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4.3 - Ordine Nuovo 
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Die Spaltung der
exterministischen Mönche

   Utopie einer Rettungsbewegung  

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Wenn wir die Gesellschaft wieder dort ansiedeln wollen, wo sich die Kluft zwischen Kultur und Natur schließen kann und ungefähr darin übereinstimmen, was die Subjektivität der Rettung ausmacht, so bleibt zu fragen, wie die Bewegung aussehen wird, die sich zielstrebig dahin aufmacht und die entsprechende Subjekt­ivität tatsächlich entwickelt.

Die politischen Namen Grün und Braun, in Wirklichkeit natürlich nur Tendenzen in dem weiten Felde der sozialen Interessen, sagen darüber in Wirklichkeit sehr wenig, weil es sich um Oberflächenphänomene, um Ausdrücke einer an sich viel weniger spezifischen psychischen Energie handelt. 

Mich interessiert ja gerade die eine Bewegung auf eine Regenbogen-Gesellschaft zu. Die mag die Polarität zwischen grünen und braunen politischen Tendenzen berücksichtigen, aber sich nicht darauf gründen, sie nicht kultivieren. Wie sich die Bewegung politisch, d.h. im Zusammenhang der sozialen Interessen­kämpfe, die die Umgruppierung im Konsens begleiten werden, artikulieren wird, daran versuche ich mich erst im letzten Abschnitt dieses Kapitels und des ganzen Buches.175

Hier handelt es sich zunächst um den Träger dieser Bewegung. Ökologische Rettungspolitik ist eine abgeleitete Funktion aller der Kräfte, d.h. zunächst und in erster Linie aller der Bewußtseinsanteile und -qualitäten, die die Diagonale des Verderbens und damit das Imperium des Weißen Mannes verlassen wollen. In dem oder jenem Grade hat fast jede(r) an diesem Exodus teil, nur daß es bisher bei den meisten noch privatistisch bleibt, und daß die Energien all jener Menschen, die ihre alternativen Absichten über die alten Institutionen zu vermitteln suchen, größtenteils von denen aufgebraucht werden, um die alte Logik noch einmal abzusichern. 

Es wird — aus mancherlei Motiven und oft auch aufgrund mangelnder Einsicht in die Logik der Selbst­ausrottung — noch viel zu wenig erkannt, daß diese Institutionen gerade zum Kernbestand der Megamaschine gehören und daher grundsätzlich der Bock als Gärtner sind, sie würden denn von einer zur Macht gekommenen Logik der Rettung her völlig umfunktioniert, dabei natürlich auch formell entsprechend umgestaltet.

Es ist an der Zeit, daß sich für alle die aus dem bisherigen Zusammenhang herausgeschleuderten oder heraus­strebenden "Partikel" (nicht immer gleich ganze Individuen, sondern oft sozusagen erst Teilpersonen) ein attraktiver Gegenpol herausbildet, wo sich der individuellen Neuorientierung ein sozialer Rückhalt bietet. Die eigentliche psychische Triebkraft, die hinter der Umgruppierung und Kraftflußrichtung in der Matrix der politischen Umkehr steht und die das politisch soziale Kräftefeld von "unten" her entscheidend beeinflußt, muß auch real manifestiert werden. Dann wird sich der ganze Prozeß sehr beschleunigen. An den Anzeigern auf der politischen und sozialen Ebene abgelesen, kann das wahre Kräfteverhältnis inzwischen nur falsch eingeschätzt werden.*

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Die Strukturkonservativen wundern sich immer erneut, wie stark ihnen der Wind ins Gesicht bläst, während doch die Wahlergebnisse im Grunde immer noch Stabilität vermuten lassen. Und die traditionelle Linke in ihrem soziologisch so wohlbegründeten Defaitismus irrt sich auf ganz analoge Weise. Der objektive Geist — auch wenn er noch nicht in neuen Strukturen zu sich gekommen ist — arbeitet aus den Tiefen der Evolution. Von dorther webt er noch immer von Neuem "der Gottheit lebendiges Kleid". Daher hat auch das neue politische Paradigma seine Autorität, der sich die alten faktischen Mächte des Komplexes Wissenschaft-Technik-Kapital-und-Staat immer, weniger entziehen können. Der Evolutionsdruck klopft von innen an die Seelentore, und dann sehen wir, im Einzelfalle immer wieder überrascht, Szenen wie die des Paulus vor Damaskus.

Wenn ich in diesem Abschnitt von der Utopie einer Rettungsbewegung, im letzten aber von der Idee einer Rettungsregierung spreche, so will ich mit diesem Unterschied zweierlei berücksichtigen. Zum einen "übersteigt der Mensch unendlich den Menschen" (wie ich drüben bei Johannes R. Becher wieder und wieder Pascal zitiert fand), so daß sich das Humanum nie völlig realisiert. So muß die Bewegung sich selber immer wieder "rückrechnen" von dem Ziel, dem Ideal einer naturgerechten und menschenwürdigen Ordnung. 

* (d-2011:)  Das scheint mir sehr kühn gefolgert, fast wie Wunschdenken. Mit "Anzeigern" sind ja wohl die Wahlen (zum Bundestag, etc.) gemeint. - Das "Kräfteverhältnis" scheint mir doch sehr im Beharren und in der Angst (vor Änderung) zu liegen.

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Die utopische Vision gehört zu ihren Existenzbedingungen! Wo die Bewegung, wie in dem berühmten Bernsteinschen Satze, alles ist, das Ziel aber nichts — da gibt es am Ende halt keine Bewegung, höchstens noch ziellose Veränderung wer weiß wohin.   wikipedia  Eduard_Bernstein 1850-1932

Dagegen ist eine Rettungsregierung ein begrenztes Projekt. Sie ist rational konstruierbar, wenigstens soweit es um Gefahren­abwehr geht, und sie ist im Grunde jetzt machbar, sobald sie als Idee akzeptiert wird. Und ihre Möglichkeit, weil ihre Notwendigkeit, reift schnell heran. Sie schafft keine Ordnung, sondern soll "nur" den Boden sichern, auf dem diese entstehen kann. Die Bewegung dagegen geht auf eine Erfüllung, auf eine Ankunft zu. Und sie muß vor der Regierung, vor dem Staat da sein. Zwar gibt es keine Transform­ations­periode ohne den Staat. Für die Transformation und für den dienenden Charakter der Institutionen aber ist ausschlaggebend, welche Qualität die Bewegung hat, welche tatsächliche Subjektivität in ihr aufkommt und wie sie sich organisiert. Die Bewegung ist ja vor allem der Prozeß, in dem die Subjektivität der Rettung entsteht. Und sie ist der Mutterboden für den Fürsten der Transformation. Soweit zum einen.

Zum anderen geht das, worauf es eigentlich ankommt, sogleich über Rettung hinaus. Vordergründig soll nur gesichert werden, daß das Leben weitergeht. Wenn aber Rettung in Wirklichkeit von dem Sprung in ein anderes Bewußtsein, in eine andere geistige, seelische und sinnliche Gesamtbefindlichkeit abhängt, wird dieser Aufstieg zum autonomen Motiv. 

"Überleben" ist ohnehin die Formel mit dem braunen Akzent; wenn wir unbedingt überleben müssen, gilt es so schnell wie möglich die effiziente Ökodiktatur zustande zu bringen.

Aber vom Standpunkt der Ökopax-Bewegung als einer Bewußtseinsbewegung — denn das ist sie ihrem Wesen nach — ist das gesellschaftliche Leben nur "gut", wenn es einen Rahmen bietet, unser eigentlich menschliches Potential auszuschöpfen, alles Wissen von der Welt zu gewinnen, das in unserer Seele verborgen ist, und in der Seele des anderen Geschlechts. 

Wann und wie wird es uns gelingen, unser gesellschaftliches Zusammenleben so zu organisieren, so zu gestalten, daß es uns auf den Weg bringt, daß es unser ganzes Leben in einen initiatorischen Prozeß verwandelt?!

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Wie viele Menschen, besonders häufig Frauen, identifizieren sich inzwischen mit jenem "Stufen"-Gedicht Hermann Hesses! Es enthält einen Anruf nicht nur für individuelles Wachstum, für eine Folge immer tieferer Begegnungen mit dem (der) Anderen und so mit uns selbst, sondern auch für die soziale Gestaltung der Gelegenheiten. Wir haben so eine "große Gesellschaft" geschaffen und zugleich so kleine Familien, zuletzt Einpersonen­haushalte. Aber aus der äußersten Vereinzelung beginnt nun der Wiederaufbau, den wir bis in den Großen Stamm zurückzutreiben suchen müssen, natürlich im Geiste der Spirale, des Wiedergewinns auf einer höheren Stufe.

Mir scheint, daß die Wiederaufnahme der tantrischen und der indianischen Initiationspraxen und -rituale von zwei Seiten darauf zusteuert, eine integrale kulturelle Gestalt zu schaffen und dabei zugleich das Problem der Megamaschine zu lösen: denn dann werden wir keine produktivistische Abfuhr mehr brauchen, wirklich nur noch das Nötige machen wollen, weil wir für unsere Energie etwas Besseres wissen, eben den Aufbau einer natur­verbundenen, in ihre Geheimnisse zurückwurzelnden Liebeskultur, die richtig "von unten" aufsteigt, d.h. von den Kontaktsinnen Getast, Geruch, Geschmack her ins Hören und Sehen, Fühlen und Denken.

Dies ist die eigentliche Utopie, für die die ökologische Krise die große Gelegenheit ist. Und es lohnt sich vor allem deswegen, die Megamaschine, die Todesspirale zu stoppen.

Die Logik der Rettung verlangt dann, den Eingriff nicht entlang der Überlebens-, sondern entlang der Lebensfragen, entlang der Versprechungen der menschlichen Existenz zu probieren und zu denken, zu planen und auszuführen.

 

     Die Spaltung der exterministischen Mönche     

 

Das sagt nichts gegen den Umstand, daß sich die große Bewußtseinsspaltung quer zu den alten politischen und weltanschaulichen Fronten sowie mitten durch die vielen sensiblen Köpfe und beunruhigten Herzen hindurch erst einmal an den Bedrohungen und Disfunktionen entlang entfaltet. 

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Die Herausforderung des "Stummen Frühlings", wie eines der ersten Bücher über das Artensterben hieß, oder in unserem Lande nun des Waldsterbens dringt unmittelbar zu den Schichten unseres Wesens vor, wo wir noch intuitiv wissen, daß mit den Bäumen und mit den Tieren auch der Mensch verschwinden wird, und je weniger verschüttet die älteren und archaischen Wahrnehmungsfähigkeiten in uns sind, um so stärker reagieren wir. Das ist auch die Ursache dafür, daß die Frauen, immer noch weniger vom abgespaltenen Verstand regiert als die Männer im allgemeinen und die Aufsteiger unter ihnen im besonderen, elementarer auf die Todesspirale reagieren.

Zwischen der Minderheit, die sich schon experimentell an den Aufbau einer neuen Kultur gemacht hat und diesen vornehmlich weiblichen Bewußtseinslagen im Volke ist gerade die Psychologie der offiziellen Eliten das Hauptfeld der geistig-kulturellen Auseinandersetzung. Viele sind da sehr viel verunsicherter, als man. an ihrem immer noch rollenkonformen öffentlichen Verhalten merkt. Wie viele Ärzte zum Beispiel sind in den letzten Jahren aus willigen zu unwilligen Sklaven der Pharmaindustrie geworden und leiden stärker als früher an dem unmenschlichen Abfertigungsbetrieb der viel zu vielen Menschen, die sie in Anspruch nehmen, an der ganzen Heillosigkeit einer Heilerei, die infolge der Situation, in die sie eingebettet ist, gar keine ist!

Sollten nicht die Privilegierten dieser exterministischen Zivilisation noch eher als andere bedauern, daß sie, nicht ohne eigenes Zutun eingespannt in den Zeitplan der Profit- und Statusjagd, das Leben verlieren, um deswillen sie sich in die Ränge oder an die Spitze hochkämpfen oder wenigstens auf dem jeweils erreichten Treppenabsatz der Kletterpyramide halten zu müssen glauben? Das Jet-Set-High-Life ist gerade der Verzicht auf das Abenteuer der Seele. Wie lange noch?

Heute wird das gesamte Management der Megamaschine von wissenschaftlich ausgebildeten Menschen betrieben. Und die Wissenschaftler im engeren Sinne, die in Natur- und Geisteswissenschaftler auseinander­manövrierten Erben der christlichen Mönche, spüren — polar zu den "Hexen" von heute — am meisten die Grundlagenkrise des ganzen Unternehmens, das auf ihrer Arbeit beruht. Es herrscht heute nirgends eine größere Schizophrenie als in den "Eierköpfen" und in ihren Bienenstöcken. 

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Dort braut sich aus der Summe der Gewissenskonflikte und Antinomien etwas zusammen, das nur in der Spaltung der mittelalterlichen Mönche durch die Reformation und auf sie hin (siehe Ecos "Der Name der Rose") eine Parallele findet. Im Grunde genommen ist die neue Reformation bereits im Gange. Einstein schon hat das Zeichen gegeben.

Weil die Wissenschaft nicht nur Wahrheitssuche, sondern auch ein Brotberuf und eine Identifikation ist, die man nötig hat, solange man sich auf sein menschliches Potential lieber nicht verlassen möchte, herrscht dort allerdings eine erhebliche Verwirrung über das Wesen der internen Krise. Gerade die engagierten, nicht die dumpfen, fachidiotischen Forscher sind untereinander und in sich selbst darüber zerstritten, ob sie eigentlich die Wissenschaft vollenden bzw. auf ihren ursprünglichen Auftrag, Gott zu erkennen, zurückführen — oder ob sie sie an den Nagel hängen sollten, weil sie eine Veranstaltung des Teufels ist und den Menschen immer weiter von seiner eigentlichen Bestimmung im Naturzusammenhang und von seinem Glück entfernt, nicht zuletzt im persönlichen Leben ihrer asketischen, gehemmten, verpanzerten Adepten.

Immanent, auf der Basis des cartesianischen "Discours de la methode", ist die moderne Wissenschaft nicht zu retten — so daß sich die Wissenschaftler retten müssen, indem sie ihre säkularisierte Priesterrolle aufgeben und integrierte Menschen werden, sich einer Umwandlung unterziehen, die die meisten von ihnen zunächst als "Gehirnwäsche" verwerfen werden. Das Alternativexpertentum, auf das die Ablösung von dem alten Paradigma bisher in der Regel hinausläuft, bleibt noch im Ökomodernismus stecken — übrigens eine der Hauptquellen für die Rückvereinnahmung und den Verderb der Grünen.176 

Wie Julian Jaynes bewiesen hat, ist das unvermeidlich so, nämlich wegen des schon ursprünglich kompensatorischen Charakters der Wissenschaft, die die Gottheit verfehlen muß, weil sie aus dem Verlust des Kontakts, aus der Entfremdung und Abspaltung vom Ganzen hervorgegangen ist und sich auf der Grundlage dieses psychologischen Desasters etabliert hat.177

Die Wissenschaft ist tatsächlich jenes Unternehmen, das Zenon in seiner Aporie von Achilles und der Schildkröte, die der niemals einholen kann, gekenn­zeichnet hat. Fast möchte man sagen, über Zenon hinaus, sie entfernt sich mit jeder weiteren Annäherung an die Wahrheit noch weiter von ihr.

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Natürlich rede ich hier nicht von jemandem wie Goethe, der auch als Forscher kein Wissenschaftler war. Ich rede nicht über Wissen, über Erkenntnis schlechthin, sondern über diese bestimmte psychologische und soziale Institution, die die Quintessenz des patriarchalen Geistes ist. Ich rede über eine Wissenschaft, die zum Beispiel als Biologie all ihr Forschen auf der von Leuten wie Bacon aus der Hexenverfolgung übernommenen Folterpraxis am Lebendigen aufgebaut hat und diesen Skandal noch immer verdrängt.

Wir werden nur über eine andere Subjektivität zu einer anderen, nämlich nichtexterministischen Objektivität kommen. Das ist auch der Weg, den die mit dem neuen Zeitalter verbundenen Forscher gegangen sind: Ihre Konzepte haben sich geändert, weil sie selbst sich geändert haben oder schon eine Sensibilität in die Wissenschaft mitbrachten, mit der sie dort aus der Rolle fallen mußten. De facto knüpfen sie wieder dort an, wo Meister Eckhart den Kontakt zu allem Wissen suchte, indem er den Logos in der eigenen leib-seelischen Bewußtseinstiefe fand und sich selbst als das eine Ende einer Weltenachse erkannte, deren anderer Pol sogar über den großen Gott des Mittelalters noch hinauslag.

Es handelt sich gar nicht darum, ob dies oder jenes Urteil über die Wirklichkeit an und für sich falsch oder richtig ist. Sondern unsere in der Wissenschaft geheiligte Grundverhaltensweise ist es, zuerst immer außen etwas ändern zu wollen, auch jetzt wieder, gegen die exterministischen Disfunktionen. Damit können wir nur Aufschub, nicht Aussetzen des über uns verhängten Urteils erlangen, weil wir den Schub der Katastrophe unangetastet lassen, ja uns in seiner Richtung fortbewegen. Immerhin stellt sich die theoretische Wissenschaft wenigstens tendenziell der weiteren Anwendung ihrer vorigen Konsequenzen entgegen. Hier ist der Glaubenskampf innerhalb dieser modernen Priesterschaft schon ziemlich offen im Gange, weil in den Grundlagendisziplinen mehr als anderswo die Intuition aus der rechten Hirnhälfte, die jetzt subversiv wirkt, verlangt ist.

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In der Wissenschaft noch viel mehr als im militärischen Bereich, der gar nicht ohne sie leben kann, gilt der Satz "Einer muß anfangen, aufzuhören", d.h. die exter­ministische Wissens­produktion einzustellen. Gerade hier muß der Generalstreik gegen das Weitermachen anfangen, aus der Einsicht heraus, daß die gegebene Gesamtstruktur jede Erkenntnis, die im Anziehungs­bereich der Megamaschine aufkommt, in ein Moment der Todesspirale umfunktionieren wird. Wer in diesem Kontext — mit mehr oder weniger Kritik versetzt, das tut nicht viel zur Sache — als Wissenschaftler (Physiker, Biologe usw.) professionell definiert bleiben will, der definiert sich in Wirklichkeit exterministisch.

 

Jetzt wäre die Zeit, zu sagen, zuerst bin ich Leben, bin ich fühlendes Wesen, bin ich Mensch — und muß also existentiell an der Umkehrbewegung teilnehmen, die die soziale Basis für ein anderes Funktionieren des menschlichen Wissens herbeiführt. Weiteres Wissen über die Ausnutzbarkeit, Ausbeutbarkeit der Erde zu erzeugen, während die soziale Verfassung und die ihr zugrundeliegende Bewußtseinsverfassung grundsätzlich unverändert bleibt — das ist verbrecherisch in jenem tiefsten und ursprünglichsten Sinne, den die Griechen mit dem Wort "Hybris" verbanden. 

Das kann gar nicht radikal genug gesagt werden, weil diese Labors das Fronthirn der Megamaschine sind. Dort muß der Antrieb abgezogen werden. Dort ist eine massenhafte Verweigerung fällig, und zwar seitens der Spitzenleute. Die müßten das Handtuch werfen und sich auf die Reise nach innen begeben, um an den rechten "Ort" für eine lebensdienliche Praxis zu kommen und von dorther auch die Partikel des bisher angesammelten Wissens neu integrieren zu können.

Worauf wir zugehen, das ist eine Art Doppelherrschaft im gesellschaftlichen Bewußtsein. Die vorhandene Bewußtseinsspaltung, die noch unter der Etikette der Institute und Verwaltungskorridore verborgen schwelt, deshalb bislang eine eher lähmende, unkreative Schizophrenie ohne Stimmen, muß an die Oberfläche gebracht werden. Hier gilt ganz eindeutig "spalten statt versöhnen", es gibt keinen anderen Weg von dem alten zu dem neuen Konsens als über die Spaltung. In ihren ersten Jahren haben die Grünen einen kleinen Vorgeschmack von dieser Doppelherrschaft geboten — es gab keine konventionelle Position mehr, und wäre sie noch so autoritativ vertreten worden, die sie nicht bestritten hätten! 

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Und da war die Schizophrenie fruchtbar, hatte Perspektive. Diese Doppelherrschaft wäre der Vorabend der Reformation, d.h. der massenhaften offenen Konfrontation innerhalb der wissenschaftlichen und managerialen Eliten. 

Die Herren (und wenigen Damen) liegen natürlich unterschwellig in jedem ihrer Bienenstöcke miteinander im weltanschaulichen Clinch, und noch gehen da alte und neue Frontlinien oft psychologisch unentwirrbar durcheinander. Man/frau hat sich noch nicht "neu sortiert". Das beginnt im erstbesten Lehrerkollegium. Noch wird die Arbeit nicht blockiert, noch hat der Streik gegen das Weitermachen nicht angefangen, noch tun auch die Protogrünen überall so, als wüßten sie nicht, daß der Skandal nicht in den Mängeln des Systems liegt, sondern in dessen Existenz und in seinem nach wie vor verhältnismäßig effizienten Funktionieren. Die Schulen z.B. bilden fast ausnahmslos in der exterministischen Perspektive aus, auch wenn aus dem Herzen mancher Lehrerinnen und Lehrer noch etwas anderes, dann viel Wichtigeres, herüberkommt.

Ich spreche von der Schule, ich habe auch vom Gesundheitswesen gesprochen, weil diese Bereiche der Allgemeinheit am zugänglichsten sind. Aber die Spaltung der Eliten wird nicht Halt machen vor den Chef­etagen etwa der Deutschen Bank oder des Auto- und Rüstungskonzerns Daimler-Benz, nicht vor den Spitzen­leuten der Krebsforschung mit ihrer erbärmlichen Tierversuchspraxis, die überdies selbst vor den eigenen Maßstäben versagt, nicht vor der Beamtenschaft der Verwaltungen und Ministerien, besonders nicht vor dem Militär, das Verteidigung als Selbstvernichtung plant und spielt.

Das werden nicht die alten kleinen Ballspiele zwischen konservativen und sozialliberalen Gemütern, das werden nicht bloß Debatten um mehr oder weniger Modernisierung der üblichen Expansions- und Ausbeut­ungs­praktiken. Da werden Menschen immer häufiger vor der Frage stehen, nicht ob sie anders, sondern ob sie überhaupt weitermachen sollen als Banker, als Wirtschaftskapitäne, als Wissenschaftler, als Staatsbeamte, als Ärzte, als Offiziere, als Lehrer usf. Es wird dahin kommen, daß die Karrieristen des Weitermachens den größeren Teil ihrer Kräfte in einem Abwehrkampf gegen die moralisch-spirituelle Erosion verlieren.

So soll es auch sein. Die jungen flotten Neueinsteiger, die die Managementschulung so sehr liebt, werden immer öfter Grund haben, sogar Sabotage in den älteren höheren Rängen der Firma zu vermuten, zu wenig Elan beim Profitmachen festzustellen — und sich einige Jahre früher als bisher auch blöd vorkommen bei der Schufterei.

 

Das ganze Modell beginnt auszulaufen, der expansionistische Impuls ist verbraucht, die europäische Seele möchte zur Ruhe kommen, und wenn nicht das, dann jedenfalls ihren Abenteuerspielplatz transponieren. Es zieht eine neue kulturelle, ja eine neue geistliche Hegemonie herauf. Es naht die Stunde der "Idealisten", die den Anspruch erheben, mit einer geistbestimmten Antwort auf die Herausforderung der zivilisatorischen Krise zu reagieren. 

Sie sind jetzt schon stärker als sie wissen. Denn von der je individuellen Verbindung zu einer anderen Wirklichkeit als dem technischen Verstandes-"Reich von dieser Welt" geht, wenn sie selbstbewußt ausgestrahlt und im Auftreten gezeigt wird, eine atmosphärische Macht aus, der die Trägheitskräfte nichts Gleich­gewichtiges entgegenzusetzen haben. Von dem Selbstbewußtsein dieser inneren Kraft hängt die Unabhängig­keit und Standfestigkeit ab, auf die es im Augenblick der offenen Auseinandersetzung ankommt. Werdet Ihr wagen, auch offen zu dem zu stehen, was Ihr großenteils schon lange denkt? Anstatt bloß die obligaten Zynismen anzubringen, die den Status quo längst nicht mehr kratzen?

Die Männer und Frauen der Neuorientierung werden sich bald überall stärkere gemeinschaftliche Rückhalte schaffen, über taktische Bündnisse gegen oder für Dies und Das hinaus zu neuen Lebenszusammenhängen, die auch ein Minimum an sozialer Sicherheit jenseits der Megamaschine stiften und dem Einzelkämpfertum den Bezugspunkt einer gemeinsamen geistigen Heimat bieten. Interessenvertretungen gewerkschaftlichen Typs sind nicht mehr ausreichend, sind nur gut, um Spielräume freizuhalten und neu zu eröffnen; ihre Verhaltenslogik bezieht sich noch auf das alte Paradigma. Man muß sich allerorten für Ausstiegs- und Umkehrprojekte verbinden, gemeinschaftlich die Neukonstituierung der Gesellschaft wie der eigenen Person betreiben. 

Und um die Perspektive dafür zu klären, den Geist und die Gefühle für den Weg ins Offene, Unfestgelegte zu stabilisieren, braucht es darüber hinaus eine Art Ordensbildung neuen Typs. Auf diese beiden Gestalten der Rettungsbewegung gehe ich jetzt in sicherlich allzukurzen Unter­abschnitten ein.

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Logik der Rettung 1987 von Rudolf Bahro