Franz Alt

Bahro's Logik der Rettung 

Scheitert Bonn, weil es keine Antwort auf die ökologische Krise findet?

Eine lebendige Demokratie braucht Quer- und Tiefdenker

Ein Lesebericht 1988

DIE ZEIT vom 22.01.1988

Seite 18, Rubrik Politisches Buch 

zeit.de/1988/04/bahros-logik-der-rettung  

 

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Robert Jungk hat das neue Buch seines Freundes Rudolf Bahro "gefährlich" genannt. Überschrift seiner geharnischten Kritik in der taz: "Sein Kampf".

Doch Jungks "Menschenbeben" ist nicht weniger gefährlich. Haben wir nicht genug ungefährliche Bücher?

Rudolf Bahro ist ein gefährlicher Anstifter und begnadeter Provokateur. Seine "Alternative"-Ost hat ihm vor zehn Jahren Gefängnis und Ruhm eingebracht. Seine Alternative-West halte ich für noch origineller und wichtiger.

Wer wie Bahro in der Ökopax-Bewegung der achtziger Jahre ganz unbekümmert "die erste deutsche Volksbewegung seit der Nazi-Bewegung" sieht, wer von einem "Gottesstaat" und einem "House of The Lord" träumt, wer Europäern und Amerikanern "Entwicklungshilfe in Spiritualität" aus Indien und Tibet empfiehlt, wer einen "Fürsten der ökologischen Wende" und einen "politischen Propheten" herbeisehnt, setzt sich natürlich links wie rechts Mißverständnissen, Widersprüchen, Gelächter und Angriffen aus.

Bahro tut dies leichten Sinnes, aber nicht leichtsinnig. Er ist viel zu gescheit, um nicht zu wissen, wie man provoziert. Selbstverständlich kann er zwischen grün und braun unterscheiden. Viele Kritiker werden dennoch mit deutschem Bierernst auf Bahros Provokationen hereinfallen - links noch mehr als rechts. Robert Jungk ist da nur ein Vorläufer. Aber alte Begriffe sind nicht deshalb indiskutabel, weil sie belastet sind. Wir vermeiden häufig Begriffe nur, weil wir damit unsere Komplexe pflegen. Auch Auschwitz kann zum Komplex werden und führte zu einem absurden, illiberalen Gesetz gegen die "Auschwitz-Lüge".

Bahro macht Front gegen die modisch gewordenen Apokalyptiker. Die wichtigste Erkenntnis seiner Jahre in der Bundesrepublik: Die Wende der Totrüstung und Kaputt-Industrialisierung ist möglich, wenn sie von unten gewollt wird.

Die "Megamaschine" - das, was heute industriell, militärisch und im Konsumverhalten so läuft - wird nicht von oben, sie kann nur von unten gestoppt werden. "Nach wie vor fehlt uns aber die entscheidende Voraussetzung zur Rettung, der Wille zur Umkehr."

Es ist natürlich viel einfacher an "die Zuständigen" zu appellieren, als sich selbst zuständig zu fühlen. Bahro analysiert die Logik der Selbstausrottung realistisch und konstruiert eine "Logik der Rettung", indem er sie bis ins menschliche Herz zurückverfolgt.

Er hat von Einstein und von Jesus, von Buddha und von Feministinnen, vor allem aber von Lao-Tse gelernt: Das eigentliche Problem ist immer das menschliche Herz. Also Um-Denken reicht nicht, viel mehr ist gefordert: Um-Fühlen als Voraussetzung eines "Neuen Denkens". Bahro ist einer der wenigen politischen Autoren deutscher Sprache, die begriffen haben, daß das, was "oben" läuft, nur Ausdruck dessen sein kann, was "unten" ist. Wir haben - zumindest in den westlichen Demokratien - immer die Regierungen, die wir verdienen. Wir haben sie schließlich mehrheitlich gewählt.

Die Umwelt-Krise ist Ausdruck unserer ganz persönlichen Innenwelt-Krisen. Ich weiß von der Kritik an meinem "Frieden ist möglich", daß die Strukturkonservativen ebenso wie die materialistischen Linken nichts mehr aufregt als die "Umkehr der Herzen", die Bahro fordert. Das geht ans Eingemachte, da ist Schluß mit der Zeigefinger-Ethik auf "die da oben". Da beginnt die schlichte Erkenntnis aller Religionsstifter: Die Welt ändert, wer sich ändert! Man muß natürlich selbst nichts tun, wenn man nichts tun können will. Damit ist Bahro Biedenkopfs "Neuer Sicht der Dinge" näher als Peter Glotzens intellektualistisch aufgepäppeltem Sozialismus für neureiche Zahnärzte. Bahros Credo heißt: "Mit der Einsicht in die Mitverantwortung für die Selbstzerstörung fängt ein politisches Verhalten, das rettend sein kann, gerade an".

Mit Ken Wilber meint Rudolf Bahro, wir hätten jetzt "Halbzeit der Evolution". Nun sei eine "anthropologische Revolution", ein "Bewußtseinssprung" nötig. Und dieser vollziehe sich nicht nur in den neuen sozialen Bewegungen der letzten Jahre, sondern auch in vielen konservativen Kreisen, freilich nicht an Kirchen- oder konservativen Parteispitzen. Wer sich im konservativen Milieu der Republik etwas auskennt, wird nicht widersprechen. Bahros Analyse unserer Totalkrise stimmt. Wenn atomare Vernichtung jeden Tag möglich ist, wenn Wälder sterben, Luft, Wasser und Boden zunehmend vergiftet werden, wenn Arten aussterben, wenn Millionen verhungern und das Ozonloch immer größer wird - ist dann die Krise nicht total? Wenn Teilprobleme schon gigantisch sind - erfordert dann die Therapie nicht radikale Lösungen?

Aufregend ist jener Teil an Bahros Therapievorschlägen, in dem er als Voraussetzung für das Überleben ein neues Verhältnis von Frau und Mann skizziert. Er zitiert zustimmend eine Moskauerin, die nach Tschernobyl gesagt hatte: "Wenn da oben im Politbüro eine Frau säße, die das Leben kennt, dann wurde man uns wenigstens bei der Auswahl der Lebensmittel helfen. Männer denken gar nicht an das Leben, sie wollen nur die Natur und den Feind bezwingen. Was immer es koste". Was immer es koste!

Es ist richtig, daß uns hauptsächlich die Kriegerpsychologie des weißen männlichen Ich an den heutigen Abgrund geführt hat. Die klassenkämpferische Behandlung der Geschlechterfrage nennt Bahro zu Recht eine "Erkenntnisbremse". Sexistischer Klassenkampf ist jedoch weit schlimmer. Die Alice Schwarzers von gestern sind schon längst keine Hilfe mehr. Sie bekämpfen den Drachen gar nicht, sie trainieren ihn eher. Sie sind keine wirklichen Überwinder des Patriarchats, sondern dessen unbewußte Komplizen - siehe die lieblose Abtreibungsdiskussion zu Lasten der Ungeborenen. Auch Rudolf Bahro klammert diese Ur-Frage an eine Politik der Ehrfurcht vor dem Leben aus. Wer aber eine "neue spirituelle Praxis" im Zusammenleben von Mann und Frau meint, wer das "spirituelle erotische Paar" proklamiert, darf die hunderttausendfache Abtreibungspraxis der reichen Gesellschaften nicht verdrängen.

Die alte Erkenntnis ist noch immer gültig: Es gibt keine Liebe und keine "Liebeskultur" (Bahro) ohne Treue. Die Treue ist die Nagelprobe - im Privatleben wie in der Politik. Alles andere sind die immer gleichen, meist männlichen Ausflüchte vor Konsequenz, Reife und Selbsterkenntnis: Ego statt Selbst, Seelchen statt Seele, Sentimentalität statt Liebe.

Der alte Macho in uns wird es vielleicht niemals ganz wahrhaben wollen: Einer Kultur der Liebe und einer Politik des Friedens kommen wir nur näher, wenn Männer nicht über immer neue Frauenleichen gehen und Frauen sich endlich weigern, weiterhin die Opfer unreifer Männer zu sein. Es gibt keine Liebe ohne Liebesarbeit. Das Wort Liebe ist ein Schlüsselwort für Bahros "Logik der Rettung". Aber die Worte Treue, Partnerschaft und Ehe meidet er wie der Teufel das Weihwasser.

Bonn ist nicht Weimar. Aber: Weimar ging unter, weil es keine Antwort auf die soziale Krise finden konnte. Scheitert Bonn, weil es keine Antwort auf die ökologische Krise findet? Wenn unter der Herrschaft konservativer Parteien die Schöpfung weiter kaputtgeht, dann werden in wenigen Jahren die konservativen Parteien kaputtgehen. Das "C" ist ohnehin schon zu einem Gottesdienst-Ritual auf Parteitagen verkommen. In dieser Situation ruft Bahro nach der Doppel-Kandidatur eines inspirierten Politikers und eines politischen Propheten. "Beide müßten von konservativem Persönlichkeitszuschnitt, aber nichtautoritärer Charakterhaltung sein." Der Autor verdrängt die Nazi-Greuel nicht, aber er sieht - in der Schule C. G. Jungs - auch die Chance jeder Krise, auch der braunen. Er glaubt an die Lernfähigkeit der Deutschen und meint, eine neue deutsche Bewegung könnte zu etwas Besserem führen als die alte. "Kein Gedanke verwerflicher als der an ein neues anderes 1933?! Gerade der aber kann uns retten."

Wer nur ein Wort dieses Schlüsselzitats überliest oder überlesen will, wird aufschreien müssen. Aber dieser Aufschrei sagt dann viel über die Verdrängungen dessen, der aufschreit. Den Hitler in uns wollen wir immer noch nicht wahrnehmen. Ich teile Bahros Meinung nicht, daß das heutige parlamentarisch-demokratische System die ökologische Herausforderung grundsätzlich nicht lösen kann. Wir brauchen realistische Propheten, aber warum nicht im heutigen System? Wir bekommen im jetzigen Rahmen morgen andere Repräsentanten, wenn sich die Repräsentierten heute zu ändern beginnen. Andere Menschen, nicht andere Institutionen schaffen eine andere Welt. Der alte Sozialist m Bahro läßt noch immer grüßen! Wer hat den Deutschen Bundestag zum Beispiel 1983 denn daran gehindert, über die Nachrüstung anders zu entscheiden wie geschehen? Die Sturheit der Nachrüster ändert sich nicht durch eine andere Institution, sondern durch andere Wahlentscheidungen und viel mehr Druck von unten.

Unabhängig von den Institutionen heißt die Logik der Rettung: Haushalten statt Ausbeuten. Die alte, fatale Richtung heißt: Mehr Waffen, mehr Energie, mehr Straßen, mehr Produktion. Mut zur Umkehr würde bedeuten: weniger Energie, weniger Waffen, weniger Chemie, keine Atomkraftwerke, kein Wackersdorf. Das alles sieht Bahro auch, aber indem er neue Institutionen zur Vorbedingung macht, verwässert er seinen eigenen radikalen Ansatz von der "Umkehr der Herzen". Deshalb spricht er im zweiten Teil seines Buches merkwürdig unkonkret vom "Gottesstaat", vom "House of The Lord", vom "Kaisertraum", von einer "unsichtbaren Kirche", von einer neuen "Gemeinschaft der Heiligen" oder auch davon, daß sich "institutionell etwas ereignen" wird.

Das kann ja sein. Aber ist das so wichtig, daß man darüber 140 Seiten schreiben muß, ohne konkret zu werden? Beispiel: "Aber das Oberhaus einer Gesellschaft, die das ökologische Gleichgewicht wiedergewinnen will, muß Gottes Stimme sein, muß die Stimme der Gottheit sein (die heute nur angemessen ausgedrückt werden kann, wenn ein gewisses weibliches Übergewicht in der neuen Institution gesichert wird)". Daß Rettungspolitik weiblicher sein muß und dem Leben und der Natur näher, kann man auch einfacher sagen!

Ich empfehle das Grundsatzprogramm der Ökologisch-Demokratischen Partei des Herbert Gruhl als beispielhaft einfache ökologische Lektüre. So etwas können Durchschnittsmenschen, die sich mehr Zeit für ihre Kinder nehmen als für dicke Bücher, dann auch besser verstehen. Ich empfehle auch, lieber Rudolf Bahro, das Ernstnehmen von Frauen ohne Abitur als Hilfe für Einfachheit. Wenn wir nicht werden wie die Kinder ... 

Richtig erkennt Bahro:

"Das Volk (mehrheitlich ohne Abitur, Herr Autor!) ist inzwischen bereit, tiefgreifende, ökologische Rettungsmaßnahmen zu akzeptieren, wenn sie mit legitimer Autorität vertreten werden".

Warum soll diese legitime Autorität nicht ganz einfach ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin und mehrheitlich aufgewachte Abgeordnete sein? Unabhängig von Träumen über die magischen Kräfte neuer Institutionen, gibt es für mehr Liebe in Politik und Privatleben vor allem dieses Rezept: Tun!

Ich sehe auch in Gorbatschow weder einen "ökologischen Fürsten", noch einen "neuen Kaiser", sondern einen Pragmatiker, der einiges begriffen hat und zu handeln anfängt. Die Moralisten in Ost und West haben uns an den Abgrund geführt - nur Realisten können an der Rettung arbeiten, oben und unten.

Eine lebendige Demokratie braucht Quer- und Tiefdenker wie Rudolf Bahro. Sie wirken wie das Salz in der Suppe. Querdenker aber, und wären sie Heilige, brauchen vor allem kritische Freundinnen und Freunde.

Ich wünsche nicht, daß Rudolf Bahro in die Politik zurückkehrt, aber ich wünsche, daß er künftig mit einfacheren Büchern genausoviel Gedanken freisetzt wie bisher.

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