Gott segnete den Noe und seine Söhne und sprach zu ihnen:
Seid fruchtbar, mehret euch und erfüllet die Erde!
Furcht vor euch und Schrecken sei bei allen Erdentieren, bei allen Himmelsvögeln,bei allem, was auf dem Erdboden kriecht und bei allen Fischen des Meeres;
in eure Hand sind sie gegeben! -- Genesis 9,1
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Die Engineering-and-Research-Associates hat ihren Sitz in Tucson, Arizona. Sie ist in einem einstöckigen Gebäude am Tuscon-Boulevard neben einem leerstehenden Grundstück untergebracht.
In den vorderen Räumen arbeiten Techniker in der Abteilung für Krankenhausausrüstung — an einer Blutschüttelapparatur, einem Blutbeutel, einem Blutdruckmonitor, einem Nadelschutz und anderen Instrumenten der modernen Blutheilkunde. In den hinteren Räumen arbeiten ein Angestellter und seine Frau an einem ganz besonderen Produkt. Dort stellen Dan und Michel Harmony Glaskugeln her.
Die Harmonys beginnen ihre Tätigkeit mit einer Glaskugel, wie Wahrsagerinnen sie haben. Oben ist ein kleines Loch zu erkennen. Sie gießen ein paar Becher Salzwasser hinein, dann lassen sie mit einem Augentropfer winzige rote Garnelen hineinplumpsen. Mit einer Pinzette fügen sie noch ein grünes Büschel Meeresalgen hinzu. Anschließend versiegeln sie die Kugel mit einem Glasbläser-Lötkolben.
Die Garnelen weiden auf den Seealgen, als hätten sie schon immer in einer Glaskugel gelebt. Sie verhalten sich in jeder Hinsicht wie die Besitzer eines kleinen Planeten. Wenn sie die Harmonys wahrnehmen, zeigen sie keinerlei Anzeichen von Beunruhigung, obwohl die Menschengesichter durch die Wände des kugeligen Aquariums so wie die Apokalyptischen Reiter erscheinen müssen. Erst wenn die Hände der Verpacker ihren gläsernen Himmel berühren, werden die Geschöpfe vor Erregung blaß. Dann hüllt sich ihre Welt in Dunkelheit.
Die Harmonys stecken die Kugeln einzeln in gut gepolsterte Kartons und verschicken sie an Kunden im ganzen Land und überall auf der Welt. Die meisten Kugeln enden auf Couchtischen oder Chefzimmern. Sie werden unter der Markenbezeichnung »Öko-Sphäre« [Eco-Sphere] für 250 Dollar pro Stück verkauft.
Diese Glaskugeln sind ein Nebenprodukt des amerikanischen Raumfahrtprogramms. Der Gründer der Engineering and Research Associates hat das Verfahren von der US-Raumfahrtbehörde NASA gekauft. Die NASA wollte damit Raumkolonien entwickeln. Denn wann immer Astronauten Reisen ins All unternehmen, müssen sie sich in Kammern begeben, die wie Öko-Sphären versiegelt sind. Ihr Leben hängt von dem ab, was einer Blase im Raum entspricht; einer Blase, in der absolut sichergestellt sein muß, daß man in ihrer Luft den ganzen langen Weg zum Mars und zurück* leben kann, obwohl sich in ihr ein Team aus Männern und Frauen aufhält, die atmen und essen, arbeiten und spielen, schlafen und sich vielleicht sogar vermehren.
Die Öko-Sphäre ist nur der kleine Schritt eines NASA-Ingenieurs in diese Richtung. Die roten Garnelen stehen für die Astronauten, die Pflanzen für ein System von Lebewesen, das der Erneuerung der Luft und der Erzeugung von Nahrung dienen könnte.
Die Öko-Sphäre ist außerdem ein funktionierendes Modell des Lebens auf unserem Planeten. Eine Welt en miniature. Im Gegensatz zu einem gewöhnlichen Goldfischglas oder einem Aquarium ist sie versiegelt und daher völlig abgeschlossen, nur das benötigte Sonnenlicht dringt ein. Man kann kein Fischfutter hineinstreuen. Man kann das Wasser nicht mit Sauerstoff anreichern, indem man ihn hindurchbläst. — Gas dringt nicht durch Glas. Man kann die Kiesel nie erneuern, die Wände nicht von innen säubern, die Luft nicht reinigen und etwaige Verluste nicht ausgleichen. Man sollte die Kugel an einem warmen Ort plazieren und für Helligkeit sorgen. Abgesehen davon sind die Tiere und Pflanzen im Inneren der Öko-Sphäre völlig auf sich selbst gestellt.
Unsere eigene Öko-Sphäre ist ebenso in sich geschlossen. Wenn Astronauten und Kosmonauten vom Orbit aus einen Blick auf ihre Heimat werfen, sehen sie sieben Meere, sieben Kontinente und zwei Eisflecken, alles von einer Hülle aus Gasen umschlossen. Dies ist die gewaltige Summe allen Wassers, aller Luft und allen Bodens, die es gibt. Es ist das, mit dem wir leben müssen — oder präziser ausgedrückt, in dem wir leben müssen, denn die blaue Glaskugel wölbt sich über unseren Köpfen.
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Aus der Sicht eines Raumingenieurs besteht eine Öko-Sphäre aus fünf aktiven Teilen:
1. Erde: Ein Fingerhut Sand und Kiesel auf dem Grund der Kugel.
2. Wasser: Ungefähr zwei Drittel der Sphäre bestehen aus Wasser.
3. Luft: Sie füllt den Rest der Kugel aus.
4. Feuer: Sonnenlicht scheint jeden Tag hinein. Ohne diese Energie gäbe es kein Leben.
5. Leben: Die Seealgen, Garnelen und Mikroben, die im Wasser treiben und schwimmen.
Natürlich ist da noch die Glaskugel selbst. Um die Liste nicht unnötig lang zu machen, können wir sie mit unter Punkt 1, Erde, aufnehmen, denn Silikatglas wird aus geschmolzenem Sand hergestellt. Die Kugel hält das ganze System zusammen, so daß sie als der wichtigste Bestandteil erscheinen könnte, aber tatsächlich sind alle Teile (wie in jeder funktionsfähigen Anordnung) gleich wichtig. Die Harmonys haben herausgefunden, daß die Garnelen nicht überleben, wenn eines dieser Teile weggelassen wird — das gilt sogar für die Kiesel auf dem Grund.
Der Planet Erde ist ebenfalls ein System aus nur wenigen aktiven Hauptbestandteilen. Es sind sieben an der Zahl, und man kann sie sich (nicht nur bildlich, sondern in einem verblüffenden Ausmaß auch wörtlich) als sieben Sphären denken.
1. Erde: Die Erde ist eine kugelförmige, mehr oder weniger feste Masse aus Mineralien und Metallen, die sich dreht. Sie macht das riesige Volumen des Planeten aus. Ihre äußersten Schichten werden gelegentlich unter dem Begriff Lithosphäre zusammengefaßt. Litho bedeutet Stein, und von Sphäre spricht man, weil diese Schichten eine große Schale darstellen, die wie bei einer Orange das Innere umschließen. Die Erde ist mehr als viereinhalb Milliarden Jahre alt.
2. Wasser: Aus dem Kosmos gesehen, bildet der Wasservorrat des Planeten ebenfalls eine große Kugelschale oder Sphäre, die einen beträchtlichen Teil der Lithospähre umschließt. Sie wird auch als Hydrosphäre bezeichnet und bedeckt zwei Drittel der planetaren Oberfläche: Wir leben auf einem blauen Planeten. In Urzeiten entströmte ein Großteil des heute vorhandenen Wassers den Vulkanen der Lithosphäre als Wasserdampf. Es sammelte sich in Tümpeln, Flüssen und Meeren, als sich die Erdkruste so weit abgekühlt hatte, daß Regen fallen konnte. Diese Abkühlung dauerte Hunderte von Jahrmillionen.
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3. Luft: Sie bildet eine dritte Kugelschale und ist der einzige der aktiven Teile der Erde, den wir auch in unseren alltäglichen Gesprächen als Sphäre bezeichnen: die Atmosphäre. Als heiße Gase entströmte sie wie die Hydrosphäre den Vulkanen, nachdem sich die Erdkruste geformt hatte. Seitdem ist die Erde permanent in eine dünne, flüchtige Decke aus Gasen gehüllt, deren Gemisch sich allerdings im Verlauf der Zeit stark verändert hat.
4. Feuer: Alle Planeten sind in das Licht des Sterns gebadet, den sie umkreisen. Die Sonne hat sich im All vor mehr als viereinhalb Milliarden Jahren geformt, und unser Planet ist einer von neunen, die sich an der Sonnenperipherie gebildet haben. Die Sonne ist eine große Sphäre aus Feuer, und sie heizt die Atmosphäre und die Hydrosphäre der Erde auf und ruft in beiden mächtige Strömungen hervor. Diese Strömungen werden dann durch die Drehung der Lithosphäre zu den uns bekannten Wetterphänomenen umgelenkt und zu Windungen gezwungen.
5. Leben: Für uns, die wir selbst Lebewesen sind, ist es kaum vorstellbar, daß das gesamte Leben des Planeten weitgehend die gleiche Form wie die Lithosphäre, Hydrosphäre oder Atmosphäre besitzt: Es bildet eine der konzentrischen Schalen um den Erdkern. Die Sphäre des Lebens ist eine unglaublich dünne Schicht, vergleichbar mit der grünen Patina auf einer bronzenen Kanonenkugel im Park.
Einer der ersten Forscher, die sich das Leben als Kugelschale vorstellten, war der Schweizer Geologe Eduard Sueß, der den Begriff »Biosphäre« im 19. Jahrhundert prägte. Vladimir Vernadsky,* der russische Pionier der Geochemie, hat den Ausdruck in den zwanziger Jahren populär gemacht.
Die Biosphäre könnte ohne die Lithosphäre, die Hydrosphäre, die Atmosphäre und die Sphäre des Feuers nicht existieren. Deshalb ist sie jünger als die übrigen Sphären. Aber nicht viel jünger: Das Leben scheint bald nach der Stabilisierung der übrigen Sphären aufgetreten zu sein. Die Biosphäre ist mehr als dreieinhalb Milliarden Jahre alt.
Nun befinden sich in der Öko-Sphäre Leben, Wasser und Luft im Inneren der Kugel. Auf dem Planeten aber sind im Gegensatz dazu Leben, Wasser und Luft als drei sehr dünne konzentrische Schalen um die Kugel gelegt. Unser Planet besitzt außer Erde, Wasser, Luft, Feuer und Leben wenigstens zwei weitere aktive Teile, die in einer für den Schreibtisch bestimmten Öko-Sphäre nicht unterzubringen sind.
Wernadski (1863-1945) wikipedia Eduard Suess (1831-1914)
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6. Eis: Der Planet hat zur Zeit zwei große Eiskappen, je eine an beiden Polen. Auch einige höhere Berge tragen Eiskappen. Dieses Eis bildet eine weitere dünne konzentrische Schale, die Kryosphäre (Kryo bedeutet im Griechischen Kälte oder Frost).
Natürlich ist der größte Teil des Globus zu warm, um Eisbildung zu dulden; aber all die verstreuten Eiskappen der Erde sind in Form einer Kugelschale angeordnet.
Diese Sphäre ist wesentlich jünger als die übrigen fünf; die Erde war zunächst viel zu warm, um bedeutendere Eisbildungen zuzulassen. Tatsächlich erscheinen die ersten Spuren größerer Eisflächen nach geologischer Datierung nicht vor der späten präkambrischen Periode vor ungefähr zwei Milliarden Jahren. Chemisch gesehen ist Eis Wasser in fester Form: Es ist nichts als eine Zustandsform des Wassers. In diesem Sinn könnte man es als einen Teil der Hydrosphäre behandeln. Aber die Kryosphäre verhält sich so eigenartig und übt einen so erheblichen Einfluß aus (wie besonders in den Eiszeiten deutlich wurde), daß Wissenschaftler, die die Erde als System erforschen, die Kryosphäre als eigenständigen aktiven Teil betrachten, als sechste Sphäre.
7. Geist: Er ist der bei weitem jüngste Eintrag auf der Liste. Seinen Ursprung verdankt er einem kleinen Stamm von Jäger und Sammlern in der afrikanischen Savanne, einer Spezies mit Namen Homo habilis, die vor rund zwei Millionen Jahren entstand. Es handelte sich um eine Durchgangsspezies, wie die Evolutionsbiologen E.O. Wilson und Charles Lumsden notieren: »Wir können den Homo habilis ohne große Verzerrung der Wahrheit als den Kopf eines intelligenten Affen bezeichnen, der auf dem Körper eines Menschen sitzt.« Das Gehirn des Homo habilis (lateinisch für »geschickt«) war deutlich größer als das der übrigen Primaten, und während sich diese Spezies entwickelte, wuchs das Gehirn in einem sich immer mehr beschleunigenden Maß, bis unsere Art — Homo sapiens sapiens, doppelt weiser Mensch — vor fünfzigtausend Jahren die Szene betrat.
Physisch ist unsere Spezies nicht bemerkenswert. Wir sind nicht so stark wie Gorillas und nicht so schnell wie Antilopen oder Großkatzen. Aber dank der Macht seines Geistes, insbesondere der Macht, die er seiner Fähigkeit verdankt, von Geist zu Geist zu kommunizieren und derart Wissen von einem Individuum zum anderen und von Generation zu Generation zu übermitteln, ist der Homo sapiens weit mächtiger als die Tiere geworden, gegen die er sich einst in der Savanne behaupten mußte — so mächtig, daß wir heute viele von ihnen in den Untergang treiben.
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In der Tat sind wir heute dank der Macht unseres Geistes, der Fähigkeit zur Kommunikation und der durch den Geist gelenkten Handlungen stark genug, um einen entscheidenden Einfluß auf die Sphären des Wassers, der Luft und des Lebens auszuüben. Weil diese siebte Sphäre des Systems Erde, diese unsichtbare Qualität, die wir Geist nennen, einen so großen Einfluß auf den Planeten hat, prägte Vernadsky den Terminus »Noosphäre« für die Sphäre des Geistes. Anders als die übrigen sechs ist sie nur bildlich gesprochen eine Sphäre. Genaugenommen ist sie nicht einmal physisch, obwohl sie die Macht hat, das Antlitz der Erde zu verändern. »Die Noosphäre stellt ein neues geologisches Phänomen auf unserem Planeten dar«, schrieb Vernadsky 1943 gegen Ende seines Lebens. »Mit ihr ist der Mensch zum ersten Mal eine geologische Macht größeren Umfangs.«
Wie auch immer wir es nennen wollen — Noosphäre, Anthroposphäre, Technosphäre, Menschensphäre —, wir sprechen über ein Phänomen, das ein Teil der Biosphäre, aber gleichzeitig von ihr getrennt ist, ähnlich, wie Eis ein Teil der Hydrosphäre und dennoch von ihr abgesondert ist. Unsere Spezies ist eng mit den Schimpansen verwandt, und tatsächlich haben wir die DNA*-Spirale mit fast allen anderen Arten der Biosphäre gemein. Aber mit der Schaffung des Geistes eröffneten die langsam wirkenden Kräfte der Evolution — indem sie dasselbe molekulare Material wie immer benutzten — eine neue Phase des Lebens auf der Erde.
»Man kann diese Sichtweise durch eine geologische Metapher verdeutlichen«, schrieben Wilson und Lumsden.
»Der Ursprung des Geistes war wie die tiefgreifende Veränderung des höchsten Gipfels in einem tropischen Gebirge. In seiner Geschichte und Zusammensetzung unterscheidet sich dieser Gipfel nicht grundlegend von den Vorbergen und Erhebungen seiner Umgebung. Weil er sich aber genau dort befand, wo die von unten wirkenden Kräfte die Erdkruste ein wenig stärker hoben, haben sich Schnee und Eis und typische Formen alpinen Lebens auf ihm gebildet. Eine Grenze war gezogen; da bewirkte eine kleine quantitative Veränderung die übergangslose Erschaffung einer neuen Welt.«
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* DNA bildet bei den meisten Lebewesen das genetische Material. (Anm. d. Red.)
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Es wäre leicht, diese Liste zu verlängern, aber wenn Wissenschaftler versuchen, die Erde als System zu erforschen, reichen diese sieben Sphären in der Regel aus. Denn alle Teile des Systems sind in Bewegung und auf die unterschiedlichsten Weisen fest miteinander verknüpft, so daß eine Änderung in einer Sphäre viele andere Sphären zu beeinflussen vermag. Gelegentlich kann sich ein scheinbar nebensächlicher Vorfall auf eine unerwartete, sogar verblüffende Art auswirken. Im Jargon der Wissenschaft heißt das »contraintuitiv«.
Die meisten Wissenschaftler glauben, daß vier der sechs Sphären — die Hydrosphäre, die Atmosphäre, die Kryosphäre und die Biosphäre — aufgrund des Einflusses der siebten Sphäre, der Sphäre des Geistes, vor drastischen Veränderungen stehen. Wir könnten zur Zeit Zeugen ihres Beginns sein. Es ist wahr, daß das System in der Vergangenheit heftigen Erschütterungen standgehalten hat, daß einige der kleineren Veränderungen, über die wir uns heute Sorgen machen, nur deswegen so gewaltig erscheinen, weil unsere Instrumente so empfindlich geworden sind.
Trotzdem müssen wir uns auf einen rauhen Ritt durch die nächsten hundert Jahre vorbereiten und uns auf ein Crescendo von Alarmsignalen und Umweltkatastrophen gefaßt machen. Die schlimmsten Stürme, denen wir uns im nächsten Jahrhundert entgegenstellen müssen, haben wir selbst ausgelöst, und wir werden Glück brauchen, um sie zu überstehen.
Den pessimistischsten Annahmen zufolge sehen wir einer Krise nicht nur unserer Spezies, sondern der gesamten Biosphäre entgegen. In dieser Sicht stellen die nächsten hundert Jahre eine der gefährlichsten Perioden seit Entstehung des Lebens dar.
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In den späten fünfziger Jahren begannen Forscher, ein neues Bild der Erde zusammenzufügen. Die Lithosphäre ist wie eine Eierschale zerbrochen, und ihre Bruchstücke treiben umher, knirschen und stöhnen laut auf. Die Hydrosphäre wird von Stürmen aufgewühlt, die von der Oberfläche bis zum tiefsten Meeresgrund reichen. Die Atmosphäre (in den frühen sechziger Jahren zum ersten Mal aus dem All gesehen) ist voller Wirbel, und in allen sieben Sphären wurden so viele Turbulenzen entdeckt, daß die fünfziger und sechziger Jahre als die Zeit einer wissenschaftlichen Revolution galten. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat die Wissenschaft unseren alten Globus — einen statischen, staubigen und ziemlich trüben Globus — durch eine Welt rastloser Veränderungen ersetzt.
Wer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren wurde, hält diese Sichtweise für selbstverständlich; aber viele der Revolutionäre, der Pioniere, die diese Turbulenzen entdeckten, haben noch nicht einmal das Rentenalter erreicht. Für sie ist diese neue Welt so verschieden von der alten, daß sie sich wie Fremde in einem fremden Land fühlen. Es ist, als hätten sie ihre Teleskope heimwärts gerichtet und dabei einen neuen Planeten entdeckt.
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Heute glauben viele Forscher, daß sie kurz vor einer zweiten Revolution stehen. Für die erste war die Entdeckung immer neuer Turbulenzen charakteristisch; diese zweite Revolution ist durch das Auffinden neuer Verbindungen gekennzeichnet. Die Wissenschaftler entdecken immer mehr komplexe Zusammenhänge zwischen den sieben Sphären. Ihre Studien offenbaren, wie eng jede Sphäre mit den übrigen verknüpft ist. Dadurch ergeben sich Fragen, die erregend und irritierend zugleich sind.
Wenn der Fels unter unseren Füßen, das Meer um uns, die Luft über uns und das Antlitz der Sonne in Aufruhr sind, wie beeinflußt die Erregung des einen den Zustand der übrigen? Auf welche Weise berühren die Verbindungen zwischen den Sphären unser Leben? Und die dringlichste Frage: Wenn die menschlichen Fähigkeiten täglich zunehmen, wenn unser Atem die Atmosphäre verpestet, wenn unsere Zahl mit Riesenschritten von fünf auf zehn Milliarden anwächst, wie beeinflussen wir Stein, Meer, Luft, Eis, Leben und Feuer?
Wie paßt das alles zusammen? Werden wir ein planetares Chaos erleben? Einen ein für alle Male eingestellten Mechanismus nach Art eines Uhrwerks? Eine Lebensform jenseits unserer Vorstellung?
»Es ist seltsam«, sinnierte der Ozeanograph Arnold Gordon kürzlich. »Wir meinen, die Welt bestehe aus separaten Sphären — Erde, Luft, Feuer, Wasser, Leben... Aber das Interessanteste an diesem Planeten sind die Verbindungen der Sphären untereinander.«
Diese Verbindungen zu erkennen ist schwierig, denn es erfordert, daß Forscher aller Einzeldisziplinen zusammenarbeiten. Jede der sieben Sphären hat ihre Spezialisten, Unterspezialisten und Unterunterspezialisten. Sie alle besitzen ihre eigenen Zeitschriften und Jargons. Das macht interdisziplinäre Gespräche schwierig. Trotzdem beginnen die Forscher in großangelegten kooperativen Programmen, den Verbindungen zwischen dem Leben und allen übrigen Sphären nachzuspüren. Sie versuchen sich zusammenzutun und sämtliche Sphären aus so vielen Perspektiven wie möglich zu beobachten und zu sehen, wie das System als Ganzes funktioniert.
Diese Frage schließt die Frage ein, wohin sich alles entwickelt. Viele Wissenschaftler streben heute eine umfassende Voraussage an. Sie hoffen genug zu erfahren, um die Trends der globalen Veränderungen bis in die nächsten hundert Jahre projizieren zu können.
Vorhersagen sind bekanntlich immer riskant. Trotzdem würden die meisten Experten folgenden Prämissen zustimmen:
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Erstens: Die Elemente der Erde verändern sich heutzutage rascher, als sie es in den letzten zehntausend Jahren getan haben, seit dem Ende der letzten Eiszeit. Es könnte sein, daß die heute geborenen Kinder zu ihren Lebzeiten mehr Veränderungen durchmachen, als unser Planet seit den Anfängen der Zivilisation erfahren hat.
Zweitens: Die Elemente, die sich am raschesten zu verändern scheinen, sind zugleich diejenigen, die uns alle am meisten betreffen: Die Biosphäre und die Atmosphäre, die in Gestalt von Wetter und Klima für jedes einzelne Lebewesen von Bedeutung sind.
Drittens: Unsere Spezies kennt ihre eigene Stärke nicht. Wir zwingen dem Planeten ein neues Muster auf. Einige sichtbare Spuren unserer Art sind schon ein gewohnter Anblick: Städte, brennende Wälder, gepflügte Felder, künstliche Berge wie die Fresh-Kills-Landaufschüttung auf Staten Island, New York, die größte Abfallhalde der Welt. (Wenn sie im Jahr 2005 fertiggestellt sein wird, wird sie die höchste Erhebung entlang der riesigen Küste zwischen Florida und Maine bilden.) Andere Spuren sind, obwohl stark genug, um Luft, Ackerboden, Wasser und die Biosphäre zu beeinflussen, so fein, daß die Forscher gerade erst beginnen, sie wahrzunehmen.
Viertens: Es ist oft schwierig festzustellen, ob eine bestimmte planetare Veränderung natürlicher oder künstlicher Herkunft ist, denn die Erde befindet sich von Natur aus in ständigem Aufruhr. Bei unserem gegenwärtigen Wissensstand ist niemand sicher, ob sie sich zur Zeit auch dann verändern würde, wenn es keine Menschen gäbe.
Fünftens und letztens: Der globale Wandel vollzieht sich weit schneller, als wir lernen, ihn zu verstehen.
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Die Harmonys legen ihren Glaskugeln eine Lebensversicherungspolice bei und versprechen den Käufern eine kostenlose neue Kugel, falls nach einem Jahr weniger als drei Garnelen überlebt haben. Diese Police beruhigt die Kunden, weil es keine Garantie für das Überleben in jeder einzelnen Kugel geben kann.
Für den Planeten Erde gibt es keine Versicherungspolice. Das Schicksal unseres Heimatplaneten ist so unsicher und besorgniserregend, daß viele die Probleme gern beiseite schieben würden. Es ist mehrere Jahrzehnte her, daß wir uns zum ersten Mal größere Sorgen über Luft- und Wasserverschmutzung, Wüsten, Pestizide, Überbevölkerung und Versteppung gemacht haben. Zwar wurde das Interesse vieler Menschen in den USA unter der Präsidentschaft Ronald Reagans von Umweltproblemen abgelenkt. In Westdeutschland, der Schweiz, Mexiko und anderen Ländern verloren sie jedoch nichts von ihrer Aktualität; ja, dort nahmen die Warnungen weiter zu.
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Dann kam das Jahr 1988 und brachte eine Rekorddürre, eine Rekordüberschwemmung, den Hurrikan des Jahrhunderts und eine alles bisherige übersteigende Meeresverschmutzung an der Ostküste der Vereinigten Staaten mit sich. Die globalen Veränderungen beeinflußten die Wahlen in Amerika. Menschen auf der ganzen Welt fragten sich, ob die Erde nun zurückschlage.
Es hat natürlich immer schon lokale Verschmutzungen gegeben. Die Luft in London und Pittsburgh ist einmal viel schlechter gewesen, als sie es heute ist. An den meisten dichtbesiedelten Orten der nördlichen Hemisphäre war die Luft in den Tagen der Holz- und Kohleverbrennung weit weniger zuträglich als jetzt.
Eine Menge neuer Gesetze in den USA und anderen Ländern ermöglichte seit den siebziger Jahren zwar rasch lokale Fortschritte. Aber heute sind die Probleme, vor denen wir uns fürchten, global und möglicherweise irreversibel.
Das schließt die Bildung von Treibhausgasen, die Schwächung der Ozonschicht über dem Südpol (zuerst 1985 entdeckt), die Abholzung der Regenwälder und das beschleunigte Aussterben anderer Arten der Biosphäre ein. Diese Veränderungen sind schwer — manche Wissenschaftler würden sagen, unmöglich — aufzuhalten. Die Weltwirtschaft ist mit ihnen verflochten.
Weil sie so langanhaltend und bedrohlich sind und sich schnell beschleunigen, zwingen diese globalen Veränderungen die Forscher zu dem Versuch, Voraussagen für die nächsten hundert Jahre zu machen; und die sich häufenden Vorfälle bringen diese Wissenschaftler immer öfter auf die Titelseiten der Weltpresse.
Alle diese Sorgen, alte wie neue, bilden ein einziges großes Fragezeichen, mit dem wir alle leben. Und gelegentlich ertappen wir uns dabei, daß wir einen Baum oder Berg oder Sonnenuntergang wie einen in Lebensgefahr schwebenden Geliebten betrachten; und unser Staunen über ein Blatt hat manchmal etwas von einem Gebet an sich.
Die Frage nach dem Schicksal unseres Planeten bedrückt sogar jene, die sich um die Schlagzeilen nicht kümmern und sich nur darüber Gedanken machen, ob ihre alte Garage zusammenbricht, das Dach undicht oder eine Pfändung fällig wird. Ein Fragezeichen schwebt über unseren Dächern und spottet unserer Hoffnungen. Wenn die Erde in Stücke bricht, zerbrechen auch unsere Pläne für den Sommerurlaub. Wie der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau sagte: »Welchen Nutzen hat ein Haus, wenn man keinen anständigen Platz hat, an dem man es aufstellen könnte?«
Vor ein paar Jahren — ich schaltete gerade das Licht in meinem Apartment in Manhattan aus — sah ich einen grellen orangefarbenen Blitz am Himmel. Ich setzte mich im Bett auf. Eine Lichtsäule erhellte den Himmel. Ohne mir dessen auch nur bewußt zu werden, wartete ich darauf, daß sich ihr eine zweite und dritte zugesellen würden — die Signalfeuer des nuklearen Holocaust. Wenige Minuten später erklärten Radiosprecher, daß die Lichtsäule von einer Explosion in einer chemischen Fabrik in New Jersey herrührte. Es war eine gewaltige Explosion gewesen, aber nicht das Ende der Welt.
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Später machte mir meine erste Reaktion mehr zu schaffen als das Feuer selbst. Obwohl der Gedanke nur sporadisch an die Oberfläche kommt, sitzt er selten sehr tief darunter. Wir alle leben in banger Erwartung des Anblicks jener pilzförmigen Wolke.
Ebenso verhält es sich mit dem Gedanken an die Apokalypse der Umwelt, obwohl unsere diesbezüglichen Vorahnungen unbestimmter sind. Die meisten von uns wissen von keiner einzelnen Bedrohung, vor der wir bangen müßten; wir fürchten keine pilzförmige Wolke, sondern das Zusammentreffen Tausender Einzelbedrohungen. Bei jeder neuen Schlagzeile über vergiftete Seen, verschmutzte Luft, radioaktive Abfälle, vergiftetes Ackerland oder das Ozonloch über dem Südpol fragen wir uns: »Ist das der Anfang vom Ende?«
Die Harmonys wissen, wie schwierig es ist, die Maschinerie der Natur zu kontrollieren, selbst im kleinsten Maßstab. In der Fabrik in Tucson werden Tag für Tag Dutzende neuer Öko-Sphären in den Regalen aufgereiht und warten dort auf ihren Versand. Einige von ihnen werden jahrelang überleben. Manche werden noch in ihren Kartons in einem Lieferwagen absterben. Gelegentlich mißlingt eine ganze Partie. Die Harmonys können das Schicksal der Öko-Sphären, die sie herstellen, beim besten Willen nicht vorhersehen. Oft sterben die Garnelen, und die Algen überleben. Manchmal sterben auch die Algen, und das Wasser wird kristallklar wie ein toter See.
Meine eigene Öko-Sphäre wurde vor mehreren Jahren geliefert. Ich lebte damals in Brooklyn. Bald danach zog ich auf einen Hügel in Pennsylvania um. Und kurz darauf erschienen an der Innenseite des Glases ein paar braune Punkte. Aus den Punkten wurden Flecken. Dann starben die Garnelen eine nach der anderen und fielen in den Kies am Boden der Kugel.
Ich rief Dan Harmony an, beschrieb ihm die Ereignisse und fragte, was nicht in Ordnung sei. Harmony sagte, meine Schilderung der Flecken höre sich nach Pilzen an. Dagegen könne man nichts machen. »Zu häufige Veränderungen«, sagte Harmony, ...
»sind gefährlich für eine Öko-Sphäre. Schon das Versetzen der Sphäre von einer Regalseite zur anderen kann eine Krise verursachen. Die Lebensgemeinschaft in der Sphäre scheint sich nach jeder Verlagerung um ein neues Gleichgewicht zu bemühen. Sie brauchen die Sphäre nur versehentlich anzustoßen, und die Lebensgemeinschaft muß erneut um ihre Stabilität ringen. Eine dritte Erschütterung kann den Kollaps herbeiführen. Wie wir Menschen verträgt die Lebensgemeinschaft einer Öko-Sphäre Streß nur bis zu einer bestimmten Grenze.«
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The Next One Hundred Years / Die Klimakatastrophe