Vorlesungen
zur Sozialökologie
ab 1990

1.
Einführungsvorlesung
von Rudolf Bahro 

Humboldt-Universität-Berlin
Auditorium-Maximum 
Herbst 1990
leicht gekürzt von detopia 

Vorwort  

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Literatur 

 

18-29

Ja, wir müssen einen großen Anlauf nehmen. Es wäre wirklich sehr verfrüht, sich wieder aktivistisch in das nächste politische Projekt zu stürzen. Allerdings halte ich diese Vorlesung über die Grundlagen ökologischer Politik für das politischste, was ich tun kann. Der Ton liegt auf Grundlagen, nicht gleich auf der Politik, und es geht zunächst darum, sich über das Wesen der ökologischen Krise zu verständigen.

Offensichtlich machen wir die Außen-Welt, die Um-Welt kaputt. Aber was da in Wirklichkeit vorgeht, ist primär eine Inweltkrise und keine Umweltkrise. Demnach muß ein Versuch, das Wesen der ökologischen Krise zu begreifen, von der Subjektivität handeln, davon also, warum, aus welcher inneren Verfassung - welchem inneren Antrieb - der Mensch Leben und Erde zerstört, und von der inneren Verfassung, aus der wir uns noch retten können.

Die Idee, hier Vorlesungen zu halten, hat sich mir in der Zeit vom Spätsommer bis zum November des Jahres 1989 immer stärker aufgedrängt. Ich hatte, als ich die DDR 1979 verließ — da ich eine so schnelle Vereinigung wirklich nicht vorhersah — den Entschluß gefaßt, mich von drüben aus hier nicht aktiv einzumischen, dafür dort etwas anzufangen, was vielleicht übergreifend fruchtbar sein könnte. Darum ließ ich mich intensiv auf die Grünen ein. 

Ich will jetzt nicht erläutern, warum ich aus dieser Partei wieder heraus bin. Es hat sich nicht etwa um den Bruch mit den ökologischen Ideen gehandelt, sondern um die Frage, wie ernsthaft und gründlich die Grünen bei ihrem Auftrag bleiben. Jedenfalls hatte ich mich bewußt aus der DDR-Szene abgemeldet und war überrascht, wie sehr die DDR, als sich die Anzeichen des bevorstehenden Untergangs mehrten, innerlich wieder nach mir griff. Irgendwann im Sommer '89 habe ich einer Kölner Zeitung auf eine Frage geantwortet: »Sie sind dabei, die DDR zu verspielen.« Ich habe dann auf den Herbst zu immer häufiger schlecht geschlafen.

Der Antrieb war die Illusion, die DDR könnte gehalten werden — es wäre gut, sie zu halten — es wäre gut, diese andere deutsche Möglichkeit erstmals zur Geltung kommen zu lassen, wie sie eigentlich gemeint war. Ich will dies im Moment nicht näher ausführen. Ich bin inzwischen tatsächlich zu einem anderen Schluß gekommen. Schweren Herzens habe ich schließlich begriffen, daß es ein Gewinn zwar nicht ist, aber sein wird, daß diese Grenze des kalten Krieges, der gegenseitigen Produktion von Feindbildern, gefallen ist — wie auch immer. 

Und daß wahrscheinlich der deutsche Geist — was immer das sei; ich berufe mich jetzt einmal auf Lessing, Hegel, Fichte, die Humboldts u. ä., wenn ich diesen (folgenden) Ausdruck riskiere —, daß der deutsche Geist und das deutsche Herz sich wohl durch diese Entlastung und Erlösung binnen weniger Jahre dazu getrieben fühlen werden, die tatsächlichen Herausforderungen der Epoche aufzunehmen, die ganz anders gelagert sind, als es im Augenblick scheint. Die gesamtdeutsche Vollendung der Autogesellschaft ist ja gewiß nicht das, was weltgeschichtlich ansteht, sondern das ist eine temporäre Katastrophe.

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Es gibt in der Bundesrepublik eine wachsende Zahl von Leuten, auch in den leitenden Etagen, denen dieser Zusammenhang aufgeht, denen immer mulmiger wird bei dem, was sie da täglich praktizieren, weil sie im Grunde wissen, daß sie das nicht mehr verantworten können. Die meisten davon leben in der Schizophrenie zwischen dem Schreibtisch im Betrieb und dem Küchentisch zu Hause, manchmal auch noch einigen anderen Plätzen (zum Beispiel Psychotherapie, und auch diese neue Spiritualität drüben findet privat ja durchaus Resonanz in der Oberklasse). 

Aber es gibt dort auch Menschen, die schon Konsequenzen gezogen haben. Und meine Arbeit hier wird mitgetragen von einer Stiftung, die der vorherige Wurstfabrikant Karl Ludwig Schweisfurth ins Leben gerufen hat. Das ist ein Mann, der auch zuvor schon herausragte. Er hatte sich Kunst in den Betrieb geholt. Irgendwann, wohl Anfang der 80er Jahre, waren seine Kinder nicht mehr mit der skandalösen Produktionsweise einverstanden, die in der Nahrungs­mittel­verarbeitung gang und gäbe ist. Was soll aus dem Boden werden? Wie werden die Tiere behandelt? Was geschieht zwecks Konservierung und Verkaufsästhetik von Nahrungsmitteln, die eigentlich Lebens-Mittel (mit Bindestrich) sein sollten? 

Damit wollten sie nichts mehr zu tun haben. Karl Ludwig Schweisfurth faßte den Beschluß, sein Kapital aus diesem Zwangslauf herauszuziehen, und hat es in zwei Stiftungen und ein Alternativunternehmen übergeleitet. 

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Die eine Stiftung betrifft nach wie vor die Kunst, und zwar wesentlich an der Herausforderung durch die ökologische Krise orientiert. Das Alternativ-Unternehmen ist ein kleiner Betrieb, der sich »Hermannsdorfer Landwerkstätten« nennt. Die agrarische Basis sind 140 Hektar Land für gesunden Ackerbau, gesunde Fleischproduktion. Verarbeitet werden die Produkte mit mittleren Technologien, auf etwas größerem als handwerklichen« Maßstab, und zwar eben zu Lebens-Mitteln. Diese werden teils ab Hof und teils in München direktvermarktet. Unter manchen Aspekten ist vieles, was jetzt als ökologische oder biologische Alternative läuft, die gute alte Landwirtschaft, wie sie die Großeltern betrieben haben, jedoch ökonomisch und technisch höher integriert. 

Es ist sicher nicht gleich ökologische Landwirtschaft pur. Schweisfurth will einen Weg finden, der sich auch rentabel rechnet, um so die gesamte Agrarkultur zu beeinflussen. Er hat auch einen Agrarkulturpreis ausgeschrieben. Kurzum, er sucht ein Beispiel dafür zu geben, wie der Mensch vielleicht doch maßvoll wohnen könnte auf der Erde. Und schließlich hat er also jene andere Stiftung begründet, die ökologische Themenarbeit natur- wie geisteswissen­schaftlicher Art unterstützt, darunter nun auch meine Initiative hier.

Wie sich in den Führungsetagen der Wirtschaft die Menschen entscheiden, das hängt beträchtlich von der Nachfrage, von der Psychologie der Bevölkerungsmehrheit ab. Daß die herrschenden Strukturen tödlich funktionieren, darauf kann man sich verlassen. Aber es kommt eben bei denen, die sie betreiben, früher oder später auch seelisch zur Geltung. 

Manche gehen dann so weit wie Karl Ludwig Schweisfurth, und andere versuchen wenigstens, noch irgend etwas anderes nebenbei zu betreiben, das eigentlich gegenläufig zu dem ist, was sie tagsüber machen. Zwar ist die Marktwirtschaft alles andere als ökologisch. Dennoch ist es nicht so, daß die Chancen für eine Wende in Richtung Ökologie und neue Liebensform hier jetzt schlechter wären als zuvor.

Die SED hat diesbezüglich wahrhaftig alles be- und verhindert. Die Umweltschutzberichte sind zuletzt nur noch von zwei Leuten der Partei- und Regierungs­spitze überhaupt in die Hand genommen worden: Gar nicht reingucken! Wir müssen ja erst den (sichtlich schon lange verlorenen) Klassenkampf gewinnen. Machtbehauptung — und um mehr ging es längst nicht mehr — ist per se unökologisch. Wie erst im Falle des polit-ökonomisch schwächeren Systems!

Trotz aller Walzenhaftigkeit des spontanen ökonomischen Prozesses, wie er kapitalistisch abläuft, gibt es als ausnutzbare Gegentendenz die Diversität der Verhältnisse, gibt es Nischen und Lücken, um Neues auszu­probieren, jedenfalls in den sogenannten entwickelten Ländern (wo der Kolonialismus durchschlägt, ist es freilich erheblich schwerer).

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Falls sich viele DDR-Bürger aufraffen, jetzt nicht mehr darauf zu warten, was angewiesen wird — man kann sein Leben entscheiden, auch unter diesen neuen Verhältnissen. Gewiß sind nicht alle in der gleichen Ausgangsposition. Eine Frau mit zwei Kindern hat in der jetzigen Situation nicht dieselbe Beweglichkeit. Und doch, der historische Prozeß, in den ganz Europa sich jetzt hineingibt, nachdem der Ost-West-Konflikt im wesentlichen zu Ende ist, fordert jeden und jede zur Mitgestaltung auf. Vor allem wird es eine Transformation aller Verhältnisse in Richtung Ökologie, das heißt Wiederfinden ins Naturgleichgewicht, sein müssen. Was auch immer wir nächste Woche machen - oder nächsten Monat und nächstes Jahr -, wir müssen unseren Lebensentwurf auf diese Heraus­forderung ausrichten.

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Bei meiner Entscheidung, nach hier zurückzukehren, war natürlich ausschlaggebend, daß ich hier studiert habe. Ich hatte hier in den 50er Jahren wesentliche Menschen zu Lehrern. 

Ich erinnere mich an Walter Besenbruch, der Ästhetik gelesen hat, einen alten Kommunisten, der kurz nach 1945 für die Volks­polizei - ich weiß nicht, wie sie anfangs hieß - im Mansfeldischen zuständig gewesen war und dessen eigentliches Thema natürlich die allgemeine Emanzipation des Menschen war. 

Ich denke an Georg Klaus. Mit einer Art Haßliebe zum Gegenstand habe ich diese logistische und kybernetische Konzeption in mich aufgenommen, die er vertrat. Sein Oberseminar über Hegels Logik hat mich befähigt, in das Wesen philosophischer Texte einzudringen. Auch er war ein alter Kommunist. 

Und nie werde ich Wolfgang Heise vergessen, meinen wichtigsten Lehrer nicht nur an dieser Universität, sondern überhaupt. Es ist bekannt, daß dies ein Mensch des geistigen Widerstandes gegen die Zustände hier war, aber auch er blieb bis zu seinem Tode vor ein paar Jahren Mitglied der in ihrem Sosein gründlich ungeliebten SED.

Im Hinblick auf diese drei Lehrer und auf manchen anderen Menschen, der mir auf meinem Weg hier in der DDR noch begegnet ist, muß ich einfach sagen, daß die Zugehörigkeit zur kommunistischen Bewegung und auch zur SED — was zu bestimmten Zeiten zusammengehörte, darum bin ja auch ich Partei­mitglied gewesen — wirklich nicht in jedem Fall bedeutet, daß sich das Leben und die Leistung und der Einsatz eines Menschen, was die Wissenschaft betrifft, auf den Dogmatismus, und ansonsten auf Stalinismus und Unterdrückung anderer Leute reduziert.

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Außerdem habe ich im neuen Nachwort zu meiner endlich hier erschienenen <Alternative> festgestellt, wie sehr ich mitver­antwortlich für diese ganze Sache bin. Selbst noch, indem ich fortgegangen bin! Und auch, indem ich nicht wiederkam, als ich erkannte, daß Michail Gorbatschow anscheinend praktisch realisieren möchte, was ich damals in meiner <Alternative> schrieb. Ich gehe also davon aus, daß es ein gemeinsamer Prozeß der Reinigung und Regeneration sein muß und wird, in dem sich die Menschen wiederfinden, die hier, in welchen verschiedenen Rollen auch immer, zusammengearbeitet haben.

So weit ich sehe, lagen und liegen diejenigen Leute, die innerhalb der SED oppositionell gedacht haben, und allerdings nicht ernstlich aufgetreten, nicht wirklich hervorgetreten sind, und die anderen Leute, die sich in der verfolgten Ökopaxszene bei Demokratie Jetzt und so weiter und in der Richtung Neues Forum engagierten, um einen anderen Sozialismus zu machen, gedanklich nicht so weit auseinander, könnten zusammenfinden für eine neue Perspektive jenseits der gestorbenen Ordnung hier im Osten und jenseits des Kapitalismus, der mindestens so problematisch ist wie das, was wir hier bis voriges Jahr veranstaltet haben.

Für das Zusammenfinden der positiven Energien ist nichts hemmender und ist - neben der Verdrängung der persönlichen Altlasten - nichts schädlicher, als Organisationsformen, die den alten Zuständen verhaftet sind. Es geht darum, für mich jedenfalls, die Wirklichkeit, so wie sie weithin auch gegen uns entschieden hat, anzunehmen und sich auf die Herausforderung einzulassen, die das bedeutet.

Unser Scheitern läßt sich, wenn man die Sowjetunion einbezieht, wirklich nicht auf subjektives Versagen reduzieren, sondern da gilt, die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Wollen wir in uns selber sachlich damit umgehen, müssen wir alte Identifikationen und Verhaftungen fallen lassen und uns ungeschützt durch regressive organisatorische Zusammenhänge auf die geistige Bilanzierung einlassen, zu der übrigens mehr gehört als der »realsozialistische« Stoff.

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Natürlich ist mit so einer Biographie, wie ich sie bis hierher hinter mir habe — und besonders für die letzten 13 Jahre seit meinem Auftritt 1977 —, viel Gerücht- und Legendenhaftes verbunden. Ich will die Gelegenheit wahrnehmen, etwas zu meiner Person zu sagen, über einige der Irritationen zu reden, die unvermeidlich sind, wenn man sich in die Massenmedienlandschaft der westlichen Welt stürzt und dabei nicht jeden Abend und jeden Morgen daran denkt: »Oh, was muß ich alles vermeiden, damit die mich nicht bei irgend etwas erwischen, das in die Bildzeitung paßt.« Ich habe da drüben nicht mit dieser ich-schonenden Vorsicht gelebt. 

Ich will einfach diese öffentliche Gelegenheit benutzen, vielleicht doch einiges wenigstens annähernd klarzustellen.

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Beginnen will ich mit dieser Rehabilitierung, die im vergangenen Sommer stattgefunden hat. Da saßen ein Gericht und eine Staatsanwaltschaft, zusammen­gesetzt aus lauter Menschen, von denen ich annehme, sie hätten, damals im Amt, in irgendeiner der Rollen, die in dem Verfahren gegen mich auszufüllen waren, genau das Urteil gefällt, das sie jetzt - vielleicht sogar einsichtig - nachträglich verworfen haben. 

Das ganze war schon insofern eine Farce, als die Substanz, um die es mir mit der <Alternative> ging, nämlich dieser andere deutsche Staat, ja weg ist. Ich hatte ja gewollt, daß wir in der DDR so etwas wie den <Prager Frühling> zustande bringen. Inzwischen ging es nur noch darum, die verrückte Art von Urteilsbegründung, die man zu jener Zeit für die politische Anästhesie nötig hatte, aus der Welt zu schaffen. Es stand ja da drin, ich hätte Informationen an den Klassenfeind verkauft, etwa über die Tatsache, daß unsere volkseigenen Betriebe ihre Kapazität nach unten frisieren, damit der nächste Plan nicht so hoch ausfällt. Und ich erfuhr über die Summe der Silberlinge, für die ich verraten haben sollte.

Von meiner <Alternative>, von der ich pro Kopie 8 Prozent des Verkaufspreises gutgeschrieben bekam, sollten schon 80.000 Exemplare verkauft sein. Es gab nur eine ernsthafte kleine Schwierigkeit für das Gericht. Es war nämlich der Paragraph, nach dem ich dann verurteilt wurde, noch nicht auf der Höhe meiner Perfidie. Mein Manuskript hätte nämlich nach dem Gesetzestext direkt beim Klassenfeind gelandet sein müssen und nicht wie de facto beim Bund-Verlag des DGB. Der Deutsche Gewerkschaftsbund konnte schlechterdings nicht zum Klassenfeind erklärt werden, obwohl der Verlagsdirektor Tomas Kosta ein '68er tschechischer »Konterrevolutionär« war. So konnte Gregor Gysi, mein Anwalt, damals nach geltendem DDR-Recht Freispruch für mich verlangen und hat das auch getan. Bei der Neuverhandlung bestand er darauf, hier haben Leute auch noch persönlich Recht gebrochen. Wiederum haben die Beteiligten damals sicher nicht ohne direkten Auftrag gehandelt.

 

Ende 1979, als ich zwei Monate drüben war, da hat dann der scharf rechte Journalist Gerhard Löwenthal, der einen unver­besserlichen Kommunisten in mir sah, herausbekommen, daß ich eigentlich Doppelagent bin. Der hatte sich dazu einen jungen Mann ausgeguckt, der um dieselbe Zeit, die ich in Bautzen II verbrachte, in dem Gefängnis Bautzen I, also in dem großen »Gelben Elend« saß. 

Die Erfindung war, ich hätte dort eine Weile die Zelle mit ihm geteilt und ihm davon abgeraten, in den Westen zu gehen. Eine solche Haltung - angenommen, es wäre so gewesen - hat dem Herrn Löwenthal schon genügt, mich als Stasi-Agenten zu betrachten. Anders wäre sie ihm nicht erklärlich gewesen. 

Vor kurzem hat dieser junge Mann meine Tochter Sylvia angerufen, um zu sagen, das sei damals mit Geld für ihn verbunden gewesen und es täte ihm leid.

Über die Massenmedien kann man jedes Spiel dieser Art laufen lassen; irgendein ausschlachtbarer Anhaltspunkt findet sich immer.

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Ich selber habe während der Haftzeit erst einen Prozeß durchgemacht, ehe ich es dann doch besser fand, tatsächlich rüberzugehen. Ich sah schließlich keinen Sinn mehr darin, etwa die Rolle von Robert Havemann hier zu doublieren. Ich dachte, daß sich die öffentliche Aufmerksamkeit dann zu sehr darauf konzentriert, wieviele Leute mich gerade bewachen und dergleichen, so daß meine Existenz eher dem kalten Krieg in Deutschland als der Verbreitung neuen Denkens zugute kommen würde. Allerdings habe ich mir damals, wie schon kurz im Nachwort zu meiner <Alternative> erwähnt, nicht ganz klargemacht, daß ich unterschwellig auch noch andere Motive zum Rausgehen hatte.

Der zweite Punkt, der mir aktuell entschieden wichtiger ist und den ich wenigstens anreißen will, betrifft eine Irritation, die mit meiner jetzt ja hier erschienenen <Logik der Rettung> einherging. Ich kann es kurz machen, weil der Stoff, um den es geht, dort schwarz auf weiß nachvollziehbar ist. 

Manchmal ist ein Thema so tabu, im Bewußtsein so sehr einem traumatisch erlebten Akteur zugeordnet, daß man mit dem verwechselt wird, indem man sich bloß auf die Sache selbst einläßt. Nur so ist mir erklärlich, daß es Menschen gibt, die, dann noch dazu aus zweiter Hand, wissen wollen, ich sei eigentlich faschistoid oder gar faschistisch geworden. 

Worauf geht das zurück? 

1984 auf einem Parteitag der Grünen habe ich einmal darauf hingewiesen, daß es eine strukturelle Verwandtschaft gibt zwischen der Art und Weise, wie Grün oder das grüne Thema, die ökologische Problematik, aufkommt und wie die Nazibewegung aufkam. Gemeint war, wie gesagt, ein struktureller Vergleich, keineswegs eine inhaltliche Gleichsetzung. Ich sah in beiden Fällen eine Bewegung jenseits der Parteienstruktur, und zwar aus Tiefenkräften der menschlichen Seele gespeist.

Das allein ist natürlich an und für sich weder gut noch schlecht — sofern Arationales, Unbewußtes nicht gleich als ir-, sprich antirational verdächtigt wird. Dann habe ich aber wegen der Logik der Machtkämpfe, die sich in dieser alternativen Partei entfalteten, hinzugefügt, es kann leicht passieren, daß die Grünen jetzt für eine andersartige, eben eine grüne Restauration des Imperiums gut sind, so wie es die Braunen damals für eine braune waren. Die »Ökologie« kann imperial vereinnahmt werden; man sieht gerade jetzt, wie beflissen auch manche Grüne zum Beispiel deutsch die Ordnung hüten wollen bei den Arabern. Es kann ja lehrreich sein, daß es bei den Nazis einen starken Flügel gab, der sozial- und kulturrevolutionär sein wollte. Das war nicht fundiert, und die Hitlerbewegung konnte zum Diener einer Regeneration des deutschen Kapitalismus werden. 

Und ich sah und ich sehe, das kann auch den Grünen passieren, indem der eine oder andere als System­bestand­teil fungiert und dann zum Beispiel mit-imperialistisch entdeckt, daß »wir« Sicherheits­interessen am Persischen Golf hätten.

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Es gibt diese Tendenz, und es existiert die Gefahr, daß man sich an die Logik der Machtverhältnisse, wie sie hier nun mal sind, ausliefert. Wenn man sich die Vereinnahmung verbergen will — wie gut, daß es einen UNO-Beschluß gibt, der verdeckt, daß es die Interessen Amerikas und Westeuropas sind, die dort am Persischen Golf durchgesetzt werden. 

(Übrigens liegt auf den Tischen ein Papier mit Texten von Johan Galtung, Alfred Mechtersheimer und Roger Garaudy, die das Thema in einer Perspektive behandeln, mit der ich ganz übereinstimme: Wollen wir Krieg gegen den Süden und speziell gegen den Islam führen? Ich hoffe, nein!)

Zurück zum Thema. 

Der Sache nach handelt es sich im wesentlichen darum, daß ich also denke, wir können den Faschismus nicht länger ein Tabuthema sein lassen. 

Wenn ich mich selbst ansehe, die Art Engagement, mit der ich mit 17 Kommunist geworden und dann geblieben bin die ganzen Jahre eigentlich bis gerade gestern — in gewisser Hinsicht bin ich es ja immer noch, was die ökonomische Ebene betrifft, obwohl die nicht mehr im Mittelpunkt meines Denkens steht — also wenn ich den psychologischen Antrieb ansehe:  Ich kann nicht ausschließen, daß ich Ende der 20er Jahre bei den Nazis gelandet wäre. Und es ist ganz wichtig, daß wir bereit sind, uns solche Fragen zu stellen. Was dann weiter passiert wäre? Ich weiß es nicht.

Es hat nazibewegte Leute gegeben, die haben es noch vor 1933 kapiert, es hat Leute gegeben, bei denen war Anfang 1934 mit der Röhm-Affaire der Groschen gefallen, einige sind in den Widerstand gegangen und unters Fallbeil gekommen. Aber man soll sich über sich selbst möglichst wenig vormachen. Und ich war bereit und bin bereit, mich auf solche Fragen einzulassen. 

Ich denke, daß wir, wenn es ernst wird mit einer Volksbewegung, um die ökologische Krise zu bewältigen, und wenn da wirklich was aus den Tiefen kommt, mit manchem zu tun haben werden, das damals diesen Ausdruck fand und diesmal einen anderen, besseren jedenfalls schon sucht. Das kann nur gut gehen, wenn sehr viel Bewußtheit darüber da ist, was eigentlich alles in uns ansteht an unglückseligen Mechanismen, an Ressentiment-Reaktionen, an Bloß-Rebellion statt Revolution.

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Schließlich will ich nicht versäumen, ein Thema zu berühren, das zwar unter einem bestimmten Gesichtspunkt auch in der <Logik der Rettung> behandelt ist, aber nicht so, daß das Persönliche deutlich hervorträte. Ich meine das Thema Bhagwan Shree Rajneesh.  Zwar bin ich nicht Sannyasin gewesen — obwohl sich die westdeutsche Presse verschiedentlich Mühe gegeben hat, diesen Eindruck zu erwecken —, aber ich dementiere die Begegnung nicht, obwohl sie gar nicht Auge in Auge war.

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Sie entspann sich über Bhagwans Buch <Intelligenz des Herzens>. Ich fand größtenteils richtig, was ich darin las, zum Beispiel über die Oberflächlichkeit einer Friedensbewegung, die die Atombombe nicht als quasi natürliche Konsequenz unserer ganzen Ich- und Gesellschaftsverfassung begreift.

Ob nun bei der großen Auswahl des Angebots auf diesem neospirituellen und auch dem therapeutischen Sektor Mann oder Frau immer gleich das Gelbe vom Ei finden, ist eine zweite Frage. Wenn die eigene Antenne nicht völlig verschmutzt ist, kann man auch Glück haben. Jedenfalls war da eine außerordentliche Energie: »Mach was draus.«

Ich habe Wichtiges gelernt, indem ich mich ohne selbstschützende Kritikasterei auf diese Bewegung, auf die Leute da, einließ, obwohl ich nicht ihren Weg gegangen bin. Die vier Wochen in Rajneeshpuram, der Bhagwan-Stadt im US-Staat Oregon, sind ein großer Gewinn für mich gewesen. Ich habe dort körperorientierte Workshops mitgemacht. Mein Hauptmotiv ist die Selbsteinsicht gewesen, wie sehr ich als Parteisoldat und Parteimönch hier Mensch-im-Futteral gewesen bin, eingesperrt und verpanzert in mir selbst. 

Wenn man dann noch zwei Jahre Untersuchungshaft und Knast genossen hat, im Nahkampf mit der bis dahin eigenen Partei Recht haben will, auch nichts zugeben darf, in der gegebenen Situation, verhärtet man sich noch viel mehr. Man zieht sich zusammen, versteckt sich hinter der Brille, lebt also nur auf Sparflamme, bloß den Kopf voller Druck. Da ist es für mich physisch überaus befreiend gewesen, mich auf diese therapeutischen Praktiken einzulassen. Man braucht dabei keineswegs alles einzukaufen, was an Ideologie, Religion und so weiter dazugeliefert wird oder was man dafür hält. Kritik ist nämlich nicht verboten. Wenn manche Menschen dabei nicht sie selbst bleiben, so ist das »freie Wahl von freien Bürgern«, übrigens immer noch mehr als auf dem allgegen­wärtigen Supermarkt im allgemeinen.

Es hat mich wirklich erstaunt, wie sehr sich Scharen linker und liberaler Leute um die paar tausend Menschen, meistens Intellektuelle, die sie beim Bhagwan auf die falsche Schiene rutschen sahen, gesorgt haben, während sie gleichzeitig die ganze Eisenbahn laufen ließen, bei der alle Züge in den Abgrund fahren. Selbst wenn bei der Sannyas-Kommune in Amerika, die nachher glimpflich aufflog, noch irgend etwas Schlimmeres heraus­gekommen wäre, es hätte der allgemeinen Katastrophe, die die amerikanische Gesellschaft ist, wirklich nichts Wesentliches hinzugefügt. 

Wie das ganze Thema dramatisiert wird, das sagt viel mehr über die Spiegel als über das Gespiegelte.  

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In der <Logik der Rettung> habe ich mich auch positiv geäußert zu einem Projekt, dessen jetzige Praxis ich allerdings nicht mehr so gut wie die frühere kenne, nämlich zu dem Projekt »Bauhütte«, das sich jetzt »Meiga« nennt. Das ist eine Gruppe, die sich im Schwarzwald um Dieter Duhm konstituiert hatte und deren Grundthema war, daß man, wenn Sexualität und Liebe wieder zusammenkommen sollen, »Liebe« (als ein Verhältnis wechselseitiger Verhaftung verstanden) erst mal lassen muß, daß man sich neutralisieren müßte, um an die wirklichen Gründe für den Krieg zwischen den Geschlechtern heranzu­kommen.

Ich denke, ein überaus wichtiges Thema. Zumindest unter dem kommunitären Aspekt einer sozialen Alternative ist geradezu entscheidend, es wenigstens erst mal klar ins Auge zu fassen. Möglicherweise liegt hier sogar der positive Zugang zu dem ungeheuren Stoff, dessen negative Seite von der Kritik des Patriarchats aufgegriffen wird. Es wird, wie so oft bei Gruppen, problematisch, wenn dann alles durch ein einziges Schlüsselloch gejagt wird. Die erotische Dimension ist viel grundlegender der für alle Sozialstrukturen, als wir uns bewußt zu machen pflegen, aber sie ist nicht der Schlüssel, sondern eben einer. Doch der Versuch dieser Gruppe ist jedenfalls ganz ernsthaft und verdient es nicht, aus verklemmtem Ressentiment verleumdet zu werden.

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Es geht mir weder bei der Bhagwan-Geschichte noch bei diesem »Meiga«-Projekt darum, jeweils der Weisheit letzten Schluß zu vermuten, sondern um den notwendigen Mut, sich auf Erfahrungen dieser Art einzulassen und der eigenen geistigen Souveränität so weit zu trauen, daß man gerade dann, wenn man dicht genug herangeht, schon selber sehen wird, was dran ist und was nicht. 

Aus der Presse kann man es nicht erfahren, im Gegenteil, sie tendiert systematisch dazu, vor allem das madig oder lächerlich zu machen, was den Lebensnerv gegen die Grundverpanzerungen im Status quo mobilisiert.

Wie so etwas gemacht wird, kann ich am besten charakterisieren, indem ich erzähle, was ich mit zwei typischen, ja den zwei wichtigsten Organen für Meinungs­mache, beim <Spiegel> und beim <Stern>, erlebt habe, nämlich exakt dieselbe blöde Masche, für die sich arrivierte Journalisten nicht zu schade sind.

Der <Spiegel> schickte, nachdem ich in Rajneeshpuram gewesen war, einen freundlich wirkenden Mann, der, wie sein Artikel dann zeigte, sein Schema schon als Auftrag in der Tasche hatte und nur noch die »Belege« brauchte. Er setzte sich mir gegenüber an die andere Schreibtischseite, fragte vielerlei, und ich gab ihm in aller Aufrichtigkeit Auskunft. Neben ihm auf dem Bücherbord standen zufällig auch Bücher von Bhagwan, darunter eines, wenn ich mich recht erinnere, über sexuelle Kraft und Yoga. Während ich mal draußen war, hat er sich die Titel notiert und dann geschrieben, daß es das ist, was mich jetzt interessiert, und Marx natürlich nicht mehr. 

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Es ist noch kein Jahr her, da waren sie vom <Stern> bei mir, und der Schreiber hatte genau dasselbe Format. Auch er fand Bhagwan im Regal. Und auf dem Tisch — ich habe meine Bücher kommuneöffentlich gemacht — lag noch irgendein Quizbuch, nicht mal meines. Auch das stand dann in der Spalte als charakteristisch für mich, nachdem ich nicht mehr mit den Grünen Politik mache. 

Und je weiter man sich von der Normalität entfernt, also von den Zuständen und Verhaltensweisen, die eigentlich das verrückteste sind, was es gibt, um so mehr reizt man natürlich die Abwehr-mechanismen.  

Das sind nicht nur der <Spiegel> und der <Stern> als Institutionen, sondern da fechten natürlich auch Menschen ihren Abwehrkampf gegen die Zumutung, ihre jämmerliche Rolle fahren zu lassen. 

Man darf sich nicht allzu lange über solche Erbärmlichkeiten aufregen. Langfristig läuft sich das dennoch tot. 

Man darf sich durch nichts verbieten lassen, die existentielle Erfahrung selbst zu machen und sich auch öffentlich dazu zu bekennen. Man darf sich irren, man darf auch mal auf einen Flop hereinfallen. Wenn man wirklich sucht, bekommt man neuen Grund unter die Füße.

Um zu verstehen, kann man seine Erinnerung mobilisieren, was in den ersten 300 Jahren nach Christus in Rom passiert ist:

Es gab wirklich keinen (damals nahöstlichen) Kult, so degeneriert der schon gewesen sei, so sehr er seine Zeit zu Hause schon hinter sich gehabt haben mag, der nicht im späten Rom fröhliche Urstände gefeiert hätte. Der persische Mithras war ein Jahrhundert lang der Gott der römischen Legionen. Es gab den Kybelekult und ich weiß nicht was noch alles. Das Imperium war geistig von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr »ausgelaufen«, leerer geworden, so daß sich die Leute einfach nach einer neuen geistigen Grund­orientierung umsehen mußten. Da die Politik nicht mehr interessant war, da man auf das soziale Funktionieren im ganzen keinen Einfluß mehr hatte, bot sich um so mehr an, sich neu in den elementarsten Fragen der menschlichen Existenz zurechtzufinden.

Und etwas Ähnliches ist jetzt im Westen im Gange, diesmal mehr mit fernöstlichen Importen, weil wir ja nicht nur den Mittelmeerraum, sondern die Welt kolonisiert haben. Daß es da unzählige Verirrungen gibt, noch dazu bei dem Neurosenpotential, das wahrscheinlich in jeder »modernen« Gesellschaft noch größer und virulenter als im alten Rom ist, muß nicht verwundern. Aber wer sich auf die Anlässe für Gelächter konzentriert, wird das Wesen der Sache versäumen, wird vor lauter Unterholz den Wald nicht sehen. Selbstheilungskräfte sind in Wirklichkeit nicht am Markte auszumachen, sondern allein im Menschen.

Was meinen heutigen politischen Ort betrifft, zu dem ich nicht ohne derartige Erfahrungen gekommen wäre, so liegt er jenseits des Parteienwesens. Das halte ich nicht für wirklich politisch, was da läuft. Das halte ich für Politkasterei und Politikantentum. 

Ich denke, daß Politik, und zwar bezogen auf die Weltsituation als ganze - gewiß nicht nur hier in der Ex-DDR - von Grund auf neu gebaut werden muß. Innerhalb der gegebenen Strukturen wird sich nur fortzeugen, was uns umbringt. 

Um die Politik neu zu begründen, muß man sich erst einmal auf die Grundlagen ökologischer Politik einlassen, die nicht selbst schon politischer und auch nicht umweltschützerischer Art sind.

Jetzt ist noch klarer - als es Anfang 1990 war -, daß uns keine unmittelbare Möglichkeit bleibt, sie in dem letztlich unverzichtbaren großen, das heißt gesamt-gesellschaftlichen Stil zu verwirklichen. Wir sind noch viel mehr darauf verwiesen, von innen her für die notwendige Umkehr vorzuarbeiten.

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Einführung 1990