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Julian Jaynes
Der
Ursprung
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1976 555 Seiten
Wikipedia Autor *1920 in detopia Ökobuch |
julianjaynes.org Home |
Inhalt Vorwort (7) Einführung: Das Problem des Bewußtseins (9)
Register & Bildnachweis (547-559) Buch auf deutsch: julianjaynes.org/origin-of-consciousness_german_introduction.php Vorwort von Julian Jaynes Die Kernideen des vorliegenden Buches habe ich im September 1969 auf einer Tagung der <American Psychological Association> in Washington vorgetragen. In all den Jahren seither habe ich meine Gedanken und Begründungen immer wieder auf verschiedenen wissenschaftlichen Veranstaltungen zur Diskussion gestellt. So ergab sich eine ständige Überprüfung und kritische Auseinandersetzung, worin ich einen wertvollen Beitrag sehe. Im ersten Teil führe ich aus, wie ich auf die erwähnten Kernideen gestoßen wurde. Im zweiten Teil sichte ich das historische Beweismaterial für meine Thesen im einzelnen. Im dritten Teil zeige ich, was meine Theorie bei der Erklärung einiger moderner Phänomene zu leisten vermag. Ursprünglich wollte ich in einem vierten und fünften Teil die Hauptresultate meines neuen Ansatzes darlegen. Daraus mußte aber ein eigenes Buch werden, an dem ich noch schreibe: <The Consequences of Consciousness> — Die Folgen (Konsequenzen) des Bewußtseins.
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Teil 1: Bewußtsein, Geist, Gehirn und Seele 1. Das Bewußtsein des Bewußtseins (33) 2. Das Bewußtsein (65) 3. Die Psychologie der Ilias (88) 4. Die bikamerale Psyche (109) 5. Das Doppelhirn (128) 6. Der Ursprung der Kultur (159)
Teil 2: Das Beweismaterial der Geschichte 1. Götter, Gräber und Idole (185) 2. Bikamerale Theokratien mit Schriftkultur (218) 3. Bedingungen für Bewußtsein (251) 4. Metanoia in Mesopotamien (274) 5. Das intellektuelle Bewußtsein der Griechen (311) 6. Das moralische Bewußtsein der Habiru (357)
Teil 3: Gegenwart: Relikte der bikameralen Psyche in der modernen Welt 1. Das Streben nach Autorisierung (385) 2. Von Propheten und Besessenheit (412) 3. Von Dichtung und Musik (439) 4. Die Hypnose (461) 5. Die Schizophrenie (494) 6. Die Augurien der Wissenschaft (529)
Julian Jaynes wurde am 27.2.1920 in West Newton / Massachusetts als Sohn eines unitarischen Geistlichen geboren. Nach dem Psychologiestudium an den Universitäten Harvard und McGill begann er seine Laufbahn als Hochschullehrer in Toronto und Yale. Seit 1964 lehrt er in Princeton. Wissenschaftlich ist Jaynes als Autor zahlreicher Artikel, Lehrbücher und Forschungsberichte sowie als Herausgeber mehrerer Fachzeitschriften ausgewiesen. |
1976 veröffentlichte Jaynes sein Hauptwerk The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind. Er unternimmt darin den Versuch, Ursprung und Entwicklung des menschlichen Bewusstseins im Verlauf der Menschheitsgeschichte anhand einer zentralen, im Titel angezeigten These zu rekonstruieren: Die Entstehung des Bewusstseins aus einer Struktur, die er die bikamerale Psyche nennt. Spuren dieser Vorstufe des heutigen Bewusstseins findet er dabei u. a. bei Homer und im Alten Testament, aber auch in Phänomenen wie Hypnose oder Schizophrenie.
Die Hauptthese von Julian Jaynes, die er selbst preposterous („absonderlich“) nennt, besagt: Bewusstsein hat sich in historisch nachweisbarem Ausmaß erst in dem Jahrtausend vor der klassisch-griechischen Hochkultur entwickelt, etwa zwischen 1300 und 700 v. Chr. Die Menschen vor dieser Zeit hatten kein Bewusstsein, das heißt im Sinne Jaynes’ kein autonomes Selbst im heutigen Sinn.
Die Rezeption der Thesen zum Bewusstsein
Der intellektuelle Reiz von Jaynes’ Thesen zur Bewusstseinsentwicklung liegt u. a. darin, dass seine Deutung historischer Texte einen originellen Blick auf solche psychische Erscheinungen ermöglicht, die heute als psychische Störungen aufgefasst werden: Stimmen-Hören als Symptom einer Schizophrenie wird so von ihm als Relikt, wenn nicht Rückfall auf eine frühere Stufe der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins gedeutet.
Das gravierende intellektuelle Problem im Umgang mit seinen Thesen zum Bewusstsein hat Jaynes selbst treffend so formuliert: „Für uns mit unserer Subjektivität ist es unmöglich nachzuempfinden, wie das ist.“
Julian Jaynes ist es trotz oder vielleicht sogar wegen des publizistischen Erfolges seines Buches offenbar nicht gelungen, dass seine Thesen und Überlegungen fachlich genügend ernst genommen und wissenschaftlich diskutiert und überprüft wurden. Dazu mag beigetragen haben, dass er sich bei seinen psychologischen Herleitungen weit überwiegend auf Dokumente verschiedenster historischer Wissenschaften stützte, dagegen kaum Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie für seine Thesen nutzbar zu machen versuchte.
Die Radikalität seiner Erkenntnisse war Jaynes durchaus bewusst, legte er doch nahe, dass er sie auf einer Ebene mit der Evolutionstheorie und der Relativitätstheorie ansiedelte. In Tieren und Kindern bloße Automaten zu sehen, war seit Descartes keine populäre Ansicht mehr. Jaynes selbst bezeichnete sich auch als „Neo-Behaviouristen“. Schmerz, zum Beispiel, reduziert sich auf Schmerzverhalten, nur dass beim bewussten Menschen das Schmerzverhalten mit dem analogen Ich noch einmal wahrgenommen wird.
1984 trug Jaynes seine Thesen auf einem Wittgenstein-Symposium vor, in der Annahme, dort auf Geistesverwandte zu treffen. (Wittgenstein fragte zum Beispiel ironisch, ob ein Hund zu ehrlich sei, weil er nicht heuchelt.) Allerdings erzielte er keine große positive Resonanz. Der einzige bedeutende Philosoph, der Jaynes ernst genommen hat, dürfte Daniel Dennett[1] sein. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz bezeichnet Julian Jaynes als einen „zu Unrecht vergessenen“ Denker.[2]
Einige Ausdrucksweisen könnten weitere Hürden darstellen, wenn dadurch etwa Gräzisten zu der Auffassung gekommen wären, Jaynes habe die Helden der antiken Epen zu psychisch gestörten Individuen erklärt.
Gelitten haben seine Thesen vielleicht auch unter einigen spekulativen Überlegungen zu der einst angeblich andersartigen Zusammenarbeit der Hirnhemisphären, mit denen Jaynes seine These von der Bikameralität der vorbewussten oder vorreflexiven Bewusstseinsstruktur zu untermauern suchte. Mit diesen Ansätzen zu einer Neurophysiologie des archaischen Menschen wollte Jaynes begründen, dass und wie Menschen Erfahrungen verarbeiten konnten, die noch kein Wissen oder Bewusstsein davon ausgebildet hatten, dass es sich auch bei spontan auftauchenden Erinnerungen, Einfällen und Träumen um Vorstellungen handelt, die sich zwar automatisch und nach speziellen Gesetzen der Assoziation bilden und insofern autonom entstehen, die aber gleichwohl selbstproduziert sind. Allerdings hat Jaynes auch die einschlägige psychologische Literatur über unbewusste psychische Abläufe kaum verwertet. So wurde er weder in der Hirnforschung in nennenswertem Umfang rezipiert, noch in der Psychiatrie, der Psychologie, oder der Philosophie.
«Die
Urknall-Theorie des Bewußtseins ... mit interessanten Darlegungen über
Hypnose, Schizophrenie, Weissagung und über das Wesen des Schöpferischen
bei Dichtern und Künstlern.» «Der Faszination dieser Psychohistorie, dem Versuch, Kulturgeschichte auf der Grundlage biologischer Gegebenheiten zu erklären, wird man sich nicht entziehen können.» Frankfurter AIlgemeine Zeitung «Dabei begeht der Princeton-Professor die Unschicklichkeit, die empirischen Tatsachen ebenso hinreißend-spannend zu schildern wie deren psychologische Interpretation.» Psychologie heute
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Klappentext: Bewußtsein ist in der Menschheitsgeschichte erst vor rund dreitausend Jahren aufgetreten. Autonomie, eine subjektive Identität, Geschichte, überhaupt das Wissen des Menschen von sich selbst — lauter historische Neuerwerbungen. Die Menschen der Frühzeit hingegen konnten in Grenzsituationen, unter Streß nicht selbst-bewußt entscheiden wie wir. Statt dessen vernahmen sie akustische Halluzinationen — Stimmen von Göttern. Der vorbewußte Mensch gehorchte automatenhaft der Stimme Gottes, die von außen zu ihm zu sprechen schien. In Wirklichkeit, so Jaynes, kommunizierte damals das Sprachzentrum in der einen Hemisphäre des in zwei Kammern geteilten Gehirns mit dem Hörzentrum in der anderen. Wie kam es um 1000 v. Chr. zum Zusammenbruch dieser «bikameralen» Organisation des menschlichen Denkapparates? Wie entstand das, was wir heute subjektives Bewußtsein nennen — und was ist das eigentlich? Mit dem vorliegenden Werk hat er weit über sein Spezialgebiet hinaus Aufmerksamkeit erregt: von schroffer Kritik bis zu enthusiastischer Bewunderung. Übersetzungen seiner staunenswerten «Paläontologie unseres subjektiven Bewußtseins» in die Weltsprachen liegen vor oder werden vorbereitet. |
Die Rezeption der Thesen zum Bewusstsein Von Dr. Ingo-Wolf Kittel, Augsburg, bei Wikipedia
Der intellektuelle Reiz der Jaynes'schen Thesen zur Bewusstseinsentwicklung liegt u. a. darin, dass seiner Deutung historischer Texte einen originellen Blick auf solche psychische Erscheinungen ermöglicht, die heute als psychische Störungen aufgefasst werden: Stimmen-Hören als Symptom einer Schizophrenie wird so von ihm als Relikt, wenn nicht Rückfall auf eine frühere Stufe der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins gedeutet. Das gravierende intellektuelle Problem im Umgang mit seinen Thesen zum Bewusstsein hat Jaynes selbst treffend so formuliert: "Für uns mit unserer Subjektivität ist es unmöglich nachzuempfinden, wie das ist." Julian Jaynes ist es trotz oder vielleicht sogar wegen des publizistischen Erfolges seines Buches offenbar nicht gelungen, dass seine Thesen und Überlegungen fachlich genügend ernst genommen und wissenschaftlich diskutiert und überprüft würden. Dazu mag beigetragen haben, dass er sich bei seinen psychologischen Herleitungen weit überwiegend auf Dokumente verschiedenster historischer Wissenschaften stützte, dagegen kaum Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie für seine Thesen nutzbar zu machen versuchte. Die Radikalität seiner Gedanken ist Jaynes durchaus bewusst gewesen, er legte zumindest nahe, dass er sie auf einer Ebene mit der Evolutionstheorie und der Relativitätstheorie ansiedelte. In Tieren und Kindern bloße Automaten zu sehen, war seit Descartes keine populäre Ansicht, mit der Ausnahme der Hochzeit des Behaviourismus. Jaynes selbst bezeichnete sich auch als Neo-Behaviouristen. Schmerz, zum Beispiel reduziert sich auf Schmerzverhalten, nur dass beim bewussten Menschen, das Schmerzverhalten mit dem Analogen Ich noch einmal wahrgenommen wird. Auch seine Vorstellungen über das Entstehen der Sprache, vor nicht mehr als 200.000 Jahren, sind eher kontrovers. 1984 trug Jaynes seine Thesen auf einem Wittgenstein-Symposium vor, in der Annahme, dort auf Geistesverwandte zu treffen. (Wittgenstein zum Beispiel fragt ironisch, ob ein Hund zu ehrlich sei, weil er nicht heuchelt.) Allerdings erzielte er keine große positive Resonanz. Der einzige bedeutende Philosoph, der Jaynes ernst genommen hat, dürfte Daniel Dennett[1] sein. Einige Ausdrucksweisen könnten weitere Hürden darstellen, seine Hypothesen ernst zu nehmen, wenn dadurch etwa Gräzisten zu der Auffassung gekommen wären, Jaynes habe die Helden der antiken Epen zu psychisch gestörten Individuen erklärt. Gelitten haben seine Thesen vielleicht auch unter hochspekulativen neurophysiologischen Überlegungen über eine nach seiner These früher andersartige Zusammenarbeit der Hirnhemisphären, aufgrund der er die These von der Bikameralität der vorbewussten oder vorreflexiven Bewusstseinsstruktur aufstellte. Mit ihr sucht er zu begründen, dass und wie Menschen Erfahrungen verarbeiten konnten, die noch kein Wissen oder Bewusstsein davon ausgebildet hatten, dass es sich auch bei spontan auftauchenden Erinnerungen, Einfällen und Träumen um Vorstellungen handelt, die zwar automatisch und nach speziellen (Assoziations-)Gesetzen sich innerlich bilden und insofern autonom entstehen, die aber gleichwohl selbstproduziert sind. Nur hat Jaynes auch die einschlägige psychologische Literatur über unbewusste psychische Abläufe kaum verwertet. So wurde er weder in der Hirnforschung in nennenswertem Umfang rezipiert noch in der Psychiatrie, der Psychologie oder der Philosophie. In der Bibliographie von Raoul Schrotts „Die Erfindung der Poesie“ (1997) wird Jaynes Hauptwerk an prominenter Stelle erwähnt. |
Hilfreicher Spiegel-Artikel 1988 zum Verständnis von Jaynes
Wann immer die Helden Homers im Krieg um Troja unter Streß gerieten, nahm ihnen eine innere Stimme die Last fälliger Entscheidungen ab: Laut und klar vernahmen Achill wie Agamemnon halluzinierte Befehle, die ihnen wie vom Tonband aus dem Sprachzentrum der rechten Hirnhälfte übermittelt wurden. Heute hört nur noch die archaische Nachhut der Schizophrenen die Botschaft aus dem Rechtshirn; beim Normalmenschen herrscht dort Funkstille. Als die einst hilfreichen Stimmen vor ungefähr 3000 Jahren allmählich, dann für immer verstummten, erlebte die Menschheit den Verlust als schwer erträgliche Katastrophe. Das klingt, zugegeben, wie ein neues Phantasieprodukt der als windig bekannten Psychologen-Zunft - ist aber ein wohldurchdachtes Konzept von der Evolution des menschlichen Bewußtseins. Julian Jaynes, 65, Psychologie-Professor an der Princeton University, bedient sich bei seinen Spekulationen aus einem immensen Wissensfundus. Daß es in den frühesten Schriftzeugnissen von inneren Stimmen nur so schwirrt, daß die Wort-Halluzinationen jedoch keineswegs Furcht auslösten, sondern als Ratgeber in schwierigen Lebenslagen geschätzt, gar als göttlich verehrt wurden - all das weist Jaynes in gelehrten Textanalysen überzeugend nach: Die Stimmen, glaubt er, dienten der "sozialen Kontrolle" in einer Menschheitsepoche, in welcher der einzelne noch kein entscheidungsfähiges Selbst, kein modernes "Bewußtsein" besaß. Damals, im "bikameralen" Entwicklungsstadium, so lautet Jaynes' Kernthese, verfügte das Menschenhirn über zwei Sprachzentren: Das linke war zuständig für die Alltagssprache, das rechte (inzwischen funktionslos gewordene) "blieb frei für die Sprache der Götter", die in Streßsituationen das Erfahrungswissen der Vorfahren artikulierte. Denn, so lehrt Jaynes, halluziniert wurden in den Hirnen der bikameralen Menschen die Kommandos der Häuptlinge oder Könige: "Ist der König tot, wird er zum Gott", dessen Stimme in den Köpfen weiterlebt. Was aber verschlug den göttlichen Stimmen schließlich die Sprache? Es waren, Jaynes zufolge, Naturkatastrophen wie der verheerende Vulkanausbruch in der Ägäis (im zweiten Jahrtausend v. Chr.), darauf folgende Völkerwanderungen und die Ausbreitung der Schriftkultur, die dazu führten, daß die inneren Stimmen als Ratgeber immer weniger taugten und am Ende überflüssig wurden - an ihre Stelle trat das reflektierende, individuelle Bewußtsein. Bis heute, meint Jaynes, werde der ernüchternde Wandel als schmerzlich empfunden, davon zeuge die Fülle der Trance-Techniken in allen Religionen. Selbst in Freuds Psychoanalyse sieht Jaynes nur einen wissenschaftlich verbrämten Versuch, die hilfreichen Stimmen der Vergangenheit heraufzubeschwören - vergebliche Mühe. Die Herrschaft des Bewußtseins, glaubt Jaynes, sei endgültig etabliert, die "Suche nach den verlorenen Göttern" bleibe sinnlos: "Da draußen ist nichts." DER SPIEGEL 51/1988 |