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    9 - Das Wettrennen   

1 Einleitung    2 Gemischte Motive   3 Mythen vom Preismechanismus   4 Industrieimperien   5 Der Lohn der Tugend   6 Das Ende der Wirtschaft 

 

  1 Einleitung   

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»Für die Industrie wird es in steigendem Maß schwieriger, neue Bedürfnisse zu entdecken, die sie erfüllen kann.... Man kann nicht mehr sagen, ob produzierende Industrien existieren, um Konsumenten­bedürfnisse zu befriedigen, oder ob die Konsumenten, durch die immer überzeugendere Reklame verlockt, sozusagen als Anhängsel für ein System der industriellen Produktion existieren.«  

Das sind nicht etwa die Worte eines zornigen Studenten oder eines marxistischen Theoretikers: sie stammen aus dem Mund von Professor Donald Schon, eines Industrieberaters, der wichtige Aufträge für die amerikanische Regierung und Geschäftswelt durchgeführt hat und der nichts weniger als der ehemalige Direktor des Büros für technische Dienste beim US-Handelsministerium war. Wenn selbst Männer wie Schon in Betracht ziehen, daß der Mensch für die Industrie existiert und nicht die Industrie für den Menschen, ist es dann ein Wunder, daß sich junge Menschen wie Shannon Dixon* im Griff unpersönlicher Kräfte gefangen fühlen?   (

* Der 15jährige Junge aus einem früheren Kapitel.

Und es ist nicht bloß der Schwung der industriellen Menschen selbst, der so alarmierend wirkt: es sind die Veränderungen in der Art, wie wir leben — die Erschaffung einer technokratischen Gesellschaft —, die durch diese Umkehrung der Prioritäten verursacht werden. Das Wettrennen ist zu einer Falle geworden, aus der wir keinen Ausweg mehr wissen.

Wie um alles, was ich eben gesagt habe, zu unterstreichen, las ich vor kurzem in der Zeitung von einem Plan, den Londoner Crystal Palace wieder zu erbauen — das große Gebäude aus Glas und Eisen, das 1865 die Weltausstellung beherbergte — und zwar in Texas — im Innern einer Riesenhalle!

Und natürlich ist es noch lächerlicher, daß — während die Industrie den Appetit anreizt, um ihre Waren loszuwerden — Schulen zu wenig Lehrer haben, das Wohnungswesen unzureichend ist, die geistige Gesundheit vernachlässigt wird und so weiter. Ganz offensichtlich müßte das Geld, mit dem unerwünschte Waren gekauft werden, von den Bankkonten derjenigen, die es für Unnützes ausgeben, auf die Konten derer transferiert werden, die Schulen, Kliniken für Geisteskrankheiten und so weiter leiten. (Professor Galbraith hat diese Probleme in seinem berühmten Buch Gesellschaft im Überfluss aufgeworfen.)

Manchmal wendet man ein, daß Arbeitslosigkeit die Folge wäre, wenn die Industrie aufhören würde, Unnützes zu produzieren und den Verbrauch durch Reklame, Modeänderungen, Appelle an den Status und so weiter zu fördern. Dieses irrige Argument ist tatsächlich von der Reklameindustrie zu ihrer eigenen Verteidigung vorgebracht worden. Die Arbeitslosigkeit ist jedoch nicht das Ergebnis eines Wandels des wirtschaftlichen Ziels. Als Automobile anfingen, die Pferde zu ersetzen, gab es weniger Stellen für Pferdepfleger und Kutschenbauer und mehr für Chauffeure und Autobauer. Zweifellos waren die Pferdepfleger zunächst stellungslos, bis sie die Zeichen der Zeit erkannten und lernten, Chauffeure oder Busfahrer zu werden. 

Wenn wir weniger technische Geräte und Änderungen in der Mode, dafür aber mehr Häuser und mehr psychiatrische Sozialarbeiter wünschen, wird es gleichfalls anfänglich eine vorübergehende Stellungslosigkeit geben, bis die Menschen auf die neuen Arbeitsmöglichkeiten überwechseln. Solche strukturellen Änderungen gibt es dauernd. Was eine Massenarbeitslosigkeit verursacht, ist etwas ganz anderes: eine Abnahme der Kaufkraft innerhalb des ganzen Systems, die daher kommt, daß die Menschen viel von ihren Einkommen sparen und zu wenig ausgeben. Wenn wir reicher werden, wird das immer häufiger geschehen.


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Während die industrielle Maschinerie, die für so lange Zeit als die stolzeste Leistung des Westens galt, zum Selbstzweck zu werden scheint, ein Moloch, der Menschen verschlingt, wird ihr Ruf gleichzeitig durch die ständig wachsenden Beweise von Unehrlichkeit, allzu scharfen Geschäftspraktiken und der Mißachtung des öffentlichen Interesses untergraben. In <Das Selbstmordprogramm> habe ich berichtet, daß die Gefahren des Asbeststaubs bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert bekannt sind. Und doch steht, während ich das schreibe, eine britische Firma wegen einer flagranten und wiederholten Mißachtung der wirklich nicht sehr einschneidenden Sicherheitsbestimmungen vor Gericht. (Ein Asbestspiegel, der die erlaubte Menge um das Sechshundertfache überstieg, wurde festgestellt.) Ähnliche Berichte über antisoziales Verhalten werden fast täglich gemeldet. 

In den USA hat sich Ralph Nader dadurch einen Namen gemacht, daß er derartige Vergehen bloßstellt. Das <Wall Street Journal> berichtete vor kurzer Zeit, daß Einzelhandelsgeschäfte alljährlich durch falsches Abwiegen zwischen 1,5 und 10 Milliarden Dollar gewinnen. Das US-Verteidigungsministerium wird alljährlich von Möbelspeditionen, die das Eigentum von Angehörigen der Streitkräfte transportieren, um einen Betrag von 5 Millionen Dollar betrogen, wobei das deklarierte Ladungsgewicht jeder Ladung im Durchschnitt um 623 Pfund gefälscht wird. Der Katalog ist endlos.

Es ist daher kein Wunder, daß viele Anhänger der Neuen Linie der Industrie und dem, was im angelsächs­ischen Sprachgebrauch das <Rattenrennen> genannt wird, den Rücken zukehren. Dieser bezeichnende Ausdruck ist einen Augenblick der Überlegung wert. Ich las ihn als Ausdruck für den wütenden Konkurrenzkampf sowohl der Firmen gegeneinander wie auch in ihrem Innern. 

Es ist der ewige Kampf, der Firmen und auch die Menschen in den Firmen zur stillschweigenden Zusammenarbeit bei Operationen führt, die moralisch zweifelhaft oder ausgesprochen schmutzig sind. Intern bezieht sich der Ausdruck auf den Kampf um persönliche Beförderung innerhalb der Firmen, der zu Speichelleckerei und Versuchen führt, Rivalen zu eliminieren oder in der Beförderungsskala herunterzudrücken und so weiter. 


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Erweitert bezieht er sich auf den sozialen Status im allgemeinen mit seinen auffälligen Ausgaben, dem Snobismus, Schmeicheleien, leeren persönlichen Beziehungen und so weiter. Der soziale Kampf ist in der Tat oft nur wenig mehr als ein Anhängsel des geschäftlichen.

Das <Rattenrennen> spiegelt die Intensität der Konkurrenz in einem Wirtschaftssystem, in dem der Gewinn eines Mannes der Verlust des anderen ist: was wir, etwas ungenau, das System des privaten Profits nennen können. Wenn das wahr ist — und ich werde noch erörtern, daß die Wahrheit sogar noch komplizierter ist —, müssen wir offensichtlich das System ändern, denn es ist evident, daß die paraprimitive Gesellschaft oder tatsächlich jede vernünftige utopische Gesellschaft mit dem Primat des verrückten Rennens um den Profit unvereinbar ist. Eine paraprimitive Gesellschaft könnte nicht auf einer derartigen Basis operieren, noch wäre sie im Rahmen einer größeren Gesellschaft, die auf diese Art operiert, existenzfähig. Die paraprimitive Gesellschaft stünde unter dem unaufhörlichen Druck, ihre Maßstäbe zu senken, um konkurrenzfähig zu bleiben. 

 

Was aber ist dann die Alternative?  

Für viele der enttäuschten Anhänger der Neuen Linie ist die Antwort einfach: der Marxismus, womit man eine Variante des Themas von Korporationen im Staatsbesitz meint, die durch ein künstlich bestimmtes Preissystem miteinander in Beziehung stehen. In den USA weckt natürlich die Frage des privaten Unternehmertums versus Staatsbesitz so starke Gefühle, daß eine ruhige Überlegung unmöglich wird. Ich beeile mich daher festzustellen, daß ich den Staatsbesitz für die primitive Gesellschaft für nicht weniger ungeeignet halte als das private Unternehmertum. 

Da ich in einem Lande lebe, wo es beides gibt, sehe ich, daß staatliche Betriebe ziemlich gut funktionieren, wenn es sich um ein absolutes Standardprodukt handelt und die einzigen Änderungen in dem Umfang der Nachfrage bestehen — wie im Fall von Elektrizität und Gas. In den Industrien, die komplizierter sind, funktionieren sie weniger gut (wie etwa bei Post und Telefon) mit Ausnahme dort, wo eine starke Konkurrenz vorhanden ist (wie im Lufttransport). 


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Sie versagen völlig, wo schnelle Reaktionen auf eine komplizierte und sich ändernde Nachfrage nötig sind, und kein vernünftiger Mensch würde wünschen, daß etwa die Gastronomiebetriebe, das Verlagswesen oder die Bekleidungsindustrie von einem staatlichen Direktorium geleitet werden sollten. In der Sowjetunion haben sich Staatsbetriebe so lange dahingeschleppt, weil hier die Grundbedürfnisse der Straßenbau, die Krafterzeugung, der Wohnungsbau und so weiter waren. Man wird aber in wachsende Schwierigkeiten geraten, wenn der Lebensstandard ansteigt. Eine Mischung der beiden Systeme hat ihre Vorteile: sie hat zum Beispiel die Amerikaner als erste auf den Mond gebracht.

Unglücklicherweise tendieren öffentliche Korporationen noch mehr als private Unternehmen dazu, den Konsumenten als etwas Gegebenes und nicht als Ziel einer Operation zu behandeln, wie die Erfahrung bezeugt. In Großbritannien weisen öffentliche Korporationen (wie die Staatsdirektorien in kommunistischen Ländern) zwar ausgezeichnete Leistungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Qualität und der Sicherheit auf, doch gehen sie mit den Konsumenten bei vielen Gelegenheiten sehr arrogant um, ignorieren allzu oft Erwägungen der Annehmlichkeit — und sie tendieren zu Größenwahn. 

Die Erfahrung zeigt außerdem, daß der ehrgeizige Mann, wenn er nicht um Geld wetteifern kann, stattdessen nach Macht und Prestige strebt. Bürokraten sind ebenso berühmt dafür, daß sie <Imperien bauen>, wie dafür, daß sie die Untätigkeit der Tätigkeit vorziehen. Der Bürokrat gibt sich gern mit einem bequemen Leben zufrieden, eifrige Wirksamkeit oder ein Eingehen auf Bedürfnisse nehmen demgegenüber schnell ab.

Wenn also weder der Staatsbesitz noch unser gegenwärtiges System des Privatbesitzes eine Lösung bedeuten, gibt es dann irgendeine Alternative? 

Ich glaube, ja. Unser gegenwärtiges System des Privatbesitzes ist nicht die einzige mögliche Version — tatsächlich ist es kein System, sondern ein Amalgam von Möglichkeiten, die alle modifiziert werden könnten. Letzten Endes gibt es primitive Gesellschaften, in denen Waren verkauft und gekauft werden, die aber nicht zu Konkurrenzextremen ausarten, wie man sie in unserem System findet. Diese Extreme ergeben sich, weil Individuen darauf vorbereitet werden, gewisse Aktionen auszuführen, wie etwa potentiell gefährliche Produkte zu verkaufen. 


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Die zur Debatte stehende Frage ist daher gleichermaßen persönlich und moralisch wie wirtschaftlich. Sie ist zugleich eine soziale Frage, da Grad und Wirksamkeit des öffentlichen Drucks auf derartige Individuen variieren können.

Wir wollen uns nicht anmaßen, einen wirtschaftlichen Plan zu entwickeln, aber doch die menschlichen und organisatorischen Aspekte des Profitsystems etwas genauer betrachten.

   

   2 Gemischte Motive   

 

Vereinfacht ließe sich sagen, daß es zwei miteinander rivalisierende Theorien des wirtschaftlichen Verhaltens gibt, die ich die <Theorie der gemischten Motive> und die <Theorie des reinen Profits> nennen werde.

Die <Theorie des reinen Profits> wurde von Adam Smith erfunden und von David Ricardo, einem erfolgreichen Börsenmakler des neunzehnten Jahrhunderts, in ihre klarste Form gefaßt. Sie war nie wahr, wird aber immer noch den Studenten fast wie eine Religion gelehrt. Sie erklärt, daß die Menschen mit einigen wenigen verächtlichen Ausnahmen allein und ausschließlich auf der Basis von Berechnungen hinsichtlich des finanziell günstigsten Ausgangs kaufen, verkaufen, leihen, Land entwickeln, sparen und so weiter. 

So wird ein Fabrikant den höchsten Preis fordern, mit dem er durchkommen zu können hofft, und den niedrigsten Lohn zahlen, der eben noch die Arbeitskräfte anlockt, die er braucht. Der Sparer wird sein Geld dort anlegen, wo es die höchsten Zinsen bringt, der Angestellte wird nur dort arbeiten, wo er am meisten verdient und so weiter. Die Tatsache, die nicht einmal Wirtschaftswissenschaftler leugnen können, daß nämlich einige Menschen offen­sichtlich nicht so handeln, wird als <Ausnahme> bezeichnet, solche Menschen werden als <sentimental> oder <unpraktisch> abgetan.

Die Wahrheit an der Sache ist jedoch, daß die Menschen in fast jeder Gesellschaft, die wir kennen, und in einem ganz beträchtlichen Ausmaß sogar in der modernen des Westens dazu tendieren, fast alle ihre Entscheidungen (einschließlich derer, die mit <wirtschaftlich> bezeichnet werden) im Licht aller zu der Situation gehörigen Faktoren treffen und nicht allein der wirtschaftlichen. 


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So kommt es, daß wir die Menschen sagen hören: »Ich gebe es ihr billig, weil sie eine alte Rentnerin ist.« - »Ich habe alle meine südafrikanischen Aktien verkauft, weil ich mit der Rassenpolitik in Südafrika einfach nicht einverstanden sein kann.« - »Ich könnte mehr Geld verdienen, wenn ich Versicherungen verkaufe, aber ich mache lieber das.« - »Ich habe meinen ganzen Landbesitz der Nationalstiftung vermacht, damit er nicht in die Hände der Planer fällt.« - »Es war wirklich ein absurder Preis, aber die Sache hat mir einfach gefallen.«

Im Moment beziehe ich mich dabei nicht auf die Käufe, die wir aus indirekten Gründen tätigen, wie etwa den Versuch, einen besonderen Status dadurch zu erlangen, daß man ein großes Auto besitzt; in einem solchen Fall haben wir in einem gewissen Sinn einen Status <gekauft> oder versucht, das zu tun, auf ein Kalkül des kalten Eigeninteresses hin. Ich spreche auch nicht von den schlecht beurteilten Dingen, die wir tun, wenn wir müde oder durch die Reklame hypnotisiert sind — wie etwa den Riegel Schokolade, den wir auf einen Impuls hin kaufen, wenn wir unsere Rechnung im Supermarkt bezahlen, weil wir das Geld eben schon in der Hand haben. 

Ich spreche von den Dingen, die wir aus großmütigen oder sozialen Gründen tun, wobei wir einen wirtschaftlichen Verlust (oder einen verkleinerten Gewinn) hinnehmen, weil wir uns mit anderen Menschen oder mit weiterreichenden Interessen befassen. Der Arbeitgeber, der einen alten Angestellten behält, obwohl er in seiner Firma nur mehr wenig nützt, erkennt eine persönliche Beziehung an, der Arbeitgeber, der einen Mann einstellt, der im Gefängnis war, geht selbst ein Risiko ein, um diesem Mann eine neue Chance zu geben, läßt <sentimentale> Erwägungen das <Eigeninteresse> überwiegen. Der Angestellte, der eine Gehaltskürzung in Kauf nimmt, wenn seine Firma in Schwierigkeiten gerät (vorausgesetzt, daß er anderswo eine Stellung bekommen könnte), zeigt eine gefühlsbetonte Bindung an seine Firma, die in dem Malthusischen System keinen Platz hat.


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Manchmal versuchen Wirtschaftswissenschaftler ein derartiges Verhalten in ihr System einzubauen, indem sie etwa argumentieren: der Mann, der einem alten Angestellten eine Sinekure verschafft, <kauft> sich einfach ein unbeschwertes Gewissen ein; der Mann, der im Sozialdienst eine niedrig bezahlte Stellung annimmt, obwohl er in der Wirtschaft viel mehr verdienen könnte, erhält dadurch Befriedigung^ und die Einbuße an Gehalt kann als der Preis für den Kauf dieser Befriedigung angesehen werden. Aber das ist eine bloße Spielerei mit Worten: man will dadurch eine großzügige Handlung als selbstsüchtig erscheinen lassen. Für den Wirtschaftswissenschaftler mag das zwar passend sein, an der Realität ändert es jedoch nichts.

Schließlich sind da die Geschenke. Den Wirtschaftswissenschaftlern ist es nie gelungen, sie in ihr zynisches System einzubauen.

Es ist eben Tatsache, daß es keine rein wirtschaftlichen Handlungen gibt. Alle Aktionen haben eine Relevanz in moralischen und emotionellen Bereichen. Die Wirtschaftswissenschaft, wie sie heute gelehrt wird, ist eine anthropologische Travestie. Unglücklicherweise versuchen immer mehr Menschen, sich — vor allem in ihren geschäftlichen Tätigkeiten und Entscheidungen — <wirtschaftlich> zu verhalten, und sie werden durch die Wirtschaftstheorie und durch die Institutionen, die zur Erleichterung <wirtschaftlicher> Transaktionen eingerichtet wurden, dazu ermutigt. Viele moderne Wirtschaftsinstitutionen haben — ob nun absichtlich oder nicht — die Wirkung, einen Kontakt von Angesicht zu Angesicht zwischen Käufer und Verkäufer zu verhindern, so daß emotionelle Erwägungen wegfallen; die Daten, die ein rein selbstsüchtiges Urteil modifizieren könnten, sind somit ausgeschlossen. Wir haben versucht, die Theorie des reinen Profits wahr werden zu lassen. Wir haben mechanische, inhumane Transaktionen an die Stelle von menschlichen eingesetzt. Das ist der Kern der Sache.

Einer der Wege, auf denen die multiple Natur <wirtschaftlicher> Aktionen verdunkelt wird, ist die Verwendung des Ausdrucks <Profitmotiv>, ein wahres Meisterstück der Zweideutigkeit. Der Ausdruck kann bedeuten, daß es eine Spanne zwischen dem Einkommen und den Ausgaben geben muß. Offensichtlich kann ein Schuhmacher nicht im Geschäft bleiben, wenn er seine Schuhe um den Preis der Rohmaterialien verkauft. Er muß <einen Profit> machen. 


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Aber das bedeutet nicht mehr, als daß er seine eigene Arbeit als Kosten ansetzen muß. Wenn er das tut, könnte man sagen, daß er nicht um einen Profit arbeitet. Es besteht aber wirklich ein weltweiter Unterschied zwischen der Aussage, daß ein gewisser Mann einen Lohn für seine Arbeit — oder dafür, daß er Geld ausleiht — erhalten sollte und der, daß er diese Belohnung ohne jede Rücksicht auf andere Erwägungen auf das Höchstmaß steigern sollte. 

George Bourne, dessen Bücher über das Landleben, wie es von einem ländlichen Handwerker gesehen wird, unverdient in Vergessenheit geraten sind, erzählt, wie ein Schmied eine höhere Bezahlung, als er sie forderte, ausschlug und sagte, er wisse, was seine Arbeit wert sei, und er wolle nicht überbezahlt werden. Beim Schatten Adam Smiths! Eine solche Haltung reicht bis ins Mittelalter zurück, da die Frage des <gerechten Preises> so viel erörtert wurde. 

In jenen Tagen der stark monopolistischen Gilden und Zünfte wäre es möglich gewesen, die Öffentlichkeit erbarmungslos auszubeuten, so wie viele Gewerkschaften das heute versuchen. Während es endlose Argumente gab, was der gerechte Preis in jedem besonderen Fall wohl war, wurde die Vorstellung eines Preises, der für Käufer und Verkäufer fair war, universell verstanden. Die Vorstellung, man solle verlangen, was der Markt hergibt, wurde allgemein verdammt. Diese von der Kirche unterstützte Tradition wurde im Zeitalter der Aufklärung von den Wirtschaftswissenschaftlern zerschlagen.

Die fortschreitende Ökonomisierung der geschäftlichen Entscheidungen hat uns in unsere gegenwärtige Sackgasse geführt, in der man andere Werte zugunsten der Dinge, die gekauft und verkauft werden können, vernachlässigt. Ein System, das nur auf Preise reagiert, begünstigt notwendigerweise die Dinge, auf die ein Preis gesetzt werden kann. Die Resultate sind oft so verhängnisvoll, daß wir nichtwirtschaftliche Werte in das System einzufügen versuchen, indem wir ihnen Preise anhängen. Wir tun das, wenn wir eine Firma wegen Umweltverschmutzung mit einer Geldbuße belegen oder dafür, daß sie die Sicherheit ihrer Angestellten nicht genügend schützt. Unglücklicherweise gehen derartige Versuche nur langsam und ungeschickt vor sich und haben nur teilweise Erfolg. Tausende von Kohlenbergleuten kamen ums Leben oder wurden verletzt, ehe angemessene Sicherheitsvorschriften eingeführt wurden. 


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Die Umweltverschmutzung verursachte und verursacht noch immer ungeheuren Schaden, den wir jetzt erst realisieren, indem wir anfangen, die Kosten der Verschmutzungsverhütung den Verschmutzern aufzuerlegen. Eins ist bislang noch nicht in das System eingearbeitet worden: daß wir nämlich dem Arbeitnehmer eine psychologisch befriedigende Arbeit geben müssen, statt ihn zu frustrieren und ihn zu einem Roboter zu reduzieren.

Die Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen die Kosten, die der Unternehmer nicht zu tragen braucht, als <Externalitäten>. So ist es eine Externalität, wenn ein Angestellter an Krebs erkrankte, nachdem er die Arbeit in einer chemischen Fabrik oder als Asbestmacher aufgegeben hat; es ist eine Externalität, wenn der Unternehmer einen äußerst langsamen Lastwagen auf die Straße schickt, der die Zeit der anderen Autofahrer vergeudet, es ist eine Externalität, wenn er das Wasser oder die Atmosphäre verschmutzt. Man könnte sagen, daß wir uns heute mit dem Versuch befassen, Äußerlichkeiten in Innerlichkeiten umzuwandeln, um den in sich zusammensinkenden Bau der Ricardischen Wirtschaft zu stützen.

Während wir aber mit der einen Hand versuchen, das System zu stützen, stoßen wir es mit der anderen um. Die gegenwärtige Tendenz, daß Wirtschafts­prüferteams Firmen übernehmen, die keinen befriedigenden Profit gemacht haben, und ihnen dadurch zum Erfolg verhelfen, indem sie rücksichtslos die Kosten stutzen und die Marktlage ausbeuten, das heißt sich genau nach dem Ricardo-Prinzip verhalten, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für diesen Trend. Das Wachstum großer Komplexe oder <Imperien> von Holding-Gesellschaften, Tochtergesellschaften und Tochtergesellschaften von Tochtergesellschaften ist ein Trend mit ähnlicher Wirkung.

Der kleine unabhängige Unternehmer konnte — und hat das auch oft getan — sein Verhalten durch <sentimentale> Erwägungen abschwächen, vielleicht verzichtete er darauf, eine neue Fabrik dort zu bauen, wo sie eine schöne Aussicht verdecken würde, oder er baute sie architektonisch schöner, als das absolut nötig wäre. Vielleicht säuberte er seine Abfallhalden und seine Parkplätze, vielleicht gab er seinen Arbeitnehmern auch einen nicht geforderten Bonus oder eine Lohnerhöhung. 


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Wenn er von einer anderen Firma übernommen und lediglich nach seinen Fähigkeiten beurteilt wird, einen annehmbaren Ertrag für das von der Besitzerfirma investierte Kapital aufzuweisen, wird seine Freiheit, auf eine <sentimentale> (man könnte sogar sagen christliche) Art zu handeln, wohl sofort beschnitten.

Es ist richtig, daß sich der sehr große Unternehmer seiner <Public relations> bewußt ist und eine Anzahl von Aktionen mit Blick auf die Öffentlichkeit vornimmt, um den Anschein eines wohlwollenden Privatunternehmens zu wahren; aus diesem Grund haben die großen Unternehmen oft auch einen besseren Ruf als die weniger befriedigenden kleinen. Wenn aber eine Entscheidung auftaucht, bei der es wirklich um den Profit geht, fällt der Schafspelz sehr schnell ab und zeigt darunter den Ricardischen Wolf. Die Entschlossenheit von Kupferbergbaugesellschaften, die Bodenschätze in Nationalparks bis zu dem Punkt auszubeuten, daß es eine Gesetzesverletzung darstellt, ist ein britisches Beispiel jüngsten Datums. Der erfolgreiche Kampf, den die Imperial Chemical Industries ausgetragen haben, um ein ökologisch wertvolles Tal überfluten zu lassen, ist ein weiteres. Fragen dieser Größe werden jetzt durch die Regierungen geregelt, da die Ricardische Wirtschaft als Methode inzwischen zweifelhaft geworden ist. Unglücklicherweise tendieren aber auch Regierungen zu Ricardischen Methoden.

Das pyramidenartige Aufeinandertürmen von Gesellschaften erleichtert auch das Verdrängen <sentimentaler> oder moralischer Erwägungen dank der Tatsache, daß hierdurch das System des persönlichen und sozialen Drucks, wie ich es in Kapitel 3 aufgezeigt habe, zerstört wird. Der Unternehmer, der in einer kleinen Stadt lebt, läuft Gefahr, an den Pranger gestellt zu werden, wenn er in einer offensichtlich zu antisozialen Weise handelt. Vielleicht wird er bei Menschen, die er bewundert oder die er beeinflussen will, zur persona non grata; vielleicht hat auch seine Familie zu leiden und läßt den Druck auch ihn fühlen. Möglicherweise würde er in den Lokalzeitungen kritisiert. Die Tochtergesellschaft, die von einer fernen Großstadt aus geleitet wird, kann einem Druck dieser Art entgehen. 


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Der Mann, der für die unpopulären Entscheidungen verantwortlich ist, ist vermutlich denen, die betroffen werden, nicht einmal dem Namen nach oder von Angesicht bekannt, und der örtliche Manager der Tochtergesellschaft kann immer abgezogen und durch einen anderen ersetzt werden.

Eng mit der Theorie des reinen Profits ist die Theorie des Preismechanismus verbunden, die angeblich erklärt, warum die Verfolgung des Gewinns für jedermann zu der bestmöglichen aller Welten führen wird.

  

  3  Mythen vom Preismechanismus  

 

So viel wurde bereits über die Mängel des Preismechanismus geschrieben — ich selbst befaßte mich vor einem Vierteljahrhundert in <Economics for the Exasperated> ausführlich mit dem Thema —, daß es geradezu ungewöhnlich erscheinen mag, wenn er heute immer noch als Kur empfohlen wird. Ich möchte daher knapp einige der Hauptmängel dieser angeblich so allmächtigen Methode zusammenfassen.

Der Theorie nach arbeitet der Preismechanismus (wie viele Leser wissen werden) wie folgt: wenn ein Hersteller einen Vorrat an Waren liefert, die das Publikum wünscht, werden die Interessenten konkurrieren, um die Ware zu bekommen, sie werden einander überbieten, bis die schwächeren Bieter ausscheiden und die Nachfrage dem Angebot entspricht. Die Tatsache, daß der Preis gestiegen ist, gibt dem Hersteller einen größeren Profit; das ermutigt ihn, das Warenangebot zu vergrößern und ermutigt auch andere Unternehmer, sich auf diesem Gebiet zu betätigen; wenn dann das Warenangebot wächst und die Nachfrage übersteigt, sind die Verkäufer gezwungen, die Preise zu senken, um mehr Käufer heranzuholen. Das werden sie tun, bis der Preis fast auf die Herstellungskosten gefallen ist — oder auf die Herstellungskosten des am wenigsten leistungsfähigen Herstellers, der jetzt aus dem Rennen ausscheidet. So wird das Warenangebot wieder zurechtgestutzt, daß es der Nachfrage entspricht.


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Damit soll das System angeblich übermäßige Gewinne verhindern — denn der übersteigerte Preis der zuerst Kommenden liefert das Kapital, um die Produktion zu erweitern —, und sicherstellen, daß die Waren zu einem Preis geliefert werden, der nur um so viel über den Kosten liegt, daß die Unternehmer weiterarbeiten können.

So lautet die Theorie. In der Praxis gibt es über ein Dutzend Gründe, warum die Sache nicht so funktioniert, wovon einige von entscheidender Bedeutung sind.

1. Die <unverkäuflichen> Dinge. Der vielleicht fundamentalste Grund ist der, daß die Menschen viele Dinge brauchen, die nicht um einen Preis und im Wettbewerb mit Alternativen angeboten werden können. Dazu gehören, wie die Wirtschaftswissenschaftler des neunzehnten Jahrhunderts zu ihrem Befremden erkannten, die Regierung, die Polizei und die Streitkräfte, die Straßenbeleuchtung und -reinigung und viele andere Dinge mehr, die die Öffentlichkeit gemeinsam konsumiert. In der letzten Zeit sind wir auch zu der Erkenntnis gelangt, daß wir unser Verlangen nach sauberer Luft, reinem Wasser, weniger Lärm, kurz nach besseren Umweltbedingungen, weder kaufen noch auch ausdrücken können. Wir können auch unser Verlangen nach einer besseren sozialen Umgebung, wie sie in diesem Buch gesehen wird, nicht dadurch ausdrücken, daß wir einen Preis anbieten: wir können eine paraprimitive Gesellschaft also nicht kaufen.

2. Weise Käufer. Die Theorie nimmt auch einen völlig rational und übernatürlich wissensreichen Käufer als gegeben hin, der sich nie durch schlechte Qualität täuschen läßt, der weit vorausdenkt und nie durch emotionelle Appelle oder dadurch geprellt wird, daß man seine Schwächen und Unsicherheiten ausspielt. Es ist aber ganz offenkundig, daß der Käufer nicht sagen kann, ob in dem Fisch, den er kauft, eine zu hohe Menge Quecksilber oder Kadmium ist, oder ob die versteckteren Teile seines Autos oder seines Fernsehgeräts auch einwandfrei gearbeitet sind. Vielleicht würden unendlich weise Käufer Museen- und Kunstsammlungen fordern sowie eine Vorsorge für ihr Alter. In der Praxis sind Museen und Schulen in der Tat durch andere Methoden zur Verfügung gestellt worden. Pensionsplane wurden durch Regierungen und Industrien als Reaktion auf private Forderungen aufgestellt. Das führt uns zu einem weiteren Punkt.


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3.  Einkommensverteilung. Die Theorie nimmt an, daß das Einkommen nicht so ungleich verteilt wird, daß sich nicht auch der Ärmste Schulung, ärztliche Versorgung und Fürsorge für sein Alter leisten kann. Wie unwirklich diese Vorstellung ist, braucht nicht weiter erörtert zu werden.

Wie die Geschichte beweist, kann der Preis der Arbeitskraft auf das Existenzniveau oder noch tiefer gedrückt werden, wenn mehr Arbeitskräfte vorhanden sind als Arbeit. Das führt zu der Abschaffung eines freien Marktes für Arbeitskräfte und der Einsetzung von Arbeitskraftmonopolen oder Beinahe-Monopolen, die als Gewerkschaften bekannt sind. In der Folge können sie, ähnlich wie Arbeitgebermonopole, den Preis der Arbeit in die Höhe treiben, besonders wenn der Unternehmer über kostspielige Maschinen und so weiter verfügt, die nicht einfach stilliegen können, wenn langfristige Verträge vorliegen, die er erfüllen muß, und wenn er keine großen Lagerbestände anlegen kann. Der bemerkenswerteste Fall sind die Fluglinien, was erklärt, warum die Piloten der Fluglinien unverhältnismäßig hohe Gehälter fordern.

4.  Der perfekte Markt. Die Theorie nimmt an, daß alle Waren in einem perfekten Marktzustand verkauft werden. Hier gibt es aber Dutzende von Ausnahmen. Die Menschen müssen nicht unbedingt Waren als eine Reihe zusammenhangloser Transaktionen kaufen: einige Käufe hängen von anderen ab. Wenn man einen Fernsehapparat, ein Auto oder einen Gasherd kauft, muß man auch Ersatzteile kaufen, falls etwas schief geht. Der Hersteller kann für diese Ersatzteile weit mehr als den Marktpreis fordern, da eine Verweigerung des Verkaufs einen Verzicht auf die kostspielige Investition bedeuten würde. Das gleiche gilt für Schallplatten, Magnetophonbänder und so weiter, die zu sehr willkürlichen Preisen verkauft werden.


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Zu jedermanns Verlegenheit ist Kanada zum größten Schwefel-Produzenten der Welt geworden. Es hat bereits sechs Millionen Tonnen auf Lager, man erwartet, daß diese Zahl bis zum Jahr 1980 auf fünfzig Millionen Tonnen ansteigt. Niemand weiß genau, wo man den Schwefel unterbringen soll. Das alles kam, weil Schwefel als Nebenprodukt bei der Reinigung von Erdgas erscheint — und Kanada verbraucht eine Riesenmenge Erdgas. Als Ergebnis davon ist der Schwefelpreis von 37,50 Dollar pro Tonne Mitte 1968 auf 6,41 Dollar pro Tonne im Juli 1971 gesunken. Es gibt genug andere Beispiele für eine derartige Kupplung von zwei Produkten, für die die Nachfrage ungleich ist — so werden beispielsweise Blei und Silber gemeinsam gefördert. Der größte Sprung in dem Mythos liegt aber natürlich in der Tatsache, daß die Industrie dauernd daran arbeitet, Monopolpositionen zu schaffen — oder subtiler, Positionen, die praktisch monopolistisch sind, ohne den Anschein zu erwecken. Durch die Verwendung von Handelsabkommen, Schutzpatenten und auf viel subtilere Arten bringen es große Unternehmen fertig, der Konkurrenz die Schärfe zu nehmen und zwar selbst dort, wo Antimonopolgesetze existieren. Auch sind die öffentlichen Dienste ihrer Natur nach unvermeidlich monopolistisch.

5. Die öffentlichen Dienste. Die Versorgung von Häusern mit Wasser kann beispielsweise nicht auf der Basis einer Konkurrenz zwischen verschiedenen Herstellern oder Versorgern vorgenommen werden. Das gleiche gilt für Gas, Elektrizität, Telefon, das Straßensystem und so weiter. Von Anfang an war es nötig, derartige öffentliche Dienstleistungen auf einer anderen Basis zu behandeln. Der Versorger besitzt unvermeidlich eine monopolistische Position und muß daran gehindert werden, sie auszubeuten. (Im Fall von Gas und Elektrizität gibt es eine gewisse, wenn auch minimale Konkurrenz — man kann beispielsweise einen Fernsehapparat nicht mit Gas betreiben.)

Ein öffentlicher Transportdienst mag gemeinnützig arbeiten, indem der Dienst auch spät nachts oder in unterbevölkerten Gebieten und sogar bei Verlust zur Verfügung steht. Falls das Gebiet für den Wettbewerb freigegeben wird, könnten einige Unternehmer die Sahne während der Stoßzeiten abschöpfen und es dem öffentlichen Dienstleistungsbetrieb überlassen, die Fahrten durchzuführen, die einen Verlust ergeben.


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Das gleiche gilt auch für Luftlinien, den Postdienst und so weiter. Diese wirtschaftlichen Tatsachen wurden seit dem neunzehnten Jahrhundert, wenn nicht schon viel länger, vollauf verstanden; es ist einfach unglaublich, daß die Rechte immer noch naive Kostenargumente vorbringen kann.

6. Zeit-Verzögerangen. Die Theorie vom Preismechanismus unterließ es, den Zeitfaktor zu untersuchen: wie lange braucht ein Fabrikant, um auf eine Änderung in der Nachfrage zu reagieren? Er übersieht die Möglichkeit von Tricks wie dem, die Qualität plötzlich zu senken und einen großen Gewinn einzustecken, ehe das Publikum sich der Sache bewußt wird. Die Theorie übersah auch so hübsche Spiele wie das, ein neues Modell einzuführen und sich zu weigern, weitere Ersatzteile für das alte zu liefern, wodurch der Käufer gezwungen wird, noch völlig befriedigende Ware vorzeitig wegzuwerfen.

7.  Landwirtschaft. Eine weitere Tätigkeit, die nur schlecht in das Modell des Preismechanismus paßt, ist die Landwirtschaft in allen ihren Formen. Das Getreideangebot kann beispielsweise in einem Jahr dank günstigen Wetters übergroß und in einem anderen Jahr ungenügend sein, ohne Rücksicht auf die Tatsache, daß der Bauer versucht, die Produktion zu steigern oder umgekehrt. Das ist der Grund für die Programme, die landwirtschaftlichen Preise zu subventionieren, große Vorräte anzulegen und so weiter.

8.  Die <nicht-zu-vermehrenden Dinge>. Besonders auffällig ist das Versagen des Preismechanismus im Hinblick auf Grund und Boden. Hier gibt es keine Hersteller, die mehr Land produzieren können, man modifiziert also die Theorie und sagt, daß bei der Erweiterung der Nachfrage immer weniger geeignetes und wertvolles Land zur Verfügung steht. Man kann aber ein Stück Land nicht durch ein anderes ersetzen, wie man es mit einem Auto oder einem Kleidungsstück tun kann. Wenn eine Stadt wächst oder wenn eine Straße gebaut wird, braucht man gewisse, ganz genau festgelegte Grundstücke und keine anderen.


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Dadurch gelangen die Besitzer in eine monopolistische Position. Als ich vor einigen Jahren in Sydney war, sprach man viel von einem Mann, der für eine Farm 130.000 Pfund forderte, die er wenige Jahre früher für 10.000 Pfund gekauft hatte. Er bekam seinen Preis: in anderen Ländern greift man in solchen Fällen zu Zwangsverkäufen und einem von einer Schiedsstelle festgesetzten Preis. Das heißt, man gibt den Preismechanismus auf. Die umgekehrte Situation ergibt sich, wenn etwa eine Bergbau- oder eine Erdölgesellschaft auf Farmland Bohrungen machen will: sie kann einen Preis bieten, der in keinerlei Verhältnis zu Preisen von Farmland steht und so Land, das vielleicht als Ackerland besonders geeignet wäre, einer anderen Verwendung zuführen.

Es gibt auch Dinge, bei denen das Angebot nicht gesteigert werden kann, wie etwa schöne Landschaft, alte Gebäude und Kunstwerke aus der Vergangenheit. Daß es vergeblich ist, den Preismechanismus auf solche Dinge anzuwenden, zeigte sieb, beispielsweise bei dem Versuch der Roskill-Kommission, den Wert der Kirchen, die durch den Bau von Londons drittem Flugplatz zerstört worden wären, auf der Basis ihres Versicherungswertes abzuschätzen. Da eine wiederaufgebaute Kirche oder die Kopie eines Gemäldes dem Original nicht gleichwertig ist, sind selbst Versicherungen, die auf solche Kosten basieren, kein Hinweis auf den Nutzen für die Öffentlichkeit oder den Verlust, den diese Öffentlichkeit durch die Zerstörung erleiden würde. Umgekehrt ist der Grund für die astronomischen Preise, die für hervorragende Kunstwerke bezahlt werden, ihre Einzigartigkeit. Der Besitzer ist hier tatsächlich Monopolist.

9. Teure und einzigartige Dinge. Die Theorie vom Preismechanismus bricht auch dann zusammen, wenn es um ausnehmend teure Dinge geht, bei denen eine lange Zeit der technischen Entwicklung nötig ist, im Augenblick ist der Uberschalluftverkehr hier das hervorragende Beispiel. Die Hersteller können nicht Kopf und Kragen riskieren und hoffen, daß sie Käufer finden werden. Regierungen entscheiden sich, die Entwicklung zu finanzieren und zwar aus Gründen, die vielleicht überhaupt nicht wirtschaftlicher Natur sind, wie etwa der militärischen Verwendungsmöglichkeit. (Ähnliche Argumente gelten für den Flug zum Mond.) 


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Die Frage, die wir uns in einem solchen Fall stellen müssen, lautet: könnte man das Geld auf eine andere Art besser verwenden? Oder wie die Wirtschafts­wissenschaftler sagen: kommt der soziale Nutzen den Gelegenheitskosten gleich? Es ist leicht, sich Dinge auszudenken, die für die Gesellschaft wichtiger sind, als Menschen um ein oder zwei Stunden schneller über den Atlantik zu hetzen. Der Preismechanismus versagt hier völlig, weil er von der Existenz eines einzelnen Menschen oder eines kleinen Ausschusses ausgeht, die die Entscheidung aus persönlichen Gründen treffen, während sie in Wirklichkeit von <der Regierung> gefällt wird, beeinflußt von einem komplizierten System von Gruppen und Interessen. 

In Großbritannien werden heute mehr als die Hälfte der Gesamtausgaben nicht von Individuen und auch nicht von Firmen, sondern von Beamten der einen oder anderen Kategorie getätigt. Wir sprechen also keineswegs über einen Ausnahmefall. Der Preismechanismus versagt auch dort, wo es etwa um astronomische Teleskope und andere teure wissenschaftliche Instrumente sowie um die Forschung, insbesondere die medizinische geht. Man könnte noch viele weitere Gründe anführen, es ist aber wohl genug gesagt, um zu beweisen, daß der Preismechanismus keineswegs der wunderbare Schiedsrichter ist, wie das Dogma des rechten Flügels lautet. Fast in jedem Punkt muß er reguliert oder modifiziert werden.

Bei genauer Betrachtung kann man sehen, daß diese Kritik zwei verschiedene Fehler in dem System bloßlegt, aus denen noch ein dritter hervorgeht. Erstens bewirkt oder verursacht er nicht die Lieferung von bestimmten Arten von Waren und Dienstleistungen. Zweitens verhindert er nicht die Produktion von >Schlechtem< oder schlechten Leistungen. Drittens verteilt er knappe Hilfsmittel nicht zur maximalen menschlichen Zufriedenheit. Der Theorie nach werden Menschen für das am meisten bezahlen, was sie am meisten wollen — wenn aber die »schlechten Seiten< ignoriert werden, wenn Monopole oder fast monopolartige Zustände bestehen und so weiter und so weiter, hören die Preise auf, in einer Beziehung zur Freude zu stehen.


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In früheren Tagen war es nicht der Marktpreis, sondern der <gerechte Preis>, der den Eckstein wirtschaft­licher Beziehungen bildete. Man verstand unter gerechtem Preis die Kosten der Herstellung plus einem Profit, der es dem Hersteller ermöglichte, in dem traditionell erwarteten Standard zu leben. So gab es einen <gerechten> Preis für Schuhe, der selbst unter Monopolbedingungen Geltung hatte. Es ist eine Tatsache, daß französische Bauern während des letzten Krieges durstigen Soldaten Gläser mit Wasser zu einem hohen Preis anboten, obwohl das Wasser keineswegs knapp war. Sie beuteten eher ihre Monopolstellung aus, als daß sie den <gerechten Preis> forderten. Ihr Handeln wurde allgemein verurteilt. Hersteller, die zeitweilig eine Monopolstellung einnehmen, können oft praktisch genauso handeln, ohne entdeckt zu werden. Eine vernünftige Gesellschaft würde zweifellos wieder den Weg zum gerechten Preis einschlagen. 

Auf jeden Fall befaßt sich der Preismechanismus lediglich mit der Verteilung vermarktbarer Waren und Dienstleistungen. Die Menschen brauchen im Leben jedoch viele Dinge — und ich habe die meisten dieser Dinge erörtert — wie ein Identitätsgefühl, langfristige Sicherheit, Kontakt mit der Natur oder die Kraft der Selbstbestimmung —, von denen keines von Waren abhängt, selbst wenn wir in einer nach Gütern orientierten Gesellschaft versuchen, Waren zu verwenden, damit wir dieses Ziel erreichen. Der falsche Glaube, daß das Warenangebot der Kern dessen ist, worum sich alles dreht, steckt schon von Geburt an in der Wirtschaftswissenschaft. Professor Galbraith weist darauf hin, daß die Warenknappheit tatsächlich das Problem war, als der erste Wirtschaftswissenschaftler zu schreiben begann: diese Ideen, die wir in den Tagen der Armut entwickelt haben, sind jedoch in einer Wohlstandsgesellschaft nur schlechte Führer.


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  4  Industrie-Imperien  

 

Zur Entmenschlichung des Verhaltens hat mehr als alles andere das Aufkommen der Aktiengesellschaft mit beschränkter Haftung beigetragen. Durch eine Reihe gesetzlicher Entscheidungen, die einem bemerkens­werten Stück von Gesetzgebung im Jahre 1862 folgten, entwickelte Großbritannien eine außer­gewöhnliche legale Fiktion: sie erwies sich als eine derartige Goldgrube, daß der Rest der westlichen Welt bald dem britischen Beispiel folgte. Heute sind wir so sehr daran gewöhnt, daß nur mehr wenige Menschen sehen können, als welches Unheil sie sich erwiesen hat.

Wie die Dinge heute liegen, hat die Aktiengesellschaft die meisten legalen Attribute eines menschlichen Wesens, aber ohne die üblichen Nachteile. Sie kann kaufen und verkaufen, klagen und verklagt werden, Eigentum besitzen, Steuern zahlen, Zinsen erhalten und ganz allgemein all die wirtschaftlichen Funktionen ausüben, die früher von Personen durchgeführt werden konnten. Anders als menschliche Wesen ist sie aber sowohl unsterblich wie unsichtbar. Da sie nie stirbt, zahlt sie nie Erbschaftssteuern. Während so die Ansammlung von Geld, die Individuen zuwegegebracht haben, durch Erbschaftssteuern stetig zerstreut werden, ist das bei den Vermögen der Industrie nicht der Fall. Auf diese Art erwarb die Industrie die Macht, die früher in den Händen der Grundbesitzer lag. Gesellschaften, die geschickt geleitet werden, können auf ewig weitermachen; so werden neue Privilegien geschaffen, die genauso oder mehr noch unerwünscht sind wie jene, die sie ersetzten.

Ferner hat die Aktiengesellschaft die Tendenz, wie ein bösartiger Tumor immer weiterzuwuchern. Gesundes Gewebe stellt das Wachstum ein, wenn es die ihm von den Erfordernissen des Körpers vorgeschriebene Größe erreicht hat. Nicht so die Aktiengesellschaft, die nie damit aufhört, denn sie kann Teile ihres Gewinns für eine weitere Expansion abzweigen.

Was aber noch seltsamer ist, Aktiengesellschaften können legal etwas tun, was dem zivilisierten Menschen nicht mehr möglich ist: sie können andere Körperschaften besitzen. Das gibt ihnen die Kraft, riesige Netze indus­trieller Macht zu schaffen, das moderne Analogon der Sklavenhalterei. Die Besitzergesellschaft kann ihre Tochtergesellschaften aushungern oder sterben lassen und den ganzen Überschuß einstecken, den die Tochter­gesell­schaften durch ihre Arbeit verdient haben. Zuerst führte das zu dem Industrieimperium, das Firmen miteinander verwobenen Interessen zusammenbrachte wie Kohle, Stahl, auch verschiedene Arten von chemischen Erzeugnissen.


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Jetzt haben wir den Industriekomplex, der so verschiedene Tätigkeiten wie Verlagswesen und die Herstellung von Lastautos vereinigt und nicht einmal zur Rechtfertigung seiner Existenz behaupten kann, daß dadurch eine technische Koordination erreicht werde.

Man behauptet manchmal, daß solche Imperien Gesellschaften, die vorher schlecht geführt wurden, den Segen eines geschickten Managements bringen. In der Praxis fordern die meisten Spitzenmanagements lediglich, daß die Tochtergesellschaft einen vernünftigen Prozentsatz des eingesetzten Kapitals als Gewinn einbringt. Wenn das der Fall ist, lassen die Manager die Tochtergesellschaft sehr wohl in Frieden, wenn nicht, werden sie <aufgerüttelt>. Sie wissen nur zu gut, daß große, zentralisierte Organisationen oft unwirksam sind, und sie sind daher froh, den Tochtergesellschaften ihre Unabhängigkeit zu belassen, vorausgesetzt, daß sie die Profite <absahnen> können. 

Man kann derartige Imperien auch zur Schaffung von Bedingungen verwenden, die einem Monopol gleichbedeutend sind, ohne den Anschein zu erwecken. Mit den Preisen kann <gespielt> werden, wenn eine Firma in der Gruppe mit einer anderen Geschäfte macht, was zugleich steuerliche Vorteile haben kann. Produkte, die miteinander in Konkurrenz zu stehen scheinen, tun das häufig nicht. So werden die zwei bestbekannten amerikanischen Außenbordmotore von den gleichen Herstellern gefertigt und sind praktisch identisch. Die Händler stehen miteinander in Konkurrenz, der Hersteller verwendet so den Sporn der Konkurrenz gegenüber dem Verteiler, während er selbst dem Konkurrenzkampf entgeht.*

Das Industrieimperium zielt auf Standardisierung und eine Begrenzung der Auswahl ab, da es Wahlmöglich­keiten, an denen ihm nichts liegt, ausschalten kann, während es ihm seine wirtschaftliche Machtstellung ermöglicht, die kleine Firma abzuwürgen, die versucht, die Lücke auszufüllen. 

* Diese Methoden sind im ganzen Industriebereich festzustellen. Wer beachtet beispielsweise, daß die in der Werbung in heftiger Konkurrenz liegenden Waschmittel von der gleichen Herstellerfirma stammen? (A.d.U.)


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Des weiteren sind solche Gesellschaften praktisch unsterblich, da sie die Risiken ernster Fehlschläge dadurch, daß sie sich über eine Vielheit von Tätigkeiten ausbreiten, eliminieren. (Und wenn es doch den Anschein hat, daß sie einen Fehlschlag erleiden könnten, müssen die Regierungen eingreifen und sie retten.) Sie sind viel zu kompliziert, als daß die Aktionäre sie wirklich überschauen könnten. Sie sind wahrhaftig Imperien — oder besser gesagt Staaten im Staat. Statt sich mit der Gemeinde zu integrieren, der sie dient, integriert sich die Industrie mit sich selbst. Das ist eine Art von Meta-Kapitalismus.

Eines der gebräuchlichsten Argumente zu Gunsten des Systems der Privatunternehmen ist, daß es den Bereich der Wahlmöglichkeiten auf ein Maximum erweitert. Das ist nicht wahr, wo immer ein Monopol — ob versteckt oder nicht — existiert. Wichtiger noch, es ist sogar auf einem offenen Markt unwahr, wenn wir einmal den Bereich unserer Aufmerksamkeit erweitern, da dieser nicht nur die zur Verfügung gestellten Waren und Dienstleistungen umfaßt, sondern auch die schlechten Seiten< und die schlechten Dienste<, die dazu gehören. Wenn seine Umgebung still ist, hat der Mensch die Wahl zwischen Stille, Musik oder Lärm. Wo Lärm herrscht, bleibt ihm keine Wahl. Wo die Luft verschmutzt ist, bleibt ihm keine Wahl — er muß sie atmen.

Diese Gesellschaftskomplexe arbeiten nicht nur nach der Ricardischen, das heißt unmenschlichen Wirtschafts­politik, sie haben auch das stärkstmögliche Interesse, das System zu erhalten. Aber selbst wenn sie unabhängig ist, hat die Aktiengesellschaft die Verpflichtung gegenüber ihren Aktionären, jede Möglichkeit, einen Gewinn zu erzielen, im Ricardischen Sinne auszunützen. Das ist der Kitt, der unser System unwiderruflich an den Materialismus bindet. Die Schlußfolgerung ist so unvermeidlich wie unpopulär: ein erster Schritt in Richtung auf eine menschliche Gesellschaft ist der, das Gesetz zu ändern, das solche Organisationen regiert, ein Gesetz, das jetzt weit über seinen ursprünglichen Zweck hinausgeht, Kapital aufzubringen, indem man das Risiko der individuellen Teilnehmer beschränkt.


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Man wird zahlreiche Argumente gegen einen derartigen schändlichem Vorschlag vorbringen. Die meisten davon werden der Linie folgen: Ohne die Aktiengesellschaft hätte unsere Zivilisation niemals den Standard der materiellen Produktivität erlangt, den sie jetzt bereits hat und der für die weniger fortschrittlichen Nationen Gegenstand des Neides ist. Richtig, sie war ein ausgezeichnetes Mittel für den materiellen Fortschritt. Nachdem aber der materielle Fortschritt in einigen Ländern aufhört, das einzige, ja auch nur das Hauptkriterium zu sein, ist sie kein so guter Weg mehr.

Nicht nur die Aktiengesellschaft, sondern auch Institutionen, die mit ihr assoziiert sind, wie die Börsen, durch die ihre Werte gehandelt werden, würden durch eine derartige Änderung der Politik radikal betroffen werden. Ein weiteres Kapitel wäre nötig, um die finanziellen Institutionen zu behandeln — Banken, Versicherungsgesellschaften, Geldfonds und so weiter —, die alle auf eine Ricardische Art zur Unterstützung des Systems arbeiten. Mehr noch, Ministerien, Körperschaften des öffentlichen Rechts, lokale Behörden und staatliche Betriebe handeln zunehmend nach dem Rieardischen Prinzip. 

Der Bürokrat, der eine Stellenbewerbung von jemand erhält, der eine kriminelle Vergangenheit hat, wird nicht geneigt sein, diesen Mann einzustellen, denn sollte sein Vertrauen enttäuscht werden, wird sein Vorgesetzter sagen: »Sie hätten einen Mann mit einer derartigen Vergangenheit überhaupt nicht in den öffentlichen Dienst nehmen dürfen.« Falls sich sein Vertrauen aber rechtfertigt, wird er keinerlei Lohn für seine Menschenfreundlichkeit erhalten. Das großzügige Handeln, das dem Individuum jederzeit möglich ist, ist für den Beamten in einer großen Organisation praktisch ausgeschlossen — und öffentliche Dienststellen sind in dieser Hinsicht noch schlimmer als private, statt besser, wie man hätte hoffen können. Die Bürokratisierung ist im wesentlichen die Reduzierung humaner und menschlicher Entscheidungen zu unpersönlichen.


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  5  Der Lohn der Tugend  

 

Nach der klassischen Auffassung befindet sich eine Firma im Besitz ihrer Aktionäre, deren Geld verwendet wurde, um die Gebäude und die Einrichtung zu kaufen. Die Aktionäre bestimmen einen Manager (oder die Direktoren, die ihrerseits einen Manager bestimmen) und können ihn; wenn sie mit ihm unzufrieden sind, wieder entlassen. Sie instruieren ihn, wie man weithin annimmt, er solle den größtmöglichen Gewinn erzielen; kleinere Übertretungen des Gesetzes werden hingenommen, vorausgesetzt, daß sie nicht so weit gehen, daß sie eine wirkliche Vergeltung nach sich ziehen. Das gleiche gilt für Übertretungen des moralischen Gesetzes. Kurz gesagt, eine Firma wird als Besitz angesehen und fällt unter die Eigentumsgesetze.

Das ist eine, der Theorie vom reinen Profit nicht unähnliche, Übervereinfachung. In Wahrheit hat eine Firma mehrere Aspekte. Sie ist in erster Linie eine Institution, die der Gemeinschaft dient, genauso wie die Fischerkanus den Inselbewohnern der Südsee dienen. Sie ist — zum Teil — eine Institution, die denen dient, die darin arbeiten. Und sie ist zum Teil — aber nur zum Teil — eine Institution, die die belohnt, die dafür Kapital bereitstellen. Ich glaube, daß wir ein gutes Stück des Wegs von der Auffassung der Firma als Privatbesitz zu der Auffassung der Firma als öffentliche Einrichtung gekommen sind. Wenn dem so ist, erhebt sich die Frage, wer das Management bestimmen soll. Die offensichtliche Antwort lautet: Vertreter der konsumierenden Öffentlichkeit, Vertreter der Arbeitnehmer und Vertreter der Aktionäre; vielleicht auch Vertreter der lokalen Gemeinde, da ja nicht nur die Menschen als Konsumenten, sondern auch als Bürger von ihrer Anwesenheit berührt werden.

Es ist bezeichnend, daß solche Ideen jetzt auch in ziemlich orthodoxen Kreisen besprochen werden. So hat Robert Townsend, ehemaliger Präsident der Avis-Mietwagen und Autor von Hoch lebe die Organisation, die sich selbstverewigende Art gewisser Konzerne kritisiert und die Wahl der Aufsichts­rats­mitglieder durch die Aktionäre als bloßen Vorwand entlarvt. Es ist, wie T. K. Quinn, Vizepräsident der (amerikanischen) General Electric, feststellte: »Der Aufsichtsrat wurde in jedem Fall von den Vorstandsmitgliedern der Gesellschaft gewählt. Wir hatten damals in der Tat einen riesigen Wirtschaftsstaat, regiert von nicht-gewählten, sich selbst verewigenden Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, also den direkten Gegensatz zur demokratischen Methode.«


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Townsend sagt: »Ich bin nicht davon überzeugt, daß der scheidende Aufsichtsratsvorsitzende der richtige Mann ist, seinen Nachfolger auszuwählen. Das schmeckt nach dem alten Mythos der Plantagenbesitzer.« Und er fügt hinzu: »Wer könnte eine bessere Wahl treffen? Die Angestellten.« 

In Frankreich gibt es eine Anzahl von <Arbeitsgenossenschaften>, eine davon habe ich vor Jahren in der Nähe von Valence studiert. Sie stellte Gehäuse für Armbanduhren her und war als <Boimondau> bekannt. Hier wie in anderen Arbeitsgenossenschaften wurde der Generaldirektor gewählt, er besaß die üblichen Vollmachten, doch legte er alle seine Pläne für die Zukunft allen Angestellten (und ihren Frauen) bei periodischen Vollversammlungen vor. Wenn sie nicht einverstanden waren und er hart blieb, hatte er die Vollmacht, auf ein Vertrauensvotum hin weiterzumachen, obwohl bis zum Zeitpunkt meines Besuchs ein derartiger Fall noch nicht eingetreten war. Das System der Arbeiterkontrolle ignoriert jedoch das Interesse der Gemeinde im allgemeinen, und die Geschichte verzeichnet Fälle von Kooperativen, die versuchten, ihre Gewinne ohne Rücksicht auf die Nichtmitglieder zu vergrößern.

Townsend trug auch den Gedanken eines <öffentlichen Direktors> vor, der ein Budget von einer Million Dollar erhalten und in der Lage sein sollte, Wissenschaftler, Rechtsanwälte, Ingenieure und Wirtschaftsprüfer einzustellen, »um Antworten auf die Fragen zu entwickeln, die die Gesellschaft nicht stellt, aber doch stellen sollte.«

Ich erwarte, noch mehr Vorschläge dieser Art zu erleben. In Großbritannien haben öffentliche Korporationen — (das heißt die verstaatlichte Industrie) Vertreter der Gewerkschaften in ihren Aufsichtsräten und Direktorien zugelassen, sie haben sich aber erbittert einer Vertretung der Konsumenten widersetzt und alles getan, um den Consumer Council (Verbraucherrat), der aufgestellt wurde, um die Ansichten der Konsumenten zu vertreten, bedeutungslos zu machen. Die konservative Regierung hat den allgemeinen Consumer Council aufgelöst. Da sich konservative Regierungen immer gegen laufende Trends orientieren, ist das ein gutes Omen.


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Als nächstes wird vermutlich das merkwürdige System des unterschiedlichen Lohns neu überdacht werden, das in das Profitsystem eingebettet ist. Den Angestellten wird mehr oder weniger eine feste jährliche Summe garantiert, sie haben aber wenig Sicherheit hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes. Die Besitzer haben die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes, aber sie bekommen eine Summe, die von Null bis zu einem sehr hohen Betrag variieren kann, das heißt den Nettogewinn. Sobald wir jedoch unser Denken ändern, so daß man in denen, die das Kapital leihen, lediglich einen der Produktionsfaktoren sieht (die anderen sind die Materialien, die Arbeitskraft und das <Gewußt-wie>), besteht kein Grund mehr, den Kapitalgeber auf besondere Art zu belohnen. 

Unter den bestehenden Vereinbarungen ist die Aussicht auf einen großen Profit nötig, um die Möglichkeit eines Verlustes auszugleichen. Wenn aber das Kapital von Investment-Trusts zur Verfügung gestellt wird, so daß Erfolg und Verlust im Durchschnitt ausgeglichen wird, verschwindet dieses Argument. Auf jeden Fall gehen bereits heute große Firmen mit mannigfaltigen Investitionen kein Risiko ein. Niemand erwartet im Ernst, daß Dupont oder Imperial Chemicals oder die Farbwerke Hoechst Bankrott machen.

Großbritanniens verstaatlichte Industrien sind vom Parlament angewiesen, die Preise so zu gestalten, daß sie ohne Gewinn und Verlust arbeiten. Abgesehen davon, daß sie Geld für eine Ausweitung beiseitelegen, arbeiten Dupont und I.C.I. zweifellos genauso. Bei kleinen Privatunternehmen sieht es allerdings anders aus. Die Suche nach Marktlücken und der ungeheure Aufwand an Arbeit und Ideen beim Start eines neuen Unternehmens sind nur dann denkbar, wenn die Aussicht auf große Gewinne die Möglichkeit, alles zu verlieren, ausgleicht.* (Große Firmen gehen im Gegensatz dazu nur wenige Risiken ein, sie ziehen es vor, fertige Arbeitsverfahren anzukaufen, die kleine Firmen entwickelt haben, sobald diese gewinnversprechend sind.)

* Das Profit-System wird häufig als die treibende Kraft für den Privatunternehmer angesehen. Andererseits treibt dieses System die Arbeitnehmer keineswegs an, so daß Streiks, Arbeitsversäumnisse, unnötig hohe Ausschußquoten und andere Nachteile den obenerwähnten Vorteil weitgehend ausgleichen.


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In der Welt von heute, in der die Gleichheit en vogae ist, hört man immer wieder Vorschläge, jedermann solle das gleiche Einkommen erhalten. Ein derartiger Vorschlag ist nicht nur unpraktisch, er steht auch in keinerlei Einklang mit den psychologischen Bedürfnissen des Menschen. Der Vorschlag ist unpraktisch, weil die Motivierung abnehmen würde, so daß das gesamtgesellschaftliche Vermögen ebenfalls abnehmen würde, während neue Möglichkeiten und Arbeitsverfahren nicht energisch genug ausgenützt würden.

Viel wichtiger ist jedoch die Tatsache, daß die Menschen einfach im nächsten Jahr mehr Geld verdienen wollen als in diesem — sie wollen Fortschritte erzielen. Bei den Lohnverhandlungen legen die Gewerkschaften großen Wert darauf, die Bezahlung genauso an das höhere Dienstalter wie an die Verdienste zu binden. Mehr noch — auch die Verantwortung variiert, sowohl daheim wie in der Firma. Bei Boimondau wurden die Löhne nach einem Punktsystem zugeteilt: Punkte gab man sowohl für die Art der Arbeit wie für die Größe der Familie, die zu unterstützen war, und für soziale Beiträge außerhalb der Arbeit.*

   

   6 Das Ende der Wirtschaft   

 

Meine Veränderungsvorschläge befassen sich also nicht mit der Frage Privat- oder Staatsbesitz, mit dem Profit als solchem oder mit dem Kapital. Es besteht ein Unterschied, ob man den Profit zum einzigen Kriterium des Handelns macht oder nur zu einer Erwägung unter verschiedenen anderen. Es ist nicht so sehr eine Frage, ob das Kapital in privatem oder öffentlichem Besitz ist, als eine Frage, wieviel Macht, wieviel Risiko mit dem Kapital verbunden sind. Kurz gesagt, ich ziele auf eine Entwirtschaftlichung der Wirtschaft ab, wenn Sie mir dieses barbarische Wort verzeihen, auf die Einsetzung des Menschlichen anstelle rein finanzieller Erwägungen.

* Bei Glacier Metals, einer britischen Firma, die Kugellager herstellt, arbeitete die ganze Belegschaft eine Lohnskala aus, die auf der Last der Verantwortung des einzelnen beruht, auch der Generaldirektor wurde dabei einbezogen. Siehe E. Jaques, Measmement of Responsibility (Tavi-stock Press, 1956).


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Trotzdem bleibt noch eine Rolle für die professionellen Wirtschaftswissenschaftler. Ein großer Teil der Schwierigkeiten, diese Veränderung vorzunehmen, resultiert aus der Unfähigkeit unserer wirtschaftlichen Indikatoren, die wirklichen Befriedigungen zu messen oder auch nur das, was einfacher sein sollte: die wirklichen Produktionskosten. Es ist so, als ob wir behaupten würden, wir hätten die Ernährung eines Menschen verbessert, indem wir es ihm ermöglichten, von Kaviar und Schokoladencreme zu leben. In den Begriffen des Geldes, das für die Ernährung ausgegeben wird, scheint er besser daran zu sein. In Begriffen der Ernährung allerdings ist er viel schlechter gestellt, und schon nach kurzer Zeit werden Anzeichen von Proteinknappheit und Vitaminmangel in Erscheinung treten. Unsere Gesellschaft weist diese verräterischen Anzeichen einer psychischen Mangelkost auf, selbst wenn wir die glitzernden Nichtigkeiten konsumieren, mit denen sie uns überschüttet.

Die verschiedenen Vorschläge, die ich dargelegt habe, müssen in Verbindung mit einem weiteren gelesen werden, selbst wenn sie wahrscheinlich nicht im gleichen Tempo realisiert werden. Wir könnten die Art von Wirtschaftssystem, das so entsteht, polylithisch nennen, im Gegensatz zu dem monolithischen sozialistischen System — eine Anhäufung kleiner, unabhängiger, privater, aber sozialkontrollierter Einheiten, gepaart mit einem Überwachungssystem, das antisoziale Praktiken entdecken kann, und viel mehr, als das heute der Fall ist, in die örtlichen Gemeinden integriert.

In der kleinen Gemeinde wird ein antisoziales Verhalten einer lokalen Firma schnell erkannt werden. Augenblicklich gibt es aber nur selten Behörden, an die sich die Bürger wenden können, falls es sich nicht um eine Gewerkschaftsangelegenheit handelt. (Die Gewerkschaften beweisen jedoch, wie mächtig eine derartige Beaufsichtigung werden kann.) Wenn >bessere Leute< und sozialer Druck< zwei Seiten des Dreiecks bilden, sind »gesetzliche Beschränkungen die dritte. Gegenwärtig sind unsere Gesetze in westlichen Ländern meiner Ansicht nach ausnahmslos unangemessen. 


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Erst in allerletzter Zeit sind die Gesetze der meisten Länder geändert worden, um den Verkauf wertloser oder schädlicher Medikamente wirksam zu beschränken. Im Augenblick modifizieren wir — wenn auch sehr langsam — die Gesetze, die die Freiheit der Industrie zügeln, die Umwelt zu verschmutzen — nach einem guten Jahrhundert der Verschmutzung. Viele andere Gebiete werden durch Gesetze überhaupt noch nicht geregelt, die Aufsichts­behörden tendieren eher dazu, Werkzeuge der Industrie als >Wachhunde< zu werden. 

(So soll Mr. W. Plumb, der britische Chefinspekteur für Fabriken, der 1970 in Pension ging, gesagt haben: »Die Überwachungsbehörde hat nie auf eine rigorose Durchsetzung des Gesetzes abgezielt und hat sie auch nie erreicht.« Die Überwachungsbehörde berichtete sogar, daß sie die Central Asbest Co. »gegen die Kritik und die Möglichkeit einer Strafverfolgung verteidigt«; gegen die Firma war 1970 eine Gesamtsumme von 86.469 Pfund wegen Personenschäden verhängt worden, die durch Fälle von Asbestose aufgrund der Verletzung von Sicherheitsbestimmungen entstanden waren. Früher hatte die Firma ein Bußgeld von 170 Pfund erhalten!)

Professor Mishan bringt den wichtigen Punkt vor, daß wirtschaftliche Tätigkeiten immer in einem gesetzlichen Rahmen stattfinden, der definiert, was möglich ist. Wenn beispielsweise die Sklavenhaltung noch erlaubt wäre, könnte ein Fabrikant seine Arbeitskräfte um nicht mehr als die Kosten für den Kauf oder den Fang von Sklaven bekommen und sie dann, wie es einst geschah, auf einem Existenzminimum halten. Diese Freiheit hat er nicht mehr. Er hatte einst die Möglichkeit, selbst kleine Kinder zu beschäftigen und die Sicherheit seiner Angestellten zu ignorieren. Einst konnte er seine Abfallprodukte in Flüsse oder in die Luft abgeben, es stand ihm frei, verdorbene oder schädliche Nahrungsmittel zu verkaufen und so weiter. Er verliert jetzt diese Freiheiten. Es ist ganz allein Sache der Gesellschaft, zu sagen, welche Beschränkungen sie den wirtschaftlichen Tätigkeiten ihrer Mitglieder auferlegen will. Da es die Technologie dem Industriellen erleichtert hat, der Öffentlichkeit Schaden zuzufügen, werden die Kontrollen notwendigerweise strenger und zahlreicher. Aber sie hinken nach, und viele dieser Vorschriften müssen noch verschärft und rigoroser angewandt werden.

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Es ist durchaus diskutabel, daß lokale Gemeinden die Freiheit besitzen sollen, die Maßstäbe anzuwenden, die sie für geeignet halten. Es besteht eine Analogie zu den Rechten der Bundesstaaten in den USA, wo etwa der Staat Michigan versucht hat, für den Strahlenschutz strengere Maßstäbe durchzusetzen, als das von der Bundesregierung vorgeschrieben ist. Wenn solche Kontrollen allein den örtlichen Körperschaften überlassen bleiben, besteht natürlich die Gefahr, daß einige bestochen werden könnten, um ziemlich laxe Grenzen festzusetzen. Das könnte aber dadurch verhindert werden, daß man die Maßstäbe des Bundes als untere Grenze ansetzt, unter die die örtlichen Behörden nicht gehen dürfen, während sie, wenn sie wollen, höhere Maßstäbe anlegen können.

Wir wollen zusammenfassen: das gegenwärtige System ist zugunsten der Waren gegen andere wünschenswerte Dinge eingenommen; es vernachlässigt die schlechten Seiten; es liefert Motive für ein antisoziales und inhumanes Verhalten, weil es selbst mechanisch und inhuman ist. Der Weg, es zu verbessern, ist nicht der, riesige monolithische und in öffentlichem Besitz befindliche Direktorien und Körperschaften einzusetzen, die für Unmenschlichkeit und verzerrte Wertung genauso offen sind. Er besteht darin, Entscheidungen des wundervollen Instruments, des menschlichen Gehirns, einzusetzen, das allein all die Faktoren, die Ponderabilien und die Imponderabilien einer Situation abschätzen und bewerten kann. Eine <verpersönlichte Wirtschaft> kann aber nur aus Kontakten kleinen Maßstabs und von Angesicht zu Angesicht aufgebaut werden: ein polylithisches statt eines monolithischen Systems.

Während sich die Gesellschaft stetig in der Richtung einer Abänderung des Systems der egozentrischen Privatunternehmen durch zentralisierte Kontrollen der einen oder anderen Art zu bewegen scheint, wird die Vorstellung einer Änderung des Kurses zu einem dezentralisierten polylithischen System natürlich auf erbitterten Widerstand stoßen, weil er gegen die Wurzeln der Macht losschlägt und sie zu zerstreuen sucht, statt einfach eine Macht gegen die andere zu setzen. Und dieser Widerstand wird nicht nur aus der Geschäftswelt, sondern auch von den Gewerkschaften kommen, da sie ebenfalls in dem Racket der Organisationen großen Maßstabs stecken.

Und doch werden diese Änderungen nicht so undenkbar scheinen, wenn wir nicht alle einem unaufhörlichen Trommelfeuer sinnloser Propaganda über die Vorzüge, nein, die Vollkommenheit des gegenwärtigen Systems ausgesetzt wären. Es wäre reifer und weiser, wenn man sagen würde: es ist kein sehr gutes System, aber wir können es verbessern. Es blindlings zu verteidigen, ist der sicherste Weg, um es zu untergraben.

Jetzt wollen wir aber die noch fundamentaleren Fragen des menschlichen Verhaltens und der menschlichen Moral untersuchen.

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Umdenken: Radikale Vorschläge zur Rettung einer zerfallenden Welt