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3.3 - Wider das Pessimismus-Tabu

 

 

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Mein Fazit ist also pessimistisch. Und für maßgebliche Stimmen in der Zukunftsdebatte dürfte es allein deshalb schon falsch sein, weil es pessimistisch ist. So wie nach Adornos Beobachtung die Begriffe »positiv« und »negativ« sich von ihrer Wortbedeutung (bejahend und verneinend) entfernt haben und zu Wertbegriffen geworden sind(49) - weil Bejahung gut und Verneinung schlecht, wenn nicht gar böse ist -, so haftet den Begriffen Optimismus und Pessimismus ein erkenntnistheoretisches und ein moralisches Vorurteil an.

Moralisch gesehen, erscheint Optimismus als eine Tugend, weil er motivierend wirkt, bessere Stimmung verbreitet, aus der Lethargie reißt. Selbst fadenscheiniger Zweck-Optimismus kann angebracht sein, weil er unter Umständen das Blatt noch gegen alle Erwartungen wendet. Pessimismus dagegen steht in der Gefahr, das Befürchtete selbst als Self-fulfilling Profecy herbeizuführen. Denn er führt in die Lethargie und verhindert so den Widerstand gegen das, was er kommen sieht. Erlaubt sind pessimistische Diagnosen deshalb allenfalls als »Self-destroying Profecies«, die als »Bußpredigt« durch »Abschreckung« dafür sorgen, dass die Befürchtung abgewendet wird.50 Das wäre aber ein Pessimismus, der es eigentlich nicht so ernst meint.

Erkenntnistheoretisch werden Optimismus und Pessimismus meist als flankierende Extreme um den Realismus herum betrachtet. Das hängt mit der moralischen Aufladung der Begriffe zusammen: Wenn Optimismus ein Mittel zum Zweck und Pessimismus eine Art Krankheit zum Tode ist, dann können beide keine der Wirklichkeit entsprechende Haltungen sein. Die Wahrheit liegt immer in der Mitte, meint dieses unausgesprochen weit verbreitete Vorurteil, mit dem wir meist öffentliche Diskurse wahrnehmen.(51)

Der Diskurs des 20. Jahrhunderts um die mögliche säkulare Apokalypse hat sich offensichtlich genau nach dieser Bevorzugung der Mitte entwickelt: Auf den technokratischen Fortschritts-Optimismus des 19. Jahr­hunderts antworteten die Albtraum-Szenarien der Anti-Utopien, der Untergangs-Fantasien. Im späten 20. Jahrhundert dominierten aber schließlich die postmateriellen, ökologisch gemäßigten Visionen einer möglichen veränderten nachhaltigen Gesellschaft.52

Offensichtlich gibt es eine tief sitzende Tendenz, sich die Wahrheitsfindung nach dem Muster der Pendelbewegung vorzustellen, die am Ende in der Mitte zur Ruhe kommt. Wir schätzen deshalb meist, dass es schlimmer steht, als die Schönredner uns weismachen wollen, dass es aber auch nicht so schlimm kommen wird, wie die Kassandra-Rufe es laut werden lassen.

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Wer deshalb in der öffentlichen Diskussion ein Optimist genannt wird, dem darf man zwar sachlich nicht ganz trauen - »man muss Abstriche machen« -, aber er hat wenigstens die gesellschaftliche Moral auf seiner Seite. Pessimist dagegen nennt man einen Kontrahenten in der Diskussion, um ihn sowohl moralisch als auch sachlich zu disqualifizieren: »Er bringt uns nicht weiter, deshalb müssen wir nicht auf ihn hören. Ja, wir dürfen es nicht!«

Zu bekennen, eine Gefahr zu sehen, aber keine Lösung zu wissen, heißt, den Diskurs zu unterbrechen. Wer das ernsthaft tut, steht außerhalb. Wer zugibt, keine Hoffnung mehr zu haben, macht sich allein dadurch unglaub­würdig. Er entlarvt sich als Verzweifelter, als depressiv. Der Unheilsprophet ist krank.

Alfons Auers »Umweltethik« verfährt ausdrücklich nach der geläufigen Einteilung: Da werden »optimistische«, »pessimistische« und »realistische« Prognosen sortiert.53 Aber ausgerechnet im Abschnitt über den Realismus tauchen dann gehäuft nicht Aussagesätze, sondern Imperative auf: Statt zu beschreiben, was Sache ist, postuliert Auer, wie man die Lage sehen »muss«, wessen es »bedarf« und was man »sollte«.54

Der Realismus des Umweltethikers besteht also nicht in dem wahrscheinlichsten Szenario, sondern in einem in der Mitte zwischen Naivität und Verzweiflung angesiedelten Lagebericht, der gerade genug Sorge bereitet, um uns zum Handeln zu treiben, aber auch nicht so viel Angst macht, dass wir die Hoffnung verlören. Das Erträgliche und das Zuträgliche bestimmen hier, wo man sich in der Debatte positioniert.

Was Auer vermeiden will, nennt er die Skylla des »Zweckoptimismus« und die Charybdis des »Fatalismus«. Der Hang des Aristotelikers und Thomisten zur gesunden Mitte führt jedoch in der Ökologiedebatte gerade­wegs in die Banalität. Das dokumentiert sich in Formulierungen wie: Die »Beobachtungen stimmen nicht optimistisch. Man kann nur hoffen.«55 Offenbar kann man nicht hoffen, sondern muss es!

Denn die empirischen Beobachtungen zeigen einen ganz anderen Zusammenhang zwischen Realismus, Optimismus und Pessimismus. Die Computersimulationen von Meadows' Forscherteam haben im Modell »World 3« zur Absicherung ihrer Prognosen ganz bewusst ein Szenario berechnet, dass die Forscher selbst »geradezu fahrlässig optimistisch« nennen.

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Es berechnet die globale Entwicklung ohne alle Störfaktoren wie Kriege, Naturkatastrophen und industrielle Großunfälle. Trotzdem mündet auch diese Berechnung bei beibehaltenem Wirtschaftssystem in den Zusammen­bruch.56 Hier dient also ein methodischer Optimismus dazu, nachzuweisen, wie realistisch der Pessimismus ist.

Zugleich ist Meadows' zweiter Bericht ein Paradebeispiel dafür, wie schwer eine pessimistische Diagnose sich im Diskurs tut. Schreckte der erste Bericht, 1972 für den Club of Rome verfasst, die westliche Welt aus ihrem schon geschwächten Fortschrittsoptimismus auf, so wirkte die Fortschreibung zwanzig Jahre danach nur noch wie das matte Remake eines einst erfolgreichen Kinofilms.

1972 standen die »Grenzen des Wachstums« eben im Trend eines selbstkritischen Zeitgeistes. 1992 erregten sie nur noch den Überdruss dessen, was man schon zu oft gehört hat und eigentlich gar nicht hören will. Mehrfach war zu vernehmen, es hätten sich doch die Prognosen von damals auch nicht erfüllt. Tatsächlich wurden die Daten 2004 ein weiteres Mal überarbeitet und die Prognose eines globalen Zusammenbruchs vor 2100 bestätigte sich erneut. Dabei ist Maedows seit 1992 sichtlich bemüht, aus der Pessimisten-Ecke herauszukommen, um nicht allein deshalb überhört zu werden, weil man den Propheten vom MIT ja schon kennt.

Verpackt in eine mitunter »typisch US-amerikanisch« wirkende Textpragmatik des »Wir können es schaffen!« zieht er am Ende sein Fazit, nach dem wir längst »die Grenzen des langfristig Zuträglichen überschritten haben«.57 Es ist, als reagiere das Publikum auf die Zeitansage »Fünf vor Zwölf« noch aufgeschreckt, um sich bei Fünf nach Zwölf« damit zu beruhigen, dass um Zwölf ja gar nichts passiert sei.

Wenn Ruhe die erste Bürgerpflicht ist, so Hoffnung wohl die letzte: "Wir heißen euch hoffen", dichtete Goethe. Hoffnung den Boden zu entziehen ist a-sozial. In einer von Angst gebannten Gesellschaft wird das Beharren auf schlichter Logik zu einem anarchischen Akt. Die Logik sagt, dass Wahrheit niemals in einem ausrechenbaren Verhältnis zu Wünschen oder Erwartungen steht. Sie kann sich deshalb nicht automatisch in der Mitte befinden. Ein Patient, dem ein Arzt Heilung, der andere aber den baldigen Tod ansagt, ist deshalb nicht automatisch mittelschwer erkrankt. Der Protest gegen das unterschwellige Pessimismus-Verdikt hält es deshalb mit dem Satz von Ingeborg Bachmann: »Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.«

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Eine pessimistische Sicht der Lage ist eine Deutungsoption und keine Charakterfrage. Es müssen keineswegs düster gestimmte Melancholiker sein, die eine Analyse bis zum Punkt der Ausweglosigkeit zu Ende führen. Genauso kann man beobachten, dass labile Menschen eine harte Auskunft nicht wirklich hören wollen und heitere Gemüter eher den Tod integrieren.

»Zwei Professoren für jüdische Philosophie ..., Jacob Taubes und Joshua Heschel, machten zusammen einen Spaziergang, und Taubes äußerte Heschel gegenüber seine Zukunftsängste. Heschel versuchte zu trösten: >Denken Sie doch an die vielen Prophezeiungen der Vergangenheit, wie ungezählte Male der Untergang der Welt vorhergesagt wurde.< Beide schwiegen eine Weile. Schließlich meinte Taubes bedrückt: >Und wissen Sie, jedes Mal, wenn die Vernichtung angekündigt wurde, traf sie auch ein.<«58

Ich glaube nicht, dass der Unterschied zwischen den beiden berühmten Männern eine Gemütsfrage ist, sondern eine der Hermeneutik: Heschel, der Talmudist, beruhigt sich darüber, dass die Warnungen der Unheilspropheten fast nie wortwörtlich eintreffen, sondern stets neu interpretiert und fortgeschrieben werden. Taubes, Geschichtsphilosoph und Apokalyptik-Kenner, liest aus den gleichen Texten ein Katastrophenbewusstsein heraus, das die Entwicklungen der jeweiligen Zeit durchaus realistisch einschätzte.

So beruhigen sich heute viele, weil trotz Rachel Carsons »Silent Spring« von 1962 die Vögel immer noch zwitschern.59 Andere dagegen sagen: »Die Tendenz der Menschheitsentwicklung ist absolut unleugbar. Man muss nur den Mut und die Ehrlichkeit aufbringen und die von Günther Anders beklagte >Apokalypseblindheit< abstreifen, um sehend zu werden.«60

Nochmals überhöht wird das Pessimismus-Verdikt, wenn man die Zukunftsdiskussion theologisch führt. Denn für den Glauben ist Hoffnung ein Gebot und laut Paulus das, was mit Glaube und Liebe allein Bestand hat (1. Korintherbrief 13,13). Aus dem erkenntnistheoretischen Vorurteil wird deshalb die Gleichsetzung von Hoffnungslosigkeit mit Unglauben. Vielleicht ist sie gar einem bösen »Glauben an die Herrschaft des Teufels in der Welt« geschuldet, den Christen doch überwinden sollen durch »Glaube an Fortschritt« als »Glaube an das positive Werk Gottes in der Geschichte«.61

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Aus der moralischen Wertung des Pessimismus wird der Vorwurf, Hoffnungslosigkeit sei Lieblosigkeit, heißt es doch: »Die Liebe glaubt alles, hofft alles« (1. Korintherbrief 13,7). Theologen und Kirchenvertreter lassen sich deshalb in der Zukunftsdebatte ungern in der Pessimisten-Ecke erwischen. Die katholische Kirche wollte dieser Ecke mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil entfliehen, weshalb sich der Konzilspapst »Johannes XXIII. ausdrücklich gegen die <Propheten des Unheils> gewehrt«(62) hat. Kirchliche Urteile zur Zeit sind stets ernst, aber »abgewogen«. Ihre Aussagen wirken mahnend, aber immer aufbauend.

Unaufgeklärt bleibt dabei das Verhältnis des empirischen Befunds zu Glaubensaussagen. Unterschwellig wird Gott zu einem Zusatzgewicht in der optimistischen Waagschale, so als könnten Schöpfungsglaube, Vorsehungs­lehre und Erlösungshoffnung als Ziffern in die Wahrscheinlichkeits­rechnung über unser Schicksal eingesetzt werden oder gar ein negatives Saldo unter dem Strich nachträglich noch ausgleichen. Darauf angesprochen, wissen es Theologen natürlich anders:

»Die Verheißung einer erfüllten Welt schließt die Möglichkeit einer katastrophalen Beendigung der menschlichen Geschichte und eines totalen Zusammenbruchs der ökologischen Systeme nicht aus. Man nimmt die massive Herausforderung durch die bereits angerichtete ökologische Verwüstung nicht ernst genug, >wenn die Überlebenskrise als das mögliche Ende der Geschichte ausgespart bleibt<«.63

Wirklich bedacht wird ein solcher grenz-wertiger Satz in der theologischen Reflexion jedoch kaum - einige Außenseiter der Zunft ausgenommen.

Der theologische Ethiker Auer, der sich seinen eben zitierten Satz selbst vorhielt, möchte schließlich doch aus dem Schöpfungsglauben heraus »vertrauen, dass der Mensch die in der Schöpfung angelegten Möglichkeiten nach und nach entdecken und verwirklichen kann«. Das sei zwar keine Garantie, aber der christliche Glaube stärke »auch Gelassenheit und Engagement. Und dies tut uns Not. ... Wir werden mit Sicherheit nicht aus der Geschichte entlassen.«

Mit welcher Sicherheit eigentlich? Offenbar mit der des Satzes, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. So schreibt Auer gegen den bösen Satz »Die Natur zerstört sich selbst im Menschen«: »Dies ist gewiss nicht gemeint, weil es nicht gemeint sein kann.«(64) Solche Formulierungen wirken ein wenig wie der klassische Passivus divinus: Gott kommt indirekt, ungenannt in der Formulierung vor als derjenige, welcher einem empirischen Pessimismus die Grenze setzt.

Das theologische Pessimismus-Verdikt bleibt eine wirklich theologische Begründung schuldig. Ob der biblische Glaube sich in ein Welt-und Geschichtsbild übersetzen lässt, welches wie eine Art metaphysischer Lebens­versicherung wirkt, scheint zumindest fraglich. Die apokalyptischen Texte weisen in eine andere Richtung, auch wenn man sie nicht fundamentalistisch als Fahrplan der Weltgeschichte missversteht. Die Bibel verweigert sich in ihnen der Operationalisierung des Glaubens als Stabilisators unseres In-der-Welt-Seins. Er taugt ihr nicht als Kitt für die Brüche, die unser Denken in evolutionären Kontinuitäten bedrohen.

»Christliche Hoffnung ist kein Optimismus, und christlicher Realismus ist kein Pessimismus.«(65) Heute tut die Befreiung von verordneter und deshalb verlogener Hoffnung Not. Es gibt ein Maß an Bann in der Beharrung, gegen den nun doch ein realistischer Pessimismus befreiend wirken kann. Er nimmt »den krampfhaften Anspruch, die >Zukunft retten zu müssen<«.66

Im Zug der Lemminge mag Perspektivlosigkeit die letzte Rettung vor der Klippe sein.

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KAPITEL 3    Das Anthropozän: Die Moderne als permanente Endzeit