Klaus Hartung

Ein deutsch-deutscher Prophet  

Die erste Biografie über Rudolf Bahro 

entfaltet die Paradoxien  einer globalen Rettungsphilosophie 

in DIE ZEIT 18/2003   

zeit.de/2003/18/P-Bahro   

wikipedia  Hartung *1940 

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Der Vergessenheit muss Rudolf Bahro nicht entrissen werden. Aber dennoch scheinen seine Gestalt und sein Denken so fest von der Vergangenheit eingeschlossen zu sein wie die Fliege im Bernstein. 

Obwohl er mit seinem Hauptwerk <Die Alternative> die noch immer die radikalste theoretische Abrechnung mit dem real existierenden Sozialismus darstellt, blitzartig zu einer Figur der Welt­öffent­lichkeit aufstieg, hat man den Eindruck, es gebe überhaupt keine zeitgeschichtliche Brücke zu allen anderen Akteuren der Wende, weder zu Dissidenten und Bürgerrechtlern noch zu Ostalgikern. 

Dabei hat er noch bis in die Zeit seiner Krankheit zum Tode, der Leukämie, unablässig theoretisch-politisch interveniert. Er suchte sich Bündnispartner von Kurt Biedenkopf bis Lothar Bisky, inspirierte ökologisch-lebens­reformerische Projekte in Ostdeutschland, führte das Institut für Sozialökologie an der Humboldt-Universität – und dennoch, in dem Maße, wie er intervenierte, schien die Wirklichkeit zurückzuweichen. Bis an sein Lebensende schlug er Menschen in den Bann – und schuf zugleich einen Bannkreis.

Die erste Biografie von Guntolf Herzberg und Kurt Seifert vermag das Rätselhafte seiner Person nicht aufzulösen. Sie steigert und vertieft es eher. Doch anders kann man Rudolf Bahro wohl kaum gerecht werden.

Wer sich ihm nähert, muss sich unweigerlich der Wucht seiner Paradoxien aussetzen. Ein politischer Prophet, bei dem sich hellste Klarsicht und groteske Blindheit paaren; der das Ende des Staatssozialismus theoretisch erfasste und das wirkliche Ende nicht ahnte; der nach dem Fall der Mauer in die DDR zurückkehrte, um "sein Vater­land“ zu retten, als es schon verloren war; der der PDS, die um das Überleben im Parteiensystem kämpfte, ausgerechnet eine Schlüsselrolle in einer globalen Kulturrevolution andichtete und selbst in der dogmatisch verkrampften Sarah Wagenknecht eine Erlöserfigur erblickte. 

Er war ein spiritueller Partei-Funktionär, der auf einem romantisch-bürgerlichen Bildungsroman beharrte; eine Gründer­gestalt, die nichts hinterlässt; ein Mann, auf der Höhe der Zeit und dort zugleich deplatziert; der "erste und letzte Romantiker der Grünen“ (Antje Vollmer); ein zu spät geborener Weltrevolutionär, der "im Interzonenzug sitzen geblieben war“ (Rainer Langhans). Beides, Blindheit und Hellsicht, hat er radikal ausgelebt. 

Vor allem aber war er ein Erlöser. Die <Logik der Rettung> (so der Titel seines zweiten großen Buches) blieb heillos verstrickt in der Logik des Retters. 

Er, der "unzeitige Schwärmer“, zog die Frauen an: "Wer Gott in sich hat, kann viele Frauen um sich haben.“ Manche Frauen ertrugen es nicht, wie seine Ehefrau Beatrice, die sich von der Siegessäule stürzte. 

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Die Erlöserchronik ist legendenträchtig; sie führt von der Gefängniszelle in Bautzen zum Grünen-Bundesvorstand, zur Friedensbewegung, zu Bhagwan, in die spirituell-ökologische Sekte in der Eifel bis zu seinem denkwürdigen Auftritt Dezember 1989 auf dem SED-Parteitag. 

Dort wollte er mit einer einzigen halbstündigen Predigt die versammelten Funktionäre, die unter dem Schock des Machtverlustes standen, vor dem drohenden Reich der D-Mark bewahren und die DDR selbst in die rettende Utopie einer bäuerlich-klösterlichen Subsistenzwirtschaft führen. Der verbitterte Parteitag fühlte sich verhöhnt und rief: "Werd' doch mal konkret." 

Er sah die untergehende DDR als Gegenentwurf zur alles verschlingenden Industriemaschine, zur Selbstausrottung der Welt des zweiten Rom.

Er reklamierte die volle Verantwortung aller DDR-Bürger; alle müssten sich fragen: "Warum habe ich so lange mitgespielt?"

Aber zugleich wollte er retten, indem er exemplarisch die Schuld aller, von Honecker bis hin zum letzten IM auf sich nahm. Honecker lobte in einem höflichen Brief seinen Humanismus. 

 

Die Biografie rekonstruiert material- und zitatenreich den pikaresken Roman eines revolutionären Denkers im geteilten Deutschland und leistet damit einen wichtigen Beitrag auch zur deutsch-deutschen Geschichte. Der gewichtigste Teil stammt von Guntolf Herzberg, seinem Mitstreiter aus der Zeit, in der <Die Alternative> entstand. Herzberg, der jetzt Philosophie an der Humboldt-Universität lehrt, präsentiert eine beeindruckende Forschungsleistung. 

Er exploriert Bahros Jugend, den Freundeskreis und das dicht gewobene IM-Netzwerk. Er dokumentiert den missionarischen Redakteur der Dorfzeitung im Oderbruch, den rebellischen Soziologen in der VVB Plaste- und Elasteverarbeitung, zeigt einen Bahro zwischen Kaderkarriere und Dichterlaufbahn, den Leninisten, den sein zutiefst bürgerlicher Bildungsroman in einen spirituellen Marxismus treibt und der gleichwohl träumt, an die Spitze der Partei zu gelangen. Alle Paradoxien dieser Vita bilden sich schon in der DDR. Minutiös wird erforscht, wie sehr die Stasi die Produktion der <Alternative> im Griff hatte und wie zugleich Bahro mit der Stasi spielte. 

Es ist das Verdienst Herzbergs, dass er die Zweideutigkeit dieser DDR-Zeit penibel entfaltet, statt sie wegzudeuten.

Es ist der fruchtbarste, erhellendste und zugleich widersprüchlichste Teil der Biografie; denn Herzberg vermag nicht, Bahros Leben zu erzählen, sondern bietet eher ein Bahro-Dossier. Epische Empathie fehlt. Stattdessen rechnet Herzberg mit kleinen Seitenbemerkungen in Parenthese posthum mit seinem Mitstreiter ab und notiert gnadenlos das Versagen der IM-Intelligenzija. 

Das verleiht diesem Teil die Irritation einer unabgeschlossenen Auseinandersetzung, die mit dem Namen Bahro verbunden bleibt. Am Ende bleibt der unausgesprochene Zweifel der Autoren, welcher Art die Nachwirkung sein könnte, die doch jeder erwarten muss, der in dem gigantischen Steinbruch unvollendeter Lehrgebäude und Heilsbotschaften herumirrt.

Bahro hat den ökologischen Zeitgeist, die Katastrophenerwartung, den deutschen Idealismus, die Emanzipations­kämpfe der Arbeiterklasse, die Gesellschaftskritik und die asiatische Meditations­praxis vereinen wollen – ein Religionsgründer im Namen der Ratio. Zugleich war er ein zutiefst deutsch-romantischer Denker. Die Politik, die politische Sphäre und die Demokratie blieben ihm fremd. Gerade die verachtete "durchschnittliche Sekretärs- und Sozialarbeitermentalität“ wollte er überwinden.

Das ist sein tragisches Moment: Seine <Logik der Rettung> stürmte an gegen die Logik der Geschichte. Das vereinte Europa nach 1989 suchte nicht die Rettung, sondern die Normalisierung und die Rekonstruktion der Zivilgesellschaft

Es lohnt sich, die Rasanz der Bahroschen Heilsbahn nachzulesen — nicht zuletzt um erneut über das letzte Jahrzehnt nachzudenken. 

 

 

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Klaus Hartung in ZEIT 2003