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6.3  Das "Prinzip Hoffnung" (Bloch) 

"I'm looking for hope in a hopeless world"
Paul Young (1993)

 

   Was ist "Hoffnung"? 

Ein Blick in das Verzeichnis aller lieferbaren Bücher im deutschsprachigen Raum (VLB 1993/94) gibt Auskunft über die vielfältige Verwendung des Begriffs. Beispiele:

"Am Anfang war die Hoffnung", "Jeder Morgen bringt neue Hoffnung", "Der Frühling weckt Hoffnung", "Grün ist die Hoffnung", "Bäume sind Hoffnung", "Blüten der Hoffnung", "Blaue Blume Hoffnung", "Deutschlands Hoffnung", "Erkaufte Hoffnung", "Funken der Hoffnung", "Gelebte Hoffnung", Heilkraft der Hoffnung", "Planet der Hoffnung", "Reise der Hoffnung", "Segel der Hoffnung", "Schiff der Hoffnung", "Mit Hoffnung in die Zukunft", "Das Geschäft mit der Hoffnung", "Hoffnung auch hinter Gittern", "Hoffnung im Tal der Tränen", "Hoffnung der Besiegten", "Hoffnung für Hoffnungslose", "Hoffnung für Kinder", "Jugend zwischen Hass und Hoffnung", "Zwischen Vernunft und Hoffnung", "Frust und Hoffnung", "Die größere Hoffnung der Christen", "Weggetaucht ins Land der Hoffnung", "Als letztes starb die Hoffnung", "Am Ende siegt die Hoffnung" oder "Alles auf Hoffnung - mehr ist nicht zu sagen".

Auch gibt es Appelle wie z.B. <Laß' die Hoffnung herein!>, <Gib' die Hoffnung nicht auf!> und <Rettet die Hoffnung!> bzw. Fragen wie <Woher kommt die Hoffnung?> oder <Hoffnung - aus was?>. Schließlich gibt es auch noch Hoffnungstropfen, Hoffnungstränen, Hoffnungsträger und Hoffnungszeichen.  

Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen.

Dennoch ist die Suche nach einer Definition von Hoffnung nicht einfach. Der <Brockhaus> definiert Hoffnung als "die Erwartung eines ersehnten oder gewünschten Zustandes, eine in der seelischen Tiefenschicht verwurzelte Grundstimmung, die stark die menschliche Handlungsbereitschaft mitbestimmt" (zitiert nach Petri 1996, S.204).

Diese Definition nährt die Hoffnung, daß möglicherweise die Psychologie Expertenwissen zur Frage der Hoffnung aufzuweisen hat. Nach dem <Lexikon der Psychologie> kann Hoffnung als "die Erwartung eines erwünschten oder das Ausbleiben eines unerwünschten Ausganges zukünftiger Ereignisse" beschrieben werden:

"Sie ist auf Vorgänge bezogen, die noch nicht abgeschlossen sind, und erfaßt die Ausgänge wertende Zukunftserwartung (Bewertung). Durch die Vorwegnahme zukünftiger Ereignisse leitet sie auch das Verhalten an (Motiv). Menschen lassen sich danach unterscheiden, ob sie vorwiegend positive Ausgänge erwarten oder negative befürchten (Persönlichkeitsmerkmal)" (Witte 1987, S.885).

Das <Wörterbuch zur Psychologie> bezeichnet Hoffnung ergänzend als "eine positive, auf Zukünftiges gerichtete Qualität des Erlebens, die man als emotionale Einstellung ansehen kann (...). Hoffnung steht im Gegensatz zu Angst" (Fröhlich 1987, S.177). Auffallend ist allerdings, daß Hoffnung im Gegensatz zur Angst vergleichsweise selten Gegenstand empirischer Forschung ist. So stand in den letzten 20 Jahren in der Psychologie das Thema Angst im Vergleich zum Thema Hoffnung mehr als zehnmal so oft im Mittelpunkt des Interesses. Hoffnung wurde hier bisher vor allem im Rahmen der Frage von Leistungsmotivation untersucht.

Einen interessanten Beitrag zur Frage nach dem "Prinzip" Hoffnung liefert der amerikanische Anthropologe Tiger in einem Buch mit dem Titel <Optimism, the Biology of Hope> (vgl. Ernst 1983). Tiger hält die Fähigkeit zur Hoffnung für einen bisher unterschätzten, zentralen Faktor in der Evolution, der möglicher­weise genetisch programmiert wurde. Ohne die Annahme eines biologischen Zensors sei es kaum zu erklären, warum der Mensch immer wieder über Ängste und Pessimismus hinwegkomme und nicht in Hoffnungslosigkeit versinke. Obwohl der Mensch sich als einziges Wesen über die Unausweich­lichkeit seines Todes gewiß sei, lasse er sich von diesem Gedanken nicht zu Boden drücken. 

Die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode ist allen großen Religionen gemeinsam. Auch die Tatsache, daß sich die Menschen nicht davon abhalten lassen, entgegen jeglichem ökonomischen Kalkül und angesichts von großen Menschheitskatastrophen noch Kinder in diese Welt zu setzen, sei nur mit der Annahme eines entsprechenden biologischen Prinzips zu verstehen. Allerdings ist Tiger nicht verborgen geblieben, daß der Optimismus des Menschen nicht selten mißbraucht wurde. Nach der Auffassung von Tiger ist daher der Optimismus bzw. die aus ihm resultierende Hoffnung "das wahre Opium des Volkes" (Ernst 1983, S.32). Die Aufgabe des Wissenschaftlers wird in der Entlarvung von Illusionen gesehen, was wiederum ein Zeichen der Hoffnung sei.

 

Die größte Rolle spielt das Thema Hoffnung wohl in der Theologie bzw. Religion. Zu dieser Einschätzung kann man jedenfalls bei einer Betrachtung aller vorliegender Publikationen kommen (vgl. oben). So widmet das "Lexikon Kirche" der Hoffnung großen Raum (Affolderbach 1979). Im Alten Testament z.B. bedeutete Hoffnung zum einen das Vertrauen des Menschen auf Gottes Hilfe bei der Bewältigung des täglichen Lebens, zum anderen die Erwartung von Gottes Eingreifen in der Geschichte des Volkes Israel. Eine Jenseits-Hoffnung findet sich im Alten Testament jedoch nicht, erst im Neuen Testament richtet sich die Hoffnung auf das Reich Gottes. In der Geschichte der Kirche hat sich das christliche Hoffnungsverständnis immer wieder auf den Glauben des einzelnen an die Rettung der eigenen Seele für ein besseres Jenseits verengt. Erst in jüngerer Zeit rückt z.B. im Hinblick auf die Probleme der sog. Dritten Welt auch die Frage in den Mittelpunkt, ob und wie christliche Hoffnung auch in der Veränderung der Lebensumstände im Diesseits seinen Ausdruck finden kann.

Auch in der Philosophie hat die Bestimmung der Hoffnung eine lange Tradition, wie Schnoor (1988, S.15) ausführt. So geht die heute geläufige inhaltliche Gleichsetzung der Hoffnung mit Vertröstung auf die griechische Antike zurück. Schon Hesiod warnte z.B. vor der "leeren Hoffnng" eines untätigen Mannes (Ritter 1974, S.1157). Auch die positive Interpretation der Hoffnung hat ihre Wurzeln in der Antike, wie Herodot, Thukydides oder die Tragiker beweisen. Hier wird Hoffnung als eine rational begründete Wahrscheinlichkeit gesehen, welche einen positiven oder negativen Ausgang haben kann. Die Ambivalenz der Hoffnung zeigt sich besonders deutlich in der Interpretation der Pandora-Sage, als die Hoffnung als einzige von allen Gaben in der berühmten Büchse verbleibt - ob als Trost oder als Übel ist bis heute umstritten. Eine optimistische Bestimmung der Hoffnung setzte sich erst im frühen Christentum durch. Die "bedeutendste neuzeitliche Arbeit zur Philosophie der Hoffnung" (Schnoor 1988, S,15) steht in dieser Tradition: Das dreibändige "Prinzip Hoffnung" von Ernst Bloch (1947/85).

Bloch (1885-1977) schrieb sein "Prinzip Hoffnung" zwischen 1938 und 1947 während der Zeit seines amerikanischen Exils, das Werk wurde 1953 in der DDR veröffentlicht, wo Bloch nach Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst lebte. Bloch stand jedoch in einem offenen Widerspruch zum real-existierenden Sozialismus, dem er anfänglich noch in fast blind-naiver Loyalität verbunden war wie der Sowjetunion Stalins zur Zeit des Nationalsozialismus. Nach seiner Zwangsemeritierung im Jahr 1957 und weiteren Beschneidungen seiner Freiheit blieb Bloch nach dem Bau der Mauer 1961 im Westen Deutschlands. Seine Eröffnungsvorlesung in Tübingen begann in Anspielung auf sein Hauptwerk mit den Worten: "Hoffen und harren macht manchen zum Narren" (Horster 1989, S.110).

Nach dem Fall der Mauer wurde in Berlin eine Straße nach Bloch benannt. Das "Prinzip Hoffnung" von Bloch bietet zwei sehr unterschiedliche Interpretations­richtungen: Die eine und fast allgemeine Auffassung besagt, Blochs Philosophie sei naturfreundlich und so geeignet, Leitideen für eine entsprechend "grüne" oder sozialdemokratische Politik zu liefern. Die andere und bisher hauptsächlich von Jonas (1979) ausgeführte Interpretation vertritt die These, daß Bloch mit seinem "Prinzip Hoffnung" einen wesentlichen ideologischen Beitrag zu progressiver Naturzerstörung geliefert habe.

 

Bloch entwickelte eine Anthropologie und Ontologie des "Noch-Nicht-Seins", nach der die wirkliche Genesis des Menschen und der Natur erst am Ende der Geschichte stattfindet. Bloch säkularisiert den religiösen Chiliasmus, indem er den Menschen an Stelle Gottes setzte. Auch Blochs Naturphilosophie ist auf diesen Endpunkt hin angelegt: Ohne menschliches Bewußtsein sei die Natur eine "Ohne-Kopf-Natur" die aber als "natura naturans" latente Tendenzen in sich trage und im Sinne von Blochs Versöhnungsutopie dank des "Umbaus des Sterns Erde" durch den Menschen mithilfe von Technik zur "natura supernaturans" werde. Die Technik fungiert dabei als Mittel und Motor zur Realisierung des utopischen Ideals. Bloch vollzog damit den Übergang von der alten Metaphysik zur modernen wissenschaftlichen und anthropozentrischen Naturinterpretation. Naturfeindschaft wird als Wollen der Natur selbst interpretiert. (vgl. Wiemers 1994, S.40). Bloch würdigt in diesem Zusammenhang auch die richtungsweisende Bedeutung des sog. "Baconschen Programms", nach dem der größt-mögliche Wohlstand für die gesamte Menschheit durch wissenschaftliche Erforschung und technische Beherrschung der Natur zu erzielen sei (vgl. Sohr 1995, S.24).

 

Nach Jonas (1979), der nach dem Zweiten Weltkrieg noch von den phantastischen Möglichkeiten einer <Blochschen Mußegesellschaft> überzeugt war (vgl. Sohr 1995, S.68), sind die Verheißungen der modernen Technik jedoch inzwischen in eine Drohung umgeschlagen. Er weist darauf hin, daß alle bisherigen Eingriffe in die Natur immer zu einer Beeinträchtigung des ökologischen Gleichgewichts geführt hätten, und schlußfolgert daraus (1979, S.372), daß die scheinbar positive Verheißung einer zuküftigen humanisierten Natur letztlich unbegründete Hoffnungen wecke.

Die technische Realisierbarkeit der Blochschen Utopie eines weltweiten Wohlstandes sei schon aufgrund der natürlichen Gegebenheiten angesichts begrenzter Rohstoff- und Energiereserven kaum einzulösen, denkt man z.B. die infolge des expandierenden Energieverbrauchs drohende Klimakatastrophe dazu. Die nichtutopische Ethik der Verantwortung, die Jonas postuliert, steht Blochs Prinzip Hoffnung zwar wie eine Antipode gegenüber, als Bedingung des Handelns hält Jonas Hoffnung jedoch keineswegs für antiquiert, da sich in ihr die Voraussetzung manifestiert, überhaupt etwas ausrichten zu können. Hoffnung und Furcht sind für Jonas "unabdingbare Begleiter der Verantwortung" (vgl. Sohr 1995, S.25).

Der völlige Verzicht auf jede Hoffnung könne das Unheil nur im Sinne einer 'Self-fulfilling-prophecy' beschleunigen. Seine persönliche "sehr bittere Hoffnung" hinsichtlich der ökologischen Weltsituation beschränkt sich aber auf "eine Serie von kleinen Katastrophen (...), die erschreckend genug sind, uns aufzurappeln, aber noch nicht schlimm genug, um den Ruin schon selber darzustellen" (Jonas 1991, S.44).

 

Noch härter geht Anders mit dem "Prinzip Hoffnung" von Bloch ins Gericht. Er hat sich immer wieder gegen die Idee der Hoffnung an sich gewandt, wie sie von Bloch proklamiert wurde: "Ich glaube, Hoffnung ist nur ein anderes Wort für Feigheit. Was ist Hoffnung überhaupt? Ist es der Glaube, daß es besser werden kann? Oder der Wille, daß es besser werden soll? Noch niemals hat jemand eine Analyse des Hoffens durchgeführt. Auch Bloch nicht. Nein, Hoffnung hat man nicht zu machen, Hoffnung hat man zu verhindern. Denn durch Hoffnung wird niemand agieren. Jeder Hoffende überläßt das Besserwerden einer anderen Instanz. Ja, daß das Wetter sich bessere, das darf ich vielleicht hoffen. Das Wetter wird dadurch zwar nicht besser, aber auch nicht schlechter. Aber in einer Situation, in der nur das Selberhandeln gilt, ist 'Hoffnung' nur das Wort für den Verzicht auf die eigene Aktion" (Anders 1987, S.151).

Durch Bloch sei das Wort 'Hoffnung' zu einem Feiertagswort geworden. Hoffnung sei kein Prinzip, sondern eine "unberechtigte Emotion" (1987, S.97), denn man könne auch unverantwortlich hoffnungsvoll sein.

 

In enger Anlehnung an Bloch legt Schnoor eine <Psychoanalyse der Hoffnung> (1988) vor und setzt sich dabei mit der psychischen und psychosomatischen Bedeutung von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit auseinander. Nach Schnoor ist Hoffnung als Phänomen der Not jenseits aufklärerischer Anstrengungen angesiedelt. Im Gegensatz zu Bloch, für den Hoffnung nicht zerstört werden kann (an keiner einzigen Stelle im "Prinzip Hoffnung" wird das Phänomen der Hoffnungslosigkeit diskutiert), kann sich Hoffnung jedoch als "Ausdruck und integrativer Bestandteil des Lebens (...) angesichts chronifizierter Krisen in Hoffnungslosigkeit wenden" (Schnoor 1988, S.233).

Wie Petri (1996, S.207) bemerkt, spiegeln gemäß der psychoanalytischen Theorie Hoffnung und Hoffnungslosigkeit immer auch die Sozialisationsgeschichte des Individuums wider, für die in der oralen Phase durch die Ausbildung eines "oralen Optimismus" (Klein) bzw. des "Urvertrauens" (Erikson) die Weichen gestellt werden. Während Hoffnungslosigkeit als Ausdruck eines gestörten Gleichgewichts und einer mißlungenen Krisenbewältigung nach Schnoor oft mit negativen psychischen und psychosomatischen Folgen einhergehe, sei individuelle Hoffnung ein wichtiger Bestandteil psychischer Gesundheit. Angesichts der gegenwärtigen Gefahren hinsichtlich der Zukunft des Menschen und des gesamten Planeten sei individuelle Hoffnung ebenso möglich wie individuelle Hoffnungslosigkeit.

Dabei scheint die persönliche Einschätzung nicht nur von rationalen, sondern auch stark von emotionalen Faktoren bestimmt zu sein. Das Mißlingen einer Krisenbewältigung könne sich Mitscherlich gemäß in eine "Physiologie der Hoffnungslosigkeit" steigern und in eine "Einbahnstraße zur Selbstvernichtung" münden: "Es gibt Hinweise, daß eine 'Physiologie der Hoffnungslosigkeit' den Ausbruch der Krebserkrankung und schließlich den Tod herbeiführen kann. Dieser langsame, chronifizierte Prozeß ungelöster Krisenbewältigung kann in Extremfällen auch in sehr kurzer Zeit ablaufen und zum plötzlichen Tod durch Hoffnungslosigkeit führen" (Schnoor 1988, S.233).

 

In einer Arbeit mit dem Titel "Ökologische Krise und Identitätsentwicklung im Jugendalter" wies von Fromberg (1991) darauf hin, daß die Auseinander­setzung mit der ökologischen Krise als Entwicklungsaufgabe (vgl. Havighurst 1972) verstanden werden könne, deren Bewältigung die Identitäts-Entwicklung (Erikson 1966) entscheidend mitprägt. Für Nunner-Winkler ist eine gelungene Bewältigung der ökologischen Krise - wenn überhaupt - nur bedingt möglich:

"Mit der zunehmenden Verschärfung erfahrbarer gesellschaftlicher Widersprüche, die durch individuelles Handeln nicht lösbar sind, gleichwohl aber individuelles Handeln erfordern, wird die individuelle Konsistenzbildung erschwert oder verunmöglicht. Identitätsbildung kann nur ein Prozeß der Teilstabilisierung sein, der begleitet ist von mehr oder weniger erfolgreich bearbeiteten Symptomen einer latenten Dauerkrise" (Nunner-Winkler 1987, S.166).

Von Fromberg sieht in der atomaren Bedrohung und in der globalen Umweltkrise sowohl eine Gefahr als auch eine Herausforderung für die individuelle Hoffnung. Es gelte, den eigenen Erfahrungen immer wieder das "Prinzip Hoffnung" entgegenzusetzen, wenn Hilflosigkeit als situationsgebundene Erfahrung von Unkontrollierbarkeit (Seligman 1979) nicht in Hoffnungslosigkeit als permanente Lebenseinstellung umschlagen soll. Die Konfrontation mit der Globalität der ökologischen Krise stelle das Individuum jedoch vor ein "durch individuelles Handeln nicht lösbares Paradoxon" (von Fromberg 1989, S.50).

 

Mit der gesellschaftlichen Rolle der Hoffnung hat sich auch Fromm in seinem Buch <Die Revolution der Hoffnung> auseinandergesetzt - Untertitel: "Für eine Humanisierung der Technik" (1971). Fromm sah bereits damals eine große Menschheitskrise heraufziehen, setzte seine Hoffnungen aber ähnlich wie Bloch auf eine Humanisierung der Technik. Interessant ist die rundum positive Begriffsbestimmung der Hoffnung, die auf ein Tätigsein hinausläuft: "Hoffen ist ein Zustand des Seins. Es ist eine innere Bereitschaft, die Bereitschaft zu einem intensiven, aber noch unverbrauchten Tätigsein" (S.26). Dabei kann sich die Hoffnung über das eigene Leben hinaus erstrecken: "Hoffen heißt, jeden Augenblick bereit zu sein für das, was noch nicht geboren ist, und trotzdem nicht verzweifeln, wenn es zu unseren Lebzeiten nicht zur Geburt kommt" (S.23).

Schließlich verwendet Fromm zur Illustration des Prinzips Hoffnung die folgende Metapher: "Hoffnung ist eine psychische Begleiterscheinung von Leben und Wachstum. Wenn ein Baum, der keine Sonne bekommt, seinen Stamm der Sonne zudreht, können wir nicht sagen, daß der Baum genauso ‘hofft’, wie das der Mensch tut, da die Hoffnung beim Menschen mit Gefühlen und mit Bewußtsein verbunden ist, die der Baum wohl nicht besitzt. Und doch wäre es nicht falsch zu sagen, daß der Baum auf Sonne hofft und daß er diese Hoffnung dadurch zum Ausdruck bringt, daß er seinen Stamm der Sonne zu-dreht. Ist es denn etwas anderes bei dem Kind, das geboren wird?" (Fromm 1971, S.27).

Wie in Kap. 5.7 bereits ausgeführt, setzt sich Petri (1992) intensiv mit Fragen ökologischer Hoffnung bzw. Hoffnungslosigkeit insbesondere bei Kindern und Jugendlichen auseinander. Seine These von der "vergifteten Kindheit" (vgl. dazu auch die physiologischen Befunde aus Kap. 4.2) bzw. einer "Innenweltzerstörung" beruhen u.a. auf der Einschätzung, daß die neue Qualität der Zukunftsangst heutzutage in dem Verlust der Zukunftshoffnung und damit in dem Verlust existentiell notwendiger Lebenskraft bestehe. Ausgehend von der ökologischen Krise der Gegenwart ergeben sich folgende Überlegungen: "Wenn man die Sozialisationsbedingungen in den westlichen Industrienationen ins Auge faßt, und, wie es die pränatale Psychologie und Medizin zu Recht tun, die Tatsache miteinbezieht, daß die früheste Objektbeziehung als psycho-physische Einheit zwischen Mutter und Kind bereits mit der Befruchtung beginnt, stellt sich die Frage, wie stabil die Hoffnung als lebensnotwendiger Affekt überhaupt noch in den psychischen Strukturen verankert wird" (Petri 1996, S.209).

In diesem Zusammenhang sind Studien von Interesse, nach denen zumindest bei Erwachsenen die Hoffnungen und Erwartungen an die persönliche Zukunft durchaus von einem 'oralen Optimismus' geprägt sind, während im Gegensatz dazu die gesellschaftliche und besonders die ökologische Entwicklung eher unter der Perspektive des 'oralen Pessimismus' gesehen wird. Leider läßt sich aufgrund der vorliegenden Untersuchungen nicht klären, inwieweit die darin ausgedrückte Hoffnung bzw. Hoffnungslosigkeit einem lebendigen Gefühl oder einer mehr rationalen und kognitiven Einstellung entspricht. 

Petri, der davon ausgeht, daß die basalen und persönlichen Sozilisationserfahrungen grundsätzlich bisher noch ausreichen, um die Entwicklung von Hoffnungsgefühlen zu ermöglichen, beklagt das Fehlen klinischer oder epidemiologischer Studien, welche die Hypothese belegen könnten, daß die kollektiven Gefahren bereits ein Ausmaß erreicht haben, das nicht nur die gesellschaftlichen Hoffnungen, sondern auch das persönliche Hoffnungs­potential als Quelle menschlicher Lebenskraft gefährdet: 

detopia-2018: basal: die Basis bildend, fundamental, grundlegend, elementar "das Lesen ist eine basale Kulturtechnik"

"Einige Symptome der Sozialpathologie in der jungen Generation weisen allerdings darauf hin, daß viele Jugendliche heute dem Grenzbereich sehr nahe sind oder ihn bereits überschritten haben, hinter dem der Verlust an gesellschaftlicher Zukunftshoffnung innerlich so verarbeitet wird, daß er auch die Hoffnung auf ein persönliches Glück und den Glauben an sich selbst zerstört hat" (Petri 1996, S.211). 

Vielleicht kann die vorliegende Arbeit in dieser Hinsicht aufgrund des umfangreichen empirischen Materials etwas Aufschluß geben.

Voraussetzung dafür ist aber eine intensive Auseinandersetzung mit der Bestimmung des Begriffs der Hoffnungslosigkeit. Wie wir gesehen haben, hinterläßt Bloch mit seinem "Prinzip Hoffnung" hier ein Vakuum, das auch dann nicht zu füllen ist, wenn man Blochs Interpretation der Hoffnung teilt. Übrig bliebe bestenfalls eine Anti-Definition im Sinne von 'Nicht-Hoffnung' als das Gegenteil von Hoffnung. Wie bereits angedeutet, wird Hoffnungslosigkeit allgemein als ein klinisches Phänomen aufgefaßt. Pokorny (1964) fand in einer prospektiven Studie von über 11.000 Erstaufnahmen eines psychiatrischen Krankenhauses ein rund 30fach höheres Suizidrisiko als bei der Allgemeinbevölkerung.

Aus streßpsychologischer Sicht definieren Engel (1968) und Schmale (1972) Phänomene von Hilf- und Hoffnungslosigkeit als allgemeines Paradigma für die Entstehung von Krankheiten. Engel konzipiert dabei einen zweiphasigen Ablauf: In der Phase des Aufgebens ('giving up') glaubt das Individuum, die Kontrolle über wichtige Verstärker aus der Umwelt verloren zu haben und erlebt Hilflosigkeit. In der sich daran anschließenden Phase des Aufgegebenhabens ('given up') hingegen wrden einige hochbewertete Lebensziele als endgültig unerreichbar verworfen, im Erleben dominiert Hoffnungslosigkeit. In seiner kognitiven Theorie der Depression weist Beck der Hoffnungslosigkeit als negative Sicht der Zukunft eine Schlüsselrolle zu (Beck et al. 1975).

Papa (1980) vermutet, daß eine dysfunktionale Bewältigung von Lebensereignis-streß soziale Isolierung und externale Kontrollüberzeugung entstehen läßt, die beide antezedente Bedingungen für Hoffnungslosigkeit und anschließendes suizidales Verhalten sind. Zusammenfassend stimmen die meisten Untersuchungen in der hohen Korrelation zwischen Hoffnunungslosigkeit und Suizidalität überein (vgl. Kuhnt & Welz 1983).

 

   Wie wird Hoffnungslosigkeit operationalisiert?  

Ausgehend von seiner Definition von Hoffnungslosigkeit als einem generalisierten System negativer Erwartungen der Person über sich selbst und ihr zukünftiges Leben entwickelten Beck et al. (1974) eine <Hopelessness-Scale>, die Krampen (1979) in die deutsche Sprache übertrug, und die sich als Korrelat für den Vergleich mit einer ökologischen Hoffnungslosigkeit anbietet.

Auch wenn ökologisch hoffnungslose Menschen Fragen wie "Ich blicke mit Optimismus und Begeisterung in die Zukunft" (erstes Item der Hoffnungslosigkeits-Skala, vgl. Anhang) möglicherweise über ihr persönliches Leben hinausgehend interpretieren, können Aufschlüsse darüber erwartet werden, inwieweit ökologische Hoffnungslosigkeit einen Einfluß auf individuelle Hoffnungslosigkeit hat.

Wir haben vor einigen Jahren versucht, ökologische Hoffnungslosigkeit mit Hilfe einer Skala zu erfassen (Sohr 1993, Sohr 1994). Das Konstrukt wurde definiert als "das Gefühl der Unabwendbarkeit von globalen Katastrophen angesichts makrosozialer Bedrohungen" (Sohr 1993, S.36) und mit Items wie "Die ökologische Katastrophe ist ein Prozeß, der schon begonnen hat und nicht mehr aufzuhalten ist" oder "Die Umweltzerstörung wird uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten überrollen" operationalisiert (vgl. Sohr 1994, S.206).

Regressionsanalytisch zeigten sich negative Zusammenhänge zwischen Hoffnungs-losigkeit und seelischer Gesundheit und positive Zusammenhänge zwischen Hoffnungs-losigkeit und aktiven Strategien der Verarbeitung sowie varianzanalytisch bestätigte, signifikante Gechlechtsunterschiede im Sinne einer höheren Hoffnungslosigkeit bei Mädchen bzw. Frauen. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Vertiefung der bisherigen Befunde durch eine Kombination mit qualitativen Vorgehensweisen. Mit zahlreichen Fragen zum komplexen Konstrukt der Hoffnung bzw. Hoffnungslosigkeit sollen mit Hilfe von Interviews Ausprägungen und Ausdrucksformen dieser grundlegenden Lebenssicht erforscht werden (z.B. mit der "Weltuhr-Frage", vgl. Kap. 10).

Nach früheren Befunden (Sohr 1994) ist durchaus mit ökologischer Hoffnungslosigkeit zu rechnen. Gesellschaftlich ist diese Haltung möglicherweise weiter verbreitet, als dies in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Man könnte sogar den Eindruck haben, sie sei nicht erwünscht. 

Noch sind jedenfalls Autoren eine Ausnahme, die wie Fuller (1994) unter dem Titel "Das Ende" von der "heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht der ökologischen Katastrophe" spechen (vgl. Kap. 1). Der Autor schämt sich nicht, ökologische Hoffnungslosigkeit zu verbreiten. Fuller fragt nach der psychischen Gestimmtheit angesichts des kollektiven Untergangs und empfiehlt einen "Totentanz ohne Trauer" nach dem "Prinzip der Akzeptanz" (S.115ff.), die subjektiv "als erträgliche Leichtigkeit des Seins" erfahren werden könne: "Wer selbstgewählte Heiterkeit an den Tag legt, braucht nachts nicht zu weinen" (S.107), es gilt Gelassenheit: "Im Angesicht der ökologischen Katastrophe können wir tun, was wir wollen. Keine Tat ändert irgend etwas. Es handelt sich nur noch um moralische Entscheidungen" (Fuller 1994, S.115).

Kritisch in einem moralischen Sinne setzen sich dagegen Sölle und Steffensky mit dem "Luxus der Hoffnungslosigkeit" (1995) auseinander. Der Ausdruck geht auf die lateinamerikanische Schriftstellerin Gioconda Belli zurück, die darauf hinweist, daß sich bestimmte Menschen Hoffnungs­losigkeit nicht leisten können.

Sölle und Steffensky vertreten die Auffassung, daß die Haltung der Hoffnungslosigkeit oft dem Zynismus einer müden Resignation entspreche, nach dem nichts mehr zu ändern sei. Hoffnungslosigkeit als ein Begriff der Postmoderne sei der Luxus der Menschen, die alles haben und nicht den Druck erleben, etwas an ihrem Leben für die Gesellschaft, in der sie leben, verändern zu müssen.

Sölle diagnostiziert insbesondere bei der heutigen Friedens- und Umweltbewegung einen rapiden Rückgang ihrer Aktivitäten - trotz einer weitverbreiteten apokalyptischen Stimmung. Die Bewegung, die heute kaum noch existiere, verhalte sich "so klein mit Hut":

"Es ist merkwürdig, daß die Hoffnungslosigkeit uns heute in fideler, in einer 'funny' Gestalt begegnet. Hoffnungslosigkeit ist ja keineswegs unbedingt depressiv, sondern sie kommt durchaus auch ganz munter daher. Sie wird aber als selbstverständlich vorausgesetzt" (S.36).

Ähnliche Beobachtungen des Zeitgeistes verzeichnet auch Steffensky. Es herrsche eine "ritualisierte Hoffnungslosigkeit, die vom sicheren Land aus zusieht und davon berichtet, wie die Schiffe verbrennen. Existentiell verhält man sich dabei jedoch nicht hoffnungslos. Man ißt, man trinkt, man liebt, man lacht. In der Rede verhält man sich allerdings widerspruchsfrei apokalyptisch" (S.47).

Die Autoren plädieren für eine tatkräftige Hoffnung, die an der Verwirklichung von Visionen arbeite. In einem ähnlichen Sinne bemüht sich auch Schaffer (1990) um eine zeitgemäße Interpretation der Hoffnung, die an der Hoffnung als "Prinzip" festhält, als eine Entscheidung, "ganz gleich wie die Situation der Welt ist" (Schaffer 1989, S.10).

Der Hoffende gebe den Glauben an die Möglichkeiten der Veränderung nicht auf, auch wenn das heutzutage nicht leicht sei: "In einer Welt, in der es viel Grund zur Hoffnungslosigkeit gibt, grenzt es an Verwegenheit, sich auf die Möglichkeiten zu konzentrieren und nicht auf die Unmöglichkeiten" (Schaffer 1990, S.6).

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Ökologisches Gewissen # Die Zukunft der Erde aus der Perspektive von Kindern, Jugendlichen und anderen Experten #  2000 von Sven Sohr