Günther Anders 

1956: Antiquiertheit des Menschen 1
Über die Seele im Zeitalter
der zweiten industriellen Revolution

 

1980: Antiquiertheit 2
Über die Zerstörung des Lebens im 
Zeitalter der dritten industriellen Revolution 

 Günther Anders 

Wikipedia.Autor  1902-1992 (90)

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Audio:

(Übertreibungen in Richtung Wahrheit)

 

1995: Hiroshima ist überall, Liebe Endzeitgenossen! Zum 50.Jahresstag 1995 von Hiroshima 

 

2012: Nachruf / Molussische Katakombe 

 

2015: Puppenshow in Hamburg zur Antiquiertheit 

 


 

http://volker-kempf.de/denker-der-atomaren-drohung/

 


"Radioaktive Wolken kümmern sich nicht um Meilensteine, Nationalgrenzen oder (eiserne) Vorhänge. Also gibt es in der Situation der Endzeit keine Entfernungen mehr. Jeder kann jeden treffen, jeder von jedem getroffen werden. Wenn wir hinter den Leistungen unserer Produkte moralisch nicht zurückbleiben wollen (was nicht nur tödliche Schande, sondern schändlichen Tod bedeuten würde), dann haben wir dafür zu sorgen, daß der Horizont dessen, was uns betrifft, also unser Verantwortungshorizont, so weit reiche wie der Horizont, innerhalb dessen wir treffen oder getroffen werden können; also daß er global werde. Es gibt nur noch <Nächste>."    Günther Anders 

 


 

Günther Anders  wurde am 12. Juli 1902 in Breslau geboren. Nach dem Studium der Philosophie 1923 Promotion bei Husserl. Danach gleichzeitig philosophische, journalistische und belletristische Arbeit in Paris und Berlin. 1933 Emigration nach Paris, 1936 nach Amerika. Dort viele "odd Jobs", unter anderem Fabrikarbeit, aus deren Analyse sich später sein Hauptwerk <Die Antiquiertheit des Menschen> ergab.  Ab 1945 Versuch, auf die atomare Situation angemessen zu reagieren. Mitinitiator der internationalen Anti-Atom­bewegung. 1958 Besuch von Hiroshima. 1959 Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly. Stark engagiert in der Bekämpfung des Vietnamkrieges.

Günther Anders’ bleibender Verdienst ist es, im Anschluß an Georg Simmels Soziologie der Sinne und dessen Ansätze zu einer negativen philosophischen Anthropologie die Kommunikationsrevolution und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen der letzten Jahrzehnte analysiert zu haben. Das von Simmel ausgemachte Zeitlose der Moderne, ihr tragisches geldwirtschaftliches Wesen, erweitert Anders nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki um eine endzeitphilosophische Dimension.   Quelle:  volker-kempf.de  

 

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Kritiker der Verdinglichung    

Rudolf Walther im Freitag.de  am 12.07.2002 

 

Als der Philosoph und politische Publizist Günther Anders 1983 in Frankfurt den Theodor W. Adorno-Preis erhielt, konnte er an der Veranstaltung in der Paulskirche wegen seiner schweren Krankheit nicht persönlich teilnehmen. Seine Rede wurde per Video eingespielt. Der damalige Oberbürgermeister Wallmann begrüßte Anders in seiner Laudatio als "Günter Grass". Anders verstand sich - wie er in den Ketzereien (zuerst 1982) schrieb - als "Vertreter von Kampfthesen, der es mindestens verdienen würde, attackiert zu werden." 

Für den Sprachschnitzer des Lokalpolitikers hatte Anders keinerlei Verständnis. Er empfand das sprachliche Malheur als Ausdruck "der Achtungslosigkeit".

Günther Anders wurde heute vor hundert Jahren am 12. Juli 1902 als Günther Stern in Breslau geboren. Beide Eltern waren Psychologen, der Vater William Stern gilt als Begründer der differentiellen Psychologie und genoss in der Fachwelt großes Ansehen. Anders studiert in Hamburg und Freiburg, wo er bei Husserl promovierte. In Marburg lernte er Martin Heidegger und Hannah Arendt kennen. 1929 heirateten sie nach Hannah Arendts kurzem Abenteuer mit Heidegger. Bereits 1936 wurde die Ehe wieder geschieden. 

Günther Anders und Hannah Arendt sahen sich bis zu deren Tod (1975) nur noch einmal 1961. Sie beschrieb ihn verständnislos als 

"runtergekommen. Mit völlig verkrüppelten Händen, sehr dünn, sehr fahrig. Er denkt an nichts als seinen Ruhm, völlig unbekümmert, leicht verrückt, ... außer aller Realität lebend, alles mit einem Klischee bezeichnend ... Mir scheint, die schlichte Wahrheit ist, daß er vis-à-vis de rien steht, es aber nicht realisiert ... Kurz er ist verhext."

Zumindest Anders' verkrüppelte Hände erklären sich aus seiner schweren Arthrose und aus seinem Überlebens­kampf im Exil. 1933 floh Anders über Frankreich in die Vereinigten Staaten, wo er sich zunächst als Fließbandarbeiter, Putzmann und Angestellter in einem Kostümverleih in Hollywood durchschlug. Von 1947 bis 1949 war er Lehrbeauftragter für Ästhetik an der New Yorker "New School for Social Research". 1950 kehrte er nach Europa zurück und ließ sich in Wien nieder, wo er sich mit Rundfunkbeiträgen und Übersetzungen über Wasser hielt, eine Universitätskarriere lehnte er ab. Vor knapp zehn Jahren - am 17.12.1992 - starb er nach langer und schwerer Krankheit in Wien.

Anders´ Frühwerk, das erst teilweise ediert ist, wurde geprägt von der Auseinandersetzung mit Husserl und Heidegger. In Paris schrieb er 1935 die Pathologie de la liberté, eine anthropologische Schrift, die Jean-Paul Sartre beeindruckte und beeinflusste. Als Spezifikum des Menschen begriff Anders dessen Unbestimmtheit und Offenheit: "Alles, was dem Menschen vorgegeben ist, ist, daß ihm nichts vorgegeben ist." Die Tatsache, dass der Mensch nicht auf ein bestimmtes Ziel festgelegt ist, bildet für Anders wie später für Sartre die Grundlage und Voraussetzung für die Freiheit der Menschen. Zu dieser Freiheit gehört auch die Fähigkeit, der Wirklichkeit zu trotzen oder diese zu leugnen. Für den Anders-Kenner Konrad Paul Liessmann, der eben eine ebenso präzise wie gut lesbare Studie über Anders herausgebracht hat, erscheint diese Fähigkeit als "radikalster Ausdruck von Freiheit."

Am 11.3.1942 notierte Anders einen Satz in eines seiner Notizhefte, der fortan sein philosophisches Denken bestimmte: "Glaube, heute vormittag einem neuen Pudendum auf die Spur gekommen zu sein; einem Scham-Motiv, das es in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Ich nenne es vorerst für mich ›prometheische Scham‹; und verstehe darunter die Scham vor der ›beschämend‹ hohen Qualität der selbstgemachten Dinge." Scham entdeckte Anders bereits dort, wo der Mensch sich der Zufälligkeit seiner Existenz bewusst wird. Diese zweite Scham aber beruht darauf, dass sich Menschen den von ihnen selbst hergestellten Apparaten unterlegen fühlen und sich die Nebenwirkungen und Folgen ihres Herstellens nicht ausreichend präzis vorstellen können. Jede technische Errungenschaft bedeutet ein Mehr an Entfremdung des Menschen von sich selbst, mithin eine Mediatisierung und Funktionalisierung des Menschen mit dem Ziel, diesen restlos aus der Welt zu verbannen.

Anders nennt dies "die Antiquiertheit des Menschen". Das bildet eines der Hauptmotive und ist der Titel seines zweibändigen Hauptwerks. Die beiden Bände, die 1956 und 1980 erschienen, enthalten die radikalste Kritik an der technisch-industriellen Zivilisation und an dem darin schlummernden Zerstörungspotential. Der Vorwurf, Anders verteufele die Technik und beschwöre ein technikfreies, quasi-romantisches Zeitalter, ist unberechtigt. Er warnt vielmehr vor der technisch-wirtschaftlichen Instrumentalisierung des Menschen und seiner Lebenswelt und räumt obendrein ein, daß "das Fehlen der Technik in unterentwickelten Ländern eine ungleich größere Gefahr" darstellt "als deren Existenz."

Anders erkannte das Zerstörungspotenzial der Zivilisation in der Vernichtung des europäischen Judentums und beim Einsatz von Atombomben am Ende des Zweiten Weltkriegs in Hiroshima und Nagasaki. Er wusste zugleich sehr genau zu unterscheiden zwischen den beiden Ereignissen. Beide haben zwar gemeinsame Wurzeln in der ökonomischen und technischen Rationalität, aber darüber hinaus steht "Auschwitz" bei Anders für das schlechterdings "Monströse" und "moralisch ungleich entsetzlichere Ereignis". Mit der Charakterisierung des Daseins von Menschen in Vernichtungslagern als "Rohstoffdasein" stellte Anders die Vernichtung von Menschen und die materielle Produktion nicht auf eine Stufe, sondern setzte sich ab vom "feierlichen Tonfall" in der Rede über Auschwitz. "Getötet worden ist niemand. Und ermordet worden ist ebenfalls niemand. Wie tief dich das erschrecken mag, die einzige angemessene, die einzige wahre, die einzige der Millionen Entwürdigten würdige Rede ist die zynische. Zu sprechen hast du also von dem Material, das, der Maschine zur Verarbeitung zugeliefert, die ungewöhnliche Eigenschaft besessen hat, sehen, hören und fühlen zu können."

"Hiroshima" ist schwerer faßbar, fast überall vergessen und "faktisch schlimmer", weil die Täter unsichtbar blieben und das nur Sekunden dauernde Ereignis den Charakter einer Apokalypse hatte.

Wie kein anderer Philosoph hat sich Anders in verschiedenen Büchern mit diesem "Massenmord ohne Mörder" beschäftigt und einem zunächst weitgehend mit "Apokalypseblindheit" geschlagenen Publikum den Spiegel vorgehalten - unter anderem im Tagebuch einer Japanreise und im Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly. Die Atombombe ist nichts anderes als "Ding gewordene Erpressung", die nicht mit Krieg und Zerstörung, sondern mit der "Ermordung der Menschheit" droht. Und die sogenannte friedliche Nutzung der Atomkraft bezeichnete Anders ebenso früh wie zutreffend als "Zeitbombe mit unfestgelegtem Explosionstermin."

Solche Zuspitzungen haben ihm viel Hohn und Spott über das Antiquierte seiner Rede von der "Antiquiertheit" eingetragen. In letzter Zeit ist es - belehrt durch jüngste Erfahrungen mit Katastrophen, Krieg, Bürgerkrieg und Terror - etwas ruhiger geworden. Aber davon abgesehen, gehört die zuspitzende Übertreibung zum Produktivsten in Anders´ Denken. 

Damit beziehungsweise seiner Methode der "prognostischen Hermeneutik" vermochte er zu zeigen, was mit der "Herrschaft der Technik" über die Welt und die Menschen wirklich droht: die "Herren der Apokalypse" machen den Menschen und die Menschheit insgesamt "total ohnmächtig", indem sie diese in ein Räderwerk von technischen und ökonomischen Sachzwängen einspannen und die "Überflüssigen" ins Nichts von Arbeitslosigkeit, Armut und Elend verbannen. In einer solchen Welt würden Ziele und Zwecke verschwinden und alle und alles wäre nur noch Mittel. Bis in die Kapillare der Lebenswelt, der Gewohnheiten und der Mentalitäten hinein prägen Produkte und technische Apparate den Menschen. Und es wäre laut Anders "kaum eine Übertreibung, zu behaupten, daß Sitten heute fast ausschließlich von Dingen bestimmt und durchgesetzt werden."

Eine Voraussetzung dafür ist die mentale Zurüstung der Menschen in einer "konformistischen Gesellschaft" durch die Medien. Schärfer als alle andern erkannte Anders in der "Bildermacherei und Bilderfresserei" - in der "Verbilderung der Welt" - eine Gefahr für die Menschen wie für die Welt. Die Menschen werden dadurch erfahrungslos, leben von Bildern aus zweiter, dritter und vierter Hand, während die Wirklichkeit zum Phantom wird und der Zuschauer zum "voyeurhaften Herrscher über Weltphantome". 

Die Täuschung, die Live-Übertragung vermittle unbearbeitete und unverfälschte Realität, verdeckt auch den dahinter steckenden Herrschafts­mechanismus. Während sich der Zuschauer als Herr fühlt, macht sich das Medium durch Bildauswahl und Bildvermittlung selbst zum "Herrn des Herrn". Der Fernsehkonsument wird zum freiwilligen Mitarbeiter bei der "Verwandlung seiner selbst in einen Massenmenschen."

Als Hans Mayer 1981 den zweiten Band von Anders´ Hauptwerk besprach, setzte er an den Schluss seiner Rezension den Satz eines anderen kritischen Heidegger-Schülers: "Was der Mensch dem Menschen und der Natur angetan hat, muß aufhören, radikal aufhören, und dann erst und dann allein können die Freiheit und die Gerechtigkeit anfangen" (Herbert Marcuse). Den Satz hätte auch Anders unterschrieben. In der Substanz hat beider Denken nichts an Aktualität verloren.

Die wichtigsten 12 Bände von Anders´ Schriften sind als Taschenbücher im Verlag Beck (München) verfügbar; eben erschienen ist die hervorragende Einführung von Konrad Paul Liessmann, Günther Anders, Philosophieren im Zeitalter der technologischen Revolutionen, Verlag Beck, München 2002, 208 S.

 

 

Günther Anders 

 

Reicht der gewaltlose Protest? 

 

veröffentlicht in der taz vom 9. Mai 1987  

Quelle:  Guenther-Anders.de 

 

§ 1 Der Verrat 

Das vorrevolutionäre Stadium unserer aus bloß sentimentalen und symbolischen Scheinhandlungen bestehenden Proteste gegen die Vorbereitung der Totalvernichtung gehört nun wohl der Vergangenheit an. Dieses Stadium der Gewalt — also der Harmlosigkeit zu verlassen, widerspricht zwar allen unseren, jedenfalls allen meinen privaten, seit dem Ersten Weltkrieg unbeirrbar durchgehaltenen, sogar für unverletzbar gehaltenen Grundsätzen und Tabus und versetzt mich in einen Zustand, den zu schildern ich keine Lust habe; wenn aber, wie vor einiger Zeit geschehen, einer der heutigen Weltherrscher vor dem Mikrophon seinen Scherz damit treiben kann, daß er lächelnd verkündet, er habe gerade die Anweisung gegeben, die Sowjetunion atomar anzugreifen; und wenn sein Publikum ihn wegen dieser seiner gutgelaunten Abgeschmacktheit kollektiv ins Herz schließt, dann ist — denn es gibt keine ernstere Gefahr als den Unernst von Allmächtigen — ein neues Benehmen unsererseits erforderlich; dann haben wir uns jede weitere Höflichkeit oder Zurückhaltung zu verbieten. 

Heute noch sanft oder urban zu bleiben, bewiese nicht nur Unernst, sondern Feigheit und liefe auf Verrat an den Nachkommen heraus. Gegen die bedrohlichen Monstra, die, während die Bäume absterben, in den Himmel wachsen, um die Erde morgen zur Hölle zu machen — gegen diese Monstra hilft kein "gewaltloser Widerstand", die können nicht fortgeschwatzt oder fortgebetet oder fortgefastet oder fortgestreichelt werden. Dies um so weniger, als ja diejenigen, die diese Monstra befürworten und installieren, die "Zimmermänner von heute", in jedem Widerspruch unsererseits, auch im loyalsten, schon Widerstand sehen und in jedem Widerstand, auch im symbolischsten, Gewalttätigkeit.

Nein, nun müssen wir damit beginnen, die bei uns installierten Monstra, die eine pausenlose, dinggewordene Angriffsdrohung gegen uns, gegen die Menschheit, also einen globalen Notstand darstellen, da sie ein Chaos schaffen würden bzw. die Welt in ein Chaos zurückzustoßen drohen — nun müssen wir damit beginnen, diese Monstra in physischer Notwehr anzugreifen und systematisch unverwendbar zu machen.

 

§ 2   Das Neue ist das Moralische

Aber selbst das reicht noch nicht aus. Auch dieser Entschluß könnte sich als sinnlos, nämlich als sinnlos bescheiden erweisen. Denn zu groß ist die Differenz zwischen der Enormität bzw. der technischen Perfektion der Vernichtungsinstallationen (inklusive sie schützender Polizeiwaffen) und der Primitivität unserer Gegenwaffen: der (man staune!) noch manuell zu bedienenden Miniatursägen, der Drahtscheren und der Schraubenschlüssel. Das "man staune!" habe ich deshalb dazwischen gerufen, weil in den Augen der Machthaber, der Gewalthaber, schon diese Primitivität der Waffen beschämend ist, eine lächerliche oder sogar beleidigende Zumutung. 

In anderen Worten: Deshalb, weil sie davon überzeugt sind, ernst zu nehmen seien allein konkurrenzfähige Geräte, also bis zum höchsten technischen Raffinement entwickelte Waffen. Das technisch Primitive gilt ihnen als etwas in jeder, sogar in sittlicher Hinsicht Indiskutables. Daher sind sie des festen Glaubens, daß Tränengas aus der Luft in die Augen von Hunderten zu spritzen moralischer sei als vom vulgären Boden aus Steine zu werfen; daß also die modernste Art des Tötens auch die untadeligste sei. Umgekehrt gilt: Durch den Messerstich eines Demonstranten verletzt zu werden (statt durch eine brandneue Neutronenbombe), das wäre in ihren Augen wohl altfränkisch, auch ehrenrührig. Als Mitglied des ausgehenden zweiten Jahrtausends hat man schließlich Anspruch darauf, mit Waffen bekämpft zu werden oder durch Waffen umzukommen, die moderner sind als geschleuderte Steine. "Stirb progressiv!"

 

§ 3   Reicht das Töten toter Dinge?

Das technische Gefälle zwischen den kolossalen feindlichen Angriffswaffen (und auch den, diese beschützenden, höchst modernen Polizeiwaffen*) einerseits und den von den Demonstranten eingesetzten Gegenwaffen (sofern man diese überhaupt "Waffen" nennen darf; sie sind vielmehr Objekte gewordene Hilfeschreie) andererseits ist so groß, daß wir für den Defätismus jener, die eine physische Auseinandersetzung für schlechterdings aussichtslos halten, Verständnis haben dürfen. In der Tat ist ja dieses Gefälle ebenso groß wie etwa das zwischen den Feuerwaffen der Kolonialmächte und den Bambuspfeilen der sich verzweifelt und vergeblich verteidigenden Kongolesen im vorigen Jahrhundert. Auch damals hat ja die technische Differenz die Weltgeschichte entschieden, natürlich zu Ungunsten der technisch Unterlegenen. Verglichen mit den Machtinstrumenten und der Gewalt unserer Gegner wäre oder ist auch unser, sich auf deren tote Objekte beschränkender Gewalteinsatz kaum mehr als bloße Aktionssymbolik. Wer weiß, ob nicht durch die monströse Entwicklung der Technik (die man freilich selbst eine "Revolution" nennen darf, sogar vielleicht die bis heute wichtigste) die Möglichkeit politischer Revolutionen zum Verschwinden gebracht worden ist, was freilich wiederum eine Revolution darstellen würde, ein welthistorisches Ereignis, wenn auch ein negatives, etwa wie das Aussterben von Tierarten.

Auch bleibt der Grundsatz, nur ohnehin tote Dinge zu attackieren oder zu "töten" (was das Optimum ist, das Halbherzige einräumen), ganz unzulänglich und wirkungslos. Und das nicht nur deshalb, weil, wo immer wir die enormen Objekte attackieren, wir kaum mehr zustande bringen, als nur ihren Lack anzukratzen. Nein, was die Beschränkung auf die Beschädigung oder Zerstörung dieser toten Dinge (in denen die Tötung von Millionen lauert) vor allem unzulänglich und sinnlos macht, ist die Tatsache, daß diese, wie alle Produkte im heutigen Zeitalter der Massenproduktion, jederzeit problemlos und schnellstens ersetzt werden können; ihre Zerstörung ist mithin sinnlos. 

Dazu kommt, daß es heute von jedem Produktionstyp grundsätzlich zu viele Exemplare gibt, daß der Konsum ja nirgends mit den Bedürfnissen der Produktion Schritt hält, was die Produkte gewissermaßen unvernichtbar, feierlich ausgedrückt: unsterblich macht. Deshalb ist die Drohung, diese zu beschädigen, nur dann wirksam und sinnvoll, wenn wir außerdem oder an erster Stelle den an der Herstellung, der Installierung und dem eventuellen Einsatz dieser Geräte Interessierten unmißverständlich erklären, daß dasjenige, was wir bis jetzt (höchstens) ihren Produkten zugedacht haben (das Wort "angetan" wäre zu prahlerisch), daß das nur die Vorankündigung dessen gewesen ist, was wir auch ihnen selbst anzutun gezwungen sein werden. Da sie uns pausenlos terrorisieren, könnte es geschehen, daß auch sie einmal pausenlos eingeschüchtert werden und sich in acht nehmen werden müssen. Jeder von ihnen, einer nach dem anderen, in nicht voraussehbarer Reihenfolge. Damit unseren Kindern und Kindeskindern das Uberleben gesichert werde. "Werde" - nicht etwa "bleibe".

§ 4   Das gebrochene Tabu

Diese letzten schrecklichen Worte schreibe ich nicht etwa leichtfertig nieder wie irgendeine andere beliebige Hypothese oder Einsicht oder Aufforderung. Schließlich hat mich seit siebzig Jahren, seit den ersten Augusttagen 1914, das Staunen der Tatsache, daß Menschen Mitmenschen töten, sogar gern töten können, nicht verlassen. Schon als Knabe habe ich dieses Verbum nur zögernd aussprechen können, so als wäre schon der Laut selbst so mörderisch wie das Tun. Und seit meinen ersten Schreibversuchen hat es wohl nur wenige Seiten gegeben, durch die nicht das Grauen vor dem Töten hindurchgegeistert wäre.

Daher erfüllt es mich natürlich mit Schrecken und Ungläubigkeit, daß ich nun dieses Wort nicht nur niederschreibe, sondern niederschreiben muß, weil es keine andere Rettungsmethode gibt als die, die Drohenden zu bedrohen. Denen, die mich dazu zwingen, das Tötungstabu zu brechen, werde ich das niemals vergeben können.

Ich verlange und ich habe ich Recht darauf zu verlangen, daß man mich nicht der Leichtfertigkeit zeihe, wenn ich zum Schluß wiederhole: Es gibt kein Alternativmittel, kein anderes als diese Drohung, wenn wir das Überleben unserer Generation und das der von uns erhofften künftigen Generationen zu sichern wünschen, als diejenigen, die darauf insistieren, die atomare Gefährdung des irdischen Lebens (gleich ob die "kriegerische" oder die angeblich "friedliche") fortzusetzen und grundsätzlich Stopp-Angebote abzulehnen - es gibt keine andere Alternative, als diesen Männern ausdrücklich mitzuteilen, daß sie sich nun, einer wie der andere, als Freiwild werden betrachten müssen.

Voll Schmerz, aber entschlossen, erkläre ich daher: Wir werden nicht davor zurückscheuen, diejenigen Menschen zu töten, die aus Beschränktheit der Phantasie oder aus Blödheit des Herzens vor der Gefährdung und Tötung der Menschheit nicht zurückscheuen.

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 * Wenn man von "Polizei" noch sprechen darf, denn die gegen Demonstranten eingesetzten Polizisten fungieren heute ja als Militär, als konterrevolutionär eingesetzte Bürgerkriegsarmee.

 

 

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