Yasmina
Bauernfeind
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1992 236/240 Seiten detopia: Psychobuch |
Inhalt Vorwort (9-11) Adressliste: Wer hilft bei sexuellem Mißbrauch? (237) Literatur (238) (d-2007:) Ein großes Buch.
Yasmina Bauernfeind studierte in München Soziologie und arbeitet seit über zehn Jahren als Fernsehautorin in der BRD und in den USA. Marlies Schäfer studierte in Berlin Wirtschaftswissenschaften und Pädagogik. Sie arbeitet seit 1979 als Fernsehjournalistin.
Verlag: In unserer Gesellschaft, in der die Sexualität als Ware gehandelt wird, werden die perversen Lüste angeheizt, während das Bedürfnis nach Liebe offenbar nicht erfüllt werden kann. Viele Erwachsene vergreifen sich an Kindern. Wie kommt es zu diesen Übergriffen, sowohl von Männern als auch von Frauen? Woher kommt diese Gewalt? Wo liegen ihre Wurzeln? Der sexuelle Mißbrauch an Kindern reicht bis in die gutbürgerliche Gesellschaft, wo er geschickt maskiert, gepflegt und weiterentwickelt wird. Ein Grund dafür, daß sich an der Gesetzeslage bis heute nichts geändert hat? Die kollektive Verdrängung einer gesellschaftlichen Entgleisung? Yasmina Bauernfeind und Marlies Schäfer geben Hinweise, wie Mißbrauch diagnostiziert und Täter erkannt werden können. Sie schildern Schicksale von Opfern, die Täter-Opfer-Beziehungen und die Strukturen der Gewalt. Sie erörtern die Symptome der Seelenspaltung, wie sie häufig bei sexuellem Mißbrauch entsteht, zeigen Möglichkeiten der Therapie auf und geben Anleitungen zur Hilfe und zur Selbsthilfe.
Gutes
Buch zum Thema Missbrauch Das Buch "Die gestohlene Kindheit" ist leicht zu lesen und sehr informativ, auch wenn der Inhalt schwer zu verdauen ist. Es wird beschrieben, wie die betroffenen Kinder für die eigenen Bedürfnisse benutzt werden, welche Auswirkungen dass für sie im Erwachsenenalter hat und welche Strategie die Täter anwenden. Des weiteren werden Studien und Statistiken zum Ausmaß von sexualisierter Gewalt gegen Kinder zitiert und wie der Täter- und Täterinnen-Anteil ist. Der Schwerpunkt liegt in erster Linie auf dem innerfamiliären Missbrauch, sonstige Bereiche, wie z.B. Missbrauch in Institutionen und Kinderpornographie werden eher kurz thematisiert, was mich nicht weiter gestört hat. Was mir an dem Buch besonders gefallen hat, war die Tatsache, dass nicht nur die Folgen für die Betroffenen und deren späteren Partner/Freunde beschrieben werden, sondern auch die Möglichkeiten zur Heilung dieser schweren Wunden. Auch der Umgang der Gesellschaft (Behörden) mit den Betroffen wird kritisch hinterfragt, wobei es zumindest im Strafrecht schon einige Verbesserungen gegeben hat. Es macht bspw. keinen Unterschied mehr in welche Körperöffnungen eingedrungen wurde. Auch die Verjährungsfrist beginnt erst mit dem 18. Lebensjahr und beträgt 10 Jahre. Ernüchternd ist es dagegen zu sehen, dass in Gerichtsverhandlungen nach wie vor eher die Glaubwürdigkeit als die Tat verhandelt wird und Betroffene immer noch jahrelang belastet sind durch Gerichtsverfahren. Auch wenn das Buch schon vor 20 Jahren erschienen ist und in manchen Dingen sicher überholt ist, finde ich es sehr interessant und bin erstaunt, wie viel man auch schon damals wusste bzw. hätte wissen können. |
1
»Das gestohlene Leben« (13)
2
Das Ausmaß der Gewalt (31)
3
Zartbitterer Alltag — die Arbeit der Kontaktstellen gegen sexuellen
Mißbrauch (49) 4 Der Fall Gerlinde (63) 5 Gerlinde und ihre Mutter (67) 6 Die Mutter — als Täterin selbst Opfer? (71) 7 Der Fall Peter (83)
8
Die Persönlichkeitsstruktur der Täter und Täterinnen (89)
9
Die Täter und die Therapie (101) 10 Der Fall Heidi (119) 11 Spießrutenlauf durch die Instanzen (127) Lichtblick Oslo (128) Opfer vor Gericht (129) Forderungen für die Zukunft (132) 12 Haß als Überlebenshilfe (135) 13 Selbsthilfegruppen (139) Die feministische Bewegung (140) Selbsthilfe oder Selbstbetrug? (142) Das Bremer Modell — ein neuer Weg (144) 14 Der Fall Myriam (147)
15
Symptome einer Seelenspaltung (153)
16
Ist Heilung möglich? (185)
17
Auswege (199) 18 Ausblicke (235) |
Vorwort
9-11
Sexueller Kindesmißbrauch ist in den letzten beiden Jahren bei uns in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Während die Thematik hier aber nur wissenschaftlich untersucht wurde, löste sie in den Vereinigten Staaten, wo bereits vor etwa fünfzehn Jahren das Tabu aufzubrechen begann, eine starke Bewegung innerhalb der helfenden Berufsgruppen aus. Prominente aller Bereiche des öffentlichen Lebens geben ihr Schweigen auf und bekennen sich in den Medien offen zu ihrer lange verdrängten Vergangenheit.
Aus den USA kommen auch Forschungsergebnisse, die die Entgleisung des Mißbrauchs in seinem soziokulturellen Zusammenhang zu erklären versuchen. Unsere Gesellschaften bewegen sich gegenwärtig von einem patriarchalisch und mechanistisch geprägten Zeitalter in eine Epoche der Ganzheitlichkeit. Dazu gehört auch, daß sich Strukturen der Ausbeutung und der Unterdrückung allmählich auflösen. Politische Systeme — etwa im gesamten Osten — befinden sich in einer Umbruchphase. Sie sind unter ihrer eigenen Starrheit, ihrem Machtmißbrauch zusammengebrochen. Das gleiche gilt für den einzelnen. Auch im individuellen Bereich lösen sich die starren Verhaltensmuster auf. Der stillschweigenden Duldung und Verleugnung des sexuellen Mißbrauchs wird die Grundlage entzogen. Lebenslügen, wie Machtmißbrauch und sexuelle Perversionen, müssen enttarnt werden, um ein auf Liebe basierendes Leben möglich zu machen.
Kinder leben noch in dieser Liebe, haben einen natürlichen Zugang zur Zärtlichkeit. Ist es das, was sie für Erwachsene so anziehend macht? Oder ist es ihre Unschuld? Ihre arglose Unvoreingenommenheit? »Man kennt die Kindheit nicht«, schrieb Rousseau 1762 in seinem Erziehungsleitfaden »Emile«.
Heißt das, daß der Erwachsene die Beziehung zu seiner Kindheit und damit zu seiner eigenen Seele verloren hat? Muß er sich deshalb an Kinder wenden, in der Hoffnung, das Verlorene wiederzufinden?
Die Ausbeutung des Kindlichen, zu der auch der sexuelle Mißbrauch gehört, ist kein Phänomen der Neuzeit. Zusammen mit Vernachlässigung, Grausamkeit und brutaler körperlicher Gewalt hat es sie zu allen Zeiten und in vielen Kulturen gegeben. Je weiter sich eine Gesellschaft von ihren geistigen Werten entfernt hat, desto stärker ist die Tendenz, Macht zu mißbrauchen, die Schwachen zu kontrollieren, zu manipulieren und zu unterdrücken. Gerade in unserer christlichen Tradition, in der das Männliche verherrlicht wird, gehören Frauen und Kinder zu den Schwachen. Werden sie zu Opfern sexuellen Mißbrauchs, so ist lustvolles Erleben gegenüber den Aspekten der Macht und der Zerstörung für die Täter nur von untergeordneter Bedeutung.
Im Schnittpunkt steht das Kind, insbesondere das weibliche Kind, weil es zu seiner Rolle gehört, schwach und abhängig zu sein. Es wird bei der Findung seiner weiblichen Identität schon im Kindesalter manipuliert, benutzt, ausgebeutet und an das »Herrschaftssystem« angepaßt. Mit der Verletzung seiner Identität wird gleichzeitig der natürliche Widerstand des Kindes gebrochen. Damit ist eine freie, eigenständige Entwicklung nicht mehr möglich.
Neuere Untersuchungen in den Vereinigten Staaten belegen, daß auch Jungen in einem weit größeren Ausmaß sexuell mißbraucht werden als bisher angenommen. Nicht nur durch männliche Täter, sondern auch durch ihre Mütter und andere weibliche Bezugspersonen. Mit dem Aufbrechen dieses Tabus präsentiert sich die ganze Dimension der Gewalt, die von einer Generation an die nächste weitergegeben wird.
Die Wurzeln dafür, daß Erwachsene Kinder zu Objekten ihrer perversen Wünsche herabwürdigen, reichen bis in ihre eigene Kindheit zurück; früh schon selbst erfahrener Mißbrauch führte zu tiefen Persönlichkeitsstörungen und geringem Selbstwertgefühl, das mit Übergriffen auf Schwächere kompensiert wird.
Mit der Entlarvung durchschauen wir zwar den Teufelskreis der Gewalt, doch wir sind nicht in der Lage, ihn auf breiter Front zu durchbrechen. Wir wissen nicht, wie Prävention aussehen kann: Politiker, Juristen und Erzieher schauen hilflos dem erschütternden Geschehen zu. Sowohl Opfer als auch Täter brauchen dringend gezieltere therapeutische Hilfsangebote. Darüber hinaus muß sich jeder einzelne die Frage stellen, wie er mit der eigenen Gewalt umgeht und wie er sich verändern kann.
Auch uns war das Thema nicht unmittelbar vertraut. Erst als wir vom Fernsehen den Auftrag erhielten, eine Reportage über sexuellen Mißbrauch an Kindern zu produzieren, wurde uns das ganze ungeheure Ausmaß an Perversion und Gewalt deutlich. Und zwar überall — bei unseren eigenen Nachbarn, Bekannten, in Behörden, Schulen und Arztpraxen. Diese Erfahrung hat unsere Sichtweise geschärft und unser Bewußtsein verändert. Die Ausbeutung ist überall; sie ist ein Phänomen unserer Zeit, dem wir uns alle verweigern müssen.
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