügung steht, dann ist die Entwertung der Materie kein unvermeidbares Schicksal, dann hängt es ausschließlich von unserer Erfindungskraft ab, in welchem Umfang wir durch Recycling, vor allem aber durch Substitution, Nutzung ärmerer Lagerstätten (Beispiel Gold im Meer) und last but not least technologisch bedingter Einsparung unsere nutzbare Rohstoffbasis erhalten und de facto sogar erweitern können. Bei aller berechtigten Kritik an den negativen Seiten unserer Lebenswelt sollte man im übrigen deren positive Aspekte nicht gänzlich aus den Augen verlieren. Der technische Fortschritt hat uns – dem Entropiegesetz zum Trotz – eben nicht ärmer, sondern reicher gemacht."
Uns ja, doch die Erde ist ärmer geworden. Und nur dieses hatte ich ja behauptet. Und diese Feststellung wirft eben die Frage nach der Ethik unseres Tuns auf: Dürfen wir die Welt verheizen und zugleich von der Existenz künftiger Generationen reden?
Und nicht erklärt hat Wild, woher er die "Energie in ausreichender Menge und zu günstigen Preisen" hernehmen will, ohne die Umwelt durch eine gewaltige Vermehrung der Abwärme zu gefährden. Sollte er an Atomenergie gedacht haben, so bleibt das unbewältigte Problem der strahlenden Abfälle, eine besonders unangenehme Form von Entropie.
Soviel zum Thema der besseren Wirkungsgrade und der Substitution sowie der Wiedergewinnung von zerstreuten Rohstoffen aus der Verteilung.
Dazu gehört die Empfehlung: Mehr Recycling. Das ist ein richtiges Rezept. Recycling ist organisiertes Handeln gegen die Entropie, deren Symbol die Mülldeponie ist, in der die einst in reinen Lagerstätten geordnet liegende Materie nunmehr ungeordnet als Abfall durchmischt endet. Recycling gelangt aber bald an Grenzen der Wirtschaftlichkeit, weil der zweite Hauptsatz regiert. Recycling ist keine Lüge, wie einmal in einer Fernsehsendung gesagt wurde, aber es ist nur begrenzt wirksam. Die Zyklen können mit vertretbarem Aufwand nicht geschlossen werden. Was in Umlauf gekommen ist, befindet sich auf dem Wege in die Zerstreuung. Wenn eine Tüte Erbsen auf den Boden fällt und aufplatzt, lassen sich 60% mit wenigen Handgriffen wieder einsammeln. Die nächsten 30% erfordern wiederholtes Bücken in größerem Umkreis. Weitere 8% brauchen bereits mehr Energie, als in ihnen enthalten ist. Die letzten 2% liegen unerreichbar unter Schränken und in fernen Ecken; sie werden aufgegeben.
Das ist ein Gleichnis für das Problem beim Materie-Recycling. Eine andere populäre Ausformung des zweiten Hauptsatzes im Hinblick auf unser Handeln in der materiellen Welt könnte deshalb heißen: In der Natur gibt es keine 100%, die gibt es höchstens beim Papiergeld. Der wachsende Widerstand der Natur bei der Annäherung an die 100% gilt auch für alle end-of-the-pipe-Technik im Umweltschutz, also beim Abfangen oder nachträglichen Wiedereinfangen von entwichenen Schadstoffen.
End-of-the-pipe-Technik ist gemeint, wenn von Umweltschutzindustrie die Rede ist und davon, daß Umweltschutz Arbeitsplätze schaffe. Das ist richtig, sofern man den Arbeitsmarkt betrachtet, wo Umwelttechnik in der Tat Arbeitsplätze schafft, weil sie eine Wachstumsbranche ist, die auch ausgezeichnete Exporterfolge hat. Wenn man aber die Umwelt selbst ins Auge faßt, sind diese Arbeitsplätze problematisch. Gewiß ist der Bau von Kläranlagen der Umwelt nützlicher als der Bau von Autorennstrecken. Aber zu beachten ist die Wirkung des Entropiegesetzes bei technischem Umweltschutz. Und allein um diesen geht es ja, weil natürlicher Umweltschutz nach Diogenes selbstverständlich keine Arbeitsplätze schafft, sondern allein auf Vermeidung beruht.
Die Kläranlage entfernt 70% des Schmutzes verhältnismäßig leicht, weitere 20% mit noch vertretbaren Kosten für Energie und Installation. Aber bei den restlichen 10% steigt der Aufwand schnell ins Unerschwingliche. Auch sie noch auszufiltern oder chemisch abzubauen, würde einen technischen und energetischen Aufwand erfordern, der – allerdings an anderer Stelle – mehr Entropie erzeugt, als der ungefilterte Rest enthält. Ein Vielfaches vom Schmutz, den die Anlage dem Wasser entzieht, gelangt woanders in die Luft. Der kleine ungefilterte Rest, der deshalb in Kauf genommen wird, ist ein unvermeidbarer Beitrag zur Entropievermehrung.
Es ist der zweite Hauptsatz, der alle Veredelung mit erhöhter Verschmutzung an anderem Ort bestraft. Es gibt eine vom Naturgesetz gezogene Grenze für umweltnützliche Umweltschutzaktivität. Und immer gilt: Rezyklieren und Reinigen sind gewiß nützliche Tätigkeiten, aber sich so zu verhalten, daß beides nicht nötig wird, also vermeiden, ist besser. Es ist ökonomisch vorteilhafter, weil es Energie spart und unvermeidliche Materieverluste verhindert, also die Entropievermehrung bremst.
Den Charakter eines politischen Glaubensbekenntnisses hat der Satz „Wir brauchen Wirtschaftswachstum, um den Umweltschutz bezahlen zu können". Dieses ist ein geradezu monumentaler Ausdruck von Entropie-Vergessenheit. Die für die Umwelt negativen Folgen von Wirtschaftswachstum herkömmlicher Art wären selbst dann noch größer als der durch technischen Umweltschutz erzielbare Nutzen, wenn man das gesamte Wachstumsprodukt für diesen technischen Umweltschutz aufwenden würde.
Aber zum Umweltschaden, den Wirtschaftswachstum unvermeidlich erzeugt, kommt politischer Schaden, wenn in demagogischer Absicht verkündet wird, Wachstum sei nötig, weil anderenfalls die Demokratie zusammenbreche.
Wenn wir uns auf die Alternative einlassen, entweder Umweltzerstörung oder Diktatur, werden wir das Eintreffen von beidem beschleunigen.
Kehren wir zum Schluß zu der Frage zurück: Lassen sich Ökonomie und Ökologie versöhnen?
Menschliches Wirtschaften ist nun einmal das Eingreifen in ökologische Zusammenhänge, denn wir Menschen sind, wie alle anderen Lebewesen, darauf angewiesen, Energie aufzunehmen und Entropie abzuführen. Entropie führen wir in erster Linie in Form von Körperwärme und Kohlendioxyd ab. Die Beträge sind verhältnismäßig bescheiden und werden von natürlichen Kreisläufen schadlos aufgenommen. Anders ist es mit den technischen Verbrennungsvorgängen vom Kraftwerk bis zum Moped und der Materie-Entropie in Form von Industriegiften und Abfall. Hier werden die natürlichen, von der Sonne angetriebenen Kreisläufe überfordert. Das Waldsterben ist Ausdruck dieser Überlastung.
Ökologie und Ökonomie lassen sich nicht versöhnen, ihr Konflikt läßt sich nur mildern. Wie kann das geschehen?
Durch Verminderung der Entropie, genauer dadurch, daß wir die unvermeidliche Entropievermehrung so gering wie möglich halten. In der Alltagspraxis heißt das: Indem wir unsere Häuser besser isolieren, Maschinen mit besserem Wirkungsgrad bauen, langlebige Produkte zur Verminderung des Abfalls herstellen, die Verschwendung einschränken, Recycling unter Berücksichtigung des Energieaufwandes betreiben und unnötigen Gebrauch von Energien und Materie unterlassen. Aber es bleibt dabei, daß mit jedem Atemzug, mit jedem Kilometer Autofahrt, mit allem, was wir Arbeit nennen, ein ökologischer Störfaktor verbunden ist. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik verbietet den Glauben an eine Versöhnung von Ökonomie und Ökologie. Mit technischem Umweltschutz läßt sich das Weltgesetz der Entropievermehrung nicht überlisten.
Den besten Wirkungsgrad unter allen Bemühungen zum Vermeiden von Entropie bietet der konventionelle Naturschutz.
Die lebendige Natur ist das einzige Bollwerk gegen die Entropievermehrung. Das gilt in einem ganz wörtlichen Sinne. Vegetation sammelt und konzentriert Sonnenenergie zu Brennstoff und Nahrung, zu negativer Entropie, allerdings um den Preis von Entropievermehrung in der Sonne, aber die kann uns gleichgültig sein, auf die haben wir keinen Einfluß. Die Pflanzenwelt bremst die Entropievermehrung in der anorganischen Welt, indem sie die erodierenden Kräfte des Wassers und des Windes aufhält. Bergwald verhindert, daß Humus von den Flüssen ins Meer getragen wird, die Berge abgebaut werden und der Meeresboden flacher wird. Lebendige Natur hält diesen nicht umkehrbaren Prozeß auf, wenigstens vorübergehend.
Warum hat sich die Standardökonomie, die doch sonst vor Abstraktionen nicht zurückschreckt, mit dem Entropiesatz nicht beschäftigt? Es ist doch wirklich nicht schwer, in ihm das Weltgesetz zu erkennen, dem auch menschliches Wirtschaften unterworfen ist und dessen Berücksichtigung so manchen rätselhaften wirtschaftlichen Vorgang erklären könnte. Die Verliebtheit in das Kreisprozeßdenken konnte doch nicht über zwei Jahrhunderte hinweg eine ganze Wissenschaft mit ihren zehntausenden nachdenklichen Vertretern von der Einsicht abhalten, daß der Weltprozeß eine Richtung hat, und daß diese von der Ordnung zur Unordnung, vom Nutzbaren zum Unnützen, vom vorübergehenden Reichtum zur unvermeidlichen Armut führt, weil ein nicht vermehrbares Kapital aufgezehrt wird – die Natur.
Vielleicht fürchten die Vertreter der Standardökonomie des Neoklassizismus die deprimierende Einsicht, es könnten vor dem unbestechlichen zweiten Hauptsatz alle Illusionen von dauerhaftem Wohlstand, von ständigem Wachstum auf Erden zerbrechen; die traurige Wissenschaft, wie Thomas Carlyle vor einem Jahrhundert die Nationalökonomie genannt hat, wäre noch trauriger geworden.
Wie selbstbewußt die konventionellen Nationalökonomen auch heute noch sind und wie konsequent sie die einfache Logik aus ihren Überzeugungen verdrängen, zeigte eine Anfrage der Zeitschrift „natur" bei namhaften Wirtschaftspolitikern und Wirtschaftsjournalisten im Jahr 1980.
Dazu wurde den Befragten ein Essay vorgelegt, der in „natur" zum Thema „Entropie und Ökonomie" erscheinen würde. Die Frage lautet: „Welchen Einfluß hat der zweite Hauptsatz der Thermodynamik auf Ihre berufliche Denkwelt?"
Der damalige Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff ließ durch seinen Pressesprecher Dieter Vogel antworten:
„Ich habe bisher nicht erkennen können, daß der zweite Hauptsatz der Thermodynamik Einfluß auf das Denken von Graf Lambsdorff hat."
Die Wirtschaftsredakteurin des „Spiegel", Dr. Renate Merklein, antwortete:
„Zuerst habe ich einmal ins Lexikon geguckt und dort über den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik gefunden, daß alle in der Welt vorhandene Energie nach Zerstreuung strebt, das heißt nach Übergang in gleichmäßig verteilte Wärmeenergie (sogenannter Wärmetod des Weltalls). Soweit Ihre Frage also das Weltende betrifft, das bedrückt und beschäftigt mich gar nicht. Aus der Lexikonlektüre habe ich allerdings auch gelernt, daß zur ersten und wertvollsten Energie die „Bewegungsenergie-Träger Körper" gehört. Und solange es also auf der Welt noch genügend träge Körper gibt, die Bewegungsenergie entfalten können, ist es nur eine Frage des Preises, sie auch dazu zu veranlassen. Und um diese Ecke herum hat die Thermodynamik auch Einfluß auf meine berufliche Denkwelt."
Dr. Paul C. Martin, damals Wirtschaftsjournalist in Hamburg, heute gefragter Immobilienberater in der Schweiz, antwortete:
„Als thermodynamischem Laien war mir der zweite Hauptsatz dieser Wissenschaft nicht bekannt. Nachdem ich ihn studiert habe, stelle ich fest, daß er in der Nationalökonomie nicht gilt, wenn er nicht sogar durch die Nationalökonomie widerlegt wird. Die Nationalökonomie geht seit Quesnay, Marx und Walras von der Annahme eines ökonomischen Kreislaufes aus, in dem niemals Energie, in unserem Fall: Kaufkraft, verlorengeht. Ganz einfach ausgedrückt: Alle Kosten werden stets in gleicher Höhe zu Einkommen. Oder anders: Das verfügbare Angebot kauft sich letztlich selbst. Zu diesen Betrachtungen kommt ein bisher unveröffentlichter Gedanke des Nobelpreisträgers F. A. Hayek, den dieser das „Gesetz der Katallaxie" genannt hat. Danach konkurrieren beispielsweise Gewerkschaften und Unternehmen nicht um den gleichen Anteil am Sozialprodukt in dem Sinne, daß nur der eine oder der andere zum Zuge kommen kann (Lohnfonds versus Gewinnfonds). Im zeitlichen Ablauf einer freien, dynamischen Wirtschaft ergeben sich vielmehr zusätzliche Sozialproduktsteile (wenn Sie so wollen: zusätzliche Energie), die verteilt werden können: Es können also sowohl die Gewinne steigen als auch die Löhne. Ich teile diesen Gedanken Hayeks voll und ganz. Wie sollte auch sonst wohl wirtschaftliches Wachstum bei stagnierender Bevölkerung und abnehmendem technischen Fortschritt möglich sein? Also: Thermodynamik – nein, Katallaxie – ja."
Schließlich noch Ferdinand Simoneit, Redaktionsdirektor von <auto, motor und sport>:
„Über den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und seine Bedeutung in der Nationalökonomie habe ich noch nicht nachgedacht."
Das Verständnis des Entropie-Prinzips und seine Anwendung auf wirtschaftliche Prozesse rauben uns zwar den unschuldigen Glauben, daß immer mehr Wohlstand entstehe, wenn man nur die richtige Wirtschaftspolitik mache. Der zweite Hauptsatz stößt uns mit der Nase auf harte Mauern. Aber wenn wir uns aufrichten, sehen wir klarer. Und zur Menschenwürde und Menschenpflicht gehört eben nicht nur der Wohlstand, sondern auch die Erkenntnis von Wahrheiten. Wer sich einmal mit dem Entropieprinzip beschäftigt hat, sieht die Welt mit anderen Augen.
Menschenwürde, Erkenntnis der Wahrheit.... Sie denken jetzt vielleicht: Hat er es nicht etwas kleiner? Für den Tagesgebrauch genügt, daß wir nicht so rasch glauben, was uns erzählt wird, weil man vermutet, daß wir es gern hören.
Ökonomie und Ökologie sind und bleiben im Konflikt. Sie lassen sich nicht mit Glaubenssätzen versöhnen. Menschliches Leben stört die Umwelt, menschliches Arbeiten mit den gegenwärtigen Techniken, mit der unerhörten Produktivität bei der Umsetzung von Materie und Energie, zerstört sie. Die Entropievermehrung ist nach dem Naturgesetz unvermeidlich. Sie zu beschleunigen oder zu bremsen, ist uns überlassen. Mehr können wir nicht. Aber das ist auch schon ein großes Programm und der Auftrag, den uns Kinder und Ungeborene geben.
Man hat mir den Vorwurf gemacht, meine Gedanken seien doch rabenschwarzer Pessimismus, den wir gerade nicht brauchen könnten, wenn wir unser Verhalten ändern wollten. Er lähme allen geistig-moralischen Aufbruch.
Nun, Optimismus und Pessimismus sind Stimmungen und ohne Bedeutung, wenn es um die Erkenntnis von Tatsachen geht. Zwar wird unser wirtschaftliches Handeln von Psychologie geprägt, doch kann uns Selbsttäuschung nicht dauerhaft helfen.
Ich habe an einige Weisheiten erinnert, die im ökonomischen Alltag nicht beachtet werden, vielleicht auch nicht beachtet werden müssen, ja nicht beachtet werden dürfen, wenn man in gegenwärtiger Wirtschaftsweise überstehen will.
Aber sie können nicht für alle Zeiten mißachtet werden, wenn es nicht zu katastrophalen Einbrüchen kommen soll.
Deshalb finden sie auch langsam Eingang in die ökonomische Theoriebildung. Georgescu-Roegen und der St. Gallener Ökonom Hans Christoph Binswanger oder Hans Immler sind dafür Beispiele.
Was haben wir von solchen Erinnerungen? Sie machen uns skeptisch gegen gestanzte Formeln und immer wieder angepriesene Rezepte, gegen ökonomische Doktrinen, die, weil sie sich in der Vergangenheit gewährt haben, für alle Zeiten und alle Weltregionen empfohlen werden.
Der Zweck unseres Treffens hier ist ja, daß wir auf einen Hügel steigen, um etwas mehr Überblick zu gewinnen.
Und wenn der erste Rundblick pessimistisch war – vielleicht macht Peter Kafka Licht.
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