6. Täglich neue Umweltgifte
1 Auch Asbest verseucht unsere Umwelt — 2 Neues von der DDT-Front —
3 DDT: Sex und Krebs — 4 Biologische Kontrollen — 5 Sag mir, wo die Adler sind
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Die grauen flauschigen Asbestfasern sehen wirklich unschuldig aus, wenn man sie so zwischen den Fingern zerkrümelt. Asbest ist jenes unscheinbare Material, aus dem man Theatervorhänge oder Untersetzer für das heiße Bügeleisen herstellt. Heizungsrohre werden damit isoliert, es wird zur Lärmdämmung in Wände eingebaut, Bier und Fruchtsäfte filtriert man durch Asbestfilter, man stellt Förderbänder und Sicherheitskleidung daraus her.
Das ist nur eine sehr unvollständige Aufzählung. In elektrischen Geräten findet es Verwendung; daneben wird es als Füllmaterial zusammen mit Zement zu Dachplatten und Bodenfliesen verarbeitet. Dieser Industriezweig ist immerhin der zweitgrößte Abnehmer von Asbest. Nicht vergessen darf man schließlich Asbest zur Herstellung von Bremsbelägen für unsere Autos. Jeder Zug, jedes Auto, Flugzeuge, Schiffe, Raketen und Zugmaschinen haben irgendwelche Teile, die aus Asbest bestehen. Der Weltverbrauch stieg von 30.000 Tonnen im Jahre 1910 auf 4 Millionen und steigt noch weiter. Allein die Vereinigten Staaten von Amerika importieren fast 1 Million Tonnen Asbest.
Trotzdem erwies sich Asbest als eine tödliche Waffe gegen den Menschen. Die Hintergründe der ganzen Geschichte sind es wert, genauer geschildert zu werden. Hier zeigt sich ganz besonders klar, wie erstaunlich träge wir sind, irgend etwas zu unternehmen, bevor ein Unglück passiert ist.
Bereits seit 1789 wurde Asbest in der Nähe von Quebec im großen Ausmaß abgebaut. Im Jahre 1890 richtete man in der Nähe von Calvados in der Normandie eine Asbestweberei ein. Fünfzig Angestellte starben bereits in den ersten fünf Jahren ihrer Tätigkeit. Bevor diese Tatsache bekannt wurde, hatte Dr. Montague Murray, ein Arzt am Charing-Cross-Krankenhaus in London, bereits den Zusammenhang zwischen Asbest und Lungenkrankheiten erkannt. Anlaß war der Tod eines dreiunddreißigjährigen Mannes, der in einer Fabrik arbeitete, die Asbestkleider herstellte. Der Mann hatte mit neun anderen Kollegen an einer Walkmaschine gearbeitet; alle neun waren bereits gestorben.
Weder Murray noch der französische Aufseher Auribault, die beide von den Ereignissen berichteten, waren sich der Tragweite ihrer Entdeckung bewußt. Erst 1924 wurde zwischen Asbestose und der relativ harmlosen Staublunge unterschieden. Dr. Cooke fand bei der Obduktion einer 33 Jahre alten Frau, die seit ihrem 13. Lebensjahr 13 Jahre lang in der Asbestindustrie gearbeitet hatte, Schädigungen in der Lunge.
Nun begann man diese Krankheit intensiver zu untersuchen. Zu den Pionieren auf diesem Gebiet gehörte Dr. Mereweather, ein Medizinalrat des Innenministeriums. Er diagnostizierte bei mehr als 25% der 363 Männer und Frauen, die er untersuchte, Symptome dieser Krankheit. Er stellte weiter einen Zusammenhang zwischen der Dauer ihres Kontakts mit Asbest und der Heftigkeit der Symptome fest. 1931 wurde Asbestose vom Parlament als eine Berufskrankheit anerkannt, was die Unternehmer zu einer Entschädigung zwang. Doch leider ist die Geschichte noch nicht zu Ende.
Als man Infektionskrankheiten mit bestimmten Medikamenten erfolgreich behandeln konnte, erhöhte sich die Lebenserwartung der an Asbestose Erkrankten; dafür trat bei ihnen nun gehäuft Krebs auf. Obwohl man das bereits 1935 durchschaut hatte, veröffentlichte Dr. Mereweather erst 1949 — er war inzwischen Leiter des Gewerbeaufsichtsamtes — die Unterlagen der Jahre 1924 bis 1946 in einem Übersichtsartikel.
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Aus diesen Unterlagen konnte man entnehmen, daß 13 Prozent aller Asbestarbeiter an Lungenkrebs starben, während diese Todesursache bei der übrigen Bevölkerung im Durchschnitt nur 1 Prozent ausmacht. Die Zigarettenindustrie wird nicht müde, darauf hinzuweisen, daß aus einem solchen statistischen Zusammenhang keine Verknüpfung von Ursache und Wirkung abgeleitet werden kann. Mereweather, der die ganze Sache mehr als behutsam anging, verzichtete darauf, einen solchen Zusammenhang anzunehmen. Erst 1955 veröffentlichte der führende englische Statistiker Dr. Richard Doll eine Untersuchung, in der er an Hand von 133 Autopsien zweifelsfrei nachweisen konnte, daß Asbest Krebs verursacht. Er zeigte, daß bei Leuten, die mehr als 20 Jahre in einer Asbestfabrik gearbeitet hatten, die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs zu erkranken, elfmal so groß ist wie bei der übrigen Bevölkerung.
Das war vor 15 Jahren, und das Problem ist immer noch nicht gelöst.
In Südafrika konnte der Pathologe J. Christopher Wagner nicht weniger als sechzehn Fälle von außerordentlich seltenen Tumoren diagnostizieren, die ein Arzt normalerweise höchstens einmal in seinem ganzen Leben zu Gesicht bekommt. Diese Form von Krebs wird als Mesotheliom bezeichnet; es befällt die Pleura, eine Membran, die die Lunge umhüllt, oder das Bauchfell, das den ganzen Bauchraum auskleidet. Keines der Opfer hat jemals in der Asbestindustrie gearbeitet; bei einem aber konnte man die charakteristischen Asbestpartikeln in der Lunge feststellen. Weitere Nachprüfungen ergaben, daß zehn der Opfer aus einem Gebiet stammten, wo Asbest abgebaut wird. Außerdem hatte Wagner den Sohn des Leiters der Asbestgrube als Patienten. Er war ebenfalls an einem Mesotheliom erkrankt. Als Kind hatte er auf den Schutthalden der Asbestmine gespielt.
Nun suchte man systematisch nach weiteren derartigen Erkrankungen; man fand die stattliche Zahl von neunundachtzig Fällen, und alle kamen aus der staubigen Gegend der Asbestgruben. Eine Frau hatte diese Gegend bereits mit fünf Jahren verlassen; sie konnte sich noch daran erinnern, als Kind mit Vorliebe mit ihren Freundinnen von den Halden heruntergerutscht zu sein. Zwei von ihnen waren bereits an Mesotheliom gestorben. Ein anderer Patient hatte nur im Säuglingsalter hier gelebt, er starb ebenfalls an dieser grauenhaften Krankheit.
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1 Auch Asbest verseucht unsere Umwelt
Die beschriebenen Fälle ließen das ganze Problem in einem völlig neuen Licht erscheinen. Aus einem Berufsrisiko wurde eine Gefahr für die ganze Bevölkerung. Asbest mußte nun als Umweltgift angesehen werden. Man hatte herausgefunden, daß zur Auslösung von Krebs weit kleinere Dosen nötig sind als zur Auslösung der Asbestose.
Schon längere Zeit war bekannt, daß sich Asbestfasern in der Lunge mit einer gelbbraunen Verbindung überziehen. In der Lunge eines Asbestarbeiters kann man zahlreiche dieser Asbestkörperchen finden. Kurze Zeit später verblüffte ein anderer südafrikanischer Pathologe, Professor Thompson, medizinische Fachkreise, als er die sogenannten Asbestkörperchen auch in den Lungen von Leuten nachwies, die mit Asbest nicht unmittelbar in Berührung gekommen waren. Nicht weniger als 26 Prozent der Gewebeproben, die er bei 500 willkürlich ausgewählten Fällen in Kapstadt entnahm, zeigten diese Asbesteinschlüsse.
Asbest gehört bereits zur Umwelt eines jeden Menschen, und Thompson weist vor allem darauf hin, daß jeder davon betroffen sein kann. Man muß sich klarmachen, daß während der Lebensdauer eines Autos wenigstens viermal die Bremsbeläge und einmal die Kupplungsbeläge erneuert werden. Hinzu kommt, daß für Asbest immer neue Anwendungsbereiche erschlossen werden. Asbestpartikeln, die man einmal inhaliert hat, lösen sich weder auf, noch können sie irgendwie zersetzt werden. Thompson prophezeit, daß Asbest eines Tages den Zigaretten den traurigen Ruhm, Hauptverursacher von Lungenkrebs zu sein, streitig machen wird.
Nach diesen Schilderungen möchte man annehmen, daß zumindest einige Regierungen sich genötigt sahen, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Auch hielte man es für selbstverständlich, daß die Asbesthersteller, die bis heute ganz offensichtlich nichts zur Klärung dieser Problematik beigetragen haben, sich nun endlich ihrer Verantwortung bewußt werden und entsprechende Forschungsvorhaben unterstützen.
Nichts dergleichen.
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In Europa und in den USA wurde eine Serie von Studien und Untersuchungen eingeleitet, die alle nur die bereits getroffenen Feststellungen bestätigten und wiederum durch andere Studien nochmals erhärtet wurden. Frauen, die die Arbeitskleidung ihrer in den Asbestminen arbeitenden Männer gewaschen hatten, Frauen, die ihre Männer nach der Arbeit abgeschrubbt hatten ... ein Hausbesitzer, der den Asbestzement zur Isolierung des Warmwasserboilers selbst angerührt hatte ... ein Junge, der seinem Vater beim Absägen einer Wandtafel aus Asbestzement geholfen hatte ... ein Käsehersteller, bei dem die 2000-Liter-Bottiche mit Asbestdeckeln abgedeckt waren ... sie alle starben an Tumoren des Mesothels — ein Tumor, der einstmals eine Seltenheit war.
Asbest ist eine tödliche Substanz, ein Nebenprodukt dessen, was man wissenschaftlichen Fortschritt nennt. Ein Pulver — so gefährlich, daß ein Teelöffel davon Sie töten kann. Handelt die Regierung nun endlich? Nein.
Einer, der die ganze Tragödie unmittelbar miterlebte, war Dr. Selikoff vom Mount-Sinai-Krankenhaus in New York. Er war anfangs von der Sache durchaus nicht überzeugt, bis eines Tages 17 Arbeiter, die alle von 1940 bis 1954 in einer Asbestfabrik gearbeitet hatten, mit Lungenbeschwerden zu ihm kamen. Elf von ihnen sind heute bereits tot; sie starben an Asbestose oder an Krebs; einige, die noch leben, zeigen erste Anzeichen von Krebs oder entzündliche Reaktionen des mesenchymalen Gewebes.
»Ich wurde mit der grauenhaften Erkenntnis konfrontiert, was mit einem Menschen passieren kann, der beruflich mit Asbest zu tun hat«, sagte Selikoff. Er bat andere asbestverarbeitende Fabriken um entsprechende Zahlen; sie lehnten jedoch jede Zusammenarbeit ab. Zusammen mit einem anderen Arzt stellte er einen entsprechenden Antrag auf Unterstützung seiner Forschungsarbeit an das amerikanische Gesundheitsministerium. Der Antrag wurde abgelehnt. So wandte er sich zusammen mit Dr. Cuyler Hammond, einem Statistiker von internationaler Reputation, der die Zusammenhänge zwisdien Rauchen und Lungenkrebs sowie die Folgen der Atombombenexplosion von Hiroshima und Nagasaki untersucht hatte, an die Gewerkschaft der Asbestarbeiter.
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Die von den Gewerkschaften zur Verfügung gestellten Zahlen zeigten kar, daß von 632 Männern, die seit 1942 der Gewerkschaft angehörten, 45 an Tumoren der Lunge, der Pleura oder des Rachens gestorben waren, während man nach der statistischen Wahrscheinlichkeit nur sechs bis sieben erwarten konnte. Neunundzwanzig starben an Krebs der inneren Organe — das Dreifache des nationalen Durchschnitts. Spätere vom <Health Research Council> geförderte Untersuchungen zeigten, daß starke Raucher zweiundneunzigmal häufiger Lungenkrebs bekommen als Männer, die weder rauchen noch mit Asbest in Kontakt kommen. Diese Zahl mag nicht hundertprozentig repräsentativ sein, aber eine Untersuchung mit einem größeren Sample könnte dieses Verhältnis nicht wesentlich verschieben.
1968 teilte Dr. Selikoff dem Repräsentantenhaus mit, daß allein bei den Mitgliedern dieser einen Gewerkschaft mit 6000 Opfern von Lungenkrebs und weiteren 15.000 Toten anderer Krebserkrankungen zu rechnen ist, wenn nicht schnellstens Abhilfe geschaffen wird. Die Gewerkschaft vertritt etwa 18.000 Arbeiter, während etwa noch einmal soviel nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Bei dieser Arbeitnehmerzahl dürfte es nicht ohne weiteres möglich sein, die ganze Sache einfach unter den Teppich zu kehren. Das Problem wurde immerhin offiziell zur Kenntnis genommen.
Man überprüft bereits den Einsatz von Asbest. Ist es wirklich nötig, Bier und Säfte mit Asbestfilter zu klären? Von Chirurgen wurde Asbestpuder verwendet, da sie glaubten, daß dadurch die Wunden schneller heilen würden. Asbest verwendet man, um künstlichen Schnee rieseln zu lassen; doch ist es gerade Asbest in Pulverform, das am leichtesten eingeatmet werden kann. Pulverförmiger Asbest mit Wasser vermengt, wurde in manchen Schulen den Kindern als Knetgummi gegeben.
Es gibt hier eine riesige Liste von herzergreifenden Geschichten und Einzelschicksalen. Von wissenschaftlicher Seite wurde auf diesem Gebiet inzwischen viel getan. Eines Tages schreibt vielleicht jemand diese Asbeststory, und ich bin sicher, daß es ein Bestseller wird.
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Ich wollte am Beispiel von Asbest nur zeigen, daß wir selbst bei akuter Gefahr nie zur rechten Zeit eingreifen. Wir vertrauen immer beschwichtigenden Worten. Bereits 1906 berichtete Dr. Murray dem Komitee zur Verhütung von Berufskrankheiten über die Folgen von Asbest. Hat dieses Komitee die Initiative ergriffen? Es hatte dazu nichts weiter zu sagen, als daß man überall eine gewisse Unruhe verspüre. Man forderte Maßnahmen gegen die zunehmende Luftverschmutzung. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Verschmutzung der Luft und gewissen Krankheiten sei jedoch nicht eindeutig nachweisbar. Im Jahre 1930 wurde das Parlament vom Innenministerium noch mit Sprüchen wie, »im Laufe von etwa einem Jahrzehnt sollte man durch energische, vorbeugende Maßnahmen eine Abnahme der Erkrankungen, verursacht durch Umweltvergiftung, erreichen«, beruhigt. Dr. Selikoff bemerkte dazu auf einem Symposium über »Unvorhersehbare Umweltrisiken« nicht ohne Bitterkeit: »Ich weiß nicht, ob es wirklich den Gegebenheiten entspricht, wenn man im Zusammenhang mit dem Asbestproblem von unvorhersehbaren Risiken spricht.« Wenn man sich der Vorfälle erinnert, dann muß man ehrlicherweise sagen, daß wir etliche Hinweise und Vorwarnungen hatten.
Die folgenden Seiten zeigen weitere Fälle »unvorhersehbarer Umweltrisiken«. Über jeden einzelnen Fall wurden und werden Worte der Beschwichtigung ausgestreut. Vergessen Sie niemals, daß solche offiziellen Erklärungen nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen müssen!
Auf eines aber können Sie hohe Wetten eingehen: Von nun an werden die Schlagzeilen der Asbeststory zunehmen. 5 Prozent aller Arbeiter in den USA sind in Werften oder in anderen eisenverarbeitenden Industrien des Stahlbaus beschäftigt: 99 Prozent der Bevölkerung fahren Auto oder halten sich an Orten auf, wo Autos verkehren. Wer weiß, wie die Krebsfälle, durch Asbeststaub verursacht, noch ansteigen werden? Wer wird der erste sein, der die längst fälligen, einschneidenden Maßnahmen auf diesem Gebiet einleitet?
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2 Neues von der DDT-Front
Man schrieb das Jahr 1963, als Rachel Carsons Buch <Der stumme Frühling> die Welt aufschreckte. Die neuen Schädlingsbekämpfungsmittel werden hier vor Gericht geführt, allen voran DDT. Die Anklage lautet: Tod zahlreicher Vögel und anderer Lebewesen.
Damals warf man Rachel Carson vor, sie blase die ganze Sache unnötig auf. Ihre Thesen wurden als unwissenschaftlich abgetan. Inzwischen — sieben Jahre später — herrscht eitel Eintracht; die damals beschworenen Gefahren sind wirkliche Gefahren, und verschiedene Regierungen, darunter die der USA und Englands, haben konkrete Schritte unternommen, um den Verbrauch an Schädlingsbekämpfungsmitteln aus der Klasse der Organochlorverbindungen, zu denen auch DDT gehört, zu begrenzen. Durch das absolute Verbot von DDT in Schweden für ein Jahr sollte geprüft werden, wieviel von diesen Insektiziden durch den Wind ins Land getragen werden und welcher Anteil den im Lande verbrauchten Mengen zuzurechnen ist.
Wenn nicht alle Anzeichen trügen, dann ist die DDT-Story genauso wie die Asbeststory eine Geschichte in vielen Fortsetzungen, von der einige Kapitel heute noch nicht geschrieben werden können. Die petrochemische Industrie versucht den Sachverhalt zu verniedlichen, indem sie zugibt, daß DDT möglicherweise für Vögel oder kleinere Säugetiere unangenehm werden könnte, aber sicherlich noch keinen Menschen getötet habe. Wie ich noch zeigen werde, ist diese Behauptung sicher falsch. Wenn DDT möglicherweise auch nicht mit einer unmittelbaren Lebensgefahr verbunden ist, so stellen die Schädlingsbekämpfungsmittel doch zumindest ein zusätzliches Gesundheitsrisiko dar. Großen Einfluß scheint DDT vor allem auf die Fortpflanzung zu haben.
Inzwischen wurde klar, daß DDT zum weitestverbreiteten Umweltgift der Erde gehört. Wissenschaftler waren entsetzt, als sie DDT im Fett der arktischen Seehunde und Pinguine fanden, und zwar 50 Meilen von der Forschungsstation McMurdo Sound entfernt. Wahrscheinlich stammte es aus dem Abfall der Stationsbesatzung. Ein erst kürzlich erschienener Forschungsbericht zwingt zu der Annahme, daß bereits tausende Tonnen von DDT im arktischen Schnee enthalten sind, die auf dem Luftwege dorthin gelangen. DDT konnte ebenso in der Luft über Barbados wie auch in Indien bis in eine Höhe von 7000 Meter nachgewiesen werden.
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Das Hauptproblem ist, daß DDT kaum ausgeschieden wird; jeder Neuzugang an DDT belastet den Körper in vollem Umfang, und zwar zusätzlich zur bereits vorhandenen Menge. Auf diese Weise kann eine ursprünglich durchaus harmlose Menge im Laufe der Zeit zu einer gefährlichen Konzentration anwachsen. Man könnte das Konzentrierung auf biologischem Wege nennen. Plankton, diese unsichtbaren Organismen, von denen sich Fische ernähren, nehmen etwa 10 ppm DDT ins Gewebe auf. Fische erreichen auf diese Weise schließlich die respektable Konzentration von 100 ppm und mehr. Eine weitere Erhöhung der DDT-Konzentration um den Faktor 10 ist möglich, wenn diese kleinen Fische von größeren gefressen werden.
Dient nun dem Menschen ein solcher Raubfisch als Nahrungsquelle, so findet erneut ein Konzentrierungsschritt statt — möglicherweise bis zu 1000 ppm, je nachdem, wie groß die Fischmenge ist und inwiefern in anderen Nahrungsmitteln ebenfalls DDT enthalten ist. Problematisch ist dieser Sachverhalt vor allem deshalb, weil für die Hälfte unserer Erdbevölkerung Fisch die einzige Proteinquelle ist: die Eskimos, viele Bewohner der pazifischen Inseln und Fischereigemeinschaften auf Borneo, um nur einige der Betroffenen zu nennen. Eine solche Aufeinanderfolge wie: Plankton-Fisch-Raubfisch-Mensch nennt man eine Nahrungskette. Eine andere Nahrungskette, auf die ich im nächsten Kapitel näher eingehen werde, heißt: Alge-Insekt-Vogel-Mensch.
Das Phänomen dieses <biologischen Verstärkers> macht es im Grunde unmöglich zu definieren, wann eine Dosis zur Behandlung von Ernte und Bäumen als unschädlich betrachtet werden kann. DDT sammelt sich an vielen Orten an, wo man es kaum vermuten würde. So findet man etwa größere Mengen in verwesenden Pflanzen oder im Schlamm von langsam fließenden Flüssen.
Im Jahre 1969 führte Charles Wurster zusammen mit einigen Kollegen folgendes Experiment durch: Sie fütterten Krebse mit einer Nahrung, die 10 ppm DDT enthielt. Bereits zehn Tage später zeigten die Krebse schwerfällige und unkoordinierte Bewegungen. Nachdem man die Tiere getötet hatte, stellte man fest, daß in dieser kurzen Zeit der DDT-Gehalt um den Faktor drei zugenommen hatte. Dieses Experiment erklärt auch, warum Krebse in den Sümpfen des Carmans Rivers bereits vor etwa 10 Jahren ausstarben.
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Entomologen (Insektenforscher) der Universität Maine versuchten herauszufinden, wie lange DDT in Insekten gespeichert wird, nachdem ein Waldgebiet damit eingesprüht wurde. Sie testeten Kleinlebewesen in den Wäldern nördlich von Maine, die man mit Schädlingsbekämpfungsmitteln eingesprüht hatte. In den einzelnen Waldgebieten wurde jeweils nur einmal, und zwar zu verschiedenen Zeiten, DDT verwendet; 1958, 1960, 1961, 1963 und 1967. Hierdurch konnte der DDT-Gehalt in unterschiedlichen Zeiträumen ermittelt werden.
Spitzmäuse, die fleischfressende Tiere sind und deshalb in verstärktem Maße DDT speichern, enthielten am Anfang immerhin 16 ppm des Giftes. Nach acht bis neun Jahren waren es immer noch 1 ppm. Diese 16 ppm sind natürlich nur ein Durchschnittswert; es gab einige mit 40 und andere mit nur 0,25 ppm. Da man bei Vögeln 30 ppm bereits für eine toxische Konzentration hält, darf man auch bei den Spitzmäusen annehmen, daß eine große Zahl bereits gestorben war und deshalb der Durchschnittswert eher höher liegt. Das Forscherteam stellte fest, daß bei Pflanzenfressern bereits innerhalb eines Jahres die DDT-Konzentration wieder auf den Normalwert abfällt. Bei Fleischfressern dauert es immerhin 15 Jahre. Bei der niedrigen Lebenserwartung der Spitzmäuse dürften mehrere Generationen davon betroffen sein.
Wenn man solche Konzentrationen bereits bei nur einmaliger Anwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln feststellen kann, so ist es einleuchtend, daß bei wiederholtem Einsatz die Fleischfresser ziemlich schnell gefährliche DDT-Konzentrationen speichern, wobei auch Pflanzenfresser ihren Teil abbekommen.
Man sollte vielleicht hinzufügen, daß DDT im Körper oftmals in sehr ähnliche Verbindungen umgewandelt wird, die man mit DDE und DDD abkürzt. Im Wissenschaftsjargon spricht man von DDT und seinen Metaboliten. Im großen und ganzen ist DDE ebenso giftig wie DDT, während DDD zumindest in einigen Fällen weniger toxisch ist.
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Als Rachel Carson ihre Anklageschrift publizierte, sah man die tödliche Wirkung von DDT in seiner Wirkung auf Hirn und Nerven. Eine andere Wirkung kannte man damals noch nicht. Später stellte sich heraus, daß die Ausrottung von Vögeln vor allem in einer gestörten Funktion der Eierschalenproduktion zu suchen war.
In den letzten fünfzehn Jahren nahmen bestimmte Raubvogelarten ganz erheblich ab. Dazu gehört insbesondere der Wanderfalke. Aber auch andere Vögel sind davon betroffen. Zum Beispiel vermehrte sich im Jahre 1969 der braune Pelikan in Kalifornien fast überhaupt nicht.
Ein Vergleich von Vogeleiern der letzten 50 Jahre in naturkundlichen Museen ergab, daß die Schale bis 1940 stets gleichmäßig dick war. Ab 1940 war eine plötzliche Abnahme der Schalendicke zu beobachten. Die Konzentration an DDT in den Eiern ließ sich zwanglos mit der Schalendicke korrelieren: Man fand hohe DDT-Konzentrationen und geringe Schalendicke und umgekehrt. Während ich das hier schreibe, erfahre ich, daß Lucille Stickel vom <Patuxent Wildlife Research Center> Wildenten mit 3 ppm DDT beziehungsweise mit einem seiner Metaboliten gefüttert hat. Die Schalen waren um 13,5 Prozent dünner. Darüber hinaus waren sechsmal mehr Eier gesprungen oder zerbrochen, und verglichen mit einer normalen Brut überlebten nur 50 Prozent der Jungtiere. Dabei waren DDT und DDE vergleichbar in ihrer Wirkung, während DDD keinerlei Effekt erkennen ließ.
Bis vor kurzem nahm man an, daß körnerfressende Vögel davon weniger betroffen seien, es sei denn, sie fräßen Saatgut, das mit Dieldrin oder ähnlichen Schädlingsbekämpfungsmitteln vorbehandelt wurde. Diesen Schluß zog man aus einem Experiment des Jahres 1950, bei dem man Wachteln mit DDT-Mengen bis zu 200 ppm ihres Körpergewichts gefüttert hatte, ohne irgendwelche Giftwirkungen festzustellen. Allerdings legen Wachteln das ganze Jahr über Eier und sind aus diesem Grunde nicht ohne weiteres mit anderen Vögeln vergleichbar. Schließlich zeigte sich jedoch, daß zwar die Eltern diese DDT-Dosis überlebt hatten, nicht jedoch die Nachkommen.
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Das Jahr 1969 war wirklich ein schwarzes Jahr für die Hersteller von DDT. Es stellte sich heraus, daß DDT bereits bei einer Konzentration von 1 ppm die Vermehrung von Fischen hemmte. Das entspricht der Konzentration in Lachsen, die in den Großen Seen gefangen werden. Füttert man sie den ahnungslosen Forellen, so macht das den Eltern selbst offenbar wenig aus; die Brut jedoch starb an DDT, das sich in hoher Konzentration im Eidotter nachweisen ließ. Jedermann war glücklich, daß der Fischbestand im Eriesee unter großen Anstrengungen wieder erhöht werden konnte, als vom nächsten großen Lachssterben berichtet wurde. Einige Fänge wurden für den menschlichen Verzehr als nicht geeignet erklärt. Weiter wurde festgestellt, daß Fische aus dem Pazifik vergleichbare Mengen an DDT enthielten; daraus läßt sich schließen, daß die Hochseefischerei auf der ganzen Welt nicht mehr sehr weit vom totalen Zusammenbruch mangels Fischnachwuchs entfernt sein kann.
Im vergangenen Jahr klagte in den USA die neugegründete <Gesellschaft zur Bekämpfung der Umweltvergiftung> (Environmental Defence Association, EDA) gegen das Landwirtschaftsministerium von Michigan, um die Verwendung von Dieldrin zu verhindern, sowie gegen zahllose Gemeinden im Staate Michigan, die immer noch DDT verwendeten. Während man das Landwirtschaftsministerium von der Anklage freisprach, wurde gegen fünfzig Gemeinden ein gerichtliches Verbot für die Weiterverwendung erlassen. Das Ministerium für <Natural Resources> entschloß sich, entscheidende Schritte einzuleiten, was schließlich zum DDT-Verbot im Staate Michigan führte. Ein weiterer Versuch, das Landwirtschaftsministerium doch zu belangen, führte nur zu einem kurzen Hearing. Schließlich fanden zwei Körperschaften, nämlich die <Citizen's Natural Resources Association> und die <Izaak Walton Liga>, doch noch eine Möglichkeit, die ganze Sache vor Gericht zu bringen. Sie wandten sich an das Ministerium für <Natural Resources> in Madison, Wisconsin, darüber zu befinden, ob DDT ein Gift für die staatlichen Gewässer ist, denn bislang existiert nur in Wisconsin ein Gesetz zur Reinhaltung des Wassers.
Unterstützt von der EDA und mit dem Rückhalt eines beratenden Komitees von Wissenschaftlern, dem mehr als 200 Forscher angehörten, strengten sie ein Verfahren an, das fast sechs Monate dauerte.
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Die Industrie setzte Spezialkampfgruppen ein, um den Angriff abzuschlagen. Einige der Kreuzverhöre dauerten drei Tage. DDT sei völlig harmlos, behauptete einer der Industriesachverständigen. Ein Gelehrter meinte, daß der Widerstand gegen DDT wie auch gegen andere Schädlingsbekämpfungsmittel nur von Leuten komme, die um ihre sexuelle Potenz fürchteten. Das wäre allerdings kein unerheblicher Grund, wie ich später noch kurz ausführen werde.
Andere wurden nicht müde, Nutzen und Vorteile von DDT in glühenden Farben zu schildern. Die Fortsetzung des Hearings wurde nach 27 Tagen, in denen man 32 Sachverständige angehört hatte, auf einen anderen Zeitpunkt verschoben. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus.
Während heute vor allem in DDT der große Schurke gesehen wird, dürfen wir die düsteren Berichte über Dieldrin und Aldrin, unheilvolle Zwillinge aus der Familie der organischen Phosphorsäureester, nicht aus den Augen verlieren. In England zum Beispiel sollten Dieldrin und Aldrin seit 1962 aufgrund einer freiwilligen Übereinkunft nicht mehr verwendet werden. Farmer durften ihr Saatgut nur dann mit diesen Stoffen behandeln, wenn es ganz und gar unumgänglich war. 1965 wurden sie schließlich für bestimmte Verwendungszwecke ganz verboten.
Im Jahre 1969 berichtete ein Arbeiter der Monk's Wood Field Station in England über das seltsame Verhalten der Dachse. Man hatte beobachtet, daß Dachse wie blind gegen Erdhügel rannten, man hörte sie öfters wie von Schmerz gepeinigt quieken und mit den Zähnen knirschen. Die Koordination ihrer Muskelbewegungen war gestört; sie taumelten wie betrunken herum. Sie waren von schrecklichem Durst geplagt und leckten alle für sie erreichbaren Flüssigkeiten auf. Schließlich starben sie unter Krämpfen.
Daß sich ein gesunder Dachs nicht so verhält, dürfte klar sein. Als man die toten Tiere näher untersuchte, wurden 17 bis 46 ppm Dieldrin und zusätzlich noch 36 ppm DDT-Derivate in der Leber festgestellt. Im Gegensatz dazu konnte man in Dachsen, die zufällig von einem Auto überfahren wurden, nur 0,446 ppm Dieldrin nachweisen. Der Schluß war zwingend: Dieldrin ist für Dachse ungesund. Gleichzeitig war das aber auch ein Hinweis, daß die freiwillige Übereinkunft, dieses großartige Mittel nicht mehr zu verwenden, wenig erfolgreich gewesen sein konnte. Von all diesen Vorgängen unbeeindruckt, erneuerte das Landwirtschaftsministerium das System der freiwilligen Ächtung von Dieldrin für weitere drei Jahre. Dieldrin darf zwar nicht mehr gegen die Karottenfliege angewandt werden, wohl aber darf es auf Kartoffeln gesprüht werden, um Drahtwürmer zu vernichten; und eine ganze Reihe von Knollen und Körnern dürfen nach wie vor damit behandelt werden.
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3 DDT: Sex und Krebs
Als Rachel Carson ihr Buch schrieb, wußte man praktisch nichts über die Auswirkungen von größeren DDT-Mengen auf den Menschen. Ein bereits klassischer Fall ist der eines englischen Laborarbeiters. Im Jahre 1945 tauchte er für einige Minuten in einer Anwandlung von Heroismus seine Hände in eine wässrige DDT-Lösung. Als nichts passierte, knetete er eine inerte Masse, der etwas DDT zugesetzt war, einige Minuten in seinen Händen. Das Ergebnis dieses Experiments beschrieb Sir Vincent Wigglesworth wie folgt:
»Vom ersten bis zum zehnten Tag danach spürte der Patient eine gewisse Müdigkeit, seine Glieder schmerzten, und seine Beine schienen ihm bleischwer. Außerdem stand er unter einer extremen nervösen Spannung. Während einer kurzen Arbeitsunterbrechung schien sich eine Besserung seines Zustandes anzubahnen. Als er jedoch wieder zur Arbeit zurückkehrte, verschlechterte sich sein Zustand, und nach weiteren drei Wochen zwangen die fortgesetzten Gliederschmerzen den Patienten, das Bett zu hüten. Er konnte kaum Schlaf finden. Außerdem konnte man immer häufiger eine extrem gesteigerte nervöse Reizbarkeit feststellen; dazu kamen noch akute Angstzustände. Nach sechs Wochen Bettruhe stellten sich plötzlich unkontrollierbare Muskelzuckungen am ganzen Körper ein. Nach 10 bis 14 weiteren Tagen war der Patient auf dem Wege der Besserung; die Gliederschmerzen hatten jedoch immer noch nicht nachgelassen, und seine Genesung schritt nur langsam voran. Er konnte zehn Wochen lang nicht arbeiten, und auch nach einem Jahr war er noch nicht völlig genesen.«
3 DDT 153
Weder der Mann selbst noch der ihn behandelnde Neurologe wollten sich darauf festlegen, daß DDT die wirkliche Ursache war.
Nach diesem Bericht verspürte verständlicherweise niemand mehr Lust; das Experiment zu wiederholen. Inzwischen wurde allerdings der Fall eines Freizeitgärtners bekannt, der plötzlich starb. Ihm wurde sein übermäßiger Verbrauch an DDT auf seinem kleinen Grundstück zum Verhängnis. Man fand in seinem Körperfett 23 ppm DDT. Im Jahre 1959 berichtete ein Arzt aus Neuseeland, daß ein Patient von beträchtlicher Fettleibigkeit nach einer Abmagerungskur plötzlich Anzeichen einer DDT-Vergiftung zeigte. In dem Maße, wie er abnahm, stieg die Konzentration des zurückbleibenden DDT's. Schließlich wurde von einem Kind berichtet, das unter schrecklichen Krämpfen starb, nachdem es wenig — um es genau zu sagen — zwei Eßlöffel einer fünfprozentigen DDT-Lösung getrunken hatte. Sowohl aus den hier beschriebenen Fällen als auch aus Tierexperimenten gewinnt man den Eindruck, daß diese Verbindungen das Gehirn beeinflussen, vor allem die motorischen Zentren, wobei möglicherweise das Kleinhirn eine entscheidende Rolle spielt. Wie wir heute wissen, kann DDT jedoch weit mehr: Es stoppt die Übertragung von Nervenimpulsen. Die Folgen sind nicht mehr rückgängig zu machen. Zustände von Verwirrtsein, Wahnvorstellungen, Gedächtnisverlust, Anfälle von Raserei: Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, daß DDT Sie in den Wahnsinn treiben kann, und zwar für den Rest Ihres Lebens.
Leider ist das immer noch nicht alles.
1957 konnte zum Erstaunen der Wissenschaftler gezeigt werden, daß DDT die Bildung von Leberenzymen (Substanzen zur Regulation der Körperfunktionen] induziert. Diese Enzyme hängen eng mit der Regulation der Sexualhormone wie Östrogen, Progesteron und Testosteron zusammen. (Progesteron ist der Hauptbestandteil der Anti-Baby-Pille.) Richard Welch von der Firma Burroughs Welcome Co. wies diesen Effekt nach und entdeckte dabei die noch bestürzendere Tatsache, daß DDT selbst östrogenähnliche Eigenschaften hat. Die verminderte Zahl an Nachkommen, wie sie bei den Vögeln beobachtet wurde, kann sich bei entsprechender Dosierung auch beim Menschen auswirken. DDT ist demnach nicht nur ein direktes Gift für das Nervensystem, sondern hat offensichtlich auch Einfluß auf die Regulation der Fortpflanzung.
3 DDT 154
Und als ob das alles noch nicht ausreichte, erwies sich DDT nun noch als karzinogen, das heißt, als eine krebserzeugende Verbindung. Bereits im Jahre 1947 wurde in einer Studie der amerikanischen Food and Diug Administration festgestellt, daß DDT bei Ratten zu einer vermehrten Zahl an Lebertumoren führte. Diese Ergebnisse aber wurden einfach vom Tisch gewischt. Damals war DDT noch die Wunderwaffe gegen Malaria, und niemand wollte etwas Böses über diese liebgewonnene Substanz vorbringen. Genau zwanzig Jahre später verkündete eine amerikanische Forschergruppe die Neuigkeit, daß DDT im Fischfutter eine überdurchschnittlich hohe Rate an Tumoren bei Forellen zeigte. Zwei Jahre später — wiederum erwies sich das Jahr 1969 als ein kritisches Jahr — berichteten ungarische Wissenschaftler von neuen aufsehenerregenden Experimenten.
Sie untersuchten mehr als 1000 Mäuse, die über mehr als 5 Generationen Futter mit einem DDT-Gehalt von 3 ppm verabreicht bekommen hatten. Fast 29 Prozent der Tiere bekamen Tumore gegenüber 4 Prozent bei normaler Fütterung. Darüber hinaus beobachtete man im Vergleich zu den unbehandelten Kontrolltieren fünfmal mehr Fälle von Leukämie. Nun stieg auch das renommierte <National Cancer Institute> in das DDT-Geschäft ein. In ausgedehnten und sehr genau ausgewerteten Versuchsreihen konnte gezeigt werden, daß vor allem Leber, Lunge und Lymphknoten viermal höheren Tumorbefall zeigten. Sowohl die Morphologie als auch die Häufigkeit war durchaus vergleichbar mit den von bekannten Karzinogenen erzeugten Tumoren. Die eindeutige Schlußfolgerung lautet: DDT ist für Mäuse eine krebserzeugende Substanz.
Das muß aber durchaus nicht bedeuten, daß es auch für den Menschen ein Karzinogen ist, wandten die unverbesserlichen Optimisten ein. Nun kann man schließlich Freiwillige nicht mit DDT füttern und schauen, was passiert. Man kann aber Leute untersuchen, die unfreiwillig beträchtliche Mengen DDT zu sich nehmen. So entnahmen Ärzte von der <School of Medicine> an der Universität von Miami Gewebeproben von Patienten, die an Krebs gestorben waren, und außerdem bei Opfern von Verkehrsunfällen.
3 DDT 155
Der DDT-Spiegel bei den ersteren war doppelt so hoch wie bei den Unfallopfern, die 10 ppm, den Durchschnittswert der amerikanischen Bevölkerung, enthielten. Die an Krebs gestorbenen Patienten wiesen DDT-Gehalte von 20 bis 25 ppm auf. Natürlich läßt sich einwenden, daß Tumore für DDT ein erhöhtes Speicherungsvermö-gen besitzen, so daß DDT mit der Krebserkrankung ursächlich nichts zu tun hat. Doch wirkt dieser Optimismus nicht gerade überzeugend.
Im Oktober brachten fünf schwangere oder stillende Amerikanerinnen mit Unterstützung des <Environment Defence Fund> (EDF) einen Antrag bei der <Food and Drug Administration> ein, den DDT-Gehalt in allen Nahrungsmitteln auf Null zu reduzieren, da nach dem Gesetz kein Karzinogen in Nahrungsmitteln enthalten sein darf.
Die <Food and Drug Administration> erließ eine entsprechende Verordnung, soweit es Babynahrung betraf, aber wer schützt die übrige Bevölkerung?
Amerikaner sind für den menschlichen Verzehr nicht geeignet.
Mit durchschnittlich 10 ppm im Fett liegen sie genau um den Faktor zwei über dem vom Lebensmittelgesetz erlaubten Wert. Aus dem gleichen Grunde müßte es verboten werden, die Milch amerikanischer Mütter von einem Staat in den anderen zu transportieren — ausgenommen in natürlicher Verpackung. Der schwedische Ökologe Löfroth weist darauf hin, daß Leute mit so hohen DDT-Mengen im Körperfett Nahrungsmittel konsumieren, deren DDT-Gehalt um ein Zehntel über dem von den Vereinten Nationen als ungefährlich erklärten Level liegt. Er folgert daraus, daß man den tolerablen DDT-Gehalt der Nahrungsmittel nochmals um den Faktor zwei herabsetzen müßte.
Engländer mit einem DDT-Gehalt von 5 ppm sind schon eher genießbar, während ein Schwede mit 7 ppm weniger gut abschneidet. In Israel dagegen liegen diese Werte bei 19 ppm. In Indien wurden sensationelle DDT-Konzentrationen von 29 ppm ermittelt. Da es sich bei diesen Zahlen um Durchschnittswerte handelt, muß man annehmen, daß in Einzelfällen DDT-Gehalte von 50 bis 60 ppm erreicht werden, die durchaus tödlich sein können.
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Es ist manchmal behauptet worden, daß noch niemand an DDT gestorben sei. Die angeführten Zahlen lassen diese Behauptung zweifelhaft erscheinen. Ich wage zu behaupten, daß in nicht allzu ferner Zeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen DDT und bestimmten Todesfällen nachweisbar sein wird, und zwar wird man diese Zusammenhänge vermutlich in Israel aufklären, da in Indien Autopsien sehr selten sind und damit die Todesursache nicht immer genau erkannt wird.
Neben der Erwachsenenbevölkerung, die nur ein Zehntel der als gefährlich angesehenen Menge DDT zu sich nimmt, gibt es andere Bevölkerungsgruppen, deren Nahrung noch weit größere Mengen DDT enthält; dazu gehören vor allem die Babys. Nach Veröffentlichungen des schwedischen Gesundheitsministeriums enthält die Milch schwedischer Mütter 0,117 ppm DDT. Babys, die gestillt werden, nehmen jeden Tag 70 Prozent mehr DDT zu sich, als man offiziell für ungefährlich hält. Für englische Babys liegt diese Menge in der gleichen Größenordnung, während sie in Amerika eher noch höher ist.
Die Situation wird noch beunruhigender, wenn wir Dieldrin berücksichtigen. Löfroth hat errechnet, daß 40 Prozent der Babys in Schweden Dieldrinmengen erhalten, die die als ungefährlich angesehene Grenze um das Doppelte überschreiten. In England konnte sogar gezeigt werden, daß Säuglinge während der Stillzeit etwa das Zehnfache des tolerierten Maximums aufnehmen. Da bei Australiern eine dreimal so hohe Menge an Dieldrin im Körperfett festgestellt wurde wie bei Engländern, kommen australische Babys möglicherweise auf das Dreißigfache der vertretbaren Menge an Dieldrin.
Man schätzt, daß auf der Erde bereits eine Million Tonnen DDT verstreut wurden. Im Jahre 1968 produzierten die USA allein 114.000 Tonnen im Gesamtwert von 20 Millionen Dollar; davon wurden zwei Drittel exportiert, und zwar größtenteils in Länder, die noch gar keine Kontrollmöglichkeiten für die Verwendung dieser Verbindungen haben. DDT ist überall, und zwar in größeren Konzentrationen, als uns bewußt ist, denn die in Tieren und Menschen nachgewiesenen Mengen spiegeln nur die augenblickliche Situation wider. Auch wenn man heute alle DDT-Fabriken schließen würde, so könnte man noch mehrere Jahre ein Ansteigen der DDT-Mengen im Menschen nachweisen, denn diese Stoffe haben die unangenehme Eigenschaft, sich in biologischem Material mehr und mehr anzureichern.
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Lassen Sie mich diese mehr allgemein gehaltenen Feststellungen an Hand einiger Beispiele vervollständigen. Ein gutes Demonstrationsobjekt ist die Ostsee. Der Boden Schwedens enthält heute etwa 1250 Tonnen DDT. Dabei wurde DDT auch in Gegenden gefunden, wo es nie verwendet wurde. Hauptsächlich wurde es natürlich in landwirtschaftlich genutzten Gegenden"eingesetzt. Vom Festland aus werden die Schädlingsbekämpfungsmittel in das Meer geschwemmt oder mit dem Wind ins Meer getragen. Die Ostsee kann man heutzutage nicht anders als höchstgradig vergiftet bezeichnen.
1969 wurde eine Übersicht der DDT-Konzentrationen in den dort lebenden Meerestieren veröffentlicht. Es ergab sich, daß im Fett von Seehunden die stattliche Menge von 56 ppm DDT nachweisbar war. Der DDT-Gehalt der Eier von Lummen, einem Seevogel, der in den nordischen Gewässern besonders häufig ist, war zehnmal höher als der Gehalt in Lummeneiern aus England. Bei Seehunden ist der DDT-Gehalt ebenfalls um den Faktor 10 höher als in englischen oder kanadischen Seehunden. Schlimm sieht es auch bei den weißschwänzigen Seeadlern aus, die immer seltener werden. Von zehn Paaren, die sich in den Inselgruppen um Stockholm aufhalten, haben im letzten Jahr nur zwei Paare gebrütet. In einem Experiment fütterte man Seeadlern DDT bis zu ihrem Tode; im Fettgewebe konnten danach 56 ppm nachgewiesen werden. Zwei weißschwänzige Seeadler, die man tot auffand, enthielten die erstaunliche Menge von 190 und 230 ppm im Brustmuskel. Ein Seehund hält immer noch den traurigen Rekord von 310 ppm DDT im Fettgewebe. Darüber hinaus wurden noch Quecksilber und eine Substanz mit der Bezeichnung PCB festgestellt, auf die ich noch näher eingehen werde.
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Die Ostsee ist ein sehr flaches Meer, und der Zugang zur Nordsee ist nur 18 Meter tief. Die biologische Aktivität ist sehr gering, da die mittleren Temperaturen ziemlich niedrig liegen; der größte Teil ist im Winter vereist. Außerdem vermischen sich die einzelnen Wasserschichten kaum. In den mittleren Teilen findet man entsprechend dem geringen Sauerstoffgehalt praktisch überhaupt keine Lebewesen mehr. Ein überdurchschnittlich hoher Gehalt an Schwefelwasserstoff macht Leben sowieso unmöglich.
Die Ostsee ist beispielhaft für einen Zustand, den wir über kurz oder lang auch in anderen Meeren erreichen werden. Es ist deshalb keine Übertreibung, wenn Löfroth verzweifelt fragt: »Wenn wir uns weiter so verhalten, produzieren wir mit großer Wahrscheinlichkeit eine weltweite Katastrophe. Muß eine Katastrophe erst Tatsache sein, bevor wir handeln?«
Als würdiger Abschluß zu alldem kommt noch der Bericht der <Britain's Association of Public Analysts>. Darin heißt es, daß Schweineschmalz unter allen getesteten Nahrungsmitteln den höchsten Gehalt an Schädlingsbekämpfungsmitteln aufweist. Nach fallendem Insektizidgehalt folgen Äpfel, Kohl, Rosenkohl und Kartoffeln; sie alle lagen über der empfohlenen Höchstgrenze. Diese Statistik soll mit Unterstützung von 233 lokalen Behörden fortgesetzt werden.
Ich könnte mir vorstellen, daß die Kontrollen bezüglich Dieldrin, DDT und so weiter in den kommenden Jahren laufend verschärft werden, wobei die Einhaltung der Bestimmungen vielleicht in den westlichen Ländern gewährleistet sein mag. Von den Entwicklungsländern, die in diesen Dingen wenig erfahren sind, darf man allenfalls Lippenbekenntnisse erwarten. In den USA sank der DDT-Verbrauch im Jahre 1967 gegenüber 1959 bereits um die Hälfte.
Außerdem müssen Wege gefunden werden, das von den Leuten bereits aufgenommene DDT wieder auszuschleusen. Vorläufige Untersuchungen, die an der Universität von Miami unternommen werden, scheinen zu zeigen, daß Phenobarbital, eine Verbindung, die man normalerweise zur Unterdrückung epileptischer Anfälle verwendet, möglicherweise die Eigenschaft hat, DDT aus dem Körper zu entfernen. Dr. John E. Davis fand, daß bei Leuten, die dieses Medikament einnahmen, nur geringe oder gar keine Mengen von DDT im Fett nachweisbar waren. Ob man auf diese Weise DDT auch aus dem Gehirn entfernen kann, ist eine andere Frage.
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4 Biologische Kontrollen
Die größten Chancen, den Verbrauch an Insektiziden zu kontrollieren, liegen allerdings bei den biologischen Kontrollen. Unterstützt werden wir in dieser Hoffnung durch die Tatsache, daß sich immer mehr Insekten gegen die erwähnten Organochlorverbindun-gen als resistent erweisen. Die Anophilesmücke, berüchtigt wegen ihrer Uberträgerrolle bei der Verbreitung von Malaria, ist heute bereits völlig resistent gegen DDT, während die Erreger in zunehmendem Maß mit der üblichen Malariatherapie nicht mehr wirksam bekämpft werden können. Der Ausbruch einer derartigen Seuche in Vietnam ließ sich auf die zunehmende Resistenz der Fliegen in diesem Gebiet gegenüber Insektiziden zurückführen. Einige Insekten können sich nicht nur an diese Gifte gewöhnen, sie werden teilweise sogar von ihnen abhängig, und die sicherste Weise, eine solche Population zu bekämpfen, besteht darin, ihnen DDT vorzuenthalten.
Hier die Meinung eines Experten:
»Ganz allgemein kann man sagen, daß es sich bei den synthetischen Schädlingsbekämpfungsmitteln um Verbindungen handelt, die recht grob in das ökologische Gleichgewicht eingreifen. Sehr ernste Probleme sind die Folge: man beobachtet eine starke Vermehrung der bekämpften Schädlinge, eine ungewöhnlich starke Vermehrung von Insekten, gegen die solche Gifte eigentlich nicht angewandt werden, und schließlich bei den Schädlingen selbst Resistenz gegen das Bekämpfungsmittel. Das alles führte in den vergangenen Jahren zu immer stärkerem Verbrauch an Schädlingsbekämpfungsmitteln. In Kalifornien etwa stiegen im letzten Jahrzehnt die Kosten für den Schutz der Ernten von Zitrusfrüchten und Baumwolle ganz rapid an. Eine kritische Analyse der Situation in verschiedenen Ländern würde ähnliche Ergebnisse aufzeigen, gleichgültig ob man den Samenkapselwurm in den Baumwollfeldern von Texas, Spinnerraupen in den Obstplantagen oder Kohlweißlinge in den Gemüsefeldern beobachtet, um nur einige Beispiele zu nennen.«
Soweit die Meinung von Robert van den Bosch von der Abteilung für biologische Kontrolle an der Universität von Kalifornien in Albany.
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Van den Bosch hielt DDT ursprunglich für weniger gefährlich als mögliche Ersatzverbindungen. Nach den Untersuchungsergebnissen, die 1958 auf der ersten Rochester-Konferenz über Toxikologie vorgetragen wurden, änderte er jedoch seine Meinung. Er ist heute der Auffassung, daß man den Verbrauch von solchen Organochlorverbindungen drastisch einschränken oder ganz verbieten sollte. Er erklärte: »Die Wirkung anderer Insektizide ist ebenso undurchsichtig, und bis weniger problematische Verbindungen zur Verfügung stehen, muß man die bekannten Schädlingsbekämpfungsmittel als die weniger gefährlichen Verbindungen ansehen.«
Tatsache ist, daß man eine Insektenspezies nicht so einfach ausrotten kann, wie das mancher Farmer träumt. Eliminiert man die eine Art, vermehrt sich eine andere um so schneller; schlimmstenfalls entwickelt die erste Spezies gegen das betreffende Insektizid Resistenz und vermehrt sich munter weiter. Die optimale Lösung für all diese Probleme ist eigentlich, das ökologische Gleichgewicht zu erhalten, was eine ungezügelte Vermehrung einer Insektenart unmöglich macht. Ein konstanter, aber niedriger Level an Schädlingen ist wesentlich besser als der Wechsel zwischen etwas besseren Ernten, unterbrochen von katastrophalen Mißernten, die durch Schädlingsbefall verursacht werden.
Eine neue Möglichkeit der Schädlingsbekämpfung zeichnet sich allerdings ab: die Vermehrung der Schädlinge durch Hormone zu kontrollieren. Es handelt sich hier um Verbindungen, die die Metamorphose der Larven zum erwachsenen Insekt unterbinden. So kann beispielsweise die Entwicklung einer Raupe zum Schmetterling verhindert werden. Diese sogenannten Juvenilhormone töten auch die Insekteneier ab. Voller Hoffnung hat man diese Verbindungsklasse als die >dritte Generation< der Insektizide bezeichnet. (Innerhalb dieser Genealogie bilden Arsenate und Nikotin die erste Generation, DDT, Dieldrin und so weiter die zweite.)
Aber audi diese Verbindungen sind alles andere als ungefährlich. Es gibt 3 Millionen verschiedene Arten von Insekten; davon sind aber nur 3000 für den Menschen gefährlich. Die dritte Generation der Schädlingsbekämpfungsmittel vernichtet aber gute wie schlechte Insekten gleichermaßen. Mit einem schuldigen Insekt werden gleichzeitig 1000 unschuldige getroffen.
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Es handelt sich hier um außerordentlich wirkungsvolle Verbindungen. Tschechische Wissenschaftler haben aus dem natürlichen Öl der Cecropia-Motte ein halbes Dutzend Verbindungen extrahiert, die hormonelle Wirkung zeigten. Die isolierte Menge würde ausreichen, um alle Insekten auf einem Hektar Land zu vernichten. Dabei ist das ungereinigte Öl mit seinen verschiedenen Begleitverbindungen noch weit wirksamer. Es wird nicht allzu lange dauern, bis der Mensch all diese Verbindungen synthetisch gewinnen kann. Professor Carroll Williams, anerkannte Kapazität dieses Forschungszweigs, warnt uns, daß jede leichtfertige Verwendung dieser Verbindungen zu einer ökologischen Katastrophe allerersten Ranges führen wird.
Die Ursache für die ganzen Probleme im Zusammenhang mit den Schädlingsbekämpfungsmitteln liegt nicht so sehr an den entsprechenden Verbindungen, sondern vielmehr an der Zunahme von Monokulturen, wo nur eine einzige Pflanzenart auf einem riesigen Areal angebaut wird. Dieses unbegrenzte Angebot einer Lieblingsspeise ermöglicht es den Schädlingen, sich ungehemmt zu vermehren. Das Ende der Geschichte ist schließlich die totale Vernichtung der Ernte und ein Massensterben unter den Schädlingen selbst. Dem geneigten Leser bleibt es anheimgestellt, Parallelen zwischen dem Schicksal dieser Insekten und dem Superschädling Mensch zu ziehen.
5 Sag mir, wo die Adler sind
Ein Jahr, nachdem Rachel Carson ihr hochbrisantes Buch herausgebracht hatte, war die Zahl der verschiedenen Raubvögel schon ganz beträchtlich gesunken. Besonders das Schickal des Wanderadlers erregte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Die Mengen an Schädlingsbekämpfungsmitteln, die man in vielen Fällen im Gewebe dieser Tiere nachweisen konnte, waren so niedrig, daß sie kaum als Todesursache in Betracht kamen. Gleichzeitig stellten jedoch Wissenschaftler, die sich auf die Analyse dieser Verbindungen in Geweben spezialisiert hatten, an Kurven, die von komplizierten Maschinen ausgespuckt werden, Zacken fest, die weder DDT selbst noch einem seiner Abbauprodukte zuzuordnen waren.
*(d-2014:) R.Carson bei detopia
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In den Untersuchungsprotokollen fand man Sätze wie: »Signale von unbekannten chlorierten Kohlenwasserstoffen, nicht identisch mit einem der bekannten Schädlingsbekämpfungsmittel oder eines davon abgeleiteten Metaboliten.« Diese Beobachtungen gerieten jedoch schnell in Vergessenheit.
Erst 1966 vermochte der schwedische Wissenschaftler Sören Jensen eine Erklärung zu liefern. In 200 Proben, die an verschiedenen Orten Schwedens entnommen wurden, fand er ungewöhnlich hohe Anteile einer Substanzklasse, die als Polychlorbiphenyl-Verbindung oder abgekürzt PCB bezeichnet wird. PCB ist jedoch kein Mittel zur Schädlingsbekämpfung. Es ist ein Bestandteil von Farben und Lakken, man verwendet es als Füllstoff zum Einfärben von Plastikmaterial sowie zur Herstellung von elektrischen Isolatoren. Außerdem setzt man es Schmierölen zu, die hohe Temperaturen aushalten müssen. Andere Wissenschaftler konnten in der Luft von London oder Hamburg PCB nachweisen, ohne damit besonderes Aufsehen zu erregen. In anderen Städten hielt man es nicht einmal für nötig, den Gehalt an solchen Verbindungen zu ermitteln. Doch wurde auch in Seehunden vor der schottischen Küste PCB festgestellt.
Herr Jensen, von seinen eigenen Befunden beunruhigt, ging der Sache weiter nach. Er untersuchte Fische und Fischlaich aus verschiedenen Teilen des Landes. In allen ließen sich PCB nachweisen. Er analysierte einen toten Adler, der in der Nähe von Stockholm gefunden wurde; er dehnte die Untersuchungen auf seine eigenen Haare, auf die seiner Frau und auf die seiner Tochter aus; immer wieder konnte er PCB nachweisen. Seine Tochter hatte ihre PCB-Belastung offenbar als Baby mit der Muttermilch aufgenommen. Schließlich wandte er sich an das schwedische Nationalmuseum für Naturgeschichte. Was er brauchte, waren kleine Schnipsel der Schwanzfedern von Adlern, wobei dem Todesjahr besondere Bedeutung zukam. PCB konnte er nur in Vögeln nachweisen, die 1944 oder später gestorben waren. Vor r944 waren alle Vögel PCB-frei.
Nun ist PCB nicht gerade der Verbindungstyp, den ein denkendes Wesen freiwillig ißt. Experimente an Mäusen haben gezeigt, daß diese Verbindung besonders für die Leber nicht ungefährlich ist.
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So werden etwa Enzyme — das sind Moleküle, die biochemische Vorgänge im Organismus vermitteln — induziert. Bekannt ist auch seine schädliche Wirkung auf die Haut. Ob noch weitere Gewebe beeinflußt werden, ist nicht bekannt. PCB ist einfach herzustellen, aber schwer wieder loszuwerden. Man kann es nicht durch Verbrennen zerstören; zusammen mit den Abgasen gelangt es in die Luft. In den Körper wird es mit der Atemluft oder mit der Nahrung aufgenommen. Aber eigentlich braucht es diese Vehikel gar nicht; es kann genauso gut direkt durch die Haut in den Körper eindringen. Es ist sehr viel stabiler als DDT — was schon außerordentlich stabil ist —, und es wird in wesentlich geringerem Ausmaß in Verbindungen umgewandelt, die aus dem Organismus ausgeschieden werden können. Das PCB, das Jensen nachweisen konnte, stammt seiner Meinung nach aus den Industrieabgasen, aus verbranntem Müll und so weiter. Von der Luft aus gelangt es ins Wasser, von da aus in die Fische und schließlich auch in den Menschen. Das war nach Meinung Jensens auch die Ursache für die Konzentrierung dieser Verbindung. Eine sehr sorgfältige Überprüfung dieser Ergebnisse mit empfindlicheren Methoden wie etwa der Massenspektrometrie konnte seine Ergebnisse bestätigen.
Ende 1967 berichteten zwei Wissenschaftler vom <Freshwater Fisheries Laboratorium> in Perthshire, die Gewebe von Seehunden und Tümmlern auf DDT untersuchten, daß die Interpretation ihrer Ergebnisse durch die Anwesenheit von PCB außerordentlich problematisch sei. PCB ließ sich nicht wie eine andere Verunreinigung mit der Abkürzung HCH entfernen oder zerstören. Um ganz sicher zu sein, über was sie eigentlich redeten, trennten sie in einem extra dafür angesetzten Experiment PCB von DDT und seinen Folgeprodukten. Da sich ihre Bemühungen ausschließlich auf DDT konzentrierten, schenkten sie PCB keine weitere Beachtung. Auf das, was sie über DDT zu berichten hatten, werde ich noch näher eingehen.
Sie hatten sich offenbar nicht sonderlich intensiv mit der wissenschaftlichen Literatur vertraut gemacht, denn nur zwei Monate vorher veröffentlichten in der Zeitschrift <Nature> drei Wissenschaftler vom staatlichen Laboratorium in London eine Arbeit, in der sie, möglicherweise mit einer genaueren Methode, die Ergebnisse von Jensen bestätigten.
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Sie stellten fest, daß die verschiedenen, nicht identifizierbaren Signale, die man bei der Analyse von Robbenspeck, menschlichem Fleisch sowie bei verschiedenen Fischen und Vögeln feststellte, keinem der bekannten Schädlingsbekämpfungsmittel zugeordnet werden darf. In all diesen Fällen handelte es sich um PCB. Wenn das richtig ist, so erhebt sich allerdings die Frage, warum PCB soviel schneller in Vögeln, Robben und Fischen nachweisbar ist als in Menschen oder Kühen und Schafen? In manchen Vögeln ist nach diesem Bericht PCB in höheren Konzentrationen nachweisbar als DDT.
Zwei Wochen später schrieb der Amerikaner Dr. Peakall, von dem wir später noch hören werden, daß dieser Befund möglicherweise die Tatsache erklärt, daß eine starke Abnahme von bestimmten Raubvögeln auch in Gebieten zu beobachten ist, wo die Konzentration an DDT weit unter der toxischen liegt.
Inzwischen hat Jensen die DDT- und PCB-Konzentrationen in Tieren aus dem Ostseegebiet untersucht. Ein Seehund, in dessen Körperfett 56 ppm DDT nachweisbar waren, enthielt gleichzeitig 13 ppm PCB. Adler, die, wie bereits erwähnt, bis zu 310 ppm DDT in ihrem Brustmuskel enthielten, zeigten darüber hinaus Durchschnittskonzentrationen von 190 ppm, in einigen Fällen sogar bis zu 240 ppm PCB.
Auf Grund der starken Abnahme der Wanderfalken führte in Amerika Professor R. W. Risebrough mit einigen Kollegen vom Meeresforschungsinstitut in San Diego eine weltweite Untersuchung über die DDT-Konzentrationen in ganz verschiedenen Tieren durch. Wie das Team von Pitlochry fand auch seine Gruppe in den Kurven der Analysengeräte Signale, die nach den schwedischen Arbeiten zweifelsfrei PCB zugeordnet werden konnten. Bei Wanderfalken, die man Ende 1968 einfing, konnten 98 ppm PCB im Brustmuskel und bis zu 34 ppm im Gehirn nachgewiesen werden. Auch fand Risebrough signifikante Mengen an PCB in arktischen Wandervögeln, die nur wenige Monate alt waren. Im Gehirn eines Vogels, der in Kalifornien gefangen wurde, konnten außerordentlich hohe, möglicherweise bereits tödliche Mengen an PCB nachgewiesen werden.
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Auffällig war, daß hier praktisch keine Reservefette (Lipide) festzustellen waren. Schwarze Sturmvögel, Sturmtaucher und andere Vögel wurden ebenfalls untersucht. Das Ergebnis waren immer wieder hohe Konzentrationen an DDT und PCB; die Eierschalen waren um ein Drittel dünner als normal, und das alles in den fast unberührten Gebieten der Baja California, abgelegen von Industrieabgasen und dem Eingriff des Menschen entzogen.
Risebrough stellte fest, daß die wenigen Wanderadler, die noch in Kalifornien brüten, ebenso wie in England nur in Gebieten leben, die verhältnismäßig wenig von Schädlingsbekämpfungsmitteln verseucht sind. Außerdem spezialisieren sie sich bei ihrer Beute auf nur schwach verseuchte Tiere wie Tauben und Spatzen. Nur die fischfressenden Fledermäuse waren praktisch frei von DDT und PCB. Risebrough begann nun eine ausgedehnte Untersuchung. Er analysierte Seeschwalben und Odinshühnchen, Trauertauben, Feldlerchen, Zwergfalken und Schleiereulen, den Kormoran und den Fregattvogel, den Zimtschwanz, den braunen Tölpel und den Nachtreiher, amerikanische Turmfalken, Goldadler, Falken, den schwarzen Sturmtaucher, den rosafüßigen Sturmtaucher, das Blaukehlchen und den braunen Pelikan und, nicht zu vergessen, den Königspinguin und die elegante Seeschwalbe.
Überall die gleiche Geschichte: In allen Vögeln war DDT zusammen mit seinem ebenfalls schädlichen Abbauprodukt DDE nachweisbar; in den meisten Fällen fand man auch PCB. Bei der weißschwänzigen Gabelweihe, die sich hauptsächlich von Wühlmäusen ernährt, sah die Sache schon etwas besser aus, aber erst in den Eiern des Adilie-Pinguins, der auf Cape Crozier in der Antarktis gefangen wurde, ließ sich kein PCB mehr nachweisen. Diese Tatsache sollte uns aber nicht allzu optimistisch stimmen. Wenn wir kein PCB im Körperfett von antarktischen Lebewesen finden, so sollten wir daraus nicht den Schluß ziehen, daß PCB noch nicht bis dorthin vorgedrungen ist. Risebrough vermutet, daß PCB vor allem auf dem Luftweg auf sehr abgelegene Plätze gelangt. Dabei wird es in gewissem Maße durch das ultraviolette Licht gespalten. Die ungewöhnlich hohe Konzentration in der San Francisco Bay, in der San Diego Bay und im Puget Sound ist wahrschein-Ilich nur damit zu erklären, daß PCB direkt mit Industrieabfall ins Wasser gelangt.
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Seine Ergebnisse faßt er wie folgt zusammen:
»Der Nachweis von PCB auch in Landvögeln und Frischwasserfischen zeigt, daß sich diese Verbindung bereits im gesamten Ökosystem von Nordamerika ausgebreitet hat. Wanderfalken können deshalb mit PCB wie auch mit anderen Organochloridverbindungen — wobei vor allem DDT gemeint ist — eigentlich auf der ganzen Erde in Berührung kommen. Soviel zum Wanderfalken, einem Vogel, der zu allen Zeiten verehrt und geschont wurde. Der Naturkundler G. Thayer schrieb über ihn, er sei die Verkörperung eines edlen Raubvogels in Einsamkeit und Freiheit. Es ist nicht ohne Ironie, daß ausgerechnet der Falke die erste Vogelart ist, die durch eine weltweite Vergiftung ausgerottet wird.«
Inzwischen haben Wissenschaftler gelernt, was von Verbindungen wie PCB zu erwarten ist. Und gewiß ist der Falke nicht als einziges Tier davon betroffen. 1967 zeigte D. Peakall, ein Ökologe der Cornell-Universität und Mitarbeiter von Risebrough, daß DDT und Dieldrin die Produktion der mit der Fortpflanzung eng verknüpften Sexualhormone Progesteron und Testosteron beeinflussen. Diese Arbeiten wurden auch auf PCB ausgedehnt. Es stellte sich heraus, daß PCB solche Regulatorverbindungen fünfmal stärker beeinflußt als DDT. Von DDE wissen wir, daß bereits 40 ppm ausreichen, um einen eindeutigen Effekt zu erzielen. Wie gefährlich PCB ist, zeigt die Tatsache, daß armselige 8 ppm ausreichen, um die gleiche Wirkung festzustellen. Beide Verbindungen können die Fortpflanzung unterbinden, ohne daß sich akut toxische Symptome zeigen.
Man beachte besonders die Zahl 40 ppm; es gibt bereits Menschen, die solche DDT-Mengen im Körper gespeichert haben. Wie hoch die PCB-Konzentration normalerweise im Menschen ist, wurde bislang noch nicht untersucht.
Zusammenfassend kann man feststellen, daß PCB sicher eine Gefahr für Tiere und möglicherweise auch für den Menschen darstellt. Wahrscheinlich haben wir hier wieder einmal das erste Kapitel in einer jener düsteren Fortsetzungsgeschichten aufgeschlagen, die mit Beschwichtigungen und Dementis beginnen und mit der Installierung einer Kontrollinstanz enden, nachdem bereits unendliches, im Grunde vermeidbares Leid geschehen ist.
Was dem Laien auf diesem Gebiet ganz besonders auffallen muß, ist die naive Versicherung, die - nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch von vielen Experten - abgegeben wird, daß Substanzen, die uns nicht sofort unter die Erde bringen, auch nicht schädlich sein können.
Normalerweise wird die Toxizität einer Verbindung festgestellt, indem man sie in wachsenden Mengen an Ratten verfüttert, bis sie schließlich sterben. Was der Mensch vertragen soll, errechnet sich dann als Bruchteil dessen, was die Ratte umbringt, multipliziert mit dem Vielfachen des menschlichen Körpergewichts. Es werden keine Untersuchungen über Einflüsse auf die Fortpflanzung oder auf die Gesundheit der Nachkommen angestellt. Es wird keine Analyse von möglichen Chromosomenbrüchen oder anderen genetischen Schäden durchgeführt. Die Möglichkeit einer verminderten Resistenz gegen Infektionen wird gar nicht erst in Betracht gezogen; daß Substanzen erst nach langer Zeit wirken oder nur sehr langsam abgebaut werden, wird ebenfalls nicht beachtet. Ein Beispiel möge genügen: Natriumglutamat, die Ursache des sogenannten Chinarestaurant-Syndroms, ist ein weitverbreiteter Zusatz für Babynahrung — Sie mögen es glauben oder nicht.
Ich habe bereits die Gründe aufgezeigt, die die unliebsamen Nebenwirkungen von DDT so lange verschleierten. Im kommenden Jahr werden Chemiker zahllose Substanzen herstellen. Viele werden eine potentielle Gefahr allerersten Ranges sein, so nützlich sie auch — ebenso wie DDT — in vieler Hinsicht sein mögen. Das völlige Verbot ist nur einige Grade weniger töricht als die uneingeschränkte Verwendung. Ist es denn ganz und gar unmöglich, einen vernünftigen Mittelweg zu finden?
Schließlich gibt es noch eine Substanzgruppe, deren Gefährlichkeit uns kaum bewußt ist und die in nicht allzu ferner Zukunft Menschen töten wird, sofern das nicht heute schon tagtäglich geschieht. Es handelt sich um Metalle wie Blei, Quecksilber und Kadmium. Quecksilber hat in Schweden bereits gewisse Beachtung gefunden, aber Blei und Cadmium befinden sich noch in einer Phase, wo sich die Verantwortlichen in den Gesundheitsministerien weigern, hierin überhaupt ein Problem zu sehen.
Warten wir ab, ob diese Zuversicht gerechtfertigt ist.
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Das Selbstmordprogramm (1970) The Doomsdaybook: Can the world survive? Zukunft oder Untergang der Menschheit - Von Gordon Ratray Taylor