Andreas
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dnb Person *1972 detopia |
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2023
Wir-koennen-nicht-zulassen-dass-extremer-Reichtum-unsere-gemeinsame-Zukunft-ruiniert
Westphalen
Millionäre, Politiker und Ökonomen haben
G20-Staaten aufgefordert, die grassierende Ungleichheit zu bekämpfen, indem sie
gemeinsam die Steuern für die Reichen der Welt erhöhen.
2021 Das-Menschenbild-Zentraler-Baustein-der-Gesellschaft
Westphalen
Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sind mehr vom Menschenbild bestimmt, als es
auf den ersten Blick zu sein scheint. Mit grundlegenden Folgen. Eine Spurensuche
(Teil 1)
2020
Wie-der-Mensch-korrumpiert-wird
Westphalen
In der
kapitalistischen Gesellschaft wird häufig auf die falsche Art der Motivation
gesetzt. Dies hat
verheerende Folgen.
2024 Extreme-Ungleichheit-Superreiche-zerstoeren-das-Klima-in-extremen-Mass
2023 deutschlandfunk die-angst-der-tech-milliardaere-vor-ihrem-personal-100.html mit Audio
2024: telepolis Transhumanismus-und-KI-Bedrohung-des-Menschen Westphalen
Transhumanismus und KI: Bedrohung des Menschen (2024)
Transhumanismus-und-KI-Bedrohung-des-Menschen Westphalen 2024
Der Name ist Programm. Das lateinische Präfix "trans" bedeutet "über", "hinaus". Vor fast 70 Jahren definierte der Biologie Julian Huxley den Transhumanismus: "Mensch, der Mensch bleibt, aber sich selbst, durch Verwirklichung neuer Möglichkeiten von seiner und für seine menschliche Natur, überwindet." Bleibt der Mensch dabei aber tatsächlich Mensch?
Die extrem technikaffine Geistesrichtung des Transhumanismus verfolgt eine Reihe von Zielen, die mit Hilfe von Technik erreicht werden sollen (man ahnt, weshalb er in Silicon Valley sich solcher Beliebtheit erfreut):
Die Überwindung des Todes durch die sogenannte Kryonik. Hierbei wird der Kopf oder ganze Körper eingefroren. Der Milliardär Peter Thiel hat sich beispielsweise hierfür schon angemeldet.
Mind Uploading. Dadurch soll das eigene Gehirn extern dupliziert werden. Dabei gibt es verschiedene Formen und Ziele des Uploadings.
Genkontrolle und Genediting des Fötus zur Optimierung des Kindes.
Upgrading des Gehirns, das die kognitiven Grenzen des Menschen überwinden soll.
Ein möglichst flächendeckender Einsatz Künstlicher Intelligenz zur Optimierung des Lebens insgesamt.
Selbstverständlich teilt nicht jeder Transhumanist alle genannten Ziele, aber alle Transhumanisten sehen den Menschen als ein defizitäres Wesen an, dessen Natur enhanced, also verbessert werden muss.
Es stellt sich die Frage, was vom Wesen Mensch eigentlich nach Wunsch derjenigen bleiben soll, wenn der Mensch "überwunden" wird.
Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google:
Es wird keine Unterscheidung (...) zwischen Mensch und Maschine oder zwischen physischer und virtueller Realität geben. Wenn Sie sich fragen, was in einer solchen Welt eindeutig menschlich bleiben wird, dann ist es einfach diese Eigenschaft: Wir sind die Spezies, die von Natur aus danach strebt, ihre physische und mentale Reichweite über die derzeitigen Grenzen hinaus zu erweitern.
Viele Unternehmen in Silicon Valley und führende Persönlichkeiten der dortigen Community arbeiten genau daran. Elon Musk besitzt das Unternehmen Neuralink, das Computerchips für das menschliche Gehirn baut und diese auch seit kurzem an Menschen testen darf. Peter Thiel investiert massiv in eine Firma, die Gehirn und Computer direkt verbinden will.
Die Transhumanisten kennen in ihrem Optimismus kaum Grenzen. Der flächendeckende Einsatz von Künstlicher Intelligenz, die mit Terrabyte persönlicher Daten gefüttert wird, erfüllt dabei die vermeintlich große Sehnsucht des Menschen, die Google-Mitbegründer Eric Schmidt schon vor Jahren formuliert hat:
Ich denke tatsächlich, dass die meisten Menschen nicht wollen, dass Google ihre Fragen beantwortet; sie wollen, dass Google ihnen sagt, was sie als Nächstes sollen.
Anstrengendes Nachdenken, Abwägen, sich informieren, mit einander diskutieren. Überflüssig. Schnee von gestern. Das Leben eine einzige unendlich supergeile Party. Endlich! Oder wie es der britische Philosoph David Pearce schreibt:
Superintelligenz. Superlanglebigkeit und Superglücklichsein. (…) Das Leben wird immer aufregend sein, und der Spaß wird einfach nicht aufhören.
In den letzten Jahren haben sich die Zahl von Experten gemehrt, die ihre Stimme gegen die Drohung der Künstlichen Intelligenz erheben. Im Herbst 2022 kam sogar eine Studie von KI-Forscher der Universität Oxford und Canbera zu dem durchaus beunruhigenden Ergebnis, dass die Künstliche Intelligenz die Menschheit vermutlich auslöschen wird.
Zuletzt verließ Jeffrey Hinton, "der Vater der KI", Google, um offen über die Risiken von künstlicher Intelligenz sprechen zu können und Mo Gawdat, ehemaliger Chief Business Officer von Google X, bezeichnet in einem beeindruckenden Interview die Diskussion um KI als "die existenziellste Debatte und Herausforderung, der sich die Menschheit jemals stellen wird."
Die Gefahr durch KI sei größer als die einer drohenden Klimakatastrophe. Der Internet-Pionier Jaron Lanier kann sich da nur anschließen:
Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft wird das Internet sich plötzlich zu einer superintelligenten KI zusammenballen, unendlich klüger als jeder einzelne Mensch und alle Maschinen zusammen. Es wird von einem Moment auf den anderen lebendig werden und die Weltherrschaft übernehmen, bevor wir kleinen unbedeutenden Menschen überhaupt wissen, wie uns geschieht.
Thiels folgende Äußerung, die er bereits vor rund zehn Jahren von sich gab, trägt wohl kaum dazu bei, die Kritiker zu beruhigen:
Natürlich hoffen wir, dass ein künstlich intelligenter Computer den Menschen freundlich gesinnt sein wird. Zugleich aber nehme ich nicht an, dass man als eines der menschlichen Wesen bekannt sein möchte, das gegen Computer ist und sein Leben dem Kampf gegen Computer bestreitet.
Was ist der Mensch?
Der Transhumanismus, den man aufgrund seines Erlösungsanspruch vom Tod und andere biologischer Grenzen des Menschseins auch als "Nerd-Religion" (Douglas Rushkoff) bezeichnen kann, stützt sich auf eine bestürzend simple Vorstellung des Menschen.
Larry Page, Mitbegründer von Google, drückte zum Beispiel seine Einschätzung der menschlichen DNA in diesem Sinne aus: Diese sei einzig "komprimiert 600 Megabyte, also kleiner als jedes moderne Betriebssystem (...) also sind Ihre Programmalgorithmen wahrscheinlich nicht so kompliziert."
Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins brachte seine Einschätzung noch prägnanter – aber ein wenig unterkomplex – auf den Punkt:
Das Leben besteht nur aus Bytes und Bytes und Bytes von digitalen Informationen.
Es mag in einer Welt, die von Big Data beherrscht wird und deren Geschäftsmodell Big Data ist, naheliegen, den Menschen auf ein Produkt seiner Bytes und Megabytes zu reduzieren, es ist aber mehr als befremdlich, wie viele Aspekte der menschlichen Natur bei dieser Reduktion übersehen werden, vielleicht auch übersehen werden müssen, um mit Verve für den Transhumanismus zu werben. Der Publizist Philipp von Becker bemerkt:
Die Vorstellung des Mind-Uploads beruht auf der Fiktion, dass das Wesen des Menschen unabhängig von der spezifischen Materie seines Körpers sei und lediglich aus Daten bestehe, die auf eine beliebige Materie transferiert werden könnten.
Auch die Vorstellung zur gentechnischen Umgestaltung des Menschen beruht auf der Fiktion des Menschen als einer formalisierbaren, berechenbaren, von der Umwelt abgeschnittenen Entität.
Der (un)berechenbare Mensch
Alle Überlegungen der Transhumanisten zu einer gentechnischen Optimierung gehen von einem berechenbaren Wesen Mensch aus und übersehen dabei ein paar Kleinigkeiten.
Denn tatsächlich gibt es schon rein mathematisch ein gravierendes Problem, wie niemand anderes als Craig Venter betont, dessen Firma es als Erstes gelungen ist, ein menschliches Genom zu sequenzieren:
Wir haben einfach nicht genug Gene, als dass diese Idee des biologischen Determinismus richtig sein könnte. Die wunderbare Vielfalt der menschlichen Spezies ist nicht in unserem genetischen Code fest verdrahtet. Unsere Umwelt ist entscheidend.
Venter spricht dabei einen weiteren zentralen Punkt an, den Transhumanisten übersehen: Gene legen unser Leben und Verhalten bei Weitem nicht so stark fest, wie landläufig geglaubt wird.
Unsere Umwelt und unser soziales Miteinander beeinflussen, welche Gene wie stark (oder gar nicht) zur Wirkung kommen. Matthieu Ricard, promovierter Zellgenetiker und weltbekannter buddhistischer Mönch, erklärt:
Um aktiv zu sein, muss ein Gen "exprimiert werden", d. h., es muss eine "Transkription" in Form eines spezifizierten Proteins, das auf den Trägerorganismus dieses Gens wirkt, erfolgen.
Findet keine Transkription statt und wird ein Gen nicht exprimiert, so ist dies gleichsam, als würde dieses Gen gar nicht existieren.
Die Wirklichkeit ist nachweislich deutlich komplexer als eine Formel, die unser Verhalten aufgrund unserer Gene berechnet. Tatsächlich werden die meisten Gene des Körpers reguliert, nur sehr wenige Gene sind andauernd und unverändert aktiv.
Mit anderen Worten, Gene bestimmen durchaus unser Leben. Inwiefern sie aber aktiviert werden oder nicht, ist von unseren äußeren Lebensumständen abhängig.
Auch seelische Erlebnisse können Genexpressionen aktivieren oder deaktivieren. Der Neurowissenschaftler Robert Sapolsky erklärt:
Transkriptionsfaktoren regulieren also Gene. Und was reguliert Transkriptionsfaktoren? Die Antwort ist vernichtend für das Konzept des genetischen Determinismus: die Umwelt.
Einen genetischen Determinismus und damit eine theoretisch denkbare Berechenbarkeit des Menschen gibt es nicht. Willkommen in der Welt der Epigenetik!
Der (a)soziale Mensch
Beim Transhumanismus steht nicht das soziale Wesen Mensch im Mittelpunkt, stattdessen ist der Mensch ganz offensichtlich ein zu optimierendes Einzelwesen. Gedanken zum sozialen Wesen Mensch sucht man bei Transhumanisten daher vergeblich.
Dass ungewollte Einsamkeit so gesundheitsschädigend wie Alkoholismus ist, Menschen also am dringendsten den Menschen und soziale Verbundenheit brauchen, passt offensichtlich im Hochgesang auf technische Möglichkeiten nicht ins Bild.
Auch damit offenbart sich der Transhumanismus als eine philosophische Denkrichtung, die zwar massiv auf einem Menschenbild aufbaut, aber leider vom Wesen des Menschen mehr Annahmen als Wissen hat. Das ultra-kooperative Wesen mit einem Social Brain, großzügigem Spenderherz und Wunsch nach Gemeinschaft, das in Katastrophen zur mitmenschlichen Höchstform aufläuft.
Der Mensch ist für Transhumanisten letztlich ein Fremder und all das, was Menschsein ausmacht, wird ignoriert, um im neoliberalen Credo das Selbst immer und immer weiter zu optimieren.
Allianz mit Neoliberalismus
Transhumanismus, Neoliberalismus und Silicon Valley-Kapitalismus gehen eine unheilige Allianz ein, wie mehrere Kritiker bemerken.
Erstaunlicherweise entdeckt man nicht zuletzt die Vorstellung des Homo oeconomicus in den Tiefen des Transhumanismus. Denn dank der KI könnte der Mensch tatsächlich zum rein rationalen, eigenutzmaximierenden Wesen mit sich niemals ändernder Präferenz werden!
All die Kritik an dem radikal vereinfachenden Modell der klassischen Wirtschaftswissenschaft wären dann Schnee von gestern und der Mensch wäre – dank Technik – endlich das, was einige schon immer behauptet haben: ein Homo oeconomicus.
Aber die Vorstellung eines Tages unser Gehirn auf einer Festplatte abspeichern zu können, übersieht, dass der Mensch auch aus einem weiteren Grund nicht einzig in Daten ausgedrückt und in Nullen und Einsen zerlegt werden kann: den Körper. Etliche Experimente der Verhaltensökonomie haben die geradezu erstaunliche Irrationalität des Menschen bewiesen.
Das irrationale Element und die Vernunft als Pressesprecher
Eine Entscheidung in komplexen moralischen Fragen kann dadurch beeinflusst sein, ob der Mensch sich gerade die Hände gewaschen oder eine warme Tasse in den Händen hält. Ein Richterspruch kann davon abhängen, ob der richterliche Magen gerade mit einem Essen beruhigt wurde oder nicht.
Wie wir uns fühlen, beeinflusst unser Denken! Der Mensch ist nicht das rationale Wesen, das die Anhänger des Homo oeconomicus so gerne hätten, sondern ein eher irrationales Wesen, das Entscheidungen zuerst intuitiv trifft, bevor die Vernunft als unser Pressesprecher auftritt, und möglichst überzeugende Argumente für die Entscheidung zu finden sucht.
Körperliche Empfindungen
Und nicht zuletzt: Menschen können ohne ihren Körper und den körperlichen Empfindungen nicht denken. Einen ungewollten Beweis liefern Menschen, die in Folge extrem seltener Hirnschädigungen an einer radikalen Unterdrückung ihrer Gefühle leiden.
Ihr Intelligenzquotient ist zwar unverändert, aber sie haben massive Probleme im Alltag Entscheidungen zu fällen. Wenn es ihnen dennoch gelingt, sind die Entscheidungen oft völlig absurd. Joachim Bauer unterstreicht daher:
Die Ansicht, Menschen seien Maschinen, bedeutet eine Verkennung der biologischen Realitäten. Körper und Gehirn des Menschen bedürfen der Realität. Sie sind außerdem soziale Akteure, sie reagieren auf soziale Interaktionen.
Eine generelle Frage sei erlaubt: Was benötigen Menschen wirklich: ein Upgrade für das Gehirn, eine genetische Optimierung, eine KI, die rund um die Uhr Entscheidungen abnimmt, eine Dauerparty oder das Leben unserer sozialen Natur oder Begegnungen, Unterstützung, Großzügigkeit und Berührungen?
Die Herrschaft von Big Data
In der Welt des Transhumanismus besteht der Mensch angeblich nur aus Daten. Daher kann es kaum verwundern, dass grundsätzlich nur das zählt, was quantifizierbar, in Zahlen ausgedrückt, binär erfasst und in Nullen und Einsen als auswertbare Daten zerlegt.
Damit verlieren wir komplett genau das aus dem Blick, was unser Leben wirklich lebenswert macht.
Mithilfe der möglichst vollkommenen Vermessung der Menschen und der Welt wird die Künstliche Intelligenz vermutlich in baldiger Zukunft anbieten, die meisten oder vielleicht sogar alle Entscheidungsfragen unseres Lebens zu beantworten inklusive aller moralischen Dilemma (und diese vielleicht sogar für uns zu beantworten, ohne dass wir überhaupt gefragt haben.
Denn – so die liebenswerte Begründung – die Dauerparty des Lebens solle nicht durch schwermütige Probleme belastet werden). Kants Kategorischer Imperativ ("Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.") wird zur Vergangenheit, denn im Transhumanismus benötigt der Mensch dank einer omnipräsenten KI keinen moralischen Leitfaden mehr.
Philipp von Becker bringt es auf den Punkt:
Im Transhumanismus würden wir uns richtig verhalten, weil es gar keine Alternative mehr gibt (und wir kein Gefühl für richtig und falsch mehr haben).
Verlust der Freiheit und Ende der Demokratie
Yuval Noah Harari beschreibt das Selbstbild des Menschen, das der Transhumanismus befördert:
Die Menschen werden sich nicht mehr als autonome Wesen betrachten, die ihr Leben entsprechend den eigenen Wünschen führen, sondern viel eher als eine Ansammlung biochemischer Mechanismen, die von einem Netzwerk elektronischer Algorithmen ständig überwacht und gelenkt werden.
Der Transhumanismus verspricht eine möglichst vollkommene Freiheit, schafft aber einen Menschen, der gesagt bekommen möchte, was er tun soll, um endlich von der Verantwortung für das eigene Leben befreit zu sein.
Der Transhumanismus erbaut damit ein Gefängnis, denn der Mensch verliert mehr und mehr die Fähigkeit, eigene Entscheidungen fällen und Verantwortung für sein Leben übernehmen zu können. Er wird also zum unmündigen Menschen.
Der Transhumanismus verspricht dem Menschen, die Grenzen des Mensch-Seins zu überwinden, und schafft dabei den Menschen als eigenständiges und unabhängiges Wesen ab. (Dabei wird auch übersehen, dass, wer die Macht über die Entscheidungsarchitekturen der Künstlichen Intelligenz hat, auch die Macht über die Menschen besitzt.)
In der logischen Konsequenz droht damit auch das Ende der Demokratie. Denn die gemeinsame Kompromisssuche und die Mehrheitsentscheidung würde durch die angeblich optimale Lösung der KI ersetzt werden. Kein Dialog. Kein Zuhören. Kein Perspektivwechsel. Keine Suche nach einem gemeinsamen Nenner. Noch einmal Harari:
Die Demokratie in ihrer gegenwärtigen Form kann die Verschmelzung von Biotechnologie und Informationstechnologie nicht überleben. Sie wird sich entweder radikal neu erfinden müssen, oder die Menschen werden künftig in "digitalen Diktaturen" leben.
Frage nach der Wirklichkeit
Der Transhumanismus stellt nicht nur das Wesen des Menschen und unsere Natur infrage, sondern auch die Wirklichkeit. Der Philosoph David Chalmers drückt es vielleicht am radikalsten aus:
1. Man kann nicht wissen, dass man sich nicht in einer Simulation befindet.
2. Wenn man nicht wissen kann, dass man sich nicht in einer Simulation befindet, kann man auch nichts über die Außenwelt wissen.
3. So: Du kannst nichts über die Außenwelt wissen.
Seine Schlussfolgerung: "Wir sind wahrscheinlich Simulationen." Für Joachim Bauer ist das die "Vollendung des Realitätsverlustes". Das bedeutet einen vollkommenen Rückfall hinter die Aufklärung, die den Menschen aus seiner Unwissenheit befreien wollte. Digitale Mystik!
Starre Zweiklassengesellschaft
Der Transhumanismus, der sich so gerne selbst als eine radikal liberale und zukunftsorientierte Denkrichtung des Fortschritts feiert und die Freiheit in leuchtend großen Buchstaben auf seine Fahnen schreibt, führt zwangsläufig auch zu einer starren Zweiklassengesellschaft.
Denn die Lösungsvorschläge zur Optimierung des Nachwuchses, zur Selbstoptimierung und zur Überwindung des Todes werden natürlich keine patentfreien Lösungen sein, sondern zu einem neuen Luxusgut auf dem Technikmarkt, den sich nur die Crème de la crème leisten können wird. (Die unheilige Allianz mit dem Neoliberalismus ist per definitionem keine Open Source-Bewegung.)
Der Siegeszug des Transhumanismus und der KI würde ewige und massive Ungleichheit mit sich bringen. Harari warnt:
Doch so wie Big Data-Algorithmen die Freiheit auslöschen könnten, so könnten sie gleichzeitig die ungleichsten Gesellschaften hervorbringen, die es je gab. Aller Reichtum und alle Macht könnten sich in den Händen einer winzigen Elite konzentrieren, während die meisten Menschen nicht unter Ausbeutung, sondern unter weitaus Schlimmerem zu leiden haben – bedeutungs- und nutzlos zu sein.
Die Erlebnismaschine
Ganz im Sinne von David Pearces Wunsch, das Leben solle eine ewige Dauerparty sein, hier zum Abschluss ein Gedankenexperiment. Der Philosophen Robert Nozick schlug bereits in den 1970er-Jahren die Idee einer "Erlebnismaschine" vor, bei der das Gehirn an einen Computer angeschlossen werden könnte.
Stellen Sie sich vor, diese Erlebnismaschine würde Ihnen exakt die richtige Kombination von Dopamin, Opiaten und Serotonin zuführen, sodass Sie sich für immer und ewig glücklich fühlen würden. Kein Leid. Keine Trauer. Kein Frust. Keine Enttäuschung. Nie mehr.
Das Leben eine einzige Dauerparty dank der Erlebnismaschine, die Ihnen ununterbrochen Bilder in Ihr Gehirn projizieren würde, die genau Ihrem Wunsch nach Glückserlebnissen entspricht. Weltmeister in Ihrer Lieblingssportart? Kein Problem. Ein Literaturpreis gefällig? Ein wunderbarer Partner? Kinder, die Sie lieben? Alles und immer.
Es gibt nur einen kleinen Haken. Ihr Gehirn ist dauerhaft an einen Computer angeschlossen (wie im Film "Matrix" hätten sie sich für die blaue Pille entschieden). Sie würden nicht mehr arbeiten, keine Beziehungen mehr haben oder Härten des Lebens erleiden müssen. Sie wären schlicht und einfach vollkommen glücklich. Wie würden Sie sich entscheiden?
Wollen Sie für immer an die Erlebnismaschine angeschlossen werden? Die Suche nach dem Sinn unseres Lebens oder eine Welt, wo diese Frage keinen Sinn mehr ergibt und überhaupt nicht mehr verstanden wird?
Würde es nicht vielleicht nicht ein wenig sinnvoller sein, dass die Abertausende hochintelligenter Menschen und die Abermilliarden Investitionskapital sich weniger dem Ziel annehmen, den Menschen künstlich zu einer Maschine zu formen, sondern die Welt zu einer mitmenschlicheren Welt zu machen?
Literatur
Joachim Bauer: Realitätsverlust
Antonio Damasio: Descartes‘ Irrtum
Jaron Lanier: Wem gehört die Zukunft
Jonathan Haidt: The Righteous Mind
Yuval Noah Harari: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert
Yuval Noah Harari: Homo Deus
Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken
Evgeny Morozov: Smarte neue Welt
Eli Pariser: Filter Bubble
Steven Pinker: Unbeschriebenes Blatt
Matthieu Ricard: Allumfassende Nächstenliebe
Robert Sapolsky: Gewalt und Mitgefühl
Stefan Lorenz Sorgner und Philipp von Becker: Transhumanismus (Streitfragen)
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Digitalisierung und Lobby: Transhumanismus Telepolis
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Wie der Mensch korrumpiert wird
In der kapitalistischen Gesellschaft wird häufig auf die falsche Art der Motivation gesetzt.
Dies hat verheerende Folgen
19. Januar 2020 Andreas von Westphalen
Nicht nur in Erziehung und Schule ist eine zentrale Grundfrage, was den Menschen motiviert. Auch in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.
Was motiviert den Menschen zum sozial verträglichen, zum altruistischen Verhalten? Was zum Lernen und zur Arbeit?
Gemeinhin wird zwischen zwei
Formen der Motivation unterschieden: intrinsischer und extrinsischer. So sind
Menschen intrinsisch motiviert, wenn sie beispielsweise ein Buch lesen, weil sie
hieran ein Interesse verspüren
oder einfach Lust darauf haben. Lesen sie hingegen das Buch, weil der Lehrer es
verlangt, eine Strafe droht oder
eine kleine Belohnung für die Lektüre winkt, so sind sie extrinsisch motiviert.
Allgegenwart extrinsischer Motivation
Es ist augenscheinlich, dass derzeit die allgemeine Überzeugung herrscht, dass
der Mensch am besten und
erfolgreichsten extrinsisch motiviert wird. In der Schule wird für Noten in der
nächsten Prüfung gelernt und ein
mögliches Sitzenbleiben dient als stete Abschreckung. (Eine weitere Motivation:
40 Prozent der Schüler erhalten
Geld für gute Schulnoten [1] und ein knappes Viertel der Kinder bekommt die
Mithilfe im Haushalt ausgezahlt).
In der Berufswelt wird die Arbeit durch das Gehalt bezahlt und mit einer
möglichen Gehaltserhöhung oder durch
Boni und Beförderung zusätzlich motiviert. Und nicht zuletzt basiert auch die
Sozialpolitik auf der Überzeugung,
dass der Mensch am besten extrinsisch motiviert werden kann. Mit Zuckerbrot und
Peitsche. Entsprechend lautet
das Motto: Fördern und Fordern.
Geld wirkt
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Geld spielt im Kapitalismus die zentrale Rolle des Motivators. Oder, um es mit
den Worten des
Sozialwissenschaftlers Meinhard Miegel [2] zu sagen: "Das kapitalistische
Belohnungs- und Bestrafungssystem
(ist) von bestechender Schlichtheit."
Tatsächlich spricht Geld direkt das sogenannte Belohnungszentrum des Gehirns
direkt an. Je größer die Summe,
die in Aussicht steht, desto stärker der Ausstoß an Dopamin, dem
Neurotransmitter, der auch gerne mit dem
vielsagenden Namen "Glücksbotenstoff" bezeichnet wird.
Geld ist die extrinsische Motivation par excellence. Und es scheint zu
funktionieren: Es reicht sogar bereits aus,
Menschen nur unbewusst an Geld zu erinnern, damit diese ein höheres
Durchhaltevermögen an den Tag legen.
Sie versuchen fast doppelt so lange, ein sehr schwieriges Problem zu lösen, als
Menschen, die nicht an Geld
erinnert wurden.
Liebesentzug und Harsh Parenting
"Erziehung ist schließlich die Kindern täglich abgerungene Überwindung ihres
Egoismus und ihrer Trägheit," so
eine grundlegende Ansicht des Pädagogen Bernhard Bueb. Daher lautet seine
Mahnung: "Erziehung ist nur
erfolgreich, wenn sie die zum Egoismus neigende menschliche Natur gegen den
Strich bürstet."
Buebs Darlegung kann stellvertretend für eine Reihe von pädagogischen Konzepten
stehen, die der intrinsischen
Motivation der Menschen sehr skeptisch gegenüberstehen und daher massiv auf
extrinsische Motivationen
setzen. An dieser Stelle seien kurz zwei Erziehungskonzepte skizziert, die
extrinsische Motivationen in Form von
Strafe und Zuwendung einsetzen.
Ein in der Fachliteratur häufig empfohlenes Verfahren zur Disziplinierung
vorpubertärer Kinder ist der sogenannte
"Liebesentzug" oder die "Auszeit". Wenn das Kind ein nicht gewünschtes Verhalten
zeigt, sollen die Eltern eine
Zeitlang schlicht nicht mehr auf das Kind reagieren oder sich räumlich von
diesem trennen.
(Bemerkenswerterweise geht dieses Konzept auf einen Artikel eines Behavioristen
über Verhaltenssteuerung bei
Schimpansen und Tauben zurück.)
Ein ähnliche Anwendung zeigt sich beim sogenannten "harsh parenting", das - wie
der Name schon andeutet -
im Falle von zu missbilligendem Verhalten die Anwendung geringer körperlicher
Strafen rät.
Aber was wäre, wenn der Mensch tatsächlich intrinsisch motiviert wäre, zu
helfen, altruistisch zu sein und zu
lernen? Was wäre, wenn extrinsische Motivation im Allgemeinen und Geld im
Besonderen Leistung und positives
Verhalten reduziert? Was wäre, wenn die unausgesprochene Grundannahme, der
Mensch müsse extrinsisch zum
gewünschten Verhalten motiviert werden, schlicht in das Reich der Mythen gehört?
Wie man Hilfsbereitschaft zerstört
In einem faszinierenden Experiment untersuchten Felix Warneken und Michael
Tomasello von der Universität
Harvard und dem Max-Planck-Instituts (Leipzig) den Einfluss von extrinsischer
Motivation auf die Hilfsbereitschaft
von 20-Monate alten Kindern (Beispielsweise versuchte ein Mann, der einen Stapel
Bücher trug, erfolglos eine Tür
zu öffnen, während die Kinder in ein neuentdecktes Spiel vertieft waren).
Nachdem in der ersten Runde der
erstaunlich hohe Grad der Hilfsbereitschaft der Kinder geprüft wurde, teilte man
diese anschließend in drei
Gruppen auf.
Während die Kinder aus der ersten Gruppe weiterhin keinerlei Reaktion auf
geleistete Hilfe erhielten, wurde den
Kindern aus der zweiten Gruppe hierfür jedes Mal ein Dank ausgesprochen, die
Kinder der dritten Gruppe
erhielten schließlich für jede Hilfe eine Belohnung. Nach mehrfacher
Wiederholung des Tests wurde dann eine
letzte Runde durchgeführt: Alle Kinder wurden wieder mit Situationen
konfrontiert, die ihre Hilfsbereitschaft
testeten, jedoch sollte diesmal (genauso wie in der ersten Testrunde) kein Kind
eine Belohnung oder auch nur ein
Lob erhalten.
Ergebnis: Die erste Gruppe zeigte weiterhin eine sehr hohe Hilfsbereitschaft,
die der ersten Testrunde entsprach.
Die zweite Gruppe hatte eine minimal verringerte Hilfsbereitschaft. Die dritte
Gruppe jedoch, die zuvor jedes Mal
eine Belohnung erhalten hatte, zeigte einen fast vollständigen Zusammenbruch
ihrer Hilfsbereitschaft.
Das Experiment demonstriert, dass die intrinsische Motivation nicht nur der
Natur des Menschen entspricht,
sondern auch besser und dauerhafter motiviert als extrinsische Anreize. Es zeigt
aber auch ein fundamentales
Problem: Die hohe und intrinsisch motivierte Hilfsbereitschaft des Menschen
läuft Gefahr zerstört zu werden,
wenn man sie durch extrinsische Motivation ersetzt.
Der Korrumpierungseffekt
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"Aus einer unbedingten Hilfsbereitschaft war eine bedingte Hilfsbereitschaft
geworden", bringt es Richard David
Precht auf den Punkt. Daher nennt man dieses Phänomen in der Fachsprache:
Korrumpierungseffekt.
Warneken und Tomasello, die Autoren des Experiments, betonen daher, dass die
eigentliche Motivation zur Hilfe
in diesem Experiment intrinsischer Natur war, also im Wesen des jeweiligen
Kindes lag. Zudem widerlegen die
ermittelten Ergebnisse alle Theorien, die behaupten, Kleinkinder legen nur
mitmenschliches Verhalten an den Tag,
um eine Belohnung zu erhalten. Des Weiteren geben Warneken und Tomasello den
Rat, dass Erziehung und
Sozialisation auf die natürliche Anlage des Menschen zum Altruismus aufbauen
sollte.
Weitere Belege für den Korrumpierungseffekt
Bei Kindern konnte man den Korrumpierungseffekt auch im Hinblick auf das
Durchhaltevermögen feststellen, das
- wie eingangs dargestellt - durch Geld gestärkt werden kann. Der
Entwicklungspsychologe Richard Fabes von
der Arizona State University bat in seinem Experiment [3] zwei Gruppen von
Zweit- bis Fünftklässlern, eine
einfache Aufgabe zu erfüllen.
Die erste Gruppe motivierte er damit, dass sie durch ihren Einsatz einen Erlös
erzielen konnten, welcher
schwerkranken Kindern gespendet wurde. Die zweite Gruppe wurde mit einer
Belohnung für sie selbst
angespornt. Einige Zeit später bat Fabes die Kinder erneut, diese Aufgabe
auszuführen. Diesmal jedoch wurde
keinerlei Gegenleistung in Aussicht gestellt. Während die erste Gruppe die
Aufgabe weiterhin eifrig erledigte, war
die zweite Gruppe deutlich demotivierter und wandte auch weniger Zeit für die
Aufgabe auf.
Auch in Hinblick auf das Lernen oder die Arbeit zeigt sich, dass eine Belohnung
die intrinsische Motivation der
Probanden zumindest deutlich reduziert. So offenbarte ein Experiment [4], dass
die Lust von drei- bis
fünfjährigen Kinder zu malen deutlich abnahm, nachdem sie ein Bild für eine
Belohnung gemalt hatten. Auch
mehrere Experimente mit Studenten [5] kamen zu dem Schluss, dass Belohnung das
Interesse an einem als
interessant empfundenen Puzzle deutlich absenkte.
Wie man Altruismus zerstört
Zwei Beispiele bestätigen, dass extrinsische Motivation im Allgemeinen und Geld
im Besonderen schnell den
natürlich vorhandenen Altruismus zerstören können. Wie eine großangelegte Studie
von Richard Titmuss
(London School of Economics) belegt, erwarten nicht einmal zwei Prozent der
Blutspender eine Gegenleistung.
Fast alle Spender erklären, schlicht anderen Menschen helfen zu wollen. Wenn
allerdings die Spendenbereitschaft
mit Geld honoriert wird, verringert sich diese Spendenbereitschaft sogar.
Ein weiteres Experiment kam zu einem vergleichbaren Ergebnis: Jugendlichen, die
einmal pro Jahr für einen
wohltätigen Zweck Spenden sammelten, sollten zusätzlich motiviert werden, indem
ihnen versprochen wurde,
ihren Einsatz mit einem Anteil an der erzielten Spenden zu bezahlen. Man sollte
meinen, die Spendeneinnahmen
würden nun deutlich steigen. Das Gegenteil jedoch war der Fall.
Extrinsisch motiviert sammelten die Jugendlichen nun lediglich zwei Drittel
ihres ursprünglichen Ergebnisses.
Ähnliches wurde auch in der Schweiz beobachtet. Wurde Freiwilligenarbeit
finanziell belohnt, ging das
Engagement der Freiwilligen zurück.
Nicht weniger als 128 Studien konnte eine Meta-Analyse [6] aus dem Jahr 1999
aufführen, die nachweisen, dass
extrinsische Anreize die intrinsische Motivation insbesondere bei Kindern
verringerten.
Es kann kaum Zweifel bestehen, dass der Mensch für viele Aufgaben im Allgemeinen
und für Altruismus im
Besonderen von seiner Natur aus intrinsisch motiviert ist. Die Überzeugung
hingegen, der Mensch helfe, arbeite
oder lerne nur oder besser, wenn er hierfür belohnt wird, führt in Wirklichkeit
gerade zur Zerstörung des
gewünschten Verhaltens. Leicht überspitzt kann man mit dem Sachbuchautor Alfie
Kohn formulieren, dass
Belohnungen nur ihre eigene Nachfrage steigern.
Experimente zeigen allerdings, dass extrinsische Motivation bei Aufgaben
hilfreich [7] ist, für die Menschen
schwer eine innere Motivation finden: Bullshit-Jobs.
Nebenwirkungen
Der unerschütterliche Glaube, dass Geld den Menschen am besten motiviert,
reduziert nicht nur die intrinsische
Motivation, sondern hat auch weitere destruktive Schattenseiten, die es im Auge
zu behalten gilt.
Menschen, die in Experimenten auf Geld "geprimt [8]" waren (also an Geld
unbewusst erinnert wurden), sind
egoistischer und weniger hilfsbereit. Sie sind auch im wahrsten Sinn des Wortes
distanzierter gegenüber ihren
Mitmenschen. So stellen Probanden ihre Stühle viel weiter auseinander als die
nicht geprimten Kollegen.
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Auf Geld geprimte Menschen sind auch deutlich weniger sozial und bevorzugen
Einzelaktivitäten. Und nicht
zuletzt sind sie weniger großzügig. Es ist geradezu augenscheinlich, dass
alleine der Gedanke an Geld die
Menschen trennt und aus Mitmenschen Konkurrenten macht.
Schattenseiten der harten Hand
Auch der autoritäre Erziehungsstil, der derzeit in Form des sogenanntes "harsh
parenting" auf dem Vormarsch ist,
erreicht genau das Gegenteil der angestrebten Wirkung [9]. Er verursacht beim
Kind chronischen Zorn, Unmut
und Angst.
Strafen führen auch eher dazu, die Empathie der Kinder zu senken [10] und deren
Sozialkompetenz zu
reduzieren [11]. Prügelstrafen bewirken zudem Ungehorsam, Streitsucht und
Aggression. Die Konsequenz des
"Harsh parentings" ist im Übrigen paradoxerweise, dass sich die Kinder
anschließend weniger für die von den
Eltern ihnen gestellten Forderungen interessieren.
Autoritärer Erziehungsstil führt generell, wie Michael Tomasello betont, "zu
weniger Verinnerlichung von Werten
und damit zu strategischem Befolgen von Normen".
Die Psychologen Avi Assor [12], Guy Roth [13] und Karen Tal [14] führten eine
Reihe von Studien durch, deren
Ergebnisse nachdenklich stimmen und die hier stellvertretend angeführt werden.
Hing die Zuneigung der Eltern
von ihrer Hilfsbereitschaft ab, zeigte sich, dass für die Kinder später im
Erwachsenenalter Hilfsbereitschaft nicht
etwas war, was sie tun wollten, sondern was sie tun mussten, um ein besseres
Selbstwertgefühl zu haben.
Wenn die Liebe der Eltern von den guten Noten in der Schule abhing, neigten die
Kinder zur Angeberei (im
Erfolgsfall) und zur Scham (im Falle eines Scheiterns). Resümierend sagten die
Forscher: "Positive Anerkennung,
die an Bedingungen geknüpft war, förderte die Entwicklung eines fragilen,
bedingten (…) und instabilen
Selbstwertgefühls."
Auch der sogenannte "Liebesentzug" hat negative Folgen. Der Psychologe Martin
Hoffman (Universität New York)
warnt: "Auch wenn Liebesentzug für das Kind keine körperliche oder materielle
Bedrohung darstellt, kann er
emotional verheerender sein als Durchsetzung von Macht, weil er die elementare
Drohung des Verlassenwerdens
oder der Trennung beinhaltet." Die Nebenwirkungen elterlicher Liebe, die an
Bedingungen geknüpft ist, sind
eklatant. Der Psychologe Alfie Kohn gibt zu bedenken: "Menschen, die das Gefühl
haben, die Liebe ihrer Eltern
verdienen zu müssen, fühlen sich zuinnerst wertlos."
Insbesondere weil das Kind unter diesen Voraussetzungen leicht das Gefühl haben
kann: Sogar wenn es sich zur
vollsten Zufriedenheit seiner Eltern verhält und sich ihrer Liebe daher erfreuen
kann, dass dann nicht das Kind in
seiner ganzen Person als solches geliebt wird, sondern nur die jeweilig
gewünschten Charaktereigenschaften oder
seine Verhaltensweisen.
Der Mittelpunkt jeder Utopie
Menschen extrinsisch zu motivieren, anstatt der intrinsischen Motivation der
Menschen zu vertrauen, ist offenbar
in vielerlei Hinsicht ausgesprochen bedenklich. Tatsächlich droht der
konsequente Einsatz extrinsischer
Motivation gerade den Menschen hervorzubringen, der tatsächlich nur noch
extrinsisch motiviert werden kann,
weil die wunderbare natürliche Begabung des Menschen, für Altruismus und Lernen
intrinsisch motiviert zu sein,
zerstört wurde.
Die falsche Gewissheit über die Natur des Menschen kann daher also gleichsam zu
einer sich selbst erfüllenden
Prophezeiung werden, denn in der Realität von Gesellschaft und Wirtschaft
herrscht unbestritten das
kapitalistische Menschenbild. Mit gravierenden Nebenwirkungen.
Richard David Precht gibt daher zu Recht zu bedenken: "Die intrinsische
Motivation - das selbstbestimmte
Interesse - muss im Mittelpunkt jeder Utopie stehen."
Von Andreas von Westphalen ist im Westend Verlag das Buch erschienen: "Die
Wiederentdeckung des Menschen. Warum
Egoismus, Gier und Konkurrenz nicht unserer Natur entsprechen"
Benutzte Literatur
Bauer, Joachim: Schmerzgrenze
Bueb, Bernhard: Lob der Diziplin
Kahneman, Daniel: Schnelles Denken, langsames Denken
4.7.2021 Druckversion - Wie der Mensch korrumpiert wird | Telepolis
https://www.heise.de/tp/features/Wie-der-Mensch-korrumpiert-wird-4639977.html?view=print
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Kast, Bas: Ich weiss nicht, was ich wollen soll
Klein, Stefan: Der Sinn des Gebens
Kohn, Alfie: Der Mythos des verwöhnten Kindes
Kohn, Alfie: Liebe und Eigenständigkeit
Precht, Richard David: Die Kunst, kein Egoist zu sein
Precht, Richard David: Jäger, Hirten, Kritiker
Ricard, Matthieu: Allumfassende Nächstenliebe
Tomasello Michael: Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral
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Links in diesem Artikel:
[1]
http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/konsum-studie-kinder-im-kaufrausch-a-915048.html
[2]
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/wirtschaftswachstum-die-unerwiderte-liebe-der-menschen-zumkapitalismus-13102904.html
[3]
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[5] http://psycnet.apa.org/buy/1971-22190-001
[6] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10589297/
[7] http://fitaba.com/page16/assets/Overjustification%20Study%20-%20Lepper.pdf
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Priming_(Psychologie)
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[11] http://journals.sagepub.com/doi/10.1080/016502597385252
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https://www.researchgate.net/p%20ublication/51794262_When_parentsProzent27_affection_depends_on_childProzent27s_achievemen