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    Geld und Freiheit    

 

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Auch ich habe lange gedacht, wir hingen vornehmlich deshalb so sehr am Geld, weil wir so unentrinnbar davon abhängig sind. Daß wir diese übers Geld vermittelte Abhängigkeit trotz und wegen ihrer Universalität anderen direkteren und weniger universellen Abhängigkeiten vorziehen, und zwar aus Freiheits­gründen, lernte ich erst vor kurzer Zeit.

Viel mehr als Privateigentum schlechthin, das durchaus noch ans Gemeinwesen verhaften und verpflichten kann, bringt seine Geldform dem Individuum eine Menge "Freiheiten von", ermöglicht es Rückzug von der konkreten Gesellschaft, bis zur Asozialität, und Verhalten ohne Rücksicht auf die anderen. Uns "freizukaufen von" geht im allgemeinen dem Freiheitswillen "für etwas" voraus. Abkopplung ist wichtiger als Selbst­verwirklichung. 

Es ist inzwischen unmöglich auszumachen, ob uns das Geld erst dahin gebracht hat oder ob es dazu da ist.

Wir mögen zu wenig davon haben (steht es doch als Symbol für psychische Unersättlichkeit) und deshalb die Welt verbessern, die Geldordnung ändern oder das Geld umverteilen wollen. Aber Geld als Institution ist der strukturelle Grund, auf dem die abendländische Individualitätsform aufstieg. Ohne Geldwirtschaft hätte Goethe nicht dichten können, "höchstes Glück der Erdenkinder sei doch die Persönlichkeit". Das ist eine Gestalt­errungenschaft, auf die alle Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft Anspruch haben, keineswegs identisch mit Individualität und Person, sondern noch etwas Spezifisches darüber hinaus.

Die Persönlichkeit ist nicht jene der klassischen Mechanik analoge Billardkugel "bürgerliches Individuum", setzt es aber ökonomisch als ihren Träger voraus.

Der Bürger ist als unabhängiges Individuum (unabhängig von direkter Fremdbestimmung durch Nation, Stamm, lokale Kontrolle, Familienbande und die in diesen Zusammenhängen jeweils herrschenden Autoritäten) nur möglich, wenn der soziale Zusammenhang anders vermittelt wird als durch konkrete persönliche und kollektive Mächte! 

Das Geld erst ermöglicht den Rechtsstaat, die Gleichheit vor dem Gesetz, ja die Erklärung der Menschenrechte selbst. Auf geldwirt­schaftlicher Grundlage erst kann der absolute Friedrich II. von Preußen die Religion zur Privatsache erklären: jeder möge nach seiner Facon selig werden.

All das trägt das Geld in seiner Eigenschaft als Regelautomatismus, der die Bewegung der Individuen ohne direkte Gewalt, vor allem ohne persönliche oder kollektivistische Willkür miteinander zum sozialen Gesamt­prozeß verbindet.

Die Unsichtbare Hand, der Marktmechanismus, dazu ein eingebauter Antrieb zur Ausbeutung allen Nicht-Ichs, vor allem der Natur, die zu erlauben scheint, daß die Erdenkinder auf immer höherem materiellem Standard ums "höchste Glück" konkurrieren dürfen — das ist das Geheimnis des Tiefenkonsenses, auf den sich das Kapital stützt.

In einer prosperierenden kapitalistischen Gesellschaft ist die Mehrheit, bei allem Ressentiment gegen das Große Geld, gegen Zins und Inflation von Grund auf positiv mit dem Geld als Vermittler und Verheißung identifiziert. Geldbesitz wird, noch mehr als Eigentum schlechthin, mit Freiheit assoziiert. Antikapi­talistische (in Wirklichkeit meist nur: antimonopolistische) Stimmungen pflegen darüber nicht hinauszugehen. 

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Anders hätte sich die "freie Marktwirtschaft" nicht als Phrase selbst dann noch ideologisch behaupten können, als die politische Entwicklung zu den Weltkriegen und die ökonomische Entwicklung zur Tyrannis der Megamaschine fortschritt, immer gegründet auf diesen finanziellen Steuerungs­zusammenhang.

Das Ideal, des Gemeinwesens nicht weiter zu bedürfen, weil wir es in der abstrakten Form des Geldes in der Tasche tragen (wie der rückständige Marx zu sagen pflegte, der unsere Scheckkarte noch nicht kannte) — dieses Ideal, mit dem uns allmählich bange wird, macht immer noch in allen traditionalen Gesellschaften Furore, aus denen sich die Individuen befreien möchten zu einer offenbar tatsächlich höheren Stufe der Ich-Entfaltung. 

Mit dem emanzipatorischen Impuls, den die Geldwirtschaft stets noch mit sich führte, lockt sie auch in den kapitalistisch unterentwickelten Ländern und nicht zuletzt in der östlichen Zweiten Welt die Menschen an. In dieser letzten Rolle wird sie deshalb nicht hinlänglich erkannt, weil nicht ohne weiteres zutage liegt und außerdem interessiert verhüllt wird, daß Geld im Zusammenhang mit der Ausbeutbarkeit von Mensch und Natur unweigerlich als Kapital "arbeitet" und diesen gnadenlosen Weltmarkt betreibt.

Die objektive Ambivalenz des Geldes ist der Grundtext, nach dem sich Exterminismus und Emanzipation verflechten. Es handelt sich um einen in der menschlichen Natur selbst angelegten Widerspruch, der also gewiß nicht dadurch zu lösen ist, daß man an der Projektion nach außen, die das Geld darstellt, eine Krebsoperation versucht, ohne sich um den inneren Konflikt zu kümmern, der den Krebs erzeugt.

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Nachdem ich in der Bundesrepublik angekommen war und mich bei den Grünen engagiert hatte, bin ich mit nichts anderem so regelmäßig versorgt worden wie mit "freiwirtschaftlicher" bzw. "freisozialer" Literatur über Boden- und vor allem Geldreform (Gesell, Otani u.a.). 

Lange konnte ich nicht recht verstehen, wieso diese Schule so darauf fixiert ist, die sozialen und neuerdings dann auch die ökologischen Übel durch "besseres Geld" zu kurieren, immer unter der Voraussetzung freier Marktwirtschaft, also "antikapitalistisch" im Sinne von antimonopolistisch und zugleich besorgt um das flüssigere Funktionieren des wirklichen Kapitalismus, um die stockungsfreie Konjunktur.

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Ich habe nie daran geglaubt, daß es bloß an einer "richtigen" begrifflichen und technischen Lösung des Geldproblems gebrach, aber mir war die Motivation nicht klar, aus der sich diese Ansicht nährt. Da war immer dieser Unterschied zwischen dem ehrbaren Kaufmann oder Unternehmer und dem Bankier (anrüchiger zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital). 

Aber die Freiwirtschaftler sind Intellektuelle, nicht einfach soziologisch rückführbar auf irgendeine Mittelstands­interessen­vertretung. Warum haben sie diese große Sorge, daß das Kind (nämlich das Geld) nur ja nicht mit dem Bade ausgeschüttet werde? Geldreform als Lebensinhalt setzt schließlich eine positive Faszination an der Sache voraus. Es geht ihnen um die Rettung des Geldes. Und eine Schriftenreihe, in der es vornehmlich um diese anscheinend bloß ökonomische Angelegenheit geht, heißt "Fragen der Freiheit".

In einem der Hefte habe ich schließlich den Schlüssel gefunden. 

Geldreform erscheint dort als Konsequenz des — Stirnerschen — Individualanarchismus. Sie ist nötig, um diesem "Einzigen in seinem Eigentume", nämlich in seiner unabhängigen, isolierten, kontaktarmen Existenz, das Reproduktions­minimum zu sichern. Dort, wo das bürgerliche Individuum und die Persönlichkeit in der Gestalt des freien Einzelnen, des einzelnen Freien zusamm­enfallen und wo man sich nun die ganze Gesellschaft vorstellen kann als ein über den Markt­mechanismus gekoppeltes System aus monadischen Billardkugeln, dort entspringt die Geldreform.

Aus der Sicht solcher Monadenfreiheit, die ich ja zuvor auch unter ihrem positiven Aspekt charakterisiert habe, darf das Geld natürlich nicht abgeschafft, darf auch sein Wirkungsbereich nicht eingeschränkt werden — soweit dort, wo er aufhört, persönliche Abhängigkeiten, und seien es auch ganz familiäre, wieder anfangen. Das Geld muß so reformiert werden, daß es jedem bürgerlichen Individuum gleichermaßen den unabhängigen Status sichert — ihm durch hinlängliche Teilhabe daran gerade soviel Gemeinschaft­lichkeit sichert, wie die schizoide Psyche sich nahekommen zu lassen wagt. 

Wer genug davon hat, ist in der idealen Lage, einerseits abgeschirmt zu sein gegen unerwünschten Kontakt, andererseits den erwünschten Kontakt selektiv der eigenen neurotischen Struktur entsprechend aufnehmen zu können. 

* (d-2015:)  wikipedia  Monade - Philosophie   

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Stendhal gab einmal die Höhe der Jahresrente an, nach der sich das Kapital hätte bemessen müssen, das ihm die unabhängige Existenz als Schriftsteller garantiert hätte — berechnet unter Einschluß des gewissen repräsentativen Standards und Aufwands, der das Entreebillett zur Soiree bei Madame Soundso war — und Geldwertstabilität vorausgesetzt! 

Man kann also ziemlich radikal sein, aber das wird in der Regel durchaus nicht bedeuten, an den kapitalistischen Antrieb rühren, auch nur seine Mechanik und seine Tiefenstruktur wirklich kennenlernen zu wollen.

Da Geld heute nun unvermeidlich eine Unterfunktion der Megamaschine ist, die sich überhaupt unserem ganzen "frei-aber-einsam"-Individualismus unter­geschoben hat, ehe wir es richtig bemerkten, ist der freiwirt­schaftliche Ansatz geeignet, uns das ganze Ausmaß der Verhaftung an die Grundlagen des bürgerlichen Zeitalters bewußt zu machen. 

Selbstverständlich sind es unsere Errungenschaften, die es uns verbieten, dem Exterminismus an die Wurzeln zu gehen. Das bürgerliche Individuum, der Stirnersche "Einzelne in seinem (spirituellen) Eigentume" (an sich selbst) kann gar nichts anderes machen, als sich nur immer tiefer hineinzureiten und seinen partiellen Nonkonformismus (Individualanarchismus) als radikale Haltung mißzuverstehen, neuerdings womöglich gar in ökopolitischen Zusammenhängen. Mögen die eigenen Systemgrundlagen auch noch so sehr ächzen: Auf einmal ist die falsche Geldordnung für zuviel Wachstum verantwortlich. Das ist nun wirklich niemals eine freiwirtschaftliche Sorge gewesen, so sehr sich jetzt dem Zins anhängen läßt, daß er das Karussell beschleunige.

Auch ich gehe davon aus, daß Geld nicht zu den Dingen gehört, die völlig abgeschafft werden könnten oder sollten. 

Aber wenn wir es bewältigen wollen, dürfen wir uns nicht mit ihm als einem Symbol der Freiheit identifizierenobwohl es das auch war und unter je konkreten sozialen wie individuellen Umständen immer noch ist.

Seltsamerweise scheint den Geldreformern der Machtzweck, zu dem das Geld realiter* erfunden worden ist, nie aufgegangen zu sein. Hält man es für eine geniale Erfindung zur Erleichterung von Tauschakten, wie sie die Arbeitsteilung nötig machte, ist gar nicht einzusehen, weshalb es nicht gleich korrekt dieser Aufgabe angepaßt wurde und wieso es überhaupt so leicht zu "mißbrauchen" war. 

*  (d-2008:)  realiter: tatsächlich, in Wirklichkeit <lat> 

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"Krieg, Handel und Piraterie, dreieinig sind sie, nicht zu trennen" heißt es im <Faust>. Aus diesem Kontext stammend, zu dem selbstverständlich auch Übervorteilung, Betrug und Wucher gehörten, kann Geld einfach nicht hauptsächlich mit dem Bedürfnis nach einem Tauschmittel erklärt werden, obwohl es auch in dieser Eigenschaft gebraucht wurde. Das Bedauern über "Fehler" und "Unzulänglichkeiten" der Erfindung, wonach sie nicht ihrem "wahren Begriff" bzw. Zweck gemäß ans Licht gekommen sei, verrät einfach ein Wunsch­projekt — um so mehr, als sich die verschiedensten Kulturen in der gleichen Weise dabei verlaufen haben.

Schmölders71 erklärt ganz zutreffend, wie es theoretisch zu diesem Irrtum kommt:

Da das Geld in unserer heutigen arbeitsteiligen Marktwirtschaft die Funktionen eines Tausch- und Zahlungsmittels, eines Wertmaßstabes und eines Wertaufbewahrungs- und Wert­über­tragungsmittels erfüllt, wird immer wieder der Versuch gemacht, den Begriff des Geldes aus diesen seinen Funktionen abzuleiten. 
Dabei ist (...) unser heutiges Wirtschaftsleben, auf das sich die Funktionen des Geldes beziehen, selbst in solchem Maße Produkt des Geldes und des durch Geld ermöglichten wirtschaftlichen Verkehrs, daß es schon logisch unzulässig erscheint, das Geld wiederum aus seinem Produkt, der arbeitsteiligen Verkehrswirtschaft, abzuleiten.

Die Wirtschaftstheorie verfällt einem Zirkelschluß, sobald sie verkennt: "Geld und Geldgebrauch sind älter als die arbeitsteilige Volkswirtschaft", und: "Das Geld als Urphänomen menschlichen Zusammenlebens ist nicht wirtschaftlichen Ursprungs", könne also "nicht aus seinen Funktionen entstanden sein, auf ihnen beruhen oder durch sie definiert werden". Nun, sekundär können sie schon, aber dann hat die Aussage einen anderen Stellenwert. 

Es kranken alle Ideen über eine vom Monopolismus gereinigte Marktwirtschaft daran, daß sie die expansionistische und monopolträchtige Normalität von Geld als Kapital nicht wahrhaben wollen, sie zur "schädlichen Nebenwirkung" herabstufen, die man dann in ebenso radikalen wie folgenlosen Attacken kritisieren kann.

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Nach der Denkweise, die da zugrunde liegt, gibt es auch sonst viele Dinge, insbesondere viele wissenschaft­liche und technische Erkenntnisse und Erfindungen, von denen wir, wie auch vom Gelde, nur den "richtigen", vernünftigen Gebrauch machen müßten. Wohl! Aber das geht nur im vernünftigen Ganzen, die Teilfunktion für sich ist unkorrigierbar. Wie etwa auch Binswangers Buch <Geld und Magie> (über Goethes <Faust>) sehr erhellend zeigt, sind beim Geldgebrauch Magie und Machtwahn von den Wurzeln her mit im Spiel. Das wird bei diesen Kurzschlüssen immer übersprungen.

An aller "natürlichen Wirtschaftsordnung" ist der Grundgedanke falsch, sofern sie sich nicht drauf einläßt, daß die Menschen doch offenbar durchaus ihrer Natur gemäß jenseits der Subsistenz sofort anfangen, Machtmittel gegeneinander zu produzieren, weil sie um ihren Genuß und ihre Entwicklung, vor allem um ihre Selbst­durch­setzung konkurrieren. 

Arbeitsteilung und Tausch können nicht für sich gesondert "natürlich" geregelt werden, sondern nur auf dem Hintergrund von Selbstregulation der conditio humana im allgemeinen und einer sozialen Gesamt­konstellation im besonderen, die Ziel und Stellenwert der Ökonomie vorbestimmt, hier also ihre Autonomie begrenzt.

Macht und Geld bilden schon von ihrem Entstehungs­zusammenhang her zusammen ein expansionistisches Syndrom. Das Geld hat da eine Funktion, von der es nicht geheilt werden kann, es sei denn, der Mensch heilte sich selbst in diesem Punkte durch eine veritable Entzugskur, durch eine Psychotherapie größten Stils, oder, weit besser, durch eine religiöse Metanoia, mit der er seine Sucht und Gier bezähmt, natürlich nicht nur in psychischer, sondern auch in institutioneller Gestalt. 

Der Mensch hat sich immer Institutionen geschaffen und schaffen müssen, um seine instabile Verfassung zu stützen. Und es ist offensichtlich, daß das emanzipierte Geld sogar destabilisierend wäre, genauer: wahnverstärkend, suchtstiftend. Es ist das abstrakte Blut des Dämons, der uns in einem psychologisch sehr realen Sinne besessen hält und uns die Mord- und Selbstmordinstrumente führen läßt und führen macht. 

Geldreformtheorien stehen also in einem kolossalen Mißverhältnis zu der Pfahlwurzel des Problems, die von technischen Vorschlägen seiner Neuordnung kaum berührt werden können.  

* wikipedia  Hans Christoph Binswanger  *1929  

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Wer Geld zweckentfremdet sieht, sobald machtvoll und ausbeuterisch davon Gebrauch gemacht wird, der stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Das Geld hat von vornherein eine autonome Logik, die sich nie nach Zwecken richtete, denen es im Geiste einer "ursprünglich moralischen Ökonomie" hätte gehorchen können.

Am Anfang der Geldgeschichte stand vielmehr das menschliche Geltungs- und Schmuckbedürfnis.72 Genauer erweist sich das Geld als Erfindung des patriarchalen Geistes:

Der Besitzschmuck, aus dem sich das Geld entwickelt hat, ist nicht aus dem (weiblichen) Werbeschmuck entstanden, sondern aus dem (männlichen) Würde- und Rangschmuck: Die Frau erfand den Schmuck; der Mann machte Geld daraus. (Weiter) führt gerade das Geltungs­streben dazu, daß alle diejenigen, die durch die natürlichen Maßstäbe benachteiligt werden, nach neuen Differenzierungs­merkmalen suchen.73

Dafür aber ist Geld das ideale Mittel, kann es doch in alles eingewechselt werden: in Macht, Besitz, Prestige, Persönlichkeit. Dies ist nirgends zugespitzter ausgedrückt als in der auch von Marx ins <Kapital> hinein­genommenen Shakespeare-Szene, in der Timon von Athen, nach Wurzeln grabend, aufs "verdammte Metall", nämlich auf rotes Gold stößt und nach seiner Erfahrung über die verheerende soziale Wirkung ausruft:

So viel hievon macht schwarz weiß, häßlich schön,
Schlecht gut, alt jung, feig tapfer, niedrig edel.

Ihr Götter! warum dies? Warum dies, Götter?
Ha, dies lockt euch die Priester vom Altar,
Reißt Halbgenesenen weg das Schlummerkissen.

Ja, dieser rote Sklave löst und bindet
Geweihte Bande; segnet den Verfluchten.
Er macht den Aussatz lieblich, ehrt den Dieb
Und gibt ihm Rang, gebeugtes Knie und Einfluß
Im Rat ... Verdammt Metall ...

Solche entsetzten Klagen wiederholten sich immer, wenn eine Gesellschaft, wie hier die griechische, zu umfassender Geld­wirtschaft überging, von pluralistischer Kriegerkultur zur Händlerkultur zu werden begann. Machtausdruck und Macht­vermehrung sind sein primärer Zweck. Der Mensch hat sich im Geld das Mittel geschaffen, das dem Antrieb der Macht­akkumulation durch ökonomische Ausbeutung entsprach. Zins und Kredit sind deshalb seine ganz normalen Konsequenzen. 

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Wenn schon, dann muß man diese Normalität angreifen, die Rolle des Zinses bzw. des Kredits im Getriebe der ökonomischen Evolution als durchaus funktional zur Kenntnis nehmen.

Jedenfalls sind die verschiedenen Ideologien, die "Zinsknechtschaft zu brechen", in ganz anderer Perspektive aufgekommen als zu dem Zweck, die materielle Expansion, zu stoppen. Nachdem einst die ursprüngliche Ordnung mit ihrer "moralischen Ökonomie" der Kapitallogik nicht hatte widerstehen können, kann es jetzt nicht ausreichen, nur wieder auf ihre Muster zurückzugreifen. Von dorther ändert sich die moderne Welt nicht mehr. Die Gesellschaft als Megamaschine hat das Geld, wie sie es braucht. Ihm die isolierten Mängel austreiben zu wollen, ist einerseits illusionär, andererseits konformer als gedacht, sofern halt nur verfolgt wird, der Megamaschine ein spezielles Symptom zu heilen.

Wohl haben entsprechende Eingriffe — wie im Falle Solons von Athen — vorübergehend auch erlösend gewirkt. Aber das setzte voraus, daß die vorige Ordnung in den Herzen noch mächtig genug war, um auch die Nutznießer der neuen Geldwirtschaft einzubinden. Sie waren nicht unerreichbar wie im Raumschiff New York City, und sie waren ganz im Gegensatz zu denen, die in den Banken die Weichen stellen, verantwortlich nicht nur für das korrekte Operieren mit Geld nach dessen Gesetzen, sondern vor allem für die Folgen seines Gebrauchs.

Solon, der die Geldwirtschaft durch seine Reform erst gängig machte, ist undenkbar ohne die Mobilisierung der traditionellen Substanz, die dabei — wie sich zeigen sollte — aufgebraucht und umgedreht wurde. Was schön an der Polis war, hängt mit diesen Reserven zusammen und damit, daß die Entfesselung des Geldes immer noch nicht vollendet war. Den "richtigen Geldbegriff", den die Reformer immer erneut vertreten, haben doch Plato und Aristoteles, und zwar im Konsens mit ihren Zeitgenossen, noch gehabt. Und die Bekämpfung des Wuchers durch intakte religiöse Kulturen beruhte natürlich auf deren gesamtem Weltbild und hat stets vorausgesetzt, daß Warenproduktion und Geldwirtschaft noch nicht den ganzen Gesellschaftskörper atomisiert hatten. Bei uns hingegen müßte eine Kraft, die imstande wäre, eine moralische Ökonomie durchzusetzen, sich erst völlig neu konstituieren.

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Ohne eine derartige Tiefenveränderung aber bleiben Reformprojekte reine Ersatzbefriedigung.

Auf geistiger Ebene gibt es sogar keinen besseren Schutz für das Finanzkapital als jene Kritik, die sich auf das große Geld, das "raffende Kapital" allein konzentriert, weil sie schon im Ansatz nicht begreift, daß alles Kapital grundsätzlich wie Bankkapital "arbeitet". Der Bankzins spiegelt doch nur wider, daß Kapital, angelegt, Rendite abwirft, die auf der Ausbeutung von Arbeit und Natur beruht. 

Eine Geldreform, die "bloß" den Zins wegnimmt, ist kapitalistisch unmöglich. Außer in Notzeiten für den begrenzten Zweck der gegenseitigen Selbst­versorgung (wie bei dem Schwundgeld-Experiment in Wörgl/Tirol) wird es auch keine Umlauf­sicherung durch laufende geringfügige Abwertung geben, weil aus der Perspektive des Kapitals Umlaufsicherung überhaupt nur ein Nebenzweck ist.

  wikipedia  Wörgler_Schwundgeld 

Da es einen Zusammenhang zwischen jeder Sparsumme und dem Finanzkapital gibt, ist es nicht ohne Grund, warum Menschen um ihr Einfamilienhäuschen fürchten, sobald von der Bändigung der Hochfinanz die Rede ist: auch wenn sie sich über die Beträge ärgern, die sie jeden Monat der Bank in den Rachen werfen müssen. Wir haben uns die Welt, auch unsere Innenwelt, so einrichten lassen, daß wir mit unserem Drachen zittern, ob auch genügend Profit aus den Hungerleidern herausgepreßt wird, damit deren Regierungen ihn nach New York, Frankfurt oder Zürich transferieren können. Anstatt uns den Kollaps des Ungeheuers zu wünschen, fürchten wir für den Fall, daß nicht einmal mehr die Zinsen zu ihm zurückkommen, um unsere eigene Freiheit, unsere eigene Sicherheit, unseren eigenen Komfort. 

Die jetzt unumgängliche Überwindung der Geld- oder vielmehr der Kapitalherrschaft, die Unterordnung des Geldes, das an sich einen anthropologischen Status zu haben scheint, wird eine äußerste Anstrengung des Bewußtseins, und zwar von spiritueller Qualität, verlangen: nämlich angesichts vieler unmittelbar empfundener Ängste standzuhalten und bereit zu sein, die gesamte Lebenssicherung umzustellen.

Wollen wir uns loslösen von den grundlegenden Mustern der kapitalistischen Gesellschaft, so ist gerade nicht das allemal leicht zu verurteilende monopolistische große Kapital, sondern das Geld interessant, das tägliche Kleingeld, denn darüber sind wir gebunden. 

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Geld ist der Durchgangspunkt der Macht — eine neue, gerechte Geldordnung, auf kleines Eigentum gegründet, wie sie immer wieder gefordert wird, meint vor allem Chancengleichheit, finanzielle Macht zugeteilt zu bekommen. 

Der Kommunismus — wie ideal auch immer formuliert — geht dem bürgerlichen Individuum (worunter neben dem "proletarischen" auch das "alternative" fällt) ja deshalb so gegen den Strich, weil er, zumindest bisher, nicht Unabhängigkeit von der Gesellschaft optimiert, sondern die Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfe wachruft, die Wiederherstellung verbindlicher, verläßlicher Sozietät. 

Das schreckt um so mehr, als er dabei meist auf die ältere Psychologie konformistischer Gruppenzugehörigkeit ("Kollektivismus") zurückgeworfen wird, die auch der Westen noch nicht unumkehrbar überschritten hat. Als Grund­lage einer Gemeinwirtschaft, Eigenwirtschaft vom Stamme "Small is beautiful" würde ja subsidiäre Nächsten­liebe von Fall zu Fall nicht ausreichen — wünschenswert zwar, doch auch schwankend je nach Befind­lichkeit. Es wird nicht gehen ohne alltägliche planmäßige Kooperation. Darauf gründet sich ein spezialisierter Industriebetrieb wohl auch, doch bleibt da das individuelle Leben wesentlich ausgeklammert, so daß der Streß des persönlichen Konflikts, der den kommunitären Zusammenhang belastet, nicht unbedingt auftritt.

Die große (spirituelle!) Frage lautet, ob nicht diese Konstituierung der unabhängigen Persönlichkeit über das distanzschaffende Geld eine epochale Ersatzlösung war, ob sie nicht wenigstens heute als solche betrachtet werden muß. Das bürgerliche Individuum als freie Persönlichkeit ist ein Ich, das noch zu schwach ist, um das Gesamtaufgebot an Kontakt auszuhalten, das also zu seinem Schutz der Distanz bedarf — falls es zugleich seinen besonderen Charakter behaupten und nicht adaptiv ins "Kollektive", d.h. ins "Naturreich" unmittelbarer Machtverhältnisse zurückfallen möchte.

Das Geld (als Prinzip, als Institution) ist ein präventiver Charakterpanzer zweiter Ordnung. Es ist darin dem so oft nur mit einer Person besetzten PKW verwandt, es umkleidet dasselbe Problem.  

Ich vermute also, wir werden den kapitalistischen Antrieb nicht los, solange der Mensch nicht lernt, Kontakt so erfahren zu können, daß er nicht primär bedrohlich ist. 

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Ohne Geldwirtschaft brauchte das bürgerliche Individuum zwangsläufig entweder mehr Körperpanzerung oder müßte die Position der Ichhaftigkeit weitgehend rückwärts räumen. Beides ist keine Lösung.

Hier wird erneut sichtbar, warum Selbstfindung — im Sinne einer Festigung der eigenen Mitte statt des abwehrenden Charakterpanzers — eine Bedingung für den Ausgang aus dem Kapitalismus ist. Sonst wird im Namen der Freiheit eine Grundstruktur der individuellen Existenz verteidigt, die, zusammen mit der Geld­wirtschaft aufgekommen, schwerlich von deren Konsequenzen als Kapitalismus, Megamaschine, Extermin­ismus zu trennen ist. 

Damit gebändigt werden kann, wer mit dem Geld Monopoly spielt, müssen die anderen, die es als Schirm ihrer Schwäche brauchen, die ungeschützte Existenz riskieren. Nur wenn es nicht mehr zu Selbstdurchsetzung und Selbstschutz gebraucht wird, kann Geld so funktionieren wie es "soll". Die Geldreform macht sich dann von selbst. Seine Neutralisierung, seine Verwandlung in ein bloßes Vergleichs- und Verkehrsmittel ist ein seelischer Befreiungsakt ehe es organisatorisch-institutionell "richtig" eingesetzt werden kann.

Ist das Geld eine Ausgeburt des kompensationsbedürftigen subalternen Ichs, dann weisen seine Disfunktionen hierhin zurück. Es liegt letztlich nicht am Geld, es liegt an uns. 

Wären wir alle in der Lage, tatsächlich so zu empfinden wie Christus, als er meinte, wir sollten so unbesorgt um Nahrung und Kleidung sein wie die Vöglein unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde, dann wäre die Aufhebung der Geldwirtschaft nahe, und es wäre auch die Existenz aller menschlichen Wesen in einem annähernden Gleichgewicht mit der übrigen Natur gesichert.

Offenbar haben solche Vorläufer wie er diese materielle Existenzsicherung nicht vorausgesetzt, sondern eher als Resultat einer höheren Bewußtseins­qualifikation gesehen, und bis heute müssen Minoritäten selbstgewiß diese materielle Unsicherheit immer wieder wagen.74

Geld wird erst dann überflüssig für die Freiheit, wenn die Individuen nicht mehr fürchten müssen, wieder in persönliche Abhängigkeit zu geraten, d.h. aber, daß sie die innere Ruhe erlangt haben müssen, sich ohne Unterwerfung und Schuldgefühle von einer Gemeinschaft tragen lassen zu können, die sie auch ihrerseits nicht infantil ausbeuten wollen. 

Nur wer sicher sein kann, nicht um seiner — gleichwohl als Selbst­verwirklichung natürlichen — Leistungen, sondern um seiner Existenz willen versorgt zu werden, kann sich bedingungslos einer Gemeinschaft anvertrauen.75

Die wirkliche Lösung besteht daher in der Neubegründung solcher sozialen Zusammenhänge, solcher kleinen Lebenskreise kommunaler und kommunitärer Reichweite, die dem Einzelnen wieder so dauerhafte Einordnungen erlauben, daß jede individuelle monetäre Sicherung überflüssig wird, während die Freiheit, aufzubrechen wohin eine(r) will, unberührt davon bleibt, wieviel Brot in Anspruch genommen wird. 

Gastrecht und Reisefähigkeit wären dann zusammen genug, um die alte Drohung mit der Vogel­freiheit beim Herausfallen aus einem bestimmten Verband nicht wieder aufkommen zu lassen. 

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Bahro-Anmerkung 75

Das (heute) konservative Motiv der Selbstbehauptung und der Eigenverantwortung für die eigene Grundversorgung hat nach rückwärts sein Recht. Die Menschen müssen lernen, auf eigenen Beinen zu stehen, sich nicht in elterliche Arme irgendwelcher Art zurückfallen zu lassen. 

Nach vorwärts ist aber eine Konstruktion von Solidarität und Subsidiarität unhaltbar, die den Bedürftigen zum gedemütigten Bettler macht, der seine Mittellosigkeit beweisen muß. 

In einer hinreichend individualisierten Gesellschaft kann das Angebot einer Grundversorgung, eines "Bürger-" oder vielmehr "Menschenlohns" die geistige Evolution fördern, den Konformismus mildern. 

Es bleibt allerdings an den Sozialstaatsaspekt der Megamaschine gebunden und mit der Ungerechtigkeit im Weltmaßstab verknüpft.

Bemerkung:  wikipedia  Hutterer 

 

 Anmerkungen      www.detopia.de        Anmerkungen     ^^^^ 

 Rudolf Bahro 1987