7. Bitte nur ausatmen! (Taylor-1970)
Blei bedroht uns — Unser täglich Blei — Das tödlichste Metall — Ein kurzes, aber fröhliches Leben
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Im letzten Jahrhundert verwendeten die Hutmacher zur Herstellung von Biberfellmützen eine Substanz, die Quecksilber enthielt. Durch den hohen Dampfdruck dieser Verbindung atmeten sie erhebliche Mengen ein, was zu Quecksilbervergiftungen führte, die von Zuständen geistiger Verwirrung begleitet sind. Ein Toxikologe beschrieb diesen Vorgang so:
»Die psychischen Störungen sind durch folgende Symptome charakterisiert: Befangenheit, Schüchternheit, grundlose Verlegenheit, Angstzustände, Unentschlossenheit, mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Depressionen und Mutlosigkeit, schlechte Laune, erhöhte Reizbarkeit und Nervosität; Quecksilber hat also stark persönlichkeitsverändernde Wirkungen. Kopfweh, Müdigkeit, Schwächeanfälle, Schläfrigkeit sind häufig anzutreffen; außerdem wurde Schlaflosigkeit beobachtet. In fortgeschrittenen Stadien kommt es zu Halluzinationen, Gedächtnisschwund und schließlich zum geistigen Zerfall.«
Eigentlich reicht das schon, doch gibt es auch noch Dinge wie undeutliche Aussprache, Hemmungen, einen Satz zu beginnen, und Schwierigkeiten mit der Artikulation, während die Hände zittern und die Handschrift sich verändert. Schweißausbrüche, grundloses Erröten, Entzündungen des Zahnfleisches, Zahnausfall und Durchfall runden dieses bestrickende Krankheitsbild ab.
Das ist der Grund, warum Hutmacher sprichwörtlich verrückt sind und warum bei Alice's Teaparty (Alice im Wunderland) ein närrischer Hutmacher erscheint. Für Hutmacher und Bergleute in den Quecksilberminen war das alles andere als lustig. Von diesem <grausamsten aller Gifte> gibt es sehr anschauliche Zeugnisse aus dem achtzehnten Jahrhundert.
Vom Menschen wird Quecksilber schnell durch die Schleimhäute, etwa der Mundhöhle oder des Magens, aufgenommen, doch auch die unverletzte Haut passiert Quecksilber ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Studenten, die Quecksilber in chemischen Experimenten ohne die gebotene Vorsicht verwenden, können Vergiftungen allein von den Dämpfen davontragen. Wenn ich mich erinnere, wie stolz ich als Schuljunge auf eine kleine Flasche voll Quecksilber war und wie ich eines Tages den Inhalt in mein Eßgeschirr ausleerte, läuft es mir kalt den Rücken herunter.
Heute ist Quecksilber nicht mehr allein eine Gefahr für den Industriearbeiter. Quecksilber ist nahezu überall in großem Umfang zu finden, und man kann bereits von einer globalen Vergiftung sprechen.
1967 entdeckte man, daß Quecksilber in eine weit giftigere Form, nämlich Methylquecksilber, von noch nicht näher untersuchten Bakterien umgewandelt wird. Die Bakterien leben in sauerstoffarmer Umgebung, also im Schlamm von Seen und Meeren und ganz allgemein überall dort, wo sich organisches Material zersetzt und jene Methylgruppierung liefert, die aus Quecksilber eine weitaus gefährlichere Substanz macht. Tierexperimente zeigen, daß sich Methylquecksilber hundertmal stärker anreichert als Quecksilberchlorid, wobei sich 10 Prozent im Gehirn ablagern.
Quecksilber findet in immer stärkerem Maße in der Industrie Verwendung, und zwar als Katalysator bei der Vinylchloridsynthese, in der Papierindustrie, als Elektrodenmaterial bei der Herstellung von Soda, in Wäschereien in Form von Quecksilberphenylacetat, um das Pilzwachstum zu hemmen und so weiter. Auch wird es beim Saatgut als Mittel gegen Pilzbefall benutzt.
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Niemand hat sich darüber aufgeregt, bis vor etwa zehn Jahren japanische Fischer, die an der riesigen, fast völlig abgeschlossenen Minimata-Bucht auf der Insel Kiuschu lebten, den starren, verengten Blick und andere Anzeichen von Nervenschäden zeigten, wie ich sie bereits beschrieben habe. Zuerst waren die Ärzte sehr verwirrt, vor allem als sie feststellten, daß hier die Katzen genau die gleichen Symptome hatten. Schließlich entdeckte man, daß der dort gefangene Schellfisch, wie auch viele andere Fischarten, einen unglaublich hohen Quecksilbergehalt aufwiesen. Heute ist das Fischen in dieser Bucht verboten, aber dieses Verbot kam für viele Fischer zu spät — sie blieben Krüppel oder starben an den Folgen der Quecksilbervergiftung. Das Quecksilber stammte von einer nahe gelegenen Fabrik, die Vinylchlorid herstellt und erst kürzlich ihre Produktion erhöhte. Der größte Teil des Quecksilbers lag in metallischer Form vor, daneben konnten auch geringe Mengen an Methylquecksilber nachgewiesen werden, das vor allem von Kleinlebewesen des Meeres aufgenommen wurde. Da diese Kleinlebewesen von Fischen gefressen wurden, reicherte sich das Quecksilber weiter an.
1965 ereignete sich ein nahezu identischer Unfall in Niigata am Agana-Fluß. Durch die Erfahrungen des Minimata-Unglücks konnte man die Ursache schnell ermitteln. Die japanischen Behörden haben nun in zwei weiteren Flüssen das Fischen verboten. Außerdem veranlaßten sie ausgedehnte Kontrollen bei Fabriken, die Quecksilber verwenden — davon gibt es nicht weniger als 194.
1967 wurden sie erneut aufgeschreckt, als man im japanischen Reis 0,1 ppm Quecksilber feststellte. Daraufhin wurde den Bauern in ganz Japan die Verwendung von quecksilberorganischen Verbindungen untersagt.
Vor nicht allzu langer Zeit fand man Schellfische, die in der Galveston Bay in Texas gefangen wurden, voller Quecksilber. Ursache waren auch hier Industrieabfälle, doch wurden diesmal die nötigen Vorsichtsmaßregeln rasch getroffen.
Wir wollen uns nun Schweden zuwenden, wo Methylquecksilber seit 1940 zur Imprägnierung von Saatgut verwendet wird. In den fünfziger Jahren stellte man in toten Vögeln ungewöhnlich hohe Quecksilberkonzentrationen fest. Zu Beginn der sechziger Jahre schließlich konnte man mit gutem Grund annehmen, daß körnerfressende Vögel und auch einige Raubvögel an Quecksilbervergiftung zugrunde gegangen waren.
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Das war jedenfalls die Meinung von Dr. A. Jernelöv, Leiter des schwedischen Labors in Stockholm, das sich mit den Problemen der Luft- und Wasserverschmutzung beschäftigt. Darüber hinaus fand man in schwedischen Eiern einen durchschnittlichen Quecksilbergehalt von 0,029 ppm, während nur 0,007 ppm in Eiern der sechs angrenzenden Staaten nachweisbar waren: das ist immerhin viermal soviel. Täglich zwei Eier dieser Art, und Ihre Quecksilberaufnahme liegt über dem als unbedenklich anzusehenden Level — das jedenfalls vermutet die Weltgesundheitsbehörde.
Quecksilber gelangt offenbar mit dem Futter in die Henne; die Behandlung des Saatguts hat ausgereicht, um derartige Quecksilberkonzentrationen zu erzeugen. Die für den Menschen relevante Nahrungskette lautet also: Futter, Hühner, Eier, Mensch. Eine Analyse der Federn ausgestopfter Museumsvögel ergab, daß Vögel, die zwischen 1820 und 1940 gestorben waren, nur sehr niedrige Quecksilberkonzentrationen zeigten,- in den fünfziger Jahren nahmen diese Mengen rapide zu. Etwas anders lagen die Verhältnisse bei Vögeln, die sich mehr von Fischen als von Körnern ernähren. In diesen Vögeln konnte man bereits ab 1890 eine Zunahme des Quecksilbergehalts feststellen, und zwar enthielten sie Quecksilber fast ausschließlich in Form von Quecksilbermethyl. Noch wichtiger ist vielleicht, daß — nachdem man 1966 in Schweden die Imprägnierung von Saatgut mit Quecksilberverbindungen verboten hatte — auch der Quecksilbergehalt in den körnerfressenden Vogelarten abnahm, während bei Seevögeln keine Unterschiede festzustellen waren.
Hier lieferten die Abfälle von Papiermühlen und Chlorfabriken das nötige Quecksilber. Schwedische Fische enthalten bis zu 101 ppm, was man als eine letale Dosis ansehen muß, die immerhin um das Fünfzigfache über dem sogenannten Normalwert liegt. Schweden war gezwungen, den Verkauf von Fischen aus all den Seen zu verbieten, wo man einen Quecksilbergehalt von mehr als 1 ppm feststellte. Außerdem wurde empfohlen, Fische, die weniger als 1 ppm, aber mehr als 0,2 ppm enthalten, nicht mehr als einmal pro Woche zu essen. Meine schwedischen Freunde rieten mir ganz unverblümt: »Bist du in Schweden, iß keinen Fisch.« Sie fügten hinzu, daß sich die Sache bei 0,5 ppm eingependelt habe.
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Es ist nun einmal eine Tatsache, daß Fisch in Schweden zu den Hauptnahrungsmitteln zählt, und man kann sich vorstellen, unter welchem Druck die Behörden standen, als sie Fische mit höherem Quecksilbergehalt <zum zeitweiligen Verzehr> freigaben. In jedem Fall muß man diese Grenze als eine Verlegenheitslösung ansehen — weitere Untersuchungen sind im Gange. Inzwischen ergab sich, daß nicht nur die Seen, sondern auch die Küstengewässer des Baltikums in gefährlicher Weise mit Quecksilber verseucht sind.
Schweden hat einen immensen Verbrauch an Quecksilber — stolze 20 Kilogramm pro Person und Jahr. Nur Finnland und Norwegen sind ähnlich starke Quecksilberkonsumenten. Das Rennen macht aber wahrscheinlich Japan mit seinen 1600 Tonnen pro Jahr, wogegen die 400 Tonnen Amerikas und die englischen 20 Tonnen sich fast ärmlich ausnehmen. Was dieses Quecksilber in den Meeren anstellt, ahnt niemand. Es gibt zur Zeit nirgends eine organisierte Überwachung des Quecksilberspiegels.
Die Sache ist besonders problematisch, da man bislang nicht weiß, welche Dosis als tolerabel anzusehen ist. Bis jetzt basieren die offiziellen Festlegungen einfach auf der Beobachtung, ob jemand davon krank wird oder nicht. Doch ist inzwischen bekannt, daß Quecksilbermethyl auch die Plazentarschranke von Säugetieren durchbrechen kann. Im Zusammenhang mit der Minimata-Tragödie wurden neunzehn Kinder mit angeborenen Quecksilbervergiftungen zur Welt gebracht, ohne daß man bei den Müttern irgendeine Schädigung hätte feststellen können.
Bei Kaninchen bewirken vergleichbare Dosen, daß der Fötus resorbiert oder tot geboren wird. Bei Mäusen kann man mit Sicherheit sagen, daß es unterhalb der tödlichen Dosis bei beiden Geschlechtern Sterilität hervorruft. Quecksilber kann aber auch Chromosomenanomalien bewirken. Mit Sicherheit nachgewiesen ist das bei Lymphocyten, einer Zellsorte, die den Körper gegen Infektionen schützt. Anzumerken wäre noch, daß in Minimata viele an Sekundärinfektionen starben. Das wirft natürlich die Frage nach möglichen genetischen Effekten auf, aber dieses Problem ist beim Menschen noch nicht näher untersucht worden; bei Pflanzen und Fliegen wurden solche Wirkungen bereits beobachtet.
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Tatsächlich läßt sich für solche Substanzen keine ungefährliche Dosis festlegen. Quecksilber scheint Einzelzellen zu zerstören, wobei die Reserven des Körpers aufgebraucht werden, ohne daß man davon sofort etwas merkt. So kann es möglicherweise ein früheres Einsetzen von Senilität, Verminderung der Intelligenz oder eine Verkürzung des Lebens bewirken. Das Fehlen von sichtbaren Symptomen ist kein Grund, die ganze Sache zu verniedlichen.
Neben den möglichen Wirkungen auf den Menschen darf man Schäden bei Tieren nicht aus dem Auge verlieren, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie für uns Nahrungsquellen sind oder nicht.
Der Vogelbestand in Schweden wurde von der allgemeinen Quecksilberverseuchung ernsthaft gefährdet. Da sich Quecksilber in Haaren und Federn stark anreichert und auch zusammen mit Haaren und Federn aus dem Körper ausgeschieden wird, sind Tiere mit wenig Haaren, wie das Schwein oder der Mensch, davon stärker betroffen.
Der dänische Wissenschaftler S. Tejning konnte zeigen, daß in den Blutkörperchen von willkürlich ausgewählten Kindern 28 Prozent mehr Quecksilber nachweisbar war als bei ihren Müttern. Allein diese Tatsache legt nahe, die obere Grenze der Quecksilberkonzentration in Fischen auf 0,2 ppm herabzusetzen.
Auch aus dieser Sicht ist in England die Toleranzgrenze für Quecksilber mit 0,1 ppm sicherlich sehr hoch, vor allem wenn man berücksichtigt, daß sie doppelt so hoch liegt wie der von der Weltgesundheitsbehörde empfohlene Grenzwert; außerdem liegt er um den Faktor drei über dem Grenzwert der Benelux-Länder. Vielleicht sollten sich England, Amerika und noch viele Staaten überlegen, ob sie nicht dem Beispiel Schwedens, Deutschlands und Japans folgen wollen, die eine Verwendung von Quecksilberverbindungen in der Landwirtschaft bereits verboten haben. Während ich das niederschreibe, erfahre ich, daß man im Staate Montana (USA) den Sportschützen empfohlen hat, ihre Beute möglichst nicht zu verzehren. Rebhühner und Fasane enthalten zu viel Quecksilber.
Die Quecksilberstory illustriert erneut die Trägheit der verantwortlichen Behörden, die Fakten rechtzeitig zur Kenntnis zu nehmen.
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Als von Leuten der Überwachungsbehörde erstmals behauptet wurde, die Imprägnierung von Saatgut mit Quecksilber vergifte die körnerfressenden Vögel und Raubvögel, ignorierten Industrie und auch die Landwirtschaftsexperten diese Behauptung. Sie wiesen darauf hin, daß ein Verzicht auf Imprägnierung unweigerlich zu schlechten Ernten führen würde. So war jedenfalls die Situation in den fünfziger Jahren. Im Jahre 1965 wurde die zur Imprägnierung von Saatgut erlaubte Menge an Quecksilber halbiert, und als weitere Einschränkung durfte nur noch bereits infiziertes Saatgut auf diese Weise behandelt werden. Keinerlei Abnahme der Ernteerträge folgte diesen Maßnahmen. Im selben Jahr wurde auf einer wissenschaftlichen Konferenz festgestellt, daß eine drastische Verringerung des Vogelbestands bereits zu beobachten sei.
Immer wenn die Diskussion um den Quecksilbergehalt der schwedischen Eier wieder aufflammte, wurde erneut von offizieller Seite behauptet, daß die Mengen toxologisch irrelevant seien und daß sie im übrigen aus dem natürlichen Quecksilbergehalt des schwedischen Gesteins stamme und nichts mit der Saatimprägnierung zu tun habe.
Ähnlich lagen die Dinge, als man Quecksilbermethyl in Fischen nachwies. Die schwedische Fischindustrie einigte sich auf die Formel, daß von keinem Beispiel berichtet werden könne, wo Menschen durch den Quecksilbergehalt der Fische zu Schaden gekommen seien. Schließlich stellte sich heraus, daß die Festsetzung der Höchstgrenze auf 1,0 ppm durch das Gesundheitsministerium auf einem Mißverständnis beruhte. Als man sich mit den Unterlagen der japanischen Katastrophe beschäftigte, wurde die Tatsache übersehen, daß sich diese Zahlen auf ein Kilogramm Trockengewicht bezogen, das heißt, nachdem man das Wasser vollständig aus dem Gewebe entfernt hatte. Den schwedischen Berechnungen lagen jedoch die Daten für Feuchtgewichte zugrunde. Hätte man das berücksichtigt, dann wäre man auf Werte zwischen 0,2 und 0,4, anstatt auf 1,0 ppm gekommen. Nachdem das bekannt wurde, behauptete das Gesundheitsministerium, seine Empfehlung basiere auf dem Bericht eines Mannes, der sich sehr wohl fühle, obwohl er über längere Zeit täglich ein Milligramm Quecksilber gegessen habe.
Ich bin ziemlich sicher, daß man nicht umhinkommt, Quecksilber auf irgendeine Weise zu kontrollieren. Ob wir dabei allerdings zu vorindustriellen Maßstäben von Reinheit gelangen werden, ist eine andere Frage. Daneben gibt es aber noch ein anderes Metall von vergleichbarer Gefährlichkeit, das allerdings noch nicht in dem Maße ins Bewußtsein der Bevölkerung gedrungen ist. Auch sind die Probleme der Kontrolle wesentlich größer: ich meine Blei.
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Die amerikanische Bevölkerung spaziert immerhin mit 20 Tonnen Blei in ihren Körpern herum, wobei Blei von irgendwelcher Munition nicht berücksichtigt ist. Blei ist weitaus gefährlicher, als man sich gemeinhin vorstellt. Vögel, die von einem Jäger angeschossen wurden, sterben an Bleivergiftung. Sümpfe, in denen jahrelang gejagt wurde, enthalten so viel Blei in Form von Schrotkugeln, daß junge Enten, die hier ausgebrütet werden, an Bleivergiftung eingehen. Tatsächlich kennt man Fälle, wo Menschen nach dem Genuß von geschossenem Geflügel eine einzige Schrotkugel längere Zeit im Blinddarm hatten und Symptome von Bleivergiftung zeigten. Einige Fachleute vermuten sogar, daß Bleivergiftungen die Ursache des Untergangs von Rom waren, da die Römer ihre kupfernen Weingefäße innen mit Blei auskleideten und Bleirohre verwendeten.
In den letzten Jahren stieg die Bleiproduktion auf nahezu vier Millionen Tonnen pro Jahr, das sind immerhin vierzigmal soviel wie in vorindustrieller Zeit. Nicht das Blei, das die Industrie oder das Baugewerbe benötigt, ist jedoch die große Gefahr für den Menschen. Es ist das Blei, das von den Autos in die Luft geblasen wird, und zwar genau seit 1923, wo man dem Benzin Bleitetraäthyl als Antiklopfmittel zusetzte. Luftproben in abgelegenen Teilen des Pazifiks zeigen nur Spuren von Blei, während über den großen Städten der Bleigehalt der Luft zehntausendmal höher ist. Außerdem steigt und fällt die Bleikonzentration zweimal täglich im Rhythmus des Verkehrs. Professor Clair Patterson vom <California Institute of Technology> stellt lapidar fest, daß es sich um eine starke, weltweite Verunreinigung unserer Umgebung mit Blei handelt.
Die Gesundheitsbehörden behaupten allerdings, es bestehe keine unmittelbare Gefahr.
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Das amerikanische Ministerium für Gesundheit, Erziehung und Wohlfahrt erklärte, daß sich die gegenwärtige Belastung des Körpers mit Blei innerhalb der für Menschen vertretbaren Grenzen bewege; man könne diese Konzentrationen bezüglich einer Gefährdung der Gesundheit als nicht signifikant ansehen. Ärzte und lokale Gesundheitsbehörden haben schon oft ähnliche Versicherungen abgegeben. Im Gegenteil ist es eine gesicherte Tatsache, daß schon heute eine große Anzahl von Leuten an Bleivergiftungen leiden und daß dieses Problem noch vor Ende dieses Jahrhunderts zu einem tödlichen werden kann.
Die Selbstgefälligkeit der Gesundheitsbehörden beruht weitgehend darauf, daß sie eigentlich nur Erfahrung mit der klassischen Bleivergiftung< haben, wie sie bei Arbeitern besonderer Industriezweige auftritt. Man nennt sie <klassisch>, da sie bereits im 16. Jahrhundert von Paracelsus bei Bleiminenarbeitern beobachtet wurde. Weitere Studien in diesem Zusammenhang führten Ärzte zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch.
Die frühen Symptome der Bleivergiftung sind Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Verstopfung. Die Zahl der roten Blutkörperchen nimmt ab, und bald danach sind Anzeichen von Anämie feststellbar, die mit Koliken und Nervenentzündungen einhergehen. Darauf folgen allgemeine Schwächezustände und Gewichtsverlust. Gewöhnlich ist das Opfer zu dieser Zeit bereits in ärztlicher Behandlung. Wenn der Kontakt mit Blei weiter besteht oder wenn der kurze Kontakt sehr intensiv war, stellen sich auch psychische Symptome ein. In diesen Fällen hat Blei die Schranke bereits durchbrochen, die das Gehirn vor Vergiftungen des Bluts schützen soll. Die Hände zittern, geistige Verwirrungszustände, Erregungszustände und Halluzinationen des Patienten folgen. Sein Gehör läßt nach, und Gegenstände werden doppelt gesehen; seine Aussprache wird undeutlich. Bei Kindern führen solche Vergiftungen zu dauernden geistigen Entwicklungsstörungen.
Nach allgemein akzeptierten Daten werden 90 Prozent des Bleis, das man mit der Nahrung aufnimmt, wieder ausgeschieden,- ro Prozent werden danach im Gewebe und in den Knochen gespeichert. Die Konzentration im Blut zeigt an, welcher Anteil aus dem Gewebe
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wieder ausgeschwemmt wird. Nach orthodoxen Vorstellungen ist der Körper so gut organisiert, um mit einem kurzen Anstieg der Bleikonzentration fertig zu werden, und zwar auch dann, wenn dieser Anstieg sehr hoch ist. Nach dieser Meinung steigt die Ausscheidungsrate einfach an, und nur wenig Blei bleibt im Organismus zurück. Die Bleikonzentration im Urin ist nur ein sehr schwacher Hinweis für das Ausmaß der Vergiftung, da die Ausscheidungsraten sehr verschieden sein können. Andere Symptome wie morphologische Veränderungen der Blutzellen führen auch nicht weiter: das beste Maß ist der Bleigehalt des Bluts selbst.
Die Bleikonzentration im Blut, die zu ersten Symptomen führt, wird von einigen Experten bei 0,5 ppm angesetzt; andere meinen, man könne sogar bis auf 0,8 ppm gehen. Ausgehend von dieser Annahme scheint der Sicherheitslevel ungewöhnlich hoch zu liegen. Es wird als völlig normal angesehen, wenn die Bleikonzentration im Blut 0,25 ppm beträgt. Eine statistische Erhebung unter gesunden Personen in den USA zeigte, daß die Bevölkerung zwischen 0,05 und 0,4 ppm Blei im Blut hat. Bei Schädlingsbekämpfungsmitteln verfährt man meist so, daß ein Zehntel der gefährlichen Konzentration zur zulässigen Konzentration erklärt wird. Dieser Spielraum soll eine Gefährdung von besonders empfindlichen Personen, schwangeren Frauen und Kindern ausschließen. Er soll außerdem lokalen Unterschieden wie etwa hoher Bleigehalt des Bodens und des Trinkwassers Rechnung tragen. Die tolerierte Bleikonzentration, die nur halb so hoch ist wie die gesundheitsschädliche, bildet schon in dieser Hinsicht eine Ausnahme, und viele Menschen in den Vereinigten Staaten liegen zweifelsohne über diesem sogenannten Sicherheitslevel. Mit gutem Grund sind sie jedoch sehr beunruhigt, wenn ihre Umwelt in zunehmendem Maße mit Blei verseucht wird. Im Augenblick will ich nichts über die Gefährdung von Kindern sagen. Die Verhältnisse in England sind ähnlich.
Nun ist es andererseits auch so, daß verschiedene Nahrungsmittel und auch das Trinkwasser erhebliche Schwankungen des Bleigehalts aufweisen. Eine englische Untersuchung zeigte, daß der Bleigehalt von Lattich zwischen 0,3 und der stolzen Menge von 50 ppm schwankt. Bei Kartoffeln liegen die Werte zwischen 0,2 und 17 ppm
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und bei Karotten zwischen 0,2 und 11 ppm. In British Columbia wurden ähnliche Unterschiede beobachtet. Im Durchschnitt lagen die Bleikonzentrationen bei 2,7 ppm. Das britische Landwirtschaftsministerium nimmt indessen an, daß unsere Nahrungsmittel im Durchschnitt nicht mehr als 0,5 ppm enthalten. Auf diese Weise würde man beim Verzehr von etwa einem Kilogramm Gemüse nicht mehr als 0,5 Milligramm Blei zu sich nehmen. Das Ministerium zog diese Untersuchung aber schnell wieder zurück, da aus ihr hervorging, daß die Aufnahme doppelt so hoch war, als man ursprünglich angenommen hatte.
Ganz ähnlich liegen in England die Verhältnisse beim Trinkwasser, wo 0,1 ppm Blei toleriert werden. Ein Bericht aus dem Jahre 1967 zeigte, daß die meisten (nicht alle) Wasserquellen unter dieser Grenze lagen — in einigen Fällen allerdings nur sehr knapp darunter. Nachdem Wasser allerdings 16 Stunden in Bleirohren stand, stieg der Gehalt auf 0,3 ppm. Auf diese Weise kann jeder, der nur einmal am Tag Trinkwasser aus der Leitung zapft oder ein oder zwei Tage nicht zu Hause war, eine wesentlich höhere Bleimenge zu sich nehmen. Das alles läßt nicht gerade auf eine besonders sorgfältige Kontrolle schließen; vor allem hätte man diese Konzentrationsbestimmungen schon vor hundert Jahren machen können.
Tatsache ist, daß auch die vorhandenen Bezugswerte nicht sehr aussagekräftig sind. Sie basieren auf Erfahrungen mit kleinen Dosen, die während langer Zeiträume mit der Nahrung und dem Trinkwasser einverleibt wurden, oder auf Fällen, wo in den entsprechenden Industriezweigen große Mengen durch die Lunge aufgenommen wurden. Heute interessiert uns aber der Fall, wo über viele Jahre hinweg kleine Mengen durch die Lungen eingeatmet werden.
Darüber hinaus ist das Blei, das wir heute einatmen, von ganz besonderer Art: Es handelt sich um Bleitetraäthyl, das zusammen mit den Abgasen der Autos in die Atmosphäre gelangt. Es ist schon lange bekannt, daß die Resorptionsgeschwindigkeit bei verschiedenen Bleiverbindungen außerordentlich stark schwankt. So werden etwa Oxyde und Chloride im Körper leichter resorbiert als Chromate und Sulfide. Nichts war jedoch bekannt über die organischen Bleiverbindungen, und um eine solche Verbindung handelt es sich bei Bleitetraäthyl.
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Bevor man allerdings die große Gefährlichkeit von Bleitetraäthyl erkannte, wurde das traurige Bild durch eine andere Entdeckung jäh zerstört.
In den frühen sechziger Jahren veröffentlichte Dr. H. Schroeder von der Dartmouth Medical School die ersten Ergebnisse einer größeren Serie, die Düsteres vermuten ließ. Er hielt Ratten in Käfigen, die nur mit sorgfältig gereinigter Luft versorgt wurden. Sein Labor stand auf einem 600 Meter hohen Hügel, der etwa zwei Kilometer von der nächsten Autostraße entfernt war. Die Luft wurde aus einem nahe gelegenen Wald angesaugt, wobei Staub elektrostatisch abgeschieden wurde. Jeder Nagelkopf wurde verkleidet, und das Laborpersonal mußte neben anderen Vorsichtsmaßnahmen sogar die Schuhe ausziehen. Dann erst mischte er der Atemluft Spuren von ganz bestimmten Verbindungen wie etwa Blei bei, die als Verunreinigung der Luft in Frage kamen.
In allen Käfigen, und zwar unabhängig vom Alter der Ratten, fand er überdurchschnittlich viel tote Ratten; sie starben bereits in den ersten Wochen. Bei allen Ratten, die jedoch die ersten drei Monate überlebt hatten, hatte sich die Lebenserwartung um 200 bis 250 Tage verkürzt. Die Ratten mit dem höchsten Bleigehalt im Gewebe starben auch am frühesten. Da Ratten normalerweise etwa drei Jahre alt werden, bedeutet das eine Verkürzung der Lebenserwartung um ein Viertel. Für den Menschen hieße das 17 Jahre früher sterben. Die Analyse der Bleikonzentration in den toten Tieren ergab, daß sie durchaus gleich oder nur geringfügig höher lagen als normalerweise beim erwachsenen Menschen. Man konnte unter diesen Bedingungen wedex Anzeichen einei Bleivergiftung noch eine Zunahme der Tumorhäufigkeit feststellen.
Die Konsequenz dieser Untersuchungen war natürlich, daß die Festlegungen von Sicherheitsgrenzen völlig unbrauchbar sind, wenn Konzentrationen zugrunde gelegt werden, bei denen bereits Bleivergiftungen feststellbar sind. Darüber hinaus legen diese Experimente den Schluß nahe, daß die Lebenserwartung des Menschen auf diese Weise herabgesetzt wird.
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Da die Amerikaner trotz ihrer guten ärztlichen Versorgung nur eine sehr mäßige Lebenserwartung haben — im Vergleich zu anderen Ländern stehen sie an zweiunddreißigster Stelle —, ist die Vermutung wohl nicht unerlaubt, daß die Sache etwas mit den hohen Bleikonzentrationen oder möglicherweise auch mit anderen Umweltgiften, denen sie laufend ausgesetzt sind, zu tun hat.
Diese außerordentlich wichtigen Untersuchungen, die in den folgenden Jahren mit verschiedenen Variationen durchgeführt wurden, fanden trotzdem nicht die gebührende Aufmerksamkeit. Immer noch wird behauptet, daß wir 90 Prozent unserer Bleibelastung mit der Nahrung aufnehmen. Den Gesundheitsbehörden genügte es, daß in den letzten dreißig Jahren keine signifikante Zunahme von Bleivergiftungen festzustellen war. Das Blei in der Atmosphäre kann man ihrer Meinung nach vernachlässigen.
2 Unser täglich Blei
Allmählich haben sich jedoch so viele Fakten angesammelt, daß eine solche Behauptung unhaltbar wird. Untersuchungen von Professor Eli Goldsmith, einem Biologen mit großer Erfahrung, der vor allem durch die Entdeckung von Chemikalien, die zur Sterilisierung von Insekten geeignet sind, bekannt wurde, zeigte, daß die Stadtbevölkerung einen wesentlich höheren Bleispiegel im Blut aufweist als die Menschen auf dem Lande. Automechaniker, die in Garagen arbeiten, Personal zur Überwachung von Tunnels oder Verkehrspolizisten hatten einen noch höheren Bleigehalt. In den kalifornischen Bergen stellte man bei Männern einen Bleigehalt von 0,12 und bei Frauen von 0,09 ppm fest; das war weniger als beim Durchschnitt der amerikanischen Landbevölkerung (0,10 bis 0,16 ppm). Die Bewohner des Stadtzentrums von Philadelphia hatten einen Bleispiegel von 0,24 beziehungsweise 0,13 ppm, während die Gesamtdurchschnittswerte der Stadtbevölkerung bei 0,21 und 0,16 liegen,- das ist doppelt soviel wie bei den Bergbewohnern. Polizisten und Arbeiter, die an besonders verkehrsreichen Plätzen arbeiten, hatten um 0,3 ppm, also dreimal soviel wie die Leute in den Bergen und doppelt soviel wie die übrigen Stadtbewohner.
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Solche Zahlen lassen die Behauptung als völlig unhaltbar erscheinen, daß 90 Prozent des Bleis im menschlichen Körper mit den Nahrungsmitteln aufgenommen werden und nur ein Zehntel aus der Atmosphäre stammt. Goldsmith zog aus diesen Zahlen den logischen Schluß, daß eine Erhöhung des Bleigehalts in der Atmosphäre über längere Zeit hinweg mit Sicherheit zu einer Anhebung des Bleilevels im Blut führen muß.
Eine andere Untersuchung von H. V. Thomas und seinen Kollegen zeigte, daß Leute, die nicht weiter als 100 Meter von einer Hauptverkehrsstraße entfernt lebten, Werte von 0,227 PPm hatten. Bei Leuten jedoch, die in derselben Stadt an der Küste wohnten, waren nur 0,16 ppm nachweisbar. Die entsprechenden Werte für Frauen lagen bei 0,167 und 0,099 ppm. Aus diesen Zahlen geht klar hervor, daß bei Anliegern dicht befahrener Straßen fast 50 Prozent mehr Blei nachweisbar ist als bei der untersuchten Kontrollgruppe. Bei Frauen ist der Bleigehalt nur zwei Drittel so hoch, was damit zusammenhängen mag, daß sie sich mehr zu Hause und in den Vorstädten aufhalten, während Männer in den Hauptverkehrszeiten dieser vergifteten Atmosphäre besonders stark ausgesetzt sind. Unterstützt werden diese Ergebnisse von Bleibestimmungen in Pflanzen, die am Stadtrand wachsen; sie sind schwer mit Blei beladen.
Erst kürzlich wurden Untersuchungsergebnisse bekannt, die die ganze Auseinandersetzung in einem neuen Licht erscheinen lassen. Man vermutet, daß Bleitetraäthyl, das wesentlich flüchtiger ist als viele andere Bleiverbindungen, vor allem im Fett angereichert wird (um es genau zu sagen, in den Lipiden) und hier wiederum vor allem im Gehirn und im Nervensystem, wo anorganische Bleiverbindungen sehr selten hingelangen.
Arbeiter erkrankten gefährlich, nachdem sie sich mehrere Stunden in einem Benzintank aufgehalten hatten, um den Bodensatz im Tank zu entfernen. Dieser Schlamm besteht immerhin zu einem Prozent aus Bleitetraäthyl. Die beobachteten Symptome waren akute geistige Verwirrung mit Delirium, begleitet von Tobsuchtsanfällen. Die Opfer erlebten Halluzinationen. Nach wenigen Tagen wurden sie von Krämpfen geschüttelt, sie wurden ohnmächtig und einige starben. Die weniger schweren Fälle litten an geistiger Verwirrung, Schlaflosigkeit, Brechreiz und Erregungszuständen. Manche hatten Leibschmerzen, Tobsuchtsanfälle und Delirium wechselten mit akuten Depressionen und Apathie.
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Interessant ist, daß bei vielen derartigen Fällen der Bleigehalt im Blut völlig normal war, während er sich bei anderen nur geringfügig erhöhte. Hier handelt es sich zweifellos um besonders schwere Fälle, die mit sehr hohen Konzentrationen in Berührung gekommen waren. Es ist klar, daß Personen, die weniger intensiven Kontakt mit Blei haben und die nur über Müdigkeit und Depressionen klagen, wahrscheinlich ebenfalls normale Blutwerte haben.
Anders als organische Bleiverbindungen dringt Bleitetraäthyl außerordentlich schnell in die Haut ein.
Es gibt Verbindungen, bekannt als Chelatbildner, die mit Metallatomen wie Blei Komplexe bilden und auf diese Weise die akute Bleikonzentration erniedrigen. Eine dieser Verbindungen ist EDTA. Derartige Verbindungen sind außerordentlich wirkungsvoll, um anorganische Bleiverbindungen zu eliminieren. Versuche, EDTA auch zur Bekämpfung von Vergiftungen mit Bleitetraäthyl zu verwenden, waren jedoch erfolglos. Möglicherweise hängt es auch damit zusammen, daß Bleiverbindungen, die einmal das Nervensystem erreicht haben, im Blut nicht mehr nachweisbar sind.
Einige wollten die Gefährlichkeit von Bleitetraäthyl immer noch nicht wahrhaben. Sie begründeten das damit, daß Partikeln von 0,02 Millimeter Durchmesser die Lunge gar nicht erreichen würden. Neuere Untersuchungen haben nun gezeigt, daß mehr als die Hälfte der Bleipartikeln, die aus den Abgasender Autos stammen, noch wesentlich kleiner sind; ihr Durchmesser ist 0,0003 Millimeter oder noch weniger.
Als Dr. Clair Patterson, ein Geophysiker am <Massachusetts Institute of Technology>, erklärte, daß die amerikanische Bevölkerung laufend einer »schweren, chronischen Bleiintoxikation« ausgesetzt und daß der gemeinhin angenommene <Sicherheitslevel> von 0,25 ppm mindestens um den Faktor zehn zu hoch angesetzt sei, wurde er von den Toxikologen hart kritisiert. Noch einmal wurden die alten Argumente wiedergekäut: Blei wird nur durch den Magen-Darm-Trakt aufgenommen, die Blutwerte seien völlig normal.
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Patterson führte weiter aus, daß man bei konsequenter Übertragung der Sicherheitsgrenzen für Insektizide und Nahrungsmittelzusätze auf Blei die gegenwärtigen Bleikonzentrationen in unserer Umwelt als toxisch ansehen müsse. Er behauptete, ohne um das eigentümliche Verhalten des Bleitetraäthyls zu wissen, bei Tieren Hirn- und Nervenschädigungen beobachtet zu haben, und zwar bei Konzentrationen, denen der Mensch heute täglich ausgesetzt ist.
Mueller von der Universität von Kalifornien stützte diese Ansicht durch Messungen der Partikelgröße. Er wies aber noch auf einen anderen sehr heiklen Punkt hin. Die >Sicherheitsgrenzen< basieren auf der Annahme, daß Blei mit der Nahrung und dem Trinkwasser in den Menschen gelange und daß Kinder, da sie kleiner sind und weniger essen und trinken, demnach viel weniger Blei aufnehmen. Dabei wird außer acht gelassen, daß Kinder einer bleiverseuchten Luft ausgesetzt sind, während sich ihr Gehirn noch in der Entwicklung befindet. Kinder sind in jedem Falle besonders gefährdet, denn wenn bei ihnen Blei bis ins Gehirn vordringt, sind dauernde Schäden und Störungen in der Entwicklung die Folge. 1958 sagte der Neurologe und Kinderarzt Dr. R. K. Byers auf einem Kongreß in Chicago, der unter der Schirmherrschaft der Bleiindustrie stand:
»Ursprünglich interessierte ich mich für Blei, da Kinder, die mit Bleivergiftungen bei uns eingeliefert wurden und die man als geheilt entließ, später fast alle wieder in der Neurologischen Klinik auftauchten. Irgendwie war ihr Verhalten gestört; oft waren sie in der Schule nicht besonders aufnahmefähig. Eines dieser Kinder zündete das Klassenzimmer an, in einem anderen Fall tanzte ein niedliches kleines Mädchen einfach um ihre Schulbank herum.«
Obgleich alle Kinder Anzeichen von Bleivergiftung zeigten, so konnte man doch bei keinem Gehirnentzündungen (Enzephalitis) feststellen. »Was mich an diesen Fällen besonders interessiert, ist die Tatsache, daß keines der Kinder mit zwei bis drei Jahren eine akute Erkrankung des Gehirns zeigte, mit sechs oder sieben Jahren aber konnte man eindeutig Hirnschäden nachweisen. Ich nehme an, daß Blei in die Entwicklung des Gehirns eingreift. Die Wirkung ist eine völlig andere als die auf das Gehirn eines erwachsenen Menschen. Ich halte es durchaus für möglich, daß irgendwelche Wechselwirkungen mit dem Enzymsystem des Gehirns stattfinden, und zwar genügen dazu winzige Mengen.«
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Wenn ich mich hier vor allem auf die unterschätzten Schäden durch Blei in der Atmosphäre konzentriere, so möchte ich damit natürlich nicht die Gefährlichkeit von Blei in Nahrung und Trinkwasser herunterspielen. Die eine Gefahr überlagert die andere.
Die Bleikonzentrationen in den Nahrungsmitteln sind in England mit 1,4 ppm höher als in den Vereinigten Staaten, wo dieser Wert bei 0,2 ppm liegt. Der größte Teil stammt aus Bleiarsenat, das in der Landwirtschaft als Schädlingsbekämpfungsmittel versprüht wird. Diese Verbindung ist heute weitgehend durch phantasievollere, aber keineswegs ungefährlichere Schädlingsbekämpfungsmittel ersetzt worden. In zunehmendem Maße werden heute Konserven verwendet. Ißt man pro Tag eine Dose, so nimmt man immerhin 0,3 Prozent des Bleis, das zum Verlöten der Dose gebraucht wird, auf. Diese Menge allein reicht aus, um unseren Bleispiegel im Blut zu erklären.
Klar scheint jedenfalls, daß jede Selbstgefälligkeit der Gesundheitsbehörden überflüssig ist.
Die Vernebelungstaktik jener, die Kritiker wie Dr. Patterson geringschätzig ansehen, besteht in ihrer Behauptung, daß der Bleigehalt im Blut eines modernen Menschen heute als <natürlich> anzusehen ist. Davon kann gar keine Rede sein. Der Bleigehalt im Blut der vorindustriellen Bevölkerung betrug ungefähr 0,0025 ppm. Bleimengen, die aus dem Boden stammen, machen also nur ein Hundertstel dessen aus, was wir heute im Blut haben. Aber die Millionen Tonnen von Blei, die jedes Jahr allein von den Autos der USA in die Luft geblasen werden, bleiben auf die Dauer nicht in der Atmosphäre; der größte Teil fällt auf den Boden und auf Pflanzen, wobei auch Früchte und Gemüse betroffen sind.
Dieser tödliche Staub stammt oftmals auch von Bleigießereien, die beispielsweise Batterien herstellen. Kinder, die Früchte von Bäumen aßen, die in der Nähe einer solchen Schmelzerei wuchsen, starben unter Krämpfen; in ihrem Blut konnte man 2,14 ppm Blei nachweisen. Je kleiner die Bleipartikeln sind, desto länger schweben sie in der Luft.
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1969 lief ein Forschungsschiff in San Diego aus, um, mit den nötigen Meßgeräten ausgerüstet, den Bleigehalt der Atmosphäre zu messen. Man achtete sehr sorgfältig darauf, daß nicht Bleimengen vom Schiff selbst diese Meßergebnisse verfälschten. Das Forschungsteam segelte zu den Midway-Inseln und nach Samoa, wobei es laufend Messungen vornahm. Die Wissenschaftler, drei Ozeanographen von der Universität von Kalifornien, fanden in der Nähe von San Diego in jedem Kubikmeter Luft zwischen 1,5 und 2,5 Milligramm Blei. Als sie weiterfuhren, nahm dieser Wert langsam, aber stetig ab, bis er in Samoa schließlich auf 0,0003 Milligramm pro Kubikmeter gesunken war. Mit anderen Worten, die Luft von San Diego enthält wenigstens 5000mal mehr Blei als die Luft in Samoa.
Auch glaubt man, daß der Unterschied zum Bleigehalt des letzten Jahrhunderts hundert-, wenn nicht tausendmal größer ist. Die Schlußfolgerungen sind schmerzlich, aber eindeutig. Von jeder Industriestadt breitet sich ein feiner Dunst von Blei langsam, aber stetig aus. Bereits heute gibt es keinen Fleck auf unserem Planeten, der von dieser Vergiftung völlig verschont wäre. Sogar im Schnee Grönlands findet man fünfhundertmal höhere Bleikonzentrationen als in vorindustrieller Zeit. Die Menschheit kann nicht hoffen, daß sich dieser Zustand wieder rückgängig machen läßt. Wir sollten aber endlich Schluß machen, die Luft weiter zu vergiften, und uns zur Aufgabe setzen, die Natur wenigstens teilweise zu entgiften. Wie lange das dauern würde? Darauf weiß niemand eine Antwort. In der nördlichen Hemisphäre sammeln sich jedes Jahr 430.000 Tonnen Blei als Sediment im Ozean an. Das ist vierzigmal mehr als in der Vergangenheit.
Bis jetzt habe ich nur über die unmittelbaren Gefahren für den Menschen gesprochen. Blei wird jedoch auch von Pflanzen aufgenommen, die Mensch und Tier als Nahrungsmittel dienen. Nahrungsmittel, die nur ein Zehntel des Bleigehalts des Bodens enthalten — das sind etwa 1 ppm —, müssen auf die Dauer zu einer klassischen Bleivergiftung führen. Pflanzen haben im Laufe der Evolution Mechanismen entwickelt, um die Aufnahme von Blei aus dem Boden zu begrenzen, aber sie sind nicht darauf eingerichtet, das Blei aus der Atmosphäre zu filtrieren, denn niemals vorher benötigten sie eine solche Vorrichtung.
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Es ist heute sehr wohl möglich, einen klopffesten Treibstoff ohne Bleitetraäthylzusatz herzustellen, aber das wäre vielleicht etwas teurer. Tatsächlich bot eine amerikanische Firma kürzlich eine solche Benzinsorte an, aber die Nachfrage war gleich Null. Außerdem entwickeln diese Benzinsorten mehr Verunreinigungen, die zu dem gefürchteten Smog beitragen.
Ende dieses Jahrhunderts wird die Zahl der Fahrzeuge in Amerika 150 Millionen erreichen — einige vermuten sogar 200 Millionen —, das wären doppelt so viele Autos wie heute. Die durchschnittlich zurückgelegte Kilometerzahl wird um 50 Prozent steigen. Der Benzinverbrauch wird um den Faktor drei zunehmen. Auch wenn die Einführung von elektrisch betriebenen Autos diesen Verbrauch beschränken mag, so wird doch die zunehmende Zahl an Motorbooten, Schneefahrzeugen und kleinen Flugzeugen das Gesamtergebnis eher höher treiben. Wir sollten darüber nachdenken, was passiert, wenn die Bleikonzentration unserer Umgebung dadurch um den Faktor 3 bis 4 zunimmt. Damit müssen wir jedenfalls rechnen, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Doch erst wenn sich die Zahl der klassischen Bleivergiftungen erhöht, wird man möglicherweise eingreifen.
Ich befürchte allerdings, daß lange bevor diese klassische Bleivergiftung zu beobaditen ist, verkürzte Lebenserwartung und Hirnschäden bei Kindern weit verbreitet sein werden. Bleivergiftungen im weiteren Sinne werden zu einer wichtigen epidemischen Erkrankung, und zwar nicht nur in den USA und in einigen hochindustrialisierten Ländern. Das Gift wird auch die weniger fortschrittlichem Nachbarn treffen.
Es gibt aber noch ein drittes Metall, das sicherlich nicht so weit verbreitet ist wie Blei, aber trotzdem Beachtung verdient wegen seiner Wirkung auf Fortpflanzung und Potenz. Nach Christensen und Olsen, zwei dänischen Forschern, die sich damit intensiv beschäftigt haben, ist es »giftiger als jedes andere Metall«. Es handelt sich hier um Cadmium.
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3 Das tödlichste Metall
Cadmium mit seinem silberähnlichen Glanz ist ein außerordentlich schön aussehendes Metall. Es wurde ursprünglich zur Auskleidung von Behältern verwendet, um ihnen eine glatte, nichtrostende Oberfläche zu geben. Zahlreiche Fälle von Vergiftungen wurden berichtet, als man das Metall zur Herstellung von Trinkbechern für Fruchtsäfte verwendete; die Fruchtsäuren lösten das Metall langsam auf. Als unmittelbare Wirkung sind Nierenschäden und Schäden des Zentralnervensystems zu verzeichnen. Es folgen anämische Zustände, und wenn die Dosen hoch genug sind, kommt es zum vollständigen Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit und der sexuellen Potenz. Injiziert man Tieren Cadmium nur ein einziges Mal, so kann man das Absterben der Zellen in den Hoden und eine Schädigung der Hodenkanälchen beobachten.
Eine weitere unangenehme Eigenschaft von Cadmium ist, daß es oft außerordentlich lange im Körper gespeichert wird, bis es unerwartet seine Wirkung zeigt. Schwedische Arbeiter, die in einer Akkumulatorenfabrik arbeiteten, zeigten plötzlich Symptome von Cadmiumvergiftung; die Vergiftung war so schwer, daß sie daran starben. Keiner von ihnen hatte in den letzten 3 bis 9 Jahren cadmium-haltiges Material verarbeitet. Wie dieses Metall sich so lange ohne sichtbare Wirkung im Körper halten kann, ist völlig unklar.
Wird Cadmium versehentlich gegessen, so verursacht es starken Brechreiz, während inhaliertes Cadmium zur Reizung der Lunge führt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte man fest, daß bereits geringe Mengen, längere Zeit im Körper gespeichert, den ganzen Organismus beeinflussen. Wie Blei verursacht es Müdigkeit und Bleichsucht, dazu kommt noch eine ganz spezielle Fähigkeit, es fördert Zahnverfall durch Karies und zerstört den Geschmacksinn, wobei in der Nase eine wäßrige Flüssigkeit ausgeschieden wird.
So wenig weiß man über die ganze Sache, daß ein englischer Wissenschaftler es für unmöglich hält, irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen zu empfehlen — eine Feststellung, die uns jedoch nicht davon abhält, weiterhin mit diesem Metall zu arbeiten.
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Bis zu diesem Punkt der Geschichte brauchte man Cadmium nicht als eine Gefahr für die ganze Bevölkerung anzusehen, sondern nur in Einzelfällen. Kürzlich hat man jedoch festgestellt, daß bei Menschen, die an den Folgen zu hohen Blutdrucks starben, oftmals ungewöhnlich hohe Cadmiummengen in der Niere nachweisbar waren. Um der Sache auf den Grund zu gehen, gaben Forscher Ratten Spuren von Cadmium in das Trinkwasser. Auch bei ihnen stellte sich hoher Blutdruck ein, der durchaus mit dem beim Menschen zu vergleichen war. Darüber hinaus beobachtete man, daß Ratten, die lange Zeit mit Cadmiummengen gefüttert wurden, wie sie der Durchschnittsamerikaner zu sich nimmt, ansteigende Blutwerte zeigten; der Cadmiumgehalt der Niere erreichte etwa die gleichen Werte wie beim Durchschnittsamerikaner. Um diese Beweiskette zu erhärten, gab man den Ratten EDTA, was, wie bereits erwähnt, Metallatome zu binden und auszuschleusen vermag. Tatsächlich ging es den Ratten nach dieser Behandlung zunehmend besser.
Daraufhin behandelte man auch Menschen mit EDTA. Der Blutdruckabfall war hier nicht so deutlich, bei einigen Patienten fiel er jedoch leicht ab. Gleichzeitig wird auf diese Weise auch Zink eliminiert, man nimmt deshalb heute an, daß das Konzentrationsverhältnis von Zink zu Cadmium der kritische Faktor ist. Die beiden Metalle ähneln sich in vieler Hinsicht. Enzyme, die normalerweise Zink einbauen, nehmen statt dessen Cadmium auf, was offenbar schreckliche Folgen hat; so stellt man sich die Sache wenigstens vor. EDTA jedoch verursacht auch eine erhöhte Ausscheidung von Blei und Mangan, so daß das ganze Bild alles andere als klar ist.
Trotz dieser Befunde bestreiten Experten, die sich mit Cadmium-vergiftungen in der Industrie beschäftigen, bei Arbeitern jemals solche Wirkungen beobachtet zu haben; sie lehnen die ganze Geschichte pauschal ab.
Sicher ist jedoch, daß Cadmium ebenso wie Blei die Lebenserwartung von Ratten erniedrigt, selbst wenn man es in so geringen Dosen verabreicht, daß es keine nachweisbaren Vergiftungserscheinungen zeigt. Dr. Schroeder, der auch die bereits beschriebenen Experimente mit Blei durchführte, gab Ratten Spuren von Cadmium und konnte auch hier die gleichen Beobachtungen machen. Cadmium-konzentrationen in der Rattenniere, die niedriger lagen als beim Menschen, verringerten bereits die Lebensdauer der Ratten signifikant.
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Eigenartigerweise wirkte Cadmium bei Männchen stärker als bei Weibchen, während es bei Blei gerade umgekehrt war. (Das Metall Titan wirkte wie Blei lebensverkürzend auf Weibchen, und zwar noch schlimmer als Cadmium auf Männchen.) Die Lebenserwartung von Männchen wurde also durch Cadmium stärker beeinträchtigt als die der Weibchen — ein Ergebnis, das die unterschiedliche Lebenserwartung beim Menschen widerspiegelt.
Auf welche Weise es auch wirken mag, die Entdeckung hat immerhin die Aufmerksamkeit auf Cadmium als mögliche Gefahr für die gesamte Bevölkerung gelenkt. Das Informationszentrum für Herzkrankheiten am <National Health Institute> meint dazu: »Die Gegenwart von Cadmium in unserer Umgebung ist möglicherweise von beträchtlicher Bedeutung.« Es stellte sich heraus, daß die meisten Amerikaner bis zum 20. Lebensjahr mehr als 10 Milligramm Cadmium speichern. Dieses Cadmium ist fast vollständig in der Niere angereichert, wo es statt Zink an ein spezielles Proteinmolekül gebunden wird. Afrikaner enthalten erwartungsgemäß weniger Cadmium als Amerikaner; einige Völker im Osten zeigen dagegen höhere Werte. An der Spitze dieser Liste stehen die Japaner; man nimmt heute an, daß es sich bei der merkwürdigen Krankheit mit dem Namen itai-itai schlicht um eine Cadmiumvergiftung handelt.
Woher das Cadmium eigentlich kommt, ist jedoch unklar. Die großen regionalen Unterschiede machen es allerdings unwahrscheinlich, daß die Cadmiummengen ausschließlich von menschlicher Aktivität herrühren. Gelangen sie aus der Luft, aus dem Wasser oder mit Nahrungsmitteln aus dem Boden in den Körper? Möglicherweise spielen alle diese Faktoren eine Rolle. Messungen in der City von London ergaben, daß ein Kubikmeter Luft 1 Mikrogramm Cadmium enthält. Das ist ungefähr die gleiche Menge wie Zink, aber weit niedriger als Blei. In einer amerikanischen Studie, die an 19 Orten unternommen wurde, zeigten sich große Unterschiede von Ort zu Ort.
Ich nehme an, daß auch hier die schon besprochene biologische Verstärkerwirkung eine Rolle spielt.
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Amerikanische Austern, die für ihre Fähigkeit, alle möglichen Stoffe anzureichern, berühmt sind, enthalten bis zu 3,66 ppm Cadmium, Lämmer und Küken bis nahezu 4,0 ppm, und auch hier findet man hohe Konzentrationen in der Niere. In einigen Phosphatdüngern hat man hohe Cadmium-konzentrationen gefunden, die von den Pflanzen schnell aufgenommen werden. Die hauptsächliche Quelle ist jedoch der Flugstaub von Zink-, Blei- und Kupferhütten. Doch wissen wir über die Weiterverbreitung praktisch nichts. Man nimmt an, daß die Gegenwart von Zink die Wirkung von Cadmium verstärkt.
Was die Situation noch weiter verwirrt, ist die totale Unkenntnis, bis zu welchem Grade Cadmiumkonzentrationen ungefährlich sind. Für industrielle Zwecke nimmt man gewöhnlich 1 Milligramm pro Kubikmeter Luft an. Nach dem oben Gesagten ist dieser Wert wahrscheinlich auch für eine Industrieumgebung reichlich hoch angesetzt. Für die ungeschützte übrige Bevölkerung, zu der auch Schwangere zählen, ist der Wert mit Sicherheit zu hoch.
In kürzlich erschienenen Arbeiten wurde gezeigt, daß es zudem noch teratogen ist, das heißt, es fördert Mißbildungen bei Embryos. Dr. Fern und Dr. Carpenter injizierten acht Tage trächtigen Hamstern 2 Milligramm Cadmiumsulfat pro Kilogramm Lebendgewicht. Das ist eine weit geringere Menge als die r45 Milligramm pro Kilogramm, die man in den schwedischen Arbeitern nachweisen konnte und die nach einigen Jahren starben, obwohl sie in der Zwischenzeit nicht mehr mit Cadmium in Berührung gekommen waren. Die Folge des Hamsterexperiments war die totale Zerstörung des Embryos, wobei ich die Details dem verehrten Leser lieber ersparen möchte.
4 Ein kurzes, aber fröhliches Leben
Ich habe einige Probleme beschrieben, die aus der unverantwortlichen Umweltverseuchung durch drei Metalle resultieren. Aus den beschriebenen Experimenten müssen wir annehmen, daß sie unser Leben verkürzen. Geht die Entwicklung so weiter, so wird dieses Problem jeden von uns betreffen. Daneben gibt es aber noch eine Vielzahl von Metallen, die ähnlich gefährlich sein können, und zweifellos wird man auch hier gute Gründe anführen, sie bis zum Jahre 2000 auf der ganzen Welt zu verteilen.
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Greifen wir Beryllium heraus; ein silbern glänzendes Metall, widerstandsfähig und leichter als Aluminium. Mit diesen Eigenschaften ist es prädestiniert als Werkstoff für Luft- und Raumfahrt. Tatsächlich wurden bereits im Zweiten Weltkrieg Versuche unternommen, dieses Metall für den Bau von Flugzeugmotoren zu nutzen. Die hohen Kosten und der Mangel an geeigneten Techniken ließen das Projekt scheitern. Heute ist Beryllium leichter und billiger zu gewinnen, da vor allem die elektrische Energie billiger wurde; es hat damit eine gute Chance, in den modernen Technologien eine hervorragende Rolle zu spielen. Das Metall ist außerdem von Bedeutung für Industriezweige, die sich mit der Gewinnung elektrischer Energie mittels Kernspaltung befassen.
Eine Epidemie mit ganz eigenartigem Krankheitsbild brach in den Jahren 1943 bis 1947 in der berylliumverarbeitenden Industrie aus. Da man wenig über diese Dinge wußte, fertigte man eine Liste der Krankheitsverläufe an. Diese Liste wurde unter dem Namen Beryllium Case Registry bekannt. Viele Fälle kamen aus der Fluoreszenzlampenindustrie. Hier verwendet man Spuren von Beryllium, um die Qualität des Lichts zu verändern, das von diesen Lampen ausgestrahlt wird. Von den 800 registrierten Fällen endeten ein Viertel tödlich. Einige davon waren selbst gar nicht unmittelbar mit Beryllium in Kontakt gekommen, sondern wurden durch die Verunreinigung von Kleidern vergiftet.
Berylliumvergiftungen werden manchmal irrtümlicherweise für Tuberkulose oder für eine andere Krankheit gehalten; die bekannten Zahlen dieser Fälle sind deshalb sicher zu niedrig. Es ist noch nicht sicher, ob Beryllium auch als Krebsursache in Frage kommt. Tatsache ist, daß der Mechanismus dieser Krankheit völlig unbekannt ist. »Die Natur der Berylliumvergiftung zu verstehen, ist von weltweitem Interesse« — um mit Dr. Harriet Hardy zu sprechen, der die Liste der Berylliumerkrankungen ausarbeitete.
Exakte Untersuchungen über Berylliumvergiftungen wurden vor allem durch die Geheimniskrämerei der Industrie erschwert.
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»Da die genaue Zusammensetzung des verwendeten Leuchtstoffs ein eifersüchtig gehütetes Geheimnis war, konnte man die eigentliche Berylliumdosis, die diese Vergiftungen verursachte, nur sehr schwer abschätzen. Hinzu kommt, daß die Mittel fehlen, um ein neues Projekt zur Untersuchung von Berufskrankheiten zu starten. Problematisch ist außerdem, daß nach Feststellung einer Berufskrankheit Schadensersatzforderungen gestellt werden können; auch das behindert eine objektive Beurteilung der Fälle.« Soweit Dr. Hardy.
Es gibt aber noch viele andere Metalle, die in zunehmendem Maße Verwendung finden. Titan, das die Lebenserwartung von Ratten stärker verkürzt als Cadmium, wird vor allem zur Herstellung von Überschallflugzeugen verwendet. Bei Selen, das erst kürzlich zur vorbeugenden Behandlung von Kopfschuppen in Mode gekommen ist, verhält es sich ähnlich wie bei Cadmium; man kann auch hier bei niedrigen Dosen lange Zeit keinerlei gefährliche Anzeichen bemerken. Weiter wäre Thallium zu nennen, das man zur Imprägnierung von Saatgetreide verwendet; dieses Metall ist immerhin so unangenehm, daß sich Vögel weigern, solche Körner zu fressen.
Eine Familie, die aus Versehen dieses imprägnierte Getreide, ohne um die Gefahr zu wissen, mit normalem Getreide gemischt hatte, starb bis auf einen Mann. Thallium wird auch zur Vernichtung von Ameisen verwendet. Diese chemisch stabile und hochtoxische Verbindung wird nun in einer Nahrungskette angereichert. So starben Vögel, nachdem sie Mäuse gefressen hatten, die Thalliumsulfat bereits absorbiert hatten. Ob es auf irgendeinem Weg auch in den Menschen gelangt, ist unbekannt. Gesichert scheint zu sein, daß es krankhaften Haarausfall verursacht. Nachdem man es besonders häufig in Hawaii verwendet hatte, fand man dort junge Ratten, die völlig haarlos waren. Sie mußten ihr Quantum bereits mit der Muttermilch aufgenommen haben.
Bei alldem kann man nur feststellen, daß Schwermetalle eine ungemütliche Sache sind.
Mengen, die wir in Minuten einatmen, können Herz- und Lungenschäden verursachen. Spuren, mit der Nahrung zu sich genommen, führen zu Leber- und Nierenschäden, und auch Krebs ist nicht ausgeschlossen.
Die Schlußfolgerung, daß unsere Umgebung weit weniger sicher ist, als wir gemeinhin annehmen, ist unausweichlich. Es ist höchste Zeit, neue Maßstäbe für die Gefährlichkeit einer Verbindung zu erarbeiten, nachdem das Fehlen von akuten Symptomen sich als trügerisch erwiesen hat. Unsere ganze Methode, tolerable Dosen festzusetzen, ist von einer entwaffnenden Naivität, die noch aus dem letzten Jahrhundert stammt.
Es ist immer wieder die gleiche Geschichte — schicksalhafte Ergebenheit, daß schon alles gut sein werde, und danach langes Verteidigungsgeplänkel, um die frühere Selbstgefälligkeit zu rechtfertigen. Nur ein unbeirrbarer Optimist kann annehmen, daß wir in den nächsten Jahren mit diesen liebgewonnenen Spielregeln Schluß machen.
Während die hier diskutierten Umweltgifte als Gefahr weitgehend unbeachtet bleiben, gibt es andere, von deren Gefährlichkeit man überzeugt ist und von denen man annimmt, sie vollständig unter Kontrolle gebracht zu haben: die ionisierende Strahlung. Erst kürzlich haben Wissenschaftler von hohem Ansehen gerade diese Annahme in Frage gestellt.
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Das Selbstmordprogramm (1970) The Doomsdaybook: Can the world survive? Zukunft oder Untergang der Menschheit - Von Gordon Ratray Taylor